Makrina

gest. 379.

Es war die Heldenzeit der Kirche. Noch war sie gesund, freilich konnte krankhafte Überreizung hier, Abspannung dort in solcher außerordentlicher Zeit nur zu leicht eintreten. Der Märtyrerruhm war verlockend, bald drängten sich die Christen, Jünglinge und Jungfrauen auch zum Martyrium. Da gab es neue Aufgaben auch für die Frauen. So konnte der 17jährige Origenes (geb. 185) nur dadurch zurückgehalten werden, die Marter seines Vaters Leonidas zu teilen, dass seine treffliche Mutter in sein Schlafzimmer ging und ihm die Kleider versteckte. Andrerseits blieb es die höchste Ehre einer Familie, wenn ein Vorfahre Blutzeuge gewesen war.

So hielt es der heilige Ambrosius sich zum größten Ruhm, dass seine Muhme oder Großmuhme, die heilige Sotheria, unter Diocletian geblutet. Unter diesem Kaiser tobte sich der Feind gegen die Christenheit aus. Unzählbar ist die Schar der Blutzeugen, welche die Geschichte und die ausschmückende Sage in dieser Zeit mit der Marterkrone schmückt. Die Frauen wetteiferten mit den Männern in Eifer und Treue. Die heilige Agnes, der Qual und der Schande nicht achtend, darum wunderbar der Qual und der Schande entnommen, wurde von den Blumenkränzen des christlichen Dichters umwunden mit ihrem Lamme nun das Sinnbild und Vorbild frommer Jungfräulichkeit, dem die heiligen Katharinen und Dorotheen, die heiligen Jungfrauen zu Tausenden und „elf Tausenden“ sich anschlossen. Lassen wir unsern katholischen Brüdern die fromme Dichtung, so bleibt uns noch genug der Wahrheit verbürgt in Geschichten und Namen wie jener Viktoria, der wir als einer unter Vielen gedenken. Diese junge Christin wurde in der letzten und größten Verfolgung unter Diocletian und Galerius (303 n. Chr.) mit andern gefangenen Christen vor den Statthalter zu Karthago geschleppt. Ihr Vater und Bruder waren noch Heiden. Der Bruder Fortunatianus war herbeigekommen, um sie zur Verleugnung zu bewegen und ihr die Freiheit zu verschaffen. Da sie standhaft erklärte, sie sei eine Christin, gab der Bruder vor, sie sei ihrer Sinne nicht mächtig. Aber sie sprach: „das ist mein Sinn und den habe ich nie verändert.“ Als der Statthalter sie fragte: „Willst du mit deinem Bruder gehen?“ antwortete sie: „Nein, denn ich bin eine Christin, und die sind meine Brüder, welche Gottes Gebote halten.“ Das besiegelte sie mit ihrem Tode. Gleichermaßen wusste jene Natalie das Wort zu üben: „So Jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann mein Jünger nicht sein“ (Luk. 14,26.). Als sie hörte, dass ihr Gemahl Adrianus zu Nikomedien gefänglich eingezogen und mit Ketten belastet war, erschrak sie im Gedanken, er möchte etwas Unrechtes getan haben. Wie sie aber hörte, dass er um des Bekenntnisses willen mit 33 Andern ins Gefängnis geworfen war, schwand ihre Angst, und nur die Besorgnis blieb, ihr Mann möchte durch den Anblick der Marter der Andern verzagt werden und in Gefahr der Verleugnung geraten. Um dies zu verhüten und ihm die Märtyrer-Krone zu sichern, ging sie zu den Henkern und bat sie, sie möchten doch bei der Hinrichtung ihren Mann zuerst vornehmen. Dies geschah und Natalie ward nun Witwe. Vom Statthalter nachher zum Weibe begehrt, entfloh sie aufs stürmische Meer, von dem ihr Schiff dem nachsegelnden Verfolger zu Trutz durch Gottes Schutz in den sicheren Bergungsort getragen wurde.

In den Zeiten der Verfolgungen wurde nun das Heimweh nach einer andern Welt das vorherrschende Gefühl der edelsten Gemüter. Die fromme Verzichtung auf die unschuldigen Freuden der Welt, die Entsagung wurde immer mehr oberster Grundsatz; dem Paulus von Theben nach zogen die Einsiedler sich ganz aus der Welt zurück in Wüsten und Höhlen; Antonius (270-356) gab dieser Weltflucht das Gepräge einer Regel der Vollkommenheit in Armut und Fasten und Beten. Als vollends durch Constantin den Großen die Kirche und ihre Todfeindin, die Welt, sich versöhnte und vermengte, da gab es erst rechten neuen inneren Kampf anstatt der bisherigen äußern Verfolgung. Die strengste Entsagung und Enthaltsamkeit kämpfte gegen den in die Kirche aufgenommenen Weltsinn; Schauspiel, Tanz, Eid, Ausleihen auf Zinsen und zweite Ehe wurde für sündlich erklärt. Da hierzu sich nicht die Masse verstehen konnte noch mochte, so bildete sich ein höherer Rang völligster unnatürlicher und übernatürlicher Entsagung für die „vollkommenen“ Christen und eine niedere Sittlichkeit des erlaubten Genusses für die gemeine Christenheit. Dort ward geistlicher Hochmut, hier das äußerliche Abmachen und Abkaufen durch Fasten, Almosen und Gebete die Klippe, an welcher das aus dem Fahrwasser des lauteren, einfältigen, nüchternen Schriftwortes getriebene Schifflein Petri nach tausendjähriger Irrfahrt zerschellen ging.

Wie sich mitten zwischen diesen zwei Gefahren die katholische Kirche entwickelte, welchen Beitrag zu ihrer Geschichte nach ihrer Licht- und Schattenseite das weibliche Geschlecht gab, und welche Vorbilder für alle Zeiten, die seit Constantin dem Großen beginnende Weltzeit des Christentums in ihren ausgezeichnetsten Frauenbildern darbietet, des wollen wir jetzt uns in einer Reihe von edlen, auch in Verirrung großen Gestalten – „mit Zittern“ freuen.

Zwei Brüder, Basilius der Große und Gregor von Nyssa, waren es vor Allem, welche der neuen Geistesströmung die breiten und tiefen Ufer bauten, in denen sie durch die Welt und nicht von der Welt dahinziehen sollte. Diese zwei Brüder waren die Söhne ihrer Großmutter, die Zöglinge ihrer Schwester Makrina. Basilius der Große ist zu Cäsarea in Kappadocien ums Jahr 330 geboren. Sein Vater stammte aus Pontus von einer Märtyrerfamilie; seine Mutter war eine Kappadocierin. Die Familie war angesehen von jeher, doch ihr bestes Teil war ihre Frömmigkeit. Makrina, die Großmutter väterlicherseits, hatte als eifrige Christin sich in der diokletianischen Verfolgung mit ihrem Gatten in die unzugänglichen Waldungen des Pontus flüchten müssen, wo sie sieben Jahre lebten von Hirschen in ihrer Einsamkeit ernährt. Der Großvater mütterlicherseits hatte in der Verfolgung des Maximin sein gutes Bekenntnis mit dem Tode besiegelt. Diese Frömmigkeit ging auf die Eltern des Basilius über. Sein Vater war Lehrer der Beredsamkeit in Neucäsarea. Die Mutter Emmelia hatte – ausgezeichnet durch ihre Schönheit – um den Gefahren der vielen Bewerbungen um sie zu entgehen Vater und Mutter waren tot – den Antrag dessen angenommen, der als der Frömmste galt.

Die Eltern besaßen ein großes Vermögen, ihr höchster Schatz waren aber ihre vier Söhne und fünf Töchter, unter denen Makrina die älteste, Basilius der älteste war. Die ersten Jahre seiner Kindheit verlebte er in ländlicher Einsamkeit bei seiner Großmutter Makrina. Nie hat er die tiefen Eindrücke vergessen, welche die Reden und Beispiele dieser ehrwürdigen Frau auf seine zarte Seele gemacht. Erwachsen und in Cäsarea wohl geschult zog er zum Studium nach Konstantinopel und Athen. Mit ausgezeichneter Gelehrsamkeit von da (359) zurückgekehrt, trat er auf den Wunsch seiner Mitbürger einige Zeit als Lehrer der Beredsamkeit auf. Aber Makrina, seine Schwester hatte sich mit ihrer Mutter Emmelia in die Einsamkeit zurückgezogen, den Bruder für dieselbe Lebensweise zu gewinnen und den Versuchungen der Welt zu entziehen, war ihr Hauptanliegen. Und es gelang ihr; Basilius trotz aller Bitten der Behörde von Neucäsarea entschloss sich, ganz von der Welt sich zurückzuziehen und „Gott zu dienen.“ Er besah sich das Mönchtum in andern Ländern, schenkte sein ganzes Vermögen den Armen und zog nach Pontus an das Ufer des Flusses Iris, gegenüber dem Landhause seiner Großmutter, da er erzogen worden war, unfern dem Kloster, wo in reizender Gegend Emmelia mit Makrina und andern Jungfrauen lebte, denen letztere vorstand.

Die stille Einsamkeit war ihm „der Anfang der Reinigung für die Seele, denn das einzige Mittel, die Seele zur Ruhe zu bringen, ist die Lossagung von der ganzen Welt.“ Doch schon nach einem Jahre wurde er in die Unruhe der Welt und der Kirche zurückgerufen. Zum Presbyter in Cäsarea (364) erwählt, lebte er übrigens mönchisch in Gemeinschaft mit Mönchen fort. Er war aber zu Größerem berufen. Als Bischof von Cäsarea musste er die (arianischen) Feinde der Gottheit Christi bekämpfen und das Steuerruder der Kirche führen. Daneben tat er, zumal in dem Hungerjahre 368 durch die Predigt der Buße und durch das Beispiel seines Wohltuns Wunder an den Herzen der Wucherer und der Armen. Seine Mutter Emmelia war eben gestorben, ziemliches Vermögen fiel ihm zu. „Nun habe ich, schreibt er einem Freunde, auch den einzigen Trost im Leben, den ich hatte, wegen meiner Sünden verloren. O lache nicht über mich, dass ich in diesem Alter meine Verwaisung beweine, und verzeihe mir, wenn ich die Trennung von einer Seele nicht geduldig ertrage, mit welcher ich im Übrigen nichts Vergleichbares sehe.“ Mit dem gewonnenen Gute tat er, wie ihn seine Mutter gelehrt, nur Gutes. Von allen Gegenden waren Bedürftige nach der Hauptstadt geeilt. Täglich, so lange die Hungersnot dauerte, versammelte Basilius sie um sich und verteilte unter sie Speisen, die er in großen Kesseln herbeibringen ließ. Er selbst war sorgsam bedacht, dass Jeder etwas bekäme. So wurden Alle gespeist, von jedem Alter und Geschlecht, auch die Kinder der Juden; sie wurden gespeist auch mit geistlicher Speise.

Basilius, der Vorkämpfer des Glaubens im Morgenlande, der kluge, milde und starke Lenker der Kirche, der Begründer und Ordner des Mönchslebens, der gewaltige Prediger, der treue Seelsorger, ist auch ein Hauptanfänger der wohltätigen Anstalten geworden, in welchen die katholische Kirche eine ihrer größten Zierden hatte. Gleich im Anfang seiner bischöflichen Laufbahn (370) errichtete er in einer Vorstadt Cäsareas ein großes Gast- und Krankenhaus, das nachher Basilios nach ihm genannt wurde. Es war bestimmt, Durchreisende aufzunehmen, und Kranken, besonders Aussätzigen, die sonst von Menschen ängstlich vermieden wurden, liebreiche Aufnahme zu verschaffen. Basilius selbst besuchte und küsste sie als Brüder, damit andern ein Beispiel zu geben, auch diesen ekelhaften Krankheiten brüderliche Hilfe zu leisten, oder wie sein Bruder Gregor von ihm sagt, um die Menschen zu überzeugen, dass wir als Menschen die Menschen nicht verachten, noch durch unsere Grausamkeit gegen sie Christum, das Haupt Aller, schänden, sondern ihr Unglück zum eigenen Heil benutzen und von Gott Barmherzigkeit borgen sollen, die wir der Barmherzigkeit so sehr bedürfen. In diesem Hause wurden Krankenväter und Ärzte angestellt, Lasttiere für Reisende angeschafft, Wegweiser angenommen, Handwerker besoldet, um für die Lebensbedürfnisse zu sorgen, ja selbst die Gewerbe eines verfeinerten Lebens zu treiben. Für die Arbeiter wurde ein eigenes Gebäude neben dem Gast- und Krankenhause erbaut. Und zu dem großen Bau scheint Basilius die sämtlichen Kosten bestritten zu haben.

Beim Tode des Basilius war sein jüngerer (um 335 geborener) Bruder Gregorius anwesend. Dieser – von Kind an zur Gelehrsamkeit und stiller Forschung sich leiblich und geistig berufen achtend – zog von dem Lehrstuhle der Beredsamkeit zu seinem Bruder und zu seiner Schwester nach Pontus in die Einsamkeit, nachdem Basilius und Makrina ihn für das „jungfräuliche Leben“ gewonnen. Die Ehe galt ihm als die dunkelste Nachtseite des menschlichen Lebens, als die Chorführerin aller irdischen Trauerspiele: Enthaltung von der Ehe nennt er die Bedingung jener geistigen Jungfräulichkeit, welche frei von allen sinnlichen Banden in der vollkommenen Liebe zu Gott, in der Anschauung des ewigen Vaters ihre Weihe hat. Nicht dass der Körper gequält werden solle, aber enthalten soll er sich um den Geist in seiner freien Bewegung zum Vater der Geister nicht zu hemmen. Er war mit Theosebeia („Gottseligkeit“), einer Christin, vermählt, aber er beklagt die Bande, die ihn damit an die Welt verstrickt, die Zeit, die er an die Welt und ihr Treiben verloren; nun lebte er in stiller Einkehr nur der heiligen Schrift und den Werken der Kirchenlehrer. Aber er sollte nicht bloß sich von der Welt enthalten, er sollte auch in der Welt leiden und streiten lernen, er musste Bischof in Nyssa werden, so wollte sein Bruder Basilius. Bald genug erhoben sich die Feinde der Gottheit Jesu (die Arianer) wider ihn und er wurde abgesetzt (376). Doch nach zwei Jahren durfte er aus der Verbannung zurückkehren in die Mitte seiner ihn mit Liebe umfangenden Gemeinde. Jetzt kam aber neue Trübsal. Kurz nacheinander wurde sein Bruder Basilius und seine Schwester Makrina, deren geistlicher Leitung er so viel zu verdanken hatte, von seiner Seite gerissen (379). Dem Basilius hatte er die Augen zugedrückt und die Lobrede gehalten, in der er ihn mit Paulus, Johannes dem Täufer, Elias und Moses vergleicht. Im Herbste desselben Jahres wollte er auf der Rückkehr von der Kirchenversammlung zu Antiochien seine teure Schwester besuchen und kam zu ihrem Tode. Das schönste Denkmal, das er ihr sehen konnte, war die Beschreibung ihres Lebens und Sterbens.

Makrina war, wie wir wissen, die erste Frucht der Verbindung der Eltern. Sie erhielt ihren Namen nach der frommen Großmutter. Sie hatte aber noch einen geheimen, den die Mutter Emmelia – in Allem göttlichen Wink und Führung verlangend – in folgendem Gesichte überkommen hatte. Als die Zeit herbeigerückt war, da sie gebären sollte, kam ihr im Schlafe vor, als trage sie in den Händen, was sie noch unter dem Herzen hatte, und sie sah eine Erscheinung, hehrer als menschliche Form und Gestalt, die ihrer Tochter den Namen der heiligen Thekla gab, welche als „Schülerin des Paulus,“ von dem Freier, dem sie entfloh, der Obrigkeit ausgeliefert, von den wilden Tieren aber verschont und auch wunderbar aus den Flammen errettet, endlich im Frieden entschlafen, von der griechischen Kirche als erste Märtyrin hoch verehrt war. Dreimal wiederholte die Gestalt den Namen Thekla, dann verschwand sie. Emmelia erwachte sofort und gebar, und so leicht, dass vom Traum erwachen und das Geträumte in Händen haben Eins war. – Dieser Name, so verstand die Mutter, sollte das künftige Wesen und Leben der Tochter andeuten. Er machte ihr zugleich eine ernste christliche Erziehung ihres Kindes zur doppelten Pflicht. Makrina wuchs auf unter mütterlicher Obhut. Kaum wagte es die Mutter, sie den Händen der Amme anzuvertrauen. Dem Kindesalter entwachsen zeigte sie sich in allen Kenntnissen ihres Alters gelehrig, und was ihr auch die Eltern anweisen mochten, überall waren ihre Naturgaben ausgezeichnet. Das Streben der Mutter ging dahin, die Tochter wohl zu erziehen; aber nicht, wie bei vielen Müttern, ging ihre Absicht auf eine glänzende Außenseite, auf einen Schatz jener Kenntnisse, die das junge Alter meist aus dem Lesen von Dichtern sich anzueignen pflegt. Sie hielt es für entehrend und ungeziemend, dass das zarte und bildsame Gemüt bald mit den grässlichen Geschicken der Weiber, die den Trauerspiel-Dichtern meistens den Stoff liefern, bald mit den Abgeschmacktheiten und Unsittlichkeiten des Lustspiels bekannt, ja befleckt würde. Vielmehr was aus der vom göttlichen Geiste eingegebenen Schrift für jenes Alter leicht und passend war, das sollte Makrina erlernen: die Sprüche Salomonis, und vor allem darin, was Leben und Sitten bilden könnte. Doch auch die Psalmengesänge waren ihr nicht unbekannt, von denen sie gewisse Abschnitte zu bestimmten Zeiten las. Des Morgens, wenn sie aufstand, oder wenn sie zu oder von der Arbeit ging, zum Tisch oder vom Tisch, oder zu Bette oder in die Kirche zum Gebet, immer hatte sie das Psalmenbuch als einen freundlichen Begleiter bei sich, der sie nie verließ.

In dieser Weise erzogen, auch in Wahrheit geschickt, erreichte sie das zwölfte Jahr – das Alter, in dem im Morgenlande die Jungfrau sich entwickelt. Makrina blühte wundersam im Schmucke der Jugend; ihre Schönheit, wie sehr man sie auch verbergen wollte, konnte doch nicht verborgen bleiben. Im ganzen Vaterland kam ihr nichts gleich; ihre Gestalt und Anmut vermochte selbst die Hand des geschicktesten Malers nicht würdig zu erreichen. Ein Schwarm von Freiern nahte sich. Der Vater aber, verständig und von hoher praktischer Umsicht, wollte sofort einen durch Herkunft und Adel der Gesinnung ausgezeichneten Jüngling. Große Hoffnung erweckte der junge Mann, vor Gerichte war er ein beredter Sachwalter der Verfolgten. Die schönen Hoffnungen brach der Tod.

Die Jungfrau hatte erfahren, wem sie bestimmt war, die Wahl des Vaters nannte sie sofort ihre Ehe, und als ob, was jener beschlossen, Wirklichkeit geworden wäre, entschied sie sich für die übrige Zeit ihres Lebens Jungfrau zu bleiben. Und dabei blieb sie fester als man von ihrem Alter hätte erwarten dürfen. Denn obschon ihre Eltern öfters in sie drangen, hinweisend auf die Schar der Bewerber, die der Ruf ihrer Schönheit herbeigezogen, sie meinte, es wäre unangemessen, und unerlaubt, jene Ehe, mit der sie ihr Vater ein für allemal gebunden, zu brechen, und nach einer zweiten gezwungen zu schauen: es sei naturgemäß nur Eine Ehe, wie auch nur Eine Geburt und Ein Tod; den in Gott Lebenden müsste man aber in Hoffnung der Auferstehung ja nicht für tot achten, nur ferne sei er; Sünde dann wäre es, dem fernen Verlobten die Treue nicht zu bewahren. Das war ihre Ansicht, worin sie ihren zwei Brüdern voranging, das ihr Entschluss. Diesem nicht untreu zu werden, beschloss sie, sich keinen Augenblick von der Mutter zu trennen. Darum pflegte diese zu sagen, die übrigen Kinder habe sie nur eine bestimmte Zeit unter dem Herzen getragen, Makrina aber immer. Und ihr Aufenthalt bei der Mutter brachte dieser weder Mühe noch Last. Sie war ihr statt vieler Dienerinnen. In dieser Art vergalten sich beide gegenseitig ihre Liebesdienste: die Mutter hütete die Seele der Tochter, die Tochter sorgte für die leiblichen Bedürfnisse der Mutter und stand ihr in allen häuslichen Geschäften, besonders seit des Vaters Tode, hilfreich zur Seite, so Martha wie Maria.

Um diese Zeit kehrte Basilius von der hohen Schule zu Athen zurück. Makrina wollte in ihm viel weltlichen Sinn, viel Stolz, auf seine Weisheit und Beredsamkeit finden. Sie drang mit solcher Gewalt in ihn, der Welt, Ruhm fahren zu lassen, dass der Bruder nicht vermochte ihr zu widerstehen. Wie er sich nun in die Einsamkeit zurückgezogen, der Kasteiung sich ergeben, haben wir oben gesehen.

Was schon längst in dem Herzen der Tochter und Mutter schlummerte, brachte ein schweres Ereignis, das über die Familie hereinbrach, zur Reife. Von den vier Brüdern hieß der zweite, der auf Basil folgte, Naukratius, ein Jüngling, reich begabt an Leib und Seele, und zu allem geschickt. Er war ein ausgezeichneter Sachwalter geworden, hochgeehrt von Allen. Da, im 22. Jahre, tritt in ihm eine völlige Umwandlung ein; was er in Händen hat, lässt er dahinten und zieht sich mit einem getreuen Diener Chrysaphius in eine Einöde zurück. Am Flusse Iris im tiefsten Walde fand er ein einsames, dichtbeschattetes, von überhangenden Felsen bedecktes Plätzchen; hier, ferne von dem Getümmel der Stadt, des Kriegs- und Gerichtswesens, siedelte er sich an, sich und der Askese lebend. Einigen Greisen, die auch dort lebten, verschaffte er zugleich – ein geübter rüstiger Jäger wie er war – ihren Unterhalt. Ins fünfte Jahr hatte er so gelebt. Er war auch wieder einmal, wie gewohnt, zur Jagd ausgezogen, den Greisen ihre Nahrung zu erjagen; da brachte man ihn tot nach Hause mit seinem treuen Diener. Die Mutter war gerade drei Tagereisen weit entfernt. Sie war allezeit und in Allem fest und gefasst gewesen; diese Botschaft übermannte ihre Natur; es war der liebste Sohn gewesen, der so hatte enden müssen; ohnmächtig stürzte sie zusammen. Doch Makrina, größer als der Schmerz, blieb aufrecht, und stützte und hielt auch die Mutter durch ihre Stärke.

Die Kinder waren versorgt, die häusliche Last großenteils unter die Söhne verteilt. Was hinderte an einem klösterlichen Stillleben? Längst war Makrina geneigt gewesen, die bisherige Lebensweise aufzugeben und ein beschauliches Leben zu führen; bei ihrer jetzigen Seelenstimmung musste der Mutter ein solcher Lebensplan nur erwünscht kommen.

So zog nun die Tochter die Mutter, wie die Mutter einst die Tochter gezogen.

Sofort wurde der Entschluss ausgeführt. Die Dienerinnen wurden Genossinnen des neuen Lebens: aller Vorrechte, aller Würden begab man sich; es war ein Tisch, das gleiche Lager, die gleiche Lebensweise, und eine Ordnung, eine Zucht, ein Friede, eine Lebenshöhe, wie sie nur da möglich ist, meint Gregor, wo alle menschlichen Fesseln abgelegt, alle Eitelkeit der menschlichen Dinge abgetan ist; es war ein Leben nach der Ähnlichkeit der Engel.“ Da war kein Zorn, kein Hass, kein Neid, keine Verdächtigung, keine Ehr- und Ruhmgier, und was dergleichen mehr. Ihr Wohlleben setzten sie in Mäßigkeit, ihren Ruhm darein, dass sie nichts besäßen. Nur das Göttliche war ihre Sorge: das Gebet und das Psalmensingen.

In dieser Lebensrichtung sehen wir Makrina als Haupt; sie hat die Mutter, sie hat den Bruder Basil gezogen; auch der jüngste, Petrus, wurde in diesem Geiste gebildet. Wie er geboren wurde, war auch der Vater gestorben. Makrina wurde ihm sofort Vater, Lehrer, Hüter; Petrus ihr treuer Schüler. (Später ward er Bischof in Sebastopol).

Inzwischen war die Mutter alt und hochbetagt geworden. Als sie zu sterben kam, segnete sie ihre Kinder, die ferne waren und nah: Makrina und den jüngsten. „Dein seien sie, o Herr!“ betete sie und ging dann hinüber zu Gott. Sie hatte ihren Kindern befohlen, im väterlichen Grabmal sie beizusetzen: wie sie gewünscht, geschah ihr.

Auch in diesem Schmerz sehen wir Makrina fest. Noch ein dritter traf sie: der Tod des ältesten Bruders, des großen Basil. Welch‘ entscheidenden Einfluss sie auf das Leben und auf die ganze Denkweise des Letzteren ausgeübt, wissen wir: sie waren sich geistig verbunden. Wie hätte sie die Todesnachricht nicht aufs Schmerzlichste treffen sollen! Sie fühlte den Verlust, aber wie eine, die doch wiedergefunden hatte.

Basilius war im Jahre 379 gestorben. Es war neun Monate darnach oder etwas mehr, als Gregor von Nyssa, wie wir oben sahen, von der Versammlung zu Antiochien, der er beigewohnt, rückkehrend seine Schwester besuchte. Sie hatten sich schon seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Was alles lag dazwischen! Er traf die Schwester krank, sterbend. Sie lag auf einem Bette, nur mit härenem Tuch bedeckt. Als sie den Bruder zu der Türe hereinkommen sah, richtete sie sich auf ihrem Lager auf und faltete die Hände. Dank dir, Herr Gott, betete sie, dass du auch das mir verliehen und was meine Seele wünscht, ihr nicht vorenthalten hast, sondern hast deinen Knecht getrieben, mich, deine Magd, zu besuchen.“ Und um den Bruder nicht trübe zu stimmen, suchte sie zu verbergen, wie schwer ihr das Atmen werde, gab sich ein fröhliches Aussehen und suchte selbst Anlass zu heitern Gesprächen. Als die Rede dann auf Basilius kam, konnte Gregor nicht mehr zurückhalten; er fühlte sich ergriffen, sein Gesicht verzog sich, Tränen entstürzten seinen Augen. Makrina aber blieb ruhig, und nahm vielmehr Veranlassung, von dem Tode des Bruders weg hinzuweisen auf die auch in trüben Schicksalen verborgene göttliche Vorsehung und über das künftige Leben zu reden. Und sie sprach wie vom göttlichen Geiste angeweht; der Bruder fühlte sich wie außer sich selbst versetzt in die himmlischen Wohnungen. Es war wunderbar zu schauen, diese Geisteskraft in dem vom Fieber ganz ausgedörrten Körper. In tiefem Zusammenhang sprach sie von der Seele des Menschen, von dem Grunde dieses Lebens im Fleisch, wie fern und warum der Mensch sterblich sei und wie unsterblich, und von der Auflösung und Rückkehr in jenes Leben. Das alles ging sie durch, klar, scharf, in bestimmter Ordnung: ihre Rede floss wie ein Wasser frisch und hell aus seiner Quelle.

Nicht so leicht konnte sich Gregor fassen. Er erging sich in den nahen Gärten, unter dem Schatten der Bäume; aber er konnte keine Ruhe finden, es schwebte ihm immer nur der Tod der geliebten Schwester vor. Da, als ob sie seine Gedanken erraten, ließ sie ihm sagen, er möchte guten Muts sein, die Krankheit habe sich zum Bessern gewendet. Freilich, sie fühlte bereits den nahen Sieg, hörte bereits den Ruf von oben.

Gregor besuchte sie wieder, er fand sie tief in Gedanken. Sie erzählte von den Eltern, den Kinder- und Jugendjahren, von den Ereignissen seitdem; sie erzählte alles so genau, so umständlich, als hätte sie es geschrieben. Das Ziel ihrer ganzen Erzählung aber war Dank gegen Gott. Der Tag darauf war ihr letzter. Es war Abend. Sie blieb immer heiter; sie sprach nicht mehr mit den Umstehenden, ihre Worte wurden zu Anreden an Gott und zu Gebeten, immer leiser, immer flüsternder. „Du, o Gott,“ betete sie, „hast mir die Todesfurcht genommen. Du hast verliehen, dass dieses Lebens Ende der Anfang des wahren Lebens ist. Du gibst die Leiber zu ihrer Zeit dem Todesschlaf hin und erweckst sie wieder aus dem Schlafe mit der letzten Trompete. Du vertraust unsere Erde, die du mit deinen Händen gebildet als eine Hinterlage der Erde an und nimmst, was du ihr gegeben, wieder von ihr, das was an uns sterblich und ungestalt ist, mit Unsterblichkeit und Schöne krönend. Du hast uns vom Fluch und von der Sünde befreit dadurch, dass du beides für uns geworden bist; du hast der Schlange den Kopf zertreten, hast die Tore der Unterwelt erbrochen, den, der die Macht des Todes hatte, überwunden und uns den Weg zur Auferstehung gebahnt. Du hast zum Verderben des Feindes und zur Sicherheit unsers Lebens denen, die dich fürchten, ein Zeichen aufgestellt, das Zeichen deines heiligen Kreuzes, dem ich verlobt bin von Mutterleib an. O sende mir den Engel des Lichtes, der mich führe an den Ort der Erquickung, wo das Wasser der Ruhe ist, in den Schoos der heiligen Väter! Du, der du das flammende Schwert zerbrochen und den Menschen, der mit dir gekreuzigt ist und zu deiner Barmherzigkeit flüchtet, dem Paradiese wiedergibst, gedenke auch meiner in deinem Reiche! Auch ich bin ja gekreuzigt mit dir; nichts scheide mich von deinen Auserwählten, nicht trete mir der Feind in den Weg, nicht mögen meine Sünden vor deinen Augen erfunden werden! Wenn ich aus Schwäche der Natur mit Wort oder Tat oder Gedanken gefehlt, so verzeihe mir das, der du die Macht hast, die Sünden zu verzeihen, dass ich erquickt werde und, wenn ich den Körper ablege, vor deinem Angesichte erfunden werde als die da keinen Makel hat an der Seele! Tadellos, makellos möge meine Seele in deine Hände aufgenommen werden als ein Brandopfer vor dir!“ So betete Makrina. Allmählig erstarb das Wort auf den Lippen; nur noch den Mund und die Hände sah man sie bewegen, ein Zeichen, dass sie noch immer betete. Dann zog sie einen langen, tiefen Seufzer und – sie hatte geendet. Der Bruder erwies ihr den letzten Liebesdienst und drückte ihr die Augen zu. Nach manchem Wechsel, nach mancher Trübsal und Prüfung, aber nachdem er Großes gewirkt und für alle Zeiten herrliche Werke vollendet, eilte auch er seinen Geschwistern nach ins Land des Friedens im 64. Jahre seines Lebens ums Jahr 395.

Perpetua

gest. 202.

Die römischen Kaiser selbst waren eine Zeit lang gegen das Christentum gleichgültig oder gar ihm geneigt. Aber die bestehenden Gesetze gaben die Christen der Willkür einzelner Statthalter preis. So zeigt uns die Geschichte der jungen Kirche nur wenige Zeiten und Länder, in denen nicht Märtyrerblut geflossen wäre. In Afrika brach eine Verfolgung im Jahre 202 aus. Da lebte Perpetua, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts in einer der Vorstädte Karthagos, aus edlem Geschlechte geboren und trefflich erzogen. Sie war etwa 22 Jahre alt, verheiratet und hatte ein säugendes Kind. Noch lebten die beiden Eltern und ein Bruder, ein anderer war frühe gestorben. Der Vater war Heide, die beiden Geschwister standen im Vorbereitungs-Unterrichte zur Taufe als Katechumenen.

Als die Verfolgung ausbrach, wollte der Vater die Tochter vom Christentum abwenden, Perpetua blieb aber standhaft. „Vater,“ sagte sie zu ihm, „siehst du dieses Gefäß?“ sie wies auf ein zur Erde liegendes Fass. „Kann man es wohl anders benennen als was es ist? Siehe, so kann auch ich mich nicht anders nennen, als was ich bin und bleibe: eine Christin.“ Der Vater bat, drohte – umsonst! Nach wenigen Tagen ließ sie sich taufen, und der Geist deutete ihr auf die andere Taufe: die Bluttaufe.

Bald darauf wurde sie eingezogen. Sie gestand, dass sie anfangs selbst ergriffen worden sei bei dem Anblick des finsteren Ortes; die furchtbare Hitze, die große Zahl der Gefangenen, die schlechte Behandlung von Seiten der Soldaten, zu all‘ dem die Besorgnis für das liebe Kind, wie hätte alles dieses nicht tiefen Eindruck auf sie machen sollen! Die Diakonen, die sie besuchten, erkauften ihr endlich größere Freiheit; sie durfte einige Stunden des Tags an einem freieren Orte zubringen, und diese Zeit benutzte sie, ihr Kind, das beinahe verschmachtete, zu säugen. Lange musste sie es also aushalten; endlich erlangte sie die Erlaubnis, ihren Säugling zu sich ins Gefängnis nehmen zu dürfen und jetzt fand sie sich wie neu belebt; „der Kerker,“ sagte sie, „wurde mir zum Palast.“

Einst, Nachts im Traume, sah sie eine goldene Leiter von wunderbarer Höhe bis zum Himmel reichend, aber so schmal, dass nur immer Einer allein hinansteigen konnte; an der Seite der Leiter waren alle Arten von Instrumenten befestigt; unter der Leiter aber lag ein Drache, der den Aufsteigenden Fallstricke legte und sie zurückzuschrecken suchte. Saturus, ihr Bruder, der damals noch nicht gefangen lag, aber später sich freiwillig überlieferte, stieg zuerst hinauf; er kam bis zur Höhe, da sprach er gegen die Zuschauenden gewendet: „Perpetua, ich warte deiner; aber sieh zu, dass der Drache dich nicht versehre!“ „Er wird mir nicht schaden im Namen des Herrn Jesu Christi,“ erwiderte sie. Das Untier, als ob es die Heranschreitende fürchte, erhob langsam sein Haupt; sie aber, die erste Stufe der Leiter ersteigend, trat ihm auf das Haupt und stieg nun hinan. Oben tat sich der Staunenden die unermessliche Weite eines Gartens auf und in Mitte desselben sah sie einen eisgrauen Mann sitzen, in der Tracht eines Hirten, der war groß und melkte die Schafe und um ihn her standen viele Tausende Weißgekleideter. Er erhob das Haupt, sagte mit einem Blick auf Perpetua: „willkommen, Tochter!“ rief sie zu sich und gab ihr von dem Käse, den er gemolken, ein kleines Stück; sie nahm es mit aneinandergefügten Händen und aß; Alle, die herumstanden, sprachen Amen! Auf den Laut dieser Stimme erwachte sie, noch essend an dieser, sie weiß nicht welcher Art von Süßigkeit. Was sie gesehen, das erzählte sie alsbald dem Bruder, und beide erkennen, dass ihnen Leiden bevorstehen und schöpfen nun keine Hoffnung mehr für diese Welt.

Bald darauf sollten sie verhört werden. Noch einmal kam der Vater, um die Tochter abwendig zu machen; er war vor Gram fast verzehrt. „Kind,“ rief er, „erbarme dich meiner grauen Haare, habe Mitleid mit deinem Vater, wenn ich noch wert bin, von dir Vater genannt zu werden. Habe ich dich mit diesen Händen bis zu dieser Blüte deines Lebens gebracht, habe ich dich deinen Brüdern vorgezogen, o, so mache mich nicht zur Schmach der Menschen! Schau deine Brüder an, deine Mutter, deinen Sohn, der nach dir nicht mehr leben kann. Lass den hohen Sinn fahren und bring uns nicht alle ins Unglück.“ So flehte der Vater und küsste ihr die Hand und warf sich zu ihren Füßen und nannte sie weinend nicht mehr Tochter, sondern Herrin. Wohl drang das ihr ans Herz, es schmerzte sie tief, dass ihr greiser Vater allein sich ihrer Leiden nicht freute; sie tröstete ihn und sprach: „Vater, es wird geschehen, was Gott will. Denn wisse, wir sind nicht in unserer Macht, sondern in der Hand Gottes.“ Der Vater schied von ihr in tiefem Leide.

Perpetua kam zum Verhör. Die Menge des neugierigen Volks war unermesslich, auch der Vater war wiederum da mit dem Enkel. „Erbarme dich des Kindes,“ rief er ihr zu; der Prokurator selbst mahnte: „Schone der grauen Haare deines Vaters, schone der Jugend deines Kindes, opfere dem Kaiser!“ Sie aber antwortete: „Nimmermehr!“ Und als sie der Prokurator befragte, ob sie eine Christin sei, sagte sie fest und entschieden „Ja!“ Nun wurde ihr Urteil gefällt: in den nächsten Festspielen sollte sie den wilden Tieren vorgeworfen werden. Freudig verließ sie den Richter, freudig betrat sie wieder ihr Gefängnis. Sie verlangte nach ihrem Kinde, das gewohnt war bei der Mutter zu sein, um von ihr gesäugt zu werden; aber der Vater verweigerte es. Von dieser Zeit an – Perpetua hielt es für eine liebreiche Schickung Gottes – verlangte das Kind nicht mehr nach der Mutter.

Nach wenigen Tagen kommt ihr plötzlich mitten im Gebete das Andenken ihres früher verstorbenen Bruders Dinokrates in den Sinn, sie erstaunt, dass dieses bis anjetzt noch nie der Fall gewesen und sie seufzt um ihn zum Herrn. In der Nacht in einem Gesichte sieht sie sofort diesen Bruder aus einem finsteren Ort, wo Viele beisammen waren, herausgehen, ganz erhitzt und lechzend vor Durst, mit schmutzigem Angesicht und von bleicher Farbe, mit der Wunde, die er hatte als er am Gesichtskrebse elend gestorben, allen Menschen ein Entsetzen. Zwischen ihr und ihm fand sich ein großer Zwischenraum, so dass die Geschwister nicht zu einander konnten. An dem Ort, wo Dinokrates weilte, stand ein Teich voll Wasser, der aber einen höheren Rand hatte, als dass der Knabe ihn hätte erreichen können. Dieser streckte sich aus, als ob er trinken wollte, aber er mochte nicht, weil der Rand zu hoch war; da erwacht Perpetua und erkennt, dass ihr Bruder leide; aber sie vertraut, dass ihr Gebet seinen Leiden abhelfen werde und sie betet nun Tag und Nacht für ihn mit Seufzern und Tränen. Nun hat sie wieder ein Gesichte, der Ort, den sie zuvor finster gesehen, ist ihr jetzt erleuchtet, und ihr Bruder rein am Leibe, gut gekleidet und behaglich. Wo die Wunde war, sieht sie nur noch eine Narbe, und der Rand des Teiches ist niederer, dass er nur bis zur Mitte des Knaben reicht; es stand auf ihm eine Schale mit Wasser gefüllt, der Knabe trat hinzu und fing an zu trinken, die Schale wurde nicht leerer und gesättigt ging er vom Wasser hinweg, um nach Art der Kinder fröhlich zu spielen. Da erwacht sie und erkennt, dass er aus der Strafe entlassen war.

Immer näher rückte der Todestag; noch einmal kam ihr Vater vom Kummer wie verzehrt; er raufte sich seinen Bart aus, warf sich auf den Boden, und tat also, dass es alle Kreatur bewegte. Perpetua trauerte für sein unglückliches Alter. – Soviel Gotteskraft ergriff selbst den Gefangenwärter; er ließ die Brüder und Schwestern sich gegenseitig besuchen und stärken, ja er selber wurde gläubig.

Den Tag vor dem Kampfe hatte Perpetua das dritte Gesicht. Sie sieht den Diakon Pomponius, der sie öfters besucht hatte, an der Tür des Kerkers. Er klopft heftig und sie geht heraus zu ihm und öffnet ihm; er hat ein weißes Kleid an mit Glöckchen behangen, und sagt zu ihr: „Perpetua, wir erwarten dich, komm!“ Da nimmt er sie an der Hand, und sie gehen durch raue, unebene Wege. Beim Amphitheater angekommen, führte er die Atemlose mitten auf den Kampfplatz und sagt: „fürchte dich nicht, ich bin bei dir und helfe dir streiten;“ darauf geht er von dannen, sie aber gewahrt ringsum eine ungeheure Volksmenge, und sie wundert sich, dass immer noch keine Tiere auf sie losgelassen werden. Da geht ein Ägypter, hässlich von Gestalt, gegen sie heraus, um mit seinen Gesellen gegen sie zu kämpfen; es kommen ihr aber auch edle Jünglinge zu Hilfe. Sie entkleidet sich zum Kampfe und wird wie ein Mann; die Jünglinge salben sie mit Öl, wie es der Brauch, den Ägypter aber sieht sie im Sande sich wälzen. Bald kommt ein Mann herzu von so wunderbarer Größe, dass er auch die Höhe des Amphiteaters überragte; sein Kleid ist schön; unter der Brust der Purpur zwischen zwei Gürteln, mit verschiedenen Glöckchen von Gold und Silber besetzt; er trägt einen Stab wie ein Kampf-Herold, und einen großen grünen Zweig voll goldener Äpfel. Nachdem er Stille geboten, sagt er: „dieser Ägypter, wenn er diese besiegt, wird sie mit dem Schwerte töten; wenn sie aber ihn besiegt, wird sie diesen Zweig erhalten.“ Darauf tritt er ab und der Kampf beginnt. Sie schreiten auf einander zu und der Gegner sucht ihr die Füße zu fassen, sie aber schlägt mit den Füßen sein Gesicht; sie wird in die Luft gehoben, aber sie schlägt ihn nun so, als ob sie die Erde stampfte. Sie ersieht darauf ihre Gelegenheit, schlingt, Finger in Finger, die Hände zusammen und fasst dem Gegner das Haupt, dass er aufs Angesicht fällt, und zertritt ihm den Kopf.

Das Volk beginnt zu rufen, und ihre Beschützer triumphieren; sie aber geht zum Kampfherold und empfängt den Zweig, und er küsst sie und sagt: „Tochter, der Friede sei mit dir;“ und im Triumphe geht sie nun hin zum Tore. Da erwacht sie und erkennt, dass sie nicht gegen die Tiere, sondern gegen den Teufel streiten müsse, aber sie weiß auch, dass ihr der Sieg zu Teil werde.

Dies sind die drei Gesichte, die Perpetua vor ihrem Hingang gesehen. Der Preis des Sieges und der Glorie ist dann in einem vierten Gesicht ausgelegt, das dem unterdessen gleichfalls verhafteten Saturus, ihrem Bruder, geworden. Sie hatten, so schien es ihm, ausgelitten und waren aus dem Fleische gegangen und wurden von vier Engeln, deren Hände sie nicht berührten, gen Morgen getragen; sie gingen aber nicht liegend, sondern aufgerichtet, als ob sie einen sanften Hügel hinanstiegen. Sie sahen nun das erste unermessliche Licht, und Saturus sagt zu Perpetua an seiner Seite: „das ist es, was uns der Herr verheißen; wir haben die Verheißung empfangen.“ Und wie sie weiter getragen werden von vier Engeln, öffnet sich ihnen ein weiter Raum gleich einem Lustgarten voll Rosenbäumen und allen Arten von Blumen; die Bäume sind hoch wie Zypressen, ihre Blätter aber rieseln unaufhörlich zur Erde nieder. Hier nun im Lustgarten empfangen sie vier andere Engel, herrlicher denn die ersten, und wie sie die Kommenden gewahrten, erweisen sie ihnen große Ehre und sagen den übrigen Engeln: „siehe, sie sind’s, sie sind’s.“ Abgesetzt von den vier ersten Engeln, die sie getragen, durchschreiten sie dann den Raum auf breitem Wege und finden dort die Vorangegangenen, die dieselbe Verfolgung erduldet; und sie fragen, „wo die Übrigen seien,“ und die Engel sagen: „kommt vorerst, tretet herein, und begrüßt den Herrn.“ Und sie kommen an einen Ort, dessen Wände waren als ob sie von Licht erbaut wären; und am Eingang stehen vier Engel, welche die Eintretenden mit weißen Gewändern bekleiden. Auch sie gehen bekleidet hinein, sehen ein unermessliches Licht und hören eine vereinte Stimme, die unaufhörlich heilig! heilig! heilig! rief. In Mitten des Orts aber sitzt ein alter Mann mit schneeweißem Haar, doch jugendlichem Antlitz, seine Füße sind bedeckt; vierundzwanzig Älteste stehen zu seiner Rechten und Linken und hinter ihm noch viele andere. Sie harren nun mit Verwunderung vor dem Thron; und die vier Engel heben sie auf und küssen ihn und er wirft es ihnen von seiner Hand zurück. Die übrigen Ältesten sagen: wartet! Und sie geben ihnen den Friedenskuss und sagen: geht hin und spielt! Saturus sagt darauf zu Perpetua: „Du hast nun, was du willst;“ sie aber erwidert: „Gott sei Dank! wie ich auch im Fleisch fröhlich war, so bin ich hier noch viel fröhlicher.“

Das sind die vorzüglicheren Visionen von Perpetua und Saturus, wie sie dieselben selbst beschrieben haben. Und es ging, wie sie gesehen hatten.

Es war alter Brauch, dass man denjenigen, welche den wilden Tieren vorgeworfen werden sollten, den Tag vor ihrem Tode eine Mahlzeit bereitete. Noch einmal sollten sie vollkommene Freiheit haben, sich des Lebens zu freuen und sich gütlich zu tun. Perpetua aber und ihre verurteilten Genossen – Männer und Frauen – feierten das Mahl der Liebe mit einander, und mahnten das Volk, das herzugelaufen, an das Gericht Gottes, und priesen ihre Fesseln.

Endlich war der letzte Tag gekommen; aber nicht als ob es zum Tode ginge, sondern in den Himmel, – mit solcher Ruhe und Würde zogen sie aus dem Kerker ins Amphitheater, und wenn sie zitterten, so zitterten sie nicht vor Bangigkeit, sondern vor Wonne. Angekommen an der Pforte, wollte man sie zwingen andere Kleider anzulegen: die Männer den roten Mantel der Priester des Saturn, die Frauen die weiße Binde der Priesterinnen der Ceres. Es war noch eine aus dem blutigen punischen Baalskultus erhaltene Sitte. Aber Perpetua trat dagegen auf im Namen der Übrigen. „Darum,“ sagte sie, „sind wir freiwillig hierhergekommen, damit wir unserer Freiheit nicht beraubt werden, darum geben wir unser Leben dahin, um dergleichen nicht tun zu müssen; das ist unser Vertrag mit euch.“ Der Tribun erkannte die Billigkeit der Forderung.

Perpetua lobte nun Gott, dass die Zeit gekommen, das Haupt des Ägypters zu schlagen. Drinnen im Amphiteater wandten sich die Verurteilten, die Männer, noch einmal an das versammelte Volk und bedrohten es mit dem Gerichte Gottes. Dem Hamilkar aber riefen sie fest und mutig zu: „Jetzt verurteilst uns du; dermaleinst aber wird Gott dich richten.“ Das gereizte Volk verlangte, dass sie gegeißelt würden; es geschah; sie aber frohlockten, nun auch dieses Teils der Leiden des Herrn gewürdigt worden zu sein.

Man ließ auf die Männer Leoparden, Bären und wilde Eber los. Perpetua mit ihrer Freundin Felicitas sollte von einer wilden Kuh zerrissen werden. Man hatte ihr die Kleider ausgezogen und sie in ein netzförmiges Gewand gehüllt. Aber ihre Verschämtheit machte selbst auf das Volk Eindruck und es wurden ihr wieder ihre Kleider angezogen. Beim ersten Stoß des Tieres fiel sie alsbald rücklings nieder; wie sie aber gewahrte, dass ihr Kleid zerrissen sei, suchte sie sich wieder zu verhüllen, mehr der Schamhaftigkeit als der Schmerzen eingedenk. Dann flicht sie die Haare in einen Bund zusammen, weil es nicht ziemte, dass ein Märtyrer mit fliegenden Haaren litte, damit es nicht scheine, als ob er in seiner Ehre trauere. Darauf erhob sie sich, trat zu ihrer Freundin und Leidensschwester Felicitas und reichte ihr die Hand zum Aufstehen und also blieben beide ruhig stehen. – Da sah sich selbst das rohe Volk bezwungen und man führte Perpetua mit ihrer Freundin in das Sanavivarische Tor zurück. Hier wurde sie von einem Katechumenen, Rustikus, der ihr treu anhing, in Empfang genommen und es war ihr, als ob sie so eben erst aus tiefem Schlaf erwachte. Sie wandte ihre Augen nach allen Seiten um. „Wann,“ fragte sie dann zum großen Staunen aller Anwesenden, „wann werde ich denn einmal jener wilden Kuh ausgesetzt werden?“ Und als man ihr erwiderte, es sei bereits geschehen, wollte sie es nicht glauben, als bis sie an ihrem Körper und Kleid die Spuren bemerkte. Nun ermahnte sie noch die Umstehenden: „Seid fest im Glauben, liebt einander, lasst euch durch unsere Leiden nicht einschüchtern.“

Junge Fechter gaben, so war es Brauch, denen, welche von den Tieren nur halb getötet waren, den Gnadenstoß mit dem Schwerte. Das Volk wollte sich an diesem Sterben weiden, Perpetua und ihre Leidensgefährten wurden wieder in die Mitte des Amphitheaters geführt. Sie gaben sich nun gegenseitig den Friedenskuss zum Abschied aus diesem Leben und machten sich bereit in aller Stille. Ein wenig schrie Perpetua auf, schnell aber führte sie dann selbst die zitternde Hand des Fechters an ihren Hals und lautlos empfing sie den Todesstoß.

So litt und starb Perpetua. Die Kraft des Herrn war in der Schwachen mächtig, die Rechte des Herrn behielt in ihr den Sieg. Als Felicitas im Kerker, eines Kindes genesend, über die Geburtswehen laut geschrien und der Kerkermeister ihr darüber gesagt hatte: „Wie willst du doch die größere Pein ertragen, wenn die geringere dir so nahe geht?“ erwiderte sie: „dieser Schmerz ist mein Schmerz, der andere aber der des Herrn, und der wird mir ihn tragen helfen.“ So war es; die Seele der Gemarterten floh, während der Leib blutete und brannte, in ihr innerstes Heiligtum hinüber in eine selige Stille, die von keiner Henkerfaust gestört und wo sie von keiner Qual berührt werden konnte. Im Leibe noch war die durch Christum befreite Seele gleichsam außer dem Leibe, dem Leiden der Zeit entnommen, aus dem irdischen Schmerz in die himmlische Wonne entzückt; des Todes Stachel war stumpf, mitten im Unterliegen rief der Geist in ihnen „Triumph!“

Beata Sturmin, genannt die württembergische Tabea.

Beata Sturmin, genannt die württembergische Tabea.
Aus dem reichen Leben einer christlichen Fürstin treten wir in das stille Kämmerlein einer einfältigen Magd des Herrn, deren Leben der edle Glaubenszeuge Konrad Rieger als einen lebendigen Beweis hat darstellen wollen, dass auch aus dem Schoße der evangelischen Kirche auf Grund des lautern Bibelglaubens geistliche Helden und Heldinnen hervorgehen können, wie die katholische Kirche sich deren berühmt um sie auf Grund selbsterwählter Geistlichkeit in den auserwählten Chor ihrer „Heiligen“ zu stellen. Ohne Zweifel würde Beata Sturmin, in der römischen Lehre erzogen, sich als Ordensschwester, wo nicht Ordensstifterin ausgezeichnet haben und auch unter den Trübungen dieses Standes und Bekenntnisses ein leuchtendes Vorbild dessen geworden sein, was die Gnade in einer ihr übergebenen Natur vermag. Wir freuen uns nun um so mehr, in dieser Jungfrau ein von äußerer Werkheiligkeit unverschleiertes Bild eines tiefen innern Lebens schauen zu dürfen, das selbst bis an die schmale Linie, welche sie von wirklichen Verirrungen des geistlichen Wesens und Wirkens trennt und über welche sie vielleicht mit einem Fuße hin und wieder zu treten den Anschein hat, im innersten Sinne des Wortes innere Mission zu treiben im Stande ist. Nur in dem Maße, in dem es uns gelingt durch den Geist der Heiligung am innern Menschen zuzunehmen, werden von unserem Leibe auch nach außen jene Ströme fließen können, die ins ewige Leben quellen – das bestätigt uns der Lebenslauf dieser Seligen. An demselben werden zwar nicht Alle volle Freude finden; aber es gibt angefochtene und heilsbegierige, versuchte und trostbedürftige Seelen, die für ihre freudvollen und leidvollen Erfahrungen darin viel Bestätigung, für ihren Glaubensgang und ihr Heiligungsgeschäft viel lichtvolle Winke finden und das Leben der tiefgegründeten und vielbewährten Jungfrau dankbar für den gewährten Einblick in die Werkstätte des heiligen Geistes segnen werden.

Durch das Gericht des Spottes und der schmählichsten Verhöhnung ist sie bereits in vollem Maße gegangen, namentlich in einer zu Halle 1789 erschienenen freigeistigen Spottschrift auf die württembergische Tabea. Der evangelischen Prüfung, die das Geistliche geistlich richtet, kann sie sich nie und nirgends entziehen wollen. Beata selbst hat in Demut ihre Mitwirkung zu Aufzeichnung ihres Lebens verweigert, ja mehreres Schriftliche von ihr vor ihrem Tode dem Feuer übergeben. Was sie damals sagte: es werde viel gesammelt und geschrieben von dem Leben christlicher Seelen, sie sorge aber, dass solches Manchen, die es lesen, zum Aufenthalt und Hindernis, zu selbstgemachten Einbildungen und falschen Nachahmungen ohne eigene Erfahrung und Übung gereichen dürfte – das sei auch hier an die Spitze gestellt als ernste Mahnung für die Leser und zugleich als Zeugnis der Weisheit und Demut, welche das Wesen dieser christlichen Jungfrau schmückte.

Beata Sturm wurde am 17. Dez. 1682 geboren. Ihr Vater war der um Württemberg hochverdiente fromme Doktor Joh. Heinr. Sturm, Oberjustizrat und Landschaftskonsulent; ihre Mutter war Brigitte Beate, eine Tochter des Generalsuperintendenten und Abts zu Bebenhausen Joh. Conr. Zeller. In ihrer Jugend wurde sie im Lernen bald durch Schwäche der Augen gehindert; ein Star brachte sie bis in ihr elftes Jahr fast um alle Sehkraft; kaum zuvor war ihr Vater von den Franzosen als Geisel fortgeführt worden und bald darauf starb ihre Mutter. Nach fünfmaliger ärztlicher Behandlung wurde sie vom Stare so weit befreit, dass sie unter Leitung ihres glücklich zurückgekehrten Vaters das Lesen vollkommen, das Schreiben zur Notdurft sich aneignen konnte. Der Gebrauch von Gesundbrunnen besserte immer wieder ihre von Zeit zu Zeit aufs neue abnehmenden Augen. Von 1709 an, nach dem Tode ihres Vaters führte sie mit ihrem jüngeren Bruder bis 1711 die Haushaltung fort, dann ging sie zu dem Prälaten Esenwein in Blaubeuren, ihres Vaters Herzensfreund, in die Kost bis 1713, worauf sie bei ihrem älteren Bruder, der Advokat und Sekretär der Landschaft war, in Stuttgart bis zu ihrem Tode blieb. In diesen wenigen Zügen ist ihr ganzer äußerer Lebensgang beschlossen. Je einfacher ihr äußeres war, desto reicher wurde ihr inneres Leben.

In ihrem eigenhändigen ganz kurzen Lebensabrisse sagt sie, wie ihr Taufnahme Beata (die Selige) ihr stets eine rechte Aufmunterung zum heiligen Wandel gewesen sei. Sie habe, obwohl von trefflichen Eltern geboren und erzogen, doch von Natur gar ein trotzig und verzagt Herz gehabt, aber erst nach Entziehung der Gnade Gottes habe sie dasselbe erkennen gelernt. Ihr Vater war ein durchaus bibelfester Mann, der sich sein hebräisches altes und griechisches neues Testament nach der Versezahl zu einer täglichen Bibellesung von 73 Versen abgeteilt hatte. Diese Ordnung nahm auch sie an, so dass sie die Bibel jährlich ganz und in ihrem Leben etlich und dreißigmal auslas, trotz ihrem blöden Gesichte. Dadurch wurde sie denn auch so mit derselben bekannt, dass sie nur den Anfang zu sehen brauchte und dann auswendig fortfahren konnte. Außer der Bibel las sie kaum ein Buch, aber welcher Schatz des manchfaltigsten Wissens und der tiefsten und breitesten Erkenntnis ruht in diesem „Lagerbuche der Welt“, welche umfassende Bildung gewährt die anhaltende Beschäftigung damit und wie herrlich ist eine solche gründliche Bibelkenntnis, von der selbst ein Goethe, der „Meister der heutigen Bildung“ das schöne Wort zum Lobe der vorzüglichen Würde der Bibelfestigkeit zu sagen wusste: „Wer mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht hat, dass er als lebendiges Register von allen Sprüchen wo und in welchem Zusammenhang sie sich finden, Rechenschaft zu geben sich geübt hat, die Hauptstellen aber auswendig weiß und solche zu irgend einer Anwendung immerfort bereit hält, dem muss eine große Bildung daraus erwachsen, weil das Gedächtnis immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt dem Gefühl, dem Urteil reinen Stoff zu Genuss und Behandlung aufbewahrt.“

Ihre Eltern ließen ihre Kinder keine Sprüche noch Psalmen auswendig lernen, sie brachten ihnen dieselben durch den Gebrauch bei, überhaupt ermahnten sie nicht durch Worte, sondern durchs Beispiel. Nicht einmal gebetet hat ihr gottseliger Vater mit und vor seinen Kindern, sondern nur in seinem Kämmerlein, was Beata mit Recht nicht billigt, dagegen habe ihre Mutter fleißig auf den Knien gebetet, was einen unauslöschlichen Eindruck auf Kinder und Gesinde gemacht habe und von einer Magd noch nach vielen Jahren dankbar erkannt worden sei. Zur Kennzeichnung ihres Vaters gehört, wie er sich hat freiwillig von den Franzosen als Geisel abführen, dann nach vierjähriger harter Gefangenschaft heimgekehrt, ein Bad zurichten lassen mit den Worten: nun wolle er alle böse Reden und erlittene Schmähungen abwaschen. Als er später eine Zeitlang um seinen Dienst gekommen, habe er kein Wörtlein Klage geführt und fröhlich vor und nach Lesung der Bibel sein Lied „Jesu deine tiefe Wunden“ fortgesungen. Eine fröhliche Erinnerung für die Tochter war es immer, wie ihr Vater auf Grund täglicher Buße und Erneuerung im Geiste so eine große Gewissheit der Seligkeit gehabt.

So blieb denn auch sie wie wenige Seelen in ihrer Taufgnade fest durch die Kraft des Geistes Jesu Christi, den sie täglich anrief und dem sie sich wiederholt schriftlich angelobte. „Vergess ich Dein, o Jesu, so werde meiner Rechten vergessen. Meine Zunge müsse an meinem Gaumen kleben, wo ich nicht Dein gedenke, wo ich nicht lasse Jesum meine einzige Lust und Freude sein. Amen. Beata Sturmin“ so schließt ein Gelübde von ihr. Dennoch sah sie in ihrem späteren Alter ihre Jugend an als fast ganz fruchtlos zugebracht. Sie hatte auch zu kämpfen mit den Unarten des jugendlichen Herzens, sonderlich mit einer natürlichen Neigung zum Spötteln, auch mit mancher Lust zu Pracht und Eitelkeit der Welt in Kleidern und andern Ehrendingen äußeren Standes. Als sie es merkte, suchte sie dieser Neigung zu entsagen, aber auch da fand sie, dass sie es nicht sowohl aus Liebe zu Gott als vielmehr aus Eigenliebe, um das sie verklagende Gewissen zu stillen tue, erst später vermochte sie die noch anklebende Lust vollends hinwegzuschaffen und sich selbst zu verleugnen.

Als sie schon im zehnten Jahre das Gesicht verloren und nach Tilgung des Stars noch einen Sauerbrunnen brauchen sollte, musste sie sich alle Gewalt dazu antun, denn sie dachte, sie könnte mit so weit wiederhergestelltem Gesichte schon zufrieden sein. Da sei ihr das Wort 1 Kor. 7,21 eingefallen: „Kannst du frei werden, so gebrauche das so viel lieber,“ und sie habe gefunden, es sei Gott nicht zuwider, ein noch besseres Gesicht zu suchen, wenn sie es nur nicht nach ihrem, sondern nach Gottes Willen geschehen lassen wolle. So habe sie denn drei Wochen den Brunnen gebraucht unbekümmert um den scheinbar fehlenden Erfolg, dann aber nach endlich eingetretener Besserung herzlich gedankt, dass sie wieder ein Blümlein sehen konnte, ja auch dafür, dass sie blind gewesen und nun um so mehr die Herrlichkeit der Schöpfung bewundern könne, an welcher sie sonst vielleicht wie Tausende mit sehenden Augen blind vorübergegangen wäre.

Von ihrer Kindheit auf hatte sie eine gar widrige Person um sich gehabt, von der sie viel und unbillig hart angelassen, ja angeschwärzt wurde. Doch hat sie nie bei ihrem Vater darüber geklagt, sondern weil jene Person demselben diente, was sie bei ihrer Blindheit nicht konnte, hat sie aus Liebe zu ihrem Vater, dieses Leiden still getragen. Nach ihres Vaters Tod kam die Person in ein fremdes Haus und sie waren geschieden. Beata aber hatte keine Ruhe in ihrem Gewissen, dass sie jenes Alles nicht mit mehr Liebe und Sanftmut auf sich genommen habe und bat die Person um Verzeihung deswegen. Diese, welche das Wort des Apostels nicht kannte: „seufzt nicht wider einander und seid niemand nichts schuldig, denn dass ihr euch unter einander liebt,“ lachte über die heilige Einfalt solcher Abbitte, da ja sie selbst sich als die Beleidigende wusste. Aber ihr Herz wurde dennoch dadurch untergraben und zur Liebe gelenkt, dass sie fortan der Jungfrau mit aller Freundlichkeit begegnete. Als nun nach Jahren die Person in eine ekelvolle Krankheit verfiel, dass Niemand um sie bleiben mochte, so besuchte Beata sie fleißig, arbeitete treulich an ihrer Seele und gewann dermaßen die Kranke, dass sie freiwillig ihre Wohltäterin um Verzeihung der früheren Beleidigungen bat, und nun war Beata die Selige, dass sie durch jene sich selbst verleugnende Abbitte einen solchen Zugang zu diesem verschlossenen Herzen erlangte. Sie fuhr nun um so eifriger fort in brünstiger Fürbitte für die Arme, die ihr zwanzig Jahre lang so viel Leid getan, dass der Herr Barmherzigkeit an ihr erzeigen wolle und nach seinem Worte ihr vergebe, wie sie ihr längst vergeben habe.

Von Kindheit auf ans Wort gewöhnt lernte sie übrigens erst in den Predigten des Diakonus Unkauf das Wort verstehen, das man, wie ein erleuchteter Christ sich ausdrückte, „hundertmal lesen und erklärt haben kann, bis erst spät, und wenn man ins Gedränge kommt, das ganze Licht aufgeht, das in einem Spruche ist und die schwierigsten Fragen so hell und klar macht, dass man sich nur wundern und fragen muss: warum hast du das nicht früher gemerkt?“ Ohne zu wissen, was in diesen Predigten sie besonders ergreife, spürte sie dabei etwas ganz anderes als bisher, sie sei, sagte sie, gleichsam umzingelt und gefangen worden und sei gewesen, als ob sie mit Allem ganz allein gemeint wäre. Aus dieser Erfahrung heraus tröstete sie auch oft Eltern und Prediger: sie sollten nur getrost zum Herrn ermahnen, scheine es lange vergeblich zu sein, so wachen doch endlich die gehörten Wahrheiten auf, zumal unter Leiden. So fei ihr namentlich das Wort eines Predigers über die Pflicht der Waisen, sich als zu solchen Leiden berufen zu achten wie ein Blitz eingeschossen, als ihr Vater gestorben, nachdem sie lange die Predigt als eine für sie vergebliche gehalten und vergessen hatte, weil ihr Vater noch lebte.

Der Tod ihres Vaters lehrte sie die Wahrheit des Wortes erfahren, dass das Weizenkorn ersterben müsse, damit es viel Frucht schaffe. Wie nach Abrahams Tod Gott seinen Sohn Isaak segnete, so fühlte sie nach ihres Vaters Tod neu angehenden Gottes-Segen. Sie zog ins stille evangelische Kloster Blaubeuren zu ihrem väterlichen Freunde Esenwein unter lauter Beten, und um so eifrigerem, je mehr der rohe Kutscher, der sie führte, auf seine Mähren hineinfluchte. In Blaubeuren warteten ihrer die stärksten innerlichen Kämpfe. Schon früher fand sie sich in ihrer Schwermut von entsetzlichen Gedanken an Selbstmord gequält, so dass sie bisweilen nicht wagen durfte, nahe an ein Fenster zu gehen. Damals und in ihrer zweijährigen Einsamkeit daheim nach ihres Vaters Tode waren solche Versuchungen noch mäßig, denn wie ihr Lebensbeschreiber mit Geistesblicken in die Tiefen der Schrift und des Satans, von denen der Apostel Paulus spricht, bemerkt, solche Versuchungen in der Wüste und Einsamkeit sind nur für einen Jesus, der Gottes Sohn ist; erst nachdem Beata unter Aufsicht und Führung des gottseligen Mannes in Blaubeuren gekommen war, wurden die stärkeren Anfechtungen zugelassen.

Vor Allem war der geübten Beterin oft das Beten so schwer, dass sie Gott keinen Vater mehr nennen konnte, bis sie aus Psalm 68,6 „Gott ist ein Vater der Waisen“ wieder Licht und durch eine einfache fromme Magd, die selber Waise war und dafür dankte, dass sie sich gewiss aller der Waisen geschehenen Verheißungen getrösten dürfe, Trost bekam. Ein anderes Mal erachtete sie sich unfähig zur Beichte im vollen Gefühle ihrer Unwürdigkeit, bis ihr das Wort in den Spr. Salomos 9,4.5 „kommt ihr Alberne und esst von meinem Bissen,“ und in dem Worte Joh. 6,37 „wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“ wieder Freudigkeit gab. In unsägliche Angst kam sie dadurch, dass einst, während sie den Klosterschülern heimlich zugehört hatte Chor halten, der versucherische Gedanke in ihr aufstieg, sie solle sich jetzt erstechen, da es niemand sehe, sie lasse ja doch nicht nach zu sündigen und es sei besser ihrem Leben ein Ende zu machen, als so fort Sünden zu häufen. In dieser fürchterlichen Finsternis blitzte ihr das Wort ins Gemüt, „du sollst nicht töten,“ da lief sie mit Zittern in ihr Kämmerlein, flehte zum Herrn, er wolle ihr tun, was er nach Jer. 18,4 könne und stand wieder guten Mutes auf. Doch erfuhr sie, dass „wenn man einen Kampf ausficht, das macht’s noch nicht.“ Ihre ärgste Anfechtung war später, dass sie selbst an Gottes Wort zweifelte und den ganzen Grund ihres Glaubens umgerissen sah. Da lebte das Wort aus Psalm 119,38, das lange in ihr geschlafen, frisch auf: „Lass Deinen Knecht dein Gebot fest für Dein Wort halten, dass ich Dich fürchte“ und der Feind wurde abgeschlagen, ihr Herz mit Freude erfüllt.

Je fester ein Christ im Worte wird und in der Gnade, desto weiter wird sein Herz, desto enger sein Gewissen. Einst wollte Beata ihrer Gevatterin ein Huhn in das Wochenbett verehren und weil sie meinte sparen zu müssen, dem armen Verkäufer an der kleinen Forderung abbrechen. Kaum war derselbe nicht ohne sich darüber zu beschweren fort, so fiel’s ihr heiß aufs Gewissen, dass sie den armen Mann so hart gehalten. Sie ließ ihn aufsuchen, konnte ihn aber nicht mehr finden, und je mehr sie sich nun bekümmerte, desto mehr bewog sie es, den Armen ein Mehreres zu geben. Das ist ein Punkt, den auch eine der bewährtesten Armenfreundinnen unserer Tage, Amalie Sieveking ihren Schwestern mit gutem Grunde vorhielt, da von Bemittelten so oft unrechterweise Sparsamkeit geübt wird an armen Verkäufern und Arbeitern, denen der abgebrochene Kreuzer gerade so wehe tut, als so mancher flugs für Putz und Vergnügen ausgegebene Taler schwer in die Waage des ewigen Richters fällt. Spare am rechten Orte, und du kannst ein Übriges geben den Dürftigen!

In den Nöten ihres Gewissens war Beata trefflich beraten von dem würdigen Prälaten, dessen erbauliches Leben sie täglich mitansehen durfte. Der tat täglich Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung auf den Knien für alle Menschen und für die Obrigkeit, versäumte keinen Sonntags-Gottesdienst und heiligte die übrige Zeit des Sonntags mit Beten, Singen, Lesen und erbaulichem Gespräche; um dem Feiertage sein Recht nicht zu verkürzen, machte er zur Regel, dass nur selten am Sonntag gekocht und am Samstag so viel vorgesehen wurde, damit für den Sonntag gesorgt war. Endlich las er nach dem Morgen- und Abendsegen aus der Schrift vor und erläuterte das Gelesene kurz, durch welches wiederholte Lesen die Schrift auch seinen Hausgenossen, namentlich seiner Frau so bekannt wurde, dass wenn etwa eine Magd im Lesen bei einem unbekannten Worte oder Namen angestanden, sie derselben an der Kunkel1]Spinnrocken, Spindel sitzend alsbald auswendig forthelfen konnte.

Nachdem dieser Mann Stiftsprediger und Konsistorialrat in Stuttgart geworden war, kehrte sie mit ihm in ihre Vaterstadt zurück und leuchtete dort, obschon „als eine geistliche Biene ihr vornehmstes Geschäft im Verborgenen treibend,“ als ein heller Stern durch ihren ungefärbten Glauben, ihre lebendige Hoffnung, ihre brünstige Liebe gegen Gott und alle Menschen, ihr Anhalten am Gebet und am Worte Gottes, durch ihre seltene Klugheit und Erfahrung, ihren lieblichen Umgang, ihr christliches Leiden und seliges Sterben.

Neben der Schrift, in der sie allein Jesum suchte und fand, (Matth. 17,8.) dienten zur Förderung ihres Glaubens wesentlich Luthers Schriften, an denen sie sich nicht satt lesen konnte und die sie allen andern Büchern vorzog, weil ihr Niemand außer ihrem Luther Christum so köstlich zu predigen und groß zu machen verstand. Selber auf diesen Eckstein erbaut, wusste sie müde Seelen auch auf ihn hinzuweisen; sie konnte ein Wort von Sünde und Gnade mitreden, weil sie, wie sie sich gerne ausdrückte, selber auch hinter dem Ofen gesessen. Hunderten wies die Vielerfahrene den rechten Weg zum Frieden. Aus ihrer Erfahrung heraus gab sie solchen, die um Heiligung bekümmert waren, aber vor lauter Vorsatz nicht zur Erfüllung kamen, unter anderem folgenden Fingerzeig: Sie habe sich ehedessen viel Unruhe gemacht mit so viel angeloben, wenn sie in einer Predigt recht warm geworden sei, da habe sie sich weiß nicht was zu ihrem Christentum vorgenommen. Ehe sie sichs aber versehen, so sei wieder ein Fehler vorgekommen und habe sie beunruhigt, dass sie immer von neuem anfangen musste. Nun habe sie sich nicht mehr mit so viel geloben gebunden, sei ihr ein Fehler offenbar geworden, so habe sie den kurzen Weg genommen, sei zu Christo gelaufen und habe ihm den ganzen Handel heraus gesagt, wobei sie in der Tat weiter gekommen sei und sich besser befunden habe. Auf solche Weise habe sie auch erfahren: Wer fromm leben wolle, müsse vorher selig sein, d. h. durch Glauben die von Christo erworbene Seligkeit angenommen haben; weil sie denn das Annehmen, nicht das Angeloben bewährt fand, war sie froh, dass Gott ihr einen ganz kindlichen Geist gegeben habe; „so ihr nicht werdet wie die Kinder,“ … das heiße wie die kleinen Kinder, die größeren Kinder nämlich sind immer scheuer und ängstiger etwas zu begehren und anzunehmen, weil sie schon mehr Überlegung machen. Von ihrem „lieben Luther“ namentlich hatte sie gelernt, nur auf Gottes Wort hin anzunehmen. ohne auf eigene Geschicklichkeit, Würdigkeit oder Unwürdigkeit zu sehen oder auch an Empfindungen der göttlichen Gnade sich zu binden.

Beata ist zur innern Mission eben darin ein hohes Vorbild, dass sie nicht bloß durch ihr Beispiel zeigt, sondern aus ihrer Erfahrung heraus mit so klarem einfältigem Worte Winke zu geben versteht, wie ein Herz sich vorher selbst gründen und vollbereiten müsse, ehe es aus der Fülle ihres Glaubens Andern darreichen kann brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe. Bei ihr selbst ist der Quell göttlicher Liebe, die in sie ausgegossen war, immer völliger geworden in dem Maße als ihr Glaube kindlicher und stärker wurde. Je mehr sie dann selbst von ihrem freundlichen Herrn sich erfreut fühlte, desto mehr tat sie Fleiß, dass Niemand betrübt von ihr gehe; sie hatte es erfahren, wie weh es dem Herzen tut, dem um Trost bange ist, ohne Tröstung wieder heimgehen zu müssen.

Das volle Genüge, das sie in ihrem Innern hatte, seit der Geist der Freuden sie erquickte, die innere Seelenwaide war fast im eigentlichen Sinne ihr tägliches Brot. Sie war wohl zu hart gegen sich in Entbehrung von Genüssen und leiblicher Nahrung, aber was konnten ihre Freunde ihr entgegenhalten, wenn sie antwortete, sie erfahre was der Psalm 94,3 sage: Mein Leib und Seel freuen sich in dem lebendigen Gott; bei ihrem kränklichen Leibe sei es ihr durch und durch wohl, wenn sie bete, in der Bibel lese oder eine Predigt höre; selbst die Winterkälte der Kirche fürchte sie nicht, das von der Freude und Lust im heiligen Geist entzündete Herz ergieße seine belebende Wärme in alle Adern. Ganz gewiss, der Mensch lebt nicht vom Brote allein, sondern von Jeglichem, das aus dem Munde Gottes geht; die Seele erhält den Leib; das Wort „Erquickung,“ „Nahrung,“ „Sättigung“ im Geistlichen ist nicht ein bloßes Wort, und das fast Nahrungslose Leben eines Niklaus von der Flüe war kein unnatürliches Wunder.

Kraft dieser Einfachheit und Bedürfnislosigkeit war Beata auch fähig, eine unerschöpfliche Quelle des Wohltuns für Andere mit geringen Mitteln zu werden, dass ihr Lebensbeschreiber mit Umsetzung der Buchstaben ihres Namens Beata sie nach jener edlen Jüngerin in der Apostelgeschichte die württembergische Tabea nennen konnte. Sie war dieses Namens würdig nicht bloß durch das, was sie tat, sondern namentlich wie sie es tat. Trotz ihrer blöden Augen leuchtete aus ihr ein Licht freundlich und lieblich, wie wir unter unsern Zeitgenossen es zumal am seligen, auch fast blinden Neander als eine wahre Verklärung bewundern durften. Sie hatte in ihrem Äußern nichts Unangenehmes, geschweige Widriges, Ungebärdiges, Mürrisches und Sauertöpfisches, sie hatte die Geistesfrucht der Freundlichkeit und Fröhlichkeit in hohem Grade. Wer sie ansah, der musste mit Johann Arnd um einen „gleichen Strahl der Gottesliebe“ bitten. Von ihrer zarten Liebe gegen ihre Geschwister und Angehörigen, von ihrer treuen Dienstfertigkeit und Unermüdlichkeit in gesunden und kranken Tagen leiblich und geistlich soll nicht weitläufig gesprochen werden. Neben ihren Verwandten genossen ihre Liebe besonders die, welche der Liebe am bedürftigsten waren, die Verborgenen, die sich sauer Nährenden, die Verschuldeten, die Angefochtenen, die Witwen und Waisen, die Armen überhaupt, ferner die Kranken, die in Spitälern, Lazaretten und andern Löchern und Kammern Liegenden, zu welchen sonst nicht leicht Jemand einzukehren pflegt. Mit diesen machte sie sich bekannt, für sie sorgte sie nach eigenem Vermögen und durch Fürsprache bei andern, sie besuchte, tröstete sie, brachte ihnen Essen und Trinken und was ihre Hand fand; ihnen suchte sie mit leiblicher Erquickung die geistlichen Güter nahe zu bringen, so dass sie eine allgemeine Zuflucht der Betrübten und Verlassenen wurde und wie jene apostolische „Rehe“ bei ihrem Tode aufs schmerzlichste beweint wurde.

Ihr väterliches Erbteil an Kleidern, Schmuck usw. hatte sie sogleich zu Geld gemacht, und an die Armen gewandt. Nur für die äußerste Notdurft behielt sie übrig. Sie selbst kleidete sich unter ihrem Stande, um desto besser Nackte kleiden zu können. Als sie einst einem armen Weibe Essen gebracht hatte und dasselbe von ungefähr äußerte, wenn sie jetzt nur Jemand wüsste, der ihr ein altes Kleidlein zukommen ließe, in dem sie etwa auch nach einem Stückchen Brot sich umtun könnte, so tat Beata sofort ihren Rock ab und ging in ihrem langen Schlafrocke heim um buchstäblich das Wort zu erfüllen, Luk. 3, 11: Wer zwei Röcke hat, gebe dem, der keinen hat. Es war ihr sonst ein Gläschen Wein bei Tisch verordnet, sie meinte hernach: dass sie an einem halben genug habe und den anderen Teil zur Labung von Kranken anwenden könne.

Als ihr einmal so viele Bedürftige bekannt wurden, dass sie mit ihrem Einkommen nicht ausreichte, aber doch gerne geholfen hätte, so ruhte sie nicht, bis ihr erlaubt ward, einige hundert Gulden ihres eben nicht überflüssigen Vermögens aufzukündigen, und als sie nun mit vollen Händen austeilen konnte, war sie glückselig. Wollten Arme Geld von ihr leihen, so schenkte sie ihnen lieber etwas, denn sie wusste, dass Schuldner in der Regel ihr Herz gegen Gläubiger verschließen. Freilich konnte sie dann einige Mal den vom Arzte ihr angeratenen Sauerbrunnen nicht brauchen, da sie sich zu sehr vergeben hatte; – es kann und soll das keine Regel für Andere oder gar Alle sein, aber wer will ihr gram werden ob solcher allzu großen Selbstverleugnung, wenn sie nachher zu merken glaubte, ihre Augen wären dennoch den Winter über so gestärkt worden, als wenn sie am Brunnen gewesen wäre! Wie klug wusste sie dann, wo ihre Kräfte nicht ausreichten, Andere in die Mitarbeit der tätigen Liebe zu ziehen und ihre Leute am rechten Orte zu fassen. In einem Freundeskreise erwähnte sie einmal der großen Not mancher ihr bekannter Armen und der Versuchung , in welche dieselben durch das Elend kämen, weil sie keine Mittel habe, ihnen zu helfen, möchte sie lieber sterben, um aus ihrer Verlassenschaft ihnen eine erkleckliche Hilfe zukommen lassen zu können, denn wenn sie durch ihr Sterben den Unglücklichen nützen könnte, wie gerne wollte sie ihr Leben hingeben. Das tat bei einem reichen Anwesenden glücklichste Wirkung. In einer wirklich gefährlichen Krankheit dagegen wünschte und bat sie noch länger leben zu dürfen, bis sie die fünfzig Gulden heimgezahlt hätte, welche sie unbekannterweise bei Jemand für die Armen aufgenommen hatte. Weil sie, der’s eine Lust war, das Wort des Herrn zu erfahren: geben ist seliger denn nehmen, zu ihrem größten Leide so mancher Notdurft nicht abhelfen konnte, bat sie wie Moses (4 Buch Mos. 11,12) „ich kann’s nicht Alles tragen, schaffe mir vermögliche und willige Herzen, die mir tragen helfen.“ Und während sie für Andere sorgte, war sie fast allzu bedenklich, selber jemand für sich beschwerlich zu fallen. Freute sie sich, wenn sie mit ihren dunkeln Augen jemand eine Türe oder Haus zeigen, einer Magd eine Last aufheben, für sie die Kinder hüten, ja auch das Holz gelegentlich in die Küche tragen konnte, so hielt sie sich um so weniger dafür da, sich dienen zu lassen. Ängstlich bemühte sie sich ihren beschäftigten Freunden nicht mit Besuchen überlästig zu werden. Litt sie Mangel, so nahm sie durchaus kein Geschenk an. Wurde ihr besseres Essen geschickt, so brachte sie es den Armen und Kranken. Um nicht besser zu leben als so viel Tausende ihrer armen Mitmenschen, entzog sie sich dem bessern Tisch ihres Bruders und kochte sich ganz einfach. Einmal kam sie selber so in die Not, dass sie zwei Tage keinen Bissen zu essen hatte und erfuhr, „dass es etwas Entsetzliches um das Hungerleiden sei.“ Wir werden auch dieses Übermaß der Entsagung nicht als Muster aufstellen, aber das anmerken dürfen, dass die Wohlhabenden ganz anders mit den Armen umgehen würden, wenn auch sie einmal im sauren Schweiße ihr Brot verdienen und mit Tränen essen oder erfahren müssten, was Hunger ist!

K. Rieger, ihr Lebensbeschreiber sagt übrigens ausdrücklich von unserer Beata, dass ihre Liebe und Mildigkeit anfangs größer gewesen sei als ihre Klugheit und Vorsicht. Sie maß nach ihrem zarten Gewissen alle anderen Menschen und musste erst lernen wie viel Bosheit unter der Armut stecke. Glücklicherweise waren die Ihrigen vorsichtiger, sie hätte sich um Alles bringen lassen von den sie oft missbrauchenden Armen, unter denen ihr nur eine einzige Frau vorgekommen ist, welche wirklich nur so lange Almosen annahm, als sie nicht arbeiten konnte. Durch die Erfahrung lernte sie die hohe Pflicht der Weisheit in der Liebe, und nach dem Vorbilde der klugen Jungfrauen zu handeln: „nicht also, auf dass nicht uns und euch gebreche“, da man durch unzeitige und unbedachtsame Liebe den andern sogar schädlich sein, also sich an ihnen versündigen könne. Da tat sie herzlich Abbitte für die frühere unweise Verwaltung ja Verschwendung der Güter Gottes über die sie zur Haushalterin gesetzt war und die ihr nun zum Gutestun fehlten; sie betete fleißig um Weisheit in Austeilung und Gebrauch des Möglichen und Nötigen: „Du hast mir’s gegeben, Du wirst auch Rechenschaft von mir fordern. Darum führe mich auch hierin nach Deinem Wohlgefallen auf ebener Bahn, dass ich nicht zu viel und nicht zu wenig tue. Verleihe aber auch, dass dieser mein guter Wille ein gutes Herz bei den Armen finde und sie zum Vertrauen auf Dich, zum Gebet und zur Frömmigkeit hinweise.“ (Röm. 15,30.31.) Bei viel traurigen Erfahrungen hatte sie auch manche liebliche Erfahrung zu machen. Als ihr z. B. einst Geld unter die Hände kam, überreichte sie einem guten Freunde fünfundzwanzig Gulden davon, solche an einen frommen Prediger auf dem Lande ohne ihren Namen zu übermachen. Dem Prediger war gerade ein Kind gestorben, von dem sie nichts wusste; er hatte nicht, wovon es anständig beerdigt werden konnte, ging mit seiner Frau ins Kämmerlein, trug Gott seine Not vor und bat um Hilfe. Da klopfte noch während ihres Betens der Bote an das Haus und überbrachte das Geld, wodurch sie unaussprechlich erfreut und im Vertrauen auf die gnädige Vorsehung Gottes herrlich gestärkt worden sind. Beata aber, als sie nachher den Zusammenhang erfuhr, war voll fröhlichen Lobes ihres Gottes, der also die Gabe zu rechter Zeit an den rechten Ort hat kommen lassen.

Schon aus diesem ergibt sich, dass Beata eine so selige Geberin sein konnte, weil sie eine fröhliche Beterin war. In der Tat bestand, wie sich K. Rieger ausdrückt, ihr ganzes Leben in dem geistlichen Atemholen des Gebetes und in nützlichen Verrichtungen. Sie hat entweder gebetet oder ein gutes Werk getan. Ja sie hat nichts getan, als gebetet, denn in Allem war ihr Herz auf Gott gerichtet und in seinem Umgange. Bisweilen brachte sie halbe Nächte, ja eine ganze Nacht in anhaltendem Gebete zu. Eine Zeitlang war sie sich darin zu hart mit Frühaufstehen, sie ließ sich aber christliche Einsprache gefallen, um ihrem Leibe nicht zu schaden. Wollte sie in der Bibel lesen, in eine öffentliche Betstunde oder gemeinsame Erbauungsstunde gehen, wurde sie um Rat gefragt, so betete sie vorher und nachher. Hörte sie in ihrem Hause in die Ratsversammlung läuten, so beugte sie ihre Knie für die zu Rat gehenden Landstände mit Fürbitten und Flehen für sie und das ganze Vaterland. Trat sie in ein Haus ein, so sprach sie still: „Friede sei mit diesem Hause“ nach dem Befehle Christi. Luk. 10,5.

Obwohl sie vorzüglich aus dem Herzen zu beten pflegte, so hielt sie doch auch viel auf feststehende Gebetsformeln, namentlich beim Hausgottesdienste um der Kinder und des Gesindes willen. Vollkommen schätzte sie in seinem unbeschreiblichen Werte das Gebet des Herrn, das auf alle Zeiten und Zustände, besonders wenn der Quell des eigenen Gebetes nicht fließen wolle, passe. Wenn gute Freunde, sagte sie, von einander scheiden müssen, so kommen sie doch bald wieder im Vaterunser zusammen, denn das reiche über die kleine und große Gemeinschaft, ja in das Reich der Seligen im Himmel hinüber. Beim Tische sprach sie einfach das kern- und herzvolle „Aller Augen usw.“ Doktor Luthers. Die ihr nahestehenden Seelen brachte sie mit Namen in alle ihre Gebete. Dagegen hielt sie nicht viel von gemeinschaftlichen Gebetsübungen zwischen bestimmten Personen an gewissen Orten und bestimmten Stunden, weil dadurch bei den verschiedenen Seelenzuständen der Einzelnen leicht mehr verderbt als gebessert – gewiss auch geistliche Eitelkeit genährt – werde. Freunde sollen für einander im Kämmerlein oder im öffentlichen Gottesdienste beten.

Wie für alle Menschen so betete sie insbesondere täglich für das Vaterland, gewiss die herrlichste politische Tätigkeit einer christlichen Frau oder Jungfrau. Indem sie so Fürst und Volk auf dem Herzen trug, gewann sie zugleich eine seltene Einsicht in die öffentlichen Zustände. Die zunehmende Armut, die Fehler in allen Ständen, der hereinbrechende Abfall von der evangelischen Wahrheit lag ihr tief an und angelegentlich klagte und fragte sie darum bei ihrem Gott…. Es ist hier nicht der Ort, von den vielen Gebetserhörungen zu sprechen, deren sich Beata zum Lobe Gottes erfreute. Es genüge zu sagen, dass sie aus Erfahrung wusste, was Amen heißt. Nicht jedermanns Ding freilich ist solches Glauben, Beten, Ringen und Singen, wie Israel es tat, wie ein Luther es durfte, als er für Melanchthon bat: Du musst Philippum retten! Aber alle will der Geist der Gnade und des Gebetes lehren anzuhalten im Gebet, trotz Furcht und Widerstand und ob auch mit verdrossener Mühe begonnen wird, doch in fröhlicher Stimmung zu enden.

Dazu gehört nun freilich vor allem die feste Gründung in der Schrift und das treue Schöpfen aus diesem Heilsbrunnen. Unterstützt durch treffliche Naturgaben brachte Beata es durch unermüdlichen Fleiß und unersättliche Begierde, tägliche Übung und göttliche Erleuchtung zu einer seltenen Erkenntnis in geistlichen Dingen, zu einem gründlichen Zusammenklang der Heilslehren; durch treue Wiederholung des Gehörten und Gelernten, sowohl nach jeder Predigt als namentlich am Ende jeder Woche verstand sie fortwährend aus dem Ganzen ins Ganze zu wachsen. Da sie alle Jahre ihre Bibel zu Ende brachte, ward sie eine lebendige Vorratskammer und selbst eine aus der Tiefe schöpfende Auslegerin der Schrift, dass mancher erfahrene Prediger des Wortes mit Lust ihr zu Füßen saß und bekannte, nicht leicht Besseres über das gottselige Geheimnis hören zu können, als Beata mit einfältigen Worten zu geben pflegte. Ihr Lebensbeschreiber bringt solche Gedankenblitze und aus der Tiefe geholte Perlen der Erkenntnis und Auslegung aus ihrem Munde zum Beleg für die Fülle von Geist, die aus ihrem Herzen über die Lippen strömte. Ganz besonders zeigt sich die Gründlichkeit und Allseitigkeit ihrer Bibelkenntnis in der genauen Bekanntschaft mit dem alten Testamente, ohne welches in der Tat niemand im neuen Testamente recht zu Hause sein kann.

Beata, die so sehr in der Schrift zu forschen verstand und von der Gelehrte gern lernten, war damit weit entfernt von selbsterwählter Geistlichkeit, von vornehmer Absonderung, von Hinwegsetzung über die kirchliche Ordnung und den Gebrauch der kirchlichen Gnadenmittel. Sie war die fleißigste Kirchengängerin und versäumte ohne die größte Not auch nicht einen Wochengottesdienst. Das heilige Abendmahl genoss sie je nachdem sie hungerte oder dürstete, bisweilen alle drei Wochen. In demütiger Liebe hing sie ihren Geistlichen an und erklärte, es könne keine Predigt sein, woraus sie sich nicht erbaute und wenn’s nur der Kanzelgruß wäre, so halte sie ihn für eine hohe Gabe für sie elende und unwürdige Magd. Mit aller Gewalt widerstand sie den Verleitungen zur Aussonderung aus der gewöhnlichen kirchlichen Gemeinschaft, was gewiss sehr von ihrem gesunden Sinne und ihrer lautern Demut zeugt. Eben ihre Bibelkenntnis gab ihr geschärfte Sinne, nüchternes Urteil und klaren Einblick ins Herz und Leben. Damit war sie zu Beratung irrender und trauernder Gewissen, zu Tröstung der Verzagten, zu Befestigung der Zweifelnden, zu Aufbauung der Niedergeschlagenen, zu Ermunterung der Zurückbleibenden, zu Ernüchterung der Übergeistlichen und zum Schwärmen Geneigten trefflich geeignet. Einst erwiderte eine vom Lande gekommene Freundin auf ihre Frage: wie lange sie in der Stadt bleiben werde: „Sie wisse nicht, wie es ihr der Herr noch zeigen werde;“ da sagte Beata: „Ei, meinst du denn, Gott werde dir ein besonderes Wort geben, wann du wieder wegreisen sollst? Er hat dir Sinne und Vernunft gegeben, mit diesen kannst du messen und rechnen, was du hier zu tun hast und wie viel Zeit du bedürfest. Warum auf ein besonderes Zeichen warten? Es liegt ein geistliches Stölzlein darunter, da man dafür angesehen sein will, als stünde man so gar unter besonderer Leitung Gottes.“

In Demut und Liebe übte Beata vielen Hunderten zu gewiss ewigem Danke das geistliche Priestertum, das uns als ein unveräußerliches Erbstück der evangelischen Kirche Luther wieder gegeben hat, indem er jedem Christen Beruf und Sendung zuspricht, Angefochtene zu trösten und Vergebung der Sünden zuzusprechen. „Gott gibt einem jeglichen den Mund voll, dass er sprechen kann zu dem andern: Dir sollen deine Sünden vergeben sein. Darum soll sich ein jeder Christ gewöhnen, wenn ihn der Teufel anficht, dass er sich nicht lang mit ihm beiße und allein bleibe, sondern lasse zu sich fordern seinen Seelsorger oder sonst einen guten Freund, begehre Rat und Trost von ihm und gründe sich darauf: dass Jesus spricht, Welchen ihr die Sünde erlasst, denen sind sie erlassen.“ In solcher Seelenführung hatte Beata einen seltenen Takt, eine meisterhafte Klugheit und Weisheit; die Beispiele oder Aussprüche, die ihr Lebensbeschreiber von ihr anführt, geben selbst dem geübten Seelsorger die trefflichsten Winke. Wie wandte sie nur einst den Spruch Matth. 18,11. „Ich bin gekommen zu suchen und selig zu machen was verloren ist,“ bei einer ängstlichen in hartem Kampfe arbeitenden Seele an! „Setzt euch nur selbst herab wie Ihr wollt und glaubt das Ärgste von euerm Zustande,“ sprach sie, „Ihr könnt Euch nicht ärger machen, als dass Ihr Euch für verloren haltet.“ Als nun die angefochtene Person dieses bejahend noch ärger seufzte: das sei aber ihr Jammer, dass sie verdammt und verloren sei, antwortete Beata: „Eben da Ihr am weitesten draußen seid und Euch für verloren anseht und die Hoffnung sinken lassen wollt, so bedenkt doch, dass gerade hie wo Ihr aufhören wollt, das Amt Jesu Christi anfange, der gekommen ist zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Wo Alles für verloren aufgegeben wird, da fängt Er an zu suchen. Seine Hirtentreue ist auch gar nicht ermüdet, bis an Euch die Reihe kommt, dass Ihr vielmehr das Erste seid, woran er sie beweist.“ Und dieser Zuspruch geriet wohl, setzt Rieger hinzu, der von ihr bezeugt: sie habe Viele zur Seligkeit gewiesen.

Sie kam in die manichfaltigste Berührung mit Menschen, armen und reichen, gläubigen und noch nicht gläubigen. Ausdrücklich bekannte sie, es sei nicht gut, allein zu sein. Man werde dadurch selbstgefällig, selbstzufrieden, unlittig, lieblos, eigensinnig, und wolle Alles nach sich regeln und richten. Man müsse sich, wenn man fromm sein wolle, nicht in den Winkel einschließen, denn wenn man je daraus hervorkomme, so sei man wie ein verwöhnt Kind mit nichts zufrieden, ärgere und plage sich und Andere. Als nun ein Prediger ihr aber das Zerstreutwerden im Umgange mit zeitlichen und weltlichen Menschen klagte, antwortete Beata, die im Innern gesammelt, keine Zerstreuung zu fürchten hatte und weil sie der innern Heimat gewiss war, auch draußen daheim war, sie wisse nicht, was dieses Zerstreutwerden doch heißen solle. Sie habe sich jederzeit Alles zu Nutzen gemacht, was ihr vorgekommen und mitten im Getümmel, des Marktes habe sie innerlich gesammelt. Wenn sie nur mit ihren Augen recht unter den Menschen fortkommen könnte, sie habe sich oft gewünscht, lieber eine Magd im unruhigsten Wirtshause zu sein, als in der Einsamkeit für sich zu leben. Sie habe die besten Gedanken über den verachtetsten Arbeiten und wäre es auch, dass sie für eine kranke Magd selber die Schuhe reinige; sie spüre dass der Höchste etwas besonderes in das tätige Leben gelegt habe, und wenn man einmal Barmherzigkeit von Gott empfangen habe, soll man im Umgange ein Werkzeug der Gnade auch an Andern werden. Was Gott zusammengefügt, solle der Mensch nicht trennen.

Hiernach hat dieses lebendige Gefäß der Barmherzigkeit, statt sich klösterlich abzuschließen, viele tausende Gänge der Liebe getan oft ungesucht, nie ungebetet, oft aus Gehorsam, nie ungesegnet, oft ohne Dank und nie ohne Frucht – für sie oder die Andern. Da sie täglich dem Herrn ihre Wege befohlen, war sie ruhig, es mochte ihr begegnen was ihr wollte. Wer sie aber nur einmal näher kannte, der hörte ihr zu und wartete auf ihren Rat wie auf erquickenden Abendregen. (Hiob 29,21.) Auch in ihren Briefen, deren etliche in ihrer Lebensbeschreibung abgedruckt sind, zeigt sie sich als unerschöpfliche Quelle des Trostes, der Ermunterung und Freude, sie konnte nicht anders als ihre Lindigkeit allen Menschen, denen sie nahe kam, kund werden lassen, nachdem ihre Freude im Herrn war allerwege.

Bei solcher Freudigkeit nimmt es uns nicht Wunder, von ihr zu hören, sie sei schon über vierzig Jahre alt gewesen, als sie einst eine Predigt vom Ärgernis des Kreuzes hörte und da sie kein Kreuz zu haben glaubte, habe sie die Predigt sich eben etwa auf künftiges eigenes oder fremdes Bedürfnis aufbewahren wollen. Die Blödigkeit ihrer Augen erkannte sie nämlich nur als eine Wohltat Gottes mit fröhlichem Danke. Das wenige ihr übrig gebliebene Augenlicht, wenn sie damit zur Not etwas auflesen, oder jemand ein Haus zeigen konnte, half ihr zu dem Kindessinn, den auch das Geringste erfreut, und so dankte sie Gott für das Wenige viel mehr als sie gewiss für volles Augenlicht getan hätte. Auch zur Übung der Sanftmut erhielt sie manche Gelegenheit, wenn sie unversehens einem rohen Menschen in den Weg lief und seinen Fluch und Schimpf mit liebender Abbitte und Fürbitte zu sühnen fand. Ihr Kreuz war allein die ihr noch anklebende Sünde, diese brachte sie in die Gemeinschaft des Leidens Christi. Der in diesem Leben fortgehende Wechsel des Lichtes und der Finsternis im Innern war ihr eigentliches Leiden, bis sie gelernt hatte: „Am guten Tag hab‘ guten Mut, den bösen nehme auch für gut,“ und es zu machen wusste, wie jenes Weib, das sie einst sagen hörte: „Wenn ich gleich bisweilen ein Paar Tage lang kein Brot im Haus habe, so trage ich darum den lieben Gott nicht gleich aus bei andern Leuten.“ Ihr größtes Leiden aber waren jene geistlichen Anfechtungen, wenn Satan der alte Verkläger sich gegen sie legte im Gewissen, wenn der Lügner vom Anfang mit Zweifeln an dem Grunde ihres Glaubens und Hoffens sie bestürmte, wenn der unsaubere Geist vom Abgrunde lästerliche und hässliche Gedanken in den Stunden der Weihe in ihr aufsteigen ließ, wie jeder Christ solche Augenblicke als seine traurigsten und demütigendsten erfährt. Aber da gewann sie ihre Freudigkeit im Anschauen des versuchten, verlästerten und mit Speichel bedeckten Erlösers oder auch in der Erfahrung, wie zanksüchtige Personen durch das Widersprechen nur desto mehr aufgebracht werden, weswegen sie sich übte, bei solchem innern Aufruhr nur still an ihren erbarmenden Hirten sich zu halten und „die Hunde bellen zu lassen,“ endlich auch besonders in genauer Untersuchung ob diese Anklagen im Innern richtig oder mit Unrecht seien, (Joh. 18,23.) wo sie denn im letzteren Falle dieselben verachtete, in erstem Falle in Demut ihre Schuld erkannte, abbat und „es hernach gut sein ließ.“ Die Anfechtung selbst war ihr dann immer wieder ein Dank, denn sie lehrte sie immer tiefer aufs Wort merken.

Beata hatte ihre Sterbekleider längst gerüstet und ihr Haus bestellt, ihren Brüdern und den fünf Armenhäusern ihrer Vaterstadt je die Hälfte ihres Vermögens vermacht und ihre Lampe mit Öl gefüllt. Ihrer Seligkeit im Geiste versichert, hatte sie zu ihrem Leichentext das Wort erwählt: „Der Herr aber wird mich erlösen von allem Übel und mir aushelfen zu seinem himmlischen Reich. Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ (2 Tim. 4,18). Ob auch ihr äußerer Mensch durch Beten und Wachen, geringe Nahrung und zu große Strenge verweste, so ward doch ihr innerer von Tag zu Tag erneuert; immer evangelischer, herzlicher, zuversichtlicher, freundlicher, stärker im Geiste werdend, erhielt sie auch für ihren schwachen Leib die Kraft, dass er sich in dem Dienste der Liebe opfern konnte, gleich der Kerze, welche anderen leuchtend sich selbst verzehrt. Noch war sie in ihren letzten Wochen eine doppelte Krankenwärterin, und besuchte am vierten Januar 1730 gewohnterweise die Kirche; in der Nacht vor dem Erscheinungsfeste empfand sie einen Frost, dass sie zu Bette bleiben musste; der Friesel trat zurück, am elften ward ihr die Zunge gelähmt und an demselben Tage gab sie nach wenigen Zuckungen unter Gebet und Zuspruch ihres Beichtvaters Nachmittags um drei Uhr ihre Seele in die Hand ihres Heilandes, nachdem sie siebenundvierzig Jahre und drei Wochen demselben gelebt und gelitten. Wenige wussten, dass sie nur krank sei; denen, die sie im Bette trafen, antwortete sie: „Des Herrn Wille geschehe, das ist mein Ruhekissen.“ Ihrem aus Regensburg herbeigeholten Bruder klagte sie wohl die Bangigkeit ihres Herzens, aber „was meine Seele betrifft, da hat’s keine Not. In meinem Gemüte ficht mich nichts mehr an.“ Nur in der letzten Nacht nahm Gott sie nochmals ernstlich in sein prüfendes Gericht; sie kämpfte bis die Morgenröte anbrach, hat aber auch wie Israel den Segen davongetragen durch Jesum Christ. Ein Segensgruß an alle mit ihr in demselben Verbundenen war ihr letztes Wort, ehe die gelähmte Zunge es völlig dem Geiste überlassen musste, sie zu vertreten mit unaussprechlichen Seufzern. Drei Tage vor ihrem Ende hatte sie sich zum Letztenmal ihr Lieblingslied, das Karfreitagslied „Reißt ihr Felsen, Erde bebe! usw.“ vorsingen lassen, dessen letzter Vers so lieblich in ihr letztes Stündlein klingt:

„Still ihr Felsen! Erde stille!
Wecket meine Liebe nicht,
Sonne, dich so lang verhülle
Bis sie Höll‘ und Grab durchbricht.
Ich will auch die Seufzer zwingen
Unter ihr so sanftes Joch:
Doch nach dreien Tagen singen:
Meine Liebe lebet noch.“

Louise, Gemahlin des großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.

Louise wurde zu Grafenhaag in Holland am 27. November 1627 geboren, und war eine Tochter Friedrich Heinrichs, des trefflichen Fürsten von Oranien, Erbstatthalters der vereinigten Niederlande, und dessen Gemahlin Anna von Solms-Braunfels. Friedrich Heinrich war ein großer Staats- und Kriegsmann, und als Enkel des Admirale Coligny, des in der Pariser Bluthochzeit ermordeten, ein eifriger Reformirter. Eben so gottesfürchtig war seine sehr verständige Gemahlin, mit der er ein schönes Familienleben führte und eine tüchtige Kinderzucht übte. Die Mutter hielt es nicht unter ihrer Würde, ihre Töchter, denen sie jede sonstige Ausbildung angedeihen ließ, bei der Wirtschaft anzustellen, und weibliche Handarbeiten gewöhnlicher Art ihnen zur Pflicht zu machen. So flossen die Jugendjahre Louisens meist in stiller Zurückgezogenheit dahin.

Der Zauber dieser häuslichen Tugenden verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf den Sohn des Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, zu machen, der nach einem Knabenalter voll Unruhe und Unstetigkeit vor dem offenen Sarge seines Oheims, des bei Lützen gefallenen und bis zum Frühjahr 1633 in der Gruft zu Wolgast beigesetzten großen Schwedenkönigs Gustav Adolf, schnell zum Jüngling gereift, im Frühling 1634 in dem damals allen Ländern voranleuchtenden Holland seine Ausbildung erhalten sollte, und bei der Familie des Erbstatthalters im Haag, so wie im Belagerungsheere desselben vor Breda einen Bergungsort gegen die Sünden und Verführungen der Jugend gefunden hatte.

Friedrich Wilhelm, unter den Stürmen des dreißigjährigen Krieges ans Mannesalter und (1640) zum Thron gekommen, zog während der westfälischen Friedensverhandlungen von Königsberg nach Cleve, und von hier aus warb er um Louise, die er vor zehn Jahren als Mädchen am Grafenhaager Hofe gesehen hatte. Der Krieg hatte sein Land und seine Kassen so erschöpft, dass er erst nach einiger Zeit Hochzeit machen konnte, wozu seine Mutter ihm ihr Spargeld die für jene Zeit bedeutende Summe von dreitausend Talern auf ein Jahr leihen musste.

Die neunzehnjährige Braut prangte in der Fülle der Schönheit, sie hatte ein lilienweißes Antlitz und blonde Haare, ein großes, herzgewinnendes Auge, zierliches Ebenmaß der Glieder, und eine Haltung voll Anmut und Würde. Am 7. Dezember 1646, um fünf Uhr Abends war die Trauung. Friedrich Wilhelm erschien in eng anliegendem, seine kräftige Gestalt hervorhebendem Gewande aus weißem Atlas mit silbernen Spitzen, die Knöpfe mit Edelsteinen bedeckt; Louise war in Silberstoff über und über mit silbernen Spitzen gekleidet, sechs Gräfinnen trugen die acht Ellen lange Schleppe, und auf dem Kopfe strahlte eine mit Perlen und Diamanten reich verzierte Krone. Sie brachte ihrem Gemahle ein sehr ansehnliches Heiratsgut, die Aussicht auf Ererbung der oranischen Länder, das reformirte Bekenntnis, in dem er selbst erzogen war, eine tiefe Frömmigkeit, eine treffliche Übung in der Tonkunst und die herrliche Gabe der geistlichen Dichtung, einen ausnehmenden Verstand und einen so gehorsamen und häuslichen Sinn mit, dass er sich und seinem völlig zerrütteten Lande keine trefflichere Hausfrau und Landesmutter hätte heimholen können.

Ihr kranker Vater musste sich im Armsessel in die Traukapelle tragen lassen. Die Krankheit des Erbstatthalters war abzehrender Natur, Louise bat, noch einige Zeit nach der Hochzeit bei ihrem Vater bleiben zu dürfen. Friedrich Wilhelm konnte eine solche Bitte nicht abschlagen, und so sehen wir sie denn, statt die Vergnügungen der Flitterwochen zu genießen, am Krankenbette weilen und mit ausharrender Geduld des hinsiechenden Vaters warten, der endlich am 14. März 1647 sanft in ihren Armen verschied. Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser. Friedrich Wilhelm, obwohl in seiner Jugend mit Predigthören viel zerplagt, und mit Psalmenlernen als seiner gewöhnlichen Strafe belegt, hatte in den unaufhörlichen Anfechtungen seines jungen Lebens schon genug aufs Wort zu merken gelernt, um seine Gattin erst dann ihren Vater verlassen zu heißen, nachdem sie ihm die segnend erloschenen Augen zugedrückt.

Nun wurde zum Aufbruch nach Cleve gerüstet, aber der Kurfürst befand sich wieder in größter Geldnot, seiner Schwiegermutter sie zu entdecken war er zu stolz, so verzögerte sich der für ihre trauernde Familie, so wie für das herzlich ihr anhängende Volk tränenschwere Abschied bis zum Juni desselben Jahres.

Im Jahre 1648 gebar Louise ihren ersten Sohn, den sie nach ihrem Manne und ihrem Vater Wilhelm Heinrich nannte. In diesem durch den westfälischen Frieden beglückten Jahre hatte sie ihre schönsten Tage. In Cleve wurde sie fleißig von den Ihrigen aus dem nur zwanzig Meilen entfernten Haag besucht, das Kind gedieh, der Gatte war ihr treu ergeben, und sie wusste zu rechter Zeit das Dreifache zu üben, was eine Frau ihrem Manne wert macht: nämlich stille schweigen, wo ihr Rat nicht begehrt wurde und die Ansichten ihres Gemahls von den ihrigen abwichen; urteilen und sprechen, wo es ihrem Gemahl eine Freude war, in ihr eine vernünftige Frau zu schätzen, deren natürlicher Verstand oft weiter reichte als seiner wohlstudierten Staatsmänner; beruhigen endlich und erheitern, wo fehlgeschlagene Hoffnungen oder sonstige Widrigkeiten den Gatten missmutig und bitter machen wollten. In dieser Wonnezeit ihres Lebens griff sie denn auch freudig in die Harfe, und in einer solchen glücklichen Stunde hat sie das liebliche Lied gedichtet:

„Gott, der Reichtum Deiner Güte,
Dem ich alles schuldig halt,
Ursach, dass mir mein Gemüte
Gegen Dir für Freuden wallt.
Meinen Wohlstand, meine Zier,
Dank ich, Vater, einig Dir,
Du hast reichlich Leib und Leben,
Ehr‘ und Guttat mir gegeben.“ usw.

Nach dem Friedensschlusse wollte der Kurfürst wieder in sein Stammland, die Mark Brandenburg ziehen. Im Frühherbste 1649 machte sich Louise auf die Reise, aber schon in Wesel erkrankte ihr Kind, und am 24. Oktober verschied es. Nun war sie wie eine zwiefach entwurzelte Pflanze, und in ihr zerrissenes Herz vermochte nur der tiefe, lautere Glaube ans Wort einiges Licht und einigen Trost zu gießen. Sie musste nach Bestattung des fast zweijährigen Prinzen in der schlimmsten Jahreszeit mitten durch verheerte Gegenden und auf ungebahnten Wegen die Reise in die Altmark fortsetzen. Zu Tangermünde konnte sie einige stille Wintermonate zubringen. Da war es auch, dass ihr Mund überquoll von dem, dessen ihr Herz voll war. Ohne Zweifel fällt in diese trübe Zeit die Entstehung ihres Liedes, das seither alle Kirchengesangbücher ziert: „Jesus meine Zuversicht.“ Noch im Winter musste sie ihren Gemahl, der nicht ohne sie leben konnte, weiter auf seinen Huldigungsreisen begleiten, obgleich diese Anstrengung ihrem zarten Körper nicht zuträglich war. Überdies war nirgends längere Erholung möglich, denn die märkischen Städte, vom Krieg verödet oder verarmt, vermochten die ihnen obliegenden Kosten der Hofhaltung nicht lange zu ertragen. Berlin selbst, wo der Hof bleiben sollte, war so elend, dass der Kurfürst zu Instandsetzung seiner Wohnung einen Baumeister aus Holland kommen lassen musste, denn seit dreißig Jahren hatte man sich in Berlin, um die Last der Einquartierung zu mindern, förmlich auf unscheinbares Bauen verlegt. Eine große Vorstadt war erst wegen der Schweden, die noch in der Nähe lagen, ohne Not abgebrannt worden, die ganze Stadt fasste kaum ein paar tausend Einwohner hinter ihren Wällen. Am 10. April 1650 zog der Kurfürst mit seiner schönen Gemahlin, begleitet von Ritterschaft und Volk, von Spandau aus in sein Haus zu Köln an der Spree, durch keinen Tiergarten und keine „Linden“, sondern unmittelbar aus dem sumpfigen oder sandigen Walde, dessen West- und Südseite jetzt „der Werder“ genannt ein Erlensumpf war, ging es ins Schlösschen.

Die ungeheuren Forsten, die der dreißigjährige Krieg gepflegt hatte, mit ihren Scharen von Wild, lockten den Kurfürsten zur Jagd. Louise fand daran kein Vergnügen, aber sie begleitete ihn willig, wartete geduldig bis zur späten Heimkehr des Gatten, empfing ihn mit freundlichem Blick und Wort, und bewirtete ihn mit trefflicher, gerne selbst bereiteter Speise. Das Jagdschlösschen bei Bözow, dem heutigen Oranienburg, ward ihr selber um deswillen ein Lieblingsort, weil die anmutig von der Havel durchflossene Gegend ihr so heimisch und freundlich aussah, wie die Plätze ihrer Jugendspiele. Das Städtchen, vor dem großen Kriege ein wohlhabender Gewerbsort, war fast ausgestorben und die Felder lagen öde. Das verarmte Landvolk zu ermuntern legte sie neben dem Schlösschen einen großen schönen Nutzgarten an, und vom Kurfürsten mit der Landschaft umher beschenkt, begann sie zum Wohle ihrer lieben Untertanen zu walten, deren Herzen sie durch ihre Leutseligkeit gewonnen hatte. Sie verschrieb aus Holland Gärtner, Landwirte, Bauern, um Musterwirtschaften anzulegen, wobei sie keine Mühen und Kosten sparte. Ihr großes Vermögen sollte ihren Untertanen zu gut kommen. Dabei schmerzte sie es tief, wie die verwilderte Jugend sich in der Gegend umhertrieb und ohne allen Unterricht, Gottesdienst und Erziehung aufwuchs. Dem suchte sie zu steuern, geistlich wie leiblich erbarmte sie sich des armen Volkes, und bald war es mit ihrem Namen, wie einst mit dem einer Mathilde, Adelheide und Elisabeth: länger als ein Jahrhundert wurde er als Lieblingsname Tausenden beigelegt, und fast in allen Häusern auch der geringen Bürger musste ihr Bildnis hängen.

Der 6. November brachte für Louise, die sich durch den damaligen Mangel aller Posten selbst nicht durch Briefe mit den Ihrigen in Verbindung setzen konnte, und manche Stunde einsam trauerte, große Freude und großes Leid zugleich. Für die Marken brachte erst das zweiunddreißigste Jahr nach Ausbruch des Krieges den Frieden mit dem endlichen Abzug der Schweden. Ein fröhliches Friedensfest wurde gefeiert, Louise, die nie beim Gottesdienste fehlte, war die erste im festlichen Zuge und die erste am Altar. So ernst ihre Frömmigkeit war, so fröhlich war sie nachher mit dem fröhlichen Volke und mischte sich traulich in seine Reihen, ja in seine Tänze. Kaum war die Feier verklungen, so brachten die alsbald wieder hergestellten Posten die Nachricht von ihres einzigen Bruders Tod, des Erbstatthalters, der im fünfundzwanzigsten Jahre hinwegstarb. Groß war ihr Schmerz, größer ihre stille Gottergebung. Sie fand in diesem trüben Winter ihren Trost und ihr Genüge in geistlichen Betrachtungen, in täglichem Forschen in der Schrift, im Singen und Spielen geistlicher lieblicher Lieder; teils waren es eigene, mit denen sie die Trauergeister weichen hieß, wie in dem Verse:

„Nun aber ihr Tyrannen
Und Feind hebt euch von dannen
Und macht euch bald von statt,
Denn Gott der Herr sanftmütig
Mein sehnlich flehen gütig
Numals erhöret hat.
Was ich von ihm begehrt
Das hat er mir gewähret,
Ja mehr dann ich ihm bat!“

Teils waren es die Lieder, die damals allenthalben vom Baume der in höchster Blüte stehenden evangelischen Liederkunst des vom Kriege verwüsteten deutschen Vaterlandes fielen.

Neben der Dichtkunst liebte und übte Louise die Tonkunst, namentlich die heilige; trotz ihrer häuslichen Tätigkeit fand sie Zeit, derselben täglich eine Stunde zu widmen. In der Kirche musste ihre Kapelle den Gesang des reformirten Gottesdienstes begleiten. Es war damals die Zeit wie der großen Liederdichtung, so der großen kirchlichen Musikmeisterschaft und Tonsetzung. In der ersten Reihe jener Choraltonsetzer stand Johann Crüger, welcher auch die Melodie zu „Jesus meine Zuversicht“ gesetzt, und unter ihren Augen 1657 ein Gesangbuch, in dem sich ihre eigenen Lieder befanden, herausgegeben hat.

Louise, streng kirchlich erzogen, blieb strenge bei der gewohnten Erfüllung ihrer heiligen Pflichten. Am Sonntage mussten alle Werkgeschäfte und alle Sorgen ruhen. Sie bereitete sich zum Gottesdienst mit Gebet vor, und versäumte denselben unter keinem Vorwande. Nur eigentliche Krankheit, die sie ans Bett fesselte, konnte sie abhalten, wo dann aber während der Zeit des öffentlichen Gottesdienstes in ihrem Zimmer gebetet und gesungen wurde. Ihr Anzug für die Kirche war ohne allen Prunk; nie sah sie vor dem Gottesdienste in einen Spiegel. Nachmittags wurde der Inhalt der Predigt wiederholt, und von ihr auf sich und die Ihrigen angewendet. Die heilige Schrift las sie ohnehin täglich, so dass sie in ihr lebte und webte.

Mit unendlicher Gewissenhaftigkeit überwachte und prüfte sie sich selbst. Wenn sie sich im mindesten verleiten ließ, etwas zu versäumen, auch nur einige Minuten im Guteswirken zu verlieren, oder einer nicht gottgefälligen Empfindung nachzuhängen, so strafte sie sich unerbittlich. In einer der vielen Unterredungen mit ihrem geistlichen Führer, dem Hofprediger Stosch, sagte sie zu ihm: „Ich wiederhole, dass Ihr alle meine Sünden und Fehler mir vorhaltet, auch wenn nur ein Schein hiervon da wäre. Vergesst nicht, dass Ihr Seelsorger seid; ich beschwöre Euch bei Gott, Eurem und meinem künftigen Richter.“ Ein unsterbliches Zeugnis ihres bußfertigen Lebens ist ihr Lied:

Ich will von meiner Missetat
Zum HErren mich bekehren. usw.

Dem Kurfürsten, der zwar selber religiös war, schien es doch, als ob sich seine Frau zu ernst in geistliche Erbauung und Betrachtung versenke, er forderte sie zu einer Reise an den Rhein und nach Holland auf, um sie zu zerstreuen. So ungerne sie durch eine damals so weite Reise das eben erst angefangene Werk an Land und Leuten in der traurigen Mark aussetzte, so zog es sie doch zu ihren Lieben und an die Grabstätte ihres Kindes, auch hoffte sie bei Cleve und in Holland noch Vieles zu erlernen, zu erfragen und zu erfahren, was zur Aufhilfe ihrer Märker dienen konnte. Die gesammelten Winke und Ratschläge sollten dann die Grundlage der Entwürfe und Verfügungen sein, die der Kurfürst durch die tüchtigsten Männer ausführen lassen wollte. Auch neue Ansiedler zu Anlage von Musterwirtschaften gedachte sie zu gewinnen.

Die Reise ging im Frühjahr 1651 vor sich, aber äußerst langsam, da der Kurfürst in seinen neuen Landen zu Halberstadt, Minden, Westfalen sich gründlich umsehen wollte. Mittlerweile ging ihr ein Freudenstern auf mit der Nachricht von der Verlobung ihrer Schwester mit dem Statthalter von Ostfriesland, welche ihre Hochzeit auf dem kurfürstlichen Schlosse zu Cleve feiern zu dürfen baten. Der Kurfürst beeilte sich, ihr diese hohe Freude zu bereiten. Es war ein wehmütig liebliches Wiedersehen, als die verwitwete Schwägerin und die verlobte Schwester, die verwitwete Mutter und die kinderlos gewordene Louise sich zärtlich umarmten, Leid und Freud gegen einander ausschütteten, und in herzlichster Liebe den Vermählungstag feierten; Louise zumal entfaltete alle Kunst, welche die Natur und die Gnade ihr verliehen, mit feinem Gefühle jede Störung ferne zu halten und überall die allgemeine Freude zu erhöhen.

Mit den neuen Ansiedlern, welche nun die Kurfürstin für die Mark anwarb, wurden hier die ersten Kartoffeln gepflanzt, nachdem sie Francis Drake schon vor 71 Jahren nach England gebracht hatte.

Louise gebrauchte den Sommer über die Bäder von Aachen und Spa, und blieb den Winter in Cleve und Westfalen, wo der Kurfürst seine große Wirksamkeit unbehinderter äußern konnte, als in der ausgesaugten Mark und in dem von den Landständen regierten Preußen. Seine Gemahlin war ihm immer treu zur Seite und widmete sich ihm als seine traute Gehilfin, ihre übrige Zeit gehörte ihren geistigen Arbeiten und der Andacht, namentlich aber den Armen.

Am 2. Mai 1652 feierte sie die Hochzeit ihrer zweiten Schwester mit dem Prinzen von Nassau, wieder in Cleve. Mitten in ihrem Glücke unter ihren Lieben vergaß sie der Notleidenden, zumal der unglücklichen Bewohner der Mark Brandenburg nicht. In Folge einer Kirchenvisitation hatte sich ergeben, dass durch den dreißigjährigen Krieg eine Menge Gemeinden ohne Gottesdienst und Schule waren, dass hie und da nur ungelehrte Leute die geistlichen Geschäfte verrichteten, und für ihre Weise dann großen Anhang zu erwerben wussten, da die Drangsale der Kriegszeit die Herzen für Gutes und Schlimmes gleich sehr empfänglich gemacht hatten. Eine ungeheure Rohheit hatte sich zugleich im Volke verbreitet, entsetzlicher Aberglaube, der Glaube an Zauberer und Hexen hatte sich selbst der Geistlichen und Gelehrten bemächtigt, und zwischen den Lutherischen und Reformirten herrschte die bitterste Streitsucht, in welche selbst der gottselige Paul Gerhard so verwickelt wurde, dass der reformirte Kurfürst ihn aus Berlin verwies.

Alles das erfüllte das Herz der Kurfürstin, die so gerne allenthalben zu Frieden und Segen geholfen hätte, mit Trauern, bestärkte sie aber auch in dem Vorsatz, alle ihre Kräfte dem armen Land und Volk zu weihen.

Nach Berlin zurückgekehrt fand sie das nahe Oranienburg immerhin in besserem Zustande, als vor zwei Jahren; in Verbindung mit dem trefflichen Otto von Schwerin, der selbst auch evangelischer Liederdichter war, ging sie von neuem ans Werk. In der Nachbarschaft lag der Ort Zehlendorf ganz verwüstet und verlassen da. Sie hatte es angekauft und schon von Cleve aus holländische und friesländische Bauern angeworben, die unter vorteilhaften Bedingungen sich hier ansiedeln und die holländische Wirtschaft einführen sollten. Es behagte ihnen nicht, und so ließ Louise andere Reformirte aus Westfalen kommen, ehemalige Einwohner kehrten auch zurück, andere Landeskinder wurden von Louise herbeigezogen, ein Geistlicher angestellt, und die Gemeinde mühsam wieder in Stand gebracht.

Der Kurfürst schenkte seiner Frau ein Stück Land vor dem Spandauer Tor, alsbald richtete sie dort eine musterhafte Gartenanlage mit Viehwirtschaft ein, und nannte den Ort Louisenhof. Unter ihrer Aufsicht und Mitwirkung ließ sie hier Anweisung zur Garten- und Wiesenbenützung, Butter- und Käsebereitung durch Holländer erteilen, und Personen jedes Standes daran Teil nehmen: manche Gutsbesitzer ahmten ihre Musterwirtschaften nach, und Louise war die Mutter eines sichern, obschon langsamen und schweren Erfolgs zum leiblichen Wohle des Volkes.

Wichtiger war ihr das geistige Wohl desselben. Der Krieg hatte, wie gesagt, alles verwildert, die feindlichen Schwärme hatten Kirchen, Pfarrhäuser, Schulhäuser, evangelische Erbauungs- und Gesangbücher, namentlich auch mit Lust die Bibeln verbrannt. Selten war das Beispiel jenes Berliner Bürgers, der mehrere Jahre lang es seinem Munde abdarbte, um sich von fünf ersparten Talern eine neue Bibel anzuschaffen. Louise hatte schon seit Jahren schöne geistliche Lieder gesammelt und gedichtet; nun wollte sie dem Volke namentlich ein gutes Gesangbuch in die Hand geben, und veranlasste den Dichter Christof Runge zur Herausgabe eines evangelischen Kirchengesangbuches, das dann auch 1653, der hohen Frau gewidmet, unter dem Titel erschien: „Dr. Martin Luthers und Anderer geistliche Lieder und Psalme auf sonderbarem Ihro kurfürstlich Durchlaucht, der Kurfürstin Louise von Brandenburg Befehl zusammengetragen und gedruckt.“

Bei all dieser heilsamen und unermüdlichen Tätigkeit hatte Louise viel mit Gram und Schwermut zu kämpfen, denn sie blieb, wie es schien, kinderlos, und konnte wohl hören die vorwurfsvoll klingende Stimme des Volkes:

„Vom Kurhaus
Geht Stamm und Wurzel aus,
Und wer ist schuld?“

Was sie aller Welt und auch ihrem, der Erheiterung bedürfenden Gemahl verbarg, schüttete sie um so unverhohlener vor ihrem Gott aus. In diese Zeit fällt ihr schönes Lied:

„Ein ander stelle sein Vertrauen
Auf die Gewalt und Herrlichkeit,
Und auf Hochmut zu jeder Zeit;
Ich will auf Gott den Höchsten bauen,
Der unter seiner Macht die Welt.
Samt aller Reiche Krone hält.“ usw.

Also mitten in tiefster Beugung ihres Trostes sicher konnte sie den Entschluss fassen, ihrem Gemahl – den gerade damals die Verweigerung des Soldes zu einem ersten stehenden Heere von 4000 Mann von Seiten der kurmärkischen Stände tief verdross – und seinem Lande, das auch durch eine Pest im Herzogtum Preußen schwer heimgesucht war, das große Opfer einer Ehescheidung anzutragen. Sie bereitete sich zu diesem Schritte durch Gebet und Flehen um ein gefasstes Herz und ungeheuchelten Ernst vor, und erschien dann vor dem Kurfürsten mit den Worten: „Ich trage auf Scheidung unserer Ehe an; nimm Dir eine andere Gattin, die Dein Land mit einem Thronerben erfreut, das bist Du Deinen Völkern schuldig.“ Die feierliche Ansprache brachte den großen Kurfürsten fast außer Fassung. Nach kurzem Bedenken antwortete er, dessen Lebenssprüchlein war: HErr tue mir kund den Weg, darauf ich wandeln soll: „Was Gott der Herr zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Und als sie noch etwas einwenden wollte, sprach er entschieden: „Was mich betrifft, so werde ich meinen Eid Dir halten, und so es ihm dabei gefiele, mich und das Land zu strafen, so müssen wir’s uns gefallen lassen.“ Darauf reichte er ihr die Hand, blickte sie freundlich an und fügte scherzhaft hinzu: „Nun, was nicht ist, das kann ja noch werden.“

Nun entfiel auch ihr das Herz, und die Tränen, die sie bisher im Verborgenen geweint, strömten schmerzlösend jetzt über ihre Wangen. Sie fühlte sich erleichtert und durch die vielen Aufmerksamkeiten und Vergnügungen, die ihr treuer Gemahl ihr zu bereiten suchte, merklich erquickt. Zerstreuungen übrigens gaben ihr kein Genüge, sie sehnte sich nach ihrem ländlichen Oranienburg, und begab sich auch bald dahin, um in tiefer Einsamkeit ihr Herz vor Gott auszubreiten. Sie dankte ihm herzlich für alles ihr erzeigte Gute, so insbesondere für die erprobte Liebe und Treue, und unterwand sich, um einen Thronerben zu bitten, wenn es des Herrn Wille wäre. Zudem tat sie das Gelübde, dass sie in Oranienburg etwas ungemeines stiften wolle, im Falle der barmherzige Gott ihr Elend ansehe und sie zur fröhlichen Kindermutter mache.

Und der Herr tat, wie er dort der frommen Hanna getan. Ihre sorgliche Mutter eilte herbei und nahm die Tochter in besondere Obhut und Pflege. Der große geistliche Dichter Simon Dach zu Königsberg sandte sein herkömmliches Glückwunschgedicht auf des Kurfürsten Geburtstag den 16. Febr. 1655 mit der bestimmten Weissagung eines Thronerben und Trostes seiner Völker ein, und noch ehe dasselbe gelesen ist, bringt die Schwiegermutter am Geburtstagsmorgen dem Kurfürsten seinen neugebornen Sohn zum Gruß. Es war ein Dienstag – die beglückte Gattin und Mutter gelobte zum Dank für die erwiesene Gnade jeden Dienstag dem Herrn zu weihen durch Fasten, Beten, Betrachtung, Beichte, Predigt und Erbauung; sie hielt dasselbe lebenslang; Nachmittags pflegte sie an diesem Tage an ihre Lieben zu schreiben, und erst nach Sonnenuntergang ein mäßiges Mahl einzunehmen. Der hocherfreute Vater ließ den ganzen Hof zu sich entbieten, das Volk strömte zusammen und Alles feierte einen Festtag. Am nächstfolgenden Tag war allgemeiner Bettag in Stadt und Land, und bald darauf wurde im ganzen Reiche ein feierliches Dankfest gehalten. Bei der Taufe überreichten die brandenburgischen Stände eine prächtige Denkmünze, auf welcher der Kurfürst seiner Gattin die Hand reicht und der Prinz in der Mitte mit den Händchen nach beiden Händen langt. Auf der Rückseite erheben sich mehrere ineinandergelegte „brandenburgische Hände“ zum Himmel mit der Beischrift:

„Was erfüllet im fünfundfünfzigsten Jahr,
Das mache der höchste Gott noch öfters wahr!“

Indessen war der Bau des Schlösschens in Oranienburg glücklich vollendet, fürstlich und geschmackvoll, aber ohne Überfluss, da Louise immer übrig haben wollte, um zu geben den Dürftigen. Zur Einweihung ihres Schlösschens musste ihr der Freiherr von Schwerin für eine anmutige Überraschung des Kurfürsten und für ein heiteres Fest des Volkes an einem schönen Junitage helfen. Sie mischte sich unter die Spielenden und Fröhlichen, und hatte sie sonst schon die Armen zu besuchen, die Elenden zu trösten, die Kranken zu erquicken und mit den Sterbenden zu beten für ihre süßeste Pflicht gehalten, so vergaß sie am allgemeinen Freudentag der Dürftigen und Seufzenden um so weniger. Eine besondere Lust war es ihr, ihrem Gemahl und ihrer Mutter Alles zu zeigen, was sie seit fünf Jahren aus dem wüsten Bruchlande zu machen gewusst hatte, um dem vom Land- und namentlich Gartenbau entwöhnten Volke ein Vorbild zu geben. Es bezeichnet sie ganz, dass sie die zwei größeren Drittel ihres Lustgartens für Gemüse und Obst, das kleinste dritte Teil für Blumen bestimmt hat.

Mitten unter den Freuden dieser Tage vergaß sie nicht ihres Gelübdes: aus Dankbarkeit für den erbetenen Ehesegen ihrem Schlösschen gegenüber eine Versorgungsanstalt für vierundzwanzig vaterlose Kinder auf immerwährende Zeiten zu errichten. Sie hatte bereits den Plan dazu entworfen, der freilich so großartig war, dass sie nicht sogleich die großen Kosten dazu erschwingen konnte. Dazu kamen auch bald noch andere schlimmere Trübungen nach kurzem Sonnenblicke und sie musste sich erst im Stillesein und Harren üben.

Zuerst geleitete Louise ihre Mutter gegen dreißig Meilen von Berlin auf deren Heimweg und nahm mit schwerem Herzen unter Gebet und Tränen Abschied. Auf ihrer Zurückkehr begegneten ihr eine Menge von Soldaten, erschreckt fragte sie den Kurfürsten um die Ursache und musste eingedenk des Unwillens, den schon die 4.000 Mann bei den Ständen erregt hatten, vernehmen, dass er nun ein stehendes Heer von 26.000 Mann habe. Er beriet sich offen mit ihr über die bedenklichen Verhältnisse und sie war mit ihm einverstanden, dass das Herzogtum Preußen seine Gegenwart erheische, wenn der drohende Krieg zwischen Schweden und Polen ausbräche. Er bat, sie möchte ihn begleiten. Stillschweigend umarmte sie ihn, um ihm zu zeigen, wie sie zu Allem für ihn bereit sei, auch wenn es über ihre Kräfte ginge. Die Abreise verzog sich bis in den November, denn in Preußen drohte Krieg und Pest. Der Pflicht der Gattin sich unterwerfend, opferte sie in heißem Kampfe die Mutterrechte, ließ ihren Säugling zurück und zog durch die verwüsteten Marken, durch Pommern, durch die Öden und Waldungen Westpreußens auf grundlosen Wegen oder Knüppeldämmen nach Königsberg. Louise, die nur ihren Mann zu besänftigen suchte über das ihm in Bezug auf Pommern widerfahrene Unrecht und über die sonstigen Missstände allerwärts, ertrug jede Unbequemlichkeit und Mühe geduldig, klagte nie und schien bei ihrer Ankunft gesund und heiter. Aber nun erkrankte sie heftig und nur langsam erholte sie sich, dass sie weiterhin wieder den öffentlichen Andachten ihres Hofpredigers Stosch, den sie mitgenommen, beiwohnen konnte. Stosch übrigens wagte nicht in einer der dortigen lutherischen Stadtkirchen zu predigen und eine reformirte gab es in Preußen nicht.

Nun drang Karl Gustav von Schweden mit Kriegsvolk heran und belagerte das fast offene Königsberg mitten im Winter. Louise verbarg ihre Angst im Busen und blieb mit großer Klarheit und Besonnenheit des Kurfürsten Rat und Beistand. Dieser musste am 7. Jan. 1656 Frieden schließen und sich mit Karl Gustav gegen Polen verbünden. Alles bisherige hatte Louise standhaft als Gottes Schickung getragen, über einen Krieg gegen das erbitterte Polen aber konnte sie sich nicht so bald trösten. Nur der Glaube hielt sie. Ihr Beichtvater Stosch erzählt, wie sie sich in ihrer Not mit dem kananäischen Weiblein verglichen und gesagt habe: „Wenn der Herr Jesus noch auf Erden ginge, ich wollte mich noch mehr demütigen; was ich aber auf leibliche Weise und mit Gebärden nicht tun kann, das will ich im Geiste und im Herzen tun, in gewisser Zuversicht, dass er auch im Stande der Herrlichkeit solcher Hohepriester und treuer Heiland sei, der Mitleiden habe und helfen werde.“ Der Kurfürst zog mit Karl Gustav aus, Wunder der Tapferkeit verrichtend gewannen sie die dreitägige Schlacht bei Warschau vom 18. bis 20. Juli gegen die siegesgewissen, übermütigen Polen, die „den König von Schweden bereits als Frühstück für ihre Tartaren, dem Kurfürsten ein Loch, in das weder Sonne noch Mond scheinen sollte,“ bestimmt hatten. Der Kurfürst aber verfolgte den Sieg nicht und bald fielen die Polen und Tartaren in seine Länder ein, Alles mit Sengen und Brennen dem Boden gleich machend. Bald auch wurde der Kurfürst bei Lyck aufs Haupt geschlagen, die Tartaren zündeten allein dreizehn Städte an, ermordeten 30.000 Einwohner aufs grausamste und schleppten eben so viele in die Gefangenschaft. Kaum wehrte der tapfere General Derfflinger die Tartarenschwärme von Berlin ab, wo Louise ihr Kind gelassen hatte. Sie selbst erkannte die Fehler, die ihr Mann hatte und in seinem Kriege gegen Polen beging, mit scharfem Blicke, aber ihre verständige Sanftmut diente seinem Unmut als Blitzableiter.

Endlich kam der ersehnte Winter, der dem Blutvergießen ein Ende machte, sie feierte am 27. Nov. ihren dreißigsten Geburtstag, und zehn Tage darauf ihren Hochzeittag in tiefer Buße aber hohem Danke für die bisherige Führung und Rettung. Sie bat um Segen zu dem Vorsatz, die Adventszeit freudig zu feiern. Niemand in ihrer Umgebung durfte traurig sein; im Namen des im Fleisch erschienenen Herrn trocknete sie die Tränen der Notleidenden, erfreute ihre Umgebung mit Geschenken und rüstete die kleine Bescherung für ihr fernes Kind. Sie hatte sich fest vorgenommen, an dem Tage, der so freudenreich, nicht zu weinen, aber unvermerkt fiel manche Träne auf die Gaben, die sie mit mütterlicher Hand zusammenpackte. Nicht minder erfreute sie mit verhaltenen Tränen ihren Gatten an seinem und seines Sohnes Geburtstag. Ihre Frömmigkeit vertrug sich mit jeder unschuldigen Freude, ihre höchste Freude aber war, ihrem Gemahl und ihren Nächsten Freude zu machen.

Am meisten litt ihr redliches Gemüt, als sie sehen musste, wie der Kurfürst von Karl Gustav ab wieder dem politischen Vorteile nach auf die Gegenseite übertrat und die Vorrechte des preußischen Herzogtums unter seine fürstliche Allgewalt, die er wie einen ehernen Felsen aufzurichten trachtete, beugen wollte; sie war in einem freien Lande erzogen und Christin, aber sie vermochte nicht dem eisernen Willen des gewaltigen Mannes entgegen zu reden. Unter Sorgen und Ängsten waren ihre Nerven schwer angegriffen, doch brauchte sie keinen Arzt, schonte sich auch nicht und war gleichmäßig leiblich und geistig tätig, bis sie am 11. Juli 1617 glücklich von einem Prinzen, dem Großvater des großen Friedrich auf dem Königsberger Schlosse entbunden wurde.

Bald nach der prunkvollen Taufe hoffte der Kurfürst mit Polen seinen Vertrag fertig zu haben und nach seiner Mark zurückkehren zu können; aber wieder zog sich die Abreise bis nach Martini hinaus. Vorher hatte das Kind durch einen Fehler seiner Wärterin den Rückgrat verkrümmt und mit dem kränklichen Säugling musste sie die beschwerliche Winterreise antreten. Endlich glücklich angekommen, fand sie ihren zurückgelassenen Sohn gesund und fröhlich, wofür sie Gott und der treuen Dienerschaft so beweglich dankte, dass jene in Tränen ausbrachen.

Die vortreffliche Frau hatte immer treffliche Diener; nur einmal wurde einer ihrer Bedienten als ein Dieb ertappt. Der Kurfürst schwur in seinem Zorn, ihn an den höchsten Galgen zu erhöhen: da ließ ihm Louise eine Anzahl Dukaten zustecken um flüchten zu können. „Meinetwegen soll keines Menschen Blut vergossen werden“ sprach sie, die sonst nie von Begnadigung eines Mörders etwas hören wollte, da sie Gottes Zorn und Strafe fürchtete über ein Land, aus dem todeswürdige Verbrecher nicht ausgerottet würden, wie sie andererseits durch wenige Gerechte ein sündiges Volk von Sodoms Strafgericht verschont wissen durfte.

Während nun der Kurfürst zu neuem Kriege rüstete, bat sie inständig Gott um den lieben Frieden, den sie für Ausführung so manches edlen Entwurfs wünschen musste. Ihr Kirchenbau zu Oranienburg war indessen fertig; sie ließ an die Emporbühnen unter sinnreichen Verzierungen Bibelsprüche schreiben; z. B. unter dem Rats-Chor das Wort: „Ihr Richter, richtet gerecht die Völker der Erde,“ zu ihrem eigenen Andenken ließ sie nur an einem der untersten ganz gewöhnlichen Bausteine des Turmes ganz am Erdboden die Worte: L. C. Z. B. G. P. V. O. MDCLVIII. (Louise Kurfürstin zu Brandenburg, geborne Prinzessin von Oranien 1658) einhauen. Sie bestimmte die Kirche für eine reformirte Gemeinde mitten in der lutherischen und war dadurch die Mutter der späteren Einigung beider Kirchen in Preußen.

Der Krieg aber begann aufs Neue gegen Karl Gustav; im September brach der Kurfürst mit seiner Armee nach Holstein auf. Als der Feldzug sich tief in den Winter verzog, wurden seine Briefe an die zurückgelassene Frau so dringend, dass sie sich entschloss, mitten im Januar ihm nachzureisen. Mit herzlicher Dankbarkeit empfing er die Treue, die ihm „der beste Arzt und Rat, selbst der beste Koch und Kammerdiener gewesen, so dass er, während er diese Hausmutter hatte, nie an einer Krankheit darniedergelegen,“ wie ein alter Geschichtsschreiber anmerkt. Sie selbst fühlte übrigens, dass die Frau nicht mit ins Feldlager gehöre und wollte schon auf Entfernung dringen, als eine Einladung zur Hochzeit ihrer Schwester Henriette auf willkommene Weise sie abrief. Alle Bedenklichkeiten und Einwendungen gegen die gefährliche Meerfahrt, zu der sie bald entschlossen war, nicht achtend, brachte sie es dahin, dass der Fürst in ihre Reise willigte und ihr am Gestade des winterlichen Meeres den zärtlichen Abschied gab. Der Kurfürst ordnete für sie allgemeine Gebete in seinem Heere an, in welchem ohnehin jeder Soldat das Neue Testament nebst Psalmbuch mit sich führen musste.

Glücklich kam die heldenmütige Frau nach Gröningen, wo sie ihrem Gemahl bei den sie hoch verehrenden holländischen Generalstaaten vielfach nützlich sein konnte in seinem siegreichen Kampfe gegen die Schweden. Nach einem mehrmonatlichen Aufenthalte im Haag kehrte sie mit Eile zu ihrem Gemahl zurück und begleitete ihn auf seinem Triumpheinzug nach Berlin. Bald aber verließ er sie wieder, damit ja „ihr Leben einer Gliederkette gliche, da eine Trübsal und ein Unfall am andern hing.“ Doch Jesus war ihre Zuversicht und ihr Heiland und ihr Leben.

Schon wollte ein neuer Kriegszug beginnen, als Karl Gustav starb; der Friede von Oliva brachte dem Lande Ruhe und dem Fürsten gesicherten Zuwachs an Macht. Louise dankte mit tiefbewegtem Herzen ihrem Gott für den holden Frieden und gelobte doppelten Liebes-Eifer in jeder Pflichterfüllung, namentlich in der seligsten der Pflichten: wohlzutun und mitzuteilen. Während sie den Druck, den der Kurfürst mit Steuern und Abgaben auf die Untertanen legte, in jeder Weise zu erleichtern trachtete, trug sie zugleich ernstlich und emsig Stein um Stein zusammen zur Ausführung ihrer wohltätigen Entwürfe.

Im Sommer 1661 hatte sie doch endlich in der Begleitung ihres Mannes durch Niedersachsen und Westfalen auch einmal die Freude, bei milder Witterung und ohne Kriegssorgen reisen und dabei ihre lang entbehrte Mutter umarmen zu dürfen. Nach ihrer baldigen Rückkehr ward ihr aufs neue die Aufgabe, die Falten auf der Stirne ihres Mannes zu glätten, der über den von den preußischen Ständen verweigerten Huldigungseid erbittert war. Was durch Verhandlungen und Drohungen nicht zu erzielen, hoffte er durch die persönliche Anwesenheit zu erringen. Er in seiner ritterlichen Gestalt und fürstlichen Hoheit, seine Gemahlin durch ihre Schönheit und Anmut verfehlten zwar den mächtigen Eindruck auf die Polen nicht, aber nur die Furcht vor ihm allein bewog sie endlich dazu, dass er an der Seite seiner neben ihm thronenden Gemahlin am achtzehnten Oktober unter freiem Himmel die feierliche Huldigung „als oberster Herr von Preußen“ entgegennehmen konnte. Auf der hierzu geprägten Denkmünze beruhigte er die neuen Untertanen, dass die furchtbaren Adler deren Bild als preußisches Wappen hier zum ersten Mal erschien – keine unkriegerische Taube erzeugen werden, d. h., dass er und seine Frau sorgen wollen, ihr Sohn solle ein Mann sein wie er. In der Tat war die Erziehung ihrer Kinder eine vorzüglich ernste und strenge.

Begleitet von den aufrichtigsten Tränen und Segenswünschen der mehr und mehr von Herzen gewonnenen Vornehmen und Geringen, kehrte Louise mit ihrem Gatten in ihre stille Hauswirtschaft zurück. Sie war auch wirklich eine vorzügliche Wirtin und Rechnerin, mit Vielem hielt sie Haus, mit Wenigem kam sie aus, und mit weiser Sparsamkeit wusste sie Großes zu leisten mit Kleinen. Noch befindet sich in dem Büchersaal zu Berlin ihr Hausbuch, worin alle ihre Sachen, wertvoll und gering, in wohlgeordnetem Verzeichnis von ihr selbst in holländischer Sprache eingetragen waren.

Nun trat sie in die sonnige Mittagshöhe ihres äußern Lebens, und in den Höhepunkt ihrer innern Reife. Ihren höchsten Lebensgenuss fand sie eben da in geräuschloser Wirksamkeit, in gemessener Erfüllung der Gebote ihres Gottes. Ihre innere Ruhe gewann von hier an bleibenden Bestand; denn sie, so wunderlich hindurch, so herrlich hinausgeführt, hatte nun den sichern Ankergrund gefunden, dass sie, ob auch äußere Sturmwinde sich noch viele erhoben, die Nähe des Herrn fühlte als „das sanfte Sausen Eliä“, dessen sie in ihrem weitern Leben und noch auf ihrem Sterbelager so gern gedachte.

Dieser Gottesfriede im Innern beseelte sie zu jedem weiteren guten Werke, namentlich in der ferneren Erziehung ihrer Kinder. Schwerin und andere gottesfürchtige Männer hatten bisher das Ihrige an denselben treulich getan, nun hoffte sie dieses Amt der Zucht und Vermahnung zum Herrn vollends selber, namentlich durch das Beispiel ihrer eigenen Gottseligkeit zu treiben. Während ihre Kinder denn auch zum Lohn ihrer mütterlichen Sorgfalt gediehen, namentlich der schwächliche, jetzt siebenjährige Prinz kräftig heranwuchs, gebar sie am 19. Nov. ein Zwillingspaar; eines davon, der Knabe starb schon in der ersten Woche, und das Mädchen, von dessen Wiege die Mutter Tag und Nacht nicht wich, nach wenigen Monaten. Den Kurfürst schmerzte namentlich dieser letztere Verlust tief, aber während er nach Trost suchte, fand er die Mutter in großer Fassung und mit himmlischer Ruhe am Sarge ihres Kindes bis zum Begräbnis, wo dann auch ihr die Tränen schmerzlich flossen schmerzlich über ihren Verlust, schmerzlicher über ihres Herzens Zustand, „der nimmer der Zuchtrute entbehren konnte.“ Ihr ganzes Gefühl sprach sich aus in dem von ihr selbst geschriebenen täglichen Bußgebete, diesem herrlichen Mustergebet einer gläubigen Christin, einer christlichen Gattin, einer zärtlichen Mutter und einer gottseligen Magd des Herrn. Dieses Gebet, auf dem so ganz der Duft heiliger Salbung ruht, müsse ganz hier stehen und ein Segen vieler Herzen sein:

„Barmherziger getreuer Vater, Einziger Trost und sichere Zuflucht meiner zwar unwürdigen aber vor Dir ganz gedemütigten Seelen, Ich komme zu Dir als dem rechten lebendigen Brunnen der wahren Arznei meiner durch die Sünde fast verdorbenen Seelen. Aber ich komme o liebster Vater, nachdem ich der Betrüglichkeit alles irdischen Trostes und aller weltlichen Freude inne geworden, und nun nichts höheres wünsche, dann dass ich ihrer auch ganz satt und müde werde, und allein meine Seele aus dem wahren unbetrüglichen Schatz Deines heiligen seligmachenden Wortes leben und ergötzen möge.

Ich komme jetzt nicht, wie ich vormalen mit heißen Tränen getan habe, Dich um zeitliche Dinge zu bitten, worinn Du mich doch allezeit gnädig erhört hast, dessen ich Dir nimmer genugsam danken kann, sondern das von Dir zu bitten, was Du mir selbst zu bitten befohlen und hoch beteuert hast, dass Du alle gerne erhören wollst, die Dich von Herzen suchen, nachdem dann leider alle Deine große unzählige Wohltaten und da Du mir mehr gegeben, als ich bitten dürfen, meine verderbte Natur nicht überwinden können dass ich dadurch bewogen werden mögen, meine Sinnen von dieser eitlen Welt ganz abzuziehen noch Dir meinem einzigen höchsten Gut also zu dienen, wie ich Dir solches oft und vielfältig angelobt habe, desfalls ich ängstliche Bekümernis in meiner Seele empfinde, so wende ich mein busfertiges und von Tränen quillendes Herz zu Dir o allergütigster Vater und bekenne offenherzig, dass ich nicht wert bin aller Gnade und Barmherzigkeit die Du mir erzeiget hast, dann ob ich zwar durch Deine Gnade längst erfahren, dass nichts herrlicheres, tröstlicheres und lieblichers ist denn an Deinem Bunde fest zu halten, auf Deinen Wegen zu wandeln und an Deinen heiligen Geboten sich zu ergötzen, und dir auch heiliglich versprochen, dass ich hierin meine Freude suchen und die Tage meines Lebens in solchen heiligen Übungen zubringen wollte, so habe ich doch fast sehr meinen vorigen Eifer erkalten lassen, die angeborene Neigungen zu der Welt Eitelkeit haben sich, bei befundner Kaltsinnigkeit zu Deinem heiligen göttlichen Worte, so häufig wieder bei mir eingeschlichen, dass, wenn Du o getreuer Hirte meiner Seelen nicht für mich gewachet, mich dieselbe in einen tiefen Schlaf verdammlicher Sicherheit würden eingewieget haben, denn wenn ich Deiner mitten unter der Weltfreude und angenehmen Gesellschaft gang vergessen und meine Gelübde von einem Tag zum andern verzogen, oder auch Deinen Dienst mit schlechter Andacht verrichtet, so hast Du mich dennoch bald wieder aufgewecket, und ob Du es wohl Ursach gehabt, und ich auch wohl verdient, dennoch Deine Hand nicht ganz von mir abgewandt, wann ich Dir mit der Welt den Rücken gekehret, so bist Du dennoch mir wieder begegnet, und hast mehr durch Deine liebreiche Barmherzigkeit, wie wohl ich deren nicht wert bin, als durch Deine Züchtigung die ich doch genugsam verdient habe, bei mir angeklopft.

Ich habe nur mich, mein Fleisch, meine Ehre und vergängliche Dinge geliebt, und Du hast mir so viel Zeichen Deiner inbrünstigen und quillenden Liebe gezeiget, dass ich billig sagen muss: ach Herr, was kann ich Dir vergelten für alle Deine Wohltaten! Ich habe öfters gar nicht, oder doch gar wenig zugehört, wann Du mir durch Dein heiliges Wort zurufen lassen, und Du hast noch nie Deine Ohren vor mir verstopfet, wann ich Dich auch nur um zeitliche Dinge gebeten. Ich hätte billig ein williges Herz haben sollen allen notleidenden zu helfen und die christliche Liebe so viel mehr zu üben, so viel milder Du gegen mich gewesen und mir das Vermögen dazu genugsam gegeben, aber, o allerliebster Vater, was großen Mangel fühle ich allhier, und wie wenig Mitleidens habe ich bisher verspüren lassen, oder doch nicht in der Tat erwiesen, und wie könnte ich Dir erzählen alle meine Fehler und große Gebrechen, deren Zahl unendlich ist; denn siehe mein Gewissen überzeuget mich, dass ich bekennen muss, dass nichts Gutes an mir ist vor Deinem heiligen Angesicht, ich bin verdorben von dem Hauptscheitel bis zur Fußsohle und der sündliche Schlangenstich hat meine sorglose Seele so abscheulich gemacht, dass auch meine besten Gedanken, mein heiligstes Vorhaben vor Dir o gerechter Gott unrein und befleckt ist, sollte ich aber darum zurücktreten und mich vor Deiner Herrlichkeit entsetzen? nein allerliebster Vater, wie mehr ich den Stachel der verdammlichen Sünde in mir fühle, wie mehr mein verzagtes Gewissen mir meine begangene Sünde vorstellt und ich noch die innerliche Neigungen meines sündlichen Herzens empfinde, je mehr will ich mich zu Deiner unendlichen Gnade nahen und zu Dir, als dem einzigen Helfer und Erretter schreien, je mehr will ich mich nach Deiner Hilfe und väterlichen Beistand reißen, und wie sollte ich zweifeln, dass Du mir nicht Deine väterliche Hand reichen und wieder zu Dir ziehen werdest, Du o gütigster Vater, der Du noch nie des Demütigen Gebet unerhöret gelassen, der Du mir Deinen einzigen Sohn und mit ihm alle Gaben gegeben, da ich noch Dein Feind gewesen, und Dich nicht gekannt habe, der Du Dich meiner erbarmet, da ich Deiner Gnade nicht begehrt, wie solltest Du mir dann jetzt die versagen, da ich Dich mit demütigem zerknirschten und bußfertigem Herzen darum anrufe?

Verzeihe mir denn o barmherziger Vater und vergib mir meine Fehle um Deines lieben Sohnes Jesu Christi Willen, umfasse mich wieder als Dein liebes Kind, und bestätige mich in Deiner Gnade. Gib mir auch ein reines Herz und neuen gewissen Geist, vermehre in mir den rechten Glauben, Liebe und Hoffnung, lass mich hinfüro meine Gelübde besser bezahlen, als ich leider bishero getan, erfülle mein Herz mit christlichen Tugenden und reinige es von allen sündlichen Zuneigungen und der Weltliebe, lass mich alle Tage wohl betrachten, in was Stand Du mich gesetzt hast, damit ich Dir desfalls allezeit unerschrocken Rechenschaft geben möge.

Nun liebster Vater, ich sollte mich billig vergnügen, dass Du mich durch Deinen heiligen Geist die Erhörung meines Gebetes versicherst und mir meine begangene Sünde gnädig verzeihst, aber Deine Gütigkeit ist so groß, dass ich mich auch unterwinde, Dich ferner in kindlichem Vertrauen demütig zu bitten, Du wollest auch dies und alle andere Gnade an Seel und Leib meinem Ehegemahl wiederfahren lassen. Ach liebster Vater gib ihm ein Herz das Dich vor allen Dingen liebe und fürchte, Dein Wort hoch halte, auf Deinen Wegen wandle und Deinen Willen vollbringe, weil Du ihn auf dieser Welt an Deine Stelle über viele gesetzt hast. Ei so lass ihn auch mit allem Eifer dahin trachten, dass er unter denen Deiner Diener gefunden werde, die allhier getreu gewesen, und desfalls künftig über noch mehr gesetzt werden sollen, lass nicht zu, dass die Welt und alle derselben Pracht und Herrlichkeit ihn von Deinem Gebote abhalten und sein Herz von Dir abziehen möge, sondern lass ihn ansehen die Exempel derjenigen, welche sich durch die eitlen Dinge dieser Welt betören lassen, und in dem sie das Vergängliche dem Unvergänglichen vorgezogen, die kurze Zeit ihres Lebens ohne Trost und Hoffnung und mit Verlust Deiner Gnade geendigt, wollest uns darum o getreuer Vater beiderseits alle Stunde an das Augenblick denken lassen, woran die ewige Ewigkeit hängt, damit uns solches nicht wie ein Fallstrick überfalle, sondern vielmehr bereit finde Dir, wann Du durch den zeitlichen Tod anklopfen wirst, freudig und mit getrostem Gemüt zu folgen. Wie ich dir auch o grundgütigster Vater von Grund meiner Seele danke, das du uns nicht allein Erben gegeben, sondern auch dieselben allbereit aus so mancher Gefahr errettet, unsere Augen vor Tränen behütet und vielmehr unsere Herzen mit Freuden an ihnen erfüllet hast. So bitte ich Deine unendliche Gütigkeit, o Vater aller Gnade und Barmherzigkeit, breite ferner die Flügel Deiner väterlichen Liebe über sie aus, lass sie wachsen, grünen und blühen, jedoch zu Deines Namens Ehr und Herrlichkeit, bewahre sie durch Deine heilige Engel für allem Unglück und bösem, benedeie ihre Auferziehung und ersehe ihnen zu solchem Ende solche Leute, die Dich von Herzen fürchten und von denen sie nichts als was dir wohlgefällt sehen und lernen mögen, auf dass sie dermaleinst dein Volk in Gerechtigkeit regieren und deinen Befehl gehorsamlich ausrichten mögen.

Endlich, wann nun auch die Tage meines Lebens dahin sein werden und ich die Schuld der Natur bezahlen. soll, so sei alsdann, ach mein getreuer liebster Vater in der letzten Todesangst eine beständige Erquickung meiner matten Seelen, richte mich auf durch den Trost deines heiligen Geistes und labe mich mit dem Wasser des ewigen Lebens, welches ist das vergossene teure Blut Deines Sohnes meines Erlösers, auf dass ich dir meinen Geist in ungezweifelter Hoffnung der künftigen fröhlichen Auferstehung in Deine Hände wieder gebe, und meinen Mund schließe mit dem süßen Namen Jesu. Erhöre mich o heiliger Gott um Seinetwillen wie ich Dich ferner in Seinem Namen und durch Sein Befehl also anrufe. Unser Vater -“

Solcherweise stärkte sie sich, in ihrer Schwachheit ihrem Herrn das Kreuz nachzutragen. Neben dem Gebete war unermüdliche Tätigkeit ihr eine Arznei gegen Gram und Schmerz. Sie musste wirken so lange es Tag war, weil sie die Nacht kommen fühlte. Den Schlussstein setzte sie in ihre edlen Gründungen mit Erbauung des Oranienburger Waisenhauses, womit sie andern ähnlichen Stiftungen die Bahn brechen half. Die von ihr selbst entworfene Stiftungsurkunde, ein Meisterwerk christlicher Weisheit lautet also:

„Wir Louise von Gottes gnaden Marggräffin und Churfürstin zu Brandenburg, geb. Prinzessin zu Oranien usw.- Uhrkunden und bekennen hiemit von Uns und Unsern Erben, dass wir öfters bei uns erwogen, wie viel und mancherlei in diesem Leben unterlassen wird, was dennoch Unser Erlöser Christus von uns fordert bevorab in den Werken der Liebe und Barmherzigkeit. Als wir Uns nun vornemblich erinnert, wie Gott der Herr Sich selbst einen Vater, einen Helfer und einen Beistand der Waisen zu sein verheißt und allen und jeden befiehlt, dieselben gebührlich zu verpflegen, daher es dan dem Hiob zur Gottseligkeit zugerechnet, dass er seinen Bissen nicht allein gegessen, besonders die Waysen solches mit geniessen lassen, und in der Schrift es für einen unbefleckten Gottesdienste geachtet wird, die Waysen in ihrer Trübsal zu besuchen; und Wir dagegen spüren wie gar wenig solcher Befehl in Handhabung armer verlassener Waysen in Acht genommen wird, dass auch deren nicht allein viele Kümmerlich umbkommen, besondern der Mehrerteil aus mangel nötiger Aufsicht und guter Erziehung der bösen Welt zu teil wird, anstat dass Sie zu Gottes Ehren leben sollten, nur des Satans Reich vermehren helffen. So haben wir zuder Zeit, da Wir Gott dem Allerhöchsten und eben an diesem orth so herzlich umb Seinen so lange verweileten Ehesegen angeruffen, der uns auch gnädig erhöret hat, und dem wir davor nebst allen unsern Nachkommen ewig lob und dank sagen wollen, diesen beständigen Vorsatz genommen, Gott dem Allerhöchsten zu Ehren, und Christo, der uns sämptlichen die kinder so hoch anempfohlen zu gehorsamb, allhierr zur Erziehung und erhaltung von 24 Waysen nicht allein ein Waysenhaus zu erbauen, besonders auch zu der verpflegung gewissen unterhalt zu verordnen und wie es damit zu allen zeiten gehalten werden soll zu bestimmen, Gestalt Wir dan hiemit, Nachdem durch Gottes gnade das Gebeyde fertig geworden ist, Wir auch des übrigen halber, vermittelst dieser unsrer Verschreibunge richtige und beständige Verordnung machen wollen.

Anfänglich nun verordnen und disponiren Wir hiemit, dass vorgedachtes von Uns in Oranienburg erbawtes Hauß zu ewigen Tagen ein Waysenhauß verbleiben und unter keinem Vorwand, wie er auch sein möchte zu einem andern behuff gebraucht, besonders einzig und allein zum Dienst deren aufgenommen Waysen gelassen und allezeit in Bäwlichen würdig erhalten und vor ruin praeservirt (erhalten) werden soll.
Hienegst, damit es den aufgenommen Waysen an Ihrem nötigen Unterhalt nimmer mangeln möge; so wollen Wir dazu und was auf die Leute, so ihrentwegen zu bestellen nötig sein möchtet 200 R. Taler Jährlich verordnet haben.

Ferner sollen jährlich zu desto besserer unterhaltung dieses Waysenhaußes 10 Wisp. Rogken und 10 W. Gersten entrichtet werden. Über diesen haben Wir einige Wiesen zur erhaltung 6 Kuhen, einen Küchengarten und etliche Stücke Landes Flachs darauff zu bauen, hierzu gelegt, wie solche stücken richtig verzeichnet werden sollen.

So synd auch mit Consens (Einstimmung) Unsres Herz Vielgeliebten Herrn und Gemals dem Waysenhauß vergönnt 15 Schweine vergebens in die Mast zu treiben, item notürfftig Brennholz, so allemahl von den Holz Bedienten angewiesen und von dem Waysenvater zu rechter Zeit angeschafft werden soll.

Was an Betten, Betstädter, Leinenzeuge, Zinnern und Hölzern geräthe von nöten, haben wir insgesampt angeschaffet usw.

Zur Bedienung dieser 24 Waysen die helffte Jungens und die helffte Metchens soll ein Waysenvater welcher nebenst seiner Frawen eines Ehrbaren Gottesfürchtigen wandels ruhm und gewisse zeugnis haben soll, von Uns, und nach Unsrem tode von dem allezeit Regierenden Churfürsten bestellet werden, dieselben sollen in dem Waysenhauße in den dazu verordneten Gemächern wohnen und soll des Waysenvaters sorge sein, dass diese Waysen 1) alle Morgen des Sommers umb Fünff und des Winters umb Sechs Uhr aufstehn, sobald sie gekleidet, alle in ein Gemach zusammenkommen, allda sie sämptlich das hiebeigefügte Gebeth nachsprechen, darauf ein Capitel aus der Bibel anhören und mit Gesang aus dem Lobwasser schließen sollen.

2) Darauf sollen sie sich alle wieder in ihre Cammer verfügen und an beyden ohrten, im lesen, schreiben, Catechismus fleissig unterrichtet und in allem in der Christlichen Reformirten Religion erzogen werden.

3) Soll der Waysen Vater darauff sehen, dass sie allemahl zu rechter Zeit, als des Mittags zu Eilff und des Abends zu Sechs Uhren, die Knabens an einem und die Metchens an einem andern Tische gespeiset werden, da er dann selbst an der Taffel speisen und darauf sehen solle, dass alles ordentlich und bescheidentlich unter Ihnen zugehe.

4) Die Speisung soll folgender gestalt beschaffen sein, Auff jede Taffel sollen drei Schüsseln dergestalt angerichtet sein, dass sie zur Genüge gesättiget werden können, die erste Schüssel soll nach gelegenheit der Zeit, von Kohl, Erbsen, Reiß, Hirse, Grütze, Milch-, Biersuppen und dergleichen sein, die zweite Schüssel des Sonntags, Dienstags und Donnerstags gekochtes Fleisch, einmahl frisch, das anderemahl gepöckelt, die dritte Schüssel des Sonntags zu Mittage ein Braten sein. Die andern Tage ein Gemüse des Montags, Mitwochs, Freitags und Sonnabends zu Mittage wird anstatt des Fleisches eine Schüssel entweder frische oder gedörrte Fische gegeben, und zum Frühstück ein Schnittchen Brott und ein wenig Käse dabei, das Getränke soll Ihnen über essen zum durst notürfftig gegeben werden und soll das Bier von Anderthalb Scheffel auf die tonne gebrawen werden; Sobald sie abgespeiset, sollen allemahl zwei von den Knaben und zwo von den Metchens, welches alle Wochen umbwechseln soll, die Speise heraustragen, von der Knecht und die Mägde sich sättigen und wenn etwas verübriget wird, solches sofort den Armen ausgeteilet und nicht auffgehoben werden.

5) Nach der Mittags und Abend Mahlzeit sollen abermahls die hierzu aufgesetzte und hienegst befindliche Gebet knieend gehalten werden, ein Capitel aus der Bibel gelesen und mit einem Gesange geschlossen werden.

6) Der Waysen Vater soll fleissig acht haben, ob auch etwas straffwürdiges unter Ihnen vorgeht und wenn er nicht selbst bei Ihnen sein kann, durch jemand anders acht darauf geben lassen, und nach Beschaffenheit des Verbrechens solches entweder mit scharfem Verweis oder auch, wenn es die not erfordert, durch eine Rute in der andern aller Gegenwarth bestraffen, diejenigen aber, so der Rute entwachsen, und es dennoch verschulden sollen mit Gefängnis und wo gar keine Besserung zu hoffen und durch böse Exempel die andern verführt und geärgert werden nach getaner Notifikation an die reformirte Prediger in der Kirche zur heiligen Dreifaltigkeit zu Cölln an der Spree und mit deren gutachten ohne erteilung eines Zeugnisses und mit Entziehung dessen was denen andern zu gute hienegst folget aus dem Wäysenhauße abgeschafft werden.

Die Waysenmutter soll zwar sorge tragen vor alle Waysen Knaben und Metchens dass sie reinlich gehalten und Ihre Speise recht zugerichtet werde, absonderlich aber soll Ihr aufliegen fleissige acht auf die Metchens zu haben damit dieselben in guter zucht gehalten und Ihnen nicht vergönnet werde unter die knabens zu lauffen, sondern dass Sie allezeit in Ihrer Kammer verbleiben und daselbst nach gehaltenem Gebeht entweder Spinnen, nähen, Würfen oder knüppeln (stricken) nachdem eine jede Neigung zu einem oder anderm hat, aber müssig soll keine sein, außerdem des Sonntags und zwey tage in der Wochen, da ihnen zwei oder drei Stunden erlaubt sein mag außzüspazieren, doch dass die Waysen Mutter allezeit dabei sei, was nun eine Jede Spinnet, nähet und sonst arbeitet davon soll die Helffte Ihr eigen sein und Ihr zum besten aufgehoben oder verkauft und das Geld verwahret, die andere Helffte soll zum gemeinen besten des Waysenhaußes angewandt und gerechnet werden, das Flachs, Zwirn oder dergleichen soll ihnen alles zeit geliefert werden. Die Waysen Mutter soll allezeit bei den Metchens an Ihrem Tische essen und Ihnen keinen Mutwillen oder unzüchtiges verstatten, des Sonntags soll sie dieselben fleißig zur Kirche halten und sobald sie zu hauße kommen, fragen, was sie behalten, Gestalt es der Waysen Vater gleichergestalt mit den Knaben also halten solle; Wan ein Knabe oder Metchen krank wird, sollen sie in ein absonderlich Logament gebracht und gebührlich gewartet und curirt werden. Sollte auch ein oder ander von den Waysenkindern versterben, so sollen sie aus deren Einkünfften in das von Uns erbawte Gewölbe in der Kirche begraben werden und die übrige Waysenkinder ihnen zusammen in einer Ordnung folgen.

Bei einnehmung der Waysen soll folgender gestalt verfahren werden, wann sich bei eröffneter Stelle jemands ergibt, der einen Waysen recomandirt, Soll zufoderst fleissige Erkundigung eingezogen werden, wer die Eltern gewesen, und wenn sich da befinden sollte, dass dieselbe Gott und ruchloss böse Menschen gewesen, sollen deren kinder nicht angenommen werden, weil zu besorgen, dass dieselbige Ihren Eltern nachschlagen und die andern Waysen verführen möchten. Wenn man nun gewisse kundschaft eingezogen, dass die Waysen von guten Leuten entsprossen, sollen sie mit genehmhaltung des Regierenden Churfürsten aufgenommen und alsodann in das Buch verzeichnet, zufoderst aber des Sonntags nach der Predigt in der Kirche in gegenwarth der andern Waysen öffentlich ermahnet und Ihnen vorgehalten werden, wie sie sich bei vermeidung der verstoffung zuverhalten und zu gebührlichem Gehorsam gegen ihre Vorgesetzte zugleich angewiesen werden; unter acht und über zehn Jahren soll feiner angenommen werden.

Sobald die Knaben von der Stärke sein, dass sie zur erlerung eines handwerks tüchtig und geschickt erfunden werden, soll der Waysen Vater sich eines jeden Natur und Neigung erkundigen und dazu ein jeder lust hat, bey einen solchen Meister bringen, bei welchem er zwar die gewissen Stunden des Tages seine Arbeit abwartet, jedoch nichts weniger den Gesetzen des Waysenhaußes unterworfen bleibt und alsofort nach verrichteter Arbeit wieder einkehrt und soll ihm nicht vergonnt sein, denen wöchentlichen Fressen und saufereien so die andern Handwerksgesellen verüben, beyzuwohnen; Das Lehrgeld soll aus dem einkommen des Waysenhaußes entrichtet werden. Was er aber bei solcher Arbeit erwirbet, verbleibt ihm die Helffte eigentümlich, und soll ihm bis er aus dem Waysenhauße ausgeht, in einer verschlossenen Büchse aufgehoben werden, die andere Helffte aber soll gleichergestalten zum gemeinsamen besten des Waysenhaußes angewand und berechnet werden.

Sollte sich auch unter den Knaben einige hurtige Ingenia (gute Köpfe) hervortun, wovon man gewisse und unfehlbare Hoffnung zu schöpfen, dass sie den Studien mit guten Nutzen obliegen könnten, soll der Waysen Vater bei den Schulvorstehern des Joachimsthalschen Gymnasii anhalten, dass sie allda zu gemeinschaftlichen Tisch aufgenommen werden, da Ihnen dan nach Unsres Vielgeliebten Herrn und Gemahls dißfalls ergangene verordnunge allemahl der erste erledigte Platz gegeben werden solle.

Wann die Metchens in dem Waysenhauße von Siebenzehn oder Achtzehn Jahren sein, soll der Waysen Vater und Mutter sich bemühen, dass sie bei guten Leuten zu dienen untergebracht werden.

Wann aber eines daraus verheiratet wird, es sey dasselbe noch darin oder sei schon in einem andern Orte gewesen, so sollen Ihr 20 R. Taler zur Mitgabe gereicht werden.

Die Kleidung betreffend, sollen sie alle Jahr in Dannet Brauntuch, die Elle zu. 18 Gr. gekleidet, zu Unsrem gedächtnis aber und dass ein jeder erinnere, wer dieses Waysenhauß gestiftet, soll von Oranien Farbe ein solches Zeichen einen jeden auf den Ermel genähet werden, so lange sie im Waysenhauße sein (C. L. mit der Kurfürstenkrone darüber).

Wann einer abgeht, welches nach erreichung des Siebenzehnten oder Achtzehnten Jahres geschehen soll, es sei dann, dass sie zum studieren tüchtig eher heraus müssen, sollen sie von dem Prediger zuvorderst fleißigk vermahnet werden, sich überall fromb, ehrlich und trewlich zu verhalten, damit sie diesem Waysenhauße keine schande antun, Mit Bedrawung, dass widrigenfalls Ihr Name zu Ihrer höchsten Beschimpfung aus dem Buche, worin sie verzeichnet, ausgeleschet werden soll, worauff sie alßdann mit einem Gezeugnisse Ihres verhaltens, wo die rechte eigentliche Wahrheit allezeit geschrieben werden foll, und guter rekommendation an die Orte, wohin sie wollen, zu entlassen.

Der Waysen Vater und die Waysen Mutter sollen nachfolgenden Eyd bei ihrer annehmunge schwören, und sollte sich befinden, dass über verhoffen Sie untrew wehren und das Waysen Kinder das verordnete entzogen, Sollen sie alsoforth Ihres Ampts entsetzt und andere angenommen werden.

Dem Waysen Vater sollen für seine Mühe Jährlich 30 R. thlr. und der Waysen Mutter 12 R. thlr. gegeben werden. Über dem soll ein Knecht und 2 Pferde das Holz und andere notdurfft zu rechter zeit anzuschaffen und dann 2 Mägde gehalten werden, welche Mägde mit hülffe der größeren Waysen Metchen, welche die Waysen Mutter allezeit zu verordnen hat, das Hauß und Logamenter Reinlich halten, die Betten machen, das Leinenzeugk waschen, die kühe melken, den Garten warten und das kochen verrichten sollen, und soll die Waysen Mutter fleissig acht auf solche Mägde haben, damit sie die Waysen nicht verführen und sich allemahl frommer guter Mägde befleissen.

Folgt dann Weiteres über die Führung der Rechnungen.

Zum Schluss heißt es: Unsrem Herz Vielgeliebten Eltesten Sohn und allen denen Jenigen, so von Sr. Lbd. entspriessen und künftig an diesem Churfürstlichen Stuhl nachfolgen werden, binden Wir ernstlich ein über diese Unsre Stiftung fest und unverbrüchlich zu halten und dadurch den Seegen Gottes über sich und Ihre Nachkommen zu vermehren, Sollte aber, welches Wir aber aus kindlichem Vertrauen zu der unendlichen Barmherzigkeit Gottes Uns nicht versehen, besondern vielmehr festiglich hoffen wollen, dass Er unsere Leibeserben nach Seinem gnädigen Väterlichen willen allezeit erhalten werde, diese Linea sich dermahln eins endigen und das Churfürstentumb auf andere geraten, So ersuchen Wir denselben, der zu solcher Zeit Churfürst sein wird, nicht weniger über diese Unsre Verordnung unveränderlich halten und wider dieselbe nichts vornehmen zu lassen.

Wir rufen den höchsten Gott demütiglich an, dass Er nach Seiner Väterlichen Güte diesen Unsern guten Vorsatz segnen und stetshin sein gedeihen zu Gottesfürchtigen erziehung aller derer, so hierin künfftig aufgenommen werden, verleihen wolle, Ihm sey Lob, Preiß und Ehre in Ewigkeit.

Geschehen und gegeben zu Oranienburg am Fünfundzwanzigsten September Anno 1665. Louise Corvorstin.“

Schon im vorigen Jahre hatte sie fleißig bauen lassen, im Winter wurde Alles vorbereitet, damit im nächsten Herbste das Haus bezogen werden konnte. Am 25. September war Alles fertig. Still und ohne alles Gepränge wurden die ersten Waisen eingeführt und in ernster heiliger Weihe die Anstalt gesegnet, wie es ihr und ihrer edlen Stifterin geziemte.

Nach Vollendung dieser Stiftung erlaubte sie sich keine Ruhe bis sie noch in der ganzen Umgegend alle ihre Gründungen untersucht und die wahrgenommenen Mängel ausgebessert hatte. An jedem Orte nahm sie ihrer bevorstehenden großen Reise wegen herzlichen Abschied. Bei ihrer Wegfahrt von Oranienburg drängte man sich mehr denn je um ihren Wagen; Allen, namentlich ihren Waisen reichte sie die mütterliche Hand. Ihr Gemahl fand sie bei ihrer Ankunft in Berlin frischer und gesunder als zuvor, die Freude über gelungenes Werk strahlte aus ihrem Angesichte. Fröhlich ward die Reise im Oktober angetreten.

Wie ganz anders sah die Mark nun aus, als vor fünfzehn Jahren; der freundlichere Anblick war das gemeinsame Werk des fürstlichen Paares. In Cleve fand sie ihre Mutter noch einmal, unter deren Pflege sie am 8. Juli 1666 eines gesunden Knaben genas, der den Namen Ludwig und vom Könige von Frankreich Ludwig XIV. eine silberne Wiege erhielt. Indessen blieb ihr eine bedeutende Schwäche von dieser letzten Niederkunft her, aber so gefährlich ihr Husten klang, nur die Ärzte konnten sie bewegen, ihren Gemahl nicht sofort nach Berlin zurückzubegleiten. Mit bitterstem Grame trennte sich der Kurfürst von seiner Gattin, die auf einem Rheinschiffe nach dem Haag zog, während er allein nach Hause sollte.

Schon die Wasserreise, dann die heimatliche Luft ihres Geburtslandes, der herzliche Willkomm und das schöne Stillleben in dem freundlichen Haag besserten ihre Gesundheit. Statt den Zerstreuungen, wie man ihr riet, sich rückhaltslos hinzugeben, war auch hier der äußere Genuss nur das Letzte im Tagewerke; ihre Zeit wurde auf streng geregelte Art ausgekauft. Jede Frühstunde war Gott geweiht, am liebsten im Vereine mit ihrer Mutter. Täglich las sie ein Stück in der heiligen Schrift, in der sie ganz zu Hause war; dann sang sie ein frommes Lied zum Klavier. Auch Personen ihrer Umgebung ließ sie in ungezwungener Weise an diesen Erbauungen Teil nehmen. Jeder Dienstag war ihr Fasttag; wöchentlich schrieb sie an ihren ältesten Sohn; überhaupt führte sie einen bedeutenden Briefwechsel, vermittelst dessen sie auch aus weiter Ferne für ihre Werke und Stiftungen in der Mark Brandenburg wirkte. Einen Teil des Tages arbeitete sie in ihrer Bücherei, wo sie Besuche der bedeutendsten Gelehrten annahm und lehrreiche Gespräche mit ihnen führte. In dieser Tagesordnung ließ sie sich ungern unterbrechen, außer wenn einem Notleidenden augenblicklich geholfen werden konnte. Dem wohltätigen Wirken widmete sie einen bedeutenden Teil der Tagesstunden. Den Arbeitsunfähigen gab sie Almosen, den sonst Zurückgekommenen suchte sie gründlicher zu helfen. Von diesen ließ sie sich nicht suchen, sie suchte diese selbst auf und setzte sich mit den öffentlichen Armenbehörden ihres jedesmaligen Wohnorts in zweckmäßige Verbindung. Keine Mühe war ihr dabei zu sauer, keine Verdrießlichkeit zu groß und kein Körperleiden durfte sie abhalten. Hierin war sie sich vielleicht zu hart, auch wollte sie sich schlechterdings keinem Arzte überantworten, wo denn ihre Mutter ihr Arzt zu werden wusste, indem sie nach dem Rate der vorzüglichsten Heilkünstler ihre Tochter beriet und leitete.

Louise fühlte sich oder machte sich vielmehr so stark, dass sie selbst während der Winterkälte die Kirche besuchte. Bei ihrer Geschiedenheit von Mann und Kindern schloss sie sich um so inniger an ihren Heiland an. Die Advents- und Weihnachtszeit feierte sie wie gewöhnlich mit strahlender Freude. Als sie am 14. März aus der Kirche kam, sagte sie zu ihrer Oberhofmeisterin: „Wir freuen uns wohl Beide auf die Rückreise nach Hause; aber ich muss fürchten, dass sie nicht nach Wunsch wird vollendet werden.“ Auf die Erwiderung, dass der Kurfürst, wüsste er von ihrem Befinden, gewiss alsbald mit den Prinzen herreisen würde, schloss sie: „Mein Beruf weist mir diese Reise an; ich schreite dazu im Namen Gottes, mag er mich zum Leben oder zum Tode leiten.“

Der Kurfürst hatte in seinen herzlichen Briefen den Wunsch geäußert, dass seine Gemahlin in der milden Jahreszeit so früh als ihre Gesundheit es erlaube, die Rückreise nach Berlin antreten möchte. Deswegen wollte sie schon in der ersten Hälfte Aprils abreisen, die besorgte Mutter wusste sie wenigstens bis nach der Mitte desselben zurückzuhalten. „O wie süß wird es für mich sein, das liebe Osterfest an deiner Seite zu verleben“ rief Louise aus.

Sie war gewohnt in stiller Zurückgezogenheit die Leidenszeit des Herrn zuzubringen. Ihre Mutter pflegte in derselben für die Armen Hemden und Kleidungsstücke anfertigen zu lassen. Welche Lust war es der Tochter, dazu zu helfen und mit den Erfreuten sich zu freuen. In den österlichen Tagen Alles um sie her mit Freude zu beleben, darin war ihre Liebe von jeher wahrhaft erfinderisch.

Nun gings an die Vorbereitungen zur Abreise. So angegriffen sie war, wollte sie doch auch in der höfischen Sitte der Verabschiedungen alle Gerechtigkeit erfüllen. Geübt, durch die Kraft des Geistes und Willens über den schwachen Körper zu herrschen, vergaß sie Schmerzen und Schwächen, um ihren Pflichten zu genügen. Ihr Abschied von ihrer Mutter geschah ihr am schwersten, beide fühlten, es werde der letzte sein. Die Generalstaaten und das Volk erwiesen der Allverehrten die herzlichste Teilnahme. Der Sohn ihres seligen Bruders gab ihr das Geleit bis Rheenen, zehn Meilen weit.

Ihre Krankheit nahm immer zu, und da sie ihren fieberhaften Zustand nicht länger verbergen konnte, beschwor sie ihren Begleiter, der Mutter nichts davon merken zu lassen, da das Übel bei ihr vorübergehend sei. In Duisburg musste man sie nötigen, das Bett zu hüten. Kaum hatte sie einige Arznei genommen, so entschloss sie sich zur Fortsetzung ihrer Reise; ihr Beichtvater, dem sie es anvertraut hatte, dass sie ihre Krankheit für unheilbar halte, berichtete an den Kurfürsten, wie ihre Sehnsucht nach Gemahl und Kindern in ihr fast das Krankheitsgefühl unterdrückt habe. „Wenn mir Gott die Gnade erweist, sprach sie einmal, mein Ziel zu erreichen, so will ich gern sagen, Herr nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren.“ Ein anderesmal sagte sie: „Gott hat mich zu dem Scheiden in der Schule der Leiden gestärkt, er hat die Zeichen seiner Rute in mein Fleisch gedrückt aber auch seine Furcht in mein Herz versiegelt.“ Dann richtete sie ihre Blicke gen Himmel und betete: „Es ist mir lieb, Herr, dass du mich gedemütigt hast, aus deiner Züchtigung erkenne ich, dass du mich liebest, dass ich dein Kind bin und dass du Acht auf mich hast, dass du meinen Tod nicht begehrst, sondern dass du aus einem tiefen Schlafe mich erwecktest. Du hast mir gezeigt, dass das Wesen dieser Welt vergeht, dass aber wer deinen Willen tut, bleibt in Ewigkeit.“

Sie hatte ihren Geistlichen Spanheim gebeten, während einer Ruhezeit zu predigen und er sprach über das Wort „Gott mit uns.“ Bei Wiederholung der Predigt wandte sie besonders folgende Stellen auf sich an: „Gott mit uns, welch ein Trost in trauriger Einsamkeit, in gefährlichen Wüsteneien, in abmattenden Kindbetten, im Hause des Weinens, bei den tausendfach listigen Ränken !“

Als die Nachricht von ihrer Krankheit nach Berlin kam, befahl der Kurfürst seinen besten Ärzten, ihr entgegenzueilen; er selbst, sobald er das Nötigste geordnet, flog mit seinen zwei Söhnen mehr als er fuhr und ließ sein Gefolge und selbst die Ärzte hinter sich. Am 25. April traf er die Gattin, nachdem er auf dem ganzen Weg ohne Rast und Schlaf gewesen war. Bald traf auch ihr geistlicher Gewissensrat Stosch, so wie ihre Schwester, die Herzogin von Dessau ein, und dieses Zusammensein mit ihren Liebsten war für sie so erquickend, dass sie sich zu erholen schien. Dennoch glaubten die Ärzte nicht, dass sie die weitern dreißig Meilen bis Berlin aushalten könne. Der Kurfürst brachte eine Sänfte für sie in Vorschlag und so wurde sie zurückgetragen. Nachdem sie bei ihrer Mutter hatte verweilen dürfen und jetzt zu „ihrem Herrn“ zurückkehren durfte, „mög Gott es mit ihr machen nach seinem heiligen Willen“, antwortete sie auf Spanheims Glückwunsch zur Heimkehr.

Sie war von ihrem nahen Ende fest überzeugt, äußerte aber nichts davon. Der Gedanke an die Trennung von ihrem Gatten kam ihr hart an, doch war es ihr ein Trost, dass sie vorangehen und ihm gleichsam eine Stelle bereiten könne. Ihre Kinder, deren sie stets in ihrem Gebete gedachte, ließ sie nur selten in ihr Zimmer und fast nicht an ihr Bett kommen, sie befahl, dieselben auf etliche Tage aus dem Schlosse fortzubringen.

Im ganzen Lande wurden Kirchengebete für die Landesmutter gehalten. Der Kurfürst, wo er ging, stand seufzend und händeringend. Als die Ärzte keinen Trost zu geben vermochten, setzte er sich nieder und schrieb folgende Stiftungsurkunde nieder:

„Nachdem der Höchste meine herzvielgeliebte Gemallin gar hartt undt schwer mit Crankheitt heimgesuchet, vndt das auch alle Menschliche mittel vmbsonst vndt verlohren sein, So habe ich eine Gelübtte dem höchsten getan das ich daferne Ihre Liebden von diessem lager wieder aufkommen, ich Ihnen zu ehren ein Armenhauß bauen, vndt zu Vnterhaltung deffelbigen Jahrlichen 6000 Reichsthaler verordnen will, so zu ewigen Zeiten von meinen Nachkommen dar zu stellen ausgefertigt werden. Des Befund habe ich diesses eigenhendig geschrieben vndt unterschrieben geben zu Berlin d. 4ten Mai Anno 1667. Friedrich Wilhelm.“

Aber ungeachtet jeder ersinnlichen Menschenhilfe und ärztlichen Pflege sank die Hoffnung auf das teure Leben immer mehr. Der Kurfürst wachte selbst öfter bei ihr und tröstete sie mit Schriftworten. Ehe sie zu schwach wurde, versammelte sie ihre Dienerschaft um sich, dankte ihnen für ihre Liebe und Treue, bat ihnen etwaige Beleidigung ab, empfahl sie der Obhut Gottes und der Treue ihres Gemahls. Herzzerreißend war ihr Abschied von den Kindern, bei dem nur sie in hoher Ruhe blieb. Sie übergab dieselben mit Genehmigung des Kurfürsten dem treuen Schwerin mit der Bitte, sie fern vom Hofe in seinem einsamen Altlandsberg zu erziehen, um von ihren Studien und Übungen nicht abgehalten und durch die Verleitungen des Hofes nicht irre gemacht zu werden. Darauf segnete und entließ sie dieselben.

Der Hofprediger Stosch kam täglich um vier Uhr Nachmittags zu ihr. Am siebzehnten Juni empfing sie ihn mit den Worten: „Es ist mir lieb, eines Dieners Christi Ansprach zu vernehmen. Den Prozess den der Herr mit Elia gehalten, worin er ihm einen Sturm, ein Beben der Erde und ein Feuer hat erfahren lassen, ist auch über mich ergangen; nun hoffe ich, es werde auch ein sanftes Sausen nachfolgen, Er werde mir mit Gnade und Hilfe erscheinen.“ Herzlich dankte sie Gott für seine Führungen während sie selbst nie mit sich zufrieden gewesen war. Stosch musste mit ihr aus dem zweiundzwanzigsten Psalm beten, sie fühlte sich sehr erquickt und bat um seine Wiederkehr am morgenden Tag, was sie vorher nie tat, da er immer pünktlich erschien.

Über Nacht hatte sie viel Linderung verspürt; Stosch drängte es, heute eine Stunde früher zu kommen. Als er eintrat bat sie ihn und die Andern zu beten. Er bat zuerst um leibliche Hilfe, als er fortfuhr, wenn Gott es anders beschlossen habe, und statt des Zeitlichen das Ewige darreichen wolle usw. da hob sie ihre gefalteten Hände höher und betete brünstiger. Als sie nach einiger Stille die Augen wieder aufschlug, fragte Stosch, ob sie fühle, dass Gott ihr gnädiger Vater sei, antwortete sie mit einem deutlichen Ja! Dann schlief sie ein und kurz vor sechs Uhr war unmerklich ihr Atem entschwunden. Regungslos lag sie schon eine Weile da, als Stosch den in sich versunkenen Fürsten ansprach: „Sie ist Ew. Durchlaucht wie eine Garde auf Wegen und Stegen gewesen; aber der Trost bleibt, dass die letzten Seufzer dieser frommen Seele künftig um Christi willen die Kraft eines täglichen Gebetes haben werden.“ Indessen hatte der Kurfürst die Hand seiner, wie man dachte, entseelten Gattin ergriffen, fühlte aber ganz deutlich einen dreimaligen Druck derselben. Dies war das letzte Lebenszeichen der im Herrn Entschlafenen. Sie war 39 Jahre 29 Wochen alt und zwanzig ein halb Jahr in der Ehe gewesen. Ihre Hülle ward, wie sie sich immer erbeten, sanft und stille abgebrochen. Zu ihrem Leichentext hatte sie sich erwählt Hiob 13,15: (nach reformirter Übersetzung): „Ob mich der Herr gleich töten wird, will ich doch auf ihn hoffen.“ Zugleich hatte sie Stosch beschworen, in dieser Predigt sich aller Schmeicheleien zu enthalten. Die Leiche wurde von den höchsten Dienern des Staates getragen und im Dome beigesetzt. Der Kurfürst und die Kinder folgten dem Sarge, weiterhin die zwölf Knaben und zwölf Mädchen ihres Waisenhauses. Alles ging zu Fuß in einer sackähnlichen, die ganze Gestalt verhüllenden Trauerkleidung. Neben ihrem Sarge stehen jetzt die Särge ihrer Söhne Karl Emil und Ludwig, welche in der Blüte der Jugend ihr in die Ewigkeit nachgefolgt sind. Die Denkmünzen auf ihren Tod stellen sie dar mit einer nur einfachen Reihe Perlen um den Hals, wie sie im Leben sie trug. Auf einer Denkmünze ist eine Kugel mit daraufstehendem Kreuz das zwei Engel stützen: wenn das Kreuz auf ihrem schwankenden Leben zu schwer werden wollte, so traten die Engel Gottes hinzu und dienten ihr. In einem sie darstellenden Gemälde ruft der Kurfürst vor ihr mit schmerzlicher Miene aus: O Louise, wie oft vermiss ich deinen Rat! Denn allerdings ist er oft mitten in einer Ministersitzung aufgestanden um sich bei ihr Rat zu erholen; sie war „klug wie die Schlange und ohne Falsch wie die Taube“ aber zornig auch fast wie der Löwe, wenn sie Ungerechtigkeiten, Schleichwege und Unwahrheit entdeckte im Übrigen voll Sanftmut, Demut, Geduld und Duldsamkeit, Treue und Gewissenhaftigkeit, mild gegen Andere, streng gegen sich selbst, täglich aus Buße und Glauben neue Kräfte des Liebens und Hoffens schöpfend.

Elisabetha Christina, Königin von Preußen, Gemahlin Friedrichs des Großen.

Die Gemahlin des größten Fürsten seiner Zeit, der eine Welt mit dem Ruhm seiner Waffen und seines Geistes erfüllte, war verurteilt, ihr Dasein zwischen dem einförmigsten Stillleben, das kaum über die Grenze ihrer Hauptstadt hinausreichte, und zwischen Dingen zu teilen, welche, wie das Äußerlichste und Leerste, so das Drückendste und Traurigste im fürstlichen Berufe sind. Eine Fürstin, welche fern von ihrem Gemahle nicht einmal in den Pflichten einer Mutter Ersatz finden sollte dafür, dass sie nichts sein durfte als das glänzende Scheinbild, die bloße Schaumünze königlicher Herrlichkeit, der Mittelpunkt aller eitlen Hofpracht, wie unglücklich wäre sie gewesen, wenn sie nicht hätte ein stilles Feld der Tätigkeit gefunden, dort, wo kein Glanz des Thrones und kein Ruhm des Geistes und keine Ehre der Waffen, nur die Liebe Jesu mit Tränen zu säen und mit Freuden zu ernten vermag.

Elisabetha Christina wurde den 8. November 1715 zu Wolfenbüttel geboren, und war die Tochter des Herzogs Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Bevern, nachher regierenden Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel, der mit seiner Nichte, der Herzogin Antoinette Amalie von Braunschweig-Blankenburg, vermählt war. Ihrer Mutter Schwester hatte, um den Kaiser Karl VI. heiraten zu können, 1707 den evangelischen Glauben abgeschworen. Ihr Großvater, Herzog Anton Ulrich, der „die Verantwortung dieses Schrittes vor Gott allein auf sich nehmen zu wollen“ erklärte, trat im Jahre 1710 selber noch im 81. Jahre zur katholischen Kirche über, ließ sich aber, als er schon nach vier Jahren auf dem Sterbebette lag, in seinem letzten Stündlein von evangelischen Predigern Trost zusprechen. Eine andere Schwester der Mutter unserer Elisabetha Christina musste sich mit dem russischen Großfürsten Alexei, dem unglücklichen Sohn Peters des Großen, aufs unglücklichste verheiraten. So unselige Folgen diese Seelenverkäuferei Anton Ulrichs hatte, so viel Unsegen er dadurch in sein Haus brachte, so mochten die Übertritte dieser Familienglieder die Übrigen gerade in ihrer Treue am evangelischen Bekenntnisse bestärken.

In der herzoglichen Familie herrschte eine wirklich religiöse Richtung, welche in der Prinzessin Elisabetha Christina für ihr ganzes Leben nachhaltig geblieben ist. Ihre frühesten religiösen Eindrücke erhielt sie im dritten Jahre an der Wiege ihres Bruders Ludwig Ernst. Kurz vor dessen Geburt sei ihr Vater zu ihr und dem älteren Bruder gekommen mit den Worten: „Kinder, eure Frau Mutter ist sehr krank, betet für sie, dass Gott sie stärken und erhalten wolle;“ wobei er mit ihnen niedergekniet sei und ein kurzes Gebet jenes Inhalts vorgesprochen habe. Nach ein paar Stunden sei er fröhlich wiedergekommen und habe sie ermahnt, Gott für die Stärkung und Erhaltung ihrer Frau Mutter und für den Bruder, den sie ihnen geboren habe, zu danken.

Der Herzog war von außerordentlich großer Gestalt, ein tüchtiger Soldat und tapfer, ein fleißiger, geordneter Haushalter, ein edelmütiger und rechtschaffener Mann lauter Eigenschaften, die ihm die Neigung des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen erwerben mussten, der von ihm zu sagen pflegte: „Er habe nur einen Freund auf der Welt, und das sei dieser Fürst.“ So ward es dem Wiener Hofe, der eine Verbindung Preußens mit England fürchtete, leicht, den König dahin bearbeiten zu lassen, dass er für seinen mit entsetzlicher Strenge erzogenen ältesten Sohn Friedrich die Prinzessin Elisabeth von Braunschweig zur Gemahlin erkor – natürlich ohne den Kronprinzen, den nachmaligen Friedrich den Großen, auch nur zu fragen. Der Kronprinz, der seine Braut noch nicht kannte, erhielt den 4. Febr. 1732 folgenden Brief von seinem Vater: „Ihr wisst, mein lieber Sohn, dass wenn meine Kinder gehorsam sind, ich sie sehr lieb habe, so wie Ihr zu Berlin gewesen, ich Euch alles von Herzen vergeben habe, und von die Berliner Zeit, dass ich Euch nicht gesehen, auf nichts gedacht, als auf Euer Wohlsein und Euch zu etablieren, sowohl bei der Armee als auch mit einer ordentlichen Schwiegertochter und Euch suche bei meinem Leben noch zu verheiraten. Ihr könnet wohl persuadiert((überzeugt)) sein, dass ich habe die Prinzessinnen des Landes durch andere so viel als möglich examinieren lassen, was sie vor Conduite (Betragen) und Education (Erziehung), da sich denn die Prinzessin, die älteste von Bevern, gefunden, die da wohl aufgezogen ist, modeste und eingezogen ist, so müssen die Frauen sein. Ihr sollt mir cito (schnell) Euer sentiment (Meinung) schreiben. Die Prinzessin ist nit hässlich, auch nicht schön, Ihr sollt keinen Menschen was davon sagen, wohl aber, der Mama schreiben, dass ich Euch geschrieben habe und wenn Ihr einen Sohn haben werdet, da will ich Euch lassen reisen; die Hochzeit aber vor zukommenden Winter nicht sein kann, indessen werde schon Gelegenheit zu machen, dass Ihr Euch etliche Male sehet in alle honneur (Ehren) doch damit Ihr sie noch lernet kennen. Sie ist ein gottesfürchtiges Mensch und dieses ist alles und comportable (verträglich) so wohl mit Euch als mit den Schwiegereltern, Gott gebe seinen Segen dazu und segne Euch und Eure Nachfolgers.“

Der Kronprinz versprach, sich dem unerbittlichen Willen des Vaters in Gehorsam zu fügen, während seine Mutter, die für eine englische Heirat eingenommen war, beständig in ihn drang, sich entschieden gegen diese Verbindung auszusprechen. Es gewährt einen tiefen Blick zum Voraus in das notwendige Unglück solcher auf äußere Berechnungen begründeten Verbindung, und nur mit Trauern kann der Christ es lesen, wenn der Kronprinz – von seinem Vater zu Religion und Gehorsam mit eben so roher als törichter Strenge angehalten, damit zur Heuchelei gezwungen und zum Freigeist erzogen – an seine Schwester schreibt: „Im Grunde hasse ich die Prinzessin nicht so sehr, als ich mir den Schein gebe; ich stelle mich, als könne ich sie nicht ausstehen, um meinen Gehorsam gegen des Königs Willen um so auffallender zu machen. Sie ist hübsch, hat eine Farbe wie Lilien und Rosen, feine Züge und ein wirklich schönes Gesicht; sie hat zwar keine Erziehung und kleidet sich sehr schlecht, aber ich schmeichle mir, dass wenn sie erst da ist, Ihr so gut sein werdet, sie zu bilden.“ An den Unterhändler seines Vaters schrieb er: „Ich habe keine Abneigung gegen die Prinzessin, sie ist eine gute Seele, ich kann ihr nicht böse sein, aber niemals kann ich sie lieben.“ Wirklich bezeigte sich der Kronprinz, als die Prinzessin mit den Ihrigen 1732 nach Berlin kam, so gegen dieselbe, dass man eine unglückliche Ehe weissagen musste, und der österreichische Hof, in seiner Furcht vor einer englischen Verbindung, um so mehr Allem aufbot, die Verlobung zu beschleunigen. Nie konnte aber auch Friedrich der Große dieses Freundschaftsstück dem Wiener Hofe verzeihen. Noch dazu fand dieser Hof bald darauf sich sogar dahin bestimmt, dem Londoner Hofe zu lieb, für den er indes gewonnen war, jetzt plötzlich die Verheiratung Friedrichs mit einer englischen Prinzessin anzusinnen! Entrüstet über solch ein Betragen antwortete der ehrenfeste König: „keine Vorteile in der Welt könnten ihn bewegen, seiner Ehre und seinem Fürstenworte einen solchen Schandfleck anzuhängen, und die in 24 Stunden zu vollziehende Hochzeit aufzuschieben oder gar zu verändern.“

So wurde die Vermählung am 12. Juni 1733 gefeiert. Der Abt Mosheim hielt am nächsten Sonntage die besonders verordnete Einsegnungspredigt über Psalm 112, 1. 2. lang und mager „von dem Segen des HErrn über die Ehen der Gerechten.“ Die italienische Oper aber führte „den Spiegel der Treue“ auf, Lustspiele, Hof- und Soldatenpracht mussten weltlichen Ersatz für den Mangel an menschlicher und göttlicher Freude an dieser Verbindung ersehen.

Die Herrschaften zogen nach Berlin, die Neuvermählte mit ihren Eltern, der Kronprinz an der Spitze seines Regiments; empfangen wurde die Kronprinzessin vom Hofe in Potsdam nach höfischer Sitte, und nur vom König aufrichtig und freundlich. Des Kronprinzen Schwester, die Markgräfin von Bayreuth, eine Frau von überlegenem Geiste, schildert die Neuangekommene als „groß, aber von schlechter Haltung und schlechtem Wuchse, von blendend weißer Haut, gehoben durch lebhafteste Farbe; die Augen von blassem Blau ohne viel Geist; der Mund klein; alle Züge niedlich ohne schön zu sein; das ganze Gesicht reizend und kindlich; die Haare blond und natürlich gelockt; aber alle diese Schönheiten durch schlechte, schwarze Zähne entstellt und das Benehmen von wenig Anstand, mit viel Unbehilflichkeit im Sprechen“ und so fort.

Da stand denn das arme Opfer, mehr auf eine Schlachtbank als auf einen Thron geführt; vom Gemahl ungeliebt, in ihrem tieferen Kern von Wenigen erkannt, in ihrer reinen Seele vom ganzen Hofe ungewürdigt, eine geduldete Dulderin fürstlicher Laune und höfischer Unnatur.

Die ersten Jahre ihres Ehestandes verlebte die junge Kronprinzessin mit ihrem Gemahle zu Ruppin und Rheinsberg. Ihr ganzes Leben hindurch hatte sie nur einen Wunsch, den Willen und Wunsch ihres von ihr über Alles bewunderten Gemahles zu wissen, zu erraten und zu erreichen. In ihren vielen Briefen an ihn ist sie immer „seine ganz ergebene, ganz gehorsame, ganz getreue Gemahlin und Dienerin Elisabeth.“ Derselbe erkannte dies immerhin an und ob er ihr auch nie in Liebe zugetan gewesen ist, so lebte er doch die zehn ersten Jahre ehelich mit ihr. Er erklärte einmal in einem vertrauten Briefe, er müsste der schlechteste Mensch auf der Welt sein, wenn er sie nicht wahrhaft schätzen würde, denn sie sei so gar sanften Gemütes, suche bis zum Übermaß sich ihm gefällig zu machen, schon von weitem ihm mit dem zuvorzukommen, was ihm angenehm sein könnte, und sei so gelehrig, wie man es nicht mehr sein könne.

Der Kronprinz teilte seine Beschäftigungen ein in nützliche und angenehme. Zu letzteren gehörte die Musik, das Schauspiel, die Mummerei1 ›im Zusammenhang mit Fasnachtfeiern, Festen inszenierter Aufzug, Umzug Verkleideter‹; generell: ›aufwendige Lustbarkeit, kurzweiliges Spiel, buntes Treiben, Narretei‹; und Schmauserei. Den ernsthafteren und nützlichen, nämlich der Philosophie, Geschichts- und Sprachenkunde, den Wissenschaften, die ihn zu seinem künftigen Berufe fertig machen und ihm glänzende Musterbilder dafür darreichen konnten, gab sein großer Geist immer den Vorzug. Auch die Kronprinzessin war an die Unterhaltung mit Gelehrten schon am Hofe ihres Großvaters gewöhnt, aber freilich von Voltaire hatte sie kaum sprechen hören und den Bayle hatte sie nicht gelesen. So ließ sich die gute Seele ihrem Manne zu lieb von ihrem französischen Lehrer dasjenige bezeichnen, was sie ohne Anstoß in Bayle, dem Zweifler und Spötter lesen konnte, und bald hieß es boshaft genug zum Lohn für solche Hingebung: Friedrich und seine Gemahlin wüssten zusammen jenes große Werk auswendig, weil die unschuldigen Artikel, welche die Kronprinzessin am besten kannte, diejenigen wären, welche der Prinz am wenigsten lese. Doch sie tat ihr Bestes, las die alten Klassiker, trieb französisch, besuchte in ängstlicher Rücksicht das deutsche Theater nicht, das ihr Gemahl nicht beschützte, wechselte Briefe, übte die Kunst des Malens, Zeichnens und Radierens, legte für den Kronprinzen auf dessen Wunsch oftmals Bitten beim gestrengen königlichen Herrn Vater ein, der ihr immer wohlwollend, wenn auch öfters abschläglich antwortete und es besonders gnädig aufnahm, wenn sie ihm Braunschweiger Mummenbier, Würste und dergleichen Gegenstände aus der Hauswirtschaft mit der Versicherung übersandte, dass sie sich alle mögliche Mühe für ihr Hauswesen gebe, wofür der König ihr wieder Wildpret, Austern, eine neue Büchse zum Scheibenschießen und gelegentlich Erlaubnis und Vorspann-Pferde zu einer Winterreise nach Berlin sendet.

Ihre kindliche Einfalt konnte freilich nie dem hohen und starken, durch eine tote, dürre Rechtgläubigkeit von Christentum und Kirche zurückgeschreckten, an Voltaire und Bayle genährten Geiste Friedrichs genügen, sie musste froh sein, wenn er sie als gutes Kind gewähren ließ. Es ist rührend, mit welcher Treue und Liebe sie dann an ihm hing, zu seinen Gunsten beim Vater vermittelte und diesen versicherte, wie er an dem Kronprinzen einen so guten und ergebenen Sohn habe, dass sie unglücklich sei, wenn sie höre, der König bezeige sich ihm nicht so gnädig als er’s verdiene, und dass sie es für die größte Gnade gegen sie selbst achte, wenn er dem Prinzen nur ein wenig sein Wohlwollen schenken wolle.

Letzteres geschah denn auch immer mehr und in dem Grade, als die Kronprinzessin zur Herstellung des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn beitrug, so wie in dem Maße, als in der Umgebung Friedrichs ihre weltliche und höfische Bildung fortschritt, gestaltete sich ihr eheliches Verhältnis freundlicher und selbst dahin, dass man sogar einmal von einem Einfluss der Kronprinzessin auf ihren Gemahl sprechen konnte.

Da starb der König in Potsdam nach viermonatlicher Krankheit den 31. Mai 1740. Der kleine Rheinsberger Hof hatte mit Ungeduld auf die Todespost gewartet und begrüßte nun die Prinzessin, welche die Todesnachricht am frühen Morgen erhalten hatte, nachdem die Oberhofmeisterin ihr vorsorglich ein niederschlagendes Pulver gereicht, feierlich als Königin, „die Bezeigungen des Mitleids waren kurz, aber desto länger die Glückwünsche.“ Achtzig Postpferde führten die junge noch nicht fünfundzwanzig Jahre alte Königin mit ihrem Tross nach Berlin. Die Tore der höchsten Ehren dieser Erde taten sich ihr auf, um ihr für immer das irdische Glück zu verschließen. Wie auf jenem römischen Grabsteine konnte über den Ehrenpforten, durch die sie zum Throne emporstieg, die Inschrift stehen: „Ich habe den Hafen gefunden, lebe wohl Hoffnung und Glück!“

Friedrich stellte die ihm aufgedrungene Gemahlin dem versammelten Hofe im Schlosse zu Berlin mit den Worten vor: „Das ist Ihre Königin.“ Er ließ es nicht an einem angemessenen Hofhalt für sie fehlen. Auch für einen glänzenden Schmuck der jungen Königin wurde gesorgt, sie durfte den dritten Edelstein in Europa ihr Eigentum nennen. Bald nach der Thronbesteigung schenkte der König seiner Gemahlin das Lustschloss Schönhausen. Nun war sie versorgt; sie hatte Alles, nur keinen Gemahl.

Nie durfte sie denselben auf Reisen begleiten, in mehr als fünfzig Jahren hat sie Berlin kaum dreimal verlassen, auch ihr Geburtsland nie wieder gesehen. Nach Sanssouci, dem geistigen Herrschersitze des gekrönten Philosophen kam sie niemals, nur einmal war sie in Potsdam. Auch ihr geliebtes Rheinsberg sah sie nur noch einmal wieder, als sie im Jahre der Thronbesteigung ihrem Gemahl dorthin folgte; das war zugleich das einzige Mal, dass sie, außerhalb Berlin, noch längere Zeit mit dem Könige in einem Hause gelebt hat.

Die Gemahlin Friedrichs des Großen verlebte ihre besten Stunden zu Schönhausen in frommer Betrachtung, in wissenschaftlicher Beschäftigung und in stillem Dulden. Mit dem Glanze der Krone war ihr das wenige Glück entschwunden, dessen sie als Kronprinzessin in dem vertrauteren Umgange mit ihrem vielgeliebten und einzig verehrten Gemahl genossen hatte. Kindersegen war ihr von Gott nicht beschert.

So vertrauerte sie ihr Dasein gleich einer Witwe einsam und nicht einmal einsam, wie ein stilles Gemüt als letzten Trost es sich wünschen mag. Der Königspalast mit seinen rauschenden Festen und prunkenden Bräuchen gab ihr keinen Frieden und ließ ihr keinen Frieden.

Man begegnete der Königin mit Ehrerbietung; aber auch das nicht einmal von allen Seiten. Schmerzlich empfand ihr zartes Gemüt die Entfernung ihres Gatten, doch bewahrte sie bei aller Wehmut darüber ihre Liebe zu dem Könige, dessen Herz sie nicht anzuklagen vermochte, während sie in den Ränken und Zettelungen, welche in der Familie ihr und ihrem Glücke entgegenwirkten, die Hauptschuld ihres Unglücks suchen musste. Die Kriege, welche der König führte, entfremdeten das königliche Paar so völlig, dass sie sich endlich auch an dieses Verhältnis gewöhnte. Ihrer innern Würde sich bewusst, ertrug sie die äußern Ehren, welche der König ihr Gemahl ihr als einer „dem Staate unentbehrlichen Person“ wiederfahren ließ. Sie spielte die ihr auferlegte Rolle selbstlos in treuer Hingebung.

Die Königin war übrigens nicht einmal im Stande, mit dem ihr zugewiesenen Gelde auszureichen; sie musste Anlehen machen; der König, der ihre Sparsamkeit anerkennen musste, war dann wohl auch so billig, ihre Schulden zu bezahlen, so oft die Staatseinkünfte nämlich es gestatteten. Da suchte die arme Frau selbst durch das Spiel in der Lotterie ihre Lage zu verbessern, damit sie ihre Schulden ohne Belästigung ihres Gemahls tilgen könnte. Aber das Glück war ihr nicht günstig.

Im Übrigen war der König in seinen Briefen an sie so zärtlich, als man in Briefen nur sein kann. Er zeigte sich in Krankheitsfällen teilnehmend für sie besorgt, gab ihr Ratschläge und sandte z. B. als ein offener Fuß sich schließen wollte, plötzlich ein eigenhändiges Schreiben an den Doktor Müzell, worin er sagt, „er vernehme mit äußerster Betrübnis, dass es mit der Königin bedenklich stehe, wenn nicht schnelle Hilfe komme; er ersuche ihn unverweilt, sich mit zwei andern vorzüglichen Ärzten in Berlin zu beraten und nicht zu vergessen, dass es sich um eine sehr teure, für den Staat, für die Armen und für ihn unentbehrliche Person handle.“ Stets dankte er ihr auch verbindlich für Aufmerksamkeiten, gab ihr immer die ersten Nachrichten vom Schlachtfelde, ließ sich bei seiner siegreichen Heimkehr ihre zärtlichste Bewillkommnung gefallen und feierte die Festlichkeiten mit, die sie hin und wieder in ihrem Palaste an Geburtstags- oder Friedensfeiern gab; denn sie war ja diejenige, der er nicht böse sein konnte und welche er brauchte, um den Hof des Landes halten und die Ehren seines Hauses vor der Welt darstellen zu lassen.

Wenn aber Mitglieder der Familie und fremde fürstliche Frauen zu Zeiten in Potsdam vom Könige empfangen und feierlich bewirtet wurden, so wurde die Königin niemals dazu eingeladen. War er einmal krank in Potsdam, so verging sie in Sorge, aber sie durfte es nicht wagen, ihn zu besuchen, kaum, um die Erlaubnis zu einem Besuche zu bitten. Sie konnte nur aus der Ferne für ihn wünschen, hoffen und beten. Selbst bei Taufen der Prinzen und Prinzessinnen, welche in Potsdam stattfanden, war die Königin nicht anwesend. Ihr fünfzigjähriges Ehejubelfest (12. Juni 1783) wurde weder bei Hof noch im Lande gefeiert. Eine dazu bestimmte Gedächtnismünze wurde nicht geprägt, nur in Kupfer gestochen. Ein schlechter Holzschnitt dagegen, der die eheliche Wiedereinsegnung des Königs und der Königin darstellen sollte, wurde gleich beim Erscheinen verboten und daher sehr teuer verkauft.

Niemals besuchte der König ihr Schönhausen. Sie musste von den Herrlichkeiten in Potsdam und Sanssouci so viel hören, manch eine erzählte ihr recht geflissentlich und boshaft von dem Paradiese, vor dessen Pforten der böse Geist Voltaires mit beißendem Schwerte Wache hielt, dass sie es nicht einmal sehen durfte; sie musste getrennt leben von ihrem Herrn und Gemahl, den sie so liebte, dem sie ihr Leben opfern wollte. Ach warum mussten die Tage von Rheinsberg für immer vorbei sein, warum musste sich Alles so ändern, klagte sie; aber das versprach sie sich selbst: „mein Herz soll sich niemals ändern, ich werde für Ihn immer dieselbe sein und nur die Hoffnung, es werde sich wieder zum Bessern ändern, erhält mich noch aufrecht.“

Vom Könige verlassen, sah sie sich auch sonst vereinsamt und missachtet. So viele gingen nach Potsdam und blieben um den König mit Widerwillen, sie, die dort ihr höchstes Glück gefunden hätte, musste wegbleiben und allein sein. In zweiundzwanzig Jahren war der König nur zweimal bei dem Geburtsfeste seiner Gemahlin anwesend. In der Regel war seine einzige Aufmerksamkeit für diesen Tag, dass er einige Tage vorher oder nachher nach Berlin kam, und Geschenke mit einigen Zeilen sandte, die sie dann unaussprechlich glücklich machten.
Wenn sie nun z. B. am Vermählungsfeste ihrer Schwester in grünsamtnem über und über mit Diamanten besäten Prachtgewande erscheinen musste, vier Hofdamen die ganz mit Edelsteinen besetzte Schleppe trugen, ihr ganzer Kopfputz überall mit diamantenen Haarnadeln geziert war und „der dritte Edelstein Europas“ sich auf ihrem Haupte erhob, „wie die Sonne mitten unter ihren Sternen,“ wenn dazu die Höflinge rühmten, die Schönheitsgöttinnen selber schienen ihren Putz und Anzug geordnet zu haben, wenn sie auf goldenen Prunkgefäßen im Werte von 1.300.000 Talern mit zu Abend aß – wenn an großen Soldatenschauspielen die Armee alle ihre Ehrengrüße vor der Königin entfaltete – war das Ersatz für verlorenes Liebesglück und verlorene Lebensfreude?

Nachdem ein treues Herz, in das sie das ihrige ganz ausschütten konnte, dessen Ruhm und Liebe ihr Leben verherrlichte, nämlich ihr Bruder Ferdinand, das geliebteste Glied ihrer eigenen, zärtlich geliebten Familie auf dem Felde der Ehre gestorben war, blieb ihre Schwester, die Prinzessin von Preußen, ihr die treuste und zärtlichste Freundin an ihrem eigenen Hofe. Immer jedoch schlugen ihr auch andere Herzen warm entgegen; sie war so glücklich Liebe geben und nehmen zu dürfen.

Über Alles aber stand ein Herz ihr offen, das nicht bricht, wenn alle brechen, das nicht stirbt, wenn alles Irdische schwindet und verblüht. „Stütze dich auf mich und glaube, hoffe, lieb und fürchte mich,“ sprach Der, welcher überm Staube alles Irdischen steht, auch zu dieser frommen Seele. Ihre Lieblingsbeschäftigung war das Lesen erbaulicher Schriften und um „desto tiefer in den Geist derselben einzudringen, den Sinn der Verfasser ganz zu erschöpfen und sich ihren Inhalt völlig eigen zu machen“, übersetzte sie mehrere derselben ins Französische, unter andern die Schrift: „Der Mensch, Gottes Freund“, „Sturms Betrachtungen auf alle Tage der Woche“, Spaldings „Bestimmung des Menschen“, Crugotts „der Christ in der Einsamkeit“. Sie widmete diese geistigen Erzeugnisse ihres Stilllebens ihren Geschwistern und nahen Verwandten, selbst einigen Frauen ihrer Umgebung, ihrem Gemahl sie zu widmen, unterstand sie sich nicht, kaum wagte sie die neu erschienenen Werke ihm zu übersenden. In den Büchersälen von Potsdam finden sie sich nicht vor, nicht einmal sind sie in der Berliner königlichen Bibliothek vorhanden, und die vorhandenen sind nicht unmittelbar von ihr dahingekommen. Diesen Werken fügte sie besondere Vorreden bei, die wie die Zueignungsschriften selbst von dem innern Leben der Königin zeugen. Unter der Vorrede ihrer Übersetzung von Gellerts Oden und Liedern unterschrieb sie sich als „eine wahre Freundin des menschlichen Geschlechtes.“ Gellert war überhaupt ihr Lieblingsschriftsteller und sie freute sich immer, mit ihm in einem Jahre geboren zu sein. In der Vorrede zu ihrer Übersetzung von Sturms „Betrachtungen über die Werke Gottes im Reiche der Natur und der Vorsehung“, die sie in hohem Alter vollendete, unterzeichnete sie sich mit ihrem alten Rheinsberger Namen ihrem Gemahle zu lieb, der sich von seinem dort gestifteten Orden le Constant, der Beharrliche nennen ließ, hieß sie sich Constance, „die Beharrliche,“

Sie hatte es empfunden und erfahren: „Durch Stillesein und Harren werdet ihr stark sein.“ Sie war glücklich genug, dass der Gemahl, mit dem sie nicht gemeinsam das heilige Feuer auf dem Altare des Herrn in und außer ihrem Hause hüten konnte, auch ihr doch die Erlaubnis ließ, „nach ihrer façon selig zu werden.“

Während das Berliner Königshaus sich zur reformierten Lehre bekannte, blieb sie dem lutherischen Bekenntnisse treu. Sie suchte in ihre Umgebung auch Ehrenfrauen ihres Bekenntnisses zu bekommen. Es war damals in Berlin noch alte Zucht und kirchliche Sitte; vornehm und gering pflegte des öffentlichen und häuslichen Gottesdienstes. Darin ging die Königin ihrem Hofe und ihrer Hauptstadt rühmlichst voran. Die Kirche wurde von ihr immer fleißig besucht; fast alle Sonntage wurde in Gegenwart des Hofes Gottesdienst in ihren Gemächern gehalten. Drei bis vier Mal des Jahres genoss sie mit dem Hofe das Mahl des Herrn. Zu ihren liebsten Predigern gehörte Spalding, der Prediger einer „richtig erkannten und warm gefühlten Religion“, Teller, Töllner, Sack, Ermann. Ihre Gottesfurcht, ihre christliche Mäßigung bei allen den Zerstreuungen, denen sie sich als Hofhalterin des Königs unterziehen musste, ihre Menschenliebe, Gerechtigkeit, Seelengüte dienten namentlich den bessern Familien vom Adel zu leuchtendem Beispiel. Die würdigsten lutherischen Geistlichen wählte sie zu ihren Beichtvätern. Es war nicht die übliche Schmeichelei, wenn man sie eine Königin nach dem Herzen Gottes nannte und es öffentlich rühmte, wie viel Gutes für Verstand, Religion, Herz, Sitten und Wohlfahrt in allen Ständen durch ihr hohes Beispiel und tätige Wirkung gegründet und befördert wurde.

„Erhalte die Mutter dieses Landes, welche in der Not für uns gebetet“, flehten die Israeliten in der Friedenspredigt von 1763 für ihre Königin.

Ihre Frömmigkeit war eine helle und freudige ohne Einseitigkeit und Empfindelei. Schon ihre Beschäftigung mit den besten Schriftstellern des Altertums, sowie ihre rege Teilnahme an sonstigen Förderungen des öffentlichen Wohles bewahrte sie davor. Sie setzte der Realschule in Berlin eine Summe für Freischüler aus, die noch jetzt ausbezahlt wird. Am Rande des schönen Tannen und Buchenwäldchens in ihrem Schönhausen legte sie eine Siedlung von Ausländern, meist Böhmen an, die kleine Ortschaft heißt noch jetzt Königin-Plantage oder Schönholz. Für die Kinder der Ansiedler gründete sie eine Freischule. Sie sorgte angelegentlich für Förderung des Waldanbaues in der sandigen Gegend zum Besten des Landes und der angrenzenden holzbedürfenden Untertanen. Die lebhafteste Teilnahme bezeugte sie der menschenfreundlichen Anstalt für Taubstumme, welche der Doktor Eschke in Schönhausen gründete.

So war ihr Glaube in Liebe tätig. Von den ihr ausgesetzten 41.000 Talern wandte ihre Milde jährlich vierundzwanzigtausend Taler der Armut zu. Lieber entzog sie sich selbst etwas, um nur dem Notleidenden einigermaßen helfen zu können. Die Königin hatte eine Lieblingsneigung für vorzügliche Perlen. Einst bot man ihr einen Halsschmuck davon zum Kaufe an, wie sie selbst noch keinen schöneren gesehen hatte. Unentschlossen ließ sie den Schmuck bei sich liegen. In einer einsamen Stunde, in welcher nur wenige Kammerfrauen sie umgaben, fiel das Gespräch auf die kostbaren Perlen. Die Königin besah sie nochmals mit vielem Vergnügen und mit lächelndem Munde sprach sie zu den Umstehenden: „Ob ich sie wohl kaufe?“ „Ihro Majestät können es ja,“ sprachen diese. „Sie geben Andern so viel, warum sollten Sie diese Summe nicht an Ihr eigenes Vergnügen wenden?“… „Nehmet sie hinweg,“ antwortete die hohe Frau, „dass ich sie nicht mehr sehe! Sie gefallen mir, aber für das Geld, das sie kosten würden, kann ich noch vielen Armen Gutes tun.“

Es war ihr so schmerzlich, wenn sie Bittschriften, die gewöhnlich in großer Menge bei ihr einliefen, ankommen sah, ohne dass sie im Stande war, alsbald helfen zu können, denn das wusste sie, dass, wer bald gibt, doppelt gibt und späte Hilfe oft gar keine ist. Sie hörte immer ungern von ihren Wohltaten sprechen, sie gab im Verborgenen und wollte die Linke nicht wissen lassen was die Rechte tat.

In ihrem eigenen Unglücke war sie glücklich im Glücke Anderer. Es machte ihr die höchste Freude, ihren schönen Schlossgarten von recht vielen fröhlichen Menschen belebt zu sehen. Schien ihr der Garten leer, so fürchtete sie alsbald, eine Eigenmächtigkeit der Dienerschaft sei schuld und ließ öfters ausdrücklich dem Türhüter sagen, doch ja jeden Menschen in ihren Garten einzulassen. Leutselig und freundlich sprach sie mit den ihr Begegnenden. Aufs Liebreichste unterhielt sie sich mit den taubstummen Zöglingen des Doktor Eschke.

So war der Hauptzug in ihrem Charakter innige, herzliche Frömmigkeit, die sie in demütigem Wohltun und Dulden bewährte. Die Leidenschaft, die Feindseligkeit, der Neid, das giftige Spiel der Ränke war aus ihrem stillen Kreise verbannt, ihre fromme Seele bot keinen Boden für solche Drachensaat. Immer war sie in Beschäftigung, die nie ermattet und sie rühmte noch im hohen Alter das unschätzbare Glück, dass sie sich früh gewöhnt habe, tätig zu sein, sich Kenntnisse zu sammeln und Fertigkeiten zu verschaffen, die sie in den Stand setzten, sich in der Einsamkeit zu beschäftigen. Ihre Büchersammlung, ihr Schreibtisch, der Genuss der Natur und künstliche Handarbeiten füllten die Zeit aus, die ihr von den Bräuchen und Festen des Hofes, vom Gottesdienste und Wohltun übrig blieb. Kein Wunder, dass sie, die also Liebe säte, auch Liebe erntete. Mit reinem Gewissen konnte sie am Ende ihrer Laufbahn sagen: „Gott hat mich gnädig bewahrt, dass ich mir keine Handlung vorzuwerfen habe, durch die irgend ein Mensch mit meinem Wissen an seinem Glücke gelitten hätte.“

Ihr Leben war Leiden und Lieben; Lieben aber und Leiden ist Gottes Art. Wahrhaftig, ihres Lebens Zweck war doch nicht verfehlt!

Nachdem mancher Tod ihr manches Leid gebracht, kam ihr am Morgen des 17. August 1785 die Botschaft vom Tode des großen Königs, dessen Liebe und Bewunderung sie unwandelbar in treuem Herzen trug. Sie war tief erschüttert und ganz Trauer über den großen Toten, dem sie in ihrem Gemüte nichts zu vergeben hatte. Nachdem den Anforderungen des Hofbrauches genügt war, trat sie zurück aus dem öffentlichen Leben. Mit aller Würde hatte sie 46 Jahre lang den Hof des Landes gehalten und den ersten Platz der Ehre nach dem König und für den König eingenommen, es war ihrem demütigen, gottesfürchtigen Sinne eine Luft, auf dem zweiten Range die ersehnte Ruhe zu finden. Der neue König wie das ganze Land bewahrte ihr die Verehrung, die ihr Gemahl ihr in seinem von ihm selbst geschriebenen Testamente vom 8. Jan. 1769 vermachte. „Der Königin, meiner Gemahlin,“ so heißt es darin, „vermache ich zu ihren bisherigen Einkünften noch eine jährliche Zulage von 10.000 Talern, zwei Fass Wein jährlich, freies Holz und Wildpret für ihre Tafel. Ihre Residenz mag Stettin dem Namen nach sein. Doch fordere ich zugleich von meinem Neffen, ihr eine anständige Wohnung im Berliner Schlosse frei zu lassen; auch wird er ihr jene Hochachtung beweisen, die ihr als der Witwe seines Oheims und als einer Fürstin, die nie vom Tugendpfade abgewichen, gebührt.“

König Friedrich Wilhelm II. besuchte oftmals seine Muhme, und mit ihr den Gottesdienst in Schönhausen, nahm bei ihr das Mittagsmahl ein und wusste im Jahre 1793 vom Kriegsschauplage heimkehrend, gerade an ihrem Geburtstage in Berlin wieder einzutreffen. Auch von fremden Gesandten wurde ihr fortwährende Aufmerksamkeit zu Teil.

Im Jahre 1790 war Elisabetha Christine fünfzig Jahre Königin gewesen. Der Tag ging bei Hofe ohne besondere Feierlichkeit vorüber; sie feierte dafür im selbigen Jahre ihren fünfzigjährigen Besitz von Schönhausen.

Bis in ihr höchstes Alter nahm sie lebhaften Anteil an den Angelegenheiten der Familie und den Ereignissen der Zeit. In Schönhausen, in Charlottenburg und Berlin war sie bei den Festlichkeiten zugegen, nur nach Potsdam kam sie auch als Witwe niemals. Die Geister von Sanssouci hatten kein Teil an ihrer kindlichen Seele.

Zehn Jahre vor ihrem Tode setzte sie ihren letzten Willen in deutscher Sprache auf, die ihr freilich gar nicht geläufig war. Ihr ganzes Wesen spiegelt sich in der Art, wie sie über ihre Bestattung bestimmte. „Wahn ich aus dieser Wehlt Wehrde sein und meine Sehle in der Glücksehliegen Ewigkeit, so ist meine Wille, das man meinen Körper nicht öffnen sol und mir anlassen mein nacht Neglische und darüber in einen Laken schlagen und in Leinewahnd kleiden, und auf dehm kopf ein Nacht Kopzeug, Welges ich auch des Morgens auf habe, Mein sarg sol ganz schegt ausgeschlagen Wehrden und ganz ordinären sarg von Eigenholz oder schwarz Gebeitz mit versilberte simple Griffe. Ich verlange Das man mir nicht in Parade sezet Und auch von keinem Menschen mich sehen lassen, als vor diejenigen, die es nicht verhüten können, bey mir zu sein, auch nicht zu frue Begraben wahn es sein kan und angeht 8 Tage nach meinem Tode. auch ist mein Wille, Gang in der stille Begraben zu Wehrden, Meine Hofstat kan mir folgen; man kan mir hintragen, Wahn es nicht zu Beschwerlig vor die Träger ist, weil es ganz nahe Bey dehn Dohme ist, kan ich getragen Wehrden, sonst auch Wehn man Wil, auf einem Wagen gesetzt Wehrden, und ist mein Wille und letzete Bitte keine öffentliege Zeremonie Machen. Möchten.“

So hatte sie Alles geordnet und der milde Bote des Friedens durfte sie heimrufen, wann er wollte. Nur zwölf Tage dauerte ihre letzte Krankheit. Noch musste sie den von ihr sehr geliebten zweiten Sohn des Königs vor ihr heimgehen sehen. Zu denen, die ihr Hoffnung zur Wiederherstellung machten, sagte sie: „Ich habe lange genug gelebt, ich habe der Güte Gottes viel zu danken. Nun kann ich mir und Andern durch länger Leben wenig mehr nützen. Jenseits wird mir wohler sein.“ Mit mütterlicher Herzlichkeit gab sie kurz vor ihrem Tode den treuen Gefährtinnen ihres Alters den letzten Segen; sie wusste, „diese werden sie nicht vergessen.“ Sie entschlummerte am 13. Jan. 1797 Abends nach 8 Uhr in einem Alter von 81 Jahren. Ganz wie sie es angeordnet, wurde ihre irdische Hülle am 20. Januar 1797 Abends 8 Uhr in die stille Gruft der Domkirche beigesetzt. Ihre schönste Grabschrift mögen wir lesen in der Zueignung der von ihr (1777) verfassten kleinen Schrift: Neujahrs-Gedanken und Betrachtungen über die Sorgen, welche die Vorsehung für die Menschen trägt und über die Wege voll Güte, auf denen sie dieselben leitet. Ich weiß, o Herr,“ sagt sie zum Schlusse, dass ich bisher in Deinem Bunde und unter Deinem Schutze war. Nichts ändert Dein Mitleid gegen mich, Du trägst mich mit Vaterhänden, Du führst mich auf Deinen Wegen nach Deinem Rat und nimmst mich endlich zu Ehren an, ja Du nimmst mich nach vollendetem Laufe verklärt in Deine Freude auf.“

Hedwig, Herzogin von Schlesien.

geb. 1174. gest. 1243.

Ihr Vater war der berühmte Herzog Berthold IV. von Meran, ein Enkel Kaiser Arnulfs, aus Karls des Großen Hause; seine Besitzungen erstreckten sich von den Ufern des adriatischen Meeres bis zum Fichtelgebirge. In unzähligen Klöstern rühmten zahlreiche Mönche den Edelmut, die Andacht und den frommen Eifer der Fürsten dieses Hauses.

Geboren im Jahre 1174 wuchs Hedwig unter den Beispielen dieser fürstlichen Frömmigkeit und unter den Erzählungen von den Leiden und Freuden Gott-verherrlichter Heiligen heran, und ihre Mutter durfte sich an der Bescheidenheit, an dem brennenden Eifer zu frommen Übungen und an den innigen Gebeten ihrer jungen Tochter erbauen. Schon in ihrem zwölften Jahre (1186) wurde sie mit dem achtzehnjährigen Sohne des Herzogs von Schlesien, Boleslaus des Hohen, einem Jüngling voll Feuer und Heldenkraft, wie voll Frömmigkeit und adeliger Sitte, verheiratet.

Die junge Hedwig war in dem schönen Breslau, das eine der schönsten bischöflichen Hauptkirchen hatte, geliebt vom Gatten, hochverehrt vom Volke, angebetet von den Armen, denen sie zahllose Wohltaten spendete. Sie hatte drei Söhne, die zwei jüngeren arteten leider schnöde aus, desto mehr hing ihr Herz an dem ältesten Sohne, dem milden, frommen und edlen Heinrich. Im Jahre 1201 bestieg ihr Gemahl den Thron seines Vaters. Er ließ ihr jetzt ganz freie Hand zu ihren klösterlich frommen und barmherzigen Werken. Unter ihren Händen bekam das noch rohe Schlesien bald ein freundlicheres Ansehen, und nach wenigen Jahrzehnten war kein Teil desselben, in dem nicht, meist auf ihren Betrieb, Kirchen, Klöster und prachtvolle Münster erstanden wären. Hedwig zog den strengen und ernsten Zisterzienser-Orden ins Land und baute mit ihrem Gemahl fünfzehn Jahre lang an dem großartigen Kloster Trebnitz, das auf tausend Nonnen berechnet war. So weit war ihr Tun ein Segen für sie und ihr Land.

Nun aber ließ sie sich von dem damals allgemein verbreiteten Wahne gefangen nehmen, dass völlige eheliche Enthaltung das schönste Opfer frommer Ehegatten sei. Sie beredete nicht ohne große Mühe ihren sonst für fromme oder fromm geltende Dinge sehr empfänglichen Gatten zur Einwilligung, und beschwor mit ihm in die Hände des Bischofs von Breslau ewige Keuschheit (1208). Von da an lebte sie fern von ihrem geliebten Gemahl in der Stille des Klosters zu Trebnitz heiligen Übungen und Gebeten. War sie früher hart, so wurde sie jetzt grausam gegen sich. Sommers und Winters ging sie barfuß im härenen Gewande, Wasser war ihr Trank, Hülsenfrüchte ihre Speise. Sie rührte auch davon nichts an, bevor sie dreizehn Armen zur Ehre Christi und der Apostel mit gebogenen Knien Speise dargereicht hatte. Ihre einzige Gesellschaft waren ihre Töchter und die Nonnen. Bloß wenn Armen oder Verunglückten geholfen werden sollte, oder wenn sie bei einem wohltätigen Plane Unterstützung brauchte, oder wenn sie Frieden stiften konnte, verließ sie die Schwellen des Klosters. Heinrich ließ zum Zeichen seiner frommen Trauer Haar und Bart wachsen, wovon er den Namen des Bärtigen erhielt. Selbst dazu ließ er sich bereden, in der Blüte seiner Jahre sein Land unter seine Söhne zu verteilen und sich ganz Gott und der Religion zu weihen.

Da nun Heinrich der ältere Sohn einen besseren und größeren Teil erhielt, war die Fackel des Krieges unter die Brüder geworfen. Nachdem der unzufriedene Sohn Konrad von Heinrich besiegt war und in einem Walde vom Pferde stürzend den Hals gebrochen hatte, übernahm der Vater wieder die Regierung.

Gegen Hedwigs Rat mischte er sich vollends in die Angelegenheiten von Polen. Aus der Gefangenschaft, in welche er dadurch kam, befreite ihn bloß der Mut und die Liebe seiner Gemahlin, die ihrem Lande den von ihrem Sohne zur Befreiung des Vaters bereits gegen Polen beschlossenen Krieg ersparen wollte, indem sie mit Tränen und Bitten den Feind bezwang und mit klugem Geiste seine Forderungen befriedigte, namentlich ihre beiden Enkelinnen den zwei Söhnen des Polenherzogs zur Ehe versprach. Die Hochzeiten wurden gehalten, aber Hedwig blieb während derselben unter beständigen Entbehrungen in ihrer einsamen Zelle. In diese verschloss sie sich auch, als der Leichnam ihres (1238) verstorbenen Gemahls nach Trebnitz gebracht wurde und alles Volk ihm klagend entgegen zog. Sie wollte durch nichts Irdisches in der Betrachtung des Ewigen unterbrochen werden.

„Es sei unrecht, den göttlichen Ratschlüssen sich zu widersetzen!“ rief sie mit gelassenem Gemüte und unverändertem Angesicht den weinenden Klosterfrauen zu.

Bald nachdem ihr Sohn den Thron bestiegen, brachen die furchtbaren Tartarenhorden in Schlesien ein, nachdem sie in Polen überall rauchende Brandstätten und gräuelvolle Wüste hinterlassen hatten. Die deutschen und polnischen Heerscharen stellten sich unter Heinrich auf der Wahlstatt (bonus campus) bei Liegnitz entgegen am 9. April 1241. Schlimme Vorbedeutungen und düstere Ahnungen der Mutter begleiteten den heldenmütigen, frommen Herzog in die Schlacht. Die Tartaren unter ihren grauenerregenden Götzenpanieren erfochten nach furchtbarem Verluste mit ihren zahllosen Scharen einen vollständigen Sieg, aber es gelüstete sie nach keinem zweiten, sie zogen sich für immer zurück. Heinrich, beinahe schon gerettet, nachdem er am längsten ausgehalten, ward von einer Lanze durchbohrt und sein abgeschlagenes Haupt auf einem Spieße unter dem Siegesgeheul der Tartaren davongetragen.

Hedwig wurde, während Alles in Tränen zerfloss und voll Furcht und Warten der Dinge war, weder durch die Nachricht von der verlorenen Schlacht, noch durch die Botschaft vom Tode ihres geliebtesten Sohnes erschüttert. Das Antlitz der Witwe, der nur eine Tochter in ihrem Kloster übrig war, zeigte keine Spur von Trauer, sie dankte mitten unter dem Jammer der Ihrigen Gott, dass sie durch seine Gnade einen Sohn geboren habe, der nach einem frommen Leben, während dessen er sie nie betrübte, sein Blut für die Religion und das Vaterland so freudig vergossen habe. Was war doch das für eine Zeit, in der es solche Frauen gab!

Hedwig, bereits siebenundsechzig Jahre alt, fühlte freilich ihre Kraft nach solchen schrecklichen Erlebnissen gebeugt, aber sie wurde jetzt wo möglich nur strenger gegen sich. Einmal noch trat sie aus ihrem Kloster, um ihrem lieben Schlesien den Frieden mit Polen zu schenken. Bald darauf wurde sie krank. Fasten, Nachtwachen und Kasteiungen hatten ihren fast ausgedörrten, völlig gelb gewordenen Körper zermartert. Zwei und ein halbes Jahr nach der Vernichtungsschlacht bei Liegnitz starb sie den 15. Oktober 1243, unter beständigem Anrufen des Namens Jesu. Unter den Tränen ihres Volkes, das allein ihrem Gebete den Rückzug der Tartaren verdankte, ward ihr im Tode verklärter Leib zu Trebnitz bestattet.

Für die Bildung Schlesiens hatte sie Unendliches geleistet; Klöster, Kirchen, Dörfer und Städte waren ihr Werk. Sie war die Wohltätigkeit und Uneigennützigkeit selber. In jener durch Teuerung, Hunger und Krieg entsetzlichen Zeit unterstützte sie die Scharen von Armen mit fast verschwenderischer Hand. Mit grenzenloser Aufopferung pflegte sie sorgfältig die Kranken und Elenden im Volke und erbarmte sich der Unglücklichen aller Art. Kein Bekümmerter verließ ungetröstet ihre Schwelle. Voll Friedensliebe war sie stets fertig, das Evangelium des Friedens zu treiben; eine Seele ohne Falsch gegen Freund und Feind, konnte sie nur mit dem einzigen Worte tadeln und strafen: „Möge Gott dir gnädig sein!“

Ihr Ruhm erscholl durch ganz Europa; ihr Grab war von Wundern verherrlicht; der Papst Clemens IV. sprach sie dreiundzwanzig Jahre nach ihrem Tode heilig.

Elisabeth von Thüringen

Elisabetha von Ungarn, Landgräfin von Thüringen und Hessen.

geb. 1207. gest. 1231.

Gertrud von Meranien, fromm und männlich wie ihr Gemahl, König Andreas von Ungarn, gebar demselben im Jahre 1207 zu Preßburg eine Tochter, die bestimmt war, eine der berühmtesten und gottseligsten Frauen der deutschen Vorzeit zu werden. Elisabetha war der Taufname des Kindes. Schon in ihrer zartesten Kindheit, als dreijähriges Mädchen, zeichnete sie sich durch Züge des Mitleidens gegen Arme aus, während in ihr junges Herz die vorgesprochenen Gebete, die Unterweisung im Glauben als lebendige Samenkörner fielen. Sage und Dichtung verherrlichten wetteifernd schon die ersten Jahre der frühreifen Elisabeth als eines Wunderkindes.

Landgraf Hermann von Thüringen, ein mächtiger und trefflicher Fürst, ließ für seinen Sohn Ludwig um das Königskind werben, und der Sänger Klingsohr versäumte nicht, nach eigener Anschauung die Reichtümer des Grafen, die Fruchtbarkeit seiner Lande und das Glück seines Volkes zu schildern, das viel Bier trinke und schönes Weißbrot esse. Die kleine, nicht mehr als vier Jahre alte Elisabeth wurde denn auch dem jungen Ludwig versprochen, in ein gold- und silbergesticktes seidenes Gewand eingehüllt, in eine Wiege von gediegenem Silber gelegt und von der weinenden Mutter den Thüringern übergeben. Mit Geschenken und Kostbarkeiten beladen, brachten die Brautwerber die Verlobte glücklich nach Eisenach. Der Landgraf mit seiner Gemahlin eilte von der Wartburg herab, und am folgenden Tage wurde vor Hof und Bürgerschaft die vierjährige Prinzessin feierlich mit dem elfjährigen Prinzen Ludwig verlobt, den sie von da an nie mehr verließ und den sie fortan ihren Bruder nannte.

Einen tief ernsten Eindruck machte auf sie die grausame Ermordung ihrer jungen Mutter durch die eigenen Untertanen, denen sie ihr Leben preisgab, um ihren Gemahl vor den Verschwörern zu retten. Gewiss bildete dieses schreckliche Ereignis den dunklen Grund ihres ganzen Lebens und ihrer absonderlichen Frömmigkeit. So oft sie nur konnte, ging sie in die Schlosskapelle, legte sich am Fuße des Altars hin, und obwohl des Lesens noch nicht kundig, ließ sie sich ein großes Psalmbuch öffnen, faltete die Hände, blickte zum Himmel auf, um nach Kinder Weise gar eifrig zu beten. Gewann sie etwas im Spiele mit andern Kindern, so gab sie es armen Mädchen mit der Auflage, dafür eine Anzahl Vaterunser zu beten. Selbst die Streiche, die sie ihren Gespielinnen spielte, hatten eine religiöse Beziehung. Alles Geld, das sie von ihren Schwiegereltern erhielt oder ihnen ablocken konnte, teilte sie den Armen aus, alle Überbleibsel von Speisen, die sie in den Küchen und Gewölben habhaft werden konnte, brachte sie armen Hungrigen, zum großen Verdruss der landgräflichen Hausbeamten. Zu ihrem Lieblingsheiligen erkor sie den jungfräulich zarten und reinen Johannes.

Früh übte sie sich in freiwilligen Entbehrungen. An Sonn- und Festtagen ließ sie einen Teil ihres fürstlichen Putzes zur Seite. Mitten im Spiele, wo sie am glücklichsten war, konnte sie aufhören. Obwohl eine große Freundin des Tanzes, begnügte sie sich doch stets mit einer einmaligen Runde.

In ihrem neunten Jahre starb der Vater ihres Verlobten. Nun kam sie unter den Einfluss seiner Mutter, der Landgräfin Sophie, einer Tochter des Bayernherzogs Otto von Wittelsbach, welche diesen frühzeitigen Übungen absonderlicher Frömmigkeit des Kindes gram war und sie dem Spotte des Hofes um so mehr aussetzte, als sie eine Vorliebe für den Umgang mit schlichten Eisenacher Bürgerskindern, ja mit den Töchtern von Dienstfrauen und armen Leuten zeigte. Es sei nichts Fürstliches an ihr, sie tauge nur zu einer Kammerfrau oder Magd, hieß es.

Unerträglich war es der Landgräfin, dass an einem hohen Feste Elisabeth, neben ihr vor dem Bilde des Gekreuzigten in der Kirche kniend, die Krone vom Haupte nahm, auf den Betstuhl legte und sich ohne allen Kopfschmuck zur Erde niederwarf. Bittere Scheltworte erpressten wohl bittere Tränen, aber vermochten Elisabeth nicht, von ihrer Weise zu lassen. Nun wurde sie Gegenstand förmlicher Verfolgung am Hofe, man riet, sie nach Hause zu senden, eine solche Begine (Betschwester) tauge nicht zur Fürstin; die Landgräfin wollte sie in ein Frauenkloster zwingen; Agnes, die in allen Reizen weltlicher Schönheit strahlende Tochter der Landgräfin, meinte, eine Dienstmagd wäre an ihr verdorben.

Elisabeth hatte Niemand an dem fremden Hofe, dem sie ihr Leid klagen konnte, als ihren Gott, und nur zu den Füßen des Gekreuzigten durfte sie ihren Schmerz ausweinen; ihre einzige Gesellschaft blieben die Kammerfrauen und armen Mädchen, gegen die sie ihre Freundlichkeiten verdoppelte.

Gegen alle Erwartung blieb der junge Landgraf seiner Verlobten in der Stille treu. Ihre Bescheidenheit, ihre Geduld, ihre Mildtätigkeit war sein geheimes Glück. Er verfehlte nicht, in einsamen Stunden sie mit freundlichen Worten aufzurichten, von jeder Reise ihr einen Beweis seiner herzlichen Zuneigung mitzubringen. Am St. Kilianstage des Jahres 1218, als er sein achtzehntes Jahr zurückgelegt, ließ er sich in der St. Georgskirche zu Eisenach zum Ritter schlagen, das folgende Jahr führte er Krieg gegen den Erzbischof von Mainz, und im Jahre 1220 feierte er in fürstlicher Pracht seine Vermählung auf der Wartburg. Ludwig zählte zwanzig, Elisabeth dreizehn Jahre. Nach allen Nachrichten war er ein nach Körper und Geist gleich ausgezeichneter Jüngling.

Er wusste als Landgraf Zucht, Sitte und Religion zu üben und zu schützen, sein liebster Gang war in die Benediktinerabtei zu Reinhardsbrunn, wo er sich seine Grabstätte ausersehen. Dort besuchte er regelmäßig zuerst das Kranken- und Pilgerhaus, tröstete die Siechen und spendete reichliches Almosen. Aus Enthaltsamkeit aß er nie gesalzene oder gewürzte Gerichte, ganz gegen damalige Fürstenfitte tranf er niemals Bier, und nur wenn er krank war, Wein. Er war einer der stärksten und ritterlichsten Männer seiner Zeit: einen losgewordenen Löwen bändigte er durch bloßes Drohen mit Faust und Stimme. Zudem war er voll guter Sitte gegen die Frauen, voll Leutseligkeit gegen Untergebene, und gegen Jedermann bewies er jene edle Höflichkeit, welche sein Zeitgenosse, Franz von Assisi, so schön die Schwester der Liebe nennt. Nur eine Leidenschaft hatte er, die Gerechtigkeitsliebe. Unerbittlich war er gegen die, welche Recht und Wahrheit beugten, die Armen bedrückten, Ungebührliches taten oder sprachen; persönliche Beleidigung gegen ihn selbst vergab und vergaß er. Neben dieser Milde und Schlichtheit war er aber ein weiser und staatskluger Herr, trotz seiner Jugend. Thüringen blühte unter diesem Fürsten, dessen Wahlspruch war: „Fromm, keusch, gerecht,“ und der hiermit auf seltene Weise den ritterlichen Sinn mit dem priesterlichen verband.

Für einen solchen Mann war Elisabeth, „die fromme, die keusche und die liebe,“ wie sie in den Chroniken genannt wird, das von Gott erwählte Weib. Sie wird als eine vollkommene Schönheit geschildert, das rundliche Angesicht bräunlich und hold, ihr Haar schwarz, ihr Wuchs unvergleichlich schlank und voll Anmut, ihr Gang ernst und voll Adel, ihre Augen ein Sitz der Zärtlichkeit, der Spiegel ihrer schönen Seele. So steht sie noch jetzt in Holz gebildet hoch an einer Säule der Elisabethenkirche zu Marburg, in der Linken das Modell ihrer Kirche haltend, rechts einem Armen zu ihren Füßen Almosen spendend.

Mit ihrer feurigen Liebe zu ihrem jungen Gemahl verband sie eine kindliche Ergebung und eine zärtlich-gehorsame Aufmerksamkeit auf jeden Wink. Dafür ließ Ludwig sie in ihren milden Werken gewähren, munterte sie auf und half dazu; nur wenn ihr Eifer zu weit gehen wollte, warnte er die Folgsame mit liebender Vorsicht.

Mit schonender Liebe trug er ihre selbsterwählten klösterlichen Übungen, die sie sich nach damaliger katholischer Weise auflegte. Jede Nacht nämlich verließ sie, während ihr Gemahl schlief oder zu schlafen schien, ihr Lager, um neben demselben niederzuknien. Oft bat sie der erwachende Gatte, ihrer zu schonen, ja er nahm sie an der Hand und hielt sie, bis sie sich wieder niedergelegt hatte. Ein heiterer Zug ist, wie sie, um ihre Gebetsstunde nicht zu verschlafen und ihren Mann nicht zu stören, ihrer vertrautesten Kammerfrau befahl, sie zur Zeit durch ein Zupfen am Fuße zu wecken, die Dienerin aber einmal sich irrend den Landgrafen an der Zehe fasst, dieser plötzlich erwacht, aber, die Ursache der Störung merkend, sich wieder geduldig zur Ruhe legt.

Auch in der Ehe fuhren die beiden, von frühester Jugend an einander gewöhnten Gatten fort, sich Bruder und Schwester zu nennen. Sie begleitete ihn fast auf allen Reisen. Ging er zu weit fort, als dass sie hätte mitgehen können, so legte sie ihren fürstlichen Schmuck ab, zog Witwenkleider an, verhüllte sich das Haupt und erwartete seine Heimkunft in Gebet, Wachen und nonnenhaft strengen Bußübungen. Mit kindlicher Freude ging sie dem Heimkehrenden in fürstlichem Schmucke entgegen, Alles aufbietend, ihm wohlzugefallen um Gottes willen. Es stieß schon damals gegen die Sitte der Vornehmen an, dass bei Tische die Gemahlin zur Seite ihres Herrn sitze, sie aber ließ sich das Vorrecht der Liebe schlechterdings nicht nehmen, und wusste durch ihre Anwesenheit dem leichtfertigen Tone der Hof- und Weltleute einen Zügel anzulegen.

So war sie auf dem Gipfel des irdischen Glückes. Aber als ob sie dem Kreuze zuvorkommen wollte, das der Herr seinen Lieblingen aufzulegen nicht vergisst, „weil sie ohne dasselbe sind wie eine Braut ohne Kranz,“ suchte sie in selbsterwählter Geistlichkeit über Gebot und Not sich Opfer aufzulegen, und das wirft uns über dieses herrliche Frauenbild einen sehr trüben Schatten, den wir freilich mit der Sitte ihrer Zeit und der Lehre ihrer Kirche entschuldigen müssen. Sie strebte ihr Fleisch abzutöten durch Nachtwachen, durch stetiges Tragen eines härenen Hemdes auf bloßem Körper, durch Geißelhiebe auf den bloßen Rücken jeden Freitag und die ganze Fastenzeit hindurch, später sogar in jeder Nacht, um „damit dem Heilande, der ebenfalls gegeißelt wurde, einige Vergeltung anzubieten!!“ Dabei übte sie sich übrigens, nicht sauer zu sehen, immer heiter und freundlich zu sein, allen Hoffesten und Bräuchen abzuwarten. Auf den Rat ihres Beichtvaters aß sie bei Tafel nichts von solchen Gerichten, welche durch den Schweiß der Untertanen und nicht durch den Ertrag ihrer eigenen Güter bestritten wurden, so dass sie oft hungrig und durstig von dem reichbesetzten Fürstenmahle aufstand und sich mit einem Stück Schwarzbrot begnügte! Fand sie in den Küchen und Speisegewölben nur solche Speisen, die sie für erlaubt hielt, so konnte sie kindlich froh in die Hände klatschen und rufen: „Heute geht’s gut, heute dürfen wir essen und trinken!“ Sie war damals noch nicht sechzehn Jahre alt. Einst ging sie an einem großen Festtag in Edelsteinen strahlend, das Haupt mit der landgräflichen Krone geschmückt, von ihrer Schwiegermutter und zahlreichem Gefolge begleitet, von der Wartburg nach Eisenach hinab in die Kirche. „Da hängt dein Gott nackt am Kreuze, und du, unnütze Kreatur, bist mit kostbaren Gewändern bedeckt; Sein Haupt durchstechen Dornen, und das deine schmückt eine goldene Krone!“ so sprach sie, sank ohnmächtig zusammen und gelobte von Stund‘ an, auf allen Schmuck zu verzichten, außer wo ihr Rang oder ihr Gemahl es gebot, dann aber unter dem fürstlichen Gewande das wollene Kleid und das härene Bußgewand zu tragen.

Während sie also gegen sich hart war, floss ihr Herz über von Liebe und Barmherzigkeit gegen die Unglücklichen. Allen ihren Überfluss, alle Ersparnis widmete sie den Armen, manchmal ihre eigenen Kleider. Wichtiger noch als dieses war die persönliche Hingabe, die sie mit kindlicher Einfalt und Heiterkeit übte. Kamen Kranke mit Bitten, so erkundigte sie sich nach ihrer Wohnung, um sie besuchen zu können. Kein Weg war ihr zu weit, keine Hütte zu schmutzig und dumpf. Erquickung und Aushilfe brachte sie selber mit, mehr als ihre Gaben galt ihr sanftes, liebreich tröstendes Wort. Schulden tilgte sie aus ihrer eigenen Kasse. Die neugebornen Kinder armer Wöchnerinnen nahm sie mütterlich auf, die Armen hüllte sie in selbstverfertigte Kleider, hob sie aus der Taufe, um ein Recht zu haben, ihnen stets die Mitmutter zu sein. Starb einer ihrer Armen, so kam sie, wenn es irgend möglich war, und wachte bei der Leiche, hüllte sie eigenhändig (oft in die eigenen) Betttücher ein, war beim Begräbnis zugegen und folgte demütig dem dürftigen Sarge des Letzten ihrer Untertanen.

War sie auf ihrem Schlosse, so verwandte sie ihre Stunden auf mühsame und nützliche Arbeiten. Sie spann mit ihren Ehrenfräulein Wolle und verarbeitete sie selbst zu Kleidern für Arme. Um zu erfahren, wie Armenkost schmecke, ließ sie ihre Mahlzeit aus einfach ohne Salz und Würze gekochtem Gemüse bestehen, das sie dann mit großer Freudigkeit aß.

Entdeckte sie die Spur irgend einer Gewalttätigkeit oder eines Unrechts gegen die armen Landleute, so zeigte sie es alsbald ihrem Gemahle an, oder suchte selber das Unrecht wieder gut zu machen, so weit es ihre Mittel erlaubten. Sie überbrachte ihnen Geld, Lebensmittel und Kleidungsstücke. Einst stieg sie so belastet in Begleitung einer ihrer vertrauten Frauen einen kleinen, sehr rauen Weg, den man noch heute zeigt, hinunter und trug unter ihrem Mantel Brot, Fleisch, Eier für die Armen. Plötzlich stand ihr Mann, von der Jagd heimziehend, vor ihr und fragte die gebückt Einhergehende: „Lass sehen, was du trägst.“

„Rosen,“ antwortete sie, „um mir einen Kranz zu machen.“ Er aber zog mit den Worten: „Lass sehen die Rosen,“ den Mantel der sich Sträubenden zurück und sah lächelnd und erstaunt die Bescherung, die ihm schöner als der schönste Rosenstrauch am Busen seiner Getreuen dünken musste. Die Sage ließ auch wirklich die sieben Sachen wunderbarer Weise vor seinen Augen in Rosen verwandelt werden! Die Maler und Bildhauer bildeten sie daher vielfach mit Rosen in ihrem Mantel ab, noch heute sieht man Rosen in großer Zahl um ihre Kirche zu Marburg und auf der Wartburg selbst.

Die erste Stelle an ihrem Herzen nahmen die Aussätzigen ein. Es war eine so furchtbare Krankheit des Mittelalters, man hielt diese Kranken als von Gott gezeichnet und schied sie von der christlichen Gesellschaft aus. Elisabeth aber ging, wo sie einen sah, zu ihm hin, tröstete ihn, sprach heitern Mut zu, hieß ihn den Segen dieses Kreuzes erkennen und beschenkte ihn. Einst traf sie einen dieser Unglücklichen, der noch dazu an einer ekelhaften Kopfkrankheit litt. Sie ließ ihn, dessen kein Mensch sich annahm, in einen abgelegenen Teil ihres Baumgartens bringen, schnitt ihm selbst die Haare ab, wusch und verband ihm den Kopf auf ihrem Schoße. An einem grünen Donnerstage wusch sie einer großen Anzahl Aussätziger Füße und Hände und küsste kniend ihnen Wunden und Geschwüre. Einmal nahm sie einen entsetzlich kranken Aussätzigen, dem Niemand zu nahen wagte, zu sich, badete ihn, salbte ihn mit heilsamen Ölen und legte ihn in ihr eigenes Bett, zum Entsetzen der Schwiegermutter und des heimkehrenden Gemahls, der sich aber besänftigte, als er begriff, „wie der Herr in seinen kranken Gliedern aufgenommen und gepflegt werde.“ Den tiefen Eindruck, den dieser Auftritt auf den Landgrafen gemacht, benützte Elisabeth, um von ihm die Erlaubnis zu erbitten, dass sie ein Krankenhaus am Abhange der Wartburg bauen dürfe. Hier verpflegte sie denn achtundzwanzig Kranke oder Altersschwache, welche nicht bis zum Schlosse emporsteigen konnten. Jeden Tag besuchte, speiste und tränkte sie die armen Pfleglinge, denen zu lieb sie gerne selber die Ärmste werden wollte.

Bezeichnend für ihre kindliche Einfalt ist das Gespräch, das sie in einer schlaflosen Stunde mit ihrem Gemahle hatte. „Ich wünschte,“ sprach sie, „dass wir nur für einen Pflug Ackerland hätten, wovon wir lebten, und etwa zweihundert Schafe, dann könntet Ihr ackern, während ich die Schafe hütete.“ Laut über den kindischen Einfall lachend, erwiderte der Landgraf: „Ei, liebe Schwester, wenn wir so viel Land und Schafe hätten, so wären wir, wie mich dünkt, nicht gerade sehr arm, gar viele Leute würden da uns noch viel zu reich finden.“

In vertraulichen Stunden im Frauen-Zimmer legte sie wohl auch ihre schönen Kleider ab, hüllte sich in einen elenden Mantel und zerrissenen Schleier und spielte wie ein Kind vor ihren Frauen die arme, um Brot bittende Bettlerin. „So werde ich umhergehen,“ sprach sie mit prophetischem Wort, „wenn ich durch Gottes Willen arm und elend sein werde.“

Ihre ganze Art zu sein hing, wie bereits bemerkt, mit der menschlichen und kirchlichen Sitte ihrer Zeit zusammen, und darf daher nicht mit unserem Maßstabe gemessen werden. Wenn man in den alten Jahrbüchern liest, wie das damalige Geschlecht ein gott-inniges, natürliches, von jeder gemachten Rührsamkeit freies Gemütsleben hatte, dass selbst die eisernen Männer, die unüberwindlichen Helden, Herzen in ihrem Busen trugen weich und ungekünstelt wie die Kinder, dass Fürsten und Ritter, ja ganze Heere tiefgerührt in Tränen zerschmolzen, wie die Recken des Nibelungenliedes, wie Gottfried von Bouillon mit den ersten Kreuzfahrern am eroberten heiligen Grabe, wie Richard Löwenherz beim Anblicke Jerusalems so kann es nicht Wunder nehmen, wenn ein Wesen wie Elisabeth der einfachen, starken Empfindung sich kindlich hingab und die Lebensbeschreiber dieses zarten, liebeseligen Gemütes ganz besonders die ihr zu Teil gewordene himmlische „Gabe der Tränen“ rühmen. Kam noch die einseitige, auf leibliche Abtötung und irdische Heiligkeit gerichtete Lehre und Zucht der mittelalterlichen Kirche hinzu, so wird auch die in unsern Augen offenbare Übertreibung und Überspannung dieser kindlich frommen Seele begreiflich und bedeutungsvoll.

Elisabeth gab sich willenlos willig allen diesen Geboten ihrer Kirche und Gefühlen ihrer Zeit hin. Sie flog zur Kirche, sagt eine alte Handschrift von ihr, wenn man die Glocken anzog; sie legte, vor dem Altare kniend, allen Schmuck von sich; die Fastenzeit, die Passionszeit war ihr die Zeit der tiefsten Demütigung, nur im Bettelrock und in dürftigen Sohlen oder barfuß wallte sie zum Grab des Erlösers, nachdem sie die Nacht durchwacht hatte; ihr Platz war dann mitten unter dem ärmsten Volke, dem sie in Demut ihre Almosen verteilte. Sie ging in der Nachfolge des armen Lebens Christi an der Hand ihres Freundes, des heiligen Franz von Assisi, des reichen italischen Kaufmannssohnes, der vom Vater verstoßen, von seinen Mitbürgern mit Hohn und Kot bedeckt, sein letztes Gewand ablegte, um in seiner vollendeten Armut Dem, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege, die Welt zu erobern. Wie derselbe Alles, Mann und Frau, jenseits und diesseits der Alpen, in die Bahnen der freiwilligen Armut zog, so war Elisabeth, eine der Ersten, Stifterin eines Franziskanerklosters in Eisenach, und ein Franziskanerbruder musste ihr Beichtvater sein. Sie war die Erste, welche sich dem von Franziskus gestifteten „dritten Orden“ anschloss, der den Gliedern das Bleiben in ihrem weltlichen Stande und bürgerlichen Berufe erlaubte und daher die damalige halbe Welt in sich schloss. Zum Dank für die dem Orden geleisteten Dienste, zur Anerkennung ihrer selbstgewählten Demut und freiwilligen Armut musste der Heilige „seiner deutschen Tochter“ den armen, alten Mantel von seinen Schultern übersenden, der ihr köstlichster Juwel blieb, nachdem sie Alles, Alles hergegeben.

Ihr zweiter vom Papste ihr zugewiesener Beichtvater war der Dominikaner Konrad von Marburg, der ihr folgende Verhaltungsregeln vorzeichnete: 1. Ertrage geduldig Verachtung in freiwilliger Armut. 2. Lass dir die Demut am Herzen liegen. 3. Lass fahren menschlichen Trost und die Lüfte des Fleisches. 4. Sei barmherzig gegen den Nächsten. 5. Habe Gott stets in deinem Herzen und in deinen Gedanken. 6. Danke Gott dafür, dass Er dich durch seinen Tod von Hölle und Tod erlöst hat. 7. Weil Gott so viel für dich erlitten, so trage auch du dein Kreuz geduldig. 8. Weihe dich nach Leib und Seele ganz deinem Gotte. 9. Erinnere dich oft, dass du das Werk der Hände Gottes bist, und bestrebe dich daher, dass du auf ewig mit Gott vereinigt werden könnest. 10. Was du willst, dass dir die Menschen tun, das tue ihnen auch. 11. Denke immer daran, wie kurz das Leben ist, darum strebe immer nach dem himmlischen Leben. 12. Bereue stets deine Sünden und flehe zu Gott um Vergebung derselben. – Elisabeth fügte für sich das Gelübde immerwährender Enthaltsamkeit hinzu für den Fall, dass sie Witwe würde.

Jeder Christ wird den evangelischen Kern dieser Vorschriften erkennen und in seiner Weise sich dieselben anzueignen trachten. Elisabeth hatte ihrem Konrad von Marburg das Gelübde des unbedingten Gehorsams abgelegt. Streng und unbeugsam erleichterte er ihr nicht im Geringsten das Joch. Einst ließ er sie zu einer Predigt rufen; da aber eben ihre Schwägerin auf Besuch bei ihr war, ging sie nicht hin. Unwillig über diesen Ungehorsam ließ er ihr sagen, er wolle sich ferner mit ihrer Seelsorge nicht mehr befassen. Elisabeth eilte zu ihm, beschwor ihn, er möchte ihr verzeihen. Er schlug es ihr ab. Sie warf sich ihm zu Füßen, aber nur nach langem Zögern und unter Auflegung herber Buße erhielt sie Verzeihung.

Im Jahre 1223, als sie sechzehn Jahre alt war, wurde Elisabeth zum ersten Male Mutter auf dem Schlosse Kreuzburg. Der Landgraf erhielt zu Marburg die Kunde von seinem Erstgebornen, eilte nach Kreuzburg und ließ zum Andenken daran die steinerne Brücke bei Kreuzburg bauen, die noch heute steht. Das Jahr darauf genas sie einer Tochter. Zwei weitere Töchter, von denen die eine, Gertrud, nach dem Tode des Vaters geboren wurde, nahmen, von ihrer Wiege an Gott geweiht, den klösterlichen Schleier. Gleich nach jedem Wochenbette ging Elisabeth mit dem Kinde auf den Armen, barfuß in wollenem Kleide, den rauen Pfad hinab zur Katharinenkirche, um es dem Herrn darzubringen.

Während nun Ludwig mit der Kraft seines Armes über dem Rechte seiner Untertanen waltete und ritterlich den Bedrückten zu Hilfe eilte, fand Elisabeth in einer schrecklichen Hungersnot, die über Deutschland und Thüringen hereinbrach, ein reiches Feld der barmherzigen Liebe. Das hungernde Volk aß wilde Früchte und Wurzeln, das Aas von toten Pferden und Eseln, ja der schmutzigsten Tiere, und doch verhungerte eine Unzahl. Jetzt wurde die Wartburg zum Spital. Elisabeth ließ alles bare Geld verteilen, alle Vorratskammern öffnen zu sorgfältiger Austeilung für die tägliche Notdurft; in allen Öfen des Schlosses wurde Brot gebacken, täglich labte sie neunhundert Unglückliche. Zu den Gebrechlichsten trug sie die Überbleibsel der Tafel selber hinab. Zwei neue Hospitäler wurden gegründet und täglich ging die Fürstin Morgens und Abends den langen rauen Weg hinunter, um die Kranken von Bett zu Bett zu besuchen und ihnen selber die widerlichsten Dienste zu leisten. Sie reichte den abstoßendsten Kranken mit eigener Hand die Nahrung, machte ihnen das Bette, trocknete sie mit ihrem Schleier ab in unverwüstlicher Heiterkeit. Bei allem natürlichen Widerwillen gegen Krankenluft blieb sie in der Hitze des Sommers ohne Ekel in den verpesteten Krankensälen, während ihre Frauen murrten oder ohnmächtig wurden.

In einem dieser Pflegehäuser hatte Elisabeth eine besondere Anstalt für arme, verlassene und verwaiste Kinder gestiftet, denen sie ihre besondere Zärtlichkeit zuwandte. So oft sie erschien, hiengen sich Alle an ihre Kleider und riefen: „Mutter! Mutter!“ Dann mussten sie sich um die Fürstin hersetzen, die ihnen kleine Geschenke austeilte und ihren Zustand untersuchte. Die elendesten und ekelhaftesten Kranken pflegte sie auf ihrem Schoße.

Die übrige Zeit des Tages durchzog sie die Umgebung der Wartburg, um Almosen und Lebensmittel zu bringen, die ärmlichsten Hütten mit eigenen Augen zu durchforschen und die geringsten Dienste zu tun. Eines Tages bat ein Kranker, der zu schwach war seine Kuh zu melken, kläglich um etwas Milch. Alsbald eilte die Fürstin in den Stall, wo ihr freilich das an eine stärkere Faust gewöhnte Tier auch gar nicht gehorchen wollte.

Besonders gern trat sie an das Bette der Sterbenden, um tröstend und betend ihren Kampf zu lindern und den letzten Seufzer mit schwesterlicher Liebe wegzuküssen. Wo immer möglich, begleitete sie die Hingeschiedenen zu Grabe, nachdem sie mit selbstgewobener oder aus ihrem Vorrate genommener Leinwand sie umhüllt hatte. Einmal gab sie ihren eigenen Schleier dazu her. Sie litt es nicht, dass man die Reichen in kostbare Stoffe einwickelte, man sollte alte Stoffe nehmen und den Wert der neuen an die Armen verteilen.

Nicht minder wandte sie den armen Gefangenen ihre Liebe zu. Sie besuchte dieselben, kaufte die in der Schuldhaft befindlichen frei, verband die von den eisernen Fesseln verursachten Wunden, betete auf den Knien für ihr Heil.

Ihr einziger Ersatz für die ruhelose Tätigkeit war der Friede Gottes in ihrem Herzen, ihre einzige Erholung war das Dankgebet zu ihrem Gott, der ihr verstattete, diese armen Mitmenschen, seine liebsten Freunde, aufzunehmen und zu verpflegen.

Und nicht bloß der nächsten Nähe, dem ganzen Lande galt ihre mütterliche Sorgfalt. Alle Einkünfte des Landes mussten ausschließlich zur Linderung der Hungersnot verwendet werden, alle ihre Edelsteine und Kleinodien verkaufte sie zum Besten der Unglücklichen. Ihr Gemahl war abwesend; so war in ihrer Person die barmherzige Liebe Regentin des Landes.

Diese Vorkehrungen dauerten bis zur Ernte des Jahres 1226. Nun versammelte Elisabeth alle arbeitsfähigen Armen, gab ihnen Sicheln, neue Hemden und Schuhe zur Arbeit. Denen, die zu schwach dazu waren, teilte sie eigenhändig Kleider aus. Jedem Armen gab sie eine kleine Summe Geldes mit nach Hause, fehlte es ihr daran, so teilte sie ihre Gewänder aus mit dem Befehle, sie zu verkaufen, aber dann auch nach Kräften zu arbeiten; denn „wer nicht arbeite, solle auch nicht essen.“

Mit dankbarer Liebe hielt solche Tätigkeit der Mund des Volkes fest, der noch bis in die neuere Zeit der Orte ihrer stillen Großtaten, des Elisabethenbrunnens, des Elisabethengartens, des Liliengrundes, der Armenruhe und des Elisabethentales gedachte. Mit herzlichster Liebe aber erkannte ihr vom kaiserlichen Kriegszuge heimkehrender Gemahl die treue Pflegerin seines Landes an und beschwichtigte die über ihre Verschwendung klagenden Beamten. „Wenn sie mir nur Wartburg, Eisenach und Naumburg bewahrt, das Übrige wird uns Gott wieder erstatten.“ Er wusste: „Almosen geben armet nicht.“

Im Jahre 1227 schloss sich der Landgraf als Feldoberster des mittleren Deutschlands dem Kreuzzuge Kaiser Friedrichs II. an. Es war ein herzzerreißender Abschied von Land und Weib. Sie konnte ihn nicht verlassen, mit Gewalt riss er sich endlich los und sie kehrte, in Tränen zerfließend, halb tot in die Wartburg zurück. Ihr ahnte, er werde nimmer wiederkommen; sie legte sogleich Witwenkleider an.

An der südöstlichen Spitze Italiens sammelte sich das mächtige Heer gegen Ende August, nachdem es wohlgemut die Alpen überstiegen. In Brundusium ging Ludwig mit dem Kaiser zu Schiffe, kaum aber an Bord angekommen wurde er von einem kalten Fieber befallen. Er fühlte bald die Nähe des Todes, ließ seinen letzten Willen niederschreiben, beichtete, nahm die Sterbsakramente und sah freudig der letzten Stunde entgegen. Ohne Seufzer und Tränen schied seine fromme Seele von hinnen. Ein ungeheurer Schmerz aber ergriff die Seinigen, als sie ihm ins verklärte Antlitz schauten. Wehklagen erfüllten die Lüfte: „das Licht unserer Augen, den Führer unseres Zuges haben wir verloren. Wehe, wehe uns!“

Indessen hatte Elisabeth ihr viertes Kind geboren, man konnte die langsam zur Heimat ziehende Hiobspost der verwitweten Mutter nicht ansagen, bis endlich die alte Landgräfin Sophie, die bei diesem Anlasse wieder mütterlich zu der Gemahlin ihres Sohnes sich neigte, es übernahm, sie darauf vorzubereiten. Erst meinte Elisabeth, der Landgraf sei gefangen, und hoffte auf seine Befreiung durch ihren Vater. „Sei geduldig, liebe Tochter, er ist leider gestorben!“ „Ach, Herr Gott, nun ist Alles, Alles für mich tot!“ rief die Unglückliche mit krampfhaft gefalteten Händen und erstickter Stimme. Leichenblass, halb von Sinnen lief sie durch die Hallen und schrie: „Gestorben, gestorben, gestorben!“ Sie war wie von Sinnen, lief wider eine Mauer und hielt sich an ihr, in Tränen zerfließend. „Nun hab‘ ich Alles verloren! Ach, ich trostlose Witwe, nun tröste mich Der, der Witwen und Waisen nicht verlässt, Gott, mein Gott, tröste mich!“ flehte sie in unsäglichem Schmerze. Ihre ganze Umgebung, das ganze Land teilte ihn mit der zwanzigjährigen Witwe.

Aber die Teilnahme für die junge Witwe dauerte nicht lange. Ihrem Harme lebend vergaß sie der Regierungssorgen und der Feind lauerte. Der ältere Bruder des verstorbenen Landgrafen, Heinrich mit seinem Bruder Raspe, ließen sich gegen die „überfromme, verschwenderische“ Elisabeth und ihren minderjährigen Sohn verhetzen. Weil sie „den Schatz verschleudert, das Land arm gemacht, ihren Mann betrogen und entehrt“ habe, wurde sie ihrer Güter beraubt und aus dem Schlosse verjagt. Nur bis zum äußern Tore durfte ihre Schwiegermutter sie begleiten, im Hofe fand sie, ledig jeder Habe, ihre Kinder und zwei Frauen. Beide Brüder hielten sich, bis sie fort war, versteckt. Allein, in Tränen, zu Fuß im strengen Winter, stieg die Königstochter den Felsenpfad zur Stadt hinab. Sie trug das jüngste Kind, die drei andern wurden von den Frauen geführt. Den Einwohnern von Eisenach, die sie mit Wohltaten überschwemmt hatte, hatte Landgraf Heinrich die Aufnahme der Fürstin verboten und sie gehorchten. In einer elenden Schenke fand sie in einem verfallenen Stalle eine Unterkunft, nachdem die darin befindlichen Schweine vom Wirte hinausgetrieben waren.

Jetzt in dieser tiefsten Erniedrigung kehrte plötzlich die Ruhe ihrer Seele wieder, ihre Tränen stockten und ein göttlicher Friede durchdrang ihr Herz. Um Mitternacht hörte sie das Glöcklein im nahen Franziskanerkloster zur Mette läuten, sie stand auf, ging zur Kirche und bat die Mönche um ein „Herr Gott Dich loben wir“ zur Danksagung für die Trübsale, die der Herr über sie verhängt. Gänzliche Unterwerfung unter Gottes Willen, völlige Hingabe in die jetzt über sie gekommene Armut erfüllte von nun an ihr Gemüt bis zum Tode.

Die scharfe Kälte und der Hunger ihrer Kinder zwangen sie, gegen Morgen die Kirche zu verlassen und um Obdach und Nahrung zu betteln. In der Stadt, wo sie Hunderte genährt und gepflegt, klopfte sie lange vergebens an die Türen. Ein armer Priester erbarmte sich ihrer, richtete Strohlager hin und suchte gegen Verpfändung einiger Habseligkeiten, die sie bei sich hatte, nach Lebensmitteln für die Mutter und ihre Kinder. Als aber ihre Verfolger erfuhren, dass sie eine Zuflucht gefunden, ließen sie ihr den Befehl zukommen, sie solle zu einem der Hofleute gehen, der ihr am feindseligsten gewesen und in Eisenach ein geräumiges Haus mit großen Nebengebäuden besaß. So groß indessen seine Wohnung war, so wies der Elende ihr doch nur ein dunkles Zimmer an, wo er sie einschloss, Nahrung und Heizung versagend. An diesem Orte brachte Elisabeth unter ihren weinenden Kindern die Nacht zu. Bei Tagesanbruch eilte sie fort, den Mauern für den Schutz gegen Wind und Wetter dankend, und herzlich gerne auch deren Herren dankend, „wenn sie nur wüsste warum.“ Sie kehrte in die Schenke zurück, um hier die Nacht, und in den Kirchen, woraus sie Niemand vertreiben konnte, den Tag zuzubringen. Um aber ihre Kinder vor Hunger und Kälte zu retten, musste sie sich auch noch zum härtesten Opfer entschließen. Zuverlässige Personen übernahmen die Kleinen und verbargen sie einzeln an entfernten Orten.

Jetzt ertrug sie, über das Los ihrer Liebsten beruhigt, ihr eigenes um so ergebener. Nachdem sie das Letzte verpfändet, suchte sie Verdienst durch Spinnen, um ihr eigen Brot zu essen und noch einen Bissen zu haben, den sie den Dürftigen teilen könnte. Nicht ein Zug der Teilnahme und des Mitgefühls regte sich in Eisenach, nach einmal bewiesenem Undank machte das verklagende Gewissen nur um so trotziger. Eine arme Bettlerin, der sie früher so lange wohlgetan, stieß sie sogar einmal beim Hinüberschreiten über einen unreinen Bach hohnlachend in das kotige Wasser: „Du wolltest keine Landgräfin sein, als du es warst, so liege nun arm im Kote; ich helfe dir nimmer auf!“ Elisabeth aber stand lächelnd auf, hieß auch dies, wie alles ihr Unglück, nicht unverdient, wusch ruhig und ergeben ihre Kleider in einem benachbarten Wasser ab und – fügt ein altes Buch hinzu – ihre geduldige Seele in dem Blute des Lammes.

Der Herr, dem sie in Gebet und Andacht ohne Murren und Klagen sich hingab, trocknete ihre Tränen, dass sie erfuhr: „Abendlang währt das Weinen, des Morgens die Freude.“

Indessen hatte Elisabeths Muhme, die Äbtin Mathilde von Kitzingen, durch ihre Schwiegermutter die Not erfahren und ließ sie mit den Kindern nach Kitzingen holen, wo sie ihr eine würdige Wohnung anwies. Von da zog Elisabeth zu ihrem Oheim, dem Fürstbischofe Egbert von Bamberg, der ihr das Schloss Botenstein zu freier Verfügung gab. Auf den Gedanken einer Wiedervermählung mit Kaiser Friederich II. ging sie, ihrem seligen Gemahle, seinen Kindern und ihrem Gelübde getreu, nicht ein. Sie lebte der Andacht und frommen Wallfahrten. Unendliche Trauer und unendliche Freude bereiteten ihr die Gefährten ihres Gemahls, welche die Leiche desselben von Otranto auf ihrer Rückfahrt von Jerusalem mit zurückbrachten. In der Abtei Reinhardsbrunn setzte sie ihn, begleitet von den treuen Rittern bei, unter dem Zusammenströmen von Reichen und Armen, Vornehmen und Geringen, unter dem Wehklagen des Volkes, das ihn drei Jahrhunderte lang als einen Heiligen verehrte.

Nun fehlte es nicht, dass die thüringischen Ritter den Landgrafen Heinrich zur Reue über seine Niederträchtigkeit brachten und der Verstoßenen zu ihrem Rechte verhalfen. Sie verzichtete auf Land und Leute, nur ihre Mitgift und das Leibgedinge ihres seligen Mannes sprach sie an. Der Landgraf, der einstweilen Vormünder über den rechtmäßigen Erben des Landes, den jungen Hermann, bleiben sollte, ging ihr, von seiner Mutter und seinem Bruder begleitet, entgegen und bat sie um Gotteswillen um Verzeihung. Statt zu antworten, warf sich Elisabeth weinend in die Arme ihres Schwagers. Auch die tapferen Recken umher konnten sich der Zähren nicht enthalten.

So war Elisabeth (zu Anfang des Jahres 1229) mit ihren Kindern und ihrer Schwiegermutter wieder auf ihrer Wartburg in allen gebührenden Ehren, und von ihrem Schwager mit aller Aufmerksamkeit behandelt. Sie hatte volle Freiheit zu den Übungen ihrer Andacht und ihrer Liebeswerke. Als Witwe von den Pflichten des Hofes entbunden, mied sie die Gesellschaften und Vergnügungen desselben, von denen sie wohl wusste, wie sie nur zu oft vom sauren Schweiße der Untertanen bestritten werden. Die Verächterin des Reichtums, die Liebhaberin der Armut wurde natürlich wieder als Närrin von den Dienern des Mammon verachtet, selbst die alte Landgräfin Sophie wurde wieder gegen sie eingenommen. Sie aber duldete und wirkte in aller Freudigkeit, der innere Friede strahlte von dem schönen Antlitze der jungen Witwe wieder. Papst Gregor IX. nahm sich ihrer freundlichst an, gewährte ihr das Recht zu einer Kirche und zu einem Kirchhof für ihren Magdalenenhospital, den sie in Gotha gründete, und empfahl ihre geistliche Leitung wieder dem Konrad von Marburg, seinem apostolischen Bevollmächtigten in Deutschland.

Gespornt von diesem, ermuntert vom Papste überließ sie sich nun einer selbsterwählten Geistlichkeit, wie nie zuvor. Das Wort des Erlösers missverstehend wie ihr Franz von Assisi gab sie alle Besitztümer hin und beschloss, sich von Türe zu Türe ihren Lebensunterhalt zu erbetteln. Nicht um der evangelischen Wahrheit willen, sondern weil ihr Geschlecht und ihre Schwäche ihr eine solche Lebensart untersagten, verwies ihr Beichtvater strenge den Gedanken. So ließ sie sich von ihrem Schwager die Stadt Marburg in Hessen samt ihrem Gebiete und Einkommen zum Eigentum abtreten, um dort sich ganz Gott und ihren Werken überlassen zu können, und zog sich, eigentlich wider Konrads Willen, aber von ihm begleitet, von der Welt zurück. In Marburg ward ihr zu viel Ehre erwiesen; daher bewohnte sie eine arme, verlassene Hütte im kleinen Dorfe Wehrda an den reizenden Ufern der Lahn, um Niemand zur Last zu fallen. Vor Wetter und Sonne musste sie sich unter eine Treppe verkriechen, mit Baumzweigen die Öffnungen verstopfen; ihre Augen litten vom Rauche, ihr Körper hatte nicht Schutz vor Hitze und Kälte, sie kochte sich die kümmerlichste Nahrung, bis in Marburg ihr neben dem Franziskanerkloster ein hölzernes Häuschen, mit Lehm verstrichen, nach ihrem Willen zur Witwenwohnung erbaut war. Am liebsten wäre sie ganz in die strenge Ordensregel des Franziskus getreten, da aber Konrad es nicht zugab, so wollte sie wenigstens öffentlich die Gelübde der Keuschheit, des Gehorsams und der gänzlichen Armut erneuern. Ihre Hände auf den nackten Altarstein der Minoritenkirche legend, schwur sie, ihren Willen, ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Verwandten und Freunde, alle Freude und Pracht dieser Welt aufzugeben. Sie ließ sich ihre Haare abschneiden, legte das graue Kleid an, umgürtete sich mit dem Stricke der Franziskaner und ging fürder immer barfuß. Ihre zwei älteren Kinder wurden auf Schloss Kreuzburg erzogen, die zwei jüngeren Töchter in Frauenklöster gebracht. So war sie der Welt gestorben und die Welt ihr in der Art ihrer Kirche, aber nicht im Sinne des Apostels Paulus, der die Pflichten des Lebens und Arbeitens neben und in die Pflicht des Betens und Sterbens stellte, nicht im Geiste Jesu Christi, der allerdings gesprochen hat: „So Jemand zu mir kommt und hasst nicht Vater, Mutter, Weib, Kinder, Bruder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein,“ der aber dieses Wort in dem entsprechenden: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht wert,“ deutlich genug dahin erklärt, dass es sich lediglich um eine Austilgung der fleischlichen, bloß natürlichen, selbstsüchtigen und also sündlichen Zuneigung zu den Banden des Blutes, die von der ächten, geistig beherrschten und gottmenschlich verklärten Liebe abziehen, handelt. Wie konnte Der, welcher die Liebe selber war, das Gebot der Liebe als erstes gab, und in den letzten Augenblicken die geliebte Mutter Maria dem geliebten Sohne Johannes zur Liebe empfahl, einer Elisabeth es zumuten, ja nur erlauben, also ihre Kinder und alles Leben aus ihrem Herzen zu reißen; wie konnte Er ihr erlauben, die Pflichten des Weibes, der Mutter, der Fürstin wegzuwerfen, und statt das ihr darin verordnete Kreuz auf sich zu nehmen, lieber sich selbst ein Kreuz zu machen und darin mehr Gott zu versuchen, als Gott zu dienen?

Aber freilich, sie teilte den Missverstand ihrer Kirche. Und kann sie in dieser Überspannung und Verkennung des lauteren Gotteswortes, in dieser selbsterwählten Geistlichkeit und Werkheiligkeit uns kein Vorbild sein, so wird kein ernstes Gemüt, keine Gott verwandte Seele die Fülle der Anregung an sich vorübergehen lassen, welche sich in dieser selbstlosen Hingabe an das Unglück, an die Armut, an Alles, was nur von der Liebe gepflegt werden kann, in der lieben, heiligen Elisabeth“ liegt. Wer dem Evangelium hold ist, wer den Herrn Christum liebt, muss in dem Leben dieser Heiligen“ Antriebe zum Erwachen aus der Selbstsucht des Puzes, des Geldes, des Fleisches empfangen.

Alle Einkünfte, die Meister Konrad sie genötigt hatte, wenigstens dem Namen nach zu behalten, verwandte sie ohne Ausnahme auf Unterstützung der Armen und milden Anstalten. Da Konrad ihr nicht erlaubte, ihr Brot zu erbetteln, so beschloss sie, es durch ihrer Hände Arbeit zu verdienen. Sie verstand nur Wolle zu spinnen und spann für das Kloster trotz der Ärmsten. Konnte sie vor Schwäche oder Krankheit die Spindel nicht mehr rühren, so zupfte sie die Wolle zur nächsten Arbeit. Sie aß die gröbste Speise, ihr Gemüse ohne Salz in bloßem Wasser gekocht; sie trug einen ärmlichen Rock von ungefärbtem Tuche, der viel geflickt und mit einem Stricke gegürtet war. Selbst diese Kleider verschenkte sie noch an Arme und behielt kaum etwas zur eigenen Bedeckung. Die liebliche Anmut ihres Wesens, ihre Güte und Freundlichkeit blieb dabei unverändert dieselbe. Sie wollte nur dienen. Umhergehen und wohltun, das Elend in ihr Haus aufnehmen oder es im Hause des Elends besuchen, war ihre Lust. Unter Andern nahm sie einen kleinen, elternlosen, von Geburt lahmen und blinden Knaben zu sich, der noch dazu einen immerwährenden Blutausfluss hatte. Dessen pflegte sie wie eine Mutter Tag und Nacht. Nach seinem Tode nahm sie ein aussätziges Mädchen ins Haus, das entsetzlich entstellt war; wusch, verband und besorgte es, dass es sich bald mit ihm besserte. So unterzog sie sich noch viel mehr als früher jeder ekelhaftesten Krankenpflege und fand darin ihr Glück. Ihrer Frauen eine sagte dann freilich einmal: „Euch mag wohl sein dabei, ich aber weiß nicht, ob’s Andern ebenso ist!“ Aber auch Meister Konrad musste ihrem Wesen mit strengem Gebote Schranken setzen und ihr verbieten, die Geschwüre der Aussätzigen zu berühren und zu küssen, damit sie nicht selbst angesteckt würde.

Übrigens brachte sie den Leidenden nicht bloß leibliche Hilfe, mit sanftem Eifer suchte sie das Heil ihrer Seelen zu fördern und sie zur Kirche und den Sakramenten anzuhalten.

Unterdessen hörte ihr Vater, König Andreas, von der Lage unserer armen Armenpflegerin, und ließ sie zur Heimkehr nach Ungarn einladen. Sie schlug es aus und blieb bei ihrem Rocken sitzen. Als der Landgraf ihr Heiratsgut ihr anheimstellte, teilte sie es völlig unter die Armen aus gegen Konrads Wissen und Willen. Nun aber beschloss auch dieser, sie zur vollkommenen Heiligen zu machen. Selbst die von all‘ dieser unevangelischen Werkheiligkeit begeistertsten Lobredner der Elisabeth getrauen sich nicht, das Verfahren Konrads zu rechtfertigen, der sich von der natürlichen Heftigkeit seines Charakters – im Jahre 1233 wurde er von einigen Rittern erschlagen, die er unschuldigerweise als Ketzer behandelt hatte – über die Grenzen christlicher Mäßigung weit hinausreißen ließ. Erst verbot er ihr, einem Armen mehr als einen Pfennig zu geben. Da ließ sie silberne Pfennige – noch jetzt sind in Münzsammlungen solche „Elisabethen Pfennige“ zu sehen – schlagen. Und als die Armen über diese Kargheit klagten, ließ sie dieselben nach einiger Zeit zurückkehren, wo sie wieder erhalten sollten. Das ließen sich die Bettler nicht zweimal sagen; gingen ein- oder zweimal ums Hospital und kamen wieder, und so fort ohne Ende. Wir führen auch diese Ausartung ihrer Wohltätigkeit mit gutem Zuge an als altes Beispiel, was eine nicht wohlgeordnete, nicht weise Almosenspende Übles richte.

Konrad von Marburg aber in seiner Entrüstung über ihren Ungehorsam holte weit aus mit seiner Hand zu einer Ohrfeige für die törichte Fürstin. Er verbot ihr weiterhin jede Gattung von Almosen, und ließ ihr nur die Pflege der Kranken und Gebrechlichen. Geflissentlich suchte er ihr hierbei jeden Weg dornig zu machen, und sie folgte willenlos. Einst betrat sie gegen die Satzung das Kloster zum Besuche ihrer Tochter – zur Strafe ließ er ihr und ihrer Dienerin Stockstreiche geben, über deren Spuren letztere nach drei Wochen noch klagte. Ein anderes Mal kam die Fürstin wegen zweier Kranken nicht zur Predigt. Konrad ließ sie nachher zu sich holen und ohne ihre Antwort zu hören, schlug er sie heftig, mit den Worten: „Ein andermal komme, wenn ich dir rufe, das hast du dafür.“ Demütig nahm sie’s hin und lächelnd wollte sie sich nun entschuldigen. Konrad aber schlug sie aufs Neue, dass sie blutete. Da hob Elisabeth ihre Augen zum Himmel und sagte: „Herr, ich danke Dir, dass Du mich hierzu auserwählt hast.“ Als sie ihren klagenden Frauen antwortete, sie habe unter dieser Misshandlung, bis in den dritten Himmel entzückt, Christum und seine Engel sehen dürfen, entgegnete Konrad, dem’s hinterbracht wurde: „So reut es mich, dass ich sie nicht schlug bis in den neunten Himmel.“ Wenigstens wird so erzählt, und dass es nur erzählt werden konnte, ist bedeutsam genug. Auch das letzte Band der Liebe beschloss Konrad ihr zu zerreißen. Ihre letzten beiden getreuen Dienerinnen Ysentrude und Guda, die Gefährtinnen ihrer Kindheit seit dem fünften Jahre, musste sie weinend entlassen. Dafür gab er ihr eine rohe, hässliche Magd und eine alte, taube, zänkische, tückische, zornige Witwe bei. Sie ergab sich darein, und kehrte und reinigte für sie das Haus. Ganz hatte sie sich bis dahin nicht von ihren geliebten Kindern trennen können, von Zeit zu Zeit ließ sie eines zu sich kommen; auf Konrads Antrieb ließ sie auch diesen allerletzten Rest ihres irdischen Glückes für immer von sich entfernen.

So eilte sie ihrem Ende entgegen. Ihre letzten Tage verkehrte sie ganz allein mit Gott. Sie beichtete, erklärte als ihren letzten Willen, in der Kirche ihres Hospitals ohne alles Gepränge begraben zu werden, nahm die Sterbsakramente, sprach zu ihrer Umgebung von der Auferweckung des Lazarus und dem Besuch des Heilandes bei Maria und Martha, dass den Zuhörenden die Tränen überströmten, dann lag sie die Nacht über in einer Art stiller Verklärung, in ihrer Seele selige Lieder ohne Worte singend, bis sie beim ersten Hahnenschrei den Bräutigam kommen fühlte, der die Braut zur Hochzeit holte. „Stille, stille!“ sagte sie endlich leise, und neigte ihr Haupt zum letzten Schlummer. Es war in der ersten Morgenfrühe des 19. Novembers 1231; Elisabeth hatte eben ihr vierundzwanzigstes Jahr vollendet.

Nun umrankte die fromme Sage ihr Leben und Leiden, ihren Tod und ihren Sarg mit Wundern über Wunder, dass der Papst Gregor IX. sie 1235 heilig sprechen musste, nachdem im Jahr 1233 die Aussagen über dieselben von Konrad gesammelt und nach dessen Ermordung gen Rom berichtet worden waren. Im Dominikanerkloster zu Perugia ertönte zum ersten Mal die kirchliche Stimme: „Bitte für uns, heilige Elisabeth!“ dort wurde, nachdem Wachslichter, Brot und Wein als Zeichen des beschaulichen, zurückgezogenen Lebens, zwei Tauben als Zeichen des reinen, tätigen Lebens dargebracht, und aus einem Käfig eine Anzahl kleiner Vögel in die Luft geflogen war als Zeichen des Auffluges heiliger Seelen zu Gott, der neuen „Heiligen“ zu Ehren der erste Altar geweiht. Bald verbreitete sich ihre Verehrung durch die ganze Christenheit; über vierzig Kirchen, Klöster und fromme Stiftungen sind nach ihr benannt. Ihr schönstes Denkmal aber steht in dem schönen Marburg, wo ihr zu Ehren die herrliche Elisabethenkirche an den Ufern der Lahn, am Fuße des Schlossberges, vom Landgrafen Konrad im Jahre 1235 grundgelegt wurde. Im Mai des Jahres 1236 wurde unter allgemeinem Zusammenströmen des Volkes der Leichnam aus seiner Gruft erhoben und in die begonnene Kirche nach Marburg versetzt. Kaiser Friedrich III. setzte eine goldene Krone auf das besonders aufbewahrte Haupt der „heiligen“ Königstochter. Zwanzig Jahre baute man nun an den Grundmauern, achtundzwanzig am Hauptbau der Elisabethenkirche, bis zum Jahre 1283, fast hundert und fünfzig Jahre am Ganzen. Sie ist mit ihren zwei herrlichen vorderen Spitztürmen und ihren drei gleichhohen gewölbten Schiffen von seltenem Ebenmaße ein vollendetes Denkmal der deutschen Baukunst, ein prachtvolles Gegenbild zu dem Gemüte der Elisabeth: demütig und kühn, anmutig und streng, lockend und ehrfurchtgebietend, jungfräulich rein und voll Einfalt, wie eine eben sich öffnende Knospe. Alle jene unnatürlichen Auswüchse, die wir am Leben der Elisabeth bedauern, und welche die gothische Kunst bald sehr liebte, hat hier die Kunst mit keuscher Hand abgewehrt. Auf vier Altären stellen Bildhauereien Leben und Taten der heiligen Elisabeth dar. In einer Seitenkapelle wurden ihre Gebeine beigesetzt. Noch ist jetzt in halberhabener Arbeit darin aus Stein gehauen, wie die tote Elisabeth als Nonne im offenen Sarge ruht, dahinter Christus und Maria mit Aposteln und Heiligen; an der Vorderseite des Sarges knien, sitzen und kriechen auf Krücken vier Unglückliche. In der Sakristei befindet sich noch der eichene, mit vergoldetem Kupferbleche überzogene, in Form eines Hauses mit hohem Dach gebildete, mit silbernen und vergoldeten Figuren und Abbildungen der Liebeswerke der Elisabeth, einst auch mit Juwelen reichgeschmückte Sarg, in dem ihre Gebeine ruhten, bis Landgraf Philipp im Beginn der Reformation, bei seiner hohen Ahnfrau nach Schätzen suchend, den Anfang mit der Entweihung und Verschleppung der Heiligtümer machte, über die nicht bloß die katholische Kirche trauern muss.

Anthusa

gest. 374.

Die griechische Kirche glänzte in den ersten Jahrhunderten im vollen Glanz der neuen Lehre und des neuen Lebens, das durchs Evangelium ans Licht gebracht worden ist. In welche Dämme der neue Lebensstrom eingeschlossen wurde, vielleicht eingeschlossen werden musste, damit er durch die Welt, die seiner nicht wert war, sicher hindurchgeleitet würde, und was die Frauen daran gearbeitet haben, das hat Basilius und Gregor mit ihrer Mutter und Schwester uns gezeigt. In der einmal eingeschlagenen Richtung zur Weltentsagung, zur Ehelosigkeit und zum Mönchtum sollte das Christentum, das in der morgenländischen (griechisch-russischen) Kirche bald der härtesten und bis heute ungebrochenen Erstarrung anheimfiel, zu tausendfacher Neugestaltung und Neubelebung der Völker wie der Länder ins Abendland weiter strömen. Ehe wir ihm dahin folgen betrachten wir noch zwei aus der griechischen Frauenwelt hervorstrahlende Sterne, die leibliche Mutter und geistliche Tochter des letzten großen Vaters der morgenländischen Kirche.

Im Jahr 347 ist Johannes geboren, dem eine spätere Zeit in Anerkennung seiner ausgezeichneten Beredsamkeit den Namen Chrysostomus (Goldmund) gab. Seine Geburtsstadt ist Antiochien, eine der vier großen Hauptstädte der damaligen Welt, die Hauptstadt des ganzen römischen Asiens. Sein Vater hieß Secundus, und war ein höherer Offizier, die Mutter Anthusa. Beide waren von edler Abkunft, beide Christen. Der Vater starb früh. Um so treuere Führerin und Erzieherin wurde ihm die Mutter. In ihrem 20sten Jahre wurde sie Witwe und blieb es. Das Andenken an ihren Gatten und die Erziehung ihres Sohnes füllte ihre Seele aus. Das riss selbst den heidnischen Redner Libanius zu der Äußerung hin: Was für wunderbare Frauen gibt es doch unter den Christen!

Die treffliche Erziehung, die sie ihrem Johannes gab, spiegelt sich in dem Leben des Mannes. Wenn er später so gediegene Lehren über christliche Erziehung gab, so hat er wohl aus eigenen Erlebnissen geschöpft, und wenn er von dem sittlichen Einfluss christlicher Frauen sprach, so schwebte ihm sicherlich das Bild seiner Mutter vor. Die Erziehung ihres Sohnes leitete sie in wahrhaft edler und freier Weise. In der Schule des Libanius, des berühmtesten der damaligen heidnischen Sophisten, wurde er in der Beredsamkeit gebildet. Bald zeigte er, dass er zum Redner geboren sei; Libanius hielt ihn vor Allen hoch; als es mit ihm zu Ende ging (395), und seine Freunde ihn fragten, wen er wohl zu seinem Nachfolger wünschte (es war zu einer Zeit, als Chrysostomus längst in die kirchliche Laufbahn eingetreten), antwortete er: „den Johannes, wenn ihn mir die Christen nicht entrissen hätten.“ Vielleicht wäre es um diesen auch geschehen gewesen, und die Welt hätte einen großen heidnischen Redner, aber keinen christlichen Bischof gewonnen, hätte die Mutter nicht zugleich den Samen christlicher Frömmigkeit schon frühe in das Herz ihres Johannes ausgestreut. „Die Lehren der Bibel,“ sagte unser Vater später, „sind wie eine Quelle, welche die Seele bewässert.“ Sie bewässerte auch die Seele des Knaben und Jünglings, und stand ihm schützend zur Seite in des Libanius Hörsaal.

Nach Vollendung seiner wissenschaftlichen Bildung ergriff er, wie dies manche später berühmt gewordene Kirchenväter getan haben, den Beruf eines Rechtsanwalts, die gewöhnliche Laufbahn junger Männer, die sich für die Beredsamkeit ausgebildet hatten und höhere Staatsämter anstrebten. Aber der Unruhe, die mit diesem Stande verknüpft war, und der schlechten Künste, wie sie zumal damals bei dem gesunkenen öffentlichen Leben im Schwange gingen, und die seiner schon früh erstarkten sittlichen Gesinnung ein Gräuel waren, bald überdrüssig, wuchs in ihm das Verlangen, sich ganz der Beschäftigung mit den göttlichen Dingen zu weihen. Er hatte einen Freund, Basilius, beide waren ziemlich gleichen Alters, trieben die nämlichen Studien, hatten Eine Sorge, Ein Herz, Einen Sinn. Basilius aber, nach zurückgelegten Studienjahren, hatte sich dem geistlichen Leben gewidmet, während Chrysostomus die weltliche Laufbahn betrat. Der Umgang wurde dadurch zerrissen, doch blieb die Freundschaft wie zuvor. Nachdem nun aber Johannes seines bisherigen Lebens satt wurde, sein Haupt, wie er sagte, wieder über die Wellen dieses Lebens emporhob, so reichte ihm der Freund beide Arme. Vielleicht noch mächtigeren Einfluss hatte der Bischof Antiochiens, der edle Meletius, dessen Unterricht er drei Jahre lang genoss, worauf er sich taufen ließ.

Jetzt war er ganz für das Christentum und die Kirche gewonnen. Aber welche Bahn sollte er betreten? Sollte er Geistlicher oder Mönch werden? Er schwankte, wie einst Basilius der Große. Hierhin zog ihn sein eben genannter, stille Beschaulichkeit liebender Jugendfreund, auch der Widerwille gegen die Welt, wie sie ihm in Antiochien zumal entgegentrat, der Ernst seines Charakters, dann der heilige Schein, in welchem der Jüngling das Mönchstum anschaute, wohl auch die Scheu vor der Größe des priesterlichen Berufes. Aber dort stand sein väterlicher Freund, der Bischof, der erkannte, welch‘ ein Segen der Kirche aus diesem Johannes werden könnte; dort stand vor Allem seine Mutter. „Als sie meine Neigung merkte,“ sagt Chrysostomus, „fasste sie mich bei der Hand, führte mich in eine besondere Kammer, hieß mich auf das Bett niedersitzen, in welchem sie mich geboren hatte, vergoss Ströme von Tränen und brach in noch kläglichere Worte aus. „Mein Sohn,“ sprach sie, „nach der Fügung der göttlichen Vorsehung sollte ich des Schutzes deines Vaters nicht lange genießen; sein Tod folgte gleich auf die Wehen, mit denen ich dich geboren hatte; dich machte er allzu früh zur Waise, mich zur Witwe. Die Beschwerden der Witwenschaft sind nur denen bekannt, die sie erfahren haben… Hinterlässt der Sterbende ein Kind und es ist eine Tochter, so macht das der Mutter wohl auch viele Sorgen, aber es geht noch ab ohne zu große Ausgaben und Ängsten; ein Sohn dagegen gibt täglich Anlass zu tausendfachen Bekümmernissen… Doch hat alles dies mich nicht bewegen können, eine zweite Ehe einzugehen oder einen andern Mann in das Haus deines Vaters einzuführen. Ich hab‘ ausgehalten in diesem Sturm und Ungewitter, ich bin dem Feuerofen der Witwenschaft nicht entflohen. Zum Ersten verließ ich mich auf die Gnade von oben. Hernach gereichte es mir zu keinem geringen Trost, dass ich dein Angesicht beständig sehen konnte, und auf ihm das Bild des Verstorbenen, das ich im Herzen trug. Darum bist du schon mein Trost gewesen, da du noch ein Kind warst und noch nicht reden konntest… Nun fordere ich von dir als einzigen Dank: mache mich nicht zum zweiten Mal zur Witwe und erwecke nicht aufs Neue den kaum besänftigten Schmerz; warte meinen Tod ab: vielleicht ist er nicht mehr ferne. Hast du mich dann der Erde übergeben und meine Gebeine mit den Gebeinen deines Vaters vereinigt, so reise so weit und wage dich auf ein Meer, wohin du willst. Allein so lange ich noch atme, so bleibe bei mir, damit du nicht Gott ohne Ursache beleidigest, wenn du deine Mutter, die es nicht verdient hat, in so viele Übel stürzest. Ich will dich ja nicht in weltliche Sorgen verwickeln, ich will dir alle Muße verschaffen… Schon dies sollte dich zurückhalten, wenn nichts Anderes. Du magst von Tausenden geliebt werden; es wird dir aber Niemand so viel Freiheit und Muße verschaffen, denn Niemand ist, dem dein Friede und deine Ehre so nahe am Herzen liegen.“ So sprach Anthusa. Den Wunsch der geliebten Mutter zog der Sohn seiner eigenen Neigung vor.

Meletius weihte ihn sofort zum kirchlichen Vorleser. Sein frommer Eifer und seine geistige Tüchtigkeit zogen nun bald die Blicke auf ihn. Er aber wich den Anträgen zu einem Bischofsamt in Antiochien aus Demut aus. Inzwischen starb seine Mutter, und nun ging er, wohin es ihn längst gezogen, auf die antiochischen Berge, um sechs volle Jugendjahre in Selbsterkenntnis, Gebet und heiliger Schrift zuzubringen, bis seine leidende Gesundheit ihn zwang, 380 nach Antiochien zurückzukehren. Von da begann sein großer, tatenreicher und leidensvoller Beruf als Diener, Vater, Lenker und Bekenner der streitenden Kirche, aus welcher er den 14. September 407, in der Verbannung ungefähr 60 Jahre alt bei Kommana in Pontus im 9. Jahr seiner Bischofswürde zu seinen Vätern und Brüdern sich sammelte und zu seiner Mutter in die triumphierende Kirche einging.

Katharina Melanchthon.

geb. 1497. gest. 1557.

Man kann Luther nicht ohne Melanchthon nennen, wir wollen auch Katharina Luther nicht ohne Katharina Melanchthon haben. Melanchthon, der zarte nach Leib und Seele, der sanftmütige und von Herzen demütige, der von tausend Sorgen und Bedenklichkeiten umgetriebene, der von ganz Deutschland und noch weiter in Anspruch genommene, der Tag und Nacht in Studien, Büchern und Briefen vergrabene, der viel auf Geschäftsreisen abwesende, der für Andere sich selbst vergessende und verzehrende „Präzeptor Deutschlands,“ das Urbild eines treufleißigen, nur dem Berufe lebenden, wissensdurstigen und wissensmächtigen, eines wahrhaft humanen, d. h. gottseligen und menschenfreundlichen Gelehrten, konnte wohl eine Gehilfin brauchen, die ihm die Kraft seines Leibes, das Heiligtum seines Hauses, das Kleinod seines Herzens, die Ruhe seines Lebens pflegen und hüten wollte mit sanftem und stillem Geiste, mit tätiger Hand und frommer Treue. Der erste Theologe des evangelischen Deutschlands sollte in seinem Hause und in seiner Hausfrau ein großes, weithin leuchtendes Beispiel geben, wie der Ehestand ein gottgeordneter und heiliger, ein eheloses und familienloses Leben aber nicht ein vollkommeneres und verdienstlicheres sei, wie die Hausfrau mit der von ihrem Mann ihr in die Hand gegebenen Bibel in der Mitte ihrer Kinder und Hausgenossen das allgemeine Priestertum der Christen an ihrem Teil verwirklichen und die Pfarrfrau insbesondere jene wahre Freiheit, zu welcher Christus Mann und Weib und alle Stände befreit („emanzipiert“) hat, darstellen könne. Gleichermaßen musste wohl das Haus des ersten Gelehrten des evangelischen Deutschlands zeigen, wie die Gelehrsamkeit und die Häuslichkeit, das stille Studierzimmer und die nach außen tätige Liebe, wie die Wissenschaft und die Gottseligkeit, Aristoteles und Paulus, Plato und Johannes sich vertragen, und wie in einem Professorenhause Christus nicht bloß unter den Göttern Griechenlands in ein Pantheon zu einem Kultus des Genius versammelt, sondern als Gott über Alles gelobt in Ewigkeit zu aller guten und bösen Zeit, die Seele, das Glück und der Trost auch des gelehrtesten und berühmtesten Hauses sein könne und wolle. Es musste Melanchthons Gattin vorbildlich zeigen, wie die Hausehre eines deutschen Professors, wie eine deutsche Professorenfrau miterfahren und mitbewähren soll, dass „Christum lieb haben besser ist denn alles Wissen,“ und dass „züchtig sein, den Mann und die Kinder lieben, sittig sein, keusch, häuslich, gütig, dem Mann untertan, nicht Lästerin, sondern gute Lehrerin sein“ der tröstlichste Hausschatz ist gegenüber dem alten unglücklichen Verse, der zu den Schätzen, die Äskulap, und zu den Ehren, die Justinian darbiete, scheel sehend jammert: At nos grammatici turba misella sumus! („Aber wir Grammatiker, wir sind ein armes Geschlecht.“)

Philipp Melanchthon (geb. 1497) machte sich im August 1518 von Tübingen aus auf die Reise nach Wittenberg, wohin ihn der Kurfürst als Professor der griechischen Sprache berufen. Über Augsburg, wo die Bayern ihn für Ingolstadt gewinnen wollten, Nördlingen, Nürnberg, Leipzig zog er auf seinem Rösslein, und bereits am 29. August hielt er seine Antrittsrede mit so unerhörtem Beifall, dass Luther nur Glück wünschen und neidlos bewundern, aber auch nur fürchten konnte, es möchte der schwächliche junge Mann, der noch nicht zwanzig Jahre alt, fast noch wie ein Knabe aussehe, die Wittenberger Luft und Lebensart nicht aushalten, zumal bei so spärlicher Besoldung. Am 9. Februar 1520 schreibt Luther an Spalatin, er hätte schon lange gerne für Melanchthon eine passende Frau gewünscht, denn er wisse, wie leicht solchen großen Geistern etwas zustoße und wie Melanchthon gerade um seinen Körper und sein Hauswesen sich gar nichts kümmere, leider aber sei derselbe gar nicht zum Heiraten geneigt. Spalatin nannte ihm eine passende Jungfrau, aber Luther wagte es nicht, dem Melanchthon, der ganz und gar nicht zum Heiraten sich schicken wollte, eine bestimmte Person vorzuschlagen; er selbst ist ja noch weit entfernt, nach dem Beispiele seines Amtsbruders Agricola von Eisleben, sich in die Ehe zu begeben. Indessen höhlt ein Tropfen den harten Stein aus, wie sollte nicht das weiche Gemüt eines Melanchthon sich haben von so treu meinenden Freunden unter das sanfte Joch der Ehe biegen lassen? Am 15. August 1520 schreibt der 23jährige Philippus: „Man gibt mir nun Katharina Krapp zur Frau (die Tochter des Bürgermeisters Hieronymus Krapp zu Wittenberg); ich will nicht sagen, wie unerwartet es mir ist und wie kühl ich dabei bin, aber das Mädchen ist von solchen Sitten und von solcher Gemütsart, wie ich es mir nur wünschen konnte. Ich folgte dem Rate meiner Freunde“. „Gewiss ist sie eines bessern Mannes wert, aber Gottes Wille mag nun also sein. Ich bringe mich um meine Studien, um mein einziges Vergnügen, indem ich dem Rate und Willen meiner Freunde folge und heirate.“ Luther wurde für den Verursacher dieses Schrittes ausgeschrien, er erklärte auch, er kümmere sich nichts um das Geschrei, er habe es dem Manne und dem Evangelium zu lieb getan, in der Hoffnung, Philippus werde, wenn verheiratet, länger leben, während er bei seiner bisherigen Lebensweise es schwerlich lange dauern würde. Um nun die „bösen Zungen“ zum Schweigen zu bringen, wurde die Hochzeit beschleunigt und auf den 6. November, den Tag nach Katharinen, verlegt. Melanchthon hätte sie gerne noch lange, lange hinausgeschoben, aber, so schreibt er an Spalatin, „die Freunde meinten es anders und ich habe, ihnen folgend, es früher geschehen lassen.“ So kam denn für den guten Mann der nicht ersehnte Tag; Luthers eigene Eltern und Schwestern beehrten seines Philippus Hochzeit mit ihrer Gegenwart samt andern angesehenen und gelehrten Männern. Seinen Zuhörern kündigte Melanchthon dieselbe in lateinischer Sprache an mit den Versen:

Fröhlich und gern ruht aus von Studien heute Philippus, \\
Pauli heilige Lehr‘ trägt er Euch heute nicht vor.

Das klingt wie gute Miene zum bösen Spiel, denn, ach! die Studien, die Bücher, die edle Zeit, die er nun mit einer Frau teilen soll – und einen ganzen langen Hochzeittag das Schreiben und Lesen nun aussehen sollen, welch eine harte Aufgabe, welch ein herbes Opfer für den jungen deutschen Professor!

Indessen ließ er sich doch nicht bloß als Opfer geduldig zur Schlachtbank der Ehe führen, er zeigte sich auch bald als einen treuen und freudigen Priester des ehelichen Heiligtums, das seine Katharina ihm schmücken und pflegen sollte. Melanchthon, als ein Schriftgelehrter zum Reiche Gottes geschickt, wusste auch Altes und Neues aus dem reichen Schatze seines Wissens hervorzubringen, wo es sich darum handelte, den Ehestand als Gottes Ordnung hoch hervorzuheben. Zu eigenster Überzeugung wie Luther hatte er das große Geheimnis der Ehe zumal aus der Schrift tief genug erkannt, um durch Wort und Tat es gegen die katholische Kirche zu retten, welche die Ehe einerseits zum Sakrament hinaufschraubt und andrerseits als des Priesters unwürdig herabsetzt.

Viele lehrreiche Bemerkungen darüber gibt er in einer Betrachtung über das Evangelium von der Hochzeit zu Kana im ersten Bande seiner Postille. Auf die gegenseitige Liebe der Geschlechter zu einander weist er als auf einen gottgeordneten und gewollten Gegenstand hin, in welchem die größten Geheimnisse verborgen liegen. Zwei Personen habe Gott zur Fortpflanzung des Geschlechtes verbunden, damit er so eine Kirche bildete, um in der Gemeinschaft verherrlicht zu werden. (Die Ehe als der Ort, dadurch die Kirche Gottes auf Erden vermehrt und verbreitet werde, ist darum auch in den alten lutherischen Kirchenordnungen so hoch und heilig gehalten.) „Mehr“, setzt Melanchthon hinzu, „könne er nicht darüber sagen, und die tieferen Ursachen müssten wir im ewigen Leben lernen.“

„Es ist eine bewunderungswürdige Sache“, fuhr er fort, dass die erste Liebe immer eine reine, keusche ist, darin Jüngling und Jungfrau sich wie im Himmel befindet und keines wagt, in Gegenwart des Andern ein unschönes Wort zu sagen oder gar einen unedlen Wunsch zu hegen. Gewiss, die erste Liebe erinnert an das verlorene Paradies.“ Wie tief die Liebe der Geschlechter in der gottgeschaffenen Natur begründet sei, dafür zieht Melanchthon zwei scherzhafte Geschichtchen an, womit er seinen eigenen, reinen, kindlich heitern Sinn bekundet. „Ein Eremit“, sagt er, „hatte einstmals seinen Sohn mit in die Stadt genommen und dieser hatte da zuerst Jungfrauen gesehen. Er fragt den Vater: was sind denn das für Tiere? Der Vater verwundert, dass er sogleich auf die Mädchen achtet, antwortet: „es sind Gänse.“ „Ah“, äußerte drauf der Sohn: „hätten doch auch wir solche Gänse!“ Für noch sinniger erklärt Melanchthon das andere, das er selbst in ein lateinisches Sinngedicht brachte: Ein Jüngling sprach einst zu einer Jungfrau, die ihn beständig anblickte: „sie möchte doch zur Erde sehen.“ Witzig antwortete sie: „Du bist von der Erde, also musst du vielmehr herniederblicken. Das Weib ist vom Manne genommen, warum sollte ich nicht den Stoff betrachten, aus dem ich entsprungen bin?“ Welch eine unendlich menschlichere und göttlichere Ansicht bezeigen doch die Väter unserer evangelischen Kirche durch Wort und Tat von dem Stande, den Gott selbst im Paradiese eingesetzt und worauf er seinen Segen gelegt und den Christus im Neuen Testamente bestätigt – als jene großen, aber überall, wo sie über das Schriftwort hinausgehen, nur scheingroßen Väter der alten katholischen Kirche, welche die Ehelosigkeit als Heiligkeit, die Ehe als „Chorführerin aller Tragödien des Lebens“ hinstellen!

Der junge Meister Philippus fand aber auch an seiner Katharina, was ihr Name bedeutet, eine reine, eine feine und treue Lebensgefährtin und führte mit ihr eine wahrhaft glückliche Ehe. Die leiblichen Trübsale, die dieser heilige Stand nach des Apostels Wort mit sich bringt, blieben allerdings nicht aus, aber sie förderten das Glück dieser christlichen Eheleute. Katharina gebar zwei Töchter und zwei Söhne: Anna, Philippus, Georg und Magdalena.

Schon im Jahre 1524 erfreute ihn die Geburt seiner ersten Tochter Anna, eines ausbündig holdseligen Kindes, wie Luther es nennt. Da eröffnet sich uns nun ein Blick in Melanchthons Herz und Haus, so schön als der in seines Freundes Luther. Hat das kindliche Gemüt Melanchthons überhaupt die Kinderwelt mit fast übergroßer Zärtlichkeit umfasst, wie teuer waren ihm erst die eigenen Kinder! Seine Anna war und blieb sein Liebling. Sie war auch ein äußerst gutes und begabtes Kind, fromm, folgsam und züchtig; ihrer Mutter war die Geburt dieses Kindes sehr hart angekommen, auch das machte die mit solchen Schmerzen und Sorgen Erstgeborene dem Vater um so kostbarer. Einst kam das kleine Kind ins Zimmer und fand ihn weinen. Da geht es hin, nimmt sein Schürzchen und sucht ihm die Tränen aus den Augen zu wischen. „Dieser Beweis ihrer Teilnahme“, schreibt er an seinen Freund Camerarius, „drang mir tief ins Herz.“ Einmal ist seine Tochter über Gebühr lange vom Hause weggeblieben. Als sie zurückkommt, fragt er sie scherzend, was sie denn nun der Mutter, die sie tüchtig auszanken werde, sagen wolle? „Nichts“, entgegnete das Kind. Dieses Wort machte ihm große Freude und er wendete es nachher öfters gegen die Lästerungen seiner Feinde an. Ein anderes Mal sitzt er in der Kinderstube, das Wiegenband in der einen, ein Buch in der andern Hand. Da tritt ein französischer Gelehrter ein und verwundert sich hoch, den berühmten Mann an solchem Orte bei solchem Amte zu finden. Philippus aber rühmt die Pflicht des Familienlebens und den Dank der Kinder gegen Gott auf solche Weise, dass der gelehrte Fremdling mit sehr belehrter Miene davonging. In der Kinderstube, im Familienkreise sah Melanchthon mit Wonne die „kleine Kirche.“

An einer Stelle der Postille, wo er von der Zärtlichkeit spricht, welche den Eltern gegen ihre Kinder eingepflanzt ist, dabei das Beispiel des Agefilaus erwähnt, wird man unwillkürlich an ihn selber erinnert. Er sagt: „Siehe, wenn wir Kinder haben, küssen wir sie, wie stellen wir uns so närrisch; wenn das ein Stoicus sieht, möchte er’s tadeln, oder wenigstens denken: „was ist das für ein Geck?“ Bekannt ist das Beispiel des Agefilaus. Ein Fürst kam einst zu ihm, als er schon Greis war und eben mit seinem Sohne Archidamus spielte. Der alte Vater ritt mit dem Sohne auf dem Stocke und lehrte den Sohn auf dem Stocke reiten. Da jener nun plötzlich dazu kam, sagte Agefilaus: „Ich bitte dich, sage Niemand etwas, bis du selbst Söhne haben wirst.“ Er deutete das mit an, dass die Zuneigung, welche der Vater gegen seine Kinder hat, sich nicht von Andern fordern lasse.“ – War nun Melanchthon ein so glückseliger Kinder- und Hausvater, wer konnte glücklicher in seinem Glücke sein, als Melanchthons Gattin? Und an wen konnte er sich hinwiederum zuversichtlicher nächst Gott anlehnen, als an die geisteskräftige, unermüdliche, selbstlos ihm dienende Gattin, die uns sein Busenfreund Camerarius schildert als eine sehr fromme Frau, die ihren Mann aufs innigste liebte, als eine überaus fleißige und geschäftige Hausmutter, in Sitten und Leben völlig untadelig, stets auf das Eine bedacht, was Not ist, und in diesem frommen und tugendsamen Eifer die einfachste in Kleidern und Epeisen.“ Sie scheint ihrem Manne, der selbst ohne Vermögen war, kein größeres Vermögen in die Ehe gebracht zu haben; dafür brachte sie ihm das größte Vermögen, das man haben kann, nämlich „Gottseligkeit mit Genügen.“

Nicht um sich Geld zu verschaffen, sondern um seine Pflicht zu tun, gab sich der große Gelehrte mit Privatunterricht von Knaben in seinem Hause ab, wozu nur ein anderer Professor noch sich hergab. Es war teure Zeit, die Besoldung wurde nicht aufs Pünktlichste ausbezahlt, es geschieht ihm schwer sich durchzuschlagen, aber es ist ihm doch eine angebotene Zulage von 200 Gulden zu viel, er will durch Sparsamkeit und Häuslichkeit lieber zurecht kommen, als durch sein Amt und seine Feder reich werden. Gerne zwar möchte er seinen Kindern ein kleines Erbe hinterlassen, wenn er es auf ehrliche Weise könnte. Aber er kann und will nicht schmutzig sein, er gibt sich zufrieden, seinen Kindern einst nichts als ein bisschen Ruhm und Erziehung zum Erbe geben zu können.

Katharina aber, statt aus diesem Ruhm und dieser Gelehrsamkeit ihres Mannes eine Erwerbsquelle zu machen, statt ihn zum Geldverdienen zu drängen, oder um des geringen spärlichen Lebens und Einkommens willen ihn zu quälen, oder die Gastfreundschaft und die Almosen, um die eines Melanchthons Haus von allen Seiten und nicht immer bescheiden angesprochen wird, „mit Murmeln“ zu üben, Katharina, ihres Mannes würdig, gibt sich gerne zufrieden, dass er ihr in den vier ersten Jahren der Ehe auch nicht ein einziges neues Kleidungsstück gekauft hat. Das durfte er als ein Zeichen seiner und ihrer Häuslichkeit gegen Spalatin rühmen.

Sie hätte namentlich anfangs gerne dem schwächlichen Manne mehr mit guter Speise zugesetzt, die er auch wohl zu würdigen wusste. Er hatte sich in Tübingen an die größte Einfachheit gewöhnt und oft Fleisch und Gemüse mit der Suppe seines Nachbars vertauscht. In Wittenberg ließ sich diese Enthaltsamkeit nicht immer durchführen und er beklagt sich oft bitter über die „üppige“ Lebensweise, in die man hineingezogen werde, und über „unsere Frauen, welche glauben, wir seien nicht satt oder sterben Hungers, wenn wir nicht vollgestopft sind wie Würste, d. h.: so mit Speise und Trank angefüllt, dass wir nichts mehr hinunterbringen können. Solche Gefräßigkeit war ehedem nicht. Wie einfach hielt Reuchlin sich und mich! Er wurde aber auch über 70 Jahre alt. Wie mäßig war mein Vater, der niemals mehr als ein Gericht aß. Wie unmäßig bin ich dagegen, der ich doch ziemlich mäßig zu sein glaube!“ … Nun, seine Katharina wusste sich in ihn zu schicken, und sie wird wohl hin und wieder ihn dennoch mit einem guten Stücklein überlistet und getröstet haben, wenn er aus Speise und Trank sich allzu sehr ein Gewissen machen wollte. Andererseits wusste sie wohl, wer nicht im Kleinen spart, kann nicht im Großen geben. Und Geben war ihr eine Lust. Wenn Melanchthon die Güte selber war, wie Luther, wenn er aufopferungsfreudig sich selbst und das Seine vergaß, nur um Andern Wohltat erweisen zu können, wenn er hierzu oft selbst seine kostbaren Becher zu den Kaufleuten trug, um sie zu versetzen; so war darin seine Hausfrau mit ihm ein Herz und eine Seele. Camerarius sagt von ihr, sie sei freigebig und wohltätig gegen Alle, für die Armen zumal in solcher Weise besorgt gewesen dass sie, beim Austeilen von Gaben ohne Unterschied, nicht bloß ihres Vermögens und ihrer Kräfte vergaß, sondern auch bei Andern sich zuweilen aufs Inständigste und mit fast ungestümer Fürbitte für sie verwendete. Das konnte sie, die „nichts auf kostbare Mahlzeiten oder vornehme Kleidung gab“, die nicht auf das Ihrige sah, sondern auf das, was des Andern ist, wie es einer Bekennerin des Evangeliums geziemt.

Sie hatte wie Melanchthon einen schwächlichen Körper. Bald litt sie an der Leber, am Stein, am Fieber. Ihrem Manne schlug die Wittenberger Luft nicht zu, von 1525 an hören seine Klagen über entsetzliche Schlaflosigkeit, dann über die ihn niederdrückende schmerzhafte Steinkrankheit nicht mehr auf. Wenn er mit diesem Körper dennoch diese unermessliche Tätigkeit seines Geistes und Berufes aushalten sollte, so musste er sich an die pünktlichste Lebensordnung halten und seine Hausfrau, statt ihm seine Kreise zu stören, zu seinem und ihrem Gewinn die strengste Hausordnung aufrecht erhalten. Morgens um 2 oder 3 Uhr fand man ihn schon in seiner Studierstube, und zwar im Sommer und Winter. Am Tage las er drei oder vier Collegia, wohnte den Konferenzen der Professoren bei und arbeitete alsdann bis zum Abendessen. Nach demselben ging er zu Bette gewöhnlich um 9 Uhr. Er erbrach keinen Brief mehr am Abend, um nicht durch Sorgen im Schlafe gestört zu werden. Weil ihn seine Freunde am Rheine häufig mit gutem Wein beschenkten, so trank er vor dem Abendessen noch ein Glas. Seine Lebensweise war überhaupt sehr regelmäßig. Er aß täglich ein Mal, höchstens zwei Mal, und ganz einfach. Kostbare Gerichte liebte er nicht, dagegen Suppe, Fische, Gemüse und Eier.

Über Tisch war er sehr gesprächig, an Stoff fehlte es natürlich einem Manne nicht, der so große Kenntnisse besaß und zugleich die Bekanntschaft mit Fürsten, Staatsmännern und anderen berühmten Leuten gemacht hatte. Er liebte Munterkeit und anständigen Scherz. Er begann alle seine Geschäfte im Namen Gottes und vor Gottes Angesichte. Man kann gewiss sagen, sein ganzes Leben war ein Gebet. Nach dem täglichen Morgengebete las er einen Abschnitt aus der heiligen Schrift, dann warf er einen Blick in den Kalender, um sich der kirchlichen Zeit, in der er gerade lebte, und der Männer Gottes, deren Namenstage gerade dastanden, zu erinnern. Erst nachdem er sich auf solche Weise durch Wort und Gebet geheiligt hatte, ging er an seine Arbeiten oder schrieb die dringendsten Briefe. Das Mittagsmahl wurde immer zur bestimmten Stunde gehalten. Dabei wurde nicht bloß das Tischgebet, sondern auch das apostolische Glaubensbekenntnis gesprochen.

Welchen Segen, welche Förderung ihres innern Lebens und ihres Haushaltes musste Katharina von dieser festen christlichen Wohlordnung haben, die als ein Band des Friedens die Gatten, das Gesinde und das ganze Haus umschlang. In der Tat, was war es doch ein Gewinn fortan für Mitlebende und Nachkommen, dass die Reformation nun das Wort Gottes auch in den Bürgerhäusern, nicht bloß in den Klöstern und Kirchen reichlich wohnen ließ und in der Lutherbibel auch den Hausfrauen eine Vorratskammer der Lehre, des Trostes an die Hand gab, um im Hausgottesdienst Priestertum zu üben, besonders in Zeiten, worin sie hilflos, auf sich selbst beschränkt, vergehen müssten in ihrem Elende, wenn Gottes Wort nicht ungeteilt und unverfälscht ihr Trost sein könnte. Und wahrlich, auch Frau Melanchthon bedurfte dieses Brünnleins Gottes in den viel heißen Tagen ihres Ehestandes zu Ertragung des Kreuzes, womit dieses stille und einfache Haus fast unausgesetzt heimgesucht war!

Im Januar 1525 gebar Katharina ihren ersten Sohn Philippus nicht ohne Gefahr ihres Lebens. Denn drei Tage vorher war sie in der Küche bei einem Geschäft etwas unvorsichtig und fiel mit dem Leibe hart auf den Boden, eine schwere vorzeitige Geburt war die Folge; der Erstgeborne selber war und blieb so elend und kränklich, dass sie kaum hoffen konnte, ihn auferziehen zu dürfen. Dennoch wurde ihre Muttertreue belohnt, der kleine Philippus blieb am Leben; dem Vater zwar nicht an Geistesgaben, doch an Herzensgüte ähnlich, wurde er Rechtsgelehrter und starb als Protonotarius der Universität zu Wittenberg, achtzig Jahre alt und kinderlos, nachdem er in seinem hohen Alter noch in ein Stammbuch geschrieben: „Ich wünsche abzuscheiden und bei Christo zu sein, den 9. August 1603.“

Schrecken, Kummer und Nachtwachen hatten in dieser Notzeit, zu der die Ängsten des Bauernkrieges kamen, unserm Melanchthon so sehr und fast noch mehr zugesetzt als seiner Gattin. Schlaflosigkeit tötete ihn fast; da hatte sie doppelt zu pflegen und zu wachen Tag und Nacht, für Kind und Gatten. Nachdem er im folgenden Jahre das Gymnasium in Nürnberg eingeweiht hatte, fiel er (im August 1526) aufs Neue so darnieder, dass er und sein Arzt zwölf Tage lang an seinem Aufkommen verzweifelten. 1527 geht er zur Messe nach Leipzig, kehrt aber so elend zurück, dass er sich nur durch die einfachste Lebensordnung erhalten kann. Während er dann im Juli und August auf einer Visitationsreise war, brach in Wittenberg die Pest aus, von der auch die Dienstmagd Katharinens hingerafft wurde. Sie eilte nun mit den Kindern zu ihm nach Jena, wohin die Universität flüchtete. Im Oktober liegt dann Melanchthon an der Kolik darnieder. Am 25. November, während er mit Luther zu Torgau arbeitete, wurde Katharina von einem Sohne entbunden, der den Namen Georg erhielt. Je größer die Mutter- und Vaterfreude an dem „allerliebsten“ Kinde war, desto heißer war der Schmerz, als auch dieses wieder heimgehen sollte. Am 26. Juli 1529 trifft die Nachricht vom Tode seiner Mutter ein, am 15. August stirbt der kleine Georg am englischen Schweiß. Da ist der ohnehin von Leibesschwachheit beschwerte Mann den ganzen Sommer über „in Trauer und Tränen.“ Was mochte die Frau durchmachen am Totenbette des Kindes und an der Seite des Gatten, der zugleich über die Not der Kirche so betrübt war, dass kein Tag war, an dem er nicht zu sterben wünschte! Wie war da „Geduld der Heiligen“ nötig, wenn gerade die Elternfreuden, in denen beide Gatten ihr einziges Erdenglück sahen, durch so mannigfaltigen Kummer getrübt wurden! Aus ihrer und seiner Erfahrung heraus sagte der zartfühlende Mann in der (lateinischen) Postille: „Kein Schmerz kann nächst dem Gefühle des Zornes Gottes größer für die Natur des Menschen sein, als Elternschmerz beim Leiden und Unglück der Kinder. Dieses Schmerzgefühl bleibt, so lange die Natur gesund und nicht vom Teufel berückt ist.“ „Nichts ist mir,“ schreibt er an einen Freund beim Tode seines zweijährigen Georg, „nichts ist mir jemals teurer gewesen, als dieser Knabe. Es leuchteten aus ihm außerordentliche Geistesgaben hervor. Welcher Schlag mir sein Verlust ist, das kann ich nicht mit Worten beschreiben.“ Luther selbst schreibt am 17. August an Jonas: „Unserm Philippus hat der Herr am vergangenen Sonntage seinen Sohn Georg genommen. Da kannst du nun denken, welche Mühe und Sorge wir haben, dass wir diesen Mann von dem zartesten und empfindsamsten Gemüte trösten. Außerordentlichen Schmerz verursacht ihm der Verlust des Sohnes, da er bisher noch nicht in solcher Lage gewesen ist. Du weißt, wie viel daran gelegen ist, dass dieser Mann lebe und erhalten bleibe; wir Alle sind mit ihm krank und betrübt.“ Am Ende des Monats schrieb Luther abermals an denselben Jonas: „Noch klagt Philippus. Wir Alle gehen ihm zur Seite, wie es sich für uns in Bezug auf einen Mann der Art gebührt. Möchten doch zu ihrer Demütigung vielmehr alle Timonseelen solches zu tragen genötigt sein, die vor Stolz auf ihre Weisheit nicht wissen, einen wie großen Vorzug diese einzige Person von allgemeiner Bedeutung, wenn auch fündig und schwach, vor vielen, ja vor allen Tausenden von Hieronymi, Hilarii und Macarii voraus hat, welche allzumal nicht wert sind, meinem Philippus die Schuhriemen aufzulösen.“ Wenn so die Freunde zu Mitleid und Fürbitte sich aufgefordert fühlten, wie musste Katharina den eigenen Schmerz über dem des Mannes vergessen, nur damit dieser getröstet würde!

Doch auch die Zeit heilt Wunden, und der bevorstehende Augsburger Reichstag entzog ihn dem häuslichen Leide. Die Vollendung und Übergabe der Konfession zu Augsburg musste auch für die ferne Gattin ebenso viel Freude als die nachherigen fruchtlosen Friedensbemühungen Trauer bereiten. Während Melanchthon mit der Apologie seiner Konfession beschäftigt ist, schenkt ihm seine Frau (10. Juli 1531) eine zweite Tochter, Margaretha. Mit diesem ihrem letzten Kinde trat eine kurze Erquickungszeit im Melanchthonschen Hause ein, und damit es auch an äußerem Behagen nicht fehle, schreibt im Jahre 1535 der Kurfürst Johann Friedrich an Katharinens Vater, er wolle auf seine Kosten ihr Haus und Hof vergrößern, wie es der Zuwachs der Familie wünschen ließ. König Heinrich von England schickte ein Geschenk von 200 Dukaten, und auch an andern Ehren und Ehrengaben, besonders an ehrenvollen Berufungen Melanchthons bald nach England, bald nach Frankreich, bald nach Tübingen rc. fehlte es nicht. Dafür fehlte es auch in guter Zeit nicht an Unruhe, Arbeit und Sorge. Melanchthon entwickelte eine unglaubliche, nur mit der Arbeitsamkeit Luthers vergleichbare Tätigkeit – sind doch von ihm noch bei 7000 Briefe und kleinere Arbeiten vorhanden, ungezählt aber sind die Ausgaben von alten Schriftstellern, die er besorgt, die Vorreden, die er zu fremden Büchern geschrieben, die Gutachten, die er gestellt, die Vorlesungen über Klassiker und Bibel, die er gehalten, die Geschäftsreisen, die er so unaufhörlich zu Beratungen, Disputationen und Visitationen zu machen hatte, dass er 1533 seine Privatschule wegen der vielen Reisen aufgeben musste. Im Jahre 1535 ging er mit Weib und Kind nach Jena, um mit den englischen Gesandten über Vereinigungspunkte zwischen der deutschen und englischen Reformation zu verhandeln, von da musste er im Februar 1536 krank und allein nach Wittenberg. Dann war er wieder in Torgau, in Leipzig, wieder in Wittenberg, dann mit seiner Frau in Leipzig, dann in Heidelberg; in Tübingen weilte er bis zum Oktober in Sachen der Universität, ging dann über Nürtingen, Ellwangen und Nürnberg wieder nach Hause, tief bekümmert und wahrhaft gequält über die Uneinigkeit der Evangelischen, welche der milde Mann so gerne ausgeglichen hätte. Welchen Wiederhall das Alles im Hause und im Gemüte der Gattin fand, können wir uns denken; das war allerdings nichts weniger als ein ruhiges Studierstuben Stillleben, das unsere Reformatoren führen konnten, und das ihre Frauen miterlitten, miterkämpft, mitdurchgebetet haben!

Nun wurde es aber ganz besonders laut im Melanchthonschen Hause, als am 6. November 1536 die älteste und geliebteste Tochter Anna mit Georg Sabinus Hochzeit machte. Doch sollte diese Verbindung leider eine Quelle schwersten Jammers für Melanchthon und seine Gattin werden. Sabinus zeigte sich bald als einen eitlen, selbstgefälligen und ruhmsüchtigen Mann, der keinem fremden Rate folgte. Melanchthon beklagte es nachher bitter, dass er nicht genauer nach des Sabinus Horoskop gesehen, als er um seine Tochter gefreit habe, denn der Mann sei, wie er nachher gefunden, in der Konjunktion des Saturn und Mars geboren – man weiß ja, wie damals Natur und Geschick eines Menschen unter dem Einflusse der Gestirne gedacht wurde, und Melanchthon hielt auf dergleichen Zeichen und Vorzeichen so viel als Luther selbst. Im Jahr 1523, in einem Alter von 15 Jahren, war er von Brandenburg, seinem Geburtsorte, nach Wittenberg gekommen und wegen seiner vortrefflichen Anlagen, besonders in der Poesie, hatte ihn Melanchthon, in dessen Hause er als Schüler wohnte, lieb gewonnen. Später studierte er zwar die Rechte, aber nebenbei beschäftigte er sich noch eifrig mit dem klassischen Altertum, und konnte im Jahr 1538 vom Kurfürsten Joachim von Brandenburg als Professor der schönen Wissenschaften nach Frankfurt a. d. O. berufen werden. Aber Sabinus war ehrgeizig, hochfahrend, rau und zornig gegen seine stille, milde Gattin, und bald zeigte sich die Ehe als eine ganz unglückliche.

Wahrlich diese häuslichen Sorgen und Kümmernisse wären neben den Amtsmühen und Berufssorgen, die seinen Tag zu Hause und auf Reisen unausgefüllt ließen, Glaubensprüfung und Geduldsübung genug gewesen, aber „wenn einmal das Unglück kommt, so kommt es mit Haufen.“ Den ärgsten Schlag erhielt Melanchthon von seinem eigenen Gewissen. Er und Luther hatten dem Landgrafen Philipp von Hessen die Doppelehe, die derselbe eingehen wollte, abgeraten zwar, aber schließlich als ein geringeres Übel leider doch zugestanden. Melanchthon musste (3. März 1540) selber Zeuge der Vermählung des Landgrafen mit Margarethe von Saal werden und als jener das Ärgernis öffentlich zu machen drohte, fiel der arme Melanchthon aus Grämnis und Schwermut zu Weimar in eine tödliche Krankheit. Als er nun so heftig krank lag und es mit ihm so gefährlich stund, ließ der Kurfürst bei Tag und Nacht Luthern und Melanchthons Sohn von Wittenberg holen. „Die fanden,“ so erzählt ein Zeitgenosse, „seine Augen schon gebrochen, allen Verstand gewichen, die Sprache entfallen, das Gehör vergangen und das Angesicht schlaff und eingefallen. Dazu kannte er niemand, aß und trank nichts. Als ihn nun Lutherus so unbekenntlichen ansieht, erschrickt er über die Maßen und spricht zu seinen Gefährten: behüt Gott, wie hat mir der Teufel dies organon geschändet! kehrte sich alsbald zum Fenster und betete ernstlich zu Gott. Alda, saget Lutherus, musste mir unser Herrgott herhalten. Denn ich warf ihm den Sack vor die Türe und rieb ihm die Ohren mit allen promissionibus exaudiendarum precum, (Verheißungen der Gebetserhörung) die ich in der heiligen Schrift zu erzählen wusste, dass er mich musste erhören, wo ich ans ders seinen Verheißungen trauen sollte. Hierauf er greift er Philippum bei der Hand und spricht: Bono animo esto, Philippe, non morieris!((Sei guten Mutes, mein Philippus, du wirst nicht sterben!)) Obwohl Gott Ursache hatte zu töten, so will er doch nicht der Sünder Tod, sondern dass er sich bekehre und lebe. Er hat Lust zum Leben und nicht zum Sterben. Hat Gott die allergrößten Sünder, die je auf Erden kommen, als Adam und Eva zu Gnaden wieder berufen und angerufen, viel weniger will er dich, mein Philippe, verstoßen, noch in Sünden und Schwermut verderben lassen. Darum so gib dem Trauergeist keinen Raum, und werde an dir selbst kein Mörder, sondern vertraue dem Herrn, der töten und wiederum lebendig machen, verletzen und verbinden, schlagen und wieder heilen kann. Denn Lutherus wusste wohl seines Herzens und Gewissens Anliegen. In solchem Ergreifen und Aussprechen fängt Philippus an, wieder Atem zu holen, konnte aber doch lange nichts reden bis über eine gute Weile. Da wendete er sein Angesicht stracks auf Lutherum, und fängt an, ihn um Gotteswillen zu bitten: er wolle ihn nicht länger aufhalten; er sei jetzo auf einer guten Fahrt, er solle ihn lassen hinziehen; es könne ihm doch nichts besseres wiederfahren.

Mitnichten, saget Lutherus, Philippe, du musst unserm Gott noch weiter dienen. Also wurde Philippus je länger je mehr munterer, und ließ ihm Lutherus eilends etwas zu essen vorrichten, und brachts ihm selber. Aber Philippus weigert sich davor. Da nötigt ihn Lutherus mit diesen Dräuworten und sagte: hörst du, Philippe? kurzum du musst mir essen, oder ich tue dich in den Bann! Mit diesen Worten wurde er überdräuet, dass er aß, doch gar wenig, und also gemach wieder zu Kräften kam.“

Melanchthon selbst erzählte, wie ihm in dem Todeskampfe das Schriftwort: „ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkünden!“ als an die Wand geschrieben vorgekommen und sein mächtiger Trost geworden sei. Kaum hergestellt darf er aber nicht einmal seine Gattin begrüßen, er muss mit nach Eisenach zum Konvent, dann nach Worms, von wo aus er den Doktor Fuchs in Tübingen wegen seiner eigenen Hinfälligkeit zu Rate zieht, während seine Frau zu Hause ebenfalls schwer krank darnieder liegt, die er erst im Januar 1541 wieder sieht, aber nur, um ihn im März schon wieder zum Konvent nach Regensburg ziehen zu lassen. Da wird er auf der Reise aus dem Wagen geworfen und bricht fast den rechten Daumen; in Regensburg selbst muss er durch Luther, der in Wittenberg die neue Gefahr vernommen, vor Giftmischern gewarnt werden. So musste Katharina in fortwährenden Ängsten schweben!

Kaum ist er wieder zu Hause und wohl, dabei nach Luthers Wort arbeitsamer als je und als jemand, „ein wahrer Atlas, der Himmel und Erde auf seinen Schultern trägt,“ so muss Katharina zu ihrer Tochter Anna, die ihre vierte Tochter gebären sollte. Glücklich zurückgekehrt, findet sie ihren Gatten von Unterleibsschmerzen gequält und bald durch die Nachricht vom Tode seiner Schwester und Schwägerin in Trauer versetzt. Eine rechte äußere Freudigkeit und Ruhe kehrte nun schon nicht mehr in dem Hause ein. Am 29. Jan. 1543 schreibt Melanchthon an Mykonius in Gotha: „ich bin so von Schmerzen und Arbeiten erdrückt, dass ich oft an die Flucht denke, und wenn mich nicht das Alter und die Verzweiflung an einem längeren Leben festhielten, so würde ich mich nach irgend einem verborgenen Schlupfwinkel umsehen.“ Allein er muss eben arbeiten, er muss reisen, er muss sich in Ärger und Sorge verzehren; er, der bei all seinem besten Willen zugleich bestverleumdete Mann. Die Mutter wird auch nicht immer mit den Kindern fertig, von Bonn aus muss Melanchthon seinen herangewachsenen Sohn Philippus ermahnen, doch der Mutter recht zu folgen, deren Stütze er sein müsse. Aber der junge Philippus macht seiner Mutter ein schweres Herzeleid durch seine Verlobung mit Margaretha Küffner von Leipzig unter Vorwissen ihrer, aber nicht seiner Eltern. Als Katharina es erfuhr, war sie heftig dawider und wollte es rückgängig machen. Wie die Verlobte das hört, stellt sie am 8. Januar 1544 „dem züchtigen und gelehrten Gesellen Philippo Melanchthon dem Jüngern meinem guten Gönner zu handen“ einen jammervollen Brief, worin sie ihm erklärt, dass ohne ihre und seine Bewilligung das Band nicht zerrissen werden könne. „Und macht mich armes Mägdlein diese neue Mär zu diesem neuen Jahr ganz betrübt und verrenkt, kann und mag weder essen noch trinken, weder schlafen noch wachen, also bin ich gar in meinem Gemüt zerrückt, und ich besteh, so dieser Sach nicht recht geholfen werd, werde es mir großen Schaden tun und wird mich und euch nicht Leib und Leben, sondern den ewigen Zorn Gottes und seine Strafe und das ewige Nagen des Gewissens betreffen wiewohl ich nicht getan, wie ihr euch oftmal verflucht, wo solche Zusage von euch nicht gehalten werde, dass ihr Gottes Angesicht nimmermehr besehen wollt, auch ewig des Teufels fein.“ Den Brief las der Sohn der Hauptsache nach seinem Vater vor und, so schreibt er dem Mädchen, „nach der Vorlesung hat mir mein Vater geantwortet, es nehme ihn sehr Wunder, dass ihr so sehr jetzt treiben mögt, weil ihr doch wohl wisst, dass die Mutter noch sehr heftig sei, würde sie aber ein wenig linder, wollt er der Sache bald raten – denn er habe mit nichts merken lassen, dass er solche Ehe zu zerreißen gesinnt sei.“

Ist der eine Sturm vorüber, so kommt der andere. Der Schwiegersohn Sabinus, der unruhige Kopf und unglückliche Ehemann, findet sich als Professor in Frankfurt an der Oder nicht groß und glänzend genug. Aussicht auf eine höhere Stellung eröffnet sich 1543, als der Herzog Albert von Preußen auf den Gedanken kam, eine Universität zu Königsberg zu stiften. Die Hoffnung, durch Teilnahme an deren Stiftung großen Ruhm zu ernten, spiegelte ihm die Zukunft so golden vor, dass er kein Mittel zum Zwecke unversucht ließ. Er wollte herrschen, bei Hofe gelten, auch wohl seine Frau den Augen der Eltern entziehen, bei welchen sie ihren natürlichen Rückhalt sucht. Anna, bescheiden und still erzogen, konnte sich in der Verbindung mit diesem Manne immer weniger glücklich fühlen. Sie hat unter vielem Andern ihrer Mutter über das Schuldenmachen ihres Mannes zu klagen, wodurch auch sie in üblen Ruf gebracht werde, aber die Mutter solle dem Vater davon nichts sagen, sie habe schon so viel Unglück ertragen und wolle auch fernerhin aushalten. Sabinus dringt nun sogar auf Scheidung der Ehe. Er ist voll von Verwürfen über die Frau und voll Klagen und Anklagen gegen Melanchthon. Anna mit den Kindern war zu den Eltern gegangen und jetzt fragt Melanchthon seinen Schwiegersohn ernstlich, ob er kommen und sie in Liebe abholen wolle, oder da lassen, bis sie niedergekommen sei, oder ganz sich von ihr scheiden – es stehe ihm alles frei. Unterdessen wurde Sabinus, besonders durch Camerarius, der ihn auch immer bei Melanchthon vertrat, so vorteilhaft dem Herzoge empfohlen, dass er in der Tat zum ersten Rektor der neuen Universität ernannt wurde. Nun verlangt er, dass Frau und Kinder ihm gebracht werden. Melanchthon selbst will seine Anna mit zwei Töchtern zu ihm führen, die dritte aber lässt die Großmutter nicht von ihrer Seite. „Mir,“ so schreibt Melanchthon an Camerarius, macht die Reise meiner Tochter ungeheuer Sorge und Schmerz. Aber ich bitte Gott, dass er unsere Tränen ansehen wolle. Wenn du doch sähest, wie meine Tochter immer zu Hause war: sie ist still, bescheiden, mäßig, gar keine Zänkerin und nicht dumm.“ „So folgt denn, schreibt er den 10. Juni, die Mutter mit den zwei Kleinen voll des tiefsten Schmerzes ihrem Mann, er lässt sie nicht einmal die hiesige Magd mitnehmen, an die doch das eine Töchterlein in seiner Krankheit so gewöhnt war, dass es sich nur von ihr behandeln ließ; ach der Kummer wird ihr eine frühzeitige Geburt und den Tod bringen, wie sie selber ahnt, wenn nur nicht noch Traurigeres kommt; „ich flehe zu dem Sohne Gottes, der gesagt hat, kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, dass er sie behüte und regiere.“ Es vergrößerte seinen Schmerz, dass man ihm und den Seinen alle Schuld aufbürde und den Sabinus freispreche, der ihn und seine arme Gattin, so wie seine Tochter, nun acht Jahre lang so vielfach gequält habe, während dieser Schwiegersohn ihm noch wenig Freude gemacht. „Aber ich will des Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt … am besten wäre es gewesen, wenn ich die Tochter zurückbehalten hätte“

Kein Wunder, wenn er auf diesen Sturm schwer er krankte. Im Anfang Juli war seine Steinkrankheit so bedenklich, dass man in Leipzig ihn schon tot sagte und sein Herzensfreund Camerarius eiligst nach Wittenberg kam. Dieser traf ihn kaum etwas besser und mitten in seinen unablässigen Arbeiten. Im Oktober brach zu neuem Schrecken die Pest in Wittenberg aus; noch stärker aber Luthers Zorn über Melanchthons Nachgiebigkeit gegen Bucer und die „Sakramentierer“ so dass Melanchthon Alles anwenden muss, sich bei Luther zu entschuldigen und falls dies nicht geriete, an einen Wegzug von Wittenberg denkt, wo Luthers unbeugsame Kraftnatur den weichen Melanchton beengt und drückt. Doch Luther gab sich zufrieden mit Melanchthons Erklärungen, und wer von Wittenberg weggehen sollte, das war nun nicht der weiche Melanchthon sondern der eiserne Luther.

Es kam das Unglücksjahr 1546. Das Tridentiner Konzil begann. Luther starb. Auf Melanchthons Schultern wälzte sich nun alle Last allein. Er wurde Vormund der Kinder Luthers. Der Schmalkaldische Krieg brach aus. Melanchthon muss mit Weib und Kind aus dem vom Kurfürsten Moritz belagerten Wittenberg im November nach Zerbst, nach Magdeburg fliehen. Am 29. Dezember kann zwar Katharina wieder in die befreite Stadt zurück, er selbst aber kommt erst im Januar nur auf drei Tage und muss gleich weiter von Ort zu Ort. Und nun trifft ein herbster Schlag den unstet umhergetriebenen Mann und seine verlassene Gattin. Ihre Enkeltochter, die sie nicht von sich gelassen, erkrankte am 2. März am Fieber; wenige Tage darauf geht die Nachricht ein, dass ihre geliebte schmerzenreiche Tochter Anna am 26. Februar zu Königsberg entschlafen sei. Das schlug den vielgeprüften Herzen die tiefste Wunde. Wie es unserer Katharina zu Mut war, das mögen wir aus ihres Gatten Worten wiederklingen hören, wenn er von Zerbst aus an Paul Eber nach Wittenberg schreibt: „Ich schicke Dir die Beschreibung des Todes meiner Tochter, die, wenn ich sie lese oder nur daran gedenke, den väterlichen Schmerz so steigert, dass ich Gefahr für meine Gesundheit fürchte. Nicht aus den Augen kommt mir der Anblick, den die weinende Tochter gewährte, als man sie fragte, was sie den Eltern wohl noch sagen möchte, und es fallen mir dabei verschiedene Dinge ein, welche mich ängstigen.“ Sein einziger Trost war, dass sie unter deutlichen Zeugnissen wahrer Liebe gegen Gott und ihren Mann verschieden; die Liebe, die er zu seinem Kinde fühlte, war ihm eine deutliche Erinnerung an die Liebe Gottes des Vaters zu seinem Sohne und zu uns. der Nacht, als sie verschied, erschien sie in der Gestalt einer Verstorbenen ihrem Vater im Traume. An seinen Freund Cruciger schrieb er kurz zuvor: „Ich liebte die Tochter mit einer von Gott in die Natur gepflanzten Liebe und die Liebe wurde durch das Mitleid stärker, nach dem sie in die traurige Sklaverei gekommen war; zumal da ich sah, wie viel herrliche Vorzüge in ihr angelegt waren. Daher kann ich nicht anders, als tief trauern, nun ihr frühzeitiger Tod dazu kommt. Auch steigert sich meine Trauer durch den Gedanken an den Fehler, den ich gemacht. Nicht ihre Schuld, sondern meine Achtlosigkeit hat sie in solchen Jammer gebracht. Da ich sie aber zehn volle Jahre lang täglich mit wahren Herzensseufzern Gott befohlen, so achte ich, dass sie durch Gott aus diesem Leben abgerufen worden, um aus ihrem Jammer befreit zu werden.“ Später schreibt er an Milich, er habe so lange Jahre her seine Tochter in seine unablässige Fürbitte eingeschlossen und er könne nicht glauben, dass das unerhört geblieben sei, zumal seit ihm einmal, da er in der Kirche war, ein helles höheres Licht erschienen sei zum Zeichen, dass Gott sich der Tochter in Gnaden annehmen wolle.

Nun wünschte Melanchthon, der alle Innigkeit seiner Liebe auf die verwaisten Enkel überströmen ließ, dass nebst der kleinen Katharina, welche eben die Großmutter mit der übrigen Familie gar nicht hatte von sich trennen lassen, den Großeltern wenigstens auch die noch jüngere Martha zur Erziehung und Versorgung überlassen werden möchte. In einem seiner Briefe aus dieser Zeit an Staphylus in Königsberg lesen wir: In Bezug auf die Töchter des Dr. Sabinus habe ich geschrieben, es sei meine Bitte, dass er sie mir alle, oder wenigstens einige davon geben wolle. Martha, weil sie etwas schwächlich ist, möchte ich durchaus hier bei der Schwester erziehen lassen, wo sie unter Gottes Beistand zärtlich gepflegt und eifrig zur Erkenntnis Gottes und zu ordentlicher Arbeit, in Gemeinschaft der Schwester, die nun schon liest und schreibt, angehalten werden sollte.“ Und an seinen Schwiegersohn schreibt der sanfte Mann bald darauf: „Ich wünsche, dass unsere Freundschaft beständig sei, und ich will sie auch treulich bewahren. Deine Kinder wenigstens will ich für die meinigen halten, und sie sind in der Tat auch die meinigen; ich liebe sie nicht weniger, als ich die Mutter geliebt habe. Dass ich aber meine Tochter mit einer großen Innigkeit umfasst habe, wissen Viele; auch ist diese mit ihrem Tode nicht erloschen, sondern durch Schmerz und Sehnsucht wird sie genährt. Da ich nun weiß, wie lieb sie die Kinder gehabt, so glaube ich ihre Neigungen auf mich übertragen zu müssen.“ Es ist leicht zu erachten, wie groß seine Freude war, als Sabinus dem ausgesprochenen Wunsche wirklich nachkam und bei seiner Reise nach Wittenberg im Herbste des Jahres 1547 ihm sogar drei Töchter und einen Sohn in seinem Hause zurückließ. Die Enkel waren nun seine Erheiterung und Erholung in den Tagen des Alters. Er nennt sie nur „seine süßen Töchterlein.“ Wahrscheinlich sprach das naive Urteilen und Reden der Jüngsten sein Gemüt so sehr an, dass er nicht selten selbst zu seinen Zuhörern davon plauderte. So bemerkt er einmal: „Martha heißt „Fraw Doktorinne.“ Meine Tochter sagte: „es ist ein feiner Name, wenn man sagt Frau Doktorinne.“„ An einer andern Stelle teilt er folgendes Liedchen von ihr mit:

„Lieben Kinderchen seid ihr fromm,\\
So kommt ihr in den Himmel; \\
Seid ihr aber nicht fromm, \\
So kommt ihr in die Hölle.“

Für die Mutter Katharina gesellten sich indessen zur Trauer um die Erstgeborene die schrecklichsten Steinschmerzen. Alle Mittel wollten nicht helfen, die Qual war unerträglich, die arme Frau jammerte und schrie vor Schmerz; Melanchthon erklärt ihre Ungeduld für sehr entschuldbar. Und dazu kam Krieg und Kriegsgeschrei in die Nähe. Am 24. April 1547 war die für die Evangelischen so unglückliche Schlacht bei Mühlberg, am 1. Mai musste Melanchthon mit seiner kranken Frau und mit Luthers Witwe auf die Flucht nach Braunschweig und Nordhausen; schon schickte er des Sabinus Tochter mit seinem eignen Sohn voraus in die Pfalz, um dann mit seiner Gattin und dem Hausrate nachzukommen. Indessen konnte er (26. Juli) doch nach Wittenberg zurückkehren, am 31. August kommt auch Katharina dahin, geht aber bald wieder nach Nordhausen zurück zu den Kindern. Im September kommt Sabinus mit allen seinen Kindern nach Wittenberg. Katharina aber wird in Nordhausen schwer krank, während ihr Gatte selbst in Wittenberg an Leib und Seele gefoltert darniederliegt. Zuerst eilt ihr Sohn Philippus, nachher auch ihr Gatte und Schwiegersohn zu ihr. Sie kehrt endlich im Oktober halb genesen nach Wittenberg. Schon am 29. Februar 1548 aber muss Melanchthon wieder vor dem erzürnten Kaiser Karl V. nach Klosterzelle fliehen. „Hie und da ist keine Ruh, die ist bei Gott, die suche du!“ so hieß es für dieses Haus.

Heil ihm, dass es Gott zu suchen und zu finden wusste. Unter den größten Steinschmerzen schrieb Melanchthon im Juni 1549 einen Katechismus für sein Töchterlein. Und so ging am 13. Febr. 1550 dem Hause denn doch auch wieder ein Licht der Freuden auf. Die zweite Tochter Magdalena (geb. 18. Juli 1531) verlobte sich mit dem trefflichen Doktor der Medizin, Caspar Peucer.

Katharina ging mit der glücklichen Tochter selbst nach Leipzig zur Messe, um die Einkäufe zu besorgen, und Alles geriet wohl. Am 28. Februar verlobte sich der Sohn Philippus, dessen Verhältnis mit Margaretha Küffner sich gelöst hatte, man weiß nicht, wie, mit einer ehrbaren Witwe; am 5. Mai war dessen Hochzeit, am 2. Juni die Hochzeit Magdalenens, am 28. Juni die des Sabinus mit seiner zweiten Frau, Anna, der Tochter des Königsberger Ratsherrn Christof Cramer – es war für Melanchthon eine große Freude, von ihm die freundliche Bemerkung zu hören, dass diese zweite Frau Ähnlichkeit mit seiner heimgegangenen Anna habe. Das war doch ein wenig heiterer Himmel; aber er bedeckte sich bald genug wieder. Am 18. Juli 1552 musste Katharina mit der Familie nach Torgau fliehen, weil in Wittenberg die Pest ausgebrochen. Am 15. Dezember wird Magdalene, Peucers Gattin, in Torgau erstmals glücklich entbunden, aber am 21. Dezember daselbst Katharina Luther begraben, mit welcher unsere Katharina Melanchthon so manche Freude und Ehre, aber auch so manches Leid geteilt in dem Maße, als Melanchthon von Anfang an doch nur an Luther eine ihm zusagende Gesellschaft in Wittenberg gefunden hatte.

Im folgenden Jahre (den 3. April) erlitt die indessen nach Wittenberg heimgekehrte Familie einen Verlust, der auch unserer vielduldenden Katharina einen gewaltigen Riss durch Herz und Leben machte. Johann Koch aus Ilsfeld bei Heilbronn am Neckar war 1519 durch Hieronymus Baumgärtner von Nürnberg dem Melanchthon zum Diener empfohlen worden. Von da an hat dieser Schwabe mit großer Treue in seinem Hause gedient, die Kinder aufgezogen und unterrichtet, ist dem ganzen Hauswesen als ein rechter Elieser vorgestanden und hat sich insbesondere seiner Hausfrau in Abwesenheit Melanchthons fast unentbehrlich gemacht; wie denn auch letzterer öfters von seinen Reisen aus an ihn schrieb und überhaupt große Stücke auf ihn hielt. Als Veit Dietrich in Nürnberg seine Predigten über den Seelenkampf des Sohnes Gottes dem Melanchthon schickte, schrieb dieser zurück, „ich werde sie sorgfältig lesen, mein Diener, welcher solche Schriften mit Begierde liest, lobt sie sehr.“ Nun sollte auch dieser treue Diener im Frieden Gottes fahren. Am 3. April 1553 starb er und Melanchthon zeigte den Tod seines lieben Hausgenossen der Universität öffentlich an mit folgenden Worten: „Mit Gottes Hilfe hat mein Diener Johannes, geboren am Neckar, 34 Jahre mit mir gelebt. Mit wahrer Frömmigkeit hat er Gott verehrt und gegen die Menschen war er gerecht, wahrhaftig und dienstfertig. Er war züchtig und ein Freund der Züchtigkeit. Die Zeit des Tages widmete er Morgens dem Lesen der heiligen Schrift und dem Gebete, alsdann der Pflege und dem Unterrichte meiner kleinen Söhne und Töchter, hierauf der Haushaltung. Er begleitete uns auf allen unseren Wegen in Zeiten des Kriegs und der Pest, und hat all mein Leben, meine Arbeiten und Kümmernisse gesehen. Und nie haben ihn uns die Zeiten geändert. Er hatte in seinem Wesen nichts Angelerntes, nichts Gemachtes oder Geschminktes. Da er anhielt am Lesen des Wortes Gottes und am Gebet, so strahlte in ihm der Sohn Gottes, die Sonne der Gerechtigkeit und zündete in ihm das Licht wahrer Tugend an. Er war mir nicht bloß ein treues liebes Familienglied, sondern auch ein biederer Ratgeber und äußerst verständiger Beurteiler in strittigen Lehrpunkten. Oft hat er mich klüglich gewarnt und auf Fragen über Lehrstreitigkeiten sein gewichtiges Urteil abgegeben. Er liebte die Einigkeit der Kirche so sehr, dass ihn nichts mehr schmerzte, als die Zwistigkeiten der letzten fünf Jahre. Dieser Schmerz hat auch seine Kräfte untergraben und nach und nach verzehrt. Nun ist er, wie ich nicht zweifle, in der Zahl derer, von welchen es heißt: selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben; ihm selber ist mit seinem Hinübertritt in die Akademie des Sohnes Gottes und der Schar der Seligen im Himmel ein sehnlichster Wunsch erfüllt, mir aber eine tiefe Wunde geschlagen und nicht bloß diese Verwaisung sondern noch Anderes bewegt mich im Innersten. Aber ich bitte unsern Herrn Jesum Christum um Gnade und Euch um Fürbitte und Teilnahme bei der Beerdigung.“

Dieses dem Diener ausgestellte Zeugnis ist nicht minder bezeichnend und ehrenvoll für den Herrn und für die Frau, in deren nächster Umgebung und Dienstleistung solch ein Mann 34 Jahre lang mit Wohlgefallen wirkte. Der Todesfall griff aber auch Katharina so an, dass sie im April am dreitägigen Fieber schwer darnieder geworfen wurde.

Vom 1. Mai an kämpfte sie Wochen lang mit dem Tode. Mit zitternder Hand berichtet ihr Gatte seinem Freunde am 22. Mai, wie sie noch auf den Tod krank sei. „Meine Frau zehrt allmählig ab, nur dies lindert meinen Kummer, dass ihr Geist frei, bei vollen Sinnen und ruhig ist, dabei oft Sprüche hersagt und betet.“ Erst im Juli endete das Fieber, dafür stellten sich Anfänge von Wassersucht ein, damit es der Uhr ihres inneren Lebens ja nicht am vollen Gewichte, dem Läuterungstiegel nicht an Feuer gebreche.

Seit der Verheiratung ihrer zweiten Tochter und ihres Sohnes, seit dem Tode ihres treuen Dieners fühlte sie sich, da ihr Gatte fortwährend durch Arbeiten und Reisen ihr entzogen war, gar sehr verlassen. Da war es ihr eine große Freude, dass Sabinus ihre zwei Enkelinnen brachte, deren Anblick und Umgang sie erheiterte und erleichterte in den sie heimsuchenden weiteren Ängsten. Melanchthon, das Jahr 1554 über viel am Steine leidend, wurde den 3. Juni 1555 sogar von einem polnischen Studenten mit dem Schwerte überfallen, als er einem nächtlichen Tumulte auf der Straße wehren wollte.

Eine letzte Mutterfreude und Sorge erlebte Katharina (1556, den 2. Februar) durch die Geburt einer dritten Enkelin von ihrer Tochter Magdalena, Dr. Peucers Gattin. Dann aber schreibt im Frühjahr 1557 Melanchthon an Camerarius: „Meine Frau sagt, sie wolle lieber aus diesem Leben scheiden, als noch länger mit beständigen Krankheiten zu kämpfen haben.“ Im Mai dieses Jahres dankt er seinem Freunde für Südfrüchte und Kirschensaft, den er ihr sandte. Aber leider hätten sie die Krankheit nicht gemindert, auch möge seine arme Frau, die täglich mit dem Tode ringe, dergleichen nicht genießen. „Mitleid und Schmerz,“ fährt er fort, „ergreift mich bei ihrem Anblicke, doch ist das immer mein Trost, dass sie fortwährend bei sich und ruhigen Gemütes ist. Und wenn sie ins Gebet geht und in die göttlichen Tröstungen, da spricht sie so, dass man sie festgegründet in der Erkenntnis des Sohnes Gottes und in der Hoffnung auf ewige Gemeinschaft mit der oberen Gemeinde weiß.“

Sie wurde noch einmal von den Pforten des Todes herausgerissen, aber nur um unter dem Kreuze noch völliger zum Eingange in die Herrlichkeit bereitet zu werden. Sie fasste ihre Seele in Geduld; das Psalmbuch war auch ihr die unerschöpfliche Trostquelle.

Man hörte häufig aus ihrem Munde das Gebet Psalm 71, 18: „Verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde.“ …

Und er verließ sie nicht, obwohl Freunde und Kinder sie verließen; ja ob auch ihr frommer, sorglicher Gatte im bösen Stündlein sie um seines Amtes willen allein lassen musste, der Herr war bei ihr. Melanchthon hatte gerade 1557 zu dem Religionsgespräch nach Worms reisen müssen, wo seine Gegner zornig und kampfbereit seiner harrten. Der gute herrliche Mann war seiner ganzen Natur nach zum milden Vermittler angetan. Aber es ging ihm, wie allen Vermittlern: er konnte es beiden aufeinander platzenden Parteien nicht recht machen. Vollends seit dem Tode des ihn kräftig anziehenden und haltenden Luther wurden ihm seine Lebensjahre zu wahren Kummerjahren durch die ewigen Angriffe und Streithändel. Er konnte nicht Hammer sein, so musste er Amboss werden. Und die eifrig ihre reine Lehre hütenden Lutheraner hämmerten unerbittlich auf den Mann los, der das Augsburger Bekenntnis zwar ihnen geschenkt, aber (1540) auch den reformirten Brüdern zu lieb, denen er sich in seinem Denken wahlverwandt fühlte, mit wenigen, doch verhängnisvollen Worten bei dem Artikel vom Abendmahl abgeändert hatte.

Noch war der Gang nach Worms ihm nicht der letzte Gang und Kampf, aber der schwerste wohl war er ihm durch den Abschied von der hinfälligen, lebenssatten und leidensmüden Gattin. Sein Schwiegersohn und Paul Eber begleiteten ihn, daheim lag auch sein Sohn krank, „welcher, obgleich er noch lebt, an Schwäche des Leibes und der Seele leidet.“ „Ich habe große Sehnsucht nach den Meinigen,“ schreibt er an seinen Freund, „und wollte lieber mit den mir so teuren Söhnen und Töchtern Gebete hersagen, als mich mit diesen giftigen Wortfechtern herumstreiten.“ Es ist als ob er eine Ahnung von dem gehabt hätte, was zu Hause vorging.

Am 27. Sept. 1557 war Katharina bedenklicher denn je erkrankt. Sogleich sah sie ihr Ende voraus, empfing das heilige Abendmahl und bat Gott, als sie sich legen musste, um Geduld. Sie wurde erhört. Auch nicht ein Wort der Ungeduld vernahm man, wohl aber konnte man deutlich sehen, dass sie ganz gerüstet auf ihr Ende sei. „In diesem Gehorsam gegen Gott,“ sagt ein alter Bericht, „und in häufigem Gebete zu dem Sohne Gottes ist sie in Christo so friedlich eingeschlafen, dass die umstehenden es kaum bemerkten.“ Es war am 11. Oktober Morgens 3 Uhr in ihrem 60. Jahre, im 37. ihrer Ehe. Als ihr Tod erfolgte, befand sich Melanchthon gerade in Heidelberg, wohin ihn der Kurfürst Ott-Heinrich eingeladen hatte, um mit Micyllus der dortigen Universität durch bessere Einrichtungen aufzuhelfen. Er hatte hier vergnügte Tage, da er, außer der Ehre beim Fürsten und allen Gelehrten, seinen lieben Bruder Georg umarmen durfte. Und nun kam auch noch sein teurer Camerarius. Dieser sah Melanchthons Glück und musste es stören, indem ihn die Universität Wittenberg beauftragt hatte, ihm die Trauernachricht zu überbringen. Als sie am folgenden Morgen im kurfürstlichen Garten spazieren gingen, entledigte sich Camerarius seines schmerzlichen Auftrags. Melanchthon blieb ruhig; zum Himmel blickend sagte er: „Lebe wohl, ich werde dir bald folgen!“ Er fing nun an, von der kirchlichen Not und den schweren Zeiten, die bevorstünden, zu sprechen; doch kehrte der Schmerz über den Verlust seiner Frau wieder zurück. An seinen Brudersohn Sigismund, der sich gerade damals in Wittenberg aufhielt, schrieb er einen herzlichen Brief, worin er seinen Schmerz über den Heimgang der geliebten Gattin ausspricht, und ihn auffordert, Vaterstelle im Hause zu vertreten. Auf das teilnehmende Schreiben der Universität Wittenberg, das Camerarius überbracht hatte, antwortete er am 31. Oktober: Obwohl er alle möglichen Trostgründe aufsuche, und an das Alter der Hingeschiedenen, an ihre heftigen Krankheiten, an künftiges gemeinsames Elend denke, so breche doch immer wieder die Liebe zu ihr und den Töchtern und Enkelinnen, die nun der mütterlichen Leitung und Pflege entbehren, mit solcher Macht hervor, dass er dem Schmerz fast unterliege. Aber er gedenke des Wortes: „Sei Gott untertan und bete;“ so flehe er denn aus ganzem Herzen für Kirche und Haus, dass der gute Hirte seine zarten Schafe in seinem Schoße tragen wolle.

Wie Katharina Luther ihrem Manne nicht die Augen zudrücken konnte, so konnte Melanchthon seine Katharina nicht sterben sehen, nicht ihrem Leichenbegängnisse beiwohnen, nicht einmal sogleich an ihrem Grabhügel seinen Schmerz ausweinen, er musste erst nach Worms zurück, dort zwecklos und freudelos weilen, ehe er nach Hause gehen durfte, um nach drei schweren Jahren, in denen er zwar noch die Geburt eines Enkels (Peucers Sohn) und die Verheiratung zweier Enkelinnen (von seiner Tochter Anna) erleben durfte, aber sonst manchen Schmerz und Tod miterleben musste, endlich aus dem Jammertale heim zu der vorangegangenen Gattin und Tochter zu gehen.

„Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott,“ das dürfen wir füglich auf den Grabstein der beiden Katharinen schreiben, deren Namen mit Luther und Melanchthon für immer verknüpft ist. Im Rückblick auf ihr vielbewegtes, schmerzvolles Erdenwallen mögen wir, denen das Erbe der Väter mühelos in den Schoß gefallen, dankbar der Mühsal und Arbeit gedenken, welche diese Männer und Frauen es sich kosten ließen, um sich und uns die eine köstliche Perle zu gewinnen; und wenn wir Spätgeborenen weich und unlittig über böse Zeiten klagen wollen, so müssen jene, die ein Leben lang gelitten und gestritten, uns erinnern: „wir sind nicht besser, denn unsere Väter denn unsere Mütter alle.“

Katharina Zell.

1497-1562?

Zu dem Bilde der Argula von Grumbach finden wir ein anziehendes Gegenstück in Katharina Zell. Sie stellt sich der „bairischen Deborah“ als die „elsässische“ ebenbürtig zur Seite. Es ist merkwürdig, wie diese zwei lutherischen Frauen ihrem Freunde in Wittenberg durch Streitfertigkeit und Lehrhaftigkeit sich wahlverwandt erzeigen. Beide waren reich an Verstand und Gemüt, mutvoll und beredt, voll brennenden Eifers für die Sache des Evangeliums und unermüdlich tätig im Dienste desselben. Beide mussten und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie über die Schranken des weiblichen Berufes hinausgegangen seien, in Streitigkeiten sich gemischt hätten, welche sie „nichts angingen“ und dass ihr Selbstgefühl teilweise in Selbstgefälligkeit ausgebrochen sei. Nun wollen wir aber ja keine katholischen Heiligenbilder, sondern christliche Frauenbilder betrachten, die als „sündige Töchter Evens“ durch ihre Fehler, wie durch ihre Tugenden zur Lehre dienen sollen: daher sei uns auch „die Zellin“ freundlich willkommen.

Katharina Zell, eine geborene Schütz, erblickte das Licht dieser Welt ums Jahr 1497 zu Straßburg in einer ehrbaren Handwerkerfamilie. Ihr Vater war Schreinermeister. Die trefflichen Anlagen des Kindes wurden durch eine sorgfältige Erziehung ausgebildet, ihr heller Sinn bekam in dem frommen schlichten Bürgerhause frühe eine feste Richtung aufs Religiöse. Hören wir, wie sie später als Witwe in einem offenen Briefe als in einer mannhaften Schutz- und Trutzschrift gegen Missurteile und Anklage vor aller Welt sich selber schildert. „Von Mutter Leibe an“, schreibt sie, „hat mich der Herr gezogen, und von Jugend auf gelehrt, darum hab‘ ich mich auch seiner Kirche nach dem Maße meines Verstands und der verliehenen Gnade zu jeder Zeit fleißig angenommen und treulich gehandelt, ohne Schalkheit und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist; dass mich auch in meiner frühen Jugend alle Pfarrherrn und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben. Deshalb auch mein frommer Matthäus Zell zur Zeit und Anfang seiner Predigt des Evangeliums mich zur ehelichen Gesellin begehrt hat, dem ich auch eine treue Hilfe in seinem Amt und Haushaltung gewesen bin, zur Ehre Christi, welcher auch dessen Zeugnis geben wird am großen Tag seines Gerichts, dass ich treulich und einfältig getan habe, mit großer Freud und Arbeit, Tag und Nacht meinen Leib, meine Kraft, Ehre und Gut, dir, du liebes Straßburg! zum Schemel deiner Füße gemacht habe. Dies hat auch mein frommer Mann mir herzlich gerne zugelassen, und mich sehr darum geliebt, sich selbst und sein Haus meiner oft ermangeln lassen, und mich gern der Gemeinde geschenkt.“

Weiter erzählt sie, wie sie aus der römischen Gefangenschaft in die evangelische Freiheit, aus der Obrigkeit der Finsternis zu Christi wunderbarem Lichte gekommen. „Ich bin seit meinem zehnten Jahre eine Kirchenmutter, eine Zierde des Predigtstuhls und der Schule gewesen, habe alle Gelehrte geliebt, viele besucht und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden noch Fastnacht, sondern vom Reich Gottes gehabt. Deshalb auch mein Vater, Mutter, Freunde und Bürger, auch viele Gelehrte, deren ich viele besprochen, mich in hoher Lieb, Ehr und Furcht gehalten haben. Da aber meine Anfechtung um des Himmelreichs willen groß ward und ich in all meinen schweren Werken, Gottesdienst und großer Pein meines Leibes, auch von allen Gelehrten kein Trost noch Sicherheit der Lieb und Gnade Gottes konnte finden, noch überkommen, bin ich den Leib und Seel bis auf den Tod krank und schwach worden und ist mir gangen wie dem armen Weiblein im Evangelio, das alles sein Gut bei den Ärzten immerdar verlor; da es aber von Christo hört und zu ihm kam, da wurde ihm durch denselbigen geholfen. Also mir auch und manchen bekümmerten Herzen, die damals mit mir in großer Anfechtung, viel herrlicher alter Frauen und auch Jungfrauen, die meiner Gesellschaft begierig, und mit Freuden meine Gespielen waren. Und da wir in solcher Angst und Sorg der Gnaden Gottes stunden, und aber in allen unsern vielen Werken, Übung und Sakramenten derselbigen Kirche nie keine Ruh finden mochten, da erbarmte sich Gott unser und vieler Menschen, erweckte und sandte aus, mit Mund und Schriften den lieben und jetzt seligen Doktor Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesum Christum so lieblich fürschrieb, dass ich meinte, man zöge mich aus dem Erdreich herauf, ja aus der grimmen bittern Hölle in das lieblich süße Himmelreich, dass ich gedacht an das Wort des Herrn Christi, da er zu Petro sprach: „Ich will dich zu einem Menschenfischer machen und hinfüro sollt du Menschen fangen.“ Ich hab mich Tag und Nacht bearbeitet, dass ich ergriffe den Weg der Wahrheit Gottes, welcher ist Christus, der Sohn Gottes. Was Anfechtung ich darüber aufgenommen, da ich hie das Evangelium habe lernen erkennen, und helfen bekennen, das lass ich Gott befohlen sein.“

Am 3. Dezember. 1523 in ihrem 26. Lebensjahre verheiratete sie sich mit Magister Matthäus Zell, der zu Kaisersberg im Elsass 1477 geboren erst Professor und Rektor der Universität zu Freiburg im Breisgau, seit 1518 Leutpriester zu St. Lorenz am Münster zu Straßburg und der erste evangelische Pfarrer dieser wichtigen Reichsstadt war. Martin Bucer1auch Butzer, der schon früher in die Ehe getreten war, segnete ihren Bund ein; zum Schlusse der heiligen Handlung feierte das neue Ehepaar das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Die weiten Räume des Münsters waren dabei dicht voll Menschen, welche freudig ihre Beistimmung zu solcher evangelischen Priesterehe bezeugten. Frau Katharina war eine fromme, tätige, treue und verständige Hausfrau, in seltener Herzens- und Geistes-Einheit mit ihrem Gatten. Sie sagt selber darüber: „Gar oft hab ich mich verwundert, und Gott gedankt, dass wir beide, mein seliger Mann und ich so durchaus eines Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind. Wie es dann unser Haushalt, Leben und Wesen in den vierundzwanzig Jahren und fünf Wochen bewiesen hat, da wir bei einander gewesen ein Herz und eine Seele. Ich bezeuge, dass ich vom Tage unserer ehelichen Einsegnung an getan habe, was dem Evangelio und der Seinigen geziemte. Als wir uns verbanden, war die Rede nicht von Wittum, Morgengabe, Silber oder Gold. Wir beiden hatten höheres Ding: Christus war unser Augenmerk. Wir gedachten an die Feuer- und Wassertaufe, und ich an das Wort des Apostels, 1 Tim. 5. der nicht bloß den Witwen, sondern den Weibern zur Pflicht macht, dass sie ein Zeugnis guter Werke haben, dass sie die Kinder wohl erziehen, gute Hausmütter seien, gerne herbergen, der Heiligen Füße waschen, den Bedrängten Handreichung tun, allem guten Werk nachkommen, dem Manne untertan seien; auf dass Gottes Wort nicht gelästert werde. Dann stand mir jenes Wort des Petrus, 1. Brf. 3,1-4, immer im Angedenken; die, welche dem Worte Gottes noch nicht Gehör geben, sollen durch der Weiber Wandel gewonnen werden, ihr keuscher Wandel soll sie beschämen. Wir gaben auch unsers Leibes Ehre und Gut Gott und Christo, seinem Sohne zum Opfer dar. Auch hieß mich mein Mann armer und verjagter Leute Mutter sein, so lange uns Gott beisammenließe. Da hab ich unserer ehelichen Verlöbnis und meines Mannes Befehl Folge geleistet mit Leib, Ehre und Gut, ja großer Unruhe, die ich mir selbst gemacht habe, dem Herrn Jesu und seiner Predigt zu Ehren.“

Matthäus Zell hatte samt seinen Freunden Capito, Hedio, Bucer, Firn manche Anfechtung zu erleiden; da stand ihm seine Gattin ritterlich zur Seite und machte bei Freunden und Feinden fast noch mehr Aufsehen und Eindruck als er selbst. Sie war trefflich geschult und fast gelehrt, das Forschen in der Schrift gab ihr eine bedeutende religiöse Erkenntnis, mit einem seltenen Mute und einer großen natürlichen Beredtsamkeit ausgestattet verstand sie auch mit der Feder ihre Überzeugungen gründlich und in fließender Schreibart zu verfechten. Die Verbreitung des lautern Evangeliums war ihr eine wahre Herzens-Sache und Lebens-Aufgabe. Wenn hiernach ihr Gatte wohl etwas hinter ihr zurücktrat und sein (wir dürfen fast sagen, ihr) Amtsgenosse Bucer den guten Matthäus achselzuckend „von einem Weibe beherrscht“ nennt, so kann uns das nicht wundern bei einem so stark ausgeprägten Charakter, wie Katharina. Dennoch musste Bucer selbst ihr das Zeugnis geben „sie ist gottesfürchtig, grundstudiert und mutvoll wie ein Held“ wenn er auch ihre besondere Art nicht gerade liebte und dem Urteil über sie hinzufügt: „aber es wyblet doch immer ein wenig um sie.“

Bald nach ihrer Verehelichung wurde sie auch mit Luther bekannt, und schon im Jahre 1524 schrieb dieser ihr folgenden Brief: „Der tugendsamen Frauen, Katharina Schützin, meiner lieben Schwester und Freundin in Christo in Straßburg, Gnade und Friede in Christo. Meine Liebe! Dass dir Gott seine Gnade so reichlich gegeben hat, dass du nicht allein selbst sein Reich siehest und kennest, sondern dass er dir auch einen solchen Mann bescheret hat von welchem du täglich ohne Unterlass besser lernen und immer neu Gutes hören magst, gönne ich dir wohl und wünsche dir Gnade und Stärke dazu, dass du solches mit Dank behaltest bis auf jenen Tag, da wir uns alle sehen und freuen werden, wills Gott! Jetzt nicht mehr. Bitte Gott für mich und grüße mir freundlich deinen Herrn, Matthäus Zell. Hiermit Gott befohlen. Am Sonnabend nach Lukas 1524.“

Wie mit Luther, so stand sie auch mit andern Gottesgelehrten im Briefwechsel, namentlich mit Zwingli und Bullinger, selbst dem Bischof von Straßburg schrieb sie raue Briefe.“ Bei all dem gerechten Selbstgefühl, das sie haben durfte und bei der Selbstgefälligkeit, die sich hin und wieder an ihr zeigte, wusste sie dennoch ihre Schranken und ihren eigentlichen Beruf einzuhalten. Sie wollte nur die treue Gehilfin ihres Mannes sein und „ein Stücklein von der Ripp des seligen Matthis Zellen.“ Wie sie sich in das Amt ihres Mannes als eine rechte Helferin oder Diakonissin nach apostolischem Vorbilde zu teilen verstand, wie sie ihren weiblichen und geistlichen Beruf am liebsten erfüllte in Werken unermüdlicher Wohltätigkeit gegen Notdürftige überhaupt und insbesondere gegen bedrängte, verfolgte, flüchtige Glaubens-Genossen, für welche Straßburg gleich der freien Schweiz eine sichere Schanze und Zuflucht bot, davon erzählt sie wiederum selbst:

„Ich hab schon im Anfang meiner Ehe viel herrlicher gelehrter Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: unterstütze und stärke die müden Knie.“ „Das hab ich nach meinem Vermögen und gegebener Gnaden Gottes getan.“ „Einmal fünfzehn lieber Männer aus der Markgrafschaft Baden mussten weichen, sie wollten dann wider ihr Gewissen tun, unter welchen ein gelehrter, alter Mann war, hieß Doktor Mantel, der mich samt andern zu Baden innen ward, zu mir kame, Rat und Trost von mir begehrte, da er mit Weinen sagte: „Ach ich alter Mann mit viel kleiner Kinder!“ Da ich ihm aber Matthäi Zellen Haus und Herberge zusagte, wie ward sein Herz erfreut und seine müden Knie gestärkt! Dann er Angst und Schrecken verursacht, hat vier Jahre schwer gefangen gelegen. Im 1524. Jahre mussten auf Eine Nacht anderthalb hundert Bürger aus dem Städtlein Kenzingen im Breisgau entweichen, kamen gen Straßburg, deren ich auf dieselbige Nacht achtzig in unser Haus aufgenommen und vier Wochen lang nie minder dann fünfzig oder sechzig gespeist, darzu viel frommer Herren und Bürger steuerten und halfen erhalten. Im 1525. Jahre, nach dem Totschlag der armen Bauern, da so viel elender erschrockener Leut gen Straßburg kamen, hab ich sie mit Meister Lux Hackfurt, des gemeinen Almosen-Schaffner, nebst zwei ehrsamen Witwen, die Kräftinnen genannt, in das Barfüßer-Kloster geführt, da es eine große Menge ward und hab viel ehrlicher Leute, Mann und Weib angerichtet, dass sie ihnen dienten und große Steuer und Almosen gegeben wurden.“ Solche Werke der Barmherzigkeit habe ihr Mann ihr herzlich gern zugelassen; er hat mich um so mehr, sagt sie, darum geliebt, sein Leib und Haus meiner vielmehr lassen ermangeln und mich gern der Gemeinde geschenkt; mir auch solches nicht mit Gebot, sondern mit freundlicher Bitt, solchem weiter nachzukommen an seinem Ende befohlen; dem ich auch, wie ich hoff, treulich nachkommen bin, da ich noch zwei Jahr und elf Wochen nach Zells Abschied im Pfarrhaus geblieben, die Verzagten und Armen aufgenommen, die Kirche helfen erhalten, und derselben Gutes getan habe, in meinen Kosten, ohne Jemandes Steuer.“ Unter andern rief sie nach Straßburg in ihr Haus den treuen frommen Prediger, Marx Heilandt von Calw, im Württemberger Land, damals verjagt; „durch mich beschrieben hieher,“ sagt Frau Zell, „kam er hie auf den Predigtstuhl und hat auch hie sein Leben geendet.“

Frau Zell fuhr fort in diesem Sinn zu handeln und wo ein wohltätiges Werk zu vollbringen war, da war sie eine der Vordersten, die Hand anlegten, und das Ihre nicht sparten. Als im Jahre 1543 in Folge der Reformation, und da Straßburg ein von alter Zeit her berühmter Bildungsort war, sich eine bedeutende Zahl armer Schüler zusammengefunden hatte, da war Katharina eine der tätigsten, um denselben ein Unterkommen zu verschaffen. Sie fanden dasselbe in dem ehemaligen Wilhelmskloster und Frau Zell pflegte ihrer auf die treueste Weise. Sie half mit Kräften dazu mit, dass das noch jetzt bestehende Studienstift, St. Wilhelm genannt, zu Stande kam.

Doch nicht bloß an Armen und Flüchtigen bewies Zells Hausfrau ihre Liebestätigkeit. Sie gefiel sich besonders im Umgang mit den gelehrten und berühmten Männern, die ihren Gatten besuchten. Eine Glanzperiode in ihrem tätigen Hausleben war die Zeit, als im Spätjahr 1529 die berühmtesten oberdeutschen und schweizerischen Theologen auf das Religionsgespräch zu Marburg reisten. „Ich bin, so erzählt sie selber, vierzehn Tag Magd und Köchin gewesen, da die lieben Männer Oecolampad und Zwingli im 29. Jahr hie zu Straßburg waren, dass sie samt den Unsern gen Marburg zu Doktor Luther reisten.“

Wie dem weichen Matthäus Zell, so waren auch seiner Gattin die Abendmahlsstreitigkeiten und überhaupt die mannigfachen Lehrhändel in der jungen evangelischen Kirche zuwider. Mit ihrem Martha-Sinn erkannte sie das Wesen dieser letzteren im liebtätigen Glauben und nicht im Festhalten an ausgeprägter Glaubens-Formel. Daher geschah es, dass sie nicht selten durch ihre freimütigen Äußerungen bei den lehreifrigen Amtsbrüdern ihres Mannes anstieß, insbesondere bei Martin Bucer, der in diesen Lehrstreitigkeiten als Friedensstifter und gar nicht glücklicher Vermittler zwischen Luther und Zwingli ungemein tätig war und der in einem ungedruckten Briefe sich über die tatkräftige, zungen- und federfertige Frau gelegentlich äußerte, sie sei eine tadellose Frau, habe aber zu viel Selbstliebe.

Nachdem im Jahre 1536 „die Wittenberger Concordie“, d. h. die Vereinigung der oberdeutschen Städte mit der lutherischen Lehre, abgeschlossen worden, unternahm der schon alternde Zell noch eine Reise zu Dr. Luther nach Wittenberg gleichsam zur Versiegelung des Friedens. Seine Gattin begleitete ihn. Sie erzählt: „Ich bin eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Krankheit und Schmerzen in meiner Ehe erlitten, hab‘ dennoch meinen Mann so lieb gehabt, dass ich ihn nit allein hab lassen wandeln, da er (1538) unsern lieben Dr. Luther, und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger, hat wollen sehen und hören, hab ich meinen alten fünfundachtzigjährigen Vater, Freunde und Alles hinter mir gelassen und bin mit ihm wohl 300 Meilen aus und ein auf der selbigen Reis‘ gezogen. So bin ich mit ihm in das Schweizerland, Schwaben, Nürnberg, Pfalz und andre Ort gereist, diese Gelehrten alle auch wollen sehen und hören, auch ihm zu dienen und Sorg auf ihn zu tragen, wie er es denn wohl bedurft hatte, dass ich mehr denn 600 Meilen mit ihm in seinem Alter gereiset mit großer Mühe und Arbeit meines Leibes, und großen Kosten unserer bloßen Nahrung, das mich aber nit gedauert und noch nit reut, sondern Gott darum danke, dass er mich solches Alles sehen und hören hat lassen.“

Indessen ließ sie sich durch die Verbindung mit Luther nicht von ihrer weitherzigen Duldsamkeit und Gastfreundlichkeit abhalten. In völliger Übereinstimmung mit ihrem Gatten wiederholte die edle Frau oft: „Es soll jeder seinen Zugang zu uns haben und alle, so den Herrn Christum für den wahren Sohn Gottes und einigen Heiland aller Menschen glauben und bekennen, die sollen Teil und Gemein an unserem Tisch und Herberg haben, wir wollen auch Teil mit ihnen an Christo und im Himmel haben, er sei wo er woll‘. Also hab ich mit Zells Willen und Wohlgefallen mich vieler Leut angenommen, für sie geredt und geschrieben, es seien die so unserm lieben Dr. Luther angehangen, oder Zwinglin, oder Schwenkfelden und die armen Taufbrüder, reich und arm, weis oder unweis, nach der Red des heiligen Pauli, Alle haben dürfen zu uns kommen. Was hat uns ihr Namen angegangen? Wir sind auch nit gezwungen gewesen, Jedes Meinung und Glaubens zu sein, sind aber schuldig gewesen, einem Jeden Liebe, Dienst und Barmherzigkeit zu beweisen, das hat uns unser Lehrmeister Christus gelehrt.“

Gewiss, es steht einem Frauengemüte wohl an, in der Liebe die größte unter allen Christentugenden nach des Apostels Wort zu sehen und zu üben, somit auch herzlich Mitleid mit allen Verfolgten zu haben und jeden Unglücklichen als ihren Nächsten zu pflegen. Wir mögen auch gerne lesen, wie die wackere Frau über die Verfolger Andersglaubender zürnt: „Die armen Täufer, da ihr so grimmig zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzt, wie ein Jäger die Hund auf ein wild Schwein und Hasen, die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen, im Hauptstück, darinnen wir uns vom Papsttum geteilt haben, über die Erlösung Christi, aber sich in andern Dingen nit vergleichen können, soll man sie gleich darum verfolgen, und Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen, und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben? Lieber gebt euch die Schuld, dass wir in Lehr und Leben Ursach sind, dass sie sich von uns trennen. Wer Böses tut, den soll eine Obrigkeit strafen, den Glauben aber nit zwingen und regieren, wie ihr meint, er gehört dem Herzen und Gewissen zu, nit dem äußerlichen Menschen. Lest alle alten Lehrer und die, so auch das Evangelium bei uns wiederum erneuert haben, zuvor unsern lieben Luther und Brenzen, der noch lebt, was er geschrieben hat von ihnen, und sie so hoch beschirmt, dass eine Obrigkeit nit mit ihnen zu tun hab, dann in bürgerlichen Sachen. Lest es in dem Büchlein, das der gut Mann Martinus Bellius an den Fürsten und Herzog Christofel zu Wirtemberg2Christoph von Württemberg geschrieben hat, nach des armen Serveti Todbrand zu Genf, da er für und zu dieser Zeit aller Frommen, Verständigen, Gelehrten, … Rede und Meinung fleißig zusammengezogen hat, wie man mit irrenden Menschen, die man Ketzer nennt, soll handeln. – Wenn euch die Obrigkeit folgte, sie würde bald ein Tyrannei anfangen, dass Städt und Dörfer leer würden. – Straßburg steht noch nicht zum Exempel Schand und Spott dem Teutschen Land, sondern vielmehr zum Exempel der Barmherzigkeit, Mitleidens und Aufnehmung der Elenden; ist auch noch nit müd worden, Gott sei Lob und ist mancher armer Christ noch darinnen, den ihr gern hättet gesehen hinaus treiben. Das hat der alte Matthäus Zell nit getan, sondern die Schafe gesammelt nit zerstreut; hat auch in solches nie gewilligt, sondern mit traurigem Herzen und großem Ernst, da es die Gelehrten auch einmal also bei der Obrigkeit anrichteten, öffentlich auf der Kanzel und im Konvent der Prediger gesagt: ich nimm Gott, Himmel und Erdreich zum Zeugen an jenem Tag, dass ich unschuldig will sein an dem Kreuz und Verjagen dieser armen Leute.“ -((Wohl! aber da versteht sie ihren lieben Luther und Brenz schlecht, wenn sie nicht bloß den Andersglaubenden im Unglück ins Haus führt, sondern auch den „Glauben der Kirche und den Glauben der Schwarmgeister um der Liebe willen“ gleich stellt. Luther ist erbötig im Leben jede Liebe seinen Gegnern zu erweisen, aber in der Lehre könne er nicht Buchstab noch Titel nachlassen. Denn die Lehre sei wie ein fein ganzer güldener Ring, daran kein Risslein noch Bruch: „Wir sind bereit und willig,“ sagte er, Friede und Liebe ihnen zu erzeigen, so ferne sie uns die Lehre des Glaubens unverletzt und ungefälscht lassen. Wo wir solches nicht bei ihnen erhalten können, ist es vergebens, dass sie die Liebe so hoch rühmen. Verflucht sei die Liebe in Abgrund der Höllen, so erhalten wird mit Schaden und Nachteil der Lehre vom Glauben, der billig Alles zumal weichen soll, es sei Liebe, Apostel, Engel vom Himmel und was es sein mag.“))

Unter all den vielen Fremden, welche Gastfreundschaft im Zellschen Hause genossen, fand insbesondere Kaspar Schwenkfeld, der schlesische Edelmann, welcher als Vertriebener im Jahre 1528 nach Straßburg kam, den meisten Anklang. Die Wärme, welche allen Schwärmern eigen zu sein pflegt, die Gefühligkeit und Geistigkeit seiner Richtung, sein achtungswerter Charakter und das adelig feine Wesen in seiner ganzen Erscheinung gewannen ihm das Herz des Zellschen Ehepaars. Je mehr er mit seinen angeblichen besonderen Offenbarungen als Kirchenfeind angefochten war, desto mehr fühlte sich die ihm etwas wahlverwandte Frau sogar von seiner Irrlehre angezogen, die statt auf die Kraft des Worts und Sakraments auf das rein innerliche Licht und Leben ging, Christi Menschheit von der Gottheit verschlungen erklärte und durch all das dem angefochtenen Gläubigen seinen Haupt-Anker nahm.

Auch nachdem Schwenkfeld die Stadt Straßburg verlassen hatte, blieb Frau Zell im Briefwechsel mit ihm. Die Briefe sprechen alle gegenseitige innige Hochachtung, Liebe und Geistesgemeinschaft aus. Schwenkfeld nennt sie „herzliebe Frau Katharina“, wünscht ihr Beständigkeit und Wachstum im Glauben und für ihren Hauswirt Meister Matthäus Zell bittet er, der Herr Jesus Christus wolle ihm in wahrer Einfalt des heiligen Geistes sich selbsten mit Fried und Freud im Herzen zu erkennen geben, dass er mit dem lieben alten Simeon vor seinem End nu recht wahrhaftig das „Nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren“ möge singen. In einem ungedruckten Briefe (19. Okt. 1553) erzählt Frau Zell: „Mein lieber Mann hat mir Plath und Weile gegeben, ist mir auch auf alle Art förderlich gewesen, zu lesen, hören, beten, studieren, hat es mir früh und spät, Tag und Nacht vergönnt, ja große Freude daran gehabt, ob es schon mit Nachlassung seiner Leibeswartung und Schaden seines Haushaltens geschehen wäre. Er hat mir auch nie gewehrt mit euch (Schwenkfeld), dieweil ihr in Straßburg gewesen, zu reden, zu euch und euch zu mir zu gehen, euch zu hören, Guts zu beweisen, oder euch hernach zu schreiben, hat mich nie darum gestraft, oder gehasst, sondern vielmehr deshalb mich sehr geliebt.“ Gewiss aber hätte er ihr viel Übles erspart, wenn er der Mann gewesen wäre, mit klarer Entschiedenheit ihr geistiger Führer auf dem Felde zu sein, wo das weibliche Herz so leicht mit dem Verstande davon eilt und deswegen der Apostel Paulus es schweigen und in der Stille lernen heißt.

Unsere liebe Zellin bewies übrigens ihre geistige Tätigkeit nicht bloß durch ihren fleißigen Briefwechsel, sondern auch durch mehrere Schriften, die sie bei verschiedenen Anlässen veröffentlichte zum Frommen der ihr so teuren evangelischen Kirche. So ließ sie im Jahr 1524 eine Entschuldigung des M. Matth. Zell erscheinen, die aber von der Obrigkeit eingezogen wurde und wahrscheinlich nicht mehr vorhanden ist3Eine Fehleinschätzung, mittlerweile gibt es diese Schrift sogar in der Glaubensstimme. In demselben Jahre verfasste sie eine Trostschrift „an die leidenden christgläubigen Weiber der Gemeine zu Kenzingen, meine Mitschwestern,“ deren Männer durch die Oestreicher vertrieben nach Straßburg geflohen waren. Im Jahr 1534 schrieb sie eine Vorrede zu dem bei Jakob Frölich in Straßburg erscheinenden Abdruck des Michael Weisseschen Gesangbuchs, unter dem Titel: „Von Christo Jesu unserm säligmacher, seiner Menschwerdung usw. etlich christliche und trostliche Lobgesäng, aus einem fast herrlichen Gesangbuch gezogen.“ In der Vorrede sagt sie: „dieweil so viel schandlicher Lieder von Mann und Frauen, auch von Kindern gesungen werden, in der ganzen Welt, in welcher aller Laster, Buhlerei und anderer schandlicher Ding den Alten und Jungen fürtragen wird, und die Welt je gesungen will haben, dünkt es mich ein sehr gut und nutz Ding zu sein, wie dieser Mann (Michael Weisse) getan hat, die ganz Handlung Christi und unseres Heils in Gsang zu bringen, ob doch die Leut also mit lustiger Weis und heller Stimmen ins Heil ermahnt möchten werden und der Teufel mit seinem Gsang nit also bei ihnen Statt hätte.“ Übrigens war dieses kein Gemeindegesangbuch, ein solches gab es damals noch nicht. Aber die gangbarsten Kirchenlieder finden sich in allen damaligen Liedersammlungen wieder, und so auch in dieser.

Unter viel Arbeit, Mühe und Liebestaten alterte Frau Zell. Sie war aber noch rüstig als ihr ehrwürdiger Gatte starb, am 9. Januar 1548 im 71. Lebensjahr. Noch in der letzten Nacht hatte Zell seine Frau gebeten, sie solle seinen Helfern (Diakonen, Unterpredigern) sagen, dass sie „Schwenkfeld und die Täufer in Frieden lassen, und Christum predigen.“ Herzerhebend war Zells Hinscheiden und rührend ist der Bericht, den dessen Gattin uns davon hinterlassen hat. Betend für seine Gemeinde entschlief er. Die treue Gattin hatte seiner bis zum letzten Atemzug gepflegt und auch bei dessen Leichenbegängnis bewies sich Frau Zell als glaubensstarke Christin. Nachdem die Leichenrede von Bucer gehalten war, hatte diese Männin den Mut, an die Gemeinde eine zweite Leichenrede zu halten. Sie legte die Worte zu Grund: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Dabei war sie so in der Fassung, dass sie keine Träne vergoss. „Mein Mann,“ sprach sie, „ist ja nicht gestorben; er ist nur ins bessere Leben übergegangen; er lebt, er ist Gottes! Sein wollen wir auch sein.“

Traurige Tage hatte sie mit der ganzen lutherischen Kirche, als der siegreiche Kaiser Karl V. das „Interim“ und den „Schalk hinter ihm“, wie der Volkswitz sagte, einführte, d. h. einstweilen so viel als möglich vom alten Katholischen wieder einzuführen befahl. Die stückweise Einführung des Interims auch in Straßburg fiel ihr, die zugleich ihren Zell verlieren sollte, äußerst schwer. „O Straßburg,“ schreibt sie, wie willst du bestehen um deines Unglaubens willen. Nimmt Gott Matthis Zell bald davon, lug um, wie es dir wird gehn!“ Und ferner: „Oh Herr Jesu, was hast du uns heiliger Lehr, Lüt und Bücher geben, erbarm dich auch unserer Nachkommen. Kath. Zellin.“

„Oh Herr Christus mach mich fromm in dir; mein Herz soll solchem Recht nimmermehr abfallen. Katharina Zellin.“

Mit dem Tode Zells und der Abreise Bucers nach England trat in Straßburg eine weitere Veränderung ein. Die unsicher vermittelnde Ansicht und Auffassung der Kirchenlehre musste einer größeren Entschiedenheit weichen. Jüngere Prediger zumal verfuhren mit rücksichtsloser Schroffheit, ja mit bitterer Feindschaft gegen die alten Lehrer der Straßburgischen Kirche, welche Frau Zell so wert hielt. Am empfindlichsten aber schmerzte es sie, als ihr gleichsam aus ihrem eigenen Hause ein Widersacher erwuchs. Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war Pflegling im Zellschen Hause gewesen, da er sich als unbemittelter Jüngling dem evangelischen Lehramte widmete. Katharina erwies sich ihm als treu sorgende Mutter. Der junge Rabus, wohl begabt wie er war, wurde bald ein Lieblingsprediger des Volkes in Straßburg und nach Zells Tode dessen Nachfolger. Anfänglich war es das Interim und der Chorrock, wogegen er heftig ereiferte. Bald aber warf er seine scharfen Pfeile auf die früheren Zustände der straßburgischen Kirche, auf die milden, schwankenden Lehransichten ihrer Reformatoren und auf den (gerade durch seine Gutmütigkeit nicht ungefährlichen) Schwärmer Schwenkfeld. In harten Ausdrücken ließ er sich gegen Beide aus nicht bloß im Privatgespräch, sondern auch in öffentlicher Predigt. Frau Zell übernahm die Ehrenrettung der Geschmähten mündlich und schriftlich. Rabus antwortete von Ulm aus im Jahr 1557, wohin er als Superintendent war berufen worden. Sein Brief beginnt in der ungeheuren Derbheit jener Zeit: „Dein heidnisch, unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zukommen den 16. Aprilis, welcher der Karfreitag gewesen, da ich sonst mit Predigen ziemlich unruhig und beladen. Dieweil ich dann in selbigem giftigen, neidischen, erstunkenen, erlogenen Schreiben befunden, ob dich Gott wunderbarlich heimsucht, dennoch keine Besserung an dir zu verhoffen, sondern du für und für in schrecklichen Irrtumben, falscher Zeugnis und teuflischem Ausgeben verstockter Weise verharrst“ usw. Auf dies erschien „Ein Brief an die ganze Bürgerschaft der Stadt Straßburg, von Katharina Zellin, dessen jetzt säligen Matthei Zellen, des alten und ersten Predigers des Evangelii dieser Stadt, nachgelassene Ehefrauw, betreffend Herr Ludwig Rabus, jetzt ein Prediger der Statt Ulm, sampt zweyer Brieffen ir und sein, die mag mengklich lesen und vrteilen on gunst und Hassz, sondern allein der Wahrheit warnemen. Dabei auch eine sanfte Antwort auf jeden Artikel seines Brieffs.“ Ziemlich sanft lautet es darin: „Lieber Herr Ludwig, ich hab euch zu Straßburg vor einem Jahr einen freundlichen, mütterlichen, wahrhaftigen Brief aus großen Ursachen geschrieben und zugeschickt, denselben habet ihr mir unsanft und zugeschlossen wiederum geschickt und nit gewöllt lesen. Das hat mir wohl weh getan, als einer die euch geliebt, auch Ehr und Gutes bewiesen, nach meines frommen Mannes Abscheiden, auch helfen fürdern nach meiner Maß, dahin ihr gekommen seid. Ich hab es wohl aber auch mit Geduld können aufnehmen und tragen als einen Mangel und Unerfahrenheit eines jungen Mannes, der zu früh und vor der Zeit auf den Altar gesetzt ist worden, hab gedacht, Jahr und Verstand kommen mit der Zeit miteinander, der Herr Christus könne alle Ding ändern und Verstand ges ben. Habs demselbigen also befohlen und kein arges Herz gegen euch getragen, wiewohl es euch übel angestanden ist.“ Schon minder sanft fährt sie fort: Ach Gott, wie seid ihr doch, lieber Herr Ludwig, so blind, dass ihr meinet, die Leut seien Narren und verstehen nit, wann sie die Bücher lesen, was Schwenkfeld schreibe, red und lehre, und was ihr vielmal aus Unverstand auch vielleicht eitel Ehre und eigen Gesuch, redet und lehret! Und ihr sollet es nit zürnen, ihr lernet erst aus Schwenkfelds Schriften viel von Christo reden, auch zu Zeiten dasselbig in euren Predigen und fluchet ihm dannoch gleich darauf; gleich wie die armen Päpstler aus unsers lieben Dr. Luthers seligen Büchern haben etwas gelernet und ihn darnach verdammen. Luget! machet euch ihrer nit teilhaftig, es wird euch sonst gehen, wie dem Propheten Bileam: was du fluchest, will ich segnen.“- Aber ganz unsanft antwortet sie ihrem Gegner, der sich in seinem Briefe an die Witwe Zell unterschrieben: „L. Rabus, Doktor der heiligen Schrift und Superintendent der Kirche zu Ulm, wider alle Zwinglische, Schwenkfeldische, wiedertäuferische Geister, daneben aber ein armer, schlechter Diener des gekreuzigten Christi und seiner Kirche“:
„Dass sich der Herr „Doktor“ unterschreibt, lass ihm gelten : es ist eben nicht ein hässlich Wort. Es heißt und soll heißen, ein gelehrter, ein verständiger erfahrener Mann in heiliger Schrift und göttlicher Kunst; ein Lehrer wohl einstudiert in die Theologie, das ist heiliger Schrift und geistlicher Dinge wohl kundig. Nun, wo ein solcher Doktor, ein weiser kluger, treuer, verständiger Lehrer göttlicher Dinge, wirklich sanft, demütig und eines stillen Geistes ist, erzogen und gebildet in der Schule Christi und des heiligen Geistes, arm im Geiste und doch reich in Gott; ein Mann, dem der Herr den Sinn der Schrift geöffnet hat, dass er Altes und Neues aus seinem Schatze hervorlangen kann zum Heil der armen Seelen da ist Gott für einen solchen zu loben. Wer sollte ihn nicht zwiefacher Ehre wert halten? Aber, wenn ein solcher stolz, aufgeblasen, einbildisch auf menschliche Gelehrsamkeit wäre; wenn er sich mit fremden Federn brüstete, wie ein Rabe krächzte, oder dem ersten dem besten den Handschuh vorwürfe, wenn er Alles überpolterte und überschnarchte, selbst redselig Niemand neben sich zum Worte kommen ließe, in Allem Recht haben und über Alles absprechen, keine Gegenmeinung dulden und lieber mit Schimpf- und Pöbelworten um sich werfen wollte; welcher Vernünftige möchte vor diesem Narren Respekt haben? – O der närrischen Titel! Kennt Ihr den nicht, der gesprochen hat: Ihr sollt Euch nicht Rabbi nennen lassen: Einer ist Euer Meister, Christus: Ihr aber seid Brüder.

„So schreibt sich Herr Rabus „Super-in-tendent. Ein viersilbiges Wort! Deutsch: ein Oberaufseher. Nun, dawider rede ich nicht viel. Den lateinischen Titel mag ich ihm wohl gönnen, besser als meinem seligen Mann: der ließ sich schlechtweg „Pfarrer“ nennen. Der nagelneue Herr Superintendent sehe indes nur fein hübsch um sich und über sich, vor Allem aber in sich. Wie mir aber solcher Name und Amt gefalle, weiß man schon, doch mags hier noch einmal stehn. Ich halte mich an meines Herrn Wort: „Ihr nicht also, wer der Oberste sein will, der sei Euer Diener.“ Das findet man in meinem Brief, den ich ihm geschrieben, wie Christus und seine Apostel Superintendenten gewesen. Und dabei mags genug sein.“

Dieser Dr. Ludwig Rabus von Memmingen war übrigens ein tüchtiger Gottesgelehrter, der sich zumal um Straßburg und Ulm wohl verdient gemacht, und der evangelischen Kirche durch verschiedene Schriften, namentlich eine Geschichte der Märtyrer, nicht geringe Dienste geleistet hat.4Ulm, das bisher immer mit Zwingli gehen, wohl auch zwischen ihm und Luther auf beiden Seiten hinken wollte, gewann er mit kräftiger Hand dem entschieden lutherischen Bekenntnisse. Den Schwarmgeistern, die sich in Ulm eingenistet, den Wiedertäufern, dem Schwenkfeld legte er gründlich das Handwerk. Dass dem feurigen, entschiedenen Manne, dem Choleriker, die sanguinische Frau mit ihren Schwächen zuwider war, ist sehr begreiflich. Tief aber musste allerdings unsere Katharina seine Anklage verwunden, als stifte sie Unruhen. So verantwortet sich dann auch die tapfere Frau in der Zuschrift an ihre Mitbürger. „Stehet mir zur Rede, Herr! und hört: Heißt etwa das in der Kirche Unruhe anfangen, dass ich in den ersten Ehestands-Jahren so vieler herrlicher, gelehrter Leute aufgenommen und beherbergt habe, welche als Flüchtlinge kein Unterkommen haben finden können? Und das hab ich, Gottlob, nach meinem Vermögen und Gottes Gnade getan. Heißt das Unruhe in der Kirche gestiftet, dass ich, während dem andere Weiber ihre Häuser geziert, viel Geld unnützer Weise an Puz, Staat, Hoffart und Eitelkeit verschwendet, sich bei allen Freuden und deren Anlässen, Gastereien, Hochzeiten, Spiel und Tanz eingefunden, ich dagegen wie es sich gab, in armer und reicher Leute Häuser gegangen bin, mit aller Liebe, Treue und Mitleid ihre Kranken besucht und getröstet, bei ansteckenden Krankheiten und Pestilenzen ausgehalten, ihre Sterbenden verpflegt, ihre Toten weggetragen, die Angefochtenen oder unschuldig Leidenden in Gefängnissen, in Türmen, am Sterbebette besucht, Andere auf ihrem Todeswege getröstet, ja beherzt gemacht; und so die Wahrheit des Spruchs des Weisen an mir selbst erfahren: „Es ist besser ins Trauerhaus gehen, als ins Trinkhaus!“ Gott sei Dank! Ich habe viel dabei gelernt. Ja, ich darf wohl vor Gott bezeugen, dass ich mehr Arbeit meines Leibes und Mundes getan, als kein Helfer oder Kaplan! dass ich Tag und Nacht gewachet, gelaufen bin, und nicht selten zwei und drei Tage soviel als nichts gegessen und getrunken habe. Eben darum hat mich mein frommer Mann, weil er an diesem Allen herzliche Freude hatte, bald seinen rechten Arm, bald einen Diakonum (Helfer) genannt. Und bin ich nicht bloß in meinen nächsten Umgebungen behülflich gewesen, sondern, wie er, auch außer Straßburg, in manchem Lande und Volk, wo ich um Hilfe angesprochen war. Diese ward wie es immer in den Kräften lag, Niemand versagt, so dass ich wohl Nutz, aber nirgends Schaden und Unruh gestiftet hab, wie man mir aufbürden will.“

Die Wohltätigkeit gegen verfolgte und arme Unglückliche, die sie als Gattin von Matthäus Zell in einem solchen Grade wie kaum eine übte, hat sie auch noch als Witwe nach dem Wunsche ihres Mannes auf eine Weise fortgesetzt, welche über ihre herrliche Gesinnung keinen Zweifel lässt. So war es z. B. im Jahr 1549, als ihre Freunde und Gönner, die Straßburger Gottesgelehrten, Bucer und Fagius, im Begriffe nach England zu reisen, wohin sie von dem König Eduard berufen waren, sich bei ihr verabschiedeten und ihr, in einem verschlossenen Briefe, unbemerkt noch einige Goldstücke zurückließen mit der Bitte, dieselben nicht zu verschmähen, sondern in ihrer Dürftigkeit für einige Bedürfnisse zu verwenden. Kaum hatte Katharina Zell die Gabe bemerkt, als sie den Freunden zurückschrieb: „Ihr habt mich mit dem Gelde, so Ihr heimlich in dem Brief hinterlassen, wahrhaftig sehr betrübt. Damit aber meine Schamröte eines Teils hingelegt werde, habe ich Euch Eure zwei Goldstücke wiederum in diesen Brief legen wollen, wie Joseph das Geld seinen Brüdern. Es ist indes soeben ein unschuldig verjagter, grundehrlicher Prediger mit fünf Kindern zu mir gekommen, sowie eines andern Predigers Frau, vor deren Augen man dem Manne den Kopf heruntergeschlagen hat. Die gute liebe Seele! Wie ich mit ihr inniges Mitleid hatte! Die hab ich zwei Tage bei mir beherbergt, und das Eine Goldstück diesen Beiden zur Zehrung geschenkt; das andere ist diesem Briefe beigeschlossen, damit Ihr’s selber braucht und ein ander Mal nicht so gütig seid. Glaubt nur, Freunde, Ihr werdet noch viel bedürfen, sowie Euer Volk (Familie), wenn es in England Euch nachkommen soll. Seid also Gott befohlen in seinen Schutz und Schirm ewiglich, wider alle seine und Eure Feind.“

Doch mit dem Allem konnte sie ihre kirchlichen Widersacher nicht zum Frieden gewinnen. Wann sie gestorben, ist nicht bekannt. Noch am 3. März 1562 ließ sie sich durch Conrad Hubert, ihren bewährten Hausfreund bei Ludwig Lavater in Zürich entschuldigen, dass sie diesem so lange nicht geantwortet habe; sie sei durch lange Krankheit halb tot und könne seit vielen Monaten nicht mehr die Feder führen. Als sie starb, ließ der damalige Superintendent seinen Amtsgenossen das Verbot zugehen, ihr zu Ehren förmliche Leichenpredigten zu halten; es wäre denn, dass sie beifügen wollten: „Allerdings habe die Katharina Zell sich als Wohltäterin verdient gemacht um eine Menge von Armen; aber zuletzt sei sie von der Lutherischen Mutterkirche abtrünnig geworden, und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.“