Johannes Brenz.

Unter den Herzogen Ulrich und Christoph wurde Württemberg evangelisch. Beiden diente der Mann, welcher für den Reformator des Landes gilt, als Hauptgehilfe: Johannes Brenz.

Dieser, den 24. Juli 1499 in Weil der Stadt geboren, genoss das Glück, rechtschaffene, treubesorgte Eltern zu haben, den Stadtschultheißen Martin Brenz und seine Gattin Katharina geb. Hennig. Den begabten Sohn gaben sie schon frühe weg in die Lateinschulen Heidelberg und Vaihingen an der Enz, auf denen er frühe so weit kam, im dreizehnten Jahre die Hochschule Heidelberg (1512) zu beziehen. Brenz hörte hier philologische und philosophische Vorlesungen, wurde 1516 Baccalaureus, 1517 Magister und ging dann zum theologischen Studium über. Demselben kam die Disputation, welche Luther den 26. April 1518 zu Heidelberg hielt, entscheidend zu Hilfe. Brenz wurde, wie seine Freunde Bucer, Schnepf, Pelikan, von Bewunderung hingenommen, besuchte nachher den Reformator und war von Stund an der Seine. Bald bekam er auch Gelegenheit, hiervon Zeugnis abzulegen. Als Regens der Schwabenburse, der er 1519 geworden war, hielt er über das Evangelium Matthäi Vorlesungen, welche die Studenten so massenhaft besuchten, dass der Neid sie niederlegte, weil er die geistliche Weihe noch nicht erhalten habe. Nun erwarb er dieselbe 1521 in Speier und hielt zu Weil die erste Messe. Daselbst nahm die Reformation auch einen Anlauf, den jedoch Österreich bald unterdrückte. Den ihr zugetanen Eltern von Brenz wurde hart zugesetzt: sie starben im Elend und konnten ihre Ruhestatt nur außerhalb der Stadt, in ungeweihter Erde, finden. Der Sohn setzte, nach Heidelberg zurückgekehrt, seine Studien fort, vertiefte sich mehr und mehr in die Schriften Luthers (Kommentar zum Galaterbrief, Sendschreiben an die kaiserliche Majestät und den christlichen Adel deutscher Nation, von des christlichen Standes Besserung rc.), verfolgte die Bannflüche Roms gegen den Ketzer, den Spruch der Acht über ihn und seine Jünger auf dem Reichstag zu Worms, wurde selbst mit seinem Freunde Pelikan in Untersuchung gezogen und des Rechtes, Vorlesungen zu halten, verlustig erklärt. Eben jetzt erging an den abgesetzten Dozenten ein Ruf nach Schwäbisch Hall. Er hielt am 8. September 1522 eine Probepredigt und wurde mit allen Stimmen zum Pfarrer an St. Michael gewählt. Kaum dreiundzwanzig Jahre alt, begann er schon die erste Hälfte seiner öffentlichen Wirksamkeit mit ruhiger Nachdenklichkeit. Schrittweise ging er an die Reformation des Gemeindelebens, las anfangs noch die Messe mit der Erklärung, sie sei kein Opfer, predigte Tag für Tag das Wort Gottes vom Glauben und von der Liebe, hob das allgemeine christliche Priestertum hervor, das jeder Christ an seinem Nebenmenschen üben möge. Das wirkte so, dass nach etlichen Jahren die Messe ganz abgeschafft, die Priesterschaft (Barfüßler) entlassen, ihr Kloster zu einem Gymnasium eingerichtet, der Gottesdienst gemäß dem Evangelium geordnet wurde. Bald unterbrach diese Bemühungen der Bauernkrieg, der auch das Gebiet von Hall anfocht, jedoch wesentlich durch Brenz‘ Einwirken einen Abschluss fand. Als er auf Ersuchen seine Vorträge (d. 16. März 1525) dawider einem Ratsherrn zur Veröffentlichung übersandte, sprach er sich bleibend aus: „Ich bin nit sonderlich lustig, viel meiner Predigt durch den Druck an den Tag zu stellen; nicht dass ich mich der Unwahrheit oder Lichtscheue besorge. Denn ich gewiss bin, dass ich Christum und denselben Gekreuzigten lehre, auch leiden mag, dass ein jedweder von Gott gelehrt meine Predigt urteile, sondern dass gelehrter und höher Begabte, denn ich bin, berufen seien, das Evangelium durch den Druck zu handeln. Werde ich doch aus Not gezwungen, diese Predigt vom Gehorsam der Untertanen gegen ihre Obrigkeit an das Licht zu geben.“ Er wandte sich nach Besiegung des Aufstandes ebenso stark wider die Behörden, welche den Sieg böslich ausnutzen wollten. „Gott hilft nicht, dass man sich bösern, sondern sich bessern soll. Darum, ehrsame Herren, wollet nicht durch eure Schatzungen die Gnade Gottes verschütten, Gott hält hoch über dem Seufzen der Armen, dieweil er sich selbst ihnen zum Vater versprochen hat.“ Brenz durfte sich der Arbeit an der Gemeine wieder zuwenden. Er veröffentlichte 1526 den ersten Entwurf einer Kirchenordnung, 1527 und 1528 seine Katechismen, mit welchen er dem von Luther (1529) voraneilte. Den Gelehrten sehen wir erstmals in seiner Erklärung des Evangeliums Johannis (1527) und im „Syngramma“ (1529) auftreten. Es handelte sich um das Abendmahl und er sprach sich noch beinahe dem späteren Calvin ähnlich aus. Erst von dem Tage zu Worms (1. Oktober 1529) an, wo er Luthers Bekanntschaft erneuerte, trat er für dessen Ansicht von der Streitfrage mit Entschiedenheit ein. Wenn auch der Zweck dieser Verhandlung, das Einverständnis von Luther und Zwingli, durchaus nicht erreicht wurde, „wiewohl wir uns, ob der wahre Leib und das Blut Christi leiblich in Brot und Wein sei, dieser Zeit nicht verglichen haben,“ so wurden doch im übrigen gemeinsame Glaubenssätze von den Parteien (Luther, Melanchthon, Jonas, Osiander, Brenz und Agricola – Ökolampadius, Zwingli, Bucer und Hedio) friedsam unterzeichnet und versprach man sich, verletzende Streitschriften gegeneinander zu lassen. Auch war die persönliche Bekanntschaft jener Männer von Wert. Brenz traf in Worms erstmals mit Ulrich, dem vertriebenen Herzog von Württemberg, der in Begleitung des Landgrafen von Hessen anwesend war, zusammen und äußerte sich prophetisch: „Wer sollte nicht wünschen, dass es mit Gott gelinge, diesen Fürsten wieder einzusetzen? Doch ist es besser, dies für jetzt im stillen zu wünschen, als laut auszusprechen.“ Auf dem Reichstag zu Speier schlossen die Haller Abgeordneten sich dem Proteste nicht an: darüber hielt Brenz eine Strafpredigt (Luk. 12,8-10), welche nachträglich gewissermaßen zur Beistimmung bewog.

Seine 22 Predigten, den Türkenkrieg betreffend, begleitete Luther mit einem Vorwort. Sie gaben den Rüstungen Recht, ermunterten aber vor allem, „im Glauben zu Jesus Christus als der zu unserm Heil aufgerichteten Schlange emporzublicken“. Die Türken wurden zwar im Oktober 1529 vor Wien geschlagen, verblieben jedoch eine Gefahr, der neben den religiösen Fragen auf dem Reichstag in Augsburg der Kaiser zu wehren gedachte. Zu demselben sandte Hall zwei Vertreter und Brenz folgte der Einladung des Markgrafen Georg von Brandenburg, dem er ein Gutachten gegen ein Bündnis der Fürsten wider den Kaiser gestellt hatte, ihn zu begleiten. Von Ende Mai bis Anfang Oktober dauerte sein Aufenthalt in Augsburg, reich an Erfahrungen, welche den Mann vollends ausbilden sollten. Karl V. kam von einem längeren Besuche bei Papst Clemens VII., der ihn zum Kaiser gekrönt hatte, den 15. Juni 1530 in Augsburg an, stets umgeben von den blutdürstigen Papisten. Brenz berichtet an seine Kollegen in Hall: „Der heilige Geist wird freilich, da man ihm seinen Wagen, das Wort Gottes, genommen hat, nicht nach Augsburg kommen können.“ Mehr und mehr legte sich Niedergeschlagenheit auf die Vertreter des Evangeliums, besonders auf Melanchthon. Mächtig wandte sich an diesen von Koburg aus der gebannte Luther und schrieb auch an seinen Brenz: „Verdanken wir etwa der Sorge und dem Kummer unsrer Vorfahren, dass wir sind, was wir sind? Geschieht nicht alles durch die Weisheit Gottes, der auch nach uns noch Schöpfer sein und bleiben wird, wie er es vor uns war und heute noch ist? Als die Papisten Hus verbrannten, da war ihnen nichts gewisser, als dass der Papst nun selber Gott sein würde, und doch war er nie verachteter, als von jenem Tage an. Sollte ich auch durch sie umkommen, so werde ich mich an dem Ungeheuern noch gewaltiger rächen, als mir lieb ist. Der mich erschaffen hat, wird der Vater meines Sohnes, der Gatte meines Weibes, der Rat meiner Bürgerschaft, der Prediger meiner Gemeinde und dies alles weit besser sein, als ich selbst es bin. Doch was rede ich von solchen Dingen mit dir, der du durch Gottes Gnade in allem größer bist, denn ich? Vielleicht, dass Melanchthon, welcher meint, dass ich ein Mensch und meine Worte schlechte Menschenworte sind, an die er sich wenig zu kehren hätte, durch euch, die er für Gottesmänner halten muss, sich eher bekehren lässt. Und ob wir auch alle der Verachtung wert sein mögen, so soll man die Psalmen, die Apostel, Christum selbst nicht verachten, die uns so vielfach zurufen: Seid getrost, fürchtet euch nicht, hofft, seid männlich und unverzagt.“ Brenz antwortete: „Wenn ich einem auf Erden zu Dank verpflichtet bin, so bist es du. Fahre fort, mein Vater, uns in unsrer Anfechtung zu trösten. Wegen Melanchthons darfst du nicht in Sorge sein. Er ist zwar tief bekümmert, aber sein Kummer treibt ihn nur zu um so brünstigerem Gebete. Wie würde man beten, wenn nicht Kummer auf uns lastete? Wie den Glauben durch die Verheißung stärken, wenn der Glaube nicht durch Anfechtungen geprüft würde? Hoffe daher das Beste von Philippus: er hat von Haus aus den heiligen Geist zum Tröster, so dass er meiner Ermahnung, als eines schwachen Menschen, nicht bedarf.“ So stand Brenz überhaupt mit seiner kräftigen Ruhe zwischen dem schüchternen Melanchthon und heldenmütigen Luther mitten inne. –

Die Rede, die den Reichstag am 20. Juni 1530 eröffnete, hielt es für nötig, „dass der Kaiser und König Ferdinand ihre Schwerter gegen die verkehrten Störer der christlichen Religion schärfen, damit alles wieder einträchtig unter der Kirche Roms lebe, anders könne der Frieden nicht hergestellt werden, außer wenn diese Ketzerei, die ganz Deutschland durchdrungen habe, mit der Wurzel durch das Schwert ausgerottet werde. Dann erst könne man hoffen, den Türken aus den Grenzen zu vertreiben rc.“. Die protestantischen Fürsten wurden empört und ihre Geistlichen hatten Mühe, sie von gewaltsamen Schritten abzuhalten. Am 24. Juni schreibt Brenz an Eisenmann: „Die Religionssache hat den Ausschlag genommen, dass der Kaiser morgen um 2 Uhr nachmittags unsre Konfession, welche ihm die evangelischen Fürsten übergeben werden, hören will. Wir haben nämlich mit Melanchthon, dem Verfasser, ein Bekenntnis unsrer Lehre niedergeschrieben, und zwar sehr glimpflich und bescheiden. Die Fürsten bitten darin, dass der Streit friedlich beigelegt und der Frieden aufrecht erhalten werde. Wollen die Gegner nicht nachgeben, so werden die Fürsten sich auf ein künftiges Konzil berufen. Denn in dieser Sache können wir den Kaiser nicht als Richter anerkennen. Man hat hier mancherlei Vermutungen über die Zukunft. Soll ich meine Ansicht aufrichtig gestehen, so sehe ich, dass die größten Gefahren bevorstehen. Unsre Fürsten sind sehr standhaft im Bekenntnis des Evangeliums, und wenn ich ihren Mut betrachte, muss ich mich sehr schämen, dass wir Bettler gegen sie uns über dem Bekenntnis des Evangeliums vor der kaiserlichen Majestät so sehr fürchten.“ Die hier angedeutete Mitarbeit Brenz‘ an der Augsburger Konfession geht auch aus andern Berichten hervor. Ihre Vorlesung dauerte zwei Stunden, worauf sie der Kaiser durch Eilboten an den Papst sandte und zur Widerlegung die katholischen Theologen beorderte. Letztere fiel aber so verworren, unverdaut, gewalttätig, blutdürstig und grausam aus, dass Meister Dr. Eck sie nochmals ausarbeiten musste. „Gestern,“ meldet Brenz am 4. August, „wurde die Antwort unsrer Gegner vor dem Kaiser und den Ständen des Reichs vorgelesen. Alles war im Geiste des Cochläus, Fabers und Ecks abgefasst. Ein tolles Machwerk, so dass ich mich des römischen Namens schäme, weil sie für ihre Religion nicht Männer suchen, welche dieselbe wenigstens klug und geschmackvoll uns Ketzern darzustellen wissen. Zwar der Kaiser beträgt sich, wie man sagt, neutral; denn als unsre Konfession vorgelesen wurde, schlief er ein, und als die Antwort der Gegner vorgelesen wurde, schlief er wieder unter fortwährender Verhandlung ein. Fürwahr, der Kaiser ist ein guter Mann, der in der Sache nichts treibt, sondern nur getrieben wird. Doch ich schreibe dir dieses, dass du’s nicht öffentlich, sondern nur unsern Brüdern bekannt gebest, damit es nicht scheine, als verspotten wir die kaiserliche Majestät. Am Schluss der Vorlesung dieser Gegenartikel forderte der Kaiser, dass wir alle denselben unsre Zustimmung erteilen. Täten wir das nicht, so würde er seines kaiserlichen Amtes zu warten wissen und als Vogt der römischen Kirche nicht abstehen der christlichen Religion. Unsre Fürsten verlangten sodann eine Abschrift jener Artikel, um darauf zu antworten. Wir haben keine Hoffnung dazu, sehen übrigens, wie lächerlich die Sache betrieben wird. Der Kaiser zwingt uns zu seinem Glauben und doch besinnt er sich, ob er uns denselben schriftlich übergeben wolle. Kurz, ein Schwindelgeist hat die Papisten ganz besessen.“ Es drohte Gewalt gegen die Protestanten. Der Landgraf Philipp von Hessen entwich am 6. Mai. Dies veranlasste den Aufzug milderer Saiten. Etliche Religionsgespräche wurden (den 16. August, 24.-29. August) gehalten, zu denen Melanchthon unsern Brenz beizog, den er „lieber als jeden andern bei sich im Konzilio habe, denn da wäre Verstand und Beständigkeit, Rat und Tat beieinander“. Äußerstes (die Messe, die bischöfliche Gewalt rc.) wollte sich der sehnliche Wunsch Melanchthons nach Einigung gefallen lassen. „Wir machen,“ schreibt Brenz, uns die Freiheit und Reinheit der Lehre zur unerlässlichen Bedingung.“ An letzteren scheiterte jedoch der letzte Versuch einer Einigung. „Wie taugt Christus zu Belial?“ „Genug, genug,“ rief Luther, „der Papst will’s nicht, und Luther will’s nicht, heim, heim!“ Die bewiesene Nachgiebigkeit hatte nur üble Nachreden zur Folge: „Der große Haufen verleumdet uns, wir seien von den Papisten durch Geld bestochen. Von allen Seiten haben wir Ratgeber, darin jeder nach seiner Meinung bessere Bedingungen gestellt hätte. Das ist der Lohn unsrer Sorge und Mühe.“ Melanchthons Apologie der Augsburgischen Konfession, an der Brenz mitgearbeitet hatte, wurde schlechtweg abgewiesen, die „Sekte“ für widerlegt erklärt, ein für die Protestanten äußerst ungünstiger Abschied (22. August) verkündigt, nur auf ein Konzil vertröstet, welches der Papst (er hatte bereits erklärt, in gar nichts nachzugeben) innerhalb von sechs Monaten einberufen werde. Von den freien Städten widerstanden Ulm, Frankfurt, Hall. Unmittelbar vor der Abreise schrieb den 1. Oktober Brenz: Noch vor kurzem hatte ich Hoffnung auf den Frieden. Jetzt sehe ich ein großes Gewitter über uns hereinziehen. Die papistischen Fürsten schließen Bündnisse mit dem Kaiser zur Ausrottung unsrer Lehre. Unsre Fürsten beharren auf ihr. Was lässt sich da voraussehen? Der Herr erhalte unsre Kirche und das wird er auch gewiss durch Christus, unsern Heiland!“

In Hall angekommen, beantwortet Brenz alsbald (4. Okt.) einen Brief Luthers, den er in Augsburg auf die Zusendung seiner Erklärung des Propheten Amos erhalten hatte. Darin hieß es: „Darf ich Kleines mit Großem vergleichen, so habe ich von dem vierfachen Geiste Elias (1. Kön. 19) den Wind, das Erdbeben und das Feuer, das Felsen zerbricht und Berge zerreißt, ihr aber das erfrischende, stillsanfte Sausen der Luft empfangen; also geschieht’s, dass auch mir eure Schriften und Worte annehmlicher sind. Doch tröste ich mich, dass ich denke, ja gewiss weiß, wie der himmlische Vater in seinem großen Hause auch eines und andern harten Menschen bedarf gegen die harten, und eines rauen wider die rauen, als eines groben Keils auf grobe Klötze. Und wenn Gott donnert, braucht er nicht nur den Regen zum Begießen, sondern auch den Donner zum Erschüttern, und den Blitz zur Luftreinigung, auf dass die Erde desto besser und reichlicher Frucht gebe.“ Darauf erwidert Brenz äußerst bescheiden: spricht seine Bewunderung über den Mann aus, der bei so großen Gaben sich unter die Geringen erniedrige und dadurch das Wort Christi so schön erfülle: der Größte unter euch soll der Geringste sein. Über den Reichstag äußert er sich am Schluss: „Du lachst vielleicht, dass nach so langer Zeit nichts zustande gekommen. Ich habe dagegen die Überzeugung, dass nie ein Reichstag gehalten wurde, auf dem nach viel Arbeit mehr erzielt wurde, als auf diesem, nachdem nichts gehandelt worden. Was sind aber jene Ereignisse? Ich will’s euch kurz sagen. Unsre Gegner stellten sich auf dem Reichstage als wahre Pharaone und Antichristen heraus. Vorher setzte man immer noch einige Hoffnung auf sie, sie werden auf irgend eine Weise zur Besinnung kommen und ein fleischernes Herz gewinnen. Nun aber, da alles versucht ist, so dass wir uns deshalb das Schlimmste nachsagen lassen mussten, erkennen sie uns nicht an, sondern verdammen uns im Gegenteil und sind wie rasend. Früher bekannten sie auf Reichstagen frei, dass in ihrer Kirche viel Irrtümer und Missbräuche seien, jetzt aber geben sie das nicht mehr zu, sondern erklären höchstens, weil vielleicht einige Irrtümer in der Kirche stattfinden könnten, wollten sie ein Konzil veranstalten. Welche Unverschämtheit! Diese kam auf dem Augsburger Reichstage zu Tage und das wirst du nicht für nichts erklären.“ –

In Hall fand Brenz viel Arbeit, um der in seiner Abwesenheit eingerissenen Unordnung wieder zu steuern. Es fügte sich aber auch gegen Ende von 1530 das Glück seiner Verheiratung mit einer jungen Witwe des Rates Wezel, Margarete geb. Gräter, Schwester des Pfarrers Gräter in Hall. „Gott segne deine Heirat,“ rief Melanchthon ihm zu: sie war auch lange gesegnet. Zum Bündnis, das die protestantischen Fürsten damals gegen die drohende Verfolgung in Schmalkalden schlossen, trat Hall nicht bei: Brenz widerriet es, weil man wider den Kaiser das Schwert nicht brauchen dürfe. Da die Türken 1532 das Reich wieder in Angriff nahmen, zog der Kaiser mildere Saiten auf und schenkte den Protestanten durch den Religionsfrieden zu Nürnberg (23. Juli 1532) einige Ruhe. Man wollte den Versicherungen der Majestät nicht glauben, wogegen vom Rate zu Hall ein gestrenger Befehl erging und Brenz die berühmte Predigt hielt. Wie sehr ihn die höchsten Fragen umtrieben, ergibt sein damaliger Briefwechsel mit Luther und Melanchthon. Über die Rechtfertigung z. B. äußert er, sie werde so wenig als durch die Werke vom Glauben bewirkt, sondern allein vom Erlöser selbst; nur angeeignet vom Glauben. Sonst falle man in die Scylla, während man der Charybdis entgehen wolle. Gegen die Wiedertäufer, welche sich auch in und bei Hall regten, wandte sich Brenz mit Ernst, verwarf jedoch, wie Luther, die Todesstrafe für sie. Nach außen war namentlich seine Mitarbeit an der Ansbach-Nürnbergschen Kirchenordnung, welche viel Nachahmung fand, von Wert: er hatte sich auf Wunsch des Landgrafen Georg sechs Wochen lang nach Nürnberg begeben (1532). Zumeist von Belang erscheint, was und wie Brenz für Württemberg zu wirken angefangen hat. Kaum war Herzog Ulrich, der von Österreich verbannte, langjährige Flüchtling, durch die siegreiche Schlacht bei Lauffen, welche sein Vetter Philipp, der Landgraf Hessens, geschlagen, auf den Thron zurückgekehrt und vom Jubel des Volks in Stuttgart (1539) empfangen worden, begann er Verhandlungen, die längst vorbereitete Reformation des Landes durchzuführen. Ambrosius Blaurer und Erhard Schnepf arbeiteten die Stuttgarter Konkordia 1534 aus. Diese hatte jedoch keinen genügenden Erfolg, indem sie den Zwiespalt „ob und unter der Steige“, dort Zwinglis, hier Luthers Lehre, nicht aufhob. Den 15. Juli 1535 wurde Brenz berufen, an der ersten, von Schnepf entworfenen Kirchenordnung tätig zu sein. Zu Schmalkalden war er im Gefolge des Herzogs Ulrich (Anfang 1537) bei den Verhandlungen, musste jedoch vor ihrem Schluss heimreisen und übertrug an Bugenhagen die Vollmacht, für ihn zu zeichnen. Wiederum kam er auf Einladung des Herzogs 1537/38 nach Tübingen, die verrotteten Zustände der Universität neu zu gestalten, hielt auch Vorlesungen über Exodus und Psalm 51, hörte selber Kollegien über Mathematik und Astronomie, predigte das Wort öfters. Dazwischen fällt seine Beteiligung am „Uracher Götzentag“ (September 1537), wo die Frage von den Bildern zur Erörterung kam und Brenz nur für Entfernung der ärgerlichen stimmte. Von Hall aus, wohin er 1538 zurückgekehrt war, zogen ihn die vergeblichen Besprechungen von Hagenau, Worms, Regensburg öfters weg. Lieber daheim als Prediger tätig, erließ Brenz 1543 eine Frucht seiner bisherigen Erfahrungen: „Ordnung der Kirchen, in eines ehrbaren Rats zu schwäbisch Hall Obrigkeit und Gebiet gelegen“, ein Werk, das weit und breit Nachahmung fand. Seine gelehrten Studien, in denen er gerne „die große Not der Gegenwart vergaß und in der Betrachtung dessen, was der Herr für uns getan, ausruhte“ (Homilien zum Evang. Lucae, Kommentar zum Levitikus, über das Buch Esther, Brief an Philemon rc.), verschafften ihm auch verschiedene Berufungen auf Universitäten. Indes verblieb er seiner Gemeinde treu. Zu Regensburg 1546 war noch eine Besprechung von Theologen, welcher er, Trübes ahnend, beiwohnte. Den 17. Februar schrieb er einen Brief an Luther voll Klagen: „Unterstütze uns mit deinem Gebete, dass wir von diesen Ottern und Teufeln befreit werden; doch was kann uns Übles geschehen, da der Sohn Gottes bei seinem Vater für uns Wache hält und zu seiner Rechten sitzt.“ Luther hatte jedoch einen Tag vorher sein Haupt geneigt. Erschüttert wendet sich Brenz den 23. Febr. 1546 an Amsdorf in Wittenberg: „Was ihr von dem Tod Luthers, meines allezeit von ganzem Herzen verehrten Lehrers und Vaters in Jesu Christo mitteilt, hat mich aufs Tiefste betroffen. Ich zweifle zwar nicht, dass ihm, der einen so guten Kampf gekämpft, die Krone der Gerechtigkeit beigelegt sei und von allem Übel, so dieser Welt bevorsteht, befreit, nun mit Christo selig lebe. Was aber die Kirche für eine Wunde durch dieses teuren Mannes Tod erlitten, wird sich, ach, ich fürchte es, im Erfolg öffentlich darlegen. Wer wird meinem Haupt Wasser und meinen Augen Tränenquellen geben, dass ich beweine nicht die Erschlagenen, sondern die Verlassenen der Tochter meines Volkes. Aber Christus, wirst du sagen, ist nicht gestorben, der lebt ja noch und sitzt zur Rechten des Vaters. Wohl, aber das erwählte Rüstzeug Christi ist uns entzogen. Der Hingang der Helden pflegt gemeiniglich der Vorbote schlimmer Ereignisse zu sein rc.“

Etliche Monate später kam sein Galaterbrief heraus, den er hatte dem Reformator widmen wollen, ihm, „der das in der dichtesten Finsternis Begrabene wieder zu Tage gefördert rc.“. Es brach nun der schmalkaldische Krieg aus, der einen so schlimmen Verlauf nahm. Brenz beschreibt uns in einem Brief an Major in Wittenberg das Elend. „Ich danke dir, dass du mir in diesen Kriegszeiten so manchen Trost zusendest durch deine Briefe und frommen Büchlein. Ach, dass der Ausgang dieses Krieges wäre so glücklich gewesen, als wir gehofft hatten. Es wären nicht so viele fromme Leute so großen Gefahren ausgesetzt worden und ich selbst wäre kein Vertriebener. Aber weil es der Herr für jetzt anders beschlossen hat, so wollen wir uns unter seinen Willen beugen. Nach dem Abzug des verbündeten Heeres, nachdem der Kaiser Nördlingen, Dinkelsbühl und Rottenburg wieder in seiner Gewalt hatte, mussten auch unsre Bürger sich ergeben. Der Kaiser kam gnädig zu uns, und weil mein Haus, sowie die Häuser der übrigen Kirchendiener, nach dem Herkommen von der Beherbergung der Soldaten frei waren, so glaubten wir unsre Sachen und Schriften nirgends sicherer, als in unsern eignen Häusern, wie denn auch andre Leute Habseligkeiten bei uns niederlegten. Allein gleich beim Einzug des Kaisers drangen, während ich von Haus abwesend war, einige Trabanten in unsre Gasse und brachen überall die Türen auf, wo man sie ihnen nicht öffnete. Als ich nach Haus kam, sah ich, dass gerade die Trabanten mit Händen und Füßen, ja mit Hellebarden gegen die Türe meines Hauses stießen. Einer von ihnen, der mich für den Besitzer des Hauses hielt, setzte mir die Hellebarde auf die Brust und drohte, mich zu durchbohren, wenn ich nicht sofort öffnen würde. Ich öffnete und sie folgten mir, ich weiß nicht wie viele. Ich setzte ihnen vor zu essen und zu trinken, was ich hatte. Indessen warf ich meine Schriften und Briefe in die mit Schlössern versehenen Pulte. Als nun die Trabanten anfingen zu lärmen, schickte ich die Meinen aus dem Hause und folgte ihnen bald nach, indem ich das Haus mit allen Gerätschaften den Trabanten überließ. Tags darauf kam ein spanischer Bischof mit seinem Gefolge und seinen Eseln, jagte die Trabanten hinaus und nahm selbst Besitz von meinem Haus, das ich jetzt nicht mehr betreten durfte. Der Bischof machte sich alsbald über meine Bibliothek her, ließ die Schreibpulte aufbrechen und fing an, alle Papiere und Briefe, von denen er einige auf den Boden warf, zu durchsuchen. Unter diesen fand er auch mehrere Briefe von Freunden an mich und die Konzepte einiger von mir über den gegenwärtigen Krieg geschriebene Briefe, die mich in die größte Gefahr brachten, außerdem einige Predigten über den Krieg: dass nämlich die Verteidigung nicht ungerecht und keine Verletzung des Glaubens sei; denn wir könnten sonst Gott in diesem Kriegszug nicht um Hilfe anrufen, was ich der Gemeinde auseinandersetzen musste. Die Sache wurde an den Kaiser gebracht, und zwar, wie es so zu gehen pflegt, entstellt und vergrößert. Die Gefahr nötigte mich, zuerst Schlupfwinkel in der Stadt aufzusuchen. Da aber der Rat mich nicht schützen konnte, so drangen meine Freunde in mich, die Stadt zu verlassen, um mir und ihnen aus der Not zu helfen. Denn so weit war es gekommen, dass sich auch die Bürger meinetwegen fürchten mussten, und mir und meiner Familie in der ganzen Stadt kein andrer Schlupfwinkel blieb, als ein sehr enger Raum. Da habe ich erfahren, was es heißt: Du hast meine Bekannten ferne gemacht von mir rc. Ich verließ daher die Stadt am Johannisabend und ließ mein Weib und meine sechs Kinder mit aller meiner Habe, die ich schon für verloren achtete, zurück. Ich hatte fremde Kleider an, und zwar mehr schmutzige Lumpen, irrte die ganze Nacht auf den Feldern umher, nur mit einem Begleiter und kaum gegen die heftige Kälte geschützt. Du kannst dir denken, dieses Herumirren war mir bitterer als der Tod. Bald war es der Gedanke an die Gefahren der Meinigen, bald an die meiner Freunde und an die Not, die ihnen die bei mir vorgefundenen Briefe verursachen könnten, bald der an die Konfiskation meines zwar nicht großen, doch immer einige Zeit zum Unterhalt meiner Familie hinreichenden Vermögens, der mich quälte. Wurde mein Vermögen eingezogen, so wusste ich wohl, in welches Elend das meine Familie stürzen musste. Außerdem musste ich besorgen, den Spaniern in die Hände zu fallen, die in der Nachbarschaft und auf den Feldern, durch die ich gehen musste, herumlagen. Du wirst fragen, warum ich die Briefe nicht verbrannt oder an einen sichern Ort gebracht habe? Antwort: Ich dachte nicht, dass es in meinem Hause Gefahr haben könnte, da es keine Soldaten beherbergen durfte. Und ich hebe dergleichen auf wie einen Schatz. Aber wie? Es ist gewiss nichts ohne den Willen des Herrn geschehen. Und doch steht in den schriftlichen Sachen nichts, was nicht die reinste Wahrheit wäre und sich vor einem billigen Richter verteidigen ließe. Aber freilich, wo ist Billigkeit im Krieg? Sollte das unglückliche Ereignis mir zugerechnet werden, so hatte auch David nicht recht, dass er auf der Flucht bei Abimelech einkehrte und Anlass gab, dass so viele Leute getötet und die Stadt zerstört wurde (1. Sam. 21). Dazu kam noch ein andres Unglück. Du hast mir ein Büchlein geschickt mit dem Titel: Declaratio Caroli ad Barum etc. Dieses kam nicht zuerst an mich, sondern, ich weiß nicht wie, an die Edelleute und andere in der Nachbarschaft, die unsrer Stadt nicht hold sind. Diese ließen es endlich wohl durchlesen und nicht wenig beschmutzt in meine Hände kommen, und streuten bei dem Heer des Kaisers aus, es sei eine Schrift voll Schmähungen und Lästerungen in die Stadt geschickt worden, um da durch den Druck bekannt gemacht zu werden. Als nun meine Mitbürger den Kaiser um Gnade baten, war der Hauptvorwurf, der ihnen gemacht wurde, dass sie den Druck solcher Schmähschriften gegen den Kaiser erlauben: sie hätten verdient, dass man die Stadt niederreiße. Da jedoch das Büchlein weder bei uns gedruckt wurde, noch jene überhaupt darum wussten, so erhielten sie Verzeihung. Du siehst also, selbst dein Büchlein wäre beinahe Anlass geworden zur Verheerung der Stadt. O Himmel und Erde, was sind das für Zeiten und was wird noch über die Welt ergehen! Doch ändert der Kaiser die Religion noch nicht in den zu Gnaden angenommenen Städten, tut auch den Kirchendienern nichts zu Leid, und auch ich wäre wohl nicht in diese Gefahr gekommen, wenn sie mir nicht durch meine sehr mäßigen Predigten und meine Gebete um Sieg für die Unsrigen wäre bereitet worden. Denn wir haben öfters die Formel gebraucht, welche Dr. Pomeranus oder Philippus vorgeschrieben hat. Ich habe dir dies alles umständlich geschrieben, damit du dir das Schicksal deines unglücklichen Freundes, der in seinem höheren Alter noch als ein Vertriebener herumirren muss, in deinen Gebeten vor dem Herrn empfohlen sein lässt. Dem Philippus wollte ich nicht schreiben, um nicht zu dem Übermaß von Kummer, das, wie ich weiß, ihn dermalen drückt, auch noch den um mein Elend hinzuzufügen. Mein Mut ist allerdings durch Gottes Gnade noch ungebrochen. Wenn mich aber nicht das Schicksal der Meinigen denn um sie bin ich sehr besorgt bekümmerte, so müsste ich von Eisen sein, und wie könnte ich sonst den Herrn um die Rettung anflehen. Ich bin entblößt von aller menschlichen Hilfe und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. Aber ich zweifle nicht, je mehr ich zerschlagenen und demütigen Herzens bin, desto näher ist mir der Herr, der allem noch einen glücklichen Ausgang verleihen wird. Ich werde auch ferner noch tragen können, was mir zugeschickt wird. Bitte du den Herrn Philippus (Melanchthon), dass er auch für mich zu Gott bete. Ich hätte auch dann dem Dr. Joachim Camerarius geschrieben, aber ich weiß nicht, ob man Briefe mit Sicherheit abschicken kann; denn nachdem das Heer von uns abgegangen war, hörten wir, Herzog Moritz belagere Wittenberg, und die hohe Schule sei von Herrn Philippo und dir nach Magdeburg verletzt worden. Indessen wissen wir über die hessischen und sächsischen Angelegenheiten nichts Gewisses. Du wirst mir daher einen angenehmen Dienst erweisen, wenn du dem Camerarius gelegentlich einiges über mein Schicksal schreibst. Während ich das schreibe, verweilt der Kaiser noch in Hall, und ich befinde mich sechs bis sieben Meilen weit entfernt in einem Schlupfwinkel unter freiem Himmel in Erwartung einer Nachricht von meiner Familie und Habe. Was aus Straßburg und Ulm werden wird, weiß ich nicht. Kurz, wohin ich sehe, überall brennt die Fackel des Krieges und alles ist kaiserlich. Darum, wenn es kein Land mehr gibt, das mich aufnehmen kann, so bitte ich den Herrn, dass er mich in den Himmel aufnehme.“ Als der Kaiser am Ende von 1547 aus Hall weggezogen war, kehrte Brenz, von den Hallern dringlich gebeten, zurück, jedoch nicht auf lange. „Das Interim“ erschien: „Der Kaiserl. Majestät Erklärung, wie es der Religion halber bis zum Austrag des gemeinen Konzilii gehalten werden solle.“ Brenz konnte sich nicht enthalten, hiergegen stark zu sprechen. Es wurde bekannt, und Granvella, der Kardinal und kaiserliche Kanzler, sandte nach Hall einen Kommissär, der dem Rate befahl, den Missetäter auszuliefern. Die Ratsherren wurden eidlich verpflichtet, Stillschweigen zu halten. Einer jedoch trat erst nachher ein und ließ gleich nach der Sitzung ein Zettelchen ausgehen: „Fliehe, fliehe, Brenz, so rasch wie möglich!“ Freund Isenmann überbringts (24. Juni 1549), als die Familie zur Feier des Geburtstags ihres Hauptes beisammen saß. Stumm erhob sich Brenz und verließ die Seinen. Auf der Straße begegnet ihm der Kommissär und lädt ihn auf den andern Tag zum Essen ein. „So Gott will,“ antwortet Brenz und eilt zum Tor hinaus. Da bot ihm bei Tag der dichte Wald ein Versteck; wenn es dunkel wurde, kamen die Seinigen mit ihm an einem unbekannten Ort zum Gebet zusammen. Hören wir ihn selbst sich in einem Brief aussprechen: „Gnade und Friede durch Christum! Obwohl ich nicht zweifle, mein Bruder, dass ihr Freunde schon genug beschwert seid von dem allgemeinen Unglück, das in dieser für unsre Kirche so unheilbringenden Zeit auch bis zu euch gedrungen ist, so kann ich doch nicht umhin, dir zu schreiben, wie es mir, meinen Kollegen und meiner Kirche ergangen ist. Denn schon die Mitteilung schafft im Unglück Linderung. Nachdem meine Mitbürger notgedrungen das Interim angenommen, fuhr ich fort, nach meiner Weise zu predigen. Als ich aber am Johannistag abends von der Predigt nach Hause kam, ließ mir ein Freund sagen: ich möge so eilig als möglich fliehen. Ich gehorchte, hoffte aber, bald wieder heimkehren zu können, sobald ich einmal die Ursache meiner Flucht wüsste. Êrst des andern Tages sagte man mir, der Kaiser habe meinen Mitbürgern befohlen, mich gebunden nach Augsburg zu liefern, weil ich in öffentlicher Predigt den Kaiser verdammt und die übrigen Fürsten mit Schimpfworten belegt hätte. Ich habe nun zwar meine Meinung vom Interim im stillen dem Rat schriftlich übergeben, aber in der öffentlichen Predigt des Interims nie mit einem Wort erwähnt; auch kam mir niemals in den Sinn, gegen die höchsten Würden des Reichs je ein Schimpfwort fallen zu lassen, sondern ich fuhr in meiner gewohnten Weise fort, einige Stellen der Schrift in der Kürze zu erklären. Deswegen entschuldigte mich der Rat, der wohl wusste, dass mir offenbares Unrecht geschehe, bei dem Kaiser mit der Bitte, wenn man ihm nicht glaube, einen eignen Abgeordneten hierher zu schicken, der auch die Zeugnisse einzelner Bürger hören könnte. Aber gegen den Biss der Verleumder gibt es kein Mittel, Der Unwille über meine Predigten war sehr groß; und weil die Bürger den Befehl nicht befolgt, sondern durch die Finger gesehen hätten, um mir noch Zeit zum Fliehen zu lassen, so erhielt die spanische Besatzung in Heilbronn den Befehl, nach Hall zu ziehen und dort das Interim selbst einzuführen. Während die Soldaten noch auf dem Wege waren, wurden auch meine Kollegen (Gräter und Isenmann) vertrieben, weil sie erklärt hatten, sie wollen und können nicht Messe lesen. Bald wurde auch meine Ehefrau, die seit vielen Monaten an der Schwindsucht hart darniederliegt, von meinen Freunden genötigt, das Wichtigste von unsern Habseligkeiten zu verkaufen, das Minderwichtige aber dahinten zu lassen. Jetzt nahmen die Soldaten Besitz von der Stadt. Sogleich eilte der Hauptmann mit seiner Wache und mit Steinmetzen in mein Haus, es zu plündern und wenn ich etwas innerhalb der Mauern verborgen hätte, sie niederzureißen. Da er aber nichts als einige Kleinigkeiten fand, nahm er ein Verzeichnis darüber auf und verließ das Haus wieder, ohne etwas zu verletzen. Bald wurden auch die Kirchendiener auf dem Lande, die sich weigerten, Messe zu lesen, verjagt. Unter diesen sind nicht nur ehrbare und gelehrte junge Männer, sondern selbst Greise, deren Schicksal mich in meinem eignen Exil tief bekümmert.‘

So wird denn nun in derselben Kirche, in der ich fünfundzwanzig Jahre lang das Evangelium gepredigt habe, die Messe wieder eingeführt. Da hast du, Bruder, die Größe und Schwere des Unglücks, das auf uns liegt. Die Spanier halten Stadt und Land besetzt und quälen unsre Bürger in bekannter Weise. Der Götzendienst wird in meiner Kirche wieder hergestellt; ich und meine Amtsgenossen irren als Verbannte umher; mein Weib kann vor Schwäche kaum auf die Füße stehen; meine kleinen Kinder leben unter Fremden. Wohin ich komme, heißt man mich weiter fliehen, weil ein Preis auf mein Haupt gesetzt sei. In dieser Not tröstet mich mildiglich und stärkt mich der Herr, der bei denen wohnt, die demütigen Geistes und zerschlagenen Herzens sind. Würde man mich nicht für vermessen halten, so würde ich nicht anstehen, mit der Gnade des Herrn meine Mitbürger selbst mit meinem Leben von den Spaniern zu befreien. Denn wenn meinetwegen dieses Unglück über die Stadt gekommen ist, so lasse ich mir gerne gefallen, wie einst der Prophet Jonas ins Meer geworfen zu werden. Vorerst bin ich verborgen, freilich kaum, und kann nur warten auf den Sieg der Wahrheit. Siehe, wie die Augen der Knechte sind in den Händen ihrer Herren, so erheben sich unsre Augen zu dem Herrn unserm Gott, bis er sich unsrer erbarme. Das wird er auch sicherlich tun um seines Sohnes, unsers Heilandes, willen, in dessen Namen wir das dulden. Kannst bu, so wirst du uns große Freude machen, wenn du über eure Angelegenheiten mit nur wenigen Worten schreibst. Wir empfehlen uns alle deiner und der Deinigen christlichen Fürbitte.“ – Der Flüchtling nahm noch von seinem todkranken Weib Abschied und wandte sich, verschiedenen Einladungen ausweichend, nach Württemberg, dessen Herr sich seines Elends „fürstlich, treulich, christlich angenommen“. Herzog Ulrich ließ ihn an der Grenze durch einen Sekretär abholen und auf das Bergschloss Hohenwittlingen, in der Nähe von Urach geleiten, ohne selber diesen Ort kennen zu wollen. Hier gab der Exulant einen Kommentar zu den Psalmen 93 und 130 heraus (autore Wittlingio). Die Spanier suchten ihn unter anderem auf dem württembergischen Schloss Rothenberg auf. Ihre vergeblichen Fahndungen bewogen den Herzog, den Schützling außerhalb des Landes unterzubringen. Er sandte dem Armen Geld und Brenz wanderte vermummt über Straßburg und Mömpelgard nach Basel, durfte daselbst von alten und neuen Freunden viel Freundliches genießen, arbeitete seinen Kommentar zum Jesaias aus und machte namentlich die Bekanntschaft mit Prinz Christoph von Württemberg. Dieser hatte schon zuvor seine Schriften kennen gelernt und freute sich sehr, ihn zu finden: er nahm zwei seiner Töchter zu sich auf. Nun traf die Nachricht ein, dass deren Mutter den 18. November 1548 gestorben sei, längerem Siechtum erlegen. Der Witwer war nicht mehr zu halten: er ging, abermals vermummt, nach Stuttgart, um seine Waisen zu sehen. Teilnehmend empfing ihn der Herzog, dem er seinen tiefen Dank für die der Entschlafenen und ihren Kindern erwiesenen Wohltaten ausdrückte. Des Bleibens war jedoch kurz. Ein geheimer Eilbote brachte dem Herzog aus München die Nachricht, es habe der Kaiser einen Kommissär beauftragt, Brenz lebendig oder tot abzuführen. Ulrich eröffnet’s dem Verfolgten: „Ich will keine Schuld an eurem Blute haben, rettet euch, wohin ihr wollt; sagt mir nichts davon; wenn ihr Gott lieb seid, wird er über eurem Leben wachen.“ Brenz eilte weg, sah zum sternbesäeten Himmel auf, warf sich in seinem Zimmer auf die Knie, kaufte noch einen Brotlaib, wandelte durch die Straßen und gelangte zuletzt vors alte Ständehaus, das offen stand, stieg unbemerkt vier Treppen hinauf und verkroch sich unter dem Dach hinter einem Holzstoß. Andern Tages rückte der Gesandte des Kaisers mit spanischen Scharen ein, besetzte die Tore der Stadt, auch die Zimmer des Herzogs, mit Wachen, durchsuchte sämtliche Häuser, zuletzt auch das Ständehaus. Ein Soldat stieß die Klinge durch den Holzstoß, Brenz musste sich ausbeugen. Umsonst, hieß es. Die Häscher zogen ab. Gegen vierzehn Tage dauerte dies Durchsuchen der ganzen Residenz. Wie konnte sich Brenz mit seinem Brotlaib erhalten? Eine Henne schlich Tag für Tag hinter seinen Holzstoß und legte dahin ein Ei, wie dereinst Elias durch Raben gespeist wurde. Nach dem Wegzug der Spanier verfügte sich Brenz alsbald zum Herzog, der ganz verblüfft seine Hand ergriff, ihn ans Fenster führte, mit ihm auf die Knie sich warf zum Lob des Herrn, den Geretteten umarmte. Solches erzählt und glaubt man in Schwaben, wenn’s auch an geschichtlichen Beweisen und Gegenbeweisen fehlt. Andern Morgens eröffnete ihm der Herzog: „Lieber Brenz, ihr könnt für jetzt nicht öffentlich leben, und ich kann euch gegen des Kaisers Macht nicht länger sichern; weil aber an der Erhaltung eures Lebens gar viel liegt, so will ich euch zu meinem Burgvogt in Hornberg (bei Zwärenberg im Oberamt Calm) machen, wo ihr unter dem Gewand eines weltlichen Beamten den Nachstellungen eurer Feinde verborgen bleiben könnt. Hierbei habt ihr für eure Kinder Brot und könnt sie selbst erziehen. Nur müsst ihr, um nicht verraten zu werden, einen andern Namen führen. Voll tiefen Dankes begab sich Brenz dahin. Um diese Zeit schlug er eine Berufung nach Magdeburg aus: „Ich wollte gern, es ist aber ein Fürst, der mich durch die Gnade des Sohnes Gottes in meines Lebens Fahr mit seiner eignen Fahr aus des Löwen Rachen errettet hat. Ihm habe ich zugesagt, zu warten. Und es ist ehrlich, Glauben zu halten. Auch bin ich um der großen Wohltaten willen, die mir der Fürst erzeigt hat, verpflichtet, nach auswärts abzulehnen rc.“ Unter dem Namen „Huldreich“ (Johannes) Engster“ (Brenz griechisch) blieb er ein Jahr lang auf dieser Wartburg mit seinen Kindern, gab den Katechismus in zweiter Auflage heraus und vollendete den Jesaiaskommentar. Im Spätsommer 1550 berief ihn der Herzog wieder in seine Nähe nach Urach, woselbst Freund Isenmann, gleichfalls aus Hall vertrieben, Stadtpfarrer geworden war. Dieser gab ihm, der im benachbarten Dorfe Mägerkingen Wohnung genommen hatte, seine Tochter Katharina den 7. September 1550 zur zweiten Gattin.

Kurz hernach, den 6. November 1550, wurde Herzog Ulrich von hinnen genommen: der hochbegabte, schwergeprüfte Fürst, zu dessen Verdiensten es gehört, in Württemberg die Reformation angebahnt, für sie den rechten Mann in Brenz auserlesen und edelmütigst unterstützt zu haben. Sein Sohn Christoph kam auf den Thron. An ihm hatte früher schon Calvin „einen wunderbaren Gleichmut, Unerschrockenheit gegen alle Stürme, Bereitwilligkeit, lieber unter dem Banner des Kreuzes Christi zu streiten, als mit der Welt zu triumphieren“, gerühmt, ihn prophetisch als einen Fürstenspiegel gezeichnet. Herzog Christoph, der die Bekanntschaft mit Brenz in Straßburg nicht vergessen und ihm einen Ruf nach England abgeraten hatte, zog nun den Verbannten zu sich, seines Rates unter den schwierigen Verhältnissen zu genießen. Zunächst wurde Brenz nach Sindelfingen, einem Städtchen in der Nähe Stuttgarts, versetzt. In erster Linie handelte sich’s um das Konzil zu Trient, auf den 1. Mai 1551 ausgeschrieben, dem der Herzog nicht ausweichen konnte. Brenz musste hinreisen und überbrachte seine „Confessio Württembergica“. Diese behandelt, noch ausführlicher als das Augsburger Bekenntnis, in 35 Artikeln die Grundsätze der Evangelischen gegenüber den Katholiken. Sie machte bedeutsamen Eindruck, aber die Versammlung zu Trient zerstob unter dem Feldzug des Kurfürsten Moritz gegen den Kaiser. Brenz kehrte den 17. April nach Tübingen zurück, wo der Herzog sich aufhielt, und gab immer noch unter dem Namen „Huldreich Engster“ eine Beschreibung jenes unredlichen Konzils heraus.

Moritz von Sachsen drang siegreich vorwärts und nötigte den Kaiser zu dem Paussauer Vertrag (2. August 1552), dem in ergänzender Weise der Augsburger Religionsfriede (26. Sept. 1555) nachfolgte: den Anhängern der Augsburgischen Konfession wurde nicht nur völlige Gewissens- und Religionsfreiheit, sondern auch politische Rechtsgleichheit, wie den Katholiken, und Fortbesitz der bereits eingezogenen Kirchengüter zugesichert. Ein stattlicher Erfolg, namentlich der festen Ruhe Christophs in den Verhandlungen zu verdanken, dem Brenz ein treffliches Gutachten (Epitome consilii Brentii de restauranda concordia inter diversarum religionum asseclas, de anno 1559) geliefert hatte. Dem Tage von Passau folgte gleich der Vergleich zwischen König Ferdinand und Herzog Christoph, durch den dieser als Herr von Württemberg anerkannt wurde. Den 13. August 1552 hatte das Interim, der Chorgesang, das Messelesen rc. der Papisten ein Ende. Brenz bewies aus dem Passauer Vertrage der Fürsten Reformationsrecht (consilium de abroganda missa nec non genuino intellectu Pataviensis transactionis). Auf sämtliche Pfarrstellen wurden wieder evangelische Prediger, so weit man hatte, gegeschickt. Endlich kam auch an Brenz, der von Sindelfingen aus nach Ehningen bei Herrenberg hatte der Pest wegen versetzt werden müssen, die Beförderung auf die Propstei der Stiftskirche Stuttgart (1553). Der „Bestallungsbrief“, den 24. September 1554, ordnete die Besoldungsverhältnisse für Brenz. Er bekam zugleich die Generalsuperintendenz über die gesamte Kirche Württembergs, die Vorstandschaft am Konsistorium, den Sitz im Geheimen Rate, dazu den Auftrag, die Hochschule Tübingen, das dortige Stift und die Klöster des Landes jährlich zu visitieren. Dazu gehörte der staunenswerte Fleiß, in dem er mit Herzog Christoph gewetteifert hat. Hand in Hand führten beide nun die von Herzog Ulrich begonnene Reformation des Landes durch. Die verschiedenen Ordnungen des letzteren kamen verbessert und vermehrt heraus (Der Armenfasten 1552 Ehewesen 1553 Von der Kirche 1553). Für das Tübinger Stift, welches Ulrich 1536 errichtet hatte, sowie für die Vorseminare wurden 1557 Normen gegeben und, ja nicht zu vergessen, die Volksschulen geschaffen. Dies alles wurde von der „großen Kirchenordnung“ zusammengestellt: „Summarischer und einfältiger Begriff, wie es mit der Lehre und Zeremonien in den Kirchen unsers Fürstentums, auch denselben Kirchen anhangenden Sachen und Verrichtungen, bisher geübt und gebraucht, auch fürohin mit Verheißung göttlicher Gnaden gehalten und vollzogen werden soll“ (Tübingen 1559). Das Kirchenrecht Württembergs hat heute noch diese Sammlung, trotz aller Veränderungen, als Grundlage. Den Gemeinden ist unter anderm ein Veto gegen die Bestallung ihrer Geistlichen eingeräumt: „So die Kommun einen redlicher und ehrhafter Ursachen willen rekusiert, soll derselben keiner wider ihren Willen aufgebunden werden, es wäre denn die Rekusation aus liederlichen Ursachen, Unverstand oder eigenwillig fürgenommen worden, worauf die Kirchenräte besonders aufzumerken haben.“ In betreff des „Kirchengutes“ heißt es, dass dasselbe, „ohne gemindert oder geschmälert zu werden, bei der Kirche möglich und unwiderruflich bleiben und davon nichts hingegeben oder alieniert werden soll“. Der aus ihm gebildete „Kirchenfasten“ bekam die Bestimmung, der Kirche zu guter und nützlicher Haushaltung zu verhelfen, zur Unterhaltung und Besoldung der Geistlichen, der Schulmeister und deren Kollaboratoren, Herstellung der nötigen Gebäude, Handreichung der Armen, auch allen und jeden andern gegenwärtigen und künftigen der Kirchen Notdurften. Seine Verwaltung wurde dem Kirchenrat übertragen, der Überschuss (das „Residium“) vertragsmäßig zu den allgemeinen Landesanlagen verwendet. An dem Aufbau dieser Verordnungen half besonders der herzogliche Rat M. Kaspar Wild mit, gleichsam die rechte Hand von Brenz, derselbe, welcher auch im Auftrag des Herzogs das Landrecht überarbeitete. Die Fäden des ganzen Systems beisammen zu halten: hierzu gehörte die Willigkeit und Fähigkeit eines Herzogs Christoph, wie der weise Rat, welchen er stets von seinem ergebenen Diener Brenz einholte, dass dem so seltenen Vertrauen, worin ein Fürst und ein Pfarrer miteinander für das Reich Gottes wetteiferten, zugesetzt worden, lässt sich erwarten und blieb von verschiedenen Seiten keineswegs aus, jedoch stets umsonst. Einen Versuch dieser Art strengte die Schrift eines früheren Beichtvaters von Karl V., dann theologischen Professors in Dillingen, des Dominikanermönchs Peter a Soto an: „Behauptung des katholischen Glaubens gegen die Artikel der Württembergischen Konfession“, Köln 1552; dem Herzog aus Rücksicht auf sein Seelenheil“ gewidmet. In der Entgegnung („Apologie der Württembergischen Konfession“ 1553), ebenfalls dem Herzoge gewidmet, wird Brenz etwas bitter: „So wollen sie dich und das Heil deiner Seele von dem Mönchsgürtel und der Kapuze, von mönchischen Träumen und Irrtümern abhängig machen. Doch da der Asot in seiner Schrift unehrerbietig nicht bloß gegen die heilige Schrift, sondern selbst gegen den Sohn Gottes ist, dessen Ehre und Majestät er dem Tand menschlicher Werke zur Seite stellt, so ist nicht zu befürchten, dass deine Hoheit sich durch das Geschrei dieses unbekannten Mönchleins, wie er sich selbst nennt, von der Erkenntnis der reinen Lehre, von der Pflicht eines christlichen Fürsten abbringen lasse.“

Weit mehr zu schaffen machten ihm die Bewegungen der evangelischen Zank und Streitlust (rabies theologorun), welche sich mehr und mehr hob. Andreas Osiander, Professor in Königsberg, erregte, mit seiner mystischen Rechtfertigungslehre, gewaltige Bedenken, welche Brenz 1552 durch ein Gutachten zu mildern suchte. Dies warf auf ihn den Verdacht und Bezichtigung eines Abfalls von der Lehre Luthers. Er schrieb an Melanchthon: „Ich bin von einem solchen Abscheu gegen den giftigen Hader erfüllt, dass, so oft ich daran denke, ich mich entweder eilig zum Gebet oder zu meinen Freunden wende, um dieser ärgerlichen Gedanken los zu werden.“ Den „Hyperevangelischen“, welche Melanchthon und Brenz exkommunizieren wollten, das Handwerk niederzulegen, gelang endlich der preußischen Kirchenordnung (1558) und (1567) der neuen preußischen Konfession, einer Vorläuferin der Konkordienformel. Auf dem Gespräche zu Worms (1557), das die Katholiken und Evangelischen vereinigen sollte, versuchten die Theologen Jenas, an der Spitze Flacius, die Verdammung der Irrlehrer (Zwingli, Osiander, Adiaphoristen, Synergisten rc.) durchzusetzen. Melanchthon und Brenz widersprachen: obgleich sie das Irrige vollständig zugaben, sei’s nicht recht, solche Leute der Hölle zuzuwerfen; mit schonender Geduld müssten sie für die Wahrheit gewonnen werden. Darob wutentbrannt, verließen die Jenenser Worms. Die Katholiken gleichermaßen: das Gespräch nahm ein klägliches Ende. Betrübt, aber nicht hoffnungslos, drückte sich Brenz gegen Christoph aus: „Es kann nicht fehlen, dass die Spaltung der Unsern großes Ärgernis und den Papisten freudig Jubilieren bringe. Der Allmächtige hat nicht von uns gelassen: es kann ihm seine Schäflein niemand aus der Hand reißen. Die Welt mag nimmer ohne Ärgernis sein, das Unkraut wird für und für unter den guten Weizen gesät. Was durch fügliche Mittel ausgereutet werden mag, da ist Gott zu danken. Was aber nicht füglich sein mag, das muss man Gott bis zur Ernte auszureuten befehlen.“

Im folgenden Jahr (1558) hatte Brenz mit seinem Herzog auf den Reichstag in Frankfurt zu reisen. Für Karl V., der maßleidig den Thron verlassen, wurde Ferdinand als Kaiser bestätigt. Auch Brenz nahm auf Einladung am Krönungsmahl teil. Um dem Gerücht vom Zerfall der Evangelischen entgegenzutreten, wollte Christoph eine Generalsynode zustande bringen. Melanchthon und Brenz rieten ab. Indes gelang es, etliche Fürsten zum „Recesse“ zu vereinbaren, der über hauptsächliche Dogmen entschied. König Maximilian, der Sohn des Kaisers, äußerte seinen Glückwunsch an Christoph: „Durch solchen Weg der Vergleichung sticht man dem Papste den Hals ab, darum nicht wenig daran gelegen.“ Brenz, von amtlichen Geschäften heimberufen, war nicht mehr beim Schluss dieses Recesses anwesend, verteidigte denselben aber gegen die schnaubenden Jenenser in einer Schrift. Es gelang dem Recess die Versöhnung der Parteien allzuwenig. Zähestens an ihr hängend, ließ Herzog Christoph im nächsten Jahre (1559) Brenz ein Gutachten ausarbeiten, ob nicht eine Generalsynode zu diesem Zweck einberufen werden möge? Nein, antwortete Brenz, die Kluft würde sich steigern. „Denn wer unter den Fürsten wollte Konstantinus, wer unter den Theologen Lutherus sein? Ohne solche zwei Männer ist kein Frieden zwischen so haderischen, zänkischen, auch jungen und hitzigen Theologen zu hoffen, wenn man sie zusammenkommen lässt. Was ist zu tun? Luge ein jeglicher Fuchs seines Balges: habe jeder Fürst auf sein Fürstentum und auf seine Kirchen acht, dass darin friedlich regiert und gelehrt werde; erbiete sich gegen die andern seines möglichen Dienstes und befehle die Sache Gott nach dem Spruch: Befiehl dem Herrn deine Wege, der wird’s wohl machen.“ Cujus regio, ejus religio – der Grundsatz klopfte bereits an. Sogar Melanchthon musste sich vor seinem Hingange (19. April 1560) ähnlich aussprechen: der „platonischen Idee“ von der Einigung schoben die tatsächlichen Verhältnisse der Zeit immer starre Riegel vor. Die Zensoren Jenas ließen auch den Fürstentag zu Naumburg (1561), der auf den sehnlichen Wunsch Christophs Frieden bringen sollte, zu keinem genügenden Erfolge gelangen. Ebenso wenig vermochten die Tage von Bebenhausen (September 1563), von Ettlingen (Oktober 1563), Maulbronn (April (1564): Discordia verblieb, welche sich in einem neuen Schriftenwechsel hin und her erging. Überall wurde Brenz in Lehrstreitigkeiten verflochten. Schwabens Eigentümlichkeit zog von jeher allerlei Sektierer heran, der jungen Kirche Gefahr drohten. Brenz musste sich gegen Schwenkfeld wenden: das Religionsedikt von 1558 verpönte dessen Lehre, das Lesen und Verkaufen seiner Schriften bekam ein Verbot. Ebenso wurde der edle Pole Lasky, wegen abweichender Ansicht vom Nachtmahl, dieser Achillesferse der damaligen Gottesgelehrtheit, ausgewiesen, „Offenbar ist es besser, die Fremden, welche die Kirche mit ihren Dogma verwirren, einfach zu entlassen, als sich in lange Streitigkeiten mit ihnen einzulassen“: so herb kann ein Kirchenmann, trotz aller angeborenen Milde, werden. Streng verfuhr Brenz auch gegen den württembergischen Pfarrer Hagen, der mit Calvin in Briefwechsel stand und bei der Mutter Christophs, der Herzogin Sabina, zu Nürtingen viel verkehrte. Dieser wurde des Calvinismus angeklagt und ins Verhör der Behörde genommen. Als er sich auf Brenz‘ Erklärung von Joh. 6 berief, brach letzterer so heftig auf und aus, dass der Pfarrer um Verzeihung bat und seinen Beitritt zur Lehre Württembergs erklärte. Darauf ließ der Herzog (den 19. Dezember 1559) eine die Theologen und Kirchendiener des Fürstentums verpflichtende Norm ergehen „von der wahrhaftigen Gegenwärtigkeit des Leibes und Blutes Jesu Christi im heiligen Nachtmahle“. Der „Ubiquität“ wurde feierlich das Wort gesprochen. Hiermit hatte, dogmatisch angesehen, das gestrenge Luthertum in Württemberg den Sieg errungen. Melanchthon, der sich mehr und mehr der Ansicht Calvins vom Nachtmahl genähert hatte, schrieb an den Kurfürsten: Mit der alten, reinen Kirchenlehre streiten die württembergischen Artikel so gut, wie die der Papisten, eines Westfals rc. Aufs tiefste gereizt, nannte der sonst so friedsame, von Leiden und Anfechtungen vielbestürmte Magister Germaniel jene Norm ein „anmaßliches“ Werk, in „Hechinger Latein“ verfasst. Indes die Liebe höret nimmer auf. Seine letzten Briefe lauten: „Reverendo viro, eruditione et virtute praestanti D. Joanni Brentio, gubernanti ecclesiam Dei in regione Württembergensi, Fratri suo carissimo.“ Die Geschichte darf in den Hauptsachen die beiden Hauptvertreter Luthers, Melanchthon und Brenz, engverbunden ansehen. – dass keiner von beiden das theologische Doktordiplom erhielt, soll bis heute manchen vergeblich danach Strebenden trösten. –

Auch nach außen entfaltete Brenz im Gefolge seines Fürsten einen staunenswerten Eifer. Seiner Beratung hatten besonders Baden, die Rheinpfalz, Wesel, Jülich, Cleve, Braunschweig-Wolfenbüttel viel zu danken. Den Evangelischen Bayerns, von den Jesuiten abscheulich verfolgt, schrieb er einen Trostbrief, auf Jesaias 41 hinweisend. Ein Vorbote der Mission, schuf er in Urach eine Druckerei, worin unter seiner Aufsicht Übersetzungen der heiligen Schrift und evangelische Bücher herauskamen, um tausendweise nach Italien, Kärnten, Krain, Steiermark rc. versandt zu werden. Das Religionsgespräch zu Zabern in Elsass, dem er, mit Herzog Christoph, beiwohnte (Februar 1562), war nur eine teuflische Komödie, welche die Herren von Frankreich aufführten. Als der Herzog nach der Heimkunft von der abgeschworenen Verfolgung seiner Glaubensgenossen erfuhr, war er sehr betrübt und äußerte: „Adie France mit all deiner Untreue; so Gott will, soll sich’s noch fügen, dass man sagen wird, Württemberg habe den Franzosen auch ein Pössichen gemacht.“ Brenz wurde gar verleumdet, er hätte sich gegen die Calvinisten mitverschworen gehabt: was doch seinem durchaus wahren Charakter ganz unmöglich war, wenn er auch mit zunehmendem Alter von Leidenschaft gegen dogmatische Feinde nicht frei blieb. Der fortwährende Hader, besonders um das Nachtmahl, erregte freilich nach und nach auch seine Nerven, die vordem viel zu tragen vermochten, jedoch nie zu bösartigem Eifern. Zur Intrige fehlte dem hochbegabten Mann jede Fähigkeit. Ebenso ferne blieb er gewöhnlichem Ehrgeiz. Wir sahen ihn schon früher Anträge glänzender Stellungen ausschlagen. Er wollte Pfarrer bleiben und blieb’s. Die Seelsorge durchs Wort war ihm stetes Bedürfnis. Daher sein staunenswerter Fleiß im Predigen, das er lange jeden Tag trieb, dem auch die Menge seiner exegetischen Schriftstellerei diente. So sehr letzteres, dass man kaum zwischen praktischer und wissenschaftlicher Behandlung den Unterschied zu finden weiß. Mitten unter gelehrten Auslegungen treffen wir genug Stellen, die beweisen, warum er seine Kommentare Homilien benannte: weil sie der Vorbereitung auf seine vielen Sonntags- und Wochenpredigten galten, manchmal aus diesen erst nachträgliche Bemerkungen enthielten. Auch die Psalmenerklärung entstand aus Reden, die der Visitator in den Klöstern des Landes hielt. Seine Sonn- und Festtagspredigten gab M. Pollicarius (Frankfurt 1550) in einer Postille lateinisch heraus, jedoch mit Einschaltung von Kommentarstellen. Deutsch erschien (1556 und 1559) von seinem Freunde Gretter „Auslegung aller Evangelien und Episteln durch Johannes Brenz“. Nur einzelne Gelegenheitspredigten sind zuverlässig und völlig nach Form und Inhalt von ihm selber. Jedenfalls geben uns alle Predigten den Eindruck von seiner Äußerung: „Ich gehe niemals auf die Kanzel, dass ich nicht allemal mit einer neuen und größern Ehrerbietung und Sorgfalt gerührt werde, als zuvor, weil ich weiß, dass ich vor Gott und Engeln predige.“ Von der Anziehungskraft, womit sie wirkten, haben wir genug Beweise. Die Haller Gemeinde wurde tiefstens erfasst; aus der Umgebung wallfahrteten die Pfarrer und andre heran, sie zu hören; in Stuttgart sammelten sie lange Fürst und Bürger, hoch und niedrig scharenweise. Von einem Nachlass in späterer Zeit wird uns freilich auch berichtet. Es kam ein angesehener Pfarrer aus Lauingen einst in die Kirche, fand sie halb leer und äußerte hierüber verwundert: „Um so weniger Menschen willen würde ich kaum die Kanzel bestiegen haben.“ Brenz wies ihn beim Nachhausegehen auf einen Brunnen am Wege: Wisst ihr, was die größte Tugend dieses Brunnens ist? Er gibt, ob viele oder wenige daraus zu schöpfen kommen, immer gleich reichlich Wasser, und ist ein Vorbild für die Prediger des göttlichen Wortes.“ Wer sich so zu trösten weiß, bedarf keines weiteren Trostes. Luther äußert sein Gefallen in den Tischreden: „Es ist keiner unter den Theologen unsrer Zeit, der die heilige Schrift also erklärt und handelt, als Brentius, also, dass ich mich oft wundere über seinen Geist.“ Ein andermal schreibt er an diesen: „Vor allem halte ich die Gabe Gottes an euch hoch und teuer, dass ihr so treulich und lauter auf die Gerechtigkeit des Glaubens dringt, sintemal diese Lehre ist das Hauptstück und der Eckstein, welcher allein die Gemeinde Gottes zeugt, nährt, baut, erhält, beschützt, und kann ohne ihn die Gemeinde Gottes nicht eine Stunde bestehen, wie ihr denn wisst und fühlt. Darum dringt ihr so darauf; denn niemand kann recht lehren in der Kirche, der nicht an diesem Punkt, oder wie’s Paulus nennt, an dieser gesunden Lehre bleibt.“ Fürchtete Luthers feine Spürkraft, Brenz möchte von seiner Neigung, der Sittenlehre gerecht zu werden, sich zu weit hinreißen lassen? Er trieb sie weit mehr als die andern Prediger der Reformation und zeichnet sich eben dadurch aus, einer einseitig dogmatischen Behandlung nicht gehuldigt zu haben. Es ließe sich aus den verschiedenen Ausführungen leicht eine christliche Moral zusammenstellen, jedoch stets schriftgemäß begründet. In formeller Hinsicht ergeht sich Brenz nach seiner Natur mit großer Klarheit und Anschaulichkeit, mit Beispielen, Redensarten, Sprichwörtern, Bildern, auch heidnischen Aussprüchen, hauptsächlich Mustern aus dem alten und neuen Testament. Arm, nicht leer, an rhetorischem Schmuck, sind seine Reden um so mehr logisch geordnet und verraten manchmal schon unsre synthetisch-analytische Methode. Der Text wird meistens einfach, nicht allegorisch, ausgelegt und auf die Verhältnisse des Lebens angewendet, vielfach ein Hauptgedanke (Thema), sodann in einzelnen Teilen ausgeführt.

Ohne Bitterkeit prüft und verwirft er er gegebenen Ortes die katholischen Irrtümer und Missbräuche, voll Ernstes verweist er seinen Kirchengenossen das Kleben an bösen Gewohnheiten oder falschen Ansichten und möchte sie nach der vernünftigen, lauteren Milch begierig machen, damit sie durch dieselbige zunehmen. Wie sehr es Brenz verstand, von seiner Lutherischen Dogmatik auch keinen Gebrauch zu machen, zeigt ein Stück aus den Abendmahlspredigten von 1556, das wir mehr als die hoch und überhoch gelehrten Streitigkeiten um diese heilige Sache hören wollen. „Das Nachtmahl ist eingesetzt und verordnet zu einer Arznei wider alle leibliche und geistliche Anfechtung und Widerwärtigkeit. Wie? So höre ich wohl, das Nachtmahl ist eine Arznei wider die Pestilenz, wider das Fieber, wider die Armut, wider das Zipperlein oder Podagra, endlich auch wider den Tod? Ja, es ist eine Arznei wider solche erzählte Stücke, aber doch auf sein Bescheid und dass man’s recht verstehe. Denn in einer jeden Plage und Anfechtung, sie sei leiblich oder geistlich, eine gemeine oder eine sonderliche Plage, haben wir nicht allein Schmerzen und Wehtag, sondern werden auch darin von der Sünde, vom Zorn Gottes und der ewigen Verdammnis angefochten. Also wenn einer mit Armut beladen wird, so findet er Arznei wider die Armut im Nachtmahl. Als wie? Gibt man ihm im Abendmahl einen Säckel mit Geld? Nein, sondern wenn einer fromm ist, und mit der Armut beladen wird, so ficht ihn die Armut an, gedenkt, solche Armut habe er mit seinen Sünden verschuldet und sei demnach solche ein Anfang seiner ewigen Verdammnis. Damit nun ein solcher nicht verzweifle in seiner Armut, soll er sich der Zusagung Gottes erinnern, soll das heilige Evangelium von Vergebung der Sünden vernehmen und zum heiligen Sakrament gehen. Wo er solches recht tut, alsdann ist ihm die Armut nicht mehr schwer, sondern trägt sie mit Geduld und weiß, dass ihm Gott darin will gnädig sein rc. Also mag man auch reden von denen, die im Totenbette liegen und von dem Tod werden angefochten, nämlich dass man ihnen helfen soll mit diesem Sakrament und sie damit versetzen, nicht der Meinung, dass sie dadurch vom äußerlichen Tod errettet werden, sondern dass sie hiermit wider die Schrecken des Todes getröstet werden und wissen können, dass sie Gott durch seinen Sohn Christum im Tod zum ewigen Leben erhalten werde rc.“ Wie sehr es Brenz verstand, seine Predigt nicht bloß in persönlicher, sondern auch in allgemeiner Hinsicht nutzbar zu machen, beweist zur Genüge seine Rede von dem kaiserlichen Edikt, „den Frieden in der Religionssache zu Nürnberg aufgericht belangend“. Man hat ihr vorgeworfen, sie stelle sich zu sehr auf die Seite des Kaisers. dass dieser den Prediger getäuscht habe, bewies freilich die Geschichte. dass jedoch diese Täuschung eine bewusste gewesen, widerspricht allzu sehr der im ganzen Leben erprobten Wahrheitsliebe des Predigers. Ihm selber mag’s eine Warnung geworden sein, derartiges auf der Kanzel zu behaupten, wie wir denn Ähnlichem nicht mehr begegnen. Gottes Wort, nicht mehr und nicht weniger, zu verkündigen, diesem Zwecke galten seine sämtlichen Studien, die vielen exegetischen Behandlungen biblischer Bücher, welche zwischen theoretischer und praktischer Behandlung kaum unterscheiden lassen. So wurde Brenz ein Vorläufer der Predigt, welche nichts geben will und soll, als Gottes Wort, angewandt auf die Zeit, und welche dies tut in einer den Text möglichst voll auslegenden Weise. Neben Melanchthon brach er die Bahn der analytisch-synthetischen Methode. Noch bedeutender und einflussreicher wurde Brenz auf dem verwandten Gebiete der Katechetik. Er schrieb seine beiden Katechismen, den ersten 1527, den zweiten 1528, den dritten 1556, den vierten 1559. Der letztere wurde der württembergischen Kirchenordnung einverleibt. Zur Vergleichung dient sein Buch von 1551: Catechismus pia et utili explicatione illustratus. Der Unterschied von Luthers Katechismus (1529) gründet sich darauf, dass diesem das Bekennen, jenem das Belehren im Vordergrunde steht. Hierdurch erklärt sich der Unterschied in der Einteilung. Brenz behandelt 1. die Taufe, 2. den Glauben, 3. das Vaterunser, 4. die zehn Gebote rc. Wie sehr der Inhalt sonst mit Luther übereinstimmt, beweist schon, dass die württembergische Kirche später verdeutlichende Zwischenfragen Luthers mit aufgenommen hat. Brenz äußert über den Zweck der Erklärung vom Katechismus: er soll eine kleine Bibel sein zum Gebrauch in Kirche und Haus, wodurch die Kinder von früh an im Evangelium unterrichtet, namentlich von Vater und Mutter zum Glauben angehalten würden. Die Sonntagsruhe möge der Vater (als Hausbischof) dazu benutzen, seine Kinder in den Katechismus einzuführen. Tue das jeder Vater gewissenhaft, so würden es dereinst seine Kinder in ihren eignen Familien gleichfalls tun. So komme der Katechismus der ganzen Kirche zu statten: durch Familientradition. An ein kirchliches Institut scheint Brenz weniger noch gedacht zu haben. Erst später, in der Kirchenordnung von 1559, nähert er sich mehr unsrer „Kinderlehre“ durch die Bestimmung, der Pfarrer soll jeden Sonntag in einer besonderen Stunde einen Punkt oder Artikel“ des Katechismus kürzlich und verständlich auslegen, dass die Jungen nicht allein die Wörter gewöhnen, sondern auch einen guten, christlichen Verstand derselben überkommen: hernach soll er etliche der Jungen öffentlich verhören, damit hierdurch nicht allein derselben Jungen Geschicklichkeit erfahren werde, sondern auch die andern den Katechismum von ihnen lernen rc. Hieraus entwickelten sich dann die Katechismuspredigten und aus ihnen die Gottesdienste, welche man in Württemberg „Kinderlehren“ heißt. Mittelbar verdanken wir sie dem Brenzschen Katechismus, an dessen Hand sie gehalten werden.

Für die Heranbildung von Geistlichen sorgte Brenz, im Einverständnis mit Herzog Christoph, durch die Gründung von Seminarien, in welche die vielen Mannsklöster umgewandelt wurden. Sie sollten Vorschulen für das höhere Seminar, Stipendium oder Stift, zu Tübingen sein. Letzteres hatte Herzog Ulrich 1536 errichtet und ihm nach dem Interim 1548 das Augustinerkloster eingeräumt. Es hob sich wesentlich durch die Verordnung Christophs vom 15. Mai 1557, worin mehr als 100 Landeskinder, in jenen Seminarien vorgebildet, für den Kirchendienst erzogen werden sollten. Über der Anstalt standen zwei Professoren, von denen einer auch Philosoph sein konnte; sechs tüchtige Magister hatten die Seminaristen an den Tagen, darin keine Kollegien gelesen wurden, durch „Repetitionen“ vorzubereiten und sonst ihre Studien zu leiten. Vorn stand angeschrieben: Claustrum hoc cum patria statque caditque sua. „Der Segen ist von diesem Hause nicht gewichen: Tausenden und Abertausenden ist es eine geistlich und leiblich nährende Mutter, für die Kirche und Schule eine unerschöpfliche Vorratskammer an brauchbaren Dienern geworden,“ sagt ein Geschichtsschreiber neuerer Zeit. Zweimal im Jahre visitierte Brenz diese Klöster als Vertreter der Kirchenbehörde. Bei seinen häufigen Besuchen zu Tübingen hielt er öfters Predigten in der Stadt und Umgebung. Der ganzen Universität erwies er, zur Beaufsichtigung als Kommissär des Herzogs bestellt, viel Aufmerksamkeit und Förderung. Alle Professoren sämtlicher Fakultäten mussten sich zur Augsburger Konfession feierlich bekennen.

Um noch einzelnes, das Gemeindeleben betreffend, anzuführen, hat Württemberg noch ziemlich unverändert ein Formular der Taufe; desgleichen die Vorbereitungspredigt für das Nachtmahl. Hierauf wurde nach Brenzscher Bestimmung „Jeglicher insonderheit verhört und nach Gelegenheit der Person freundlich unterrichtet“. Der privaten Absolution folgte dann die Lossprechung in der öffentlichen Beichte. Die Verkündigung und Einsegnung der Ehen soll in der Kirche stattfinden: Denn wiewohl der eheliche Kontrakt, gleich andern weltlichen Kontrakten, möchte auch wohl auf den Rathäusern oder andern öffentlichen Orten verrichtet werden, so ist doch, weil schon bald nach der Apostelzeit viele den ehelichen Stand für einen unheiligen erklärten, mit dem die Kirche nichts zu tun haben solle, die Vergewisserung ihrer göttlichen Zusammenfügung den Eheleuten in ihrem Gewissen nötig.“ Dem Pfarramte ließ Brenz nur das Recht einer „Excommunicatio minor“, Ermahnung zum Bußetun, Abmahnung vom Abendmahl; ein Recht zur „Excommunicatio major“ sprach er nach gerichtlichem Prozess einzig der Kirchenbehörde zu. Dem übertriebenen Eifern in der Praxis abhold, behauptete der orthodoxe Mann seine Freiheit auch in dogmatischer Hinsicht. Er legte z. B. die Höllenfahrt heterodor aus, wollte sie nur allegorisch verstanden wissen. Die jungen und hitzigen, haderischen und zänkischen Gottesgelehrten“, von denen jeder selbst wieder ein Papst hätte werden mögen, suchten überall Irrlehren hervor und warfen sie dem Greise mit gröblichem Scharfsinn vor. Mitunter schmerzten und ärgerten ihn solche Plänkeleien, die den Anbruch der Nachreformation verkündigten, so sehr, dass er auch noch schriftstellerisch dawider eingriff, mehr und mehr jedoch verzog er nur schweigend seine Miene. Den Widerwillen gegen die Nachtmahlslehre Calvins nahm er ungeschwächt ins Grab mit; während bei Luther noch Spuren von Ermäßigung sich regten. „Zum Alter kommen, wie zu einem Opferaltar, alle Übel zusammen,“ sagte Brenz aus eigner Erfahrung. Das fühlbare Schwinden der Kräfte bewog ihn von Anfang 1568 an, die Kanzel nicht mehr zu besteigen: er besuchte nur noch die Gottesdienste fleißig.

Am Ende dieses Jahres (den 28. Dezember 1568) ergriff ihn schwerstens der Hingang seines teuren Herzogs Christoph. „Wie gerne hätte ich sein Leben mit dem meinigen, ja, mit allem, was ich habe, vertauscht, wenn es mit Gottes Willen geschehen könnte.“ Der edle Verstorbene ließ den Brenzschen Kommentar zum Jesaias unter das Haupt sich legen. Wiewohl immer noch mit Rat und Tat sein Amt fortführend, suchte Brenz mehr und mehr daheim Ruhe. Die Familie war groß: neben der sorgsamen, trefflichen Gattin drei Kinder erster, zehn zweiter Ehe. Der älteste Sohn, Johannes, wurde schon frühe Professor der Theologie zu Tübingen. Auf einem Gute bei Bulach, Fautsberg, das der Ahnherr 1561 gekauft hatte, sammelte sich manchmal um ihn alt und jung. Daselbst auf Kinder und Kindeskinder erzieherisch einzuwirken, auch mit ihnen zu spielen, war ihm Bedürfnis und Genuss. Dort schrieb er 1566, als die Pest grassierte, sein Testament nieder, worin er seinen lutherischen Glauben feierlich bestätigt und neben verschiedenen Anordnungen seinen Hinterbliebenen dankbare Treue gegen Christophs Haus Württemberg ans Herz legt. Auch auf diesem Schlösschen, wie daheim in Stuttgart, war’s ihm eine Freude, Gäste bei sich aufzunehmen. Er war von jeher nicht köstlich noch prächtig, aber auch nicht rülzig und filzig, sondern seinem Stande gemäß ehrbar, mäßig, bescheiden, gegen arme Leute gar mitleidig und freigebig“. Dazu reichte sein Vermögen aus. Mit seiner Psalmenerklärung in Stuttgart beschäftigt, überfiel ihn Ende 1570 ein Schlag. Der ehrwürdige Mann, von stattlicher schlanker Gestalt, sank zusammen. Gebrochen war seine Kraft, wiewohl er wieder aufstand. Matt und satt zog sich der beispiellos fleißige, rührige Gelehrte zurück. Der Sabbath rückte nach dem langen, lauten Werktag still heran. Den 31. August berief er die Geistlichkeit Stuttgarts vor sein Bett, genoss mit ihnen, seiner Gattin und seinem ältesten Sohne das heilige Nachtmahl, ermahnte dringlichst zur Eintracht (Psalm 133), drückte Sehnsucht nach Vollendung aus. Kurz hernach von einem neuen Schlage berührt, fiel er in einen längeren Schlaf. Als er aus ihm erwachte, las ihm ein Amtsbruder das apostolische Glaubensbekenntnis vor und fragte den Sterbenden, ob er darauf scheiden wolle? „Ja“ dies war sein letztes Wort, mit sichtlich klarem Bewusstsein gesprochen. Brenz entschlummerte sanft mittags 1 Uhr den 11. September 1570. Die Beisetzung fand folgenden Tages mit außerordentlicher Teilnahme von hoch und niedrig statt. Hofprediger Bidenbach behandelte zum Abschied Apostelgesch. 20, 17-28. Neben der Kanzel in der Stiftkirche ruht sein Leichnam. Er hatte diesen Ort selber bezeichnet: „Hier soll mein Grab sein, damit ich, wenn jemals einer schriftwidrig predigen sollte, mein Haupt erheben und ihm zurufen kann: du lügst!“ Ein steinernes Denkmal, jetzt in der Sakristei befindlich, wurde dahin gesetzt: „Johannes Brenz, ein Schwabe von Abstammung, geboren zu Weil, der hochberühmte Gottesgelehrte, Propst in Stuttgart, Rat der durchlauchtigsten Herzoge zu Württemberg, einer der ersten Wiederhersteller der gereinigten Kirche. Die prophetischen und apostolischen Schriften hat er in Schulen, Predigten, auf Reichstagen und mittelst gründlicher Werke erläutert und verteidigt, die Verbannung seines Glaubens wegen standhaft erduldet, mit seinem Rate die Kirche und das gemeinsame Vaterland unterstützt, durch sein unbescholtenes Leben seinem Stande Ehre gemacht. Nachdem er in dieser seiner Laufbahn über fünfzig Jahre zum großen Nutzen der Kirche gearbeitet, entschlief er sanft in Christo und ward unter größter Trauer aller Frommen hier begraben den 11. (12.) September 1570, nachdem er sein Leben gebracht auf 71 Jahre 2 Monate und 17 Tage.“ Darunter in Öl gemalt: „Brenz, durch Rede und Schrift, durch frommen Glauben, Geradheit Höchlich berühmt: dies Bild stellet sein Antlitz dar.“

Zu Tübingen hielt Professor Dr. Heerbrand eine Trauerrede, die, reich an geschichtlichen Mitteilungen, als erste Biographie von großem Wert ist. Allerseits herrschte der Eindruck: „die Kirche hat ein herrlich Licht, das Vaterland einen Vater verloren.“

Brenz‘ männliche Nachkommenschaft starb im siebzehnten Jahrhundert aus, die weibliche lebt heute noch zahlreich: zu derselben gehört Johann Albrecht Bengel.

Thascius Caecilius Cyprianus

Das nördliche Küstenland von Afrika, wo heute nach langer Nacht des Heidentums das Licht des christlichen Glaubens aufs neue aufzudämmern beginnt, war in den ersten Jahrhunderten der Kirche ein ganz besonders fruchtbarer Boden für die Verkündigung des Evangeliums. Wie die Sonne fort auf den Feldern Blüten und Früchte schneller zeitigt in mannigfaltiger Schönheit und reichem Ertrage, so zeigt die Geschichte der nordafrikanischen Kirche in den Raum weniger Jahrhunderte zusammengedrängt eine überaus rasche Entwickelung des christlichen Lebens, und nach heißen Kämpfen reiche Erfolge, die fernen Zeiten und Ländern zu Gute kommen sollten. Die Anfänge der abendländischen Kirche, als Grundzüge der Lehre und erste Festsetzung der Verfassung, müssen größtenteils auf die nordafrikanische Kirche zurückgeführt werden; die drei großen Lehrer derselben, Tertullian, Cyprian und Augustin, sind in recht eigentlichem Verstande Väter der Kirche gewesen, und was der Geist des Herrn durch sie ausgerichtet hat, ist noch heute nicht verloren. Der Lebensgang dieser drei Männer hat viel Gemeinsames: eine starke und feurige Kraft des Geistes verwenden sie zuerst dem natürlichen Triebe des Herzens folgend, im schweren Dienst weltlicher Ehre und irdischer Eitelkeit, bis sie plötzlich berührt von der umwandelnden göttlichen Gnade, im Mannesalter getauft, fortan nichts begehren, als mit allem was sie sind und haben der Kirche Jesu Christi zu dienen, je nach dem Maß der ihnen verliehenen Kraft und Erkenntnis: bei keinem von ihnen aber tritt es so klar wie bei Cyprian hervor, dass die Wiedergeburt das Leben eines Christen auch immer zu einer Nachfolge seines Herrn macht, dass er ihm ähnlich werde im Tun wie im Leiden.

Thascius Caecilius Cyprianus war der Sohn eines vornehmen heidnischen Mannes, eines Senators zu Carthago, und schlug daselbst die herkömmliche Bahn zu einer angesehenen öffentlichen Stellung zu gelangen ein: er wurde Sachwalter und Lehrer der Redekunst in seiner Vaterstadt. Die Sage bringt seine Bekehrung mit der Liebe zu einer christlichen Jungfrau in Verbindung, deren Geist ihm zu mächtig geworden. Mag so irdische Liebe ihm die Führerin zur himmlischen gewesen, oder der Herr auf anderem Wege ihm begegnet sein und ihm sein: Folge mir nach! zugerufen haben, gewiss ist, dass er sich anfangs abwandte und zu folgen widerstrebte. Auch ihn dünkte es Torheit und etwas Unmögliches von neuem geboren zu werden, und so lange er noch in demselben Leibe walle ein neues Leben zu beginnen, auszureißen Neigungen und Gewohnheiten, die tief und fest in seinem Herzen gewurzelt und damit verwachsen wären. Aber es war des Herrn Wohlgefallen, an ihm seine Gnade zu verherrlichen: „Siehe, Ich mache alles neu“ und „Ich bin der Herr, dein Arzt“, das erfuhr Cyprian in den Jahren gereifter Männlichkeit, in denen nun sofort die volle Kraft eines gottgeweihten Willens für das Reich des Herrn tätig zu sein Beruf und Gelegenheit hatte. Im Jahre 243, wo er etwa fünfzig Jahr alt sein mochte, wurde Cyprian von dem Presbyter Caecilius zu Carthago getauft. Die Liebe zu Dem, von welchem er sich nun zuerst geliebt wusste und fühlte, machte es ihm leicht Opfer zu bringen, die er vorher für unmöglich gehalten hatte, und standhaft bis aufs Blut zu widerstehen: seine Güter gehörten fortan der Gemeine seiner christlichen Brüder und den Armen, und sein Leben weihte er auch durch das Gelübde der Keuschheit völlig dem Dienste des Herrn. In einem herrlichen Briefe an einen gewissen Donatus, der zugleich mit ihm getauft worden war, spricht er die Seligkeit dieses neuen Lebensgefühls, der Freiheit in Christo und des vollen Genügens in seiner Liebe mit ergreifenden Worten und mit einer tiefen Erkenntnis der evangelischen Heilslehre aus.

Die Christen zu Carthago erkannten bald den großen Wert dieses Zuwachses ihrer Gemeine; schon im Jahre 247 wählten sie Cyprian zum Presbyter, und bereits im darauf folgenden Jahre nötigte ihn das christliche Volk mit ungestümer Liebe und dringenden Bitten, denen er zuletzt nicht zu widerstehen vermochte, den erledigten Bischofsstuhl einzunehmen. Er kannte die Größe und Verantwortlichkeit des Bischofsamtes, und wie er es, gemäß dem Bedürfnis seiner Zeit, mit Entschiedenheit und Selbstständigkeit zehn Jahre hindurch bis an seinen Tod verwaltet hat, ist er ein Muster christlicher Weisheit und eines kräftigen Handelns geworden.

Die Kirche hatte damals im römischen Reiche Frieden und baute sich: seit den Zeiten des Kaisers Alexander Severus waren fast dreißig Jahre vergangen, ohne dass die Christen sonderlich beunruhigt worden wären; so war die Gemeine zu Carthago auf wohl 20.000 Christen aus allen Ständen angewachsen, und bei einer Kirchenversammlung, welche einige Jahre später Cyprian nach Carthago berufen hatte, waren 87 Bischöfe aus den benachbarten Ländern Numidien und Mauretanien zugegen. Aber zugleich mit diesem äußerlichen Wachstum hatte auch fleischliche Sicherheit in der Kirche zugenommen, und Weltsinn in mancherlei Formen hatte sich mit eingedrängt, von dem namentlich auch die Bischöfe selbst nicht frei waren. Wie eine Läuterungsflut brach darum plötzlich die Verfolgung unter dem Kaiser Decius im Jahre 250 über die Kirche herein, so gewaltig und ausgedehnt wie keine vorher oder nachher. Cyprian selbst sah darin ein göttliches Strafgericht über die Sorglosigkeit und den irdischen Sinn der Christen. – Auch unter afrikanischen Kirche vereinigte sich mit den Unterdrückungsmaßregeln der kaiserlichen Beamten die Wut des heidnischen Pöbels; und um die Auflösung der Christengemeine sicher zu erreichen, begann man wiederum damit, ihre heiligen Schriften zu vernichten und sie ihrer Bischöfe zu berauben. So forderte auch zu Carthago der Pöbel mit wildem Geschrei, Cyprian solle den Löwen vorgeworfen werden. Er aber, obwohl todesfreudig, hatte doch das Gefühl, seine Stunde sei noch nicht gekommen: er fand Gelegenheit aus der Stadt zu fliehen und sich in einen sichern Zufluchtsort zu bergen, der den Seinigen bekannt war. Es fehlte in seiner Abwesenheit und später nicht an Feinden, welche ihm aus dieser Entfernung eine Schmach zu bereiten suchten. Cyprian antwortete ihnen getrost: Es war des Herrn Wille, dass ich ging; ich tat es nicht um meiner Sicherheit willen, sondern weil ich wusste, die Heftigkeit des Sturms gegen die Christen werde sich legen, wenn eine Hauptursache entfernt sei; und leiblich abwesend war ich doch den Brüdern im Geiste nahe. Und dies konnte er zuversichtlich sagen; denn die Gemeine empfand während der vierzehn Monate seiner Abwesenheit bei aller äußeren Bedrängnis dennoch, dass sie einen Bischof habe, der sie auf dem Herzen trage und ihr nahe sei mit Gebet und Fürsorge. Seine Briefe aus dem Exil an die Presbyter, Diakonen und die um des Glaubens willen leidenden Gemeindeglieder zeigen seine innige Teilnahme an ihrer Not und sorgen mit Rat und Tat für Arme, Kranke, Verfolgte; sie warnen eben so vor dem unlauteren Märtyrertum, wie sie zur Ausdauer in der Trübsal die Herzen stärken und die wahre Treue im Bekenntnis preisen. „Der Herr verlangt nicht unser Blut, sondern unseren Glauben,“ schreibt er gegen das schwärmerische Hindrängen zu Tod und Marter.

Der heftigste unter seinen Gegnern war ein ehrgeiziger Diakonus, Felicissimus, der mit seinem Anhange den Cyprian als Bischof anzuerkennen sich weigerte und die Erwählung eines anderen betrieb. Doch blieb diese Feindschaft, trotz der Abwesenheit Cyprians, ohne tiefere Wirkung auf die Gemeine, und die protestierende Partei ging später an ihrer eigenen Unbesonnenheit zu Grunde.

Nachdem im Jahre 251 auf Decius der Kaiser Gallus gefolgt war, kehrte Cyprian nach Carthago zurück; er wusste, dass im Innern der Gemeine Kämpfe, zum Teil durch die eben erwähnten Widersacher genährt, seiner warteten, die ihr gefährlicher zu werden drohten als die Feindschaft der Welt. Er gehörte zu den großen Männern der ersten christlichen Zeiten, welche klar erkannten, dass auf den Trümmern des zusammensinkenden römischen Weltreiches die Kirche nur dann sich siegreich erheben könne, wenn sie von ihrem ewigen Grunde, dem geoffenbarten Worte Gottes, nicht weiche und dadurch fest und einig in sich selber sei. Der Tempel des Herrn konnte wie zu den Zeiten Nehemias nur gebaut werden, wenn die Bauleute zugleich rüstige und sich selbst verleugnende Streiter waren. Cyprian war zu Beidem geschickt und gerüstet, zum Aufbauen und zur Abwehr: es ist Märtyrerblut in den Bau der Kirche gekommen, und er pries Gott dafür; aber wo das Märtyrertum eitel wurde und mehr die eigene Ehre suchte, als dass die Mauern Zions fest und fester gebaut würden, da entbrannte sein Eifer für das Haus des Herrn. Die zaghaften und abtrünnigen Christen nämlich, deren Zahl groß war, und die während der Decianischen Verfolgung sich Sicherheitskarten von der Obrigkeit erkauft, oder dem Bilde des Kaisers geopfert hatten, suchten, sobald der Sturm vorübergezogen schien, die Rückkehr zu der Christengemeine, von der sie sich tatsächlich losgesagt hatten. In solchen Fällen konnte oft die Fürbitte Derer, welche auch unter Martern und in Kerkerhaft den Herrn treu bekannt hatten, nicht überhört werden. Cyprian schätzte die Verdienstlichkeit des standhaften Zeugenmutes so hoch, dass er der Bluttaufe eine von Sünden reinigende Kraft zuschrieb, dass er in seinen Briefen empfahl die Tage zu merken, an welchem einer der Brüder den Tod für den Glauben gelitten, damit man sie alljährlich feiern könne, und dass er endlich sogar die im Himmel um ihren Heiland versammelten Märtyrer als Fürsprecher für die Lebenden ansah und das Gebet zu ihnen für besonders erhörlich hielt. Aber als man anfing, das Verdienst derjenigen Gemeindeglieder, welche Martern überstanden hatten, so zu überschätzen, dass darauf ein Recht und die ungestüme Forderung gegründet wurde, jeder Abgefallene müsse, ohne Rücksicht auf das Urteil des Bischofs, der Wiederaufnahme sicher sein, der die Empfehlung eines solchen Märtyrers aufweise, da widerstand Cyprian mit Festigkeit, und ließ nicht ab von seinem bischöflichen Rechte und der Forderung, dass vor allem wahre Reue an den Tag gelegt und öffentliche Buße getan werde. Seine Strenge hierin und überhaupt in der Kirchenzucht ist ein Zug seines Charakters, und wird dadurch und durch die Zuchtlosigkeit der Zeit genügend erklärt, mochte aber auch wohl im Zusammenhange stehen mit seiner Verehrung für Tertullian und dessen strenge montanistische Grundsätze. Doch teilte er nicht die Ansicht Derer unter seinen christlichen Zeitgenossen, welche keinen Abgefallenen für wieder aufnehmbar hielten, sondern er sagt ausdrücklich, man dürfe diese Unglücklichen nicht durch gänzliche Verweigerung zur Verzweiflung bringen.

Dieselbe Sorge um Reinerhaltung der Kirchengemeinschaft erkennt man in der Entschiedenheit, mit welcher Cyprian gegen den Bischof von Rom, Stephanus, die Gültigkeit der Ketzertaufe bestritt. Hat die Kirche einen festen Bestand in ihrer Einheit, so kann sie die außerhalb derselben vorgenommenen Taufen nicht anerkennen: konnte sich wider diese Behauptung Cyprians kein Gegner für sein nachsichtigeres Verfahren auf das Herkommen berufen, so verwahrt sich Cyprian gegen die Verbindlichkeit der römischen Überlieferung für die Christengemeinen in anderen Ländern, und bestreitet überhaupt eine solche Schützung der Tradition: „ein Herkommen ohne Wahrheit, sagt er, ist nur ein veralteter Irrtum;“ er will den Wert der Tradition lediglich an der göttlichen Wahrheit gemessen wissen. Das römische Verfahren war weltlich klug, für Cyprian sprachen sich die wichtigsten Stimmen auf den Konzilien seiner Zeit aus; die späteren entschieden sich für die römische Sitte, wie sie noch heute in der Kirche die überwiegende ist.

Hierauf, dass Einheit und Reinheit der Kirche gewahrt werde, lassen sich alle Bestrebungen Cyprians als auf ihren Mittelpunkt zurückführen, das ist der Grundgedanke seines Lebens, darin seine Größe und seine Kraft. Die Notwendigkeit einer festen Einheit der Kirche musste damals so wie in unseren Zeiten stärker gefühlt werden als die Möglichkeit: um so höher ist es anzuklagen, wo wir dies Ziel mit Sicherheit erkannt, und mit unzweifelhaftem Talent des Organisierens und Verwaltens beharrlich verfolgt sehen. Nicht nur darauf kam es in jener Zeit an, dass der christliche Glaube des Einzelnen sich bewähre in einer Welt voll Gräuel der Lüste und der Gewalttat, sondern dass eine Gemeinschaft der Heiligen zu Stand und Wesen komme, dass die Kirche, die Eine allgemeine, wahrhaft katholische, für Alle die ihr angehörten, eine feste Burg sei wider die Feindschaft eben so sehr und mehr noch der Ketzerei als des Heidentums und des Judentums. Der Glaube an die Einheit der Kirche war bestimmt, Bekenntnis aller Christen zu werden, was sich vorbereitete durch die Kämpfe, in denen Cyprian Heldenmütig voranging. Ist es die Kirche, in welcher Christus auf Erden immer völliger Gestalt gewinnen soll, so können die berühmten Säge in Cyprians Schrift von der Einheit der Kirche, die, aus dem Zusammenhange gerissen, so oft Anstoß gefunden haben, nur als notwendige Folgerungen erscheinen, z. B. „Außer der Kirche kein Heil.“ „Es kann Niemand Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat.“ „Die Einheit der Kirche ist wie die Einheit der Sonne: viele Strahlen, aber Ein Licht; und wie ein Baum mit vielen Zweigen: aber der Eine Stamm ist mit seinen Wurzeln fest in der Erde gegründet; und wenn aus Einer Quelle viele Bache fließen, so mag der Reichtum der Wassermenge sich noch so weit und gesondert ausbreiten, in ihrem Ursprunge sind sie dennoch alle Eins. Trenne den Strahl von der Sonne: die Einheit des Lichts duldet keine Teilung; brich den Zweig vom Baume: er wird verdorren; schneide den Bach von der Quelle ab: er wird versiegen. Dieselbe Einheit und denselben Zusammenhang hat die Kirche des Herrn über die ganze Erde; sie ist Eine fruchtbare Mutter, die uns alle geboren hat, von ihrer Milch nähren wir uns, ihr Lebenshauch beseelt uns.“

Der Missbrauch, welcher von diesen Sätzen durch ihre Deutung auf die vergängliche Form einer sichtbaren Kirche gemacht werden konnte, ist nicht ausgeblieben. Aber dass Cyprian ursprünglich keineswegs diejenige äußere römisch-katholische Einheit der Kirche gemeint habe, welche aller Freiheit beraubt, lässt sich, so gern auch die römische Kirche sich für ihre Verfassung auf seine Autorität beruft, aus seinen Schriften leicht dartun. Cyprian glaubte an die Einheit der Kirche, ohne einen sichtbaren Mittelpunkt für sie in Rom für notwendig zu halten. Eine starke bischöfliche Gewalt, als Ersatz für die einst die Kirche regierende apostolische Autorität, hielt er allerdings zur Abwehr der Willkür in Lehre, Zucht und Cultus, und überhaupt zur Befestigung der kirchlichen Ordnung, für unerlässlich; hatten doch mehrere Presbyter nicht einmal eine von ihm angeordnete Kirchenvisitation wollen geschehen lassen. Cyprians Ansicht von den Vorrechten der priesterlichen Würde ist oft nur auf das Alte Testament gegründet, und den Ansprüchen eines allgemeinen Priestertums aller Gläubigen hat er wenig Recht eingeräumt. Er ist zwar so weit entfernt, die Gemeine ganz von der Teilnahme an der Kirchengewalt auszuschließen, dass er namentlich bei Wahl und Ordination von Bischöfen und Priestern und bei Wiederaufnahme von Abgefallenen, ihr Urteil, Zeugnis und Zustimmung wiederholt als unentbehrlich bezeichnet: gleichwohl ist er es, der die vorher überwiegend aristokratische Verfassung der Kirche in ihrer mehr gleichgeordneten Verwaltung durch Bischöfe, Presbyter und Diakonen, mehr und mehr in eine monarchische verwandelt hat, wobei er mit altrömischer Entschiedenheit, und darum freilich auch nicht ohne menschliche Leidenschaft und Gewaltsamkeit zu Werke ging. – Konnte Cyprian nicht anders als anerkennen, dass der Herr dem Petrus, um seiner Persönlichkeit willen, vor den übrigen Aposteln Auftrag gegeben habe, so war es möglich, gerade ihn in späterer Zeit zu einem Begründer der päpstlichen Hierarchie und der römischen Lehre vom Primat Petri zu machen. Aber wie wenig dies im Sinne des Cyprian sei, lehrt schon der vorher berührte und mit großer Heftigkeit geführte Streit mit dem römischen Bischof Stephanus und zahlreiche Stellen in seinen Schriften, wo er die Einheit sämtlicher gleichgeordneter Bischöfe als das eigentliche Regiment der Kirche, und sie alle nur dem Einen Herrn und Heilande für den jedem übertragenen Anteil an der Einen Herde verantwortlich erklärt. In den Worten Christi an Petrus sieht er nur die Einheit des Ursprungs der Kirche, ohne daraus Vorrechte für Petrus selbst oder für seine Nachfolger abzuleiten.

Dass dem Cyprian vor Vielen in seiner Zeit der Beruf zu Teil geworden war, die Kirche zu bauen und zu festigen, bezeugt außer seinem Tun und dem Charakter seines ganzen Lebens auch die Richtung und der Inhalt seiner zahlreichen Schriften, welche sämtlich recht eigentlich Gelegenheitsschriften sind, d. h. durch die Kämpfe und Bedürfnisse der Zeit hervorgerufen. Er warnt, ermahnt, tröstet und stiftet Frieden; er legt das Wort Gottes aus und lehrt es gebrauchen, wobei er sich als einen überaus gründlichen Schriftforscher erweist; er streitet gegen die unsinnigen Beschuldigungen und falschen Auffassungen der Heiden, und hält ihnen die Torheit vor, mit äußerer Gewalt den Geist dämpfen zu wollen, womit er zugleich bei den Seinigen die Furcht vor Denen bekämpft, die wohl den Leib töten, aber die Seele nicht zu töten vermögen. – Dass er aber nicht bloß zu lehren, zu streiten und zu regieren wusste, sondern auch ein rechter Bischof für die ihm anvertrauten und auf sein Vorbild hingewiesenen Seelen war, hat er durch seinen Wandel, durch Taten christlicher Bruderliebe und durch Freudigkeit im Leiden herrlich bezeugt.

Einst als er von der Gefangenschaft numidischer Christen hörte, in die sie bei angrenzenden Barbaren geraten waren, brachte er, wie bei anderen Gelegenheiten, in kurzer Zeit große Summen zu ihrer Loskaufung zusammen: es war ein herzliches Mitleiden, wenn auch noch so entfernte Glieder litten. – Der Kaiser Gallus hatte anfangs den Christen kein Leid getan; als aber Pest und Hungersnot hereinbrach, glaubte auch er, den alten Göttern würden durch den Abfall der Christen zu viele Opfer und Gebete entzogen, und so erfuhren diese aufs neue Zwang und Verfolgung. Da galt es an erbitterten Feinden Gutes zu tun. Die Pest raffte nämlich auch in Carthago Viele hin; Schrecken und Entsetzen kam über Alle, sehr Viele flohen und überließen die von der Krankheit Ergriffenen ihrem Schicksal: die Leichen blieben häufig unbeerdigt auf den Straßen liegen. Da versammelte Cyprian die Christengemeine und forderte sie auf, um Christi willen ein Werk der Barmherzigkeit und Nächstenliebe auch an den Heiden zu tun und Böses mit Gutem zu vergelten. Denn, sprach er, tun wir nur an den Unsrigen Gutes, so sind wir nicht mehr als Zöllner und Heiden, und nicht wie die Kinder unsers himmlischen Vaters, der seine Sonne aufgeben lässt über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Und auf das Wort ihres Bischofs machten sich die Christen unverzagt ans Werk und halfen wo sie konnten, die Einen durch Darbietung ihres Vermögens, die Anderen durch persönliche Dienstleistung. So wurde vieler Not gewehrt und die Stadt gegen weitere Verpestung gesichert.

War Gallus den Christen feindselig gewesen, so schien der hergebrachte Wechsel der Politik unter den aufeinanderfolgenden Regenten, den Christen unter seinem Nachfolger Ruhe zu versprechen. Auch tat der Kaiser Valerianus, der im Jahre 253 den Thron bestieg, wirklich den Verfolgungen Einhalt. Doch schon im fünften Jahre seiner Regierung hatte diese Frist der Wiederherstellung und Sammlung für die Christen ein Ende. Einer seiner Günstlinge, Macrianus, flößte dem altersschwachen Kaiser über die auch durch den Zutritt vieler Vornehmen von Tag zu Tage wachsende Ausdehnung der Christengemeinden Besorgnis ein, und vermochte ihn, Verbote der gottesdienstlichen Versammlungen der Christen und Strafedikte zu erlassen, von denen wiederum die Bischöfe und die höheren christlichen Staatsbeamten zuerst betroffen wurden. Als Kerker, Vermögensberaubung und Verbannung den erwarteten Erfolg nicht hatten, schritt man auch zu Hinrichtungen.

Sobald die kaiserlichen Befehle nach Carthago gekommen waren, ließ der Prokonsul den Cyprian vor sich fordern, und als er ihn unerschütterlich im Bekenntnis seines Glaubens fand, auch nicht bewegen konnte die Presbyter der Carthagischen Kirche anzugeben, schickte er ihn in die Verbannung nach Surubis, einem etwa eine Tagereise von der Stadt entfernten Orte am Meere. Obwohl Cyprian auch von dort aus, wo er unangefochten schien, für die Gemeine sorgen konnte, und sich viele Christen um ihn sammelten, wie auch häufig in anderen Fällen die Verbannungen gerade dazu dienten, den Samen des Evangeliums weiter zu tragen, so ward er doch seines nahen Endes von Tag zu Tage gewisser, ja durch ein Gesicht desselben ausdrücklich versichert. Was er früher den um des Glaubens willen Leidenden und Kämpfenden zu Trost und Stärkung aus dem Worte Gottes vorgehalten hatte, damit erfüllte er nun seine eigene Seele, mit der demütigen Ergebung in den Willen des Herrn, mit der Freudigkeit für ihn zu zeugen, ihm das Kreuz nachzutragen, und mit der sichern, seligen Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit, deren die Leiden dieser Zeit nicht wert sind.

In demselben Sinne schrieb er heldenmütige Briefe an die Brüder, welche zu den Bergwerken verdammt waren oder in den Gefängnissen schmachteten. Sich durch die Flucht vor weiterer Verfolgung zu retten, was ihm möglich gewesen wäre, dazu konnten ihn die Freunde nicht überreden; er glaubte wohl durch Ausharren des Herrn Willen zu tun.

Der Prokonsul Paternus starb plötzlich, und Cyprian begab sich nach Carthago zurück. Aber der neue Statthalter Galerius nahm die Untersuchungen gegen die Christen sogleich wieder auf, und so erschien auch für Cyprian bald der Tag seines letzten Verhörs. Die ganze Stadt war in Bewegung: die Dankbarkeit für des Gottesmannes Hilfe in der Not erwachte auch bei vielen Heiden. Der Prokonsul musste des Kaisers Befehl erfüllen; sein Ausspruch lautete: Cyprian sei zum abschreckenden Beispiel für Alle, die er durch sein Wort und seinen Vorgang zu Feinden der römischen Götter gemacht, durchs Schwert hinzurichten, auf dass durch sein Blut die Ordnung wieder hergestellt werde. Als der Bischof das Urteil gehört hatte, sprach er: Gott sei gelobt! Es war am 14. September 258, als er seinen letzten Gang antrat, zur Richtstätte, dicht bei Carthago. Große Scharen der Gläubigen begleiteten ihn und viele begehrten mit ihm zu sterben. Er ordnete selbst mit Ruhe das Letzte an, zog seine priesterlichen Kleider aus und gab sie den neben ihm stehenden Diakonen, fiel nieder auf seine Knie und betete unter vielen Tränen. Dann erhob er sich wieder, verband sich selbst die Augen, und bot seinen Hals dem Todesstreiche dar.

Auch dieser Tod war ein Same des Lebens: die Gemeine zu Carthago, der es gewiss war, ihr treuer Hirt und Versorger sei eingegangen zu seines Herrn Freude und habe die Krone des Lebens empfangen, stärkte sich an dem Vorbild seines Zeugenmutes und nahm zu an innerer Kraft und an Ausdehnung. An der Stelle, wo die Hinrichtung geschehen war, baute sie ein Gotteshaus, worin später Augustinus, desselben Geistes voll, oft gepredigt und sein Gedächtnis erneuert hat. Die dankbare Kirche aber hat den Cyprian für das, was er für das Reich des Herrn getan und gelitten, unter ihre Heiligen gerechnet.

L. Wiese in Berlin.

Anna Katharina zu Waldeck

Gräfin Anna Katharina, Tochter des Grafen Ludwig zu Sayn-Witgenstein, vermählte sich vierundzwanzigjährig 1634 in Frankfurt mit dem Grafen Philipp VII zu Waldeck (Neuere Wildunger Linie). Da sie einem reformierten Hause angehörte, wurde vorher vereinbart, dass die Söhne der lutherischen Konfession des Vaters, die Töchter dem Bekenntnis der Mutter folgen sollten. Graf Philipp trat 1638 die Regierung an. In den Greueln des dreißigjährigen Krieges hatte das Land schon vorher Schweres erduldet; neue Leiden folgten, besonders drückten schwedische Heerhaufen das Land. Es hing wohl damit zusammen, dass Graf Philipp 1645 als Oberst in kaiserliche Dienste trat. Doch schon am 24. Februar 1645 geriet er bei Jankow in Böhmen in einer siegreichen Schlacht des berühmten schwedischen Generals Torstenson, der einst auch in Waldeck gelagert hatte, nach tapferer Wehr in schwedische Gefangenschaft und wurde am Abend desselben Tages – der Vorfall ist unaufgeklärt – meuchlings von einem Unbekannten erschossen, erst 32 Jahre alt. Der Leichnam wurde in die Heimat gebracht und am 20. Mai in Netze beigesetzt((Daniel Prasser, Chronicon Waldeccense (Hahn, Collectio monumentorum I S. 863 ff.). Prasser stand in des Grafen Diensten.)). Mit der Gattin beklagten zwei Söhne und zwei Töchter den Toten.

Anna Katharina übernahm die vormundschaftliche Regierung, da der älteste Sohn, Christian Ludwig noch nicht das zehnte, der jüngere Josias noch nicht das neunte Jahr erreicht hatte. Sie war auf eine sorgfältige Erziehung der Söhne wohl bedacht. Im Jahre 1650 begaben sich diese nach den Niederlanden, um ihre Studien abzuschließen, 1653 nach Frankreich und Italien, um sich in weltmännischer Bildung zu vervollkommnen. Nach ihrer Rückkehr entschieden sie sich, der ältere in schwedische, der jüngere in kurbrandenburgische Kriegsdienste zu treten.

Die großen sittlichen Gefahren und mancherlei Versuchungen des damaligen Kriegslebens erfüllten die Mutter mit Sorge, aber zugleich auch mit der stark empfundenen Verpflichtung, selbst das Mögliche zu tun, die Söhne dagegen zu wappnen. Daraus ist diese „Christliche Unterweisung“ erwachsen, aus welcher uns das Bild einer treuen Mutter, einer festgegründeten Christin und einer hochgebildeten fürstlichen Frau glänzend entgegentritt.

Sie erlebte die glückliche Heimkehr der Söhne und sah sie in hohen militärischen Stellungen. Doch überlebte sie den jüngern, Josias, der auf der Insel Kreta an einer im Kampfe gegen die Türken erhaltenen Wunde 1669 starb. Sein mächtiges Grabdenkmal in der Kirche zu Nieder-Wildungen ist bekannt.

Anna Katharina selbst schied im Dezember 1690 in hohem Alter aus dem Leben. Graf Christian Ludwig starb am 12. Dezember 1706. Seine Regierung ist dadurch wichtig, dass zwischen seinem Vetter, dem Fürsten Georg Friedrich (Eisenberger Linie) und ihm 1685 ein Erstgeburtsvertrag geschlossen wurde, der weitere Erbtheilungen des Landes hindern sollte. Sein Sohn ist Anton Ulrich, der 1711 die Reichsfürstenwürde erhielt.

Johannes Oekolampad

Johannes Oekolampad

Eine kurze Erzählung des Lebens und Todes Johannes Ökolampads.

Indem ich wieder der reformirten Kirche eine Auswahl von Schriftwerken eines ihrer Reformatoren biete, will ich in kurzen Zügen erzählen, wer der Gottesmann gewesen, dessen Schriftwerk der christliche Leser hier vor sich hat.

Johannes Ökolampadius oder Hausschein ward 1482 zu Weinsberg in Württemberg geboren. Seine Eltern waren wohlhabend, wahrscheinlich kaufmännischen Berufes. Unter mehreren Kindern, die ein frühzeitiger Tod hinrief, blieb unser Johannes allein am Leben. Nach dem Willen des Vaters sollte er den kaufmännischen Beruf ergreifen, aber die fromme und einsichtsvolle Mutter (eine geborne Pister aus Basel), erlangte durch ihre Bitten, dass er sich den Wissenschaften widmen konnte. Zu diesem Ende bezog er zuerst die Schule von Heilbronn, dann diejenige von Heidelberg. Frühzeitig entfaltete der Knabe außerordentliche Anlagen, so dass er unter seinen Altersgenossen als ein Wunder galt; schon im zwölften Jahre schrieb er ziemlich gute Verse und im vierzehnten Jahre wurde er mit der gelehrten Würde eines Baccalaureus bekleidet. Wie durch Gelehrsamkeit zeichnete er sich auch durch Frömmigkeit und Reinheit der Sitten aus, indem der Herr ihn frühzeitig zu dem Werke zu bilden anfing, zu dessen Ausführung er ein auserwähltes Werkzeug werden sollte. Nachdem er noch die gelehrte Würde eines Magisters erlangt, begab er sich, dem Willen des Vaters folgend, nach der damals so berühmten Hochschule von Bologna, um sich der Rechtsgelehrsamkeit zu widmen. Aber sein Aufenthalt daselbst war nicht von langer Dauer; denn teils sagte das italienische Klima seiner Gesundheit nicht zu, teils ward ihm das Geld, welches ihm der Vater durch einen Kaufmann hatte zuschicken wollen, nicht richtig geliefert worden.

So kehrte er nach Deutschland zurück und bezog wieder die Hochschule Heidelberg, wo er das Studium der Rechtswissenschaft mit demjenigen der Theologie vertauschte. Sein frommer Sinn konnte sich nicht mit den geistlosen Spitzfindigkeiten der großen Menge unter den damaligen Schul- und Schriftgelehrten befreunden, sondern suchte Nahrung in den Schriftwerken jener tiefsinnigen Männer, welche die Geheimnisse des Lebens in Gott und Christo schildern. So wenig er zu glänzen suchte, so sehr ward ihm stille Anerkennung zu Teil. Der Ruf seiner Bildung, Frömmigkeit und seiner reinen Sitten bewog den Kurfürsten von der Pfalz, ihm die Erziehung seiner Söhne anzuvertrauen. Diese Stelle, welche ihm die glänzendsten Aussichten für die Zukunft eröffneten, gab er bald wieder auf, um die heiligen Studien fortzusetzen. Immer mehr fühlte er sich zum Dienste der Kirche hingezogen. Schon hatte er damals die Weihen erhalten und in seiner Vaterstadt mit großem Beifalle gepredigt; da bewog er seine Eltern, daselbst eine Predigerstelle zu stiften, die er selbst bekleiden wollte. Nicht lange darauf erhielt er aber wieder die Erlaubnis nach Heidelberg zu gehen, um sich in der Theologie noch weiter auszubilden. Hier machte er nun Bekanntschaft mit Capito, dem damaligen Prediger in Bruchsal, der ihm auch bis zum Tode treue Freundschaft bewahrte. Nach der Rückkehr in seine Vaterstadt predigte er daselbst mit großem Beifalle, obschon seine Lehre noch nicht ganz vom päpstlichen Sauerteige gereinigt war. Sein Freund Capito, der inzwischen nach Basel gekommen, empfahl ihn dem Bischofe von Basel, und dieser berief ihn im Jahre 1515 nach dieser Stadt zum Prediger am Münster. Er sollte nach der Absicht des Bischofes den Kreis der gebildeten und aufgeklärten Männer, die damals in Basel weilten, vergrößern und zur Anbahnung einer gemäßigten Reformation im Sinne des gelehrten Erasmus das Seinige beitragen. Diesem letzteren Gelehrten war er bei der Herausgabe seiner Anmerkungen zum neuen Testamente behilflich und Erasmus bekennt, dass er namentlich in der Kenntnis der hebräischen Sprache ihn übertreffe.

Ökolampad blieb nicht lange in Basel, sondern nachdem er auf den Rat seiner Freunde sich hier die Doktorwürde in der Theologie erworben hatte, folgte er 1518 dem Rufe als Prediger an der Hauptkirche zu Augsburg. Die Verdorbenheit der Geistlichkeit, die hier seiner Wirksamkeit entgegenstand, bewirkte, dass er auch diese Stelle bald aufgab, und sich in das benachbarte Kloster Altenmünster, dessen Mönche sich durch Frömmigkeit und Gelehrsamkeit auszeichneten, aufnehmen ließ. Bei seinem Eintritte hatte er sich die Freiheit ausbedungen „nach dem Worte Gottes zu leben“, indem er hinzufügte: „Gesetzt auch, dass ich mich mit sechshundert Eiden verpflichtet, werde ich sie doch nicht halten, wenn ich einmal dem Dienste am Worte Gottes nützlich werden kann.“ Die Mönche verwarfen diese Bedingungen nicht. Seine Freunde bedauerten und zürnten, dass er, abergläubischer Frömmigkeit huldigend, der Welt seine Dienste entzogen habe. Ökolampad sagt über die erste Zeit seines Klosterlebens: „In den ersten Monaten gefiel mir die Lebensweise und mein Geist ward nicht beunruhigt, so sehr auch die Freunde über mich spotteten. Denn ich fing an, selbst dazu zu lachen und die eitlen Gedanken der Menschen über mich zu verachten, weil ich mir vorgenommen hatte, mir selbst zu leben und nicht ferner nach den Meinungen der Menschen mich zu richten.“ Bald aber trübte sich der Himmel seiner Hoffnungen, hier eine Freistätte des inneren Lebensglückes gesunden zu haben. Nach den ersten sechs Monaten seines Klosterlebens befiel ihn wahrscheinlich in Folge der ungewohnten Lebensweise und der übermäßigen Anstrengung im Studieren eine schwere Krankheit. Sodann hatte er auf Verlangen und zu Händen seiner Freunde in einer Schrift seine Urteile über Luthers Thesen abgegeben, die günstig für dieselben lauteten. Diese Schrift wurde von Capito veröffentlicht und erregte großen Hass von Seite der altgesinnten Partei gegen ihn. Ferner ließ er um diese Zeit auf den Rat seiner Freunde das Büchlein von der Beichte und einige andere Schriften, die aufgeklärte Grundsätze über kirchliche Gegenstände aussprachen, drucken. Die Bekanntmachung dieser Schriften zog dem Ökolampad schwere Leiden zu. Jene Büchlein, schreibt er, brachten Viele gegen mich auf, die mir mit lebenslänglichem Gefängnisse und fürchterlichem. Tode drohten. Aber Gott sei Dank, es wuchs der Mut desto höher, je mehr mir gedroht wurde. Denn mich tröstete ein gutes Gewissen. Es war mir wohl bekannt, welche Nachstellungen mir während des Reichstages zu Worms meine Feinde (worunter vorzüglich der Beichtvater Carls V. der Franziskaner Glapio) mir bereitet hatten; was ein gewisser Fürst (wohl der Herzog von Bayern) öffentlich mir gedroht. Einige Monate lang erwartete man im Kloster die Ankunft der Abgeordneten jenes Fürsten, welche den Befehl geben, ihn ins Gefängnis zu setzen oder selbst ihn zur Hinrichtung fortzuführen.

„Die Mehrzahl der Ordensgenossen drang in mich, dass ich die Flucht ergreifen möchte, ich aber bat sie mehr Vertrauen zu haben. Den Mönchen gezieme es, auch mit Gefahr des Lebens die Wahrheit zu bekennen, so dass sie selbst die Mönche darob wunderten, und um meinetwillen für sich selbst zu fürchten anfingen, und ich ihnen bereits beschwerlicher wurde als sie mir.“ Von Tag zu Tag ward ihm immer deutlicher, dass die Mönchsfrömmigkeit gewissenhafter sei in der Beobachtung der Menschensatzungen als der Gebote Gottes. So drängte sich ihm schon damals der Widerspruch zwischen dem Mönchsleben und seiner schon jetzt erworbener Kenntnis der Wahrheit immer mehr auf und ließ ihm keine Ruhe. Daher folgte er dem Rate seiner Freunde und trat mit Vorwissen seiner Ordensgenossen aus dem Kloster. „Ich habe den Mönch aufgegeben und den Christen gesunden,“ schrieb er nach diesem Schritte einem seiner Freunde. Er wählte seine Zufluchtsstätte auf der Ebernburg beim heldenmütigen Franz von Sickingen und versah daselbst die Predigerstelle. Unter seinem Schutz gab er mehrere Schriften heraus. Bald wandte er wieder seine Blicke nach Basel, wohin ihn sein Freund Kratander eingeladen hatte. Hier hatte der Kampf begonnen zwischen den Anhängern der von Luther und Zwingli in Wort und Schrift verkündigten evangelischen und denjenigen der päpstlichen Lehre. Von Ersteren wurde Ökolampad freudig begrüßt, vom Bischofe und seiner Partei mit Misstrauen angeschaut. „Bete für mich zu Gott, schrieb er an Capito, dass mir vergönnt werde auch nur kurze Zeit hier zu bleiben. Doch sein Wille geschehe, nicht der meine.“ Er wohnte bei seinem Freunde, dem Buchhändler Kratander und arbeitete für seine Druckerei kleinere Schriften aus. Gegen Ende des Jahres 1522 ward er Vikar des Krankenpfarres zu St. Martin und zwar versah er diese Stelle zwei Jahre hindurch ohne Besoldung. Der Geist der neuen Lehre war inzwischen in Basel im gewaltigen Kampfe mit den alten Vorurteilen. Die Hochschule und ihre Lehrer, die so wohltätig früher den Anbruch des neuen Lichtes befördert, wollte nun eine Burgfeste der Vorurteile werden, an welchen die Strömungen des neuen Geistes sich brechen sollten. Ökolampad war vermöge seiner innigen Frömmigkeit, seiner tiefen und vielseitigen wissenschaftlichen Bildung und seiner gemäßigten Gesinnungen vor Andern geeignet in Basel die Reformation in allmähliger Entwicklung zum Siege zu führen. Zu der Zeit war Zwingli zu Zürich auf der Bahn der Reformation in klarer Einsicht dessen, was dem Vaterlande und der Kirche Not tue und mit kühnem, festem Willen schon weit fortgeschritten. Zu dieser Heldenseele fühlte sich nun Ökolampad mächtig hingezogen: „Ich mag wollen oder nicht, schreibt er an Zwingli, es zieht mich hin, dass ich mich dir empfehlen muss, um durch deinen Feuereifer umso reichlicher erquickt zu werden. Wer würde den nicht lieben, der Christi Werk mit so viel Eifer betreibt? der den Wölfen so furchtbar ist und sich zur Mauer hinstellt für das Haus Israel, der uns durch Werk und Wandel jene ersten Begründer der christlichen Religion vergegenwärtigt. Ich freue mich unserer Nachbarschaft, auf dass, wenn ich dich auch nicht persönlich sprechen kann, mir doch vergönnt sein möge, meine Neigung zu dir zu bezeugen. Obschon ich zu denjenigen gehöre, die beim Gepäcke sitzen, werde ich oft den Trieb fühlen dir Glück zu wünschen und dich durch meine Briefe zum Fortfahren zu ermuntern. Jauchzen doch auf dem Kampfplatz nicht bloß die hohen, sondern auch die gemeinen Leute den Kämpfenden zu. So fahre denn fort und siege, nicht bloß für dich, sage ich; denn das würdest du vielleicht nicht gerne hören, da du wohl weißt, dass wir nicht suchen sollen, was unser, sondern was des Nächsten ist. So siege denn für uns, siege für Christum; sorge mein Zwingli, dass dieses Brieschen den Grund lege zu einer christlichen, vertraulichen Verbindung.“ Sein Wunsch ward erfüllt; eine Freundschaft der großen Zeit und der edlen Männer würdig verband von nun an bis zum Tode diese beiden treuen Streiter für die Sache des Herrn.

Je mehr die Reformation in Basel fortschritt, erweiterte sich auch der Wirkungskreis Ökolampads. Im Jahre 1523 ward er vom Rate, zwar wider den Willen der Hochschule, zum Professoren der Theologie ernannt und 1525 ward er Helfer zu St. Martin. Täglich predigte er nun, um das Wort Gottes der Gemeinde nahe zu bringen, und zwar schlossen sich seine Predigten an seine Vorlesungen an, indem er den in gelehrter Weise bei seiner Vorlesung behandelten Abschnitt in volksfasslicher Weise der christlichen Gemeinde erklärte und einschärfte. Die folgenden „Bibelstunden“ sind die bedeutendsten Denkmale dieser letzteren Wirksamkeit. So pflegte er den neuerwachten evangelischen Geist an der Hochschule und in seiner Gemeinde, bis er den vollständigen Sieg über die Menschensatzungen und Vorurteile errang.

Die reformatorische Wirksamkeit des Ökolampads beschränkte sich aber nicht allein auf die Kirche von Basel, sondern er erwarb sich wesentliche Verdienste für die ganze reformirte Kirche. Bei der Disputation in Baden stand er an der Spitze der reformirten Gelehrten dem Dr. Eck und dem Generalvikar Faber gegenüber und nötigte der Gegenpartei den Wunsch ab: „Wäre doch dieser gelbe Mann auf unserer Seite und auf unserem Glauben.“ Auch dem Religionsgespräche in Bern wohnte er mit Zwingli, Bucer und Anderen im Anfange des Jahres 1528 bei und half an seinem Teil den Sieg über die alte Partei daselbst erkämpfen. Auf dem Religionsgespräche von Marburg vertrat er mit Zwingli die schweizerische reformirte Kirche, und mit Bucer und Blaurer ordnete er die kirchlichen Angelegenheiten in Ulm.

Nachdem die Reformation in Basel mit dem 9. Hornung 1529 völlig obgesiegt, ging sein Streben auf die innere Ordnung seiner Kirche. Unter den eigentümlichen Einrichtungen der baslerischen Kirche, die von Ökolampad ausgingen, gehörte der Bann. Das große Prüfungs- und Leidensjahr der schweizerischen reformirten Kirche 1531 setzte auch diesen treuen Kämpfer für evangelische Freiheit ein Ziel für seine Wirksamkeit hienieden. Zwingli, ohne dessen Rat er seit Beginn seiner Freundschaft mit ihm keinen wichtigen Schritt getan und dem er sich wie die edle Rebe der kräftigen Ulme, ohne seine Eigentümlichkeit aufzugeben, angeschlossen, hatte seine Heldenseele auf dem Schlachtfelde von Kappel den 11. Oktober 1531 ausgehaucht und die Trauer über seinen Fall war der Keim des Todes für Ökolampad. Der Herr rief noch in diesem Jahre diesen getreuen Arbeiter in seinem Weinberge heim zu jener großen Gemeinschaft aller derer, welche hienieden die Wahrheit und das Kreuz mehr geliebt als den eitlen Dunst und die Wohlfahrt dieser Welt.

Ein Geschwür am sogenannten heiligen Beine((Das Os sacrum oder Kreuzbein ist ein keilförmiger Knochen, der aus 5 zusammengewachsenen Wirbelknochen, den Kreuzbeinwirbeln (Sakralwirbeln), besteht. Es ist ein Teil der menschlichen Wirbelsäule und bildet den hinteren Teil des knöchernen Beckens.)), welches eine Entzündung über den ganzen durch Arbeit und Leiden erschöpften Körper verbreitete, war die äußere Ursache seines Todes. Am 21. November 1531 sprach er zu seiner Familie, um sie auf seinen nahen Hinschied vorzubereiten: „Grämt euch nicht, meine Lieben. Ich scheide nicht auf ewig von euch. Ich gehe jetzt aus diesem Jammertale hinüber in das ewige Leben. Freuen soll es euch, mich bald an dem Orte der ewigen Wonne zu wissen.“ Hierauf feierte er mit seiner Frau und seinen Anverwandten und den Dienern des Hauses das heilige Abendmahl. „Dieses Abendmahl, sprach er, das ich jetzt mit euch genieße, ist ein Zeichen meines wahren Glaubens an Christum Jesum, meinen Herrn, Heiland und Erlöser. Ein treues Zeichen der Liebe, das er uns hinterlassen hat, soll auch mein letztes Lebewohl für euch sein.“ Den 22. November berief er die sämtlichen Geistlichen zu sich und redete zu ihnen in folgender Weise: „Ihr seht, Brüder, wie es um mich steht; der Herr ist da, er ist gekommen; schon führt er mich von hinnen hinweg. Da die Sachen also stehen, habe ich euch zuerst rufen wollen, um meine Seele mit meinen geliebten Freunden durch aufrichtige Freude im Herrn zu erquicken. Was soll ich euch denn in der letzten Zusammenkunft sagen, ihr Diener Christi, welche die gemeinschaftliche Liebe zum Herrn, dasselbe Streben, dieselbe Lehre aufs Innigste untereinander verbunden hat? Erworben ist uns durch Christum das Heil, erworben die volle Hoffnung auf den Eintritt in das Reich Gottes, die gewisse Lehre, die Leuchte unseren Füßen. Ferne sei daher von uns alle Traurigkeit, alle Furcht des Lebens und des Todes, aller Zweifel und Irrtum. Das allein, Brüder, liegt uns ob, dass wir in den Fußstapfen Christi, welche wir schon längst betreten, beständig und treu verharren, die Reinheit der Lehre unbefleckt erhalten, und unser Leben in Allem dem Worte Gottes gemäß gestalten. So wird Christus der Herr, welcher mächtig genug ist und über das Seinige wacht, für das Übrige wohl sorgen und seine Kirche beschützen. Wohlan denn, o Brüder, lasst euer Licht also leuchten, dass Gott der Vater in euch verklärt, und der herrliche Name Christi durch das Licht eures Lebens und durch aufrichtigen Glauben gepriesen werde. Umfasst euch in wahrhafter Liebe und bringt euer ganzes Leben zu als in der Gegenwart Gottes. Vergebens sucht man durch bloße Worte Frömmigkeit einzuflößen; es ist Wahrheit und Licht des Lebens und eine wahrhaft himmlische Gesinnung dazu nötig, wenn wir den Satan besiegen und besonders zu unserer Zeit die Welt zu dem Herrn Christo bekehren wollen. Denn, o Brüder, welches trübe Gewölke steigt auf, welcher Sturm naht sich! Wie sehr nimmt die Entfremdung der Menschen von Gott, der Mangel an Glauben überhand. Es geziemt euch aber fest zu stehen und auszuharren, der Herr selbst wird den Seinen beistehen. O könnte ich mit euch die Gefahren teilen und dieses Leben für die Wahrheit dahin geben; doch es bleibt ja unzertrennt die Liebe und unauflöslich das Band in Christo; die an ihn Glaubenden haben Alles untereinander gemein.“ So viel sprach er von den gemeinsamen Angelegenheiten der Kirche; mit wenigen Worten berührte er noch die eigene Person. „Dass ich des Verbrechens beschuldigt werde, die Wahrheit verfälscht zu haben, kümmert mich nicht. Durch die Gnade Gottes trete ich mit meinem Gewissen vor den Richterstuhl Christi. Da wird offenbar werden, dass ich die Kirche nicht verführt habe. Ich lasse euch als Zeugen dieser meiner Versicherung zurück, und bestätige euch als solche in diesen meinen letzten Atemzügen.“ In der letzten Nacht seines Lebens waren wieder alle Geistlichen bei seinem Bette. Einen eintretenden Freund fragte er, was er Neues bringe, und als dieser „Nichts“ antwortete; so sprach Ökolampad: „Aber ich will dir etwas Neues sagen: in Kurzem werde ich bei dem Herrn Christo sein.“ Auf die Frage, ob ihm das Licht beschwerlich falle, deutete er aufs Herz und sprach, „es ist hier Licht genug.“ Am Morgen des 24. Novembers schlug seine Todesstunde. Das letzte Gebet, welches er mit bebender Zunge hersagen konnte, war jenes herrliche Flehen Davids wegen seiner Sünden (Ps. 51), welches er von Anfang bis Ende mit tiefen Seufzern vortrug. „Herr Jesu, komme mir zu Hilfe,“ waren die letzten Worte, mit denen er seine fromme Seele aushauchte! So lebte und starb dieser getreue Arbeiter im Weinberge des Herrn!

Möge nun auch gegenwärtiges Werk an seinem Teile beitragen, dass ein ähnlicher frommer Sinn, wie er den Ökolampad beseelte, immer herrschender werde in der reformirten evangelischen Kirche.

Wintersingen den 8. September 1850.

R. Christoffel.

Makrina

gest. 379.

Es war die Heldenzeit der Kirche. Noch war sie gesund, freilich konnte krankhafte Überreizung hier, Abspannung dort in solcher außerordentlicher Zeit nur zu leicht eintreten. Der Märtyrerruhm war verlockend, bald drängten sich die Christen, Jünglinge und Jungfrauen auch zum Martyrium. Da gab es neue Aufgaben auch für die Frauen. So konnte der 17jährige Origenes (geb. 185) nur dadurch zurückgehalten werden, die Marter seines Vaters Leonidas zu teilen, dass seine treffliche Mutter in sein Schlafzimmer ging und ihm die Kleider versteckte. Andrerseits blieb es die höchste Ehre einer Familie, wenn ein Vorfahre Blutzeuge gewesen war.

So hielt es der heilige Ambrosius sich zum größten Ruhm, dass seine Muhme oder Großmuhme, die heilige Sotheria, unter Diocletian geblutet. Unter diesem Kaiser tobte sich der Feind gegen die Christenheit aus. Unzählbar ist die Schar der Blutzeugen, welche die Geschichte und die ausschmückende Sage in dieser Zeit mit der Marterkrone schmückt. Die Frauen wetteiferten mit den Männern in Eifer und Treue. Die heilige Agnes, der Qual und der Schande nicht achtend, darum wunderbar der Qual und der Schande entnommen, wurde von den Blumenkränzen des christlichen Dichters umwunden mit ihrem Lamme nun das Sinnbild und Vorbild frommer Jungfräulichkeit, dem die heiligen Katharinen und Dorotheen, die heiligen Jungfrauen zu Tausenden und „elf Tausenden“ sich anschlossen. Lassen wir unsern katholischen Brüdern die fromme Dichtung, so bleibt uns noch genug der Wahrheit verbürgt in Geschichten und Namen wie jener Viktoria, der wir als einer unter Vielen gedenken. Diese junge Christin wurde in der letzten und größten Verfolgung unter Diocletian und Galerius (303 n. Chr.) mit andern gefangenen Christen vor den Statthalter zu Karthago geschleppt. Ihr Vater und Bruder waren noch Heiden. Der Bruder Fortunatianus war herbeigekommen, um sie zur Verleugnung zu bewegen und ihr die Freiheit zu verschaffen. Da sie standhaft erklärte, sie sei eine Christin, gab der Bruder vor, sie sei ihrer Sinne nicht mächtig. Aber sie sprach: „das ist mein Sinn und den habe ich nie verändert.“ Als der Statthalter sie fragte: „Willst du mit deinem Bruder gehen?“ antwortete sie: „Nein, denn ich bin eine Christin, und die sind meine Brüder, welche Gottes Gebote halten.“ Das besiegelte sie mit ihrem Tode. Gleichermaßen wusste jene Natalie das Wort zu üben: „So Jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann mein Jünger nicht sein“ (Luk. 14,26.). Als sie hörte, dass ihr Gemahl Adrianus zu Nikomedien gefänglich eingezogen und mit Ketten belastet war, erschrak sie im Gedanken, er möchte etwas Unrechtes getan haben. Wie sie aber hörte, dass er um des Bekenntnisses willen mit 33 Andern ins Gefängnis geworfen war, schwand ihre Angst, und nur die Besorgnis blieb, ihr Mann möchte durch den Anblick der Marter der Andern verzagt werden und in Gefahr der Verleugnung geraten. Um dies zu verhüten und ihm die Märtyrer-Krone zu sichern, ging sie zu den Henkern und bat sie, sie möchten doch bei der Hinrichtung ihren Mann zuerst vornehmen. Dies geschah und Natalie ward nun Witwe. Vom Statthalter nachher zum Weibe begehrt, entfloh sie aufs stürmische Meer, von dem ihr Schiff dem nachsegelnden Verfolger zu Trutz durch Gottes Schutz in den sicheren Bergungsort getragen wurde.

In den Zeiten der Verfolgungen wurde nun das Heimweh nach einer andern Welt das vorherrschende Gefühl der edelsten Gemüter. Die fromme Verzichtung auf die unschuldigen Freuden der Welt, die Entsagung wurde immer mehr oberster Grundsatz; dem Paulus von Theben nach zogen die Einsiedler sich ganz aus der Welt zurück in Wüsten und Höhlen; Antonius (270-356) gab dieser Weltflucht das Gepräge einer Regel der Vollkommenheit in Armut und Fasten und Beten. Als vollends durch Constantin den Großen die Kirche und ihre Todfeindin, die Welt, sich versöhnte und vermengte, da gab es erst rechten neuen inneren Kampf anstatt der bisherigen äußern Verfolgung. Die strengste Entsagung und Enthaltsamkeit kämpfte gegen den in die Kirche aufgenommenen Weltsinn; Schauspiel, Tanz, Eid, Ausleihen auf Zinsen und zweite Ehe wurde für sündlich erklärt. Da hierzu sich nicht die Masse verstehen konnte noch mochte, so bildete sich ein höherer Rang völligster unnatürlicher und übernatürlicher Entsagung für die „vollkommenen“ Christen und eine niedere Sittlichkeit des erlaubten Genusses für die gemeine Christenheit. Dort ward geistlicher Hochmut, hier das äußerliche Abmachen und Abkaufen durch Fasten, Almosen und Gebete die Klippe, an welcher das aus dem Fahrwasser des lauteren, einfältigen, nüchternen Schriftwortes getriebene Schifflein Petri nach tausendjähriger Irrfahrt zerschellen ging.

Wie sich mitten zwischen diesen zwei Gefahren die katholische Kirche entwickelte, welchen Beitrag zu ihrer Geschichte nach ihrer Licht- und Schattenseite das weibliche Geschlecht gab, und welche Vorbilder für alle Zeiten, die seit Constantin dem Großen beginnende Weltzeit des Christentums in ihren ausgezeichnetsten Frauenbildern darbietet, des wollen wir jetzt uns in einer Reihe von edlen, auch in Verirrung großen Gestalten – „mit Zittern“ freuen.

Zwei Brüder, Basilius der Große und Gregor von Nyssa, waren es vor Allem, welche der neuen Geistesströmung die breiten und tiefen Ufer bauten, in denen sie durch die Welt und nicht von der Welt dahinziehen sollte. Diese zwei Brüder waren die Söhne ihrer Großmutter, die Zöglinge ihrer Schwester Makrina. Basilius der Große ist zu Cäsarea in Kappadocien ums Jahr 330 geboren. Sein Vater stammte aus Pontus von einer Märtyrerfamilie; seine Mutter war eine Kappadocierin. Die Familie war angesehen von jeher, doch ihr bestes Teil war ihre Frömmigkeit. Makrina, die Großmutter väterlicherseits, hatte als eifrige Christin sich in der diokletianischen Verfolgung mit ihrem Gatten in die unzugänglichen Waldungen des Pontus flüchten müssen, wo sie sieben Jahre lebten von Hirschen in ihrer Einsamkeit ernährt. Der Großvater mütterlicherseits hatte in der Verfolgung des Maximin sein gutes Bekenntnis mit dem Tode besiegelt. Diese Frömmigkeit ging auf die Eltern des Basilius über. Sein Vater war Lehrer der Beredsamkeit in Neucäsarea. Die Mutter Emmelia hatte – ausgezeichnet durch ihre Schönheit – um den Gefahren der vielen Bewerbungen um sie zu entgehen Vater und Mutter waren tot – den Antrag dessen angenommen, der als der Frömmste galt.

Die Eltern besaßen ein großes Vermögen, ihr höchster Schatz waren aber ihre vier Söhne und fünf Töchter, unter denen Makrina die älteste, Basilius der älteste war. Die ersten Jahre seiner Kindheit verlebte er in ländlicher Einsamkeit bei seiner Großmutter Makrina. Nie hat er die tiefen Eindrücke vergessen, welche die Reden und Beispiele dieser ehrwürdigen Frau auf seine zarte Seele gemacht. Erwachsen und in Cäsarea wohl geschult zog er zum Studium nach Konstantinopel und Athen. Mit ausgezeichneter Gelehrsamkeit von da (359) zurückgekehrt, trat er auf den Wunsch seiner Mitbürger einige Zeit als Lehrer der Beredsamkeit auf. Aber Makrina, seine Schwester hatte sich mit ihrer Mutter Emmelia in die Einsamkeit zurückgezogen, den Bruder für dieselbe Lebensweise zu gewinnen und den Versuchungen der Welt zu entziehen, war ihr Hauptanliegen. Und es gelang ihr; Basilius trotz aller Bitten der Behörde von Neucäsarea entschloss sich, ganz von der Welt sich zurückzuziehen und „Gott zu dienen.“ Er besah sich das Mönchtum in andern Ländern, schenkte sein ganzes Vermögen den Armen und zog nach Pontus an das Ufer des Flusses Iris, gegenüber dem Landhause seiner Großmutter, da er erzogen worden war, unfern dem Kloster, wo in reizender Gegend Emmelia mit Makrina und andern Jungfrauen lebte, denen letztere vorstand.

Die stille Einsamkeit war ihm „der Anfang der Reinigung für die Seele, denn das einzige Mittel, die Seele zur Ruhe zu bringen, ist die Lossagung von der ganzen Welt.“ Doch schon nach einem Jahre wurde er in die Unruhe der Welt und der Kirche zurückgerufen. Zum Presbyter in Cäsarea (364) erwählt, lebte er übrigens mönchisch in Gemeinschaft mit Mönchen fort. Er war aber zu Größerem berufen. Als Bischof von Cäsarea musste er die (arianischen) Feinde der Gottheit Christi bekämpfen und das Steuerruder der Kirche führen. Daneben tat er, zumal in dem Hungerjahre 368 durch die Predigt der Buße und durch das Beispiel seines Wohltuns Wunder an den Herzen der Wucherer und der Armen. Seine Mutter Emmelia war eben gestorben, ziemliches Vermögen fiel ihm zu. „Nun habe ich, schreibt er einem Freunde, auch den einzigen Trost im Leben, den ich hatte, wegen meiner Sünden verloren. O lache nicht über mich, dass ich in diesem Alter meine Verwaisung beweine, und verzeihe mir, wenn ich die Trennung von einer Seele nicht geduldig ertrage, mit welcher ich im Übrigen nichts Vergleichbares sehe.“ Mit dem gewonnenen Gute tat er, wie ihn seine Mutter gelehrt, nur Gutes. Von allen Gegenden waren Bedürftige nach der Hauptstadt geeilt. Täglich, so lange die Hungersnot dauerte, versammelte Basilius sie um sich und verteilte unter sie Speisen, die er in großen Kesseln herbeibringen ließ. Er selbst war sorgsam bedacht, dass Jeder etwas bekäme. So wurden Alle gespeist, von jedem Alter und Geschlecht, auch die Kinder der Juden; sie wurden gespeist auch mit geistlicher Speise.

Basilius, der Vorkämpfer des Glaubens im Morgenlande, der kluge, milde und starke Lenker der Kirche, der Begründer und Ordner des Mönchslebens, der gewaltige Prediger, der treue Seelsorger, ist auch ein Hauptanfänger der wohltätigen Anstalten geworden, in welchen die katholische Kirche eine ihrer größten Zierden hatte. Gleich im Anfang seiner bischöflichen Laufbahn (370) errichtete er in einer Vorstadt Cäsareas ein großes Gast- und Krankenhaus, das nachher Basilios nach ihm genannt wurde. Es war bestimmt, Durchreisende aufzunehmen, und Kranken, besonders Aussätzigen, die sonst von Menschen ängstlich vermieden wurden, liebreiche Aufnahme zu verschaffen. Basilius selbst besuchte und küsste sie als Brüder, damit andern ein Beispiel zu geben, auch diesen ekelhaften Krankheiten brüderliche Hilfe zu leisten, oder wie sein Bruder Gregor von ihm sagt, um die Menschen zu überzeugen, dass wir als Menschen die Menschen nicht verachten, noch durch unsere Grausamkeit gegen sie Christum, das Haupt Aller, schänden, sondern ihr Unglück zum eigenen Heil benutzen und von Gott Barmherzigkeit borgen sollen, die wir der Barmherzigkeit so sehr bedürfen. In diesem Hause wurden Krankenväter und Ärzte angestellt, Lasttiere für Reisende angeschafft, Wegweiser angenommen, Handwerker besoldet, um für die Lebensbedürfnisse zu sorgen, ja selbst die Gewerbe eines verfeinerten Lebens zu treiben. Für die Arbeiter wurde ein eigenes Gebäude neben dem Gast- und Krankenhause erbaut. Und zu dem großen Bau scheint Basilius die sämtlichen Kosten bestritten zu haben.

Beim Tode des Basilius war sein jüngerer (um 335 geborener) Bruder Gregorius anwesend. Dieser – von Kind an zur Gelehrsamkeit und stiller Forschung sich leiblich und geistig berufen achtend – zog von dem Lehrstuhle der Beredsamkeit zu seinem Bruder und zu seiner Schwester nach Pontus in die Einsamkeit, nachdem Basilius und Makrina ihn für das „jungfräuliche Leben“ gewonnen. Die Ehe galt ihm als die dunkelste Nachtseite des menschlichen Lebens, als die Chorführerin aller irdischen Trauerspiele: Enthaltung von der Ehe nennt er die Bedingung jener geistigen Jungfräulichkeit, welche frei von allen sinnlichen Banden in der vollkommenen Liebe zu Gott, in der Anschauung des ewigen Vaters ihre Weihe hat. Nicht dass der Körper gequält werden solle, aber enthalten soll er sich um den Geist in seiner freien Bewegung zum Vater der Geister nicht zu hemmen. Er war mit Theosebeia („Gottseligkeit“), einer Christin, vermählt, aber er beklagt die Bande, die ihn damit an die Welt verstrickt, die Zeit, die er an die Welt und ihr Treiben verloren; nun lebte er in stiller Einkehr nur der heiligen Schrift und den Werken der Kirchenlehrer. Aber er sollte nicht bloß sich von der Welt enthalten, er sollte auch in der Welt leiden und streiten lernen, er musste Bischof in Nyssa werden, so wollte sein Bruder Basilius. Bald genug erhoben sich die Feinde der Gottheit Jesu (die Arianer) wider ihn und er wurde abgesetzt (376). Doch nach zwei Jahren durfte er aus der Verbannung zurückkehren in die Mitte seiner ihn mit Liebe umfangenden Gemeinde. Jetzt kam aber neue Trübsal. Kurz nacheinander wurde sein Bruder Basilius und seine Schwester Makrina, deren geistlicher Leitung er so viel zu verdanken hatte, von seiner Seite gerissen (379). Dem Basilius hatte er die Augen zugedrückt und die Lobrede gehalten, in der er ihn mit Paulus, Johannes dem Täufer, Elias und Moses vergleicht. Im Herbste desselben Jahres wollte er auf der Rückkehr von der Kirchenversammlung zu Antiochien seine teure Schwester besuchen und kam zu ihrem Tode. Das schönste Denkmal, das er ihr sehen konnte, war die Beschreibung ihres Lebens und Sterbens.

Makrina war, wie wir wissen, die erste Frucht der Verbindung der Eltern. Sie erhielt ihren Namen nach der frommen Großmutter. Sie hatte aber noch einen geheimen, den die Mutter Emmelia – in Allem göttlichen Wink und Führung verlangend – in folgendem Gesichte überkommen hatte. Als die Zeit herbeigerückt war, da sie gebären sollte, kam ihr im Schlafe vor, als trage sie in den Händen, was sie noch unter dem Herzen hatte, und sie sah eine Erscheinung, hehrer als menschliche Form und Gestalt, die ihrer Tochter den Namen der heiligen Thekla gab, welche als „Schülerin des Paulus,“ von dem Freier, dem sie entfloh, der Obrigkeit ausgeliefert, von den wilden Tieren aber verschont und auch wunderbar aus den Flammen errettet, endlich im Frieden entschlafen, von der griechischen Kirche als erste Märtyrin hoch verehrt war. Dreimal wiederholte die Gestalt den Namen Thekla, dann verschwand sie. Emmelia erwachte sofort und gebar, und so leicht, dass vom Traum erwachen und das Geträumte in Händen haben Eins war. – Dieser Name, so verstand die Mutter, sollte das künftige Wesen und Leben der Tochter andeuten. Er machte ihr zugleich eine ernste christliche Erziehung ihres Kindes zur doppelten Pflicht. Makrina wuchs auf unter mütterlicher Obhut. Kaum wagte es die Mutter, sie den Händen der Amme anzuvertrauen. Dem Kindesalter entwachsen zeigte sie sich in allen Kenntnissen ihres Alters gelehrig, und was ihr auch die Eltern anweisen mochten, überall waren ihre Naturgaben ausgezeichnet. Das Streben der Mutter ging dahin, die Tochter wohl zu erziehen; aber nicht, wie bei vielen Müttern, ging ihre Absicht auf eine glänzende Außenseite, auf einen Schatz jener Kenntnisse, die das junge Alter meist aus dem Lesen von Dichtern sich anzueignen pflegt. Sie hielt es für entehrend und ungeziemend, dass das zarte und bildsame Gemüt bald mit den grässlichen Geschicken der Weiber, die den Trauerspiel-Dichtern meistens den Stoff liefern, bald mit den Abgeschmacktheiten und Unsittlichkeiten des Lustspiels bekannt, ja befleckt würde. Vielmehr was aus der vom göttlichen Geiste eingegebenen Schrift für jenes Alter leicht und passend war, das sollte Makrina erlernen: die Sprüche Salomonis, und vor allem darin, was Leben und Sitten bilden könnte. Doch auch die Psalmengesänge waren ihr nicht unbekannt, von denen sie gewisse Abschnitte zu bestimmten Zeiten las. Des Morgens, wenn sie aufstand, oder wenn sie zu oder von der Arbeit ging, zum Tisch oder vom Tisch, oder zu Bette oder in die Kirche zum Gebet, immer hatte sie das Psalmenbuch als einen freundlichen Begleiter bei sich, der sie nie verließ.

In dieser Weise erzogen, auch in Wahrheit geschickt, erreichte sie das zwölfte Jahr – das Alter, in dem im Morgenlande die Jungfrau sich entwickelt. Makrina blühte wundersam im Schmucke der Jugend; ihre Schönheit, wie sehr man sie auch verbergen wollte, konnte doch nicht verborgen bleiben. Im ganzen Vaterland kam ihr nichts gleich; ihre Gestalt und Anmut vermochte selbst die Hand des geschicktesten Malers nicht würdig zu erreichen. Ein Schwarm von Freiern nahte sich. Der Vater aber, verständig und von hoher praktischer Umsicht, wollte sofort einen durch Herkunft und Adel der Gesinnung ausgezeichneten Jüngling. Große Hoffnung erweckte der junge Mann, vor Gerichte war er ein beredter Sachwalter der Verfolgten. Die schönen Hoffnungen brach der Tod.

Die Jungfrau hatte erfahren, wem sie bestimmt war, die Wahl des Vaters nannte sie sofort ihre Ehe, und als ob, was jener beschlossen, Wirklichkeit geworden wäre, entschied sie sich für die übrige Zeit ihres Lebens Jungfrau zu bleiben. Und dabei blieb sie fester als man von ihrem Alter hätte erwarten dürfen. Denn obschon ihre Eltern öfters in sie drangen, hinweisend auf die Schar der Bewerber, die der Ruf ihrer Schönheit herbeigezogen, sie meinte, es wäre unangemessen, und unerlaubt, jene Ehe, mit der sie ihr Vater ein für allemal gebunden, zu brechen, und nach einer zweiten gezwungen zu schauen: es sei naturgemäß nur Eine Ehe, wie auch nur Eine Geburt und Ein Tod; den in Gott Lebenden müsste man aber in Hoffnung der Auferstehung ja nicht für tot achten, nur ferne sei er; Sünde dann wäre es, dem fernen Verlobten die Treue nicht zu bewahren. Das war ihre Ansicht, worin sie ihren zwei Brüdern voranging, das ihr Entschluss. Diesem nicht untreu zu werden, beschloss sie, sich keinen Augenblick von der Mutter zu trennen. Darum pflegte diese zu sagen, die übrigen Kinder habe sie nur eine bestimmte Zeit unter dem Herzen getragen, Makrina aber immer. Und ihr Aufenthalt bei der Mutter brachte dieser weder Mühe noch Last. Sie war ihr statt vieler Dienerinnen. In dieser Art vergalten sich beide gegenseitig ihre Liebesdienste: die Mutter hütete die Seele der Tochter, die Tochter sorgte für die leiblichen Bedürfnisse der Mutter und stand ihr in allen häuslichen Geschäften, besonders seit des Vaters Tode, hilfreich zur Seite, so Martha wie Maria.

Um diese Zeit kehrte Basilius von der hohen Schule zu Athen zurück. Makrina wollte in ihm viel weltlichen Sinn, viel Stolz, auf seine Weisheit und Beredsamkeit finden. Sie drang mit solcher Gewalt in ihn, der Welt, Ruhm fahren zu lassen, dass der Bruder nicht vermochte ihr zu widerstehen. Wie er sich nun in die Einsamkeit zurückgezogen, der Kasteiung sich ergeben, haben wir oben gesehen.

Was schon längst in dem Herzen der Tochter und Mutter schlummerte, brachte ein schweres Ereignis, das über die Familie hereinbrach, zur Reife. Von den vier Brüdern hieß der zweite, der auf Basil folgte, Naukratius, ein Jüngling, reich begabt an Leib und Seele, und zu allem geschickt. Er war ein ausgezeichneter Sachwalter geworden, hochgeehrt von Allen. Da, im 22. Jahre, tritt in ihm eine völlige Umwandlung ein; was er in Händen hat, lässt er dahinten und zieht sich mit einem getreuen Diener Chrysaphius in eine Einöde zurück. Am Flusse Iris im tiefsten Walde fand er ein einsames, dichtbeschattetes, von überhangenden Felsen bedecktes Plätzchen; hier, ferne von dem Getümmel der Stadt, des Kriegs- und Gerichtswesens, siedelte er sich an, sich und der Askese lebend. Einigen Greisen, die auch dort lebten, verschaffte er zugleich – ein geübter rüstiger Jäger wie er war – ihren Unterhalt. Ins fünfte Jahr hatte er so gelebt. Er war auch wieder einmal, wie gewohnt, zur Jagd ausgezogen, den Greisen ihre Nahrung zu erjagen; da brachte man ihn tot nach Hause mit seinem treuen Diener. Die Mutter war gerade drei Tagereisen weit entfernt. Sie war allezeit und in Allem fest und gefasst gewesen; diese Botschaft übermannte ihre Natur; es war der liebste Sohn gewesen, der so hatte enden müssen; ohnmächtig stürzte sie zusammen. Doch Makrina, größer als der Schmerz, blieb aufrecht, und stützte und hielt auch die Mutter durch ihre Stärke.

Die Kinder waren versorgt, die häusliche Last großenteils unter die Söhne verteilt. Was hinderte an einem klösterlichen Stillleben? Längst war Makrina geneigt gewesen, die bisherige Lebensweise aufzugeben und ein beschauliches Leben zu führen; bei ihrer jetzigen Seelenstimmung musste der Mutter ein solcher Lebensplan nur erwünscht kommen.

So zog nun die Tochter die Mutter, wie die Mutter einst die Tochter gezogen.

Sofort wurde der Entschluss ausgeführt. Die Dienerinnen wurden Genossinnen des neuen Lebens: aller Vorrechte, aller Würden begab man sich; es war ein Tisch, das gleiche Lager, die gleiche Lebensweise, und eine Ordnung, eine Zucht, ein Friede, eine Lebenshöhe, wie sie nur da möglich ist, meint Gregor, wo alle menschlichen Fesseln abgelegt, alle Eitelkeit der menschlichen Dinge abgetan ist; es war ein Leben nach der Ähnlichkeit der Engel.“ Da war kein Zorn, kein Hass, kein Neid, keine Verdächtigung, keine Ehr- und Ruhmgier, und was dergleichen mehr. Ihr Wohlleben setzten sie in Mäßigkeit, ihren Ruhm darein, dass sie nichts besäßen. Nur das Göttliche war ihre Sorge: das Gebet und das Psalmensingen.

In dieser Lebensrichtung sehen wir Makrina als Haupt; sie hat die Mutter, sie hat den Bruder Basil gezogen; auch der jüngste, Petrus, wurde in diesem Geiste gebildet. Wie er geboren wurde, war auch der Vater gestorben. Makrina wurde ihm sofort Vater, Lehrer, Hüter; Petrus ihr treuer Schüler. (Später ward er Bischof in Sebastopol).

Inzwischen war die Mutter alt und hochbetagt geworden. Als sie zu sterben kam, segnete sie ihre Kinder, die ferne waren und nah: Makrina und den jüngsten. „Dein seien sie, o Herr!“ betete sie und ging dann hinüber zu Gott. Sie hatte ihren Kindern befohlen, im väterlichen Grabmal sie beizusetzen: wie sie gewünscht, geschah ihr.

Auch in diesem Schmerz sehen wir Makrina fest. Noch ein dritter traf sie: der Tod des ältesten Bruders, des großen Basil. Welch‘ entscheidenden Einfluss sie auf das Leben und auf die ganze Denkweise des Letzteren ausgeübt, wissen wir: sie waren sich geistig verbunden. Wie hätte sie die Todesnachricht nicht aufs Schmerzlichste treffen sollen! Sie fühlte den Verlust, aber wie eine, die doch wiedergefunden hatte.

Basilius war im Jahre 379 gestorben. Es war neun Monate darnach oder etwas mehr, als Gregor von Nyssa, wie wir oben sahen, von der Versammlung zu Antiochien, der er beigewohnt, rückkehrend seine Schwester besuchte. Sie hatten sich schon seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Was alles lag dazwischen! Er traf die Schwester krank, sterbend. Sie lag auf einem Bette, nur mit härenem Tuch bedeckt. Als sie den Bruder zu der Türe hereinkommen sah, richtete sie sich auf ihrem Lager auf und faltete die Hände. Dank dir, Herr Gott, betete sie, dass du auch das mir verliehen und was meine Seele wünscht, ihr nicht vorenthalten hast, sondern hast deinen Knecht getrieben, mich, deine Magd, zu besuchen.“ Und um den Bruder nicht trübe zu stimmen, suchte sie zu verbergen, wie schwer ihr das Atmen werde, gab sich ein fröhliches Aussehen und suchte selbst Anlass zu heitern Gesprächen. Als die Rede dann auf Basilius kam, konnte Gregor nicht mehr zurückhalten; er fühlte sich ergriffen, sein Gesicht verzog sich, Tränen entstürzten seinen Augen. Makrina aber blieb ruhig, und nahm vielmehr Veranlassung, von dem Tode des Bruders weg hinzuweisen auf die auch in trüben Schicksalen verborgene göttliche Vorsehung und über das künftige Leben zu reden. Und sie sprach wie vom göttlichen Geiste angeweht; der Bruder fühlte sich wie außer sich selbst versetzt in die himmlischen Wohnungen. Es war wunderbar zu schauen, diese Geisteskraft in dem vom Fieber ganz ausgedörrten Körper. In tiefem Zusammenhang sprach sie von der Seele des Menschen, von dem Grunde dieses Lebens im Fleisch, wie fern und warum der Mensch sterblich sei und wie unsterblich, und von der Auflösung und Rückkehr in jenes Leben. Das alles ging sie durch, klar, scharf, in bestimmter Ordnung: ihre Rede floss wie ein Wasser frisch und hell aus seiner Quelle.

Nicht so leicht konnte sich Gregor fassen. Er erging sich in den nahen Gärten, unter dem Schatten der Bäume; aber er konnte keine Ruhe finden, es schwebte ihm immer nur der Tod der geliebten Schwester vor. Da, als ob sie seine Gedanken erraten, ließ sie ihm sagen, er möchte guten Muts sein, die Krankheit habe sich zum Bessern gewendet. Freilich, sie fühlte bereits den nahen Sieg, hörte bereits den Ruf von oben.

Gregor besuchte sie wieder, er fand sie tief in Gedanken. Sie erzählte von den Eltern, den Kinder- und Jugendjahren, von den Ereignissen seitdem; sie erzählte alles so genau, so umständlich, als hätte sie es geschrieben. Das Ziel ihrer ganzen Erzählung aber war Dank gegen Gott. Der Tag darauf war ihr letzter. Es war Abend. Sie blieb immer heiter; sie sprach nicht mehr mit den Umstehenden, ihre Worte wurden zu Anreden an Gott und zu Gebeten, immer leiser, immer flüsternder. „Du, o Gott,“ betete sie, „hast mir die Todesfurcht genommen. Du hast verliehen, dass dieses Lebens Ende der Anfang des wahren Lebens ist. Du gibst die Leiber zu ihrer Zeit dem Todesschlaf hin und erweckst sie wieder aus dem Schlafe mit der letzten Trompete. Du vertraust unsere Erde, die du mit deinen Händen gebildet als eine Hinterlage der Erde an und nimmst, was du ihr gegeben, wieder von ihr, das was an uns sterblich und ungestalt ist, mit Unsterblichkeit und Schöne krönend. Du hast uns vom Fluch und von der Sünde befreit dadurch, dass du beides für uns geworden bist; du hast der Schlange den Kopf zertreten, hast die Tore der Unterwelt erbrochen, den, der die Macht des Todes hatte, überwunden und uns den Weg zur Auferstehung gebahnt. Du hast zum Verderben des Feindes und zur Sicherheit unsers Lebens denen, die dich fürchten, ein Zeichen aufgestellt, das Zeichen deines heiligen Kreuzes, dem ich verlobt bin von Mutterleib an. O sende mir den Engel des Lichtes, der mich führe an den Ort der Erquickung, wo das Wasser der Ruhe ist, in den Schoos der heiligen Väter! Du, der du das flammende Schwert zerbrochen und den Menschen, der mit dir gekreuzigt ist und zu deiner Barmherzigkeit flüchtet, dem Paradiese wiedergibst, gedenke auch meiner in deinem Reiche! Auch ich bin ja gekreuzigt mit dir; nichts scheide mich von deinen Auserwählten, nicht trete mir der Feind in den Weg, nicht mögen meine Sünden vor deinen Augen erfunden werden! Wenn ich aus Schwäche der Natur mit Wort oder Tat oder Gedanken gefehlt, so verzeihe mir das, der du die Macht hast, die Sünden zu verzeihen, dass ich erquickt werde und, wenn ich den Körper ablege, vor deinem Angesichte erfunden werde als die da keinen Makel hat an der Seele! Tadellos, makellos möge meine Seele in deine Hände aufgenommen werden als ein Brandopfer vor dir!“ So betete Makrina. Allmählig erstarb das Wort auf den Lippen; nur noch den Mund und die Hände sah man sie bewegen, ein Zeichen, dass sie noch immer betete. Dann zog sie einen langen, tiefen Seufzer und – sie hatte geendet. Der Bruder erwies ihr den letzten Liebesdienst und drückte ihr die Augen zu. Nach manchem Wechsel, nach mancher Trübsal und Prüfung, aber nachdem er Großes gewirkt und für alle Zeiten herrliche Werke vollendet, eilte auch er seinen Geschwistern nach ins Land des Friedens im 64. Jahre seines Lebens ums Jahr 395.

Perpetua

gest. 202.

Die römischen Kaiser selbst waren eine Zeit lang gegen das Christentum gleichgültig oder gar ihm geneigt. Aber die bestehenden Gesetze gaben die Christen der Willkür einzelner Statthalter preis. So zeigt uns die Geschichte der jungen Kirche nur wenige Zeiten und Länder, in denen nicht Märtyrerblut geflossen wäre. In Afrika brach eine Verfolgung im Jahre 202 aus. Da lebte Perpetua, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts in einer der Vorstädte Karthagos, aus edlem Geschlechte geboren und trefflich erzogen. Sie war etwa 22 Jahre alt, verheiratet und hatte ein säugendes Kind. Noch lebten die beiden Eltern und ein Bruder, ein anderer war frühe gestorben. Der Vater war Heide, die beiden Geschwister standen im Vorbereitungs-Unterrichte zur Taufe als Katechumenen.

Als die Verfolgung ausbrach, wollte der Vater die Tochter vom Christentum abwenden, Perpetua blieb aber standhaft. „Vater,“ sagte sie zu ihm, „siehst du dieses Gefäß?“ sie wies auf ein zur Erde liegendes Fass. „Kann man es wohl anders benennen als was es ist? Siehe, so kann auch ich mich nicht anders nennen, als was ich bin und bleibe: eine Christin.“ Der Vater bat, drohte – umsonst! Nach wenigen Tagen ließ sie sich taufen, und der Geist deutete ihr auf die andere Taufe: die Bluttaufe.

Bald darauf wurde sie eingezogen. Sie gestand, dass sie anfangs selbst ergriffen worden sei bei dem Anblick des finsteren Ortes; die furchtbare Hitze, die große Zahl der Gefangenen, die schlechte Behandlung von Seiten der Soldaten, zu all‘ dem die Besorgnis für das liebe Kind, wie hätte alles dieses nicht tiefen Eindruck auf sie machen sollen! Die Diakonen, die sie besuchten, erkauften ihr endlich größere Freiheit; sie durfte einige Stunden des Tags an einem freieren Orte zubringen, und diese Zeit benutzte sie, ihr Kind, das beinahe verschmachtete, zu säugen. Lange musste sie es also aushalten; endlich erlangte sie die Erlaubnis, ihren Säugling zu sich ins Gefängnis nehmen zu dürfen und jetzt fand sie sich wie neu belebt; „der Kerker,“ sagte sie, „wurde mir zum Palast.“

Einst, Nachts im Traume, sah sie eine goldene Leiter von wunderbarer Höhe bis zum Himmel reichend, aber so schmal, dass nur immer Einer allein hinansteigen konnte; an der Seite der Leiter waren alle Arten von Instrumenten befestigt; unter der Leiter aber lag ein Drache, der den Aufsteigenden Fallstricke legte und sie zurückzuschrecken suchte. Saturus, ihr Bruder, der damals noch nicht gefangen lag, aber später sich freiwillig überlieferte, stieg zuerst hinauf; er kam bis zur Höhe, da sprach er gegen die Zuschauenden gewendet: „Perpetua, ich warte deiner; aber sieh zu, dass der Drache dich nicht versehre!“ „Er wird mir nicht schaden im Namen des Herrn Jesu Christi,“ erwiderte sie. Das Untier, als ob es die Heranschreitende fürchte, erhob langsam sein Haupt; sie aber, die erste Stufe der Leiter ersteigend, trat ihm auf das Haupt und stieg nun hinan. Oben tat sich der Staunenden die unermessliche Weite eines Gartens auf und in Mitte desselben sah sie einen eisgrauen Mann sitzen, in der Tracht eines Hirten, der war groß und melkte die Schafe und um ihn her standen viele Tausende Weißgekleideter. Er erhob das Haupt, sagte mit einem Blick auf Perpetua: „willkommen, Tochter!“ rief sie zu sich und gab ihr von dem Käse, den er gemolken, ein kleines Stück; sie nahm es mit aneinandergefügten Händen und aß; Alle, die herumstanden, sprachen Amen! Auf den Laut dieser Stimme erwachte sie, noch essend an dieser, sie weiß nicht welcher Art von Süßigkeit. Was sie gesehen, das erzählte sie alsbald dem Bruder, und beide erkennen, dass ihnen Leiden bevorstehen und schöpfen nun keine Hoffnung mehr für diese Welt.

Bald darauf sollten sie verhört werden. Noch einmal kam der Vater, um die Tochter abwendig zu machen; er war vor Gram fast verzehrt. „Kind,“ rief er, „erbarme dich meiner grauen Haare, habe Mitleid mit deinem Vater, wenn ich noch wert bin, von dir Vater genannt zu werden. Habe ich dich mit diesen Händen bis zu dieser Blüte deines Lebens gebracht, habe ich dich deinen Brüdern vorgezogen, o, so mache mich nicht zur Schmach der Menschen! Schau deine Brüder an, deine Mutter, deinen Sohn, der nach dir nicht mehr leben kann. Lass den hohen Sinn fahren und bring uns nicht alle ins Unglück.“ So flehte der Vater und küsste ihr die Hand und warf sich zu ihren Füßen und nannte sie weinend nicht mehr Tochter, sondern Herrin. Wohl drang das ihr ans Herz, es schmerzte sie tief, dass ihr greiser Vater allein sich ihrer Leiden nicht freute; sie tröstete ihn und sprach: „Vater, es wird geschehen, was Gott will. Denn wisse, wir sind nicht in unserer Macht, sondern in der Hand Gottes.“ Der Vater schied von ihr in tiefem Leide.

Perpetua kam zum Verhör. Die Menge des neugierigen Volks war unermesslich, auch der Vater war wiederum da mit dem Enkel. „Erbarme dich des Kindes,“ rief er ihr zu; der Prokurator selbst mahnte: „Schone der grauen Haare deines Vaters, schone der Jugend deines Kindes, opfere dem Kaiser!“ Sie aber antwortete: „Nimmermehr!“ Und als sie der Prokurator befragte, ob sie eine Christin sei, sagte sie fest und entschieden „Ja!“ Nun wurde ihr Urteil gefällt: in den nächsten Festspielen sollte sie den wilden Tieren vorgeworfen werden. Freudig verließ sie den Richter, freudig betrat sie wieder ihr Gefängnis. Sie verlangte nach ihrem Kinde, das gewohnt war bei der Mutter zu sein, um von ihr gesäugt zu werden; aber der Vater verweigerte es. Von dieser Zeit an – Perpetua hielt es für eine liebreiche Schickung Gottes – verlangte das Kind nicht mehr nach der Mutter.

Nach wenigen Tagen kommt ihr plötzlich mitten im Gebete das Andenken ihres früher verstorbenen Bruders Dinokrates in den Sinn, sie erstaunt, dass dieses bis anjetzt noch nie der Fall gewesen und sie seufzt um ihn zum Herrn. In der Nacht in einem Gesichte sieht sie sofort diesen Bruder aus einem finsteren Ort, wo Viele beisammen waren, herausgehen, ganz erhitzt und lechzend vor Durst, mit schmutzigem Angesicht und von bleicher Farbe, mit der Wunde, die er hatte als er am Gesichtskrebse elend gestorben, allen Menschen ein Entsetzen. Zwischen ihr und ihm fand sich ein großer Zwischenraum, so dass die Geschwister nicht zu einander konnten. An dem Ort, wo Dinokrates weilte, stand ein Teich voll Wasser, der aber einen höheren Rand hatte, als dass der Knabe ihn hätte erreichen können. Dieser streckte sich aus, als ob er trinken wollte, aber er mochte nicht, weil der Rand zu hoch war; da erwacht Perpetua und erkennt, dass ihr Bruder leide; aber sie vertraut, dass ihr Gebet seinen Leiden abhelfen werde und sie betet nun Tag und Nacht für ihn mit Seufzern und Tränen. Nun hat sie wieder ein Gesichte, der Ort, den sie zuvor finster gesehen, ist ihr jetzt erleuchtet, und ihr Bruder rein am Leibe, gut gekleidet und behaglich. Wo die Wunde war, sieht sie nur noch eine Narbe, und der Rand des Teiches ist niederer, dass er nur bis zur Mitte des Knaben reicht; es stand auf ihm eine Schale mit Wasser gefüllt, der Knabe trat hinzu und fing an zu trinken, die Schale wurde nicht leerer und gesättigt ging er vom Wasser hinweg, um nach Art der Kinder fröhlich zu spielen. Da erwacht sie und erkennt, dass er aus der Strafe entlassen war.

Immer näher rückte der Todestag; noch einmal kam ihr Vater vom Kummer wie verzehrt; er raufte sich seinen Bart aus, warf sich auf den Boden, und tat also, dass es alle Kreatur bewegte. Perpetua trauerte für sein unglückliches Alter. – Soviel Gotteskraft ergriff selbst den Gefangenwärter; er ließ die Brüder und Schwestern sich gegenseitig besuchen und stärken, ja er selber wurde gläubig.

Den Tag vor dem Kampfe hatte Perpetua das dritte Gesicht. Sie sieht den Diakon Pomponius, der sie öfters besucht hatte, an der Tür des Kerkers. Er klopft heftig und sie geht heraus zu ihm und öffnet ihm; er hat ein weißes Kleid an mit Glöckchen behangen, und sagt zu ihr: „Perpetua, wir erwarten dich, komm!“ Da nimmt er sie an der Hand, und sie gehen durch raue, unebene Wege. Beim Amphitheater angekommen, führte er die Atemlose mitten auf den Kampfplatz und sagt: „fürchte dich nicht, ich bin bei dir und helfe dir streiten;“ darauf geht er von dannen, sie aber gewahrt ringsum eine ungeheure Volksmenge, und sie wundert sich, dass immer noch keine Tiere auf sie losgelassen werden. Da geht ein Ägypter, hässlich von Gestalt, gegen sie heraus, um mit seinen Gesellen gegen sie zu kämpfen; es kommen ihr aber auch edle Jünglinge zu Hilfe. Sie entkleidet sich zum Kampfe und wird wie ein Mann; die Jünglinge salben sie mit Öl, wie es der Brauch, den Ägypter aber sieht sie im Sande sich wälzen. Bald kommt ein Mann herzu von so wunderbarer Größe, dass er auch die Höhe des Amphiteaters überragte; sein Kleid ist schön; unter der Brust der Purpur zwischen zwei Gürteln, mit verschiedenen Glöckchen von Gold und Silber besetzt; er trägt einen Stab wie ein Kampf-Herold, und einen großen grünen Zweig voll goldener Äpfel. Nachdem er Stille geboten, sagt er: „dieser Ägypter, wenn er diese besiegt, wird sie mit dem Schwerte töten; wenn sie aber ihn besiegt, wird sie diesen Zweig erhalten.“ Darauf tritt er ab und der Kampf beginnt. Sie schreiten auf einander zu und der Gegner sucht ihr die Füße zu fassen, sie aber schlägt mit den Füßen sein Gesicht; sie wird in die Luft gehoben, aber sie schlägt ihn nun so, als ob sie die Erde stampfte. Sie ersieht darauf ihre Gelegenheit, schlingt, Finger in Finger, die Hände zusammen und fasst dem Gegner das Haupt, dass er aufs Angesicht fällt, und zertritt ihm den Kopf.

Das Volk beginnt zu rufen, und ihre Beschützer triumphieren; sie aber geht zum Kampfherold und empfängt den Zweig, und er küsst sie und sagt: „Tochter, der Friede sei mit dir;“ und im Triumphe geht sie nun hin zum Tore. Da erwacht sie und erkennt, dass sie nicht gegen die Tiere, sondern gegen den Teufel streiten müsse, aber sie weiß auch, dass ihr der Sieg zu Teil werde.

Dies sind die drei Gesichte, die Perpetua vor ihrem Hingang gesehen. Der Preis des Sieges und der Glorie ist dann in einem vierten Gesicht ausgelegt, das dem unterdessen gleichfalls verhafteten Saturus, ihrem Bruder, geworden. Sie hatten, so schien es ihm, ausgelitten und waren aus dem Fleische gegangen und wurden von vier Engeln, deren Hände sie nicht berührten, gen Morgen getragen; sie gingen aber nicht liegend, sondern aufgerichtet, als ob sie einen sanften Hügel hinanstiegen. Sie sahen nun das erste unermessliche Licht, und Saturus sagt zu Perpetua an seiner Seite: „das ist es, was uns der Herr verheißen; wir haben die Verheißung empfangen.“ Und wie sie weiter getragen werden von vier Engeln, öffnet sich ihnen ein weiter Raum gleich einem Lustgarten voll Rosenbäumen und allen Arten von Blumen; die Bäume sind hoch wie Zypressen, ihre Blätter aber rieseln unaufhörlich zur Erde nieder. Hier nun im Lustgarten empfangen sie vier andere Engel, herrlicher denn die ersten, und wie sie die Kommenden gewahrten, erweisen sie ihnen große Ehre und sagen den übrigen Engeln: „siehe, sie sind’s, sie sind’s.“ Abgesetzt von den vier ersten Engeln, die sie getragen, durchschreiten sie dann den Raum auf breitem Wege und finden dort die Vorangegangenen, die dieselbe Verfolgung erduldet; und sie fragen, „wo die Übrigen seien,“ und die Engel sagen: „kommt vorerst, tretet herein, und begrüßt den Herrn.“ Und sie kommen an einen Ort, dessen Wände waren als ob sie von Licht erbaut wären; und am Eingang stehen vier Engel, welche die Eintretenden mit weißen Gewändern bekleiden. Auch sie gehen bekleidet hinein, sehen ein unermessliches Licht und hören eine vereinte Stimme, die unaufhörlich heilig! heilig! heilig! rief. In Mitten des Orts aber sitzt ein alter Mann mit schneeweißem Haar, doch jugendlichem Antlitz, seine Füße sind bedeckt; vierundzwanzig Älteste stehen zu seiner Rechten und Linken und hinter ihm noch viele andere. Sie harren nun mit Verwunderung vor dem Thron; und die vier Engel heben sie auf und küssen ihn und er wirft es ihnen von seiner Hand zurück. Die übrigen Ältesten sagen: wartet! Und sie geben ihnen den Friedenskuss und sagen: geht hin und spielt! Saturus sagt darauf zu Perpetua: „Du hast nun, was du willst;“ sie aber erwidert: „Gott sei Dank! wie ich auch im Fleisch fröhlich war, so bin ich hier noch viel fröhlicher.“

Das sind die vorzüglicheren Visionen von Perpetua und Saturus, wie sie dieselben selbst beschrieben haben. Und es ging, wie sie gesehen hatten.

Es war alter Brauch, dass man denjenigen, welche den wilden Tieren vorgeworfen werden sollten, den Tag vor ihrem Tode eine Mahlzeit bereitete. Noch einmal sollten sie vollkommene Freiheit haben, sich des Lebens zu freuen und sich gütlich zu tun. Perpetua aber und ihre verurteilten Genossen – Männer und Frauen – feierten das Mahl der Liebe mit einander, und mahnten das Volk, das herzugelaufen, an das Gericht Gottes, und priesen ihre Fesseln.

Endlich war der letzte Tag gekommen; aber nicht als ob es zum Tode ginge, sondern in den Himmel, – mit solcher Ruhe und Würde zogen sie aus dem Kerker ins Amphitheater, und wenn sie zitterten, so zitterten sie nicht vor Bangigkeit, sondern vor Wonne. Angekommen an der Pforte, wollte man sie zwingen andere Kleider anzulegen: die Männer den roten Mantel der Priester des Saturn, die Frauen die weiße Binde der Priesterinnen der Ceres. Es war noch eine aus dem blutigen punischen Baalskultus erhaltene Sitte. Aber Perpetua trat dagegen auf im Namen der Übrigen. „Darum,“ sagte sie, „sind wir freiwillig hierhergekommen, damit wir unserer Freiheit nicht beraubt werden, darum geben wir unser Leben dahin, um dergleichen nicht tun zu müssen; das ist unser Vertrag mit euch.“ Der Tribun erkannte die Billigkeit der Forderung.

Perpetua lobte nun Gott, dass die Zeit gekommen, das Haupt des Ägypters zu schlagen. Drinnen im Amphiteater wandten sich die Verurteilten, die Männer, noch einmal an das versammelte Volk und bedrohten es mit dem Gerichte Gottes. Dem Hamilkar aber riefen sie fest und mutig zu: „Jetzt verurteilst uns du; dermaleinst aber wird Gott dich richten.“ Das gereizte Volk verlangte, dass sie gegeißelt würden; es geschah; sie aber frohlockten, nun auch dieses Teils der Leiden des Herrn gewürdigt worden zu sein.

Man ließ auf die Männer Leoparden, Bären und wilde Eber los. Perpetua mit ihrer Freundin Felicitas sollte von einer wilden Kuh zerrissen werden. Man hatte ihr die Kleider ausgezogen und sie in ein netzförmiges Gewand gehüllt. Aber ihre Verschämtheit machte selbst auf das Volk Eindruck und es wurden ihr wieder ihre Kleider angezogen. Beim ersten Stoß des Tieres fiel sie alsbald rücklings nieder; wie sie aber gewahrte, dass ihr Kleid zerrissen sei, suchte sie sich wieder zu verhüllen, mehr der Schamhaftigkeit als der Schmerzen eingedenk. Dann flicht sie die Haare in einen Bund zusammen, weil es nicht ziemte, dass ein Märtyrer mit fliegenden Haaren litte, damit es nicht scheine, als ob er in seiner Ehre trauere. Darauf erhob sie sich, trat zu ihrer Freundin und Leidensschwester Felicitas und reichte ihr die Hand zum Aufstehen und also blieben beide ruhig stehen. – Da sah sich selbst das rohe Volk bezwungen und man führte Perpetua mit ihrer Freundin in das Sanavivarische Tor zurück. Hier wurde sie von einem Katechumenen, Rustikus, der ihr treu anhing, in Empfang genommen und es war ihr, als ob sie so eben erst aus tiefem Schlaf erwachte. Sie wandte ihre Augen nach allen Seiten um. „Wann,“ fragte sie dann zum großen Staunen aller Anwesenden, „wann werde ich denn einmal jener wilden Kuh ausgesetzt werden?“ Und als man ihr erwiderte, es sei bereits geschehen, wollte sie es nicht glauben, als bis sie an ihrem Körper und Kleid die Spuren bemerkte. Nun ermahnte sie noch die Umstehenden: „Seid fest im Glauben, liebt einander, lasst euch durch unsere Leiden nicht einschüchtern.“

Junge Fechter gaben, so war es Brauch, denen, welche von den Tieren nur halb getötet waren, den Gnadenstoß mit dem Schwerte. Das Volk wollte sich an diesem Sterben weiden, Perpetua und ihre Leidensgefährten wurden wieder in die Mitte des Amphitheaters geführt. Sie gaben sich nun gegenseitig den Friedenskuss zum Abschied aus diesem Leben und machten sich bereit in aller Stille. Ein wenig schrie Perpetua auf, schnell aber führte sie dann selbst die zitternde Hand des Fechters an ihren Hals und lautlos empfing sie den Todesstoß.

So litt und starb Perpetua. Die Kraft des Herrn war in der Schwachen mächtig, die Rechte des Herrn behielt in ihr den Sieg. Als Felicitas im Kerker, eines Kindes genesend, über die Geburtswehen laut geschrien und der Kerkermeister ihr darüber gesagt hatte: „Wie willst du doch die größere Pein ertragen, wenn die geringere dir so nahe geht?“ erwiderte sie: „dieser Schmerz ist mein Schmerz, der andere aber der des Herrn, und der wird mir ihn tragen helfen.“ So war es; die Seele der Gemarterten floh, während der Leib blutete und brannte, in ihr innerstes Heiligtum hinüber in eine selige Stille, die von keiner Henkerfaust gestört und wo sie von keiner Qual berührt werden konnte. Im Leibe noch war die durch Christum befreite Seele gleichsam außer dem Leibe, dem Leiden der Zeit entnommen, aus dem irdischen Schmerz in die himmlische Wonne entzückt; des Todes Stachel war stumpf, mitten im Unterliegen rief der Geist in ihnen „Triumph!“

Beata Sturmin, genannt die württembergische Tabea.

Beata Sturmin, genannt die württembergische Tabea.
Aus dem reichen Leben einer christlichen Fürstin treten wir in das stille Kämmerlein einer einfältigen Magd des Herrn, deren Leben der edle Glaubenszeuge Konrad Rieger als einen lebendigen Beweis hat darstellen wollen, dass auch aus dem Schoße der evangelischen Kirche auf Grund des lautern Bibelglaubens geistliche Helden und Heldinnen hervorgehen können, wie die katholische Kirche sich deren berühmt um sie auf Grund selbsterwählter Geistlichkeit in den auserwählten Chor ihrer „Heiligen“ zu stellen. Ohne Zweifel würde Beata Sturmin, in der römischen Lehre erzogen, sich als Ordensschwester, wo nicht Ordensstifterin ausgezeichnet haben und auch unter den Trübungen dieses Standes und Bekenntnisses ein leuchtendes Vorbild dessen geworden sein, was die Gnade in einer ihr übergebenen Natur vermag. Wir freuen uns nun um so mehr, in dieser Jungfrau ein von äußerer Werkheiligkeit unverschleiertes Bild eines tiefen innern Lebens schauen zu dürfen, das selbst bis an die schmale Linie, welche sie von wirklichen Verirrungen des geistlichen Wesens und Wirkens trennt und über welche sie vielleicht mit einem Fuße hin und wieder zu treten den Anschein hat, im innersten Sinne des Wortes innere Mission zu treiben im Stande ist. Nur in dem Maße, in dem es uns gelingt durch den Geist der Heiligung am innern Menschen zuzunehmen, werden von unserem Leibe auch nach außen jene Ströme fließen können, die ins ewige Leben quellen – das bestätigt uns der Lebenslauf dieser Seligen. An demselben werden zwar nicht Alle volle Freude finden; aber es gibt angefochtene und heilsbegierige, versuchte und trostbedürftige Seelen, die für ihre freudvollen und leidvollen Erfahrungen darin viel Bestätigung, für ihren Glaubensgang und ihr Heiligungsgeschäft viel lichtvolle Winke finden und das Leben der tiefgegründeten und vielbewährten Jungfrau dankbar für den gewährten Einblick in die Werkstätte des heiligen Geistes segnen werden.

Durch das Gericht des Spottes und der schmählichsten Verhöhnung ist sie bereits in vollem Maße gegangen, namentlich in einer zu Halle 1789 erschienenen freigeistigen Spottschrift auf die württembergische Tabea. Der evangelischen Prüfung, die das Geistliche geistlich richtet, kann sie sich nie und nirgends entziehen wollen. Beata selbst hat in Demut ihre Mitwirkung zu Aufzeichnung ihres Lebens verweigert, ja mehreres Schriftliche von ihr vor ihrem Tode dem Feuer übergeben. Was sie damals sagte: es werde viel gesammelt und geschrieben von dem Leben christlicher Seelen, sie sorge aber, dass solches Manchen, die es lesen, zum Aufenthalt und Hindernis, zu selbstgemachten Einbildungen und falschen Nachahmungen ohne eigene Erfahrung und Übung gereichen dürfte – das sei auch hier an die Spitze gestellt als ernste Mahnung für die Leser und zugleich als Zeugnis der Weisheit und Demut, welche das Wesen dieser christlichen Jungfrau schmückte.

Beata Sturm wurde am 17. Dez. 1682 geboren. Ihr Vater war der um Württemberg hochverdiente fromme Doktor Joh. Heinr. Sturm, Oberjustizrat und Landschaftskonsulent; ihre Mutter war Brigitte Beate, eine Tochter des Generalsuperintendenten und Abts zu Bebenhausen Joh. Conr. Zeller. In ihrer Jugend wurde sie im Lernen bald durch Schwäche der Augen gehindert; ein Star brachte sie bis in ihr elftes Jahr fast um alle Sehkraft; kaum zuvor war ihr Vater von den Franzosen als Geisel fortgeführt worden und bald darauf starb ihre Mutter. Nach fünfmaliger ärztlicher Behandlung wurde sie vom Stare so weit befreit, dass sie unter Leitung ihres glücklich zurückgekehrten Vaters das Lesen vollkommen, das Schreiben zur Notdurft sich aneignen konnte. Der Gebrauch von Gesundbrunnen besserte immer wieder ihre von Zeit zu Zeit aufs neue abnehmenden Augen. Von 1709 an, nach dem Tode ihres Vaters führte sie mit ihrem jüngeren Bruder bis 1711 die Haushaltung fort, dann ging sie zu dem Prälaten Esenwein in Blaubeuren, ihres Vaters Herzensfreund, in die Kost bis 1713, worauf sie bei ihrem älteren Bruder, der Advokat und Sekretär der Landschaft war, in Stuttgart bis zu ihrem Tode blieb. In diesen wenigen Zügen ist ihr ganzer äußerer Lebensgang beschlossen. Je einfacher ihr äußeres war, desto reicher wurde ihr inneres Leben.

In ihrem eigenhändigen ganz kurzen Lebensabrisse sagt sie, wie ihr Taufnahme Beata (die Selige) ihr stets eine rechte Aufmunterung zum heiligen Wandel gewesen sei. Sie habe, obwohl von trefflichen Eltern geboren und erzogen, doch von Natur gar ein trotzig und verzagt Herz gehabt, aber erst nach Entziehung der Gnade Gottes habe sie dasselbe erkennen gelernt. Ihr Vater war ein durchaus bibelfester Mann, der sich sein hebräisches altes und griechisches neues Testament nach der Versezahl zu einer täglichen Bibellesung von 73 Versen abgeteilt hatte. Diese Ordnung nahm auch sie an, so dass sie die Bibel jährlich ganz und in ihrem Leben etlich und dreißigmal auslas, trotz ihrem blöden Gesichte. Dadurch wurde sie denn auch so mit derselben bekannt, dass sie nur den Anfang zu sehen brauchte und dann auswendig fortfahren konnte. Außer der Bibel las sie kaum ein Buch, aber welcher Schatz des manchfaltigsten Wissens und der tiefsten und breitesten Erkenntnis ruht in diesem „Lagerbuche der Welt“, welche umfassende Bildung gewährt die anhaltende Beschäftigung damit und wie herrlich ist eine solche gründliche Bibelkenntnis, von der selbst ein Goethe, der „Meister der heutigen Bildung“ das schöne Wort zum Lobe der vorzüglichen Würde der Bibelfestigkeit zu sagen wusste: „Wer mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht hat, dass er als lebendiges Register von allen Sprüchen wo und in welchem Zusammenhang sie sich finden, Rechenschaft zu geben sich geübt hat, die Hauptstellen aber auswendig weiß und solche zu irgend einer Anwendung immerfort bereit hält, dem muss eine große Bildung daraus erwachsen, weil das Gedächtnis immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt dem Gefühl, dem Urteil reinen Stoff zu Genuss und Behandlung aufbewahrt.“

Ihre Eltern ließen ihre Kinder keine Sprüche noch Psalmen auswendig lernen, sie brachten ihnen dieselben durch den Gebrauch bei, überhaupt ermahnten sie nicht durch Worte, sondern durchs Beispiel. Nicht einmal gebetet hat ihr gottseliger Vater mit und vor seinen Kindern, sondern nur in seinem Kämmerlein, was Beata mit Recht nicht billigt, dagegen habe ihre Mutter fleißig auf den Knien gebetet, was einen unauslöschlichen Eindruck auf Kinder und Gesinde gemacht habe und von einer Magd noch nach vielen Jahren dankbar erkannt worden sei. Zur Kennzeichnung ihres Vaters gehört, wie er sich hat freiwillig von den Franzosen als Geisel abführen, dann nach vierjähriger harter Gefangenschaft heimgekehrt, ein Bad zurichten lassen mit den Worten: nun wolle er alle böse Reden und erlittene Schmähungen abwaschen. Als er später eine Zeitlang um seinen Dienst gekommen, habe er kein Wörtlein Klage geführt und fröhlich vor und nach Lesung der Bibel sein Lied „Jesu deine tiefe Wunden“ fortgesungen. Eine fröhliche Erinnerung für die Tochter war es immer, wie ihr Vater auf Grund täglicher Buße und Erneuerung im Geiste so eine große Gewissheit der Seligkeit gehabt.

So blieb denn auch sie wie wenige Seelen in ihrer Taufgnade fest durch die Kraft des Geistes Jesu Christi, den sie täglich anrief und dem sie sich wiederholt schriftlich angelobte. „Vergess ich Dein, o Jesu, so werde meiner Rechten vergessen. Meine Zunge müsse an meinem Gaumen kleben, wo ich nicht Dein gedenke, wo ich nicht lasse Jesum meine einzige Lust und Freude sein. Amen. Beata Sturmin“ so schließt ein Gelübde von ihr. Dennoch sah sie in ihrem späteren Alter ihre Jugend an als fast ganz fruchtlos zugebracht. Sie hatte auch zu kämpfen mit den Unarten des jugendlichen Herzens, sonderlich mit einer natürlichen Neigung zum Spötteln, auch mit mancher Lust zu Pracht und Eitelkeit der Welt in Kleidern und andern Ehrendingen äußeren Standes. Als sie es merkte, suchte sie dieser Neigung zu entsagen, aber auch da fand sie, dass sie es nicht sowohl aus Liebe zu Gott als vielmehr aus Eigenliebe, um das sie verklagende Gewissen zu stillen tue, erst später vermochte sie die noch anklebende Lust vollends hinwegzuschaffen und sich selbst zu verleugnen.

Als sie schon im zehnten Jahre das Gesicht verloren und nach Tilgung des Stars noch einen Sauerbrunnen brauchen sollte, musste sie sich alle Gewalt dazu antun, denn sie dachte, sie könnte mit so weit wiederhergestelltem Gesichte schon zufrieden sein. Da sei ihr das Wort 1 Kor. 7,21 eingefallen: „Kannst du frei werden, so gebrauche das so viel lieber,“ und sie habe gefunden, es sei Gott nicht zuwider, ein noch besseres Gesicht zu suchen, wenn sie es nur nicht nach ihrem, sondern nach Gottes Willen geschehen lassen wolle. So habe sie denn drei Wochen den Brunnen gebraucht unbekümmert um den scheinbar fehlenden Erfolg, dann aber nach endlich eingetretener Besserung herzlich gedankt, dass sie wieder ein Blümlein sehen konnte, ja auch dafür, dass sie blind gewesen und nun um so mehr die Herrlichkeit der Schöpfung bewundern könne, an welcher sie sonst vielleicht wie Tausende mit sehenden Augen blind vorübergegangen wäre.

Von ihrer Kindheit auf hatte sie eine gar widrige Person um sich gehabt, von der sie viel und unbillig hart angelassen, ja angeschwärzt wurde. Doch hat sie nie bei ihrem Vater darüber geklagt, sondern weil jene Person demselben diente, was sie bei ihrer Blindheit nicht konnte, hat sie aus Liebe zu ihrem Vater, dieses Leiden still getragen. Nach ihres Vaters Tod kam die Person in ein fremdes Haus und sie waren geschieden. Beata aber hatte keine Ruhe in ihrem Gewissen, dass sie jenes Alles nicht mit mehr Liebe und Sanftmut auf sich genommen habe und bat die Person um Verzeihung deswegen. Diese, welche das Wort des Apostels nicht kannte: „seufzt nicht wider einander und seid niemand nichts schuldig, denn dass ihr euch unter einander liebt,“ lachte über die heilige Einfalt solcher Abbitte, da ja sie selbst sich als die Beleidigende wusste. Aber ihr Herz wurde dennoch dadurch untergraben und zur Liebe gelenkt, dass sie fortan der Jungfrau mit aller Freundlichkeit begegnete. Als nun nach Jahren die Person in eine ekelvolle Krankheit verfiel, dass Niemand um sie bleiben mochte, so besuchte Beata sie fleißig, arbeitete treulich an ihrer Seele und gewann dermaßen die Kranke, dass sie freiwillig ihre Wohltäterin um Verzeihung der früheren Beleidigungen bat, und nun war Beata die Selige, dass sie durch jene sich selbst verleugnende Abbitte einen solchen Zugang zu diesem verschlossenen Herzen erlangte. Sie fuhr nun um so eifriger fort in brünstiger Fürbitte für die Arme, die ihr zwanzig Jahre lang so viel Leid getan, dass der Herr Barmherzigkeit an ihr erzeigen wolle und nach seinem Worte ihr vergebe, wie sie ihr längst vergeben habe.

Von Kindheit auf ans Wort gewöhnt lernte sie übrigens erst in den Predigten des Diakonus Unkauf das Wort verstehen, das man, wie ein erleuchteter Christ sich ausdrückte, „hundertmal lesen und erklärt haben kann, bis erst spät, und wenn man ins Gedränge kommt, das ganze Licht aufgeht, das in einem Spruche ist und die schwierigsten Fragen so hell und klar macht, dass man sich nur wundern und fragen muss: warum hast du das nicht früher gemerkt?“ Ohne zu wissen, was in diesen Predigten sie besonders ergreife, spürte sie dabei etwas ganz anderes als bisher, sie sei, sagte sie, gleichsam umzingelt und gefangen worden und sei gewesen, als ob sie mit Allem ganz allein gemeint wäre. Aus dieser Erfahrung heraus tröstete sie auch oft Eltern und Prediger: sie sollten nur getrost zum Herrn ermahnen, scheine es lange vergeblich zu sein, so wachen doch endlich die gehörten Wahrheiten auf, zumal unter Leiden. So fei ihr namentlich das Wort eines Predigers über die Pflicht der Waisen, sich als zu solchen Leiden berufen zu achten wie ein Blitz eingeschossen, als ihr Vater gestorben, nachdem sie lange die Predigt als eine für sie vergebliche gehalten und vergessen hatte, weil ihr Vater noch lebte.

Der Tod ihres Vaters lehrte sie die Wahrheit des Wortes erfahren, dass das Weizenkorn ersterben müsse, damit es viel Frucht schaffe. Wie nach Abrahams Tod Gott seinen Sohn Isaak segnete, so fühlte sie nach ihres Vaters Tod neu angehenden Gottes-Segen. Sie zog ins stille evangelische Kloster Blaubeuren zu ihrem väterlichen Freunde Esenwein unter lauter Beten, und um so eifrigerem, je mehr der rohe Kutscher, der sie führte, auf seine Mähren hineinfluchte. In Blaubeuren warteten ihrer die stärksten innerlichen Kämpfe. Schon früher fand sie sich in ihrer Schwermut von entsetzlichen Gedanken an Selbstmord gequält, so dass sie bisweilen nicht wagen durfte, nahe an ein Fenster zu gehen. Damals und in ihrer zweijährigen Einsamkeit daheim nach ihres Vaters Tode waren solche Versuchungen noch mäßig, denn wie ihr Lebensbeschreiber mit Geistesblicken in die Tiefen der Schrift und des Satans, von denen der Apostel Paulus spricht, bemerkt, solche Versuchungen in der Wüste und Einsamkeit sind nur für einen Jesus, der Gottes Sohn ist; erst nachdem Beata unter Aufsicht und Führung des gottseligen Mannes in Blaubeuren gekommen war, wurden die stärkeren Anfechtungen zugelassen.

Vor Allem war der geübten Beterin oft das Beten so schwer, dass sie Gott keinen Vater mehr nennen konnte, bis sie aus Psalm 68,6 „Gott ist ein Vater der Waisen“ wieder Licht und durch eine einfache fromme Magd, die selber Waise war und dafür dankte, dass sie sich gewiss aller der Waisen geschehenen Verheißungen getrösten dürfe, Trost bekam. Ein anderes Mal erachtete sie sich unfähig zur Beichte im vollen Gefühle ihrer Unwürdigkeit, bis ihr das Wort in den Spr. Salomos 9,4.5 „kommt ihr Alberne und esst von meinem Bissen,“ und in dem Worte Joh. 6,37 „wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“ wieder Freudigkeit gab. In unsägliche Angst kam sie dadurch, dass einst, während sie den Klosterschülern heimlich zugehört hatte Chor halten, der versucherische Gedanke in ihr aufstieg, sie solle sich jetzt erstechen, da es niemand sehe, sie lasse ja doch nicht nach zu sündigen und es sei besser ihrem Leben ein Ende zu machen, als so fort Sünden zu häufen. In dieser fürchterlichen Finsternis blitzte ihr das Wort ins Gemüt, „du sollst nicht töten,“ da lief sie mit Zittern in ihr Kämmerlein, flehte zum Herrn, er wolle ihr tun, was er nach Jer. 18,4 könne und stand wieder guten Mutes auf. Doch erfuhr sie, dass „wenn man einen Kampf ausficht, das macht’s noch nicht.“ Ihre ärgste Anfechtung war später, dass sie selbst an Gottes Wort zweifelte und den ganzen Grund ihres Glaubens umgerissen sah. Da lebte das Wort aus Psalm 119,38, das lange in ihr geschlafen, frisch auf: „Lass Deinen Knecht dein Gebot fest für Dein Wort halten, dass ich Dich fürchte“ und der Feind wurde abgeschlagen, ihr Herz mit Freude erfüllt.

Je fester ein Christ im Worte wird und in der Gnade, desto weiter wird sein Herz, desto enger sein Gewissen. Einst wollte Beata ihrer Gevatterin ein Huhn in das Wochenbett verehren und weil sie meinte sparen zu müssen, dem armen Verkäufer an der kleinen Forderung abbrechen. Kaum war derselbe nicht ohne sich darüber zu beschweren fort, so fiel’s ihr heiß aufs Gewissen, dass sie den armen Mann so hart gehalten. Sie ließ ihn aufsuchen, konnte ihn aber nicht mehr finden, und je mehr sie sich nun bekümmerte, desto mehr bewog sie es, den Armen ein Mehreres zu geben. Das ist ein Punkt, den auch eine der bewährtesten Armenfreundinnen unserer Tage, Amalie Sieveking ihren Schwestern mit gutem Grunde vorhielt, da von Bemittelten so oft unrechterweise Sparsamkeit geübt wird an armen Verkäufern und Arbeitern, denen der abgebrochene Kreuzer gerade so wehe tut, als so mancher flugs für Putz und Vergnügen ausgegebene Taler schwer in die Waage des ewigen Richters fällt. Spare am rechten Orte, und du kannst ein Übriges geben den Dürftigen!

In den Nöten ihres Gewissens war Beata trefflich beraten von dem würdigen Prälaten, dessen erbauliches Leben sie täglich mitansehen durfte. Der tat täglich Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung auf den Knien für alle Menschen und für die Obrigkeit, versäumte keinen Sonntags-Gottesdienst und heiligte die übrige Zeit des Sonntags mit Beten, Singen, Lesen und erbaulichem Gespräche; um dem Feiertage sein Recht nicht zu verkürzen, machte er zur Regel, dass nur selten am Sonntag gekocht und am Samstag so viel vorgesehen wurde, damit für den Sonntag gesorgt war. Endlich las er nach dem Morgen- und Abendsegen aus der Schrift vor und erläuterte das Gelesene kurz, durch welches wiederholte Lesen die Schrift auch seinen Hausgenossen, namentlich seiner Frau so bekannt wurde, dass wenn etwa eine Magd im Lesen bei einem unbekannten Worte oder Namen angestanden, sie derselben an der Kunkel1]Spinnrocken, Spindel sitzend alsbald auswendig forthelfen konnte.

Nachdem dieser Mann Stiftsprediger und Konsistorialrat in Stuttgart geworden war, kehrte sie mit ihm in ihre Vaterstadt zurück und leuchtete dort, obschon „als eine geistliche Biene ihr vornehmstes Geschäft im Verborgenen treibend,“ als ein heller Stern durch ihren ungefärbten Glauben, ihre lebendige Hoffnung, ihre brünstige Liebe gegen Gott und alle Menschen, ihr Anhalten am Gebet und am Worte Gottes, durch ihre seltene Klugheit und Erfahrung, ihren lieblichen Umgang, ihr christliches Leiden und seliges Sterben.

Neben der Schrift, in der sie allein Jesum suchte und fand, (Matth. 17,8.) dienten zur Förderung ihres Glaubens wesentlich Luthers Schriften, an denen sie sich nicht satt lesen konnte und die sie allen andern Büchern vorzog, weil ihr Niemand außer ihrem Luther Christum so köstlich zu predigen und groß zu machen verstand. Selber auf diesen Eckstein erbaut, wusste sie müde Seelen auch auf ihn hinzuweisen; sie konnte ein Wort von Sünde und Gnade mitreden, weil sie, wie sie sich gerne ausdrückte, selber auch hinter dem Ofen gesessen. Hunderten wies die Vielerfahrene den rechten Weg zum Frieden. Aus ihrer Erfahrung heraus gab sie solchen, die um Heiligung bekümmert waren, aber vor lauter Vorsatz nicht zur Erfüllung kamen, unter anderem folgenden Fingerzeig: Sie habe sich ehedessen viel Unruhe gemacht mit so viel angeloben, wenn sie in einer Predigt recht warm geworden sei, da habe sie sich weiß nicht was zu ihrem Christentum vorgenommen. Ehe sie sichs aber versehen, so sei wieder ein Fehler vorgekommen und habe sie beunruhigt, dass sie immer von neuem anfangen musste. Nun habe sie sich nicht mehr mit so viel geloben gebunden, sei ihr ein Fehler offenbar geworden, so habe sie den kurzen Weg genommen, sei zu Christo gelaufen und habe ihm den ganzen Handel heraus gesagt, wobei sie in der Tat weiter gekommen sei und sich besser befunden habe. Auf solche Weise habe sie auch erfahren: Wer fromm leben wolle, müsse vorher selig sein, d. h. durch Glauben die von Christo erworbene Seligkeit angenommen haben; weil sie denn das Annehmen, nicht das Angeloben bewährt fand, war sie froh, dass Gott ihr einen ganz kindlichen Geist gegeben habe; „so ihr nicht werdet wie die Kinder,“ … das heiße wie die kleinen Kinder, die größeren Kinder nämlich sind immer scheuer und ängstiger etwas zu begehren und anzunehmen, weil sie schon mehr Überlegung machen. Von ihrem „lieben Luther“ namentlich hatte sie gelernt, nur auf Gottes Wort hin anzunehmen. ohne auf eigene Geschicklichkeit, Würdigkeit oder Unwürdigkeit zu sehen oder auch an Empfindungen der göttlichen Gnade sich zu binden.

Beata ist zur innern Mission eben darin ein hohes Vorbild, dass sie nicht bloß durch ihr Beispiel zeigt, sondern aus ihrer Erfahrung heraus mit so klarem einfältigem Worte Winke zu geben versteht, wie ein Herz sich vorher selbst gründen und vollbereiten müsse, ehe es aus der Fülle ihres Glaubens Andern darreichen kann brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe. Bei ihr selbst ist der Quell göttlicher Liebe, die in sie ausgegossen war, immer völliger geworden in dem Maße als ihr Glaube kindlicher und stärker wurde. Je mehr sie dann selbst von ihrem freundlichen Herrn sich erfreut fühlte, desto mehr tat sie Fleiß, dass Niemand betrübt von ihr gehe; sie hatte es erfahren, wie weh es dem Herzen tut, dem um Trost bange ist, ohne Tröstung wieder heimgehen zu müssen.

Das volle Genüge, das sie in ihrem Innern hatte, seit der Geist der Freuden sie erquickte, die innere Seelenwaide war fast im eigentlichen Sinne ihr tägliches Brot. Sie war wohl zu hart gegen sich in Entbehrung von Genüssen und leiblicher Nahrung, aber was konnten ihre Freunde ihr entgegenhalten, wenn sie antwortete, sie erfahre was der Psalm 94,3 sage: Mein Leib und Seel freuen sich in dem lebendigen Gott; bei ihrem kränklichen Leibe sei es ihr durch und durch wohl, wenn sie bete, in der Bibel lese oder eine Predigt höre; selbst die Winterkälte der Kirche fürchte sie nicht, das von der Freude und Lust im heiligen Geist entzündete Herz ergieße seine belebende Wärme in alle Adern. Ganz gewiss, der Mensch lebt nicht vom Brote allein, sondern von Jeglichem, das aus dem Munde Gottes geht; die Seele erhält den Leib; das Wort „Erquickung,“ „Nahrung,“ „Sättigung“ im Geistlichen ist nicht ein bloßes Wort, und das fast Nahrungslose Leben eines Niklaus von der Flüe war kein unnatürliches Wunder.

Kraft dieser Einfachheit und Bedürfnislosigkeit war Beata auch fähig, eine unerschöpfliche Quelle des Wohltuns für Andere mit geringen Mitteln zu werden, dass ihr Lebensbeschreiber mit Umsetzung der Buchstaben ihres Namens Beata sie nach jener edlen Jüngerin in der Apostelgeschichte die württembergische Tabea nennen konnte. Sie war dieses Namens würdig nicht bloß durch das, was sie tat, sondern namentlich wie sie es tat. Trotz ihrer blöden Augen leuchtete aus ihr ein Licht freundlich und lieblich, wie wir unter unsern Zeitgenossen es zumal am seligen, auch fast blinden Neander als eine wahre Verklärung bewundern durften. Sie hatte in ihrem Äußern nichts Unangenehmes, geschweige Widriges, Ungebärdiges, Mürrisches und Sauertöpfisches, sie hatte die Geistesfrucht der Freundlichkeit und Fröhlichkeit in hohem Grade. Wer sie ansah, der musste mit Johann Arnd um einen „gleichen Strahl der Gottesliebe“ bitten. Von ihrer zarten Liebe gegen ihre Geschwister und Angehörigen, von ihrer treuen Dienstfertigkeit und Unermüdlichkeit in gesunden und kranken Tagen leiblich und geistlich soll nicht weitläufig gesprochen werden. Neben ihren Verwandten genossen ihre Liebe besonders die, welche der Liebe am bedürftigsten waren, die Verborgenen, die sich sauer Nährenden, die Verschuldeten, die Angefochtenen, die Witwen und Waisen, die Armen überhaupt, ferner die Kranken, die in Spitälern, Lazaretten und andern Löchern und Kammern Liegenden, zu welchen sonst nicht leicht Jemand einzukehren pflegt. Mit diesen machte sie sich bekannt, für sie sorgte sie nach eigenem Vermögen und durch Fürsprache bei andern, sie besuchte, tröstete sie, brachte ihnen Essen und Trinken und was ihre Hand fand; ihnen suchte sie mit leiblicher Erquickung die geistlichen Güter nahe zu bringen, so dass sie eine allgemeine Zuflucht der Betrübten und Verlassenen wurde und wie jene apostolische „Rehe“ bei ihrem Tode aufs schmerzlichste beweint wurde.

Ihr väterliches Erbteil an Kleidern, Schmuck usw. hatte sie sogleich zu Geld gemacht, und an die Armen gewandt. Nur für die äußerste Notdurft behielt sie übrig. Sie selbst kleidete sich unter ihrem Stande, um desto besser Nackte kleiden zu können. Als sie einst einem armen Weibe Essen gebracht hatte und dasselbe von ungefähr äußerte, wenn sie jetzt nur Jemand wüsste, der ihr ein altes Kleidlein zukommen ließe, in dem sie etwa auch nach einem Stückchen Brot sich umtun könnte, so tat Beata sofort ihren Rock ab und ging in ihrem langen Schlafrocke heim um buchstäblich das Wort zu erfüllen, Luk. 3, 11: Wer zwei Röcke hat, gebe dem, der keinen hat. Es war ihr sonst ein Gläschen Wein bei Tisch verordnet, sie meinte hernach: dass sie an einem halben genug habe und den anderen Teil zur Labung von Kranken anwenden könne.

Als ihr einmal so viele Bedürftige bekannt wurden, dass sie mit ihrem Einkommen nicht ausreichte, aber doch gerne geholfen hätte, so ruhte sie nicht, bis ihr erlaubt ward, einige hundert Gulden ihres eben nicht überflüssigen Vermögens aufzukündigen, und als sie nun mit vollen Händen austeilen konnte, war sie glückselig. Wollten Arme Geld von ihr leihen, so schenkte sie ihnen lieber etwas, denn sie wusste, dass Schuldner in der Regel ihr Herz gegen Gläubiger verschließen. Freilich konnte sie dann einige Mal den vom Arzte ihr angeratenen Sauerbrunnen nicht brauchen, da sie sich zu sehr vergeben hatte; – es kann und soll das keine Regel für Andere oder gar Alle sein, aber wer will ihr gram werden ob solcher allzu großen Selbstverleugnung, wenn sie nachher zu merken glaubte, ihre Augen wären dennoch den Winter über so gestärkt worden, als wenn sie am Brunnen gewesen wäre! Wie klug wusste sie dann, wo ihre Kräfte nicht ausreichten, Andere in die Mitarbeit der tätigen Liebe zu ziehen und ihre Leute am rechten Orte zu fassen. In einem Freundeskreise erwähnte sie einmal der großen Not mancher ihr bekannter Armen und der Versuchung , in welche dieselben durch das Elend kämen, weil sie keine Mittel habe, ihnen zu helfen, möchte sie lieber sterben, um aus ihrer Verlassenschaft ihnen eine erkleckliche Hilfe zukommen lassen zu können, denn wenn sie durch ihr Sterben den Unglücklichen nützen könnte, wie gerne wollte sie ihr Leben hingeben. Das tat bei einem reichen Anwesenden glücklichste Wirkung. In einer wirklich gefährlichen Krankheit dagegen wünschte und bat sie noch länger leben zu dürfen, bis sie die fünfzig Gulden heimgezahlt hätte, welche sie unbekannterweise bei Jemand für die Armen aufgenommen hatte. Weil sie, der’s eine Lust war, das Wort des Herrn zu erfahren: geben ist seliger denn nehmen, zu ihrem größten Leide so mancher Notdurft nicht abhelfen konnte, bat sie wie Moses (4 Buch Mos. 11,12) „ich kann’s nicht Alles tragen, schaffe mir vermögliche und willige Herzen, die mir tragen helfen.“ Und während sie für Andere sorgte, war sie fast allzu bedenklich, selber jemand für sich beschwerlich zu fallen. Freute sie sich, wenn sie mit ihren dunkeln Augen jemand eine Türe oder Haus zeigen, einer Magd eine Last aufheben, für sie die Kinder hüten, ja auch das Holz gelegentlich in die Küche tragen konnte, so hielt sie sich um so weniger dafür da, sich dienen zu lassen. Ängstlich bemühte sie sich ihren beschäftigten Freunden nicht mit Besuchen überlästig zu werden. Litt sie Mangel, so nahm sie durchaus kein Geschenk an. Wurde ihr besseres Essen geschickt, so brachte sie es den Armen und Kranken. Um nicht besser zu leben als so viel Tausende ihrer armen Mitmenschen, entzog sie sich dem bessern Tisch ihres Bruders und kochte sich ganz einfach. Einmal kam sie selber so in die Not, dass sie zwei Tage keinen Bissen zu essen hatte und erfuhr, „dass es etwas Entsetzliches um das Hungerleiden sei.“ Wir werden auch dieses Übermaß der Entsagung nicht als Muster aufstellen, aber das anmerken dürfen, dass die Wohlhabenden ganz anders mit den Armen umgehen würden, wenn auch sie einmal im sauren Schweiße ihr Brot verdienen und mit Tränen essen oder erfahren müssten, was Hunger ist!

K. Rieger, ihr Lebensbeschreiber sagt übrigens ausdrücklich von unserer Beata, dass ihre Liebe und Mildigkeit anfangs größer gewesen sei als ihre Klugheit und Vorsicht. Sie maß nach ihrem zarten Gewissen alle anderen Menschen und musste erst lernen wie viel Bosheit unter der Armut stecke. Glücklicherweise waren die Ihrigen vorsichtiger, sie hätte sich um Alles bringen lassen von den sie oft missbrauchenden Armen, unter denen ihr nur eine einzige Frau vorgekommen ist, welche wirklich nur so lange Almosen annahm, als sie nicht arbeiten konnte. Durch die Erfahrung lernte sie die hohe Pflicht der Weisheit in der Liebe, und nach dem Vorbilde der klugen Jungfrauen zu handeln: „nicht also, auf dass nicht uns und euch gebreche“, da man durch unzeitige und unbedachtsame Liebe den andern sogar schädlich sein, also sich an ihnen versündigen könne. Da tat sie herzlich Abbitte für die frühere unweise Verwaltung ja Verschwendung der Güter Gottes über die sie zur Haushalterin gesetzt war und die ihr nun zum Gutestun fehlten; sie betete fleißig um Weisheit in Austeilung und Gebrauch des Möglichen und Nötigen: „Du hast mir’s gegeben, Du wirst auch Rechenschaft von mir fordern. Darum führe mich auch hierin nach Deinem Wohlgefallen auf ebener Bahn, dass ich nicht zu viel und nicht zu wenig tue. Verleihe aber auch, dass dieser mein guter Wille ein gutes Herz bei den Armen finde und sie zum Vertrauen auf Dich, zum Gebet und zur Frömmigkeit hinweise.“ (Röm. 15,30.31.) Bei viel traurigen Erfahrungen hatte sie auch manche liebliche Erfahrung zu machen. Als ihr z. B. einst Geld unter die Hände kam, überreichte sie einem guten Freunde fünfundzwanzig Gulden davon, solche an einen frommen Prediger auf dem Lande ohne ihren Namen zu übermachen. Dem Prediger war gerade ein Kind gestorben, von dem sie nichts wusste; er hatte nicht, wovon es anständig beerdigt werden konnte, ging mit seiner Frau ins Kämmerlein, trug Gott seine Not vor und bat um Hilfe. Da klopfte noch während ihres Betens der Bote an das Haus und überbrachte das Geld, wodurch sie unaussprechlich erfreut und im Vertrauen auf die gnädige Vorsehung Gottes herrlich gestärkt worden sind. Beata aber, als sie nachher den Zusammenhang erfuhr, war voll fröhlichen Lobes ihres Gottes, der also die Gabe zu rechter Zeit an den rechten Ort hat kommen lassen.

Schon aus diesem ergibt sich, dass Beata eine so selige Geberin sein konnte, weil sie eine fröhliche Beterin war. In der Tat bestand, wie sich K. Rieger ausdrückt, ihr ganzes Leben in dem geistlichen Atemholen des Gebetes und in nützlichen Verrichtungen. Sie hat entweder gebetet oder ein gutes Werk getan. Ja sie hat nichts getan, als gebetet, denn in Allem war ihr Herz auf Gott gerichtet und in seinem Umgange. Bisweilen brachte sie halbe Nächte, ja eine ganze Nacht in anhaltendem Gebete zu. Eine Zeitlang war sie sich darin zu hart mit Frühaufstehen, sie ließ sich aber christliche Einsprache gefallen, um ihrem Leibe nicht zu schaden. Wollte sie in der Bibel lesen, in eine öffentliche Betstunde oder gemeinsame Erbauungsstunde gehen, wurde sie um Rat gefragt, so betete sie vorher und nachher. Hörte sie in ihrem Hause in die Ratsversammlung läuten, so beugte sie ihre Knie für die zu Rat gehenden Landstände mit Fürbitten und Flehen für sie und das ganze Vaterland. Trat sie in ein Haus ein, so sprach sie still: „Friede sei mit diesem Hause“ nach dem Befehle Christi. Luk. 10,5.

Obwohl sie vorzüglich aus dem Herzen zu beten pflegte, so hielt sie doch auch viel auf feststehende Gebetsformeln, namentlich beim Hausgottesdienste um der Kinder und des Gesindes willen. Vollkommen schätzte sie in seinem unbeschreiblichen Werte das Gebet des Herrn, das auf alle Zeiten und Zustände, besonders wenn der Quell des eigenen Gebetes nicht fließen wolle, passe. Wenn gute Freunde, sagte sie, von einander scheiden müssen, so kommen sie doch bald wieder im Vaterunser zusammen, denn das reiche über die kleine und große Gemeinschaft, ja in das Reich der Seligen im Himmel hinüber. Beim Tische sprach sie einfach das kern- und herzvolle „Aller Augen usw.“ Doktor Luthers. Die ihr nahestehenden Seelen brachte sie mit Namen in alle ihre Gebete. Dagegen hielt sie nicht viel von gemeinschaftlichen Gebetsübungen zwischen bestimmten Personen an gewissen Orten und bestimmten Stunden, weil dadurch bei den verschiedenen Seelenzuständen der Einzelnen leicht mehr verderbt als gebessert – gewiss auch geistliche Eitelkeit genährt – werde. Freunde sollen für einander im Kämmerlein oder im öffentlichen Gottesdienste beten.

Wie für alle Menschen so betete sie insbesondere täglich für das Vaterland, gewiss die herrlichste politische Tätigkeit einer christlichen Frau oder Jungfrau. Indem sie so Fürst und Volk auf dem Herzen trug, gewann sie zugleich eine seltene Einsicht in die öffentlichen Zustände. Die zunehmende Armut, die Fehler in allen Ständen, der hereinbrechende Abfall von der evangelischen Wahrheit lag ihr tief an und angelegentlich klagte und fragte sie darum bei ihrem Gott…. Es ist hier nicht der Ort, von den vielen Gebetserhörungen zu sprechen, deren sich Beata zum Lobe Gottes erfreute. Es genüge zu sagen, dass sie aus Erfahrung wusste, was Amen heißt. Nicht jedermanns Ding freilich ist solches Glauben, Beten, Ringen und Singen, wie Israel es tat, wie ein Luther es durfte, als er für Melanchthon bat: Du musst Philippum retten! Aber alle will der Geist der Gnade und des Gebetes lehren anzuhalten im Gebet, trotz Furcht und Widerstand und ob auch mit verdrossener Mühe begonnen wird, doch in fröhlicher Stimmung zu enden.

Dazu gehört nun freilich vor allem die feste Gründung in der Schrift und das treue Schöpfen aus diesem Heilsbrunnen. Unterstützt durch treffliche Naturgaben brachte Beata es durch unermüdlichen Fleiß und unersättliche Begierde, tägliche Übung und göttliche Erleuchtung zu einer seltenen Erkenntnis in geistlichen Dingen, zu einem gründlichen Zusammenklang der Heilslehren; durch treue Wiederholung des Gehörten und Gelernten, sowohl nach jeder Predigt als namentlich am Ende jeder Woche verstand sie fortwährend aus dem Ganzen ins Ganze zu wachsen. Da sie alle Jahre ihre Bibel zu Ende brachte, ward sie eine lebendige Vorratskammer und selbst eine aus der Tiefe schöpfende Auslegerin der Schrift, dass mancher erfahrene Prediger des Wortes mit Lust ihr zu Füßen saß und bekannte, nicht leicht Besseres über das gottselige Geheimnis hören zu können, als Beata mit einfältigen Worten zu geben pflegte. Ihr Lebensbeschreiber bringt solche Gedankenblitze und aus der Tiefe geholte Perlen der Erkenntnis und Auslegung aus ihrem Munde zum Beleg für die Fülle von Geist, die aus ihrem Herzen über die Lippen strömte. Ganz besonders zeigt sich die Gründlichkeit und Allseitigkeit ihrer Bibelkenntnis in der genauen Bekanntschaft mit dem alten Testamente, ohne welches in der Tat niemand im neuen Testamente recht zu Hause sein kann.

Beata, die so sehr in der Schrift zu forschen verstand und von der Gelehrte gern lernten, war damit weit entfernt von selbsterwählter Geistlichkeit, von vornehmer Absonderung, von Hinwegsetzung über die kirchliche Ordnung und den Gebrauch der kirchlichen Gnadenmittel. Sie war die fleißigste Kirchengängerin und versäumte ohne die größte Not auch nicht einen Wochengottesdienst. Das heilige Abendmahl genoss sie je nachdem sie hungerte oder dürstete, bisweilen alle drei Wochen. In demütiger Liebe hing sie ihren Geistlichen an und erklärte, es könne keine Predigt sein, woraus sie sich nicht erbaute und wenn’s nur der Kanzelgruß wäre, so halte sie ihn für eine hohe Gabe für sie elende und unwürdige Magd. Mit aller Gewalt widerstand sie den Verleitungen zur Aussonderung aus der gewöhnlichen kirchlichen Gemeinschaft, was gewiss sehr von ihrem gesunden Sinne und ihrer lautern Demut zeugt. Eben ihre Bibelkenntnis gab ihr geschärfte Sinne, nüchternes Urteil und klaren Einblick ins Herz und Leben. Damit war sie zu Beratung irrender und trauernder Gewissen, zu Tröstung der Verzagten, zu Befestigung der Zweifelnden, zu Aufbauung der Niedergeschlagenen, zu Ermunterung der Zurückbleibenden, zu Ernüchterung der Übergeistlichen und zum Schwärmen Geneigten trefflich geeignet. Einst erwiderte eine vom Lande gekommene Freundin auf ihre Frage: wie lange sie in der Stadt bleiben werde: „Sie wisse nicht, wie es ihr der Herr noch zeigen werde;“ da sagte Beata: „Ei, meinst du denn, Gott werde dir ein besonderes Wort geben, wann du wieder wegreisen sollst? Er hat dir Sinne und Vernunft gegeben, mit diesen kannst du messen und rechnen, was du hier zu tun hast und wie viel Zeit du bedürfest. Warum auf ein besonderes Zeichen warten? Es liegt ein geistliches Stölzlein darunter, da man dafür angesehen sein will, als stünde man so gar unter besonderer Leitung Gottes.“

In Demut und Liebe übte Beata vielen Hunderten zu gewiss ewigem Danke das geistliche Priestertum, das uns als ein unveräußerliches Erbstück der evangelischen Kirche Luther wieder gegeben hat, indem er jedem Christen Beruf und Sendung zuspricht, Angefochtene zu trösten und Vergebung der Sünden zuzusprechen. „Gott gibt einem jeglichen den Mund voll, dass er sprechen kann zu dem andern: Dir sollen deine Sünden vergeben sein. Darum soll sich ein jeder Christ gewöhnen, wenn ihn der Teufel anficht, dass er sich nicht lang mit ihm beiße und allein bleibe, sondern lasse zu sich fordern seinen Seelsorger oder sonst einen guten Freund, begehre Rat und Trost von ihm und gründe sich darauf: dass Jesus spricht, Welchen ihr die Sünde erlasst, denen sind sie erlassen.“ In solcher Seelenführung hatte Beata einen seltenen Takt, eine meisterhafte Klugheit und Weisheit; die Beispiele oder Aussprüche, die ihr Lebensbeschreiber von ihr anführt, geben selbst dem geübten Seelsorger die trefflichsten Winke. Wie wandte sie nur einst den Spruch Matth. 18,11. „Ich bin gekommen zu suchen und selig zu machen was verloren ist,“ bei einer ängstlichen in hartem Kampfe arbeitenden Seele an! „Setzt euch nur selbst herab wie Ihr wollt und glaubt das Ärgste von euerm Zustande,“ sprach sie, „Ihr könnt Euch nicht ärger machen, als dass Ihr Euch für verloren haltet.“ Als nun die angefochtene Person dieses bejahend noch ärger seufzte: das sei aber ihr Jammer, dass sie verdammt und verloren sei, antwortete Beata: „Eben da Ihr am weitesten draußen seid und Euch für verloren anseht und die Hoffnung sinken lassen wollt, so bedenkt doch, dass gerade hie wo Ihr aufhören wollt, das Amt Jesu Christi anfange, der gekommen ist zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Wo Alles für verloren aufgegeben wird, da fängt Er an zu suchen. Seine Hirtentreue ist auch gar nicht ermüdet, bis an Euch die Reihe kommt, dass Ihr vielmehr das Erste seid, woran er sie beweist.“ Und dieser Zuspruch geriet wohl, setzt Rieger hinzu, der von ihr bezeugt: sie habe Viele zur Seligkeit gewiesen.

Sie kam in die manichfaltigste Berührung mit Menschen, armen und reichen, gläubigen und noch nicht gläubigen. Ausdrücklich bekannte sie, es sei nicht gut, allein zu sein. Man werde dadurch selbstgefällig, selbstzufrieden, unlittig, lieblos, eigensinnig, und wolle Alles nach sich regeln und richten. Man müsse sich, wenn man fromm sein wolle, nicht in den Winkel einschließen, denn wenn man je daraus hervorkomme, so sei man wie ein verwöhnt Kind mit nichts zufrieden, ärgere und plage sich und Andere. Als nun ein Prediger ihr aber das Zerstreutwerden im Umgange mit zeitlichen und weltlichen Menschen klagte, antwortete Beata, die im Innern gesammelt, keine Zerstreuung zu fürchten hatte und weil sie der innern Heimat gewiss war, auch draußen daheim war, sie wisse nicht, was dieses Zerstreutwerden doch heißen solle. Sie habe sich jederzeit Alles zu Nutzen gemacht, was ihr vorgekommen und mitten im Getümmel, des Marktes habe sie innerlich gesammelt. Wenn sie nur mit ihren Augen recht unter den Menschen fortkommen könnte, sie habe sich oft gewünscht, lieber eine Magd im unruhigsten Wirtshause zu sein, als in der Einsamkeit für sich zu leben. Sie habe die besten Gedanken über den verachtetsten Arbeiten und wäre es auch, dass sie für eine kranke Magd selber die Schuhe reinige; sie spüre dass der Höchste etwas besonderes in das tätige Leben gelegt habe, und wenn man einmal Barmherzigkeit von Gott empfangen habe, soll man im Umgange ein Werkzeug der Gnade auch an Andern werden. Was Gott zusammengefügt, solle der Mensch nicht trennen.

Hiernach hat dieses lebendige Gefäß der Barmherzigkeit, statt sich klösterlich abzuschließen, viele tausende Gänge der Liebe getan oft ungesucht, nie ungebetet, oft aus Gehorsam, nie ungesegnet, oft ohne Dank und nie ohne Frucht – für sie oder die Andern. Da sie täglich dem Herrn ihre Wege befohlen, war sie ruhig, es mochte ihr begegnen was ihr wollte. Wer sie aber nur einmal näher kannte, der hörte ihr zu und wartete auf ihren Rat wie auf erquickenden Abendregen. (Hiob 29,21.) Auch in ihren Briefen, deren etliche in ihrer Lebensbeschreibung abgedruckt sind, zeigt sie sich als unerschöpfliche Quelle des Trostes, der Ermunterung und Freude, sie konnte nicht anders als ihre Lindigkeit allen Menschen, denen sie nahe kam, kund werden lassen, nachdem ihre Freude im Herrn war allerwege.

Bei solcher Freudigkeit nimmt es uns nicht Wunder, von ihr zu hören, sie sei schon über vierzig Jahre alt gewesen, als sie einst eine Predigt vom Ärgernis des Kreuzes hörte und da sie kein Kreuz zu haben glaubte, habe sie die Predigt sich eben etwa auf künftiges eigenes oder fremdes Bedürfnis aufbewahren wollen. Die Blödigkeit ihrer Augen erkannte sie nämlich nur als eine Wohltat Gottes mit fröhlichem Danke. Das wenige ihr übrig gebliebene Augenlicht, wenn sie damit zur Not etwas auflesen, oder jemand ein Haus zeigen konnte, half ihr zu dem Kindessinn, den auch das Geringste erfreut, und so dankte sie Gott für das Wenige viel mehr als sie gewiss für volles Augenlicht getan hätte. Auch zur Übung der Sanftmut erhielt sie manche Gelegenheit, wenn sie unversehens einem rohen Menschen in den Weg lief und seinen Fluch und Schimpf mit liebender Abbitte und Fürbitte zu sühnen fand. Ihr Kreuz war allein die ihr noch anklebende Sünde, diese brachte sie in die Gemeinschaft des Leidens Christi. Der in diesem Leben fortgehende Wechsel des Lichtes und der Finsternis im Innern war ihr eigentliches Leiden, bis sie gelernt hatte: „Am guten Tag hab‘ guten Mut, den bösen nehme auch für gut,“ und es zu machen wusste, wie jenes Weib, das sie einst sagen hörte: „Wenn ich gleich bisweilen ein Paar Tage lang kein Brot im Haus habe, so trage ich darum den lieben Gott nicht gleich aus bei andern Leuten.“ Ihr größtes Leiden aber waren jene geistlichen Anfechtungen, wenn Satan der alte Verkläger sich gegen sie legte im Gewissen, wenn der Lügner vom Anfang mit Zweifeln an dem Grunde ihres Glaubens und Hoffens sie bestürmte, wenn der unsaubere Geist vom Abgrunde lästerliche und hässliche Gedanken in den Stunden der Weihe in ihr aufsteigen ließ, wie jeder Christ solche Augenblicke als seine traurigsten und demütigendsten erfährt. Aber da gewann sie ihre Freudigkeit im Anschauen des versuchten, verlästerten und mit Speichel bedeckten Erlösers oder auch in der Erfahrung, wie zanksüchtige Personen durch das Widersprechen nur desto mehr aufgebracht werden, weswegen sie sich übte, bei solchem innern Aufruhr nur still an ihren erbarmenden Hirten sich zu halten und „die Hunde bellen zu lassen,“ endlich auch besonders in genauer Untersuchung ob diese Anklagen im Innern richtig oder mit Unrecht seien, (Joh. 18,23.) wo sie denn im letzteren Falle dieselben verachtete, in erstem Falle in Demut ihre Schuld erkannte, abbat und „es hernach gut sein ließ.“ Die Anfechtung selbst war ihr dann immer wieder ein Dank, denn sie lehrte sie immer tiefer aufs Wort merken.

Beata hatte ihre Sterbekleider längst gerüstet und ihr Haus bestellt, ihren Brüdern und den fünf Armenhäusern ihrer Vaterstadt je die Hälfte ihres Vermögens vermacht und ihre Lampe mit Öl gefüllt. Ihrer Seligkeit im Geiste versichert, hatte sie zu ihrem Leichentext das Wort erwählt: „Der Herr aber wird mich erlösen von allem Übel und mir aushelfen zu seinem himmlischen Reich. Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ (2 Tim. 4,18). Ob auch ihr äußerer Mensch durch Beten und Wachen, geringe Nahrung und zu große Strenge verweste, so ward doch ihr innerer von Tag zu Tag erneuert; immer evangelischer, herzlicher, zuversichtlicher, freundlicher, stärker im Geiste werdend, erhielt sie auch für ihren schwachen Leib die Kraft, dass er sich in dem Dienste der Liebe opfern konnte, gleich der Kerze, welche anderen leuchtend sich selbst verzehrt. Noch war sie in ihren letzten Wochen eine doppelte Krankenwärterin, und besuchte am vierten Januar 1730 gewohnterweise die Kirche; in der Nacht vor dem Erscheinungsfeste empfand sie einen Frost, dass sie zu Bette bleiben musste; der Friesel trat zurück, am elften ward ihr die Zunge gelähmt und an demselben Tage gab sie nach wenigen Zuckungen unter Gebet und Zuspruch ihres Beichtvaters Nachmittags um drei Uhr ihre Seele in die Hand ihres Heilandes, nachdem sie siebenundvierzig Jahre und drei Wochen demselben gelebt und gelitten. Wenige wussten, dass sie nur krank sei; denen, die sie im Bette trafen, antwortete sie: „Des Herrn Wille geschehe, das ist mein Ruhekissen.“ Ihrem aus Regensburg herbeigeholten Bruder klagte sie wohl die Bangigkeit ihres Herzens, aber „was meine Seele betrifft, da hat’s keine Not. In meinem Gemüte ficht mich nichts mehr an.“ Nur in der letzten Nacht nahm Gott sie nochmals ernstlich in sein prüfendes Gericht; sie kämpfte bis die Morgenröte anbrach, hat aber auch wie Israel den Segen davongetragen durch Jesum Christ. Ein Segensgruß an alle mit ihr in demselben Verbundenen war ihr letztes Wort, ehe die gelähmte Zunge es völlig dem Geiste überlassen musste, sie zu vertreten mit unaussprechlichen Seufzern. Drei Tage vor ihrem Ende hatte sie sich zum Letztenmal ihr Lieblingslied, das Karfreitagslied „Reißt ihr Felsen, Erde bebe! usw.“ vorsingen lassen, dessen letzter Vers so lieblich in ihr letztes Stündlein klingt:

„Still ihr Felsen! Erde stille!
Wecket meine Liebe nicht,
Sonne, dich so lang verhülle
Bis sie Höll‘ und Grab durchbricht.
Ich will auch die Seufzer zwingen
Unter ihr so sanftes Joch:
Doch nach dreien Tagen singen:
Meine Liebe lebet noch.“

Louise, Gemahlin des großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.

Louise wurde zu Grafenhaag in Holland am 27. November 1627 geboren, und war eine Tochter Friedrich Heinrichs, des trefflichen Fürsten von Oranien, Erbstatthalters der vereinigten Niederlande, und dessen Gemahlin Anna von Solms-Braunfels. Friedrich Heinrich war ein großer Staats- und Kriegsmann, und als Enkel des Admirale Coligny, des in der Pariser Bluthochzeit ermordeten, ein eifriger Reformirter. Eben so gottesfürchtig war seine sehr verständige Gemahlin, mit der er ein schönes Familienleben führte und eine tüchtige Kinderzucht übte. Die Mutter hielt es nicht unter ihrer Würde, ihre Töchter, denen sie jede sonstige Ausbildung angedeihen ließ, bei der Wirtschaft anzustellen, und weibliche Handarbeiten gewöhnlicher Art ihnen zur Pflicht zu machen. So flossen die Jugendjahre Louisens meist in stiller Zurückgezogenheit dahin.

Der Zauber dieser häuslichen Tugenden verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf den Sohn des Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, zu machen, der nach einem Knabenalter voll Unruhe und Unstetigkeit vor dem offenen Sarge seines Oheims, des bei Lützen gefallenen und bis zum Frühjahr 1633 in der Gruft zu Wolgast beigesetzten großen Schwedenkönigs Gustav Adolf, schnell zum Jüngling gereift, im Frühling 1634 in dem damals allen Ländern voranleuchtenden Holland seine Ausbildung erhalten sollte, und bei der Familie des Erbstatthalters im Haag, so wie im Belagerungsheere desselben vor Breda einen Bergungsort gegen die Sünden und Verführungen der Jugend gefunden hatte.

Friedrich Wilhelm, unter den Stürmen des dreißigjährigen Krieges ans Mannesalter und (1640) zum Thron gekommen, zog während der westfälischen Friedensverhandlungen von Königsberg nach Cleve, und von hier aus warb er um Louise, die er vor zehn Jahren als Mädchen am Grafenhaager Hofe gesehen hatte. Der Krieg hatte sein Land und seine Kassen so erschöpft, dass er erst nach einiger Zeit Hochzeit machen konnte, wozu seine Mutter ihm ihr Spargeld die für jene Zeit bedeutende Summe von dreitausend Talern auf ein Jahr leihen musste.

Die neunzehnjährige Braut prangte in der Fülle der Schönheit, sie hatte ein lilienweißes Antlitz und blonde Haare, ein großes, herzgewinnendes Auge, zierliches Ebenmaß der Glieder, und eine Haltung voll Anmut und Würde. Am 7. Dezember 1646, um fünf Uhr Abends war die Trauung. Friedrich Wilhelm erschien in eng anliegendem, seine kräftige Gestalt hervorhebendem Gewande aus weißem Atlas mit silbernen Spitzen, die Knöpfe mit Edelsteinen bedeckt; Louise war in Silberstoff über und über mit silbernen Spitzen gekleidet, sechs Gräfinnen trugen die acht Ellen lange Schleppe, und auf dem Kopfe strahlte eine mit Perlen und Diamanten reich verzierte Krone. Sie brachte ihrem Gemahle ein sehr ansehnliches Heiratsgut, die Aussicht auf Ererbung der oranischen Länder, das reformirte Bekenntnis, in dem er selbst erzogen war, eine tiefe Frömmigkeit, eine treffliche Übung in der Tonkunst und die herrliche Gabe der geistlichen Dichtung, einen ausnehmenden Verstand und einen so gehorsamen und häuslichen Sinn mit, dass er sich und seinem völlig zerrütteten Lande keine trefflichere Hausfrau und Landesmutter hätte heimholen können.

Ihr kranker Vater musste sich im Armsessel in die Traukapelle tragen lassen. Die Krankheit des Erbstatthalters war abzehrender Natur, Louise bat, noch einige Zeit nach der Hochzeit bei ihrem Vater bleiben zu dürfen. Friedrich Wilhelm konnte eine solche Bitte nicht abschlagen, und so sehen wir sie denn, statt die Vergnügungen der Flitterwochen zu genießen, am Krankenbette weilen und mit ausharrender Geduld des hinsiechenden Vaters warten, der endlich am 14. März 1647 sanft in ihren Armen verschied. Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser. Friedrich Wilhelm, obwohl in seiner Jugend mit Predigthören viel zerplagt, und mit Psalmenlernen als seiner gewöhnlichen Strafe belegt, hatte in den unaufhörlichen Anfechtungen seines jungen Lebens schon genug aufs Wort zu merken gelernt, um seine Gattin erst dann ihren Vater verlassen zu heißen, nachdem sie ihm die segnend erloschenen Augen zugedrückt.

Nun wurde zum Aufbruch nach Cleve gerüstet, aber der Kurfürst befand sich wieder in größter Geldnot, seiner Schwiegermutter sie zu entdecken war er zu stolz, so verzögerte sich der für ihre trauernde Familie, so wie für das herzlich ihr anhängende Volk tränenschwere Abschied bis zum Juni desselben Jahres.

Im Jahre 1648 gebar Louise ihren ersten Sohn, den sie nach ihrem Manne und ihrem Vater Wilhelm Heinrich nannte. In diesem durch den westfälischen Frieden beglückten Jahre hatte sie ihre schönsten Tage. In Cleve wurde sie fleißig von den Ihrigen aus dem nur zwanzig Meilen entfernten Haag besucht, das Kind gedieh, der Gatte war ihr treu ergeben, und sie wusste zu rechter Zeit das Dreifache zu üben, was eine Frau ihrem Manne wert macht: nämlich stille schweigen, wo ihr Rat nicht begehrt wurde und die Ansichten ihres Gemahls von den ihrigen abwichen; urteilen und sprechen, wo es ihrem Gemahl eine Freude war, in ihr eine vernünftige Frau zu schätzen, deren natürlicher Verstand oft weiter reichte als seiner wohlstudierten Staatsmänner; beruhigen endlich und erheitern, wo fehlgeschlagene Hoffnungen oder sonstige Widrigkeiten den Gatten missmutig und bitter machen wollten. In dieser Wonnezeit ihres Lebens griff sie denn auch freudig in die Harfe, und in einer solchen glücklichen Stunde hat sie das liebliche Lied gedichtet:

„Gott, der Reichtum Deiner Güte,
Dem ich alles schuldig halt,
Ursach, dass mir mein Gemüte
Gegen Dir für Freuden wallt.
Meinen Wohlstand, meine Zier,
Dank ich, Vater, einig Dir,
Du hast reichlich Leib und Leben,
Ehr‘ und Guttat mir gegeben.“ usw.

Nach dem Friedensschlusse wollte der Kurfürst wieder in sein Stammland, die Mark Brandenburg ziehen. Im Frühherbste 1649 machte sich Louise auf die Reise, aber schon in Wesel erkrankte ihr Kind, und am 24. Oktober verschied es. Nun war sie wie eine zwiefach entwurzelte Pflanze, und in ihr zerrissenes Herz vermochte nur der tiefe, lautere Glaube ans Wort einiges Licht und einigen Trost zu gießen. Sie musste nach Bestattung des fast zweijährigen Prinzen in der schlimmsten Jahreszeit mitten durch verheerte Gegenden und auf ungebahnten Wegen die Reise in die Altmark fortsetzen. Zu Tangermünde konnte sie einige stille Wintermonate zubringen. Da war es auch, dass ihr Mund überquoll von dem, dessen ihr Herz voll war. Ohne Zweifel fällt in diese trübe Zeit die Entstehung ihres Liedes, das seither alle Kirchengesangbücher ziert: „Jesus meine Zuversicht.“ Noch im Winter musste sie ihren Gemahl, der nicht ohne sie leben konnte, weiter auf seinen Huldigungsreisen begleiten, obgleich diese Anstrengung ihrem zarten Körper nicht zuträglich war. Überdies war nirgends längere Erholung möglich, denn die märkischen Städte, vom Krieg verödet oder verarmt, vermochten die ihnen obliegenden Kosten der Hofhaltung nicht lange zu ertragen. Berlin selbst, wo der Hof bleiben sollte, war so elend, dass der Kurfürst zu Instandsetzung seiner Wohnung einen Baumeister aus Holland kommen lassen musste, denn seit dreißig Jahren hatte man sich in Berlin, um die Last der Einquartierung zu mindern, förmlich auf unscheinbares Bauen verlegt. Eine große Vorstadt war erst wegen der Schweden, die noch in der Nähe lagen, ohne Not abgebrannt worden, die ganze Stadt fasste kaum ein paar tausend Einwohner hinter ihren Wällen. Am 10. April 1650 zog der Kurfürst mit seiner schönen Gemahlin, begleitet von Ritterschaft und Volk, von Spandau aus in sein Haus zu Köln an der Spree, durch keinen Tiergarten und keine „Linden“, sondern unmittelbar aus dem sumpfigen oder sandigen Walde, dessen West- und Südseite jetzt „der Werder“ genannt ein Erlensumpf war, ging es ins Schlösschen.

Die ungeheuren Forsten, die der dreißigjährige Krieg gepflegt hatte, mit ihren Scharen von Wild, lockten den Kurfürsten zur Jagd. Louise fand daran kein Vergnügen, aber sie begleitete ihn willig, wartete geduldig bis zur späten Heimkehr des Gatten, empfing ihn mit freundlichem Blick und Wort, und bewirtete ihn mit trefflicher, gerne selbst bereiteter Speise. Das Jagdschlösschen bei Bözow, dem heutigen Oranienburg, ward ihr selber um deswillen ein Lieblingsort, weil die anmutig von der Havel durchflossene Gegend ihr so heimisch und freundlich aussah, wie die Plätze ihrer Jugendspiele. Das Städtchen, vor dem großen Kriege ein wohlhabender Gewerbsort, war fast ausgestorben und die Felder lagen öde. Das verarmte Landvolk zu ermuntern legte sie neben dem Schlösschen einen großen schönen Nutzgarten an, und vom Kurfürsten mit der Landschaft umher beschenkt, begann sie zum Wohle ihrer lieben Untertanen zu walten, deren Herzen sie durch ihre Leutseligkeit gewonnen hatte. Sie verschrieb aus Holland Gärtner, Landwirte, Bauern, um Musterwirtschaften anzulegen, wobei sie keine Mühen und Kosten sparte. Ihr großes Vermögen sollte ihren Untertanen zu gut kommen. Dabei schmerzte sie es tief, wie die verwilderte Jugend sich in der Gegend umhertrieb und ohne allen Unterricht, Gottesdienst und Erziehung aufwuchs. Dem suchte sie zu steuern, geistlich wie leiblich erbarmte sie sich des armen Volkes, und bald war es mit ihrem Namen, wie einst mit dem einer Mathilde, Adelheide und Elisabeth: länger als ein Jahrhundert wurde er als Lieblingsname Tausenden beigelegt, und fast in allen Häusern auch der geringen Bürger musste ihr Bildnis hängen.

Der 6. November brachte für Louise, die sich durch den damaligen Mangel aller Posten selbst nicht durch Briefe mit den Ihrigen in Verbindung setzen konnte, und manche Stunde einsam trauerte, große Freude und großes Leid zugleich. Für die Marken brachte erst das zweiunddreißigste Jahr nach Ausbruch des Krieges den Frieden mit dem endlichen Abzug der Schweden. Ein fröhliches Friedensfest wurde gefeiert, Louise, die nie beim Gottesdienste fehlte, war die erste im festlichen Zuge und die erste am Altar. So ernst ihre Frömmigkeit war, so fröhlich war sie nachher mit dem fröhlichen Volke und mischte sich traulich in seine Reihen, ja in seine Tänze. Kaum war die Feier verklungen, so brachten die alsbald wieder hergestellten Posten die Nachricht von ihres einzigen Bruders Tod, des Erbstatthalters, der im fünfundzwanzigsten Jahre hinwegstarb. Groß war ihr Schmerz, größer ihre stille Gottergebung. Sie fand in diesem trüben Winter ihren Trost und ihr Genüge in geistlichen Betrachtungen, in täglichem Forschen in der Schrift, im Singen und Spielen geistlicher lieblicher Lieder; teils waren es eigene, mit denen sie die Trauergeister weichen hieß, wie in dem Verse:

„Nun aber ihr Tyrannen
Und Feind hebt euch von dannen
Und macht euch bald von statt,
Denn Gott der Herr sanftmütig
Mein sehnlich flehen gütig
Numals erhöret hat.
Was ich von ihm begehrt
Das hat er mir gewähret,
Ja mehr dann ich ihm bat!“

Teils waren es die Lieder, die damals allenthalben vom Baume der in höchster Blüte stehenden evangelischen Liederkunst des vom Kriege verwüsteten deutschen Vaterlandes fielen.

Neben der Dichtkunst liebte und übte Louise die Tonkunst, namentlich die heilige; trotz ihrer häuslichen Tätigkeit fand sie Zeit, derselben täglich eine Stunde zu widmen. In der Kirche musste ihre Kapelle den Gesang des reformirten Gottesdienstes begleiten. Es war damals die Zeit wie der großen Liederdichtung, so der großen kirchlichen Musikmeisterschaft und Tonsetzung. In der ersten Reihe jener Choraltonsetzer stand Johann Crüger, welcher auch die Melodie zu „Jesus meine Zuversicht“ gesetzt, und unter ihren Augen 1657 ein Gesangbuch, in dem sich ihre eigenen Lieder befanden, herausgegeben hat.

Louise, streng kirchlich erzogen, blieb strenge bei der gewohnten Erfüllung ihrer heiligen Pflichten. Am Sonntage mussten alle Werkgeschäfte und alle Sorgen ruhen. Sie bereitete sich zum Gottesdienst mit Gebet vor, und versäumte denselben unter keinem Vorwande. Nur eigentliche Krankheit, die sie ans Bett fesselte, konnte sie abhalten, wo dann aber während der Zeit des öffentlichen Gottesdienstes in ihrem Zimmer gebetet und gesungen wurde. Ihr Anzug für die Kirche war ohne allen Prunk; nie sah sie vor dem Gottesdienste in einen Spiegel. Nachmittags wurde der Inhalt der Predigt wiederholt, und von ihr auf sich und die Ihrigen angewendet. Die heilige Schrift las sie ohnehin täglich, so dass sie in ihr lebte und webte.

Mit unendlicher Gewissenhaftigkeit überwachte und prüfte sie sich selbst. Wenn sie sich im mindesten verleiten ließ, etwas zu versäumen, auch nur einige Minuten im Guteswirken zu verlieren, oder einer nicht gottgefälligen Empfindung nachzuhängen, so strafte sie sich unerbittlich. In einer der vielen Unterredungen mit ihrem geistlichen Führer, dem Hofprediger Stosch, sagte sie zu ihm: „Ich wiederhole, dass Ihr alle meine Sünden und Fehler mir vorhaltet, auch wenn nur ein Schein hiervon da wäre. Vergesst nicht, dass Ihr Seelsorger seid; ich beschwöre Euch bei Gott, Eurem und meinem künftigen Richter.“ Ein unsterbliches Zeugnis ihres bußfertigen Lebens ist ihr Lied:

Ich will von meiner Missetat
Zum HErren mich bekehren. usw.

Dem Kurfürsten, der zwar selber religiös war, schien es doch, als ob sich seine Frau zu ernst in geistliche Erbauung und Betrachtung versenke, er forderte sie zu einer Reise an den Rhein und nach Holland auf, um sie zu zerstreuen. So ungerne sie durch eine damals so weite Reise das eben erst angefangene Werk an Land und Leuten in der traurigen Mark aussetzte, so zog es sie doch zu ihren Lieben und an die Grabstätte ihres Kindes, auch hoffte sie bei Cleve und in Holland noch Vieles zu erlernen, zu erfragen und zu erfahren, was zur Aufhilfe ihrer Märker dienen konnte. Die gesammelten Winke und Ratschläge sollten dann die Grundlage der Entwürfe und Verfügungen sein, die der Kurfürst durch die tüchtigsten Männer ausführen lassen wollte. Auch neue Ansiedler zu Anlage von Musterwirtschaften gedachte sie zu gewinnen.

Die Reise ging im Frühjahr 1651 vor sich, aber äußerst langsam, da der Kurfürst in seinen neuen Landen zu Halberstadt, Minden, Westfalen sich gründlich umsehen wollte. Mittlerweile ging ihr ein Freudenstern auf mit der Nachricht von der Verlobung ihrer Schwester mit dem Statthalter von Ostfriesland, welche ihre Hochzeit auf dem kurfürstlichen Schlosse zu Cleve feiern zu dürfen baten. Der Kurfürst beeilte sich, ihr diese hohe Freude zu bereiten. Es war ein wehmütig liebliches Wiedersehen, als die verwitwete Schwägerin und die verlobte Schwester, die verwitwete Mutter und die kinderlos gewordene Louise sich zärtlich umarmten, Leid und Freud gegen einander ausschütteten, und in herzlichster Liebe den Vermählungstag feierten; Louise zumal entfaltete alle Kunst, welche die Natur und die Gnade ihr verliehen, mit feinem Gefühle jede Störung ferne zu halten und überall die allgemeine Freude zu erhöhen.

Mit den neuen Ansiedlern, welche nun die Kurfürstin für die Mark anwarb, wurden hier die ersten Kartoffeln gepflanzt, nachdem sie Francis Drake schon vor 71 Jahren nach England gebracht hatte.

Louise gebrauchte den Sommer über die Bäder von Aachen und Spa, und blieb den Winter in Cleve und Westfalen, wo der Kurfürst seine große Wirksamkeit unbehinderter äußern konnte, als in der ausgesaugten Mark und in dem von den Landständen regierten Preußen. Seine Gemahlin war ihm immer treu zur Seite und widmete sich ihm als seine traute Gehilfin, ihre übrige Zeit gehörte ihren geistigen Arbeiten und der Andacht, namentlich aber den Armen.

Am 2. Mai 1652 feierte sie die Hochzeit ihrer zweiten Schwester mit dem Prinzen von Nassau, wieder in Cleve. Mitten in ihrem Glücke unter ihren Lieben vergaß sie der Notleidenden, zumal der unglücklichen Bewohner der Mark Brandenburg nicht. In Folge einer Kirchenvisitation hatte sich ergeben, dass durch den dreißigjährigen Krieg eine Menge Gemeinden ohne Gottesdienst und Schule waren, dass hie und da nur ungelehrte Leute die geistlichen Geschäfte verrichteten, und für ihre Weise dann großen Anhang zu erwerben wussten, da die Drangsale der Kriegszeit die Herzen für Gutes und Schlimmes gleich sehr empfänglich gemacht hatten. Eine ungeheure Rohheit hatte sich zugleich im Volke verbreitet, entsetzlicher Aberglaube, der Glaube an Zauberer und Hexen hatte sich selbst der Geistlichen und Gelehrten bemächtigt, und zwischen den Lutherischen und Reformirten herrschte die bitterste Streitsucht, in welche selbst der gottselige Paul Gerhard so verwickelt wurde, dass der reformirte Kurfürst ihn aus Berlin verwies.

Alles das erfüllte das Herz der Kurfürstin, die so gerne allenthalben zu Frieden und Segen geholfen hätte, mit Trauern, bestärkte sie aber auch in dem Vorsatz, alle ihre Kräfte dem armen Land und Volk zu weihen.

Nach Berlin zurückgekehrt fand sie das nahe Oranienburg immerhin in besserem Zustande, als vor zwei Jahren; in Verbindung mit dem trefflichen Otto von Schwerin, der selbst auch evangelischer Liederdichter war, ging sie von neuem ans Werk. In der Nachbarschaft lag der Ort Zehlendorf ganz verwüstet und verlassen da. Sie hatte es angekauft und schon von Cleve aus holländische und friesländische Bauern angeworben, die unter vorteilhaften Bedingungen sich hier ansiedeln und die holländische Wirtschaft einführen sollten. Es behagte ihnen nicht, und so ließ Louise andere Reformirte aus Westfalen kommen, ehemalige Einwohner kehrten auch zurück, andere Landeskinder wurden von Louise herbeigezogen, ein Geistlicher angestellt, und die Gemeinde mühsam wieder in Stand gebracht.

Der Kurfürst schenkte seiner Frau ein Stück Land vor dem Spandauer Tor, alsbald richtete sie dort eine musterhafte Gartenanlage mit Viehwirtschaft ein, und nannte den Ort Louisenhof. Unter ihrer Aufsicht und Mitwirkung ließ sie hier Anweisung zur Garten- und Wiesenbenützung, Butter- und Käsebereitung durch Holländer erteilen, und Personen jedes Standes daran Teil nehmen: manche Gutsbesitzer ahmten ihre Musterwirtschaften nach, und Louise war die Mutter eines sichern, obschon langsamen und schweren Erfolgs zum leiblichen Wohle des Volkes.

Wichtiger war ihr das geistige Wohl desselben. Der Krieg hatte, wie gesagt, alles verwildert, die feindlichen Schwärme hatten Kirchen, Pfarrhäuser, Schulhäuser, evangelische Erbauungs- und Gesangbücher, namentlich auch mit Lust die Bibeln verbrannt. Selten war das Beispiel jenes Berliner Bürgers, der mehrere Jahre lang es seinem Munde abdarbte, um sich von fünf ersparten Talern eine neue Bibel anzuschaffen. Louise hatte schon seit Jahren schöne geistliche Lieder gesammelt und gedichtet; nun wollte sie dem Volke namentlich ein gutes Gesangbuch in die Hand geben, und veranlasste den Dichter Christof Runge zur Herausgabe eines evangelischen Kirchengesangbuches, das dann auch 1653, der hohen Frau gewidmet, unter dem Titel erschien: „Dr. Martin Luthers und Anderer geistliche Lieder und Psalme auf sonderbarem Ihro kurfürstlich Durchlaucht, der Kurfürstin Louise von Brandenburg Befehl zusammengetragen und gedruckt.“

Bei all dieser heilsamen und unermüdlichen Tätigkeit hatte Louise viel mit Gram und Schwermut zu kämpfen, denn sie blieb, wie es schien, kinderlos, und konnte wohl hören die vorwurfsvoll klingende Stimme des Volkes:

„Vom Kurhaus
Geht Stamm und Wurzel aus,
Und wer ist schuld?“

Was sie aller Welt und auch ihrem, der Erheiterung bedürfenden Gemahl verbarg, schüttete sie um so unverhohlener vor ihrem Gott aus. In diese Zeit fällt ihr schönes Lied:

„Ein ander stelle sein Vertrauen
Auf die Gewalt und Herrlichkeit,
Und auf Hochmut zu jeder Zeit;
Ich will auf Gott den Höchsten bauen,
Der unter seiner Macht die Welt.
Samt aller Reiche Krone hält.“ usw.

Also mitten in tiefster Beugung ihres Trostes sicher konnte sie den Entschluss fassen, ihrem Gemahl – den gerade damals die Verweigerung des Soldes zu einem ersten stehenden Heere von 4000 Mann von Seiten der kurmärkischen Stände tief verdross – und seinem Lande, das auch durch eine Pest im Herzogtum Preußen schwer heimgesucht war, das große Opfer einer Ehescheidung anzutragen. Sie bereitete sich zu diesem Schritte durch Gebet und Flehen um ein gefasstes Herz und ungeheuchelten Ernst vor, und erschien dann vor dem Kurfürsten mit den Worten: „Ich trage auf Scheidung unserer Ehe an; nimm Dir eine andere Gattin, die Dein Land mit einem Thronerben erfreut, das bist Du Deinen Völkern schuldig.“ Die feierliche Ansprache brachte den großen Kurfürsten fast außer Fassung. Nach kurzem Bedenken antwortete er, dessen Lebenssprüchlein war: HErr tue mir kund den Weg, darauf ich wandeln soll: „Was Gott der Herr zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Und als sie noch etwas einwenden wollte, sprach er entschieden: „Was mich betrifft, so werde ich meinen Eid Dir halten, und so es ihm dabei gefiele, mich und das Land zu strafen, so müssen wir’s uns gefallen lassen.“ Darauf reichte er ihr die Hand, blickte sie freundlich an und fügte scherzhaft hinzu: „Nun, was nicht ist, das kann ja noch werden.“

Nun entfiel auch ihr das Herz, und die Tränen, die sie bisher im Verborgenen geweint, strömten schmerzlösend jetzt über ihre Wangen. Sie fühlte sich erleichtert und durch die vielen Aufmerksamkeiten und Vergnügungen, die ihr treuer Gemahl ihr zu bereiten suchte, merklich erquickt. Zerstreuungen übrigens gaben ihr kein Genüge, sie sehnte sich nach ihrem ländlichen Oranienburg, und begab sich auch bald dahin, um in tiefer Einsamkeit ihr Herz vor Gott auszubreiten. Sie dankte ihm herzlich für alles ihr erzeigte Gute, so insbesondere für die erprobte Liebe und Treue, und unterwand sich, um einen Thronerben zu bitten, wenn es des Herrn Wille wäre. Zudem tat sie das Gelübde, dass sie in Oranienburg etwas ungemeines stiften wolle, im Falle der barmherzige Gott ihr Elend ansehe und sie zur fröhlichen Kindermutter mache.

Und der Herr tat, wie er dort der frommen Hanna getan. Ihre sorgliche Mutter eilte herbei und nahm die Tochter in besondere Obhut und Pflege. Der große geistliche Dichter Simon Dach zu Königsberg sandte sein herkömmliches Glückwunschgedicht auf des Kurfürsten Geburtstag den 16. Febr. 1655 mit der bestimmten Weissagung eines Thronerben und Trostes seiner Völker ein, und noch ehe dasselbe gelesen ist, bringt die Schwiegermutter am Geburtstagsmorgen dem Kurfürsten seinen neugebornen Sohn zum Gruß. Es war ein Dienstag – die beglückte Gattin und Mutter gelobte zum Dank für die erwiesene Gnade jeden Dienstag dem Herrn zu weihen durch Fasten, Beten, Betrachtung, Beichte, Predigt und Erbauung; sie hielt dasselbe lebenslang; Nachmittags pflegte sie an diesem Tage an ihre Lieben zu schreiben, und erst nach Sonnenuntergang ein mäßiges Mahl einzunehmen. Der hocherfreute Vater ließ den ganzen Hof zu sich entbieten, das Volk strömte zusammen und Alles feierte einen Festtag. Am nächstfolgenden Tag war allgemeiner Bettag in Stadt und Land, und bald darauf wurde im ganzen Reiche ein feierliches Dankfest gehalten. Bei der Taufe überreichten die brandenburgischen Stände eine prächtige Denkmünze, auf welcher der Kurfürst seiner Gattin die Hand reicht und der Prinz in der Mitte mit den Händchen nach beiden Händen langt. Auf der Rückseite erheben sich mehrere ineinandergelegte „brandenburgische Hände“ zum Himmel mit der Beischrift:

„Was erfüllet im fünfundfünfzigsten Jahr,
Das mache der höchste Gott noch öfters wahr!“

Indessen war der Bau des Schlösschens in Oranienburg glücklich vollendet, fürstlich und geschmackvoll, aber ohne Überfluss, da Louise immer übrig haben wollte, um zu geben den Dürftigen. Zur Einweihung ihres Schlösschens musste ihr der Freiherr von Schwerin für eine anmutige Überraschung des Kurfürsten und für ein heiteres Fest des Volkes an einem schönen Junitage helfen. Sie mischte sich unter die Spielenden und Fröhlichen, und hatte sie sonst schon die Armen zu besuchen, die Elenden zu trösten, die Kranken zu erquicken und mit den Sterbenden zu beten für ihre süßeste Pflicht gehalten, so vergaß sie am allgemeinen Freudentag der Dürftigen und Seufzenden um so weniger. Eine besondere Lust war es ihr, ihrem Gemahl und ihrer Mutter Alles zu zeigen, was sie seit fünf Jahren aus dem wüsten Bruchlande zu machen gewusst hatte, um dem vom Land- und namentlich Gartenbau entwöhnten Volke ein Vorbild zu geben. Es bezeichnet sie ganz, dass sie die zwei größeren Drittel ihres Lustgartens für Gemüse und Obst, das kleinste dritte Teil für Blumen bestimmt hat.

Mitten unter den Freuden dieser Tage vergaß sie nicht ihres Gelübdes: aus Dankbarkeit für den erbetenen Ehesegen ihrem Schlösschen gegenüber eine Versorgungsanstalt für vierundzwanzig vaterlose Kinder auf immerwährende Zeiten zu errichten. Sie hatte bereits den Plan dazu entworfen, der freilich so großartig war, dass sie nicht sogleich die großen Kosten dazu erschwingen konnte. Dazu kamen auch bald noch andere schlimmere Trübungen nach kurzem Sonnenblicke und sie musste sich erst im Stillesein und Harren üben.

Zuerst geleitete Louise ihre Mutter gegen dreißig Meilen von Berlin auf deren Heimweg und nahm mit schwerem Herzen unter Gebet und Tränen Abschied. Auf ihrer Zurückkehr begegneten ihr eine Menge von Soldaten, erschreckt fragte sie den Kurfürsten um die Ursache und musste eingedenk des Unwillens, den schon die 4.000 Mann bei den Ständen erregt hatten, vernehmen, dass er nun ein stehendes Heer von 26.000 Mann habe. Er beriet sich offen mit ihr über die bedenklichen Verhältnisse und sie war mit ihm einverstanden, dass das Herzogtum Preußen seine Gegenwart erheische, wenn der drohende Krieg zwischen Schweden und Polen ausbräche. Er bat, sie möchte ihn begleiten. Stillschweigend umarmte sie ihn, um ihm zu zeigen, wie sie zu Allem für ihn bereit sei, auch wenn es über ihre Kräfte ginge. Die Abreise verzog sich bis in den November, denn in Preußen drohte Krieg und Pest. Der Pflicht der Gattin sich unterwerfend, opferte sie in heißem Kampfe die Mutterrechte, ließ ihren Säugling zurück und zog durch die verwüsteten Marken, durch Pommern, durch die Öden und Waldungen Westpreußens auf grundlosen Wegen oder Knüppeldämmen nach Königsberg. Louise, die nur ihren Mann zu besänftigen suchte über das ihm in Bezug auf Pommern widerfahrene Unrecht und über die sonstigen Missstände allerwärts, ertrug jede Unbequemlichkeit und Mühe geduldig, klagte nie und schien bei ihrer Ankunft gesund und heiter. Aber nun erkrankte sie heftig und nur langsam erholte sie sich, dass sie weiterhin wieder den öffentlichen Andachten ihres Hofpredigers Stosch, den sie mitgenommen, beiwohnen konnte. Stosch übrigens wagte nicht in einer der dortigen lutherischen Stadtkirchen zu predigen und eine reformirte gab es in Preußen nicht.

Nun drang Karl Gustav von Schweden mit Kriegsvolk heran und belagerte das fast offene Königsberg mitten im Winter. Louise verbarg ihre Angst im Busen und blieb mit großer Klarheit und Besonnenheit des Kurfürsten Rat und Beistand. Dieser musste am 7. Jan. 1656 Frieden schließen und sich mit Karl Gustav gegen Polen verbünden. Alles bisherige hatte Louise standhaft als Gottes Schickung getragen, über einen Krieg gegen das erbitterte Polen aber konnte sie sich nicht so bald trösten. Nur der Glaube hielt sie. Ihr Beichtvater Stosch erzählt, wie sie sich in ihrer Not mit dem kananäischen Weiblein verglichen und gesagt habe: „Wenn der Herr Jesus noch auf Erden ginge, ich wollte mich noch mehr demütigen; was ich aber auf leibliche Weise und mit Gebärden nicht tun kann, das will ich im Geiste und im Herzen tun, in gewisser Zuversicht, dass er auch im Stande der Herrlichkeit solcher Hohepriester und treuer Heiland sei, der Mitleiden habe und helfen werde.“ Der Kurfürst zog mit Karl Gustav aus, Wunder der Tapferkeit verrichtend gewannen sie die dreitägige Schlacht bei Warschau vom 18. bis 20. Juli gegen die siegesgewissen, übermütigen Polen, die „den König von Schweden bereits als Frühstück für ihre Tartaren, dem Kurfürsten ein Loch, in das weder Sonne noch Mond scheinen sollte,“ bestimmt hatten. Der Kurfürst aber verfolgte den Sieg nicht und bald fielen die Polen und Tartaren in seine Länder ein, Alles mit Sengen und Brennen dem Boden gleich machend. Bald auch wurde der Kurfürst bei Lyck aufs Haupt geschlagen, die Tartaren zündeten allein dreizehn Städte an, ermordeten 30.000 Einwohner aufs grausamste und schleppten eben so viele in die Gefangenschaft. Kaum wehrte der tapfere General Derfflinger die Tartarenschwärme von Berlin ab, wo Louise ihr Kind gelassen hatte. Sie selbst erkannte die Fehler, die ihr Mann hatte und in seinem Kriege gegen Polen beging, mit scharfem Blicke, aber ihre verständige Sanftmut diente seinem Unmut als Blitzableiter.

Endlich kam der ersehnte Winter, der dem Blutvergießen ein Ende machte, sie feierte am 27. Nov. ihren dreißigsten Geburtstag, und zehn Tage darauf ihren Hochzeittag in tiefer Buße aber hohem Danke für die bisherige Führung und Rettung. Sie bat um Segen zu dem Vorsatz, die Adventszeit freudig zu feiern. Niemand in ihrer Umgebung durfte traurig sein; im Namen des im Fleisch erschienenen Herrn trocknete sie die Tränen der Notleidenden, erfreute ihre Umgebung mit Geschenken und rüstete die kleine Bescherung für ihr fernes Kind. Sie hatte sich fest vorgenommen, an dem Tage, der so freudenreich, nicht zu weinen, aber unvermerkt fiel manche Träne auf die Gaben, die sie mit mütterlicher Hand zusammenpackte. Nicht minder erfreute sie mit verhaltenen Tränen ihren Gatten an seinem und seines Sohnes Geburtstag. Ihre Frömmigkeit vertrug sich mit jeder unschuldigen Freude, ihre höchste Freude aber war, ihrem Gemahl und ihren Nächsten Freude zu machen.

Am meisten litt ihr redliches Gemüt, als sie sehen musste, wie der Kurfürst von Karl Gustav ab wieder dem politischen Vorteile nach auf die Gegenseite übertrat und die Vorrechte des preußischen Herzogtums unter seine fürstliche Allgewalt, die er wie einen ehernen Felsen aufzurichten trachtete, beugen wollte; sie war in einem freien Lande erzogen und Christin, aber sie vermochte nicht dem eisernen Willen des gewaltigen Mannes entgegen zu reden. Unter Sorgen und Ängsten waren ihre Nerven schwer angegriffen, doch brauchte sie keinen Arzt, schonte sich auch nicht und war gleichmäßig leiblich und geistig tätig, bis sie am 11. Juli 1617 glücklich von einem Prinzen, dem Großvater des großen Friedrich auf dem Königsberger Schlosse entbunden wurde.

Bald nach der prunkvollen Taufe hoffte der Kurfürst mit Polen seinen Vertrag fertig zu haben und nach seiner Mark zurückkehren zu können; aber wieder zog sich die Abreise bis nach Martini hinaus. Vorher hatte das Kind durch einen Fehler seiner Wärterin den Rückgrat verkrümmt und mit dem kränklichen Säugling musste sie die beschwerliche Winterreise antreten. Endlich glücklich angekommen, fand sie ihren zurückgelassenen Sohn gesund und fröhlich, wofür sie Gott und der treuen Dienerschaft so beweglich dankte, dass jene in Tränen ausbrachen.

Die vortreffliche Frau hatte immer treffliche Diener; nur einmal wurde einer ihrer Bedienten als ein Dieb ertappt. Der Kurfürst schwur in seinem Zorn, ihn an den höchsten Galgen zu erhöhen: da ließ ihm Louise eine Anzahl Dukaten zustecken um flüchten zu können. „Meinetwegen soll keines Menschen Blut vergossen werden“ sprach sie, die sonst nie von Begnadigung eines Mörders etwas hören wollte, da sie Gottes Zorn und Strafe fürchtete über ein Land, aus dem todeswürdige Verbrecher nicht ausgerottet würden, wie sie andererseits durch wenige Gerechte ein sündiges Volk von Sodoms Strafgericht verschont wissen durfte.

Während nun der Kurfürst zu neuem Kriege rüstete, bat sie inständig Gott um den lieben Frieden, den sie für Ausführung so manches edlen Entwurfs wünschen musste. Ihr Kirchenbau zu Oranienburg war indessen fertig; sie ließ an die Emporbühnen unter sinnreichen Verzierungen Bibelsprüche schreiben; z. B. unter dem Rats-Chor das Wort: „Ihr Richter, richtet gerecht die Völker der Erde,“ zu ihrem eigenen Andenken ließ sie nur an einem der untersten ganz gewöhnlichen Bausteine des Turmes ganz am Erdboden die Worte: L. C. Z. B. G. P. V. O. MDCLVIII. (Louise Kurfürstin zu Brandenburg, geborne Prinzessin von Oranien 1658) einhauen. Sie bestimmte die Kirche für eine reformirte Gemeinde mitten in der lutherischen und war dadurch die Mutter der späteren Einigung beider Kirchen in Preußen.

Der Krieg aber begann aufs Neue gegen Karl Gustav; im September brach der Kurfürst mit seiner Armee nach Holstein auf. Als der Feldzug sich tief in den Winter verzog, wurden seine Briefe an die zurückgelassene Frau so dringend, dass sie sich entschloss, mitten im Januar ihm nachzureisen. Mit herzlicher Dankbarkeit empfing er die Treue, die ihm „der beste Arzt und Rat, selbst der beste Koch und Kammerdiener gewesen, so dass er, während er diese Hausmutter hatte, nie an einer Krankheit darniedergelegen,“ wie ein alter Geschichtsschreiber anmerkt. Sie selbst fühlte übrigens, dass die Frau nicht mit ins Feldlager gehöre und wollte schon auf Entfernung dringen, als eine Einladung zur Hochzeit ihrer Schwester Henriette auf willkommene Weise sie abrief. Alle Bedenklichkeiten und Einwendungen gegen die gefährliche Meerfahrt, zu der sie bald entschlossen war, nicht achtend, brachte sie es dahin, dass der Fürst in ihre Reise willigte und ihr am Gestade des winterlichen Meeres den zärtlichen Abschied gab. Der Kurfürst ordnete für sie allgemeine Gebete in seinem Heere an, in welchem ohnehin jeder Soldat das Neue Testament nebst Psalmbuch mit sich führen musste.

Glücklich kam die heldenmütige Frau nach Gröningen, wo sie ihrem Gemahl bei den sie hoch verehrenden holländischen Generalstaaten vielfach nützlich sein konnte in seinem siegreichen Kampfe gegen die Schweden. Nach einem mehrmonatlichen Aufenthalte im Haag kehrte sie mit Eile zu ihrem Gemahl zurück und begleitete ihn auf seinem Triumpheinzug nach Berlin. Bald aber verließ er sie wieder, damit ja „ihr Leben einer Gliederkette gliche, da eine Trübsal und ein Unfall am andern hing.“ Doch Jesus war ihre Zuversicht und ihr Heiland und ihr Leben.

Schon wollte ein neuer Kriegszug beginnen, als Karl Gustav starb; der Friede von Oliva brachte dem Lande Ruhe und dem Fürsten gesicherten Zuwachs an Macht. Louise dankte mit tiefbewegtem Herzen ihrem Gott für den holden Frieden und gelobte doppelten Liebes-Eifer in jeder Pflichterfüllung, namentlich in der seligsten der Pflichten: wohlzutun und mitzuteilen. Während sie den Druck, den der Kurfürst mit Steuern und Abgaben auf die Untertanen legte, in jeder Weise zu erleichtern trachtete, trug sie zugleich ernstlich und emsig Stein um Stein zusammen zur Ausführung ihrer wohltätigen Entwürfe.

Im Sommer 1661 hatte sie doch endlich in der Begleitung ihres Mannes durch Niedersachsen und Westfalen auch einmal die Freude, bei milder Witterung und ohne Kriegssorgen reisen und dabei ihre lang entbehrte Mutter umarmen zu dürfen. Nach ihrer baldigen Rückkehr ward ihr aufs neue die Aufgabe, die Falten auf der Stirne ihres Mannes zu glätten, der über den von den preußischen Ständen verweigerten Huldigungseid erbittert war. Was durch Verhandlungen und Drohungen nicht zu erzielen, hoffte er durch die persönliche Anwesenheit zu erringen. Er in seiner ritterlichen Gestalt und fürstlichen Hoheit, seine Gemahlin durch ihre Schönheit und Anmut verfehlten zwar den mächtigen Eindruck auf die Polen nicht, aber nur die Furcht vor ihm allein bewog sie endlich dazu, dass er an der Seite seiner neben ihm thronenden Gemahlin am achtzehnten Oktober unter freiem Himmel die feierliche Huldigung „als oberster Herr von Preußen“ entgegennehmen konnte. Auf der hierzu geprägten Denkmünze beruhigte er die neuen Untertanen, dass die furchtbaren Adler deren Bild als preußisches Wappen hier zum ersten Mal erschien – keine unkriegerische Taube erzeugen werden, d. h., dass er und seine Frau sorgen wollen, ihr Sohn solle ein Mann sein wie er. In der Tat war die Erziehung ihrer Kinder eine vorzüglich ernste und strenge.

Begleitet von den aufrichtigsten Tränen und Segenswünschen der mehr und mehr von Herzen gewonnenen Vornehmen und Geringen, kehrte Louise mit ihrem Gatten in ihre stille Hauswirtschaft zurück. Sie war auch wirklich eine vorzügliche Wirtin und Rechnerin, mit Vielem hielt sie Haus, mit Wenigem kam sie aus, und mit weiser Sparsamkeit wusste sie Großes zu leisten mit Kleinen. Noch befindet sich in dem Büchersaal zu Berlin ihr Hausbuch, worin alle ihre Sachen, wertvoll und gering, in wohlgeordnetem Verzeichnis von ihr selbst in holländischer Sprache eingetragen waren.

Nun trat sie in die sonnige Mittagshöhe ihres äußern Lebens, und in den Höhepunkt ihrer innern Reife. Ihren höchsten Lebensgenuss fand sie eben da in geräuschloser Wirksamkeit, in gemessener Erfüllung der Gebote ihres Gottes. Ihre innere Ruhe gewann von hier an bleibenden Bestand; denn sie, so wunderlich hindurch, so herrlich hinausgeführt, hatte nun den sichern Ankergrund gefunden, dass sie, ob auch äußere Sturmwinde sich noch viele erhoben, die Nähe des Herrn fühlte als „das sanfte Sausen Eliä“, dessen sie in ihrem weitern Leben und noch auf ihrem Sterbelager so gern gedachte.

Dieser Gottesfriede im Innern beseelte sie zu jedem weiteren guten Werke, namentlich in der ferneren Erziehung ihrer Kinder. Schwerin und andere gottesfürchtige Männer hatten bisher das Ihrige an denselben treulich getan, nun hoffte sie dieses Amt der Zucht und Vermahnung zum Herrn vollends selber, namentlich durch das Beispiel ihrer eigenen Gottseligkeit zu treiben. Während ihre Kinder denn auch zum Lohn ihrer mütterlichen Sorgfalt gediehen, namentlich der schwächliche, jetzt siebenjährige Prinz kräftig heranwuchs, gebar sie am 19. Nov. ein Zwillingspaar; eines davon, der Knabe starb schon in der ersten Woche, und das Mädchen, von dessen Wiege die Mutter Tag und Nacht nicht wich, nach wenigen Monaten. Den Kurfürst schmerzte namentlich dieser letztere Verlust tief, aber während er nach Trost suchte, fand er die Mutter in großer Fassung und mit himmlischer Ruhe am Sarge ihres Kindes bis zum Begräbnis, wo dann auch ihr die Tränen schmerzlich flossen schmerzlich über ihren Verlust, schmerzlicher über ihres Herzens Zustand, „der nimmer der Zuchtrute entbehren konnte.“ Ihr ganzes Gefühl sprach sich aus in dem von ihr selbst geschriebenen täglichen Bußgebete, diesem herrlichen Mustergebet einer gläubigen Christin, einer christlichen Gattin, einer zärtlichen Mutter und einer gottseligen Magd des Herrn. Dieses Gebet, auf dem so ganz der Duft heiliger Salbung ruht, müsse ganz hier stehen und ein Segen vieler Herzen sein:

„Barmherziger getreuer Vater, Einziger Trost und sichere Zuflucht meiner zwar unwürdigen aber vor Dir ganz gedemütigten Seelen, Ich komme zu Dir als dem rechten lebendigen Brunnen der wahren Arznei meiner durch die Sünde fast verdorbenen Seelen. Aber ich komme o liebster Vater, nachdem ich der Betrüglichkeit alles irdischen Trostes und aller weltlichen Freude inne geworden, und nun nichts höheres wünsche, dann dass ich ihrer auch ganz satt und müde werde, und allein meine Seele aus dem wahren unbetrüglichen Schatz Deines heiligen seligmachenden Wortes leben und ergötzen möge.

Ich komme jetzt nicht, wie ich vormalen mit heißen Tränen getan habe, Dich um zeitliche Dinge zu bitten, worinn Du mich doch allezeit gnädig erhört hast, dessen ich Dir nimmer genugsam danken kann, sondern das von Dir zu bitten, was Du mir selbst zu bitten befohlen und hoch beteuert hast, dass Du alle gerne erhören wollst, die Dich von Herzen suchen, nachdem dann leider alle Deine große unzählige Wohltaten und da Du mir mehr gegeben, als ich bitten dürfen, meine verderbte Natur nicht überwinden können dass ich dadurch bewogen werden mögen, meine Sinnen von dieser eitlen Welt ganz abzuziehen noch Dir meinem einzigen höchsten Gut also zu dienen, wie ich Dir solches oft und vielfältig angelobt habe, desfalls ich ängstliche Bekümernis in meiner Seele empfinde, so wende ich mein busfertiges und von Tränen quillendes Herz zu Dir o allergütigster Vater und bekenne offenherzig, dass ich nicht wert bin aller Gnade und Barmherzigkeit die Du mir erzeiget hast, dann ob ich zwar durch Deine Gnade längst erfahren, dass nichts herrlicheres, tröstlicheres und lieblichers ist denn an Deinem Bunde fest zu halten, auf Deinen Wegen zu wandeln und an Deinen heiligen Geboten sich zu ergötzen, und dir auch heiliglich versprochen, dass ich hierin meine Freude suchen und die Tage meines Lebens in solchen heiligen Übungen zubringen wollte, so habe ich doch fast sehr meinen vorigen Eifer erkalten lassen, die angeborene Neigungen zu der Welt Eitelkeit haben sich, bei befundner Kaltsinnigkeit zu Deinem heiligen göttlichen Worte, so häufig wieder bei mir eingeschlichen, dass, wenn Du o getreuer Hirte meiner Seelen nicht für mich gewachet, mich dieselbe in einen tiefen Schlaf verdammlicher Sicherheit würden eingewieget haben, denn wenn ich Deiner mitten unter der Weltfreude und angenehmen Gesellschaft gang vergessen und meine Gelübde von einem Tag zum andern verzogen, oder auch Deinen Dienst mit schlechter Andacht verrichtet, so hast Du mich dennoch bald wieder aufgewecket, und ob Du es wohl Ursach gehabt, und ich auch wohl verdient, dennoch Deine Hand nicht ganz von mir abgewandt, wann ich Dir mit der Welt den Rücken gekehret, so bist Du dennoch mir wieder begegnet, und hast mehr durch Deine liebreiche Barmherzigkeit, wie wohl ich deren nicht wert bin, als durch Deine Züchtigung die ich doch genugsam verdient habe, bei mir angeklopft.

Ich habe nur mich, mein Fleisch, meine Ehre und vergängliche Dinge geliebt, und Du hast mir so viel Zeichen Deiner inbrünstigen und quillenden Liebe gezeiget, dass ich billig sagen muss: ach Herr, was kann ich Dir vergelten für alle Deine Wohltaten! Ich habe öfters gar nicht, oder doch gar wenig zugehört, wann Du mir durch Dein heiliges Wort zurufen lassen, und Du hast noch nie Deine Ohren vor mir verstopfet, wann ich Dich auch nur um zeitliche Dinge gebeten. Ich hätte billig ein williges Herz haben sollen allen notleidenden zu helfen und die christliche Liebe so viel mehr zu üben, so viel milder Du gegen mich gewesen und mir das Vermögen dazu genugsam gegeben, aber, o allerliebster Vater, was großen Mangel fühle ich allhier, und wie wenig Mitleidens habe ich bisher verspüren lassen, oder doch nicht in der Tat erwiesen, und wie könnte ich Dir erzählen alle meine Fehler und große Gebrechen, deren Zahl unendlich ist; denn siehe mein Gewissen überzeuget mich, dass ich bekennen muss, dass nichts Gutes an mir ist vor Deinem heiligen Angesicht, ich bin verdorben von dem Hauptscheitel bis zur Fußsohle und der sündliche Schlangenstich hat meine sorglose Seele so abscheulich gemacht, dass auch meine besten Gedanken, mein heiligstes Vorhaben vor Dir o gerechter Gott unrein und befleckt ist, sollte ich aber darum zurücktreten und mich vor Deiner Herrlichkeit entsetzen? nein allerliebster Vater, wie mehr ich den Stachel der verdammlichen Sünde in mir fühle, wie mehr mein verzagtes Gewissen mir meine begangene Sünde vorstellt und ich noch die innerliche Neigungen meines sündlichen Herzens empfinde, je mehr will ich mich zu Deiner unendlichen Gnade nahen und zu Dir, als dem einzigen Helfer und Erretter schreien, je mehr will ich mich nach Deiner Hilfe und väterlichen Beistand reißen, und wie sollte ich zweifeln, dass Du mir nicht Deine väterliche Hand reichen und wieder zu Dir ziehen werdest, Du o gütigster Vater, der Du noch nie des Demütigen Gebet unerhöret gelassen, der Du mir Deinen einzigen Sohn und mit ihm alle Gaben gegeben, da ich noch Dein Feind gewesen, und Dich nicht gekannt habe, der Du Dich meiner erbarmet, da ich Deiner Gnade nicht begehrt, wie solltest Du mir dann jetzt die versagen, da ich Dich mit demütigem zerknirschten und bußfertigem Herzen darum anrufe?

Verzeihe mir denn o barmherziger Vater und vergib mir meine Fehle um Deines lieben Sohnes Jesu Christi Willen, umfasse mich wieder als Dein liebes Kind, und bestätige mich in Deiner Gnade. Gib mir auch ein reines Herz und neuen gewissen Geist, vermehre in mir den rechten Glauben, Liebe und Hoffnung, lass mich hinfüro meine Gelübde besser bezahlen, als ich leider bishero getan, erfülle mein Herz mit christlichen Tugenden und reinige es von allen sündlichen Zuneigungen und der Weltliebe, lass mich alle Tage wohl betrachten, in was Stand Du mich gesetzt hast, damit ich Dir desfalls allezeit unerschrocken Rechenschaft geben möge.

Nun liebster Vater, ich sollte mich billig vergnügen, dass Du mich durch Deinen heiligen Geist die Erhörung meines Gebetes versicherst und mir meine begangene Sünde gnädig verzeihst, aber Deine Gütigkeit ist so groß, dass ich mich auch unterwinde, Dich ferner in kindlichem Vertrauen demütig zu bitten, Du wollest auch dies und alle andere Gnade an Seel und Leib meinem Ehegemahl wiederfahren lassen. Ach liebster Vater gib ihm ein Herz das Dich vor allen Dingen liebe und fürchte, Dein Wort hoch halte, auf Deinen Wegen wandle und Deinen Willen vollbringe, weil Du ihn auf dieser Welt an Deine Stelle über viele gesetzt hast. Ei so lass ihn auch mit allem Eifer dahin trachten, dass er unter denen Deiner Diener gefunden werde, die allhier getreu gewesen, und desfalls künftig über noch mehr gesetzt werden sollen, lass nicht zu, dass die Welt und alle derselben Pracht und Herrlichkeit ihn von Deinem Gebote abhalten und sein Herz von Dir abziehen möge, sondern lass ihn ansehen die Exempel derjenigen, welche sich durch die eitlen Dinge dieser Welt betören lassen, und in dem sie das Vergängliche dem Unvergänglichen vorgezogen, die kurze Zeit ihres Lebens ohne Trost und Hoffnung und mit Verlust Deiner Gnade geendigt, wollest uns darum o getreuer Vater beiderseits alle Stunde an das Augenblick denken lassen, woran die ewige Ewigkeit hängt, damit uns solches nicht wie ein Fallstrick überfalle, sondern vielmehr bereit finde Dir, wann Du durch den zeitlichen Tod anklopfen wirst, freudig und mit getrostem Gemüt zu folgen. Wie ich dir auch o grundgütigster Vater von Grund meiner Seele danke, das du uns nicht allein Erben gegeben, sondern auch dieselben allbereit aus so mancher Gefahr errettet, unsere Augen vor Tränen behütet und vielmehr unsere Herzen mit Freuden an ihnen erfüllet hast. So bitte ich Deine unendliche Gütigkeit, o Vater aller Gnade und Barmherzigkeit, breite ferner die Flügel Deiner väterlichen Liebe über sie aus, lass sie wachsen, grünen und blühen, jedoch zu Deines Namens Ehr und Herrlichkeit, bewahre sie durch Deine heilige Engel für allem Unglück und bösem, benedeie ihre Auferziehung und ersehe ihnen zu solchem Ende solche Leute, die Dich von Herzen fürchten und von denen sie nichts als was dir wohlgefällt sehen und lernen mögen, auf dass sie dermaleinst dein Volk in Gerechtigkeit regieren und deinen Befehl gehorsamlich ausrichten mögen.

Endlich, wann nun auch die Tage meines Lebens dahin sein werden und ich die Schuld der Natur bezahlen. soll, so sei alsdann, ach mein getreuer liebster Vater in der letzten Todesangst eine beständige Erquickung meiner matten Seelen, richte mich auf durch den Trost deines heiligen Geistes und labe mich mit dem Wasser des ewigen Lebens, welches ist das vergossene teure Blut Deines Sohnes meines Erlösers, auf dass ich dir meinen Geist in ungezweifelter Hoffnung der künftigen fröhlichen Auferstehung in Deine Hände wieder gebe, und meinen Mund schließe mit dem süßen Namen Jesu. Erhöre mich o heiliger Gott um Seinetwillen wie ich Dich ferner in Seinem Namen und durch Sein Befehl also anrufe. Unser Vater -“

Solcherweise stärkte sie sich, in ihrer Schwachheit ihrem Herrn das Kreuz nachzutragen. Neben dem Gebete war unermüdliche Tätigkeit ihr eine Arznei gegen Gram und Schmerz. Sie musste wirken so lange es Tag war, weil sie die Nacht kommen fühlte. Den Schlussstein setzte sie in ihre edlen Gründungen mit Erbauung des Oranienburger Waisenhauses, womit sie andern ähnlichen Stiftungen die Bahn brechen half. Die von ihr selbst entworfene Stiftungsurkunde, ein Meisterwerk christlicher Weisheit lautet also:

„Wir Louise von Gottes gnaden Marggräffin und Churfürstin zu Brandenburg, geb. Prinzessin zu Oranien usw.- Uhrkunden und bekennen hiemit von Uns und Unsern Erben, dass wir öfters bei uns erwogen, wie viel und mancherlei in diesem Leben unterlassen wird, was dennoch Unser Erlöser Christus von uns fordert bevorab in den Werken der Liebe und Barmherzigkeit. Als wir Uns nun vornemblich erinnert, wie Gott der Herr Sich selbst einen Vater, einen Helfer und einen Beistand der Waisen zu sein verheißt und allen und jeden befiehlt, dieselben gebührlich zu verpflegen, daher es dan dem Hiob zur Gottseligkeit zugerechnet, dass er seinen Bissen nicht allein gegessen, besonders die Waysen solches mit geniessen lassen, und in der Schrift es für einen unbefleckten Gottesdienste geachtet wird, die Waysen in ihrer Trübsal zu besuchen; und Wir dagegen spüren wie gar wenig solcher Befehl in Handhabung armer verlassener Waysen in Acht genommen wird, dass auch deren nicht allein viele Kümmerlich umbkommen, besondern der Mehrerteil aus mangel nötiger Aufsicht und guter Erziehung der bösen Welt zu teil wird, anstat dass Sie zu Gottes Ehren leben sollten, nur des Satans Reich vermehren helffen. So haben wir zuder Zeit, da Wir Gott dem Allerhöchsten und eben an diesem orth so herzlich umb Seinen so lange verweileten Ehesegen angeruffen, der uns auch gnädig erhöret hat, und dem wir davor nebst allen unsern Nachkommen ewig lob und dank sagen wollen, diesen beständigen Vorsatz genommen, Gott dem Allerhöchsten zu Ehren, und Christo, der uns sämptlichen die kinder so hoch anempfohlen zu gehorsamb, allhierr zur Erziehung und erhaltung von 24 Waysen nicht allein ein Waysenhaus zu erbauen, besonders auch zu der verpflegung gewissen unterhalt zu verordnen und wie es damit zu allen zeiten gehalten werden soll zu bestimmen, Gestalt Wir dan hiemit, Nachdem durch Gottes gnade das Gebeyde fertig geworden ist, Wir auch des übrigen halber, vermittelst dieser unsrer Verschreibunge richtige und beständige Verordnung machen wollen.

Anfänglich nun verordnen und disponiren Wir hiemit, dass vorgedachtes von Uns in Oranienburg erbawtes Hauß zu ewigen Tagen ein Waysenhauß verbleiben und unter keinem Vorwand, wie er auch sein möchte zu einem andern behuff gebraucht, besonders einzig und allein zum Dienst deren aufgenommen Waysen gelassen und allezeit in Bäwlichen würdig erhalten und vor ruin praeservirt (erhalten) werden soll.
Hienegst, damit es den aufgenommen Waysen an Ihrem nötigen Unterhalt nimmer mangeln möge; so wollen Wir dazu und was auf die Leute, so ihrentwegen zu bestellen nötig sein möchtet 200 R. Taler Jährlich verordnet haben.

Ferner sollen jährlich zu desto besserer unterhaltung dieses Waysenhaußes 10 Wisp. Rogken und 10 W. Gersten entrichtet werden. Über diesen haben Wir einige Wiesen zur erhaltung 6 Kuhen, einen Küchengarten und etliche Stücke Landes Flachs darauff zu bauen, hierzu gelegt, wie solche stücken richtig verzeichnet werden sollen.

So synd auch mit Consens (Einstimmung) Unsres Herz Vielgeliebten Herrn und Gemals dem Waysenhauß vergönnt 15 Schweine vergebens in die Mast zu treiben, item notürfftig Brennholz, so allemahl von den Holz Bedienten angewiesen und von dem Waysenvater zu rechter Zeit angeschafft werden soll.

Was an Betten, Betstädter, Leinenzeuge, Zinnern und Hölzern geräthe von nöten, haben wir insgesampt angeschaffet usw.

Zur Bedienung dieser 24 Waysen die helffte Jungens und die helffte Metchens soll ein Waysenvater welcher nebenst seiner Frawen eines Ehrbaren Gottesfürchtigen wandels ruhm und gewisse zeugnis haben soll, von Uns, und nach Unsrem tode von dem allezeit Regierenden Churfürsten bestellet werden, dieselben sollen in dem Waysenhauße in den dazu verordneten Gemächern wohnen und soll des Waysenvaters sorge sein, dass diese Waysen 1) alle Morgen des Sommers umb Fünff und des Winters umb Sechs Uhr aufstehn, sobald sie gekleidet, alle in ein Gemach zusammenkommen, allda sie sämptlich das hiebeigefügte Gebeth nachsprechen, darauf ein Capitel aus der Bibel anhören und mit Gesang aus dem Lobwasser schließen sollen.

2) Darauf sollen sie sich alle wieder in ihre Cammer verfügen und an beyden ohrten, im lesen, schreiben, Catechismus fleissig unterrichtet und in allem in der Christlichen Reformirten Religion erzogen werden.

3) Soll der Waysen Vater darauff sehen, dass sie allemahl zu rechter Zeit, als des Mittags zu Eilff und des Abends zu Sechs Uhren, die Knabens an einem und die Metchens an einem andern Tische gespeiset werden, da er dann selbst an der Taffel speisen und darauf sehen solle, dass alles ordentlich und bescheidentlich unter Ihnen zugehe.

4) Die Speisung soll folgender gestalt beschaffen sein, Auff jede Taffel sollen drei Schüsseln dergestalt angerichtet sein, dass sie zur Genüge gesättiget werden können, die erste Schüssel soll nach gelegenheit der Zeit, von Kohl, Erbsen, Reiß, Hirse, Grütze, Milch-, Biersuppen und dergleichen sein, die zweite Schüssel des Sonntags, Dienstags und Donnerstags gekochtes Fleisch, einmahl frisch, das anderemahl gepöckelt, die dritte Schüssel des Sonntags zu Mittage ein Braten sein. Die andern Tage ein Gemüse des Montags, Mitwochs, Freitags und Sonnabends zu Mittage wird anstatt des Fleisches eine Schüssel entweder frische oder gedörrte Fische gegeben, und zum Frühstück ein Schnittchen Brott und ein wenig Käse dabei, das Getränke soll Ihnen über essen zum durst notürfftig gegeben werden und soll das Bier von Anderthalb Scheffel auf die tonne gebrawen werden; Sobald sie abgespeiset, sollen allemahl zwei von den Knaben und zwo von den Metchens, welches alle Wochen umbwechseln soll, die Speise heraustragen, von der Knecht und die Mägde sich sättigen und wenn etwas verübriget wird, solches sofort den Armen ausgeteilet und nicht auffgehoben werden.

5) Nach der Mittags und Abend Mahlzeit sollen abermahls die hierzu aufgesetzte und hienegst befindliche Gebet knieend gehalten werden, ein Capitel aus der Bibel gelesen und mit einem Gesange geschlossen werden.

6) Der Waysen Vater soll fleissig acht haben, ob auch etwas straffwürdiges unter Ihnen vorgeht und wenn er nicht selbst bei Ihnen sein kann, durch jemand anders acht darauf geben lassen, und nach Beschaffenheit des Verbrechens solches entweder mit scharfem Verweis oder auch, wenn es die not erfordert, durch eine Rute in der andern aller Gegenwarth bestraffen, diejenigen aber, so der Rute entwachsen, und es dennoch verschulden sollen mit Gefängnis und wo gar keine Besserung zu hoffen und durch böse Exempel die andern verführt und geärgert werden nach getaner Notifikation an die reformirte Prediger in der Kirche zur heiligen Dreifaltigkeit zu Cölln an der Spree und mit deren gutachten ohne erteilung eines Zeugnisses und mit Entziehung dessen was denen andern zu gute hienegst folget aus dem Wäysenhauße abgeschafft werden.

Die Waysenmutter soll zwar sorge tragen vor alle Waysen Knaben und Metchens dass sie reinlich gehalten und Ihre Speise recht zugerichtet werde, absonderlich aber soll Ihr aufliegen fleissige acht auf die Metchens zu haben damit dieselben in guter zucht gehalten und Ihnen nicht vergönnet werde unter die knabens zu lauffen, sondern dass Sie allezeit in Ihrer Kammer verbleiben und daselbst nach gehaltenem Gebeht entweder Spinnen, nähen, Würfen oder knüppeln (stricken) nachdem eine jede Neigung zu einem oder anderm hat, aber müssig soll keine sein, außerdem des Sonntags und zwey tage in der Wochen, da ihnen zwei oder drei Stunden erlaubt sein mag außzüspazieren, doch dass die Waysen Mutter allezeit dabei sei, was nun eine Jede Spinnet, nähet und sonst arbeitet davon soll die Helffte Ihr eigen sein und Ihr zum besten aufgehoben oder verkauft und das Geld verwahret, die andere Helffte soll zum gemeinen besten des Waysenhaußes angewandt und gerechnet werden, das Flachs, Zwirn oder dergleichen soll ihnen alles zeit geliefert werden. Die Waysen Mutter soll allezeit bei den Metchens an Ihrem Tische essen und Ihnen keinen Mutwillen oder unzüchtiges verstatten, des Sonntags soll sie dieselben fleißig zur Kirche halten und sobald sie zu hauße kommen, fragen, was sie behalten, Gestalt es der Waysen Vater gleichergestalt mit den Knaben also halten solle; Wan ein Knabe oder Metchen krank wird, sollen sie in ein absonderlich Logament gebracht und gebührlich gewartet und curirt werden. Sollte auch ein oder ander von den Waysenkindern versterben, so sollen sie aus deren Einkünfften in das von Uns erbawte Gewölbe in der Kirche begraben werden und die übrige Waysenkinder ihnen zusammen in einer Ordnung folgen.

Bei einnehmung der Waysen soll folgender gestalt verfahren werden, wann sich bei eröffneter Stelle jemands ergibt, der einen Waysen recomandirt, Soll zufoderst fleissige Erkundigung eingezogen werden, wer die Eltern gewesen, und wenn sich da befinden sollte, dass dieselbe Gott und ruchloss böse Menschen gewesen, sollen deren kinder nicht angenommen werden, weil zu besorgen, dass dieselbige Ihren Eltern nachschlagen und die andern Waysen verführen möchten. Wenn man nun gewisse kundschaft eingezogen, dass die Waysen von guten Leuten entsprossen, sollen sie mit genehmhaltung des Regierenden Churfürsten aufgenommen und alsodann in das Buch verzeichnet, zufoderst aber des Sonntags nach der Predigt in der Kirche in gegenwarth der andern Waysen öffentlich ermahnet und Ihnen vorgehalten werden, wie sie sich bei vermeidung der verstoffung zuverhalten und zu gebührlichem Gehorsam gegen ihre Vorgesetzte zugleich angewiesen werden; unter acht und über zehn Jahren soll feiner angenommen werden.

Sobald die Knaben von der Stärke sein, dass sie zur erlerung eines handwerks tüchtig und geschickt erfunden werden, soll der Waysen Vater sich eines jeden Natur und Neigung erkundigen und dazu ein jeder lust hat, bey einen solchen Meister bringen, bei welchem er zwar die gewissen Stunden des Tages seine Arbeit abwartet, jedoch nichts weniger den Gesetzen des Waysenhaußes unterworfen bleibt und alsofort nach verrichteter Arbeit wieder einkehrt und soll ihm nicht vergonnt sein, denen wöchentlichen Fressen und saufereien so die andern Handwerksgesellen verüben, beyzuwohnen; Das Lehrgeld soll aus dem einkommen des Waysenhaußes entrichtet werden. Was er aber bei solcher Arbeit erwirbet, verbleibt ihm die Helffte eigentümlich, und soll ihm bis er aus dem Waysenhauße ausgeht, in einer verschlossenen Büchse aufgehoben werden, die andere Helffte aber soll gleichergestalten zum gemeinsamen besten des Waysenhaußes angewand und berechnet werden.

Sollte sich auch unter den Knaben einige hurtige Ingenia (gute Köpfe) hervortun, wovon man gewisse und unfehlbare Hoffnung zu schöpfen, dass sie den Studien mit guten Nutzen obliegen könnten, soll der Waysen Vater bei den Schulvorstehern des Joachimsthalschen Gymnasii anhalten, dass sie allda zu gemeinschaftlichen Tisch aufgenommen werden, da Ihnen dan nach Unsres Vielgeliebten Herrn und Gemahls dißfalls ergangene verordnunge allemahl der erste erledigte Platz gegeben werden solle.

Wann die Metchens in dem Waysenhauße von Siebenzehn oder Achtzehn Jahren sein, soll der Waysen Vater und Mutter sich bemühen, dass sie bei guten Leuten zu dienen untergebracht werden.

Wann aber eines daraus verheiratet wird, es sey dasselbe noch darin oder sei schon in einem andern Orte gewesen, so sollen Ihr 20 R. Taler zur Mitgabe gereicht werden.

Die Kleidung betreffend, sollen sie alle Jahr in Dannet Brauntuch, die Elle zu. 18 Gr. gekleidet, zu Unsrem gedächtnis aber und dass ein jeder erinnere, wer dieses Waysenhauß gestiftet, soll von Oranien Farbe ein solches Zeichen einen jeden auf den Ermel genähet werden, so lange sie im Waysenhauße sein (C. L. mit der Kurfürstenkrone darüber).

Wann einer abgeht, welches nach erreichung des Siebenzehnten oder Achtzehnten Jahres geschehen soll, es sei dann, dass sie zum studieren tüchtig eher heraus müssen, sollen sie von dem Prediger zuvorderst fleißigk vermahnet werden, sich überall fromb, ehrlich und trewlich zu verhalten, damit sie diesem Waysenhauße keine schande antun, Mit Bedrawung, dass widrigenfalls Ihr Name zu Ihrer höchsten Beschimpfung aus dem Buche, worin sie verzeichnet, ausgeleschet werden soll, worauff sie alßdann mit einem Gezeugnisse Ihres verhaltens, wo die rechte eigentliche Wahrheit allezeit geschrieben werden foll, und guter rekommendation an die Orte, wohin sie wollen, zu entlassen.

Der Waysen Vater und die Waysen Mutter sollen nachfolgenden Eyd bei ihrer annehmunge schwören, und sollte sich befinden, dass über verhoffen Sie untrew wehren und das Waysen Kinder das verordnete entzogen, Sollen sie alsoforth Ihres Ampts entsetzt und andere angenommen werden.

Dem Waysen Vater sollen für seine Mühe Jährlich 30 R. thlr. und der Waysen Mutter 12 R. thlr. gegeben werden. Über dem soll ein Knecht und 2 Pferde das Holz und andere notdurfft zu rechter zeit anzuschaffen und dann 2 Mägde gehalten werden, welche Mägde mit hülffe der größeren Waysen Metchen, welche die Waysen Mutter allezeit zu verordnen hat, das Hauß und Logamenter Reinlich halten, die Betten machen, das Leinenzeugk waschen, die kühe melken, den Garten warten und das kochen verrichten sollen, und soll die Waysen Mutter fleissig acht auf solche Mägde haben, damit sie die Waysen nicht verführen und sich allemahl frommer guter Mägde befleissen.

Folgt dann Weiteres über die Führung der Rechnungen.

Zum Schluss heißt es: Unsrem Herz Vielgeliebten Eltesten Sohn und allen denen Jenigen, so von Sr. Lbd. entspriessen und künftig an diesem Churfürstlichen Stuhl nachfolgen werden, binden Wir ernstlich ein über diese Unsre Stiftung fest und unverbrüchlich zu halten und dadurch den Seegen Gottes über sich und Ihre Nachkommen zu vermehren, Sollte aber, welches Wir aber aus kindlichem Vertrauen zu der unendlichen Barmherzigkeit Gottes Uns nicht versehen, besondern vielmehr festiglich hoffen wollen, dass Er unsere Leibeserben nach Seinem gnädigen Väterlichen willen allezeit erhalten werde, diese Linea sich dermahln eins endigen und das Churfürstentumb auf andere geraten, So ersuchen Wir denselben, der zu solcher Zeit Churfürst sein wird, nicht weniger über diese Unsre Verordnung unveränderlich halten und wider dieselbe nichts vornehmen zu lassen.

Wir rufen den höchsten Gott demütiglich an, dass Er nach Seiner Väterlichen Güte diesen Unsern guten Vorsatz segnen und stetshin sein gedeihen zu Gottesfürchtigen erziehung aller derer, so hierin künfftig aufgenommen werden, verleihen wolle, Ihm sey Lob, Preiß und Ehre in Ewigkeit.

Geschehen und gegeben zu Oranienburg am Fünfundzwanzigsten September Anno 1665. Louise Corvorstin.“

Schon im vorigen Jahre hatte sie fleißig bauen lassen, im Winter wurde Alles vorbereitet, damit im nächsten Herbste das Haus bezogen werden konnte. Am 25. September war Alles fertig. Still und ohne alles Gepränge wurden die ersten Waisen eingeführt und in ernster heiliger Weihe die Anstalt gesegnet, wie es ihr und ihrer edlen Stifterin geziemte.

Nach Vollendung dieser Stiftung erlaubte sie sich keine Ruhe bis sie noch in der ganzen Umgegend alle ihre Gründungen untersucht und die wahrgenommenen Mängel ausgebessert hatte. An jedem Orte nahm sie ihrer bevorstehenden großen Reise wegen herzlichen Abschied. Bei ihrer Wegfahrt von Oranienburg drängte man sich mehr denn je um ihren Wagen; Allen, namentlich ihren Waisen reichte sie die mütterliche Hand. Ihr Gemahl fand sie bei ihrer Ankunft in Berlin frischer und gesunder als zuvor, die Freude über gelungenes Werk strahlte aus ihrem Angesichte. Fröhlich ward die Reise im Oktober angetreten.

Wie ganz anders sah die Mark nun aus, als vor fünfzehn Jahren; der freundlichere Anblick war das gemeinsame Werk des fürstlichen Paares. In Cleve fand sie ihre Mutter noch einmal, unter deren Pflege sie am 8. Juli 1666 eines gesunden Knaben genas, der den Namen Ludwig und vom Könige von Frankreich Ludwig XIV. eine silberne Wiege erhielt. Indessen blieb ihr eine bedeutende Schwäche von dieser letzten Niederkunft her, aber so gefährlich ihr Husten klang, nur die Ärzte konnten sie bewegen, ihren Gemahl nicht sofort nach Berlin zurückzubegleiten. Mit bitterstem Grame trennte sich der Kurfürst von seiner Gattin, die auf einem Rheinschiffe nach dem Haag zog, während er allein nach Hause sollte.

Schon die Wasserreise, dann die heimatliche Luft ihres Geburtslandes, der herzliche Willkomm und das schöne Stillleben in dem freundlichen Haag besserten ihre Gesundheit. Statt den Zerstreuungen, wie man ihr riet, sich rückhaltslos hinzugeben, war auch hier der äußere Genuss nur das Letzte im Tagewerke; ihre Zeit wurde auf streng geregelte Art ausgekauft. Jede Frühstunde war Gott geweiht, am liebsten im Vereine mit ihrer Mutter. Täglich las sie ein Stück in der heiligen Schrift, in der sie ganz zu Hause war; dann sang sie ein frommes Lied zum Klavier. Auch Personen ihrer Umgebung ließ sie in ungezwungener Weise an diesen Erbauungen Teil nehmen. Jeder Dienstag war ihr Fasttag; wöchentlich schrieb sie an ihren ältesten Sohn; überhaupt führte sie einen bedeutenden Briefwechsel, vermittelst dessen sie auch aus weiter Ferne für ihre Werke und Stiftungen in der Mark Brandenburg wirkte. Einen Teil des Tages arbeitete sie in ihrer Bücherei, wo sie Besuche der bedeutendsten Gelehrten annahm und lehrreiche Gespräche mit ihnen führte. In dieser Tagesordnung ließ sie sich ungern unterbrechen, außer wenn einem Notleidenden augenblicklich geholfen werden konnte. Dem wohltätigen Wirken widmete sie einen bedeutenden Teil der Tagesstunden. Den Arbeitsunfähigen gab sie Almosen, den sonst Zurückgekommenen suchte sie gründlicher zu helfen. Von diesen ließ sie sich nicht suchen, sie suchte diese selbst auf und setzte sich mit den öffentlichen Armenbehörden ihres jedesmaligen Wohnorts in zweckmäßige Verbindung. Keine Mühe war ihr dabei zu sauer, keine Verdrießlichkeit zu groß und kein Körperleiden durfte sie abhalten. Hierin war sie sich vielleicht zu hart, auch wollte sie sich schlechterdings keinem Arzte überantworten, wo denn ihre Mutter ihr Arzt zu werden wusste, indem sie nach dem Rate der vorzüglichsten Heilkünstler ihre Tochter beriet und leitete.

Louise fühlte sich oder machte sich vielmehr so stark, dass sie selbst während der Winterkälte die Kirche besuchte. Bei ihrer Geschiedenheit von Mann und Kindern schloss sie sich um so inniger an ihren Heiland an. Die Advents- und Weihnachtszeit feierte sie wie gewöhnlich mit strahlender Freude. Als sie am 14. März aus der Kirche kam, sagte sie zu ihrer Oberhofmeisterin: „Wir freuen uns wohl Beide auf die Rückreise nach Hause; aber ich muss fürchten, dass sie nicht nach Wunsch wird vollendet werden.“ Auf die Erwiderung, dass der Kurfürst, wüsste er von ihrem Befinden, gewiss alsbald mit den Prinzen herreisen würde, schloss sie: „Mein Beruf weist mir diese Reise an; ich schreite dazu im Namen Gottes, mag er mich zum Leben oder zum Tode leiten.“

Der Kurfürst hatte in seinen herzlichen Briefen den Wunsch geäußert, dass seine Gemahlin in der milden Jahreszeit so früh als ihre Gesundheit es erlaube, die Rückreise nach Berlin antreten möchte. Deswegen wollte sie schon in der ersten Hälfte Aprils abreisen, die besorgte Mutter wusste sie wenigstens bis nach der Mitte desselben zurückzuhalten. „O wie süß wird es für mich sein, das liebe Osterfest an deiner Seite zu verleben“ rief Louise aus.

Sie war gewohnt in stiller Zurückgezogenheit die Leidenszeit des Herrn zuzubringen. Ihre Mutter pflegte in derselben für die Armen Hemden und Kleidungsstücke anfertigen zu lassen. Welche Lust war es der Tochter, dazu zu helfen und mit den Erfreuten sich zu freuen. In den österlichen Tagen Alles um sie her mit Freude zu beleben, darin war ihre Liebe von jeher wahrhaft erfinderisch.

Nun gings an die Vorbereitungen zur Abreise. So angegriffen sie war, wollte sie doch auch in der höfischen Sitte der Verabschiedungen alle Gerechtigkeit erfüllen. Geübt, durch die Kraft des Geistes und Willens über den schwachen Körper zu herrschen, vergaß sie Schmerzen und Schwächen, um ihren Pflichten zu genügen. Ihr Abschied von ihrer Mutter geschah ihr am schwersten, beide fühlten, es werde der letzte sein. Die Generalstaaten und das Volk erwiesen der Allverehrten die herzlichste Teilnahme. Der Sohn ihres seligen Bruders gab ihr das Geleit bis Rheenen, zehn Meilen weit.

Ihre Krankheit nahm immer zu, und da sie ihren fieberhaften Zustand nicht länger verbergen konnte, beschwor sie ihren Begleiter, der Mutter nichts davon merken zu lassen, da das Übel bei ihr vorübergehend sei. In Duisburg musste man sie nötigen, das Bett zu hüten. Kaum hatte sie einige Arznei genommen, so entschloss sie sich zur Fortsetzung ihrer Reise; ihr Beichtvater, dem sie es anvertraut hatte, dass sie ihre Krankheit für unheilbar halte, berichtete an den Kurfürsten, wie ihre Sehnsucht nach Gemahl und Kindern in ihr fast das Krankheitsgefühl unterdrückt habe. „Wenn mir Gott die Gnade erweist, sprach sie einmal, mein Ziel zu erreichen, so will ich gern sagen, Herr nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren.“ Ein anderesmal sagte sie: „Gott hat mich zu dem Scheiden in der Schule der Leiden gestärkt, er hat die Zeichen seiner Rute in mein Fleisch gedrückt aber auch seine Furcht in mein Herz versiegelt.“ Dann richtete sie ihre Blicke gen Himmel und betete: „Es ist mir lieb, Herr, dass du mich gedemütigt hast, aus deiner Züchtigung erkenne ich, dass du mich liebest, dass ich dein Kind bin und dass du Acht auf mich hast, dass du meinen Tod nicht begehrst, sondern dass du aus einem tiefen Schlafe mich erwecktest. Du hast mir gezeigt, dass das Wesen dieser Welt vergeht, dass aber wer deinen Willen tut, bleibt in Ewigkeit.“

Sie hatte ihren Geistlichen Spanheim gebeten, während einer Ruhezeit zu predigen und er sprach über das Wort „Gott mit uns.“ Bei Wiederholung der Predigt wandte sie besonders folgende Stellen auf sich an: „Gott mit uns, welch ein Trost in trauriger Einsamkeit, in gefährlichen Wüsteneien, in abmattenden Kindbetten, im Hause des Weinens, bei den tausendfach listigen Ränken !“

Als die Nachricht von ihrer Krankheit nach Berlin kam, befahl der Kurfürst seinen besten Ärzten, ihr entgegenzueilen; er selbst, sobald er das Nötigste geordnet, flog mit seinen zwei Söhnen mehr als er fuhr und ließ sein Gefolge und selbst die Ärzte hinter sich. Am 25. April traf er die Gattin, nachdem er auf dem ganzen Weg ohne Rast und Schlaf gewesen war. Bald traf auch ihr geistlicher Gewissensrat Stosch, so wie ihre Schwester, die Herzogin von Dessau ein, und dieses Zusammensein mit ihren Liebsten war für sie so erquickend, dass sie sich zu erholen schien. Dennoch glaubten die Ärzte nicht, dass sie die weitern dreißig Meilen bis Berlin aushalten könne. Der Kurfürst brachte eine Sänfte für sie in Vorschlag und so wurde sie zurückgetragen. Nachdem sie bei ihrer Mutter hatte verweilen dürfen und jetzt zu „ihrem Herrn“ zurückkehren durfte, „mög Gott es mit ihr machen nach seinem heiligen Willen“, antwortete sie auf Spanheims Glückwunsch zur Heimkehr.

Sie war von ihrem nahen Ende fest überzeugt, äußerte aber nichts davon. Der Gedanke an die Trennung von ihrem Gatten kam ihr hart an, doch war es ihr ein Trost, dass sie vorangehen und ihm gleichsam eine Stelle bereiten könne. Ihre Kinder, deren sie stets in ihrem Gebete gedachte, ließ sie nur selten in ihr Zimmer und fast nicht an ihr Bett kommen, sie befahl, dieselben auf etliche Tage aus dem Schlosse fortzubringen.

Im ganzen Lande wurden Kirchengebete für die Landesmutter gehalten. Der Kurfürst, wo er ging, stand seufzend und händeringend. Als die Ärzte keinen Trost zu geben vermochten, setzte er sich nieder und schrieb folgende Stiftungsurkunde nieder:

„Nachdem der Höchste meine herzvielgeliebte Gemallin gar hartt undt schwer mit Crankheitt heimgesuchet, vndt das auch alle Menschliche mittel vmbsonst vndt verlohren sein, So habe ich eine Gelübtte dem höchsten getan das ich daferne Ihre Liebden von diessem lager wieder aufkommen, ich Ihnen zu ehren ein Armenhauß bauen, vndt zu Vnterhaltung deffelbigen Jahrlichen 6000 Reichsthaler verordnen will, so zu ewigen Zeiten von meinen Nachkommen dar zu stellen ausgefertigt werden. Des Befund habe ich diesses eigenhendig geschrieben vndt unterschrieben geben zu Berlin d. 4ten Mai Anno 1667. Friedrich Wilhelm.“

Aber ungeachtet jeder ersinnlichen Menschenhilfe und ärztlichen Pflege sank die Hoffnung auf das teure Leben immer mehr. Der Kurfürst wachte selbst öfter bei ihr und tröstete sie mit Schriftworten. Ehe sie zu schwach wurde, versammelte sie ihre Dienerschaft um sich, dankte ihnen für ihre Liebe und Treue, bat ihnen etwaige Beleidigung ab, empfahl sie der Obhut Gottes und der Treue ihres Gemahls. Herzzerreißend war ihr Abschied von den Kindern, bei dem nur sie in hoher Ruhe blieb. Sie übergab dieselben mit Genehmigung des Kurfürsten dem treuen Schwerin mit der Bitte, sie fern vom Hofe in seinem einsamen Altlandsberg zu erziehen, um von ihren Studien und Übungen nicht abgehalten und durch die Verleitungen des Hofes nicht irre gemacht zu werden. Darauf segnete und entließ sie dieselben.

Der Hofprediger Stosch kam täglich um vier Uhr Nachmittags zu ihr. Am siebzehnten Juni empfing sie ihn mit den Worten: „Es ist mir lieb, eines Dieners Christi Ansprach zu vernehmen. Den Prozess den der Herr mit Elia gehalten, worin er ihm einen Sturm, ein Beben der Erde und ein Feuer hat erfahren lassen, ist auch über mich ergangen; nun hoffe ich, es werde auch ein sanftes Sausen nachfolgen, Er werde mir mit Gnade und Hilfe erscheinen.“ Herzlich dankte sie Gott für seine Führungen während sie selbst nie mit sich zufrieden gewesen war. Stosch musste mit ihr aus dem zweiundzwanzigsten Psalm beten, sie fühlte sich sehr erquickt und bat um seine Wiederkehr am morgenden Tag, was sie vorher nie tat, da er immer pünktlich erschien.

Über Nacht hatte sie viel Linderung verspürt; Stosch drängte es, heute eine Stunde früher zu kommen. Als er eintrat bat sie ihn und die Andern zu beten. Er bat zuerst um leibliche Hilfe, als er fortfuhr, wenn Gott es anders beschlossen habe, und statt des Zeitlichen das Ewige darreichen wolle usw. da hob sie ihre gefalteten Hände höher und betete brünstiger. Als sie nach einiger Stille die Augen wieder aufschlug, fragte Stosch, ob sie fühle, dass Gott ihr gnädiger Vater sei, antwortete sie mit einem deutlichen Ja! Dann schlief sie ein und kurz vor sechs Uhr war unmerklich ihr Atem entschwunden. Regungslos lag sie schon eine Weile da, als Stosch den in sich versunkenen Fürsten ansprach: „Sie ist Ew. Durchlaucht wie eine Garde auf Wegen und Stegen gewesen; aber der Trost bleibt, dass die letzten Seufzer dieser frommen Seele künftig um Christi willen die Kraft eines täglichen Gebetes haben werden.“ Indessen hatte der Kurfürst die Hand seiner, wie man dachte, entseelten Gattin ergriffen, fühlte aber ganz deutlich einen dreimaligen Druck derselben. Dies war das letzte Lebenszeichen der im Herrn Entschlafenen. Sie war 39 Jahre 29 Wochen alt und zwanzig ein halb Jahr in der Ehe gewesen. Ihre Hülle ward, wie sie sich immer erbeten, sanft und stille abgebrochen. Zu ihrem Leichentext hatte sie sich erwählt Hiob 13,15: (nach reformirter Übersetzung): „Ob mich der Herr gleich töten wird, will ich doch auf ihn hoffen.“ Zugleich hatte sie Stosch beschworen, in dieser Predigt sich aller Schmeicheleien zu enthalten. Die Leiche wurde von den höchsten Dienern des Staates getragen und im Dome beigesetzt. Der Kurfürst und die Kinder folgten dem Sarge, weiterhin die zwölf Knaben und zwölf Mädchen ihres Waisenhauses. Alles ging zu Fuß in einer sackähnlichen, die ganze Gestalt verhüllenden Trauerkleidung. Neben ihrem Sarge stehen jetzt die Särge ihrer Söhne Karl Emil und Ludwig, welche in der Blüte der Jugend ihr in die Ewigkeit nachgefolgt sind. Die Denkmünzen auf ihren Tod stellen sie dar mit einer nur einfachen Reihe Perlen um den Hals, wie sie im Leben sie trug. Auf einer Denkmünze ist eine Kugel mit daraufstehendem Kreuz das zwei Engel stützen: wenn das Kreuz auf ihrem schwankenden Leben zu schwer werden wollte, so traten die Engel Gottes hinzu und dienten ihr. In einem sie darstellenden Gemälde ruft der Kurfürst vor ihr mit schmerzlicher Miene aus: O Louise, wie oft vermiss ich deinen Rat! Denn allerdings ist er oft mitten in einer Ministersitzung aufgestanden um sich bei ihr Rat zu erholen; sie war „klug wie die Schlange und ohne Falsch wie die Taube“ aber zornig auch fast wie der Löwe, wenn sie Ungerechtigkeiten, Schleichwege und Unwahrheit entdeckte im Übrigen voll Sanftmut, Demut, Geduld und Duldsamkeit, Treue und Gewissenhaftigkeit, mild gegen Andere, streng gegen sich selbst, täglich aus Buße und Glauben neue Kräfte des Liebens und Hoffens schöpfend.

Elisabetha Christina, Königin von Preußen, Gemahlin Friedrichs des Großen.

Die Gemahlin des größten Fürsten seiner Zeit, der eine Welt mit dem Ruhm seiner Waffen und seines Geistes erfüllte, war verurteilt, ihr Dasein zwischen dem einförmigsten Stillleben, das kaum über die Grenze ihrer Hauptstadt hinausreichte, und zwischen Dingen zu teilen, welche, wie das Äußerlichste und Leerste, so das Drückendste und Traurigste im fürstlichen Berufe sind. Eine Fürstin, welche fern von ihrem Gemahle nicht einmal in den Pflichten einer Mutter Ersatz finden sollte dafür, dass sie nichts sein durfte als das glänzende Scheinbild, die bloße Schaumünze königlicher Herrlichkeit, der Mittelpunkt aller eitlen Hofpracht, wie unglücklich wäre sie gewesen, wenn sie nicht hätte ein stilles Feld der Tätigkeit gefunden, dort, wo kein Glanz des Thrones und kein Ruhm des Geistes und keine Ehre der Waffen, nur die Liebe Jesu mit Tränen zu säen und mit Freuden zu ernten vermag.

Elisabetha Christina wurde den 8. November 1715 zu Wolfenbüttel geboren, und war die Tochter des Herzogs Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Bevern, nachher regierenden Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel, der mit seiner Nichte, der Herzogin Antoinette Amalie von Braunschweig-Blankenburg, vermählt war. Ihrer Mutter Schwester hatte, um den Kaiser Karl VI. heiraten zu können, 1707 den evangelischen Glauben abgeschworen. Ihr Großvater, Herzog Anton Ulrich, der „die Verantwortung dieses Schrittes vor Gott allein auf sich nehmen zu wollen“ erklärte, trat im Jahre 1710 selber noch im 81. Jahre zur katholischen Kirche über, ließ sich aber, als er schon nach vier Jahren auf dem Sterbebette lag, in seinem letzten Stündlein von evangelischen Predigern Trost zusprechen. Eine andere Schwester der Mutter unserer Elisabetha Christina musste sich mit dem russischen Großfürsten Alexei, dem unglücklichen Sohn Peters des Großen, aufs unglücklichste verheiraten. So unselige Folgen diese Seelenverkäuferei Anton Ulrichs hatte, so viel Unsegen er dadurch in sein Haus brachte, so mochten die Übertritte dieser Familienglieder die Übrigen gerade in ihrer Treue am evangelischen Bekenntnisse bestärken.

In der herzoglichen Familie herrschte eine wirklich religiöse Richtung, welche in der Prinzessin Elisabetha Christina für ihr ganzes Leben nachhaltig geblieben ist. Ihre frühesten religiösen Eindrücke erhielt sie im dritten Jahre an der Wiege ihres Bruders Ludwig Ernst. Kurz vor dessen Geburt sei ihr Vater zu ihr und dem älteren Bruder gekommen mit den Worten: „Kinder, eure Frau Mutter ist sehr krank, betet für sie, dass Gott sie stärken und erhalten wolle;“ wobei er mit ihnen niedergekniet sei und ein kurzes Gebet jenes Inhalts vorgesprochen habe. Nach ein paar Stunden sei er fröhlich wiedergekommen und habe sie ermahnt, Gott für die Stärkung und Erhaltung ihrer Frau Mutter und für den Bruder, den sie ihnen geboren habe, zu danken.

Der Herzog war von außerordentlich großer Gestalt, ein tüchtiger Soldat und tapfer, ein fleißiger, geordneter Haushalter, ein edelmütiger und rechtschaffener Mann lauter Eigenschaften, die ihm die Neigung des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen erwerben mussten, der von ihm zu sagen pflegte: „Er habe nur einen Freund auf der Welt, und das sei dieser Fürst.“ So ward es dem Wiener Hofe, der eine Verbindung Preußens mit England fürchtete, leicht, den König dahin bearbeiten zu lassen, dass er für seinen mit entsetzlicher Strenge erzogenen ältesten Sohn Friedrich die Prinzessin Elisabeth von Braunschweig zur Gemahlin erkor – natürlich ohne den Kronprinzen, den nachmaligen Friedrich den Großen, auch nur zu fragen. Der Kronprinz, der seine Braut noch nicht kannte, erhielt den 4. Febr. 1732 folgenden Brief von seinem Vater: „Ihr wisst, mein lieber Sohn, dass wenn meine Kinder gehorsam sind, ich sie sehr lieb habe, so wie Ihr zu Berlin gewesen, ich Euch alles von Herzen vergeben habe, und von die Berliner Zeit, dass ich Euch nicht gesehen, auf nichts gedacht, als auf Euer Wohlsein und Euch zu etablieren, sowohl bei der Armee als auch mit einer ordentlichen Schwiegertochter und Euch suche bei meinem Leben noch zu verheiraten. Ihr könnet wohl persuadiert((überzeugt)) sein, dass ich habe die Prinzessinnen des Landes durch andere so viel als möglich examinieren lassen, was sie vor Conduite (Betragen) und Education (Erziehung), da sich denn die Prinzessin, die älteste von Bevern, gefunden, die da wohl aufgezogen ist, modeste und eingezogen ist, so müssen die Frauen sein. Ihr sollt mir cito (schnell) Euer sentiment (Meinung) schreiben. Die Prinzessin ist nit hässlich, auch nicht schön, Ihr sollt keinen Menschen was davon sagen, wohl aber, der Mama schreiben, dass ich Euch geschrieben habe und wenn Ihr einen Sohn haben werdet, da will ich Euch lassen reisen; die Hochzeit aber vor zukommenden Winter nicht sein kann, indessen werde schon Gelegenheit zu machen, dass Ihr Euch etliche Male sehet in alle honneur (Ehren) doch damit Ihr sie noch lernet kennen. Sie ist ein gottesfürchtiges Mensch und dieses ist alles und comportable (verträglich) so wohl mit Euch als mit den Schwiegereltern, Gott gebe seinen Segen dazu und segne Euch und Eure Nachfolgers.“

Der Kronprinz versprach, sich dem unerbittlichen Willen des Vaters in Gehorsam zu fügen, während seine Mutter, die für eine englische Heirat eingenommen war, beständig in ihn drang, sich entschieden gegen diese Verbindung auszusprechen. Es gewährt einen tiefen Blick zum Voraus in das notwendige Unglück solcher auf äußere Berechnungen begründeten Verbindung, und nur mit Trauern kann der Christ es lesen, wenn der Kronprinz – von seinem Vater zu Religion und Gehorsam mit eben so roher als törichter Strenge angehalten, damit zur Heuchelei gezwungen und zum Freigeist erzogen – an seine Schwester schreibt: „Im Grunde hasse ich die Prinzessin nicht so sehr, als ich mir den Schein gebe; ich stelle mich, als könne ich sie nicht ausstehen, um meinen Gehorsam gegen des Königs Willen um so auffallender zu machen. Sie ist hübsch, hat eine Farbe wie Lilien und Rosen, feine Züge und ein wirklich schönes Gesicht; sie hat zwar keine Erziehung und kleidet sich sehr schlecht, aber ich schmeichle mir, dass wenn sie erst da ist, Ihr so gut sein werdet, sie zu bilden.“ An den Unterhändler seines Vaters schrieb er: „Ich habe keine Abneigung gegen die Prinzessin, sie ist eine gute Seele, ich kann ihr nicht böse sein, aber niemals kann ich sie lieben.“ Wirklich bezeigte sich der Kronprinz, als die Prinzessin mit den Ihrigen 1732 nach Berlin kam, so gegen dieselbe, dass man eine unglückliche Ehe weissagen musste, und der österreichische Hof, in seiner Furcht vor einer englischen Verbindung, um so mehr Allem aufbot, die Verlobung zu beschleunigen. Nie konnte aber auch Friedrich der Große dieses Freundschaftsstück dem Wiener Hofe verzeihen. Noch dazu fand dieser Hof bald darauf sich sogar dahin bestimmt, dem Londoner Hofe zu lieb, für den er indes gewonnen war, jetzt plötzlich die Verheiratung Friedrichs mit einer englischen Prinzessin anzusinnen! Entrüstet über solch ein Betragen antwortete der ehrenfeste König: „keine Vorteile in der Welt könnten ihn bewegen, seiner Ehre und seinem Fürstenworte einen solchen Schandfleck anzuhängen, und die in 24 Stunden zu vollziehende Hochzeit aufzuschieben oder gar zu verändern.“

So wurde die Vermählung am 12. Juni 1733 gefeiert. Der Abt Mosheim hielt am nächsten Sonntage die besonders verordnete Einsegnungspredigt über Psalm 112, 1. 2. lang und mager „von dem Segen des HErrn über die Ehen der Gerechten.“ Die italienische Oper aber führte „den Spiegel der Treue“ auf, Lustspiele, Hof- und Soldatenpracht mussten weltlichen Ersatz für den Mangel an menschlicher und göttlicher Freude an dieser Verbindung ersehen.

Die Herrschaften zogen nach Berlin, die Neuvermählte mit ihren Eltern, der Kronprinz an der Spitze seines Regiments; empfangen wurde die Kronprinzessin vom Hofe in Potsdam nach höfischer Sitte, und nur vom König aufrichtig und freundlich. Des Kronprinzen Schwester, die Markgräfin von Bayreuth, eine Frau von überlegenem Geiste, schildert die Neuangekommene als „groß, aber von schlechter Haltung und schlechtem Wuchse, von blendend weißer Haut, gehoben durch lebhafteste Farbe; die Augen von blassem Blau ohne viel Geist; der Mund klein; alle Züge niedlich ohne schön zu sein; das ganze Gesicht reizend und kindlich; die Haare blond und natürlich gelockt; aber alle diese Schönheiten durch schlechte, schwarze Zähne entstellt und das Benehmen von wenig Anstand, mit viel Unbehilflichkeit im Sprechen“ und so fort.

Da stand denn das arme Opfer, mehr auf eine Schlachtbank als auf einen Thron geführt; vom Gemahl ungeliebt, in ihrem tieferen Kern von Wenigen erkannt, in ihrer reinen Seele vom ganzen Hofe ungewürdigt, eine geduldete Dulderin fürstlicher Laune und höfischer Unnatur.

Die ersten Jahre ihres Ehestandes verlebte die junge Kronprinzessin mit ihrem Gemahle zu Ruppin und Rheinsberg. Ihr ganzes Leben hindurch hatte sie nur einen Wunsch, den Willen und Wunsch ihres von ihr über Alles bewunderten Gemahles zu wissen, zu erraten und zu erreichen. In ihren vielen Briefen an ihn ist sie immer „seine ganz ergebene, ganz gehorsame, ganz getreue Gemahlin und Dienerin Elisabeth.“ Derselbe erkannte dies immerhin an und ob er ihr auch nie in Liebe zugetan gewesen ist, so lebte er doch die zehn ersten Jahre ehelich mit ihr. Er erklärte einmal in einem vertrauten Briefe, er müsste der schlechteste Mensch auf der Welt sein, wenn er sie nicht wahrhaft schätzen würde, denn sie sei so gar sanften Gemütes, suche bis zum Übermaß sich ihm gefällig zu machen, schon von weitem ihm mit dem zuvorzukommen, was ihm angenehm sein könnte, und sei so gelehrig, wie man es nicht mehr sein könne.

Der Kronprinz teilte seine Beschäftigungen ein in nützliche und angenehme. Zu letzteren gehörte die Musik, das Schauspiel, die Mummerei1 ›im Zusammenhang mit Fasnachtfeiern, Festen inszenierter Aufzug, Umzug Verkleideter‹; generell: ›aufwendige Lustbarkeit, kurzweiliges Spiel, buntes Treiben, Narretei‹; und Schmauserei. Den ernsthafteren und nützlichen, nämlich der Philosophie, Geschichts- und Sprachenkunde, den Wissenschaften, die ihn zu seinem künftigen Berufe fertig machen und ihm glänzende Musterbilder dafür darreichen konnten, gab sein großer Geist immer den Vorzug. Auch die Kronprinzessin war an die Unterhaltung mit Gelehrten schon am Hofe ihres Großvaters gewöhnt, aber freilich von Voltaire hatte sie kaum sprechen hören und den Bayle hatte sie nicht gelesen. So ließ sich die gute Seele ihrem Manne zu lieb von ihrem französischen Lehrer dasjenige bezeichnen, was sie ohne Anstoß in Bayle, dem Zweifler und Spötter lesen konnte, und bald hieß es boshaft genug zum Lohn für solche Hingebung: Friedrich und seine Gemahlin wüssten zusammen jenes große Werk auswendig, weil die unschuldigen Artikel, welche die Kronprinzessin am besten kannte, diejenigen wären, welche der Prinz am wenigsten lese. Doch sie tat ihr Bestes, las die alten Klassiker, trieb französisch, besuchte in ängstlicher Rücksicht das deutsche Theater nicht, das ihr Gemahl nicht beschützte, wechselte Briefe, übte die Kunst des Malens, Zeichnens und Radierens, legte für den Kronprinzen auf dessen Wunsch oftmals Bitten beim gestrengen königlichen Herrn Vater ein, der ihr immer wohlwollend, wenn auch öfters abschläglich antwortete und es besonders gnädig aufnahm, wenn sie ihm Braunschweiger Mummenbier, Würste und dergleichen Gegenstände aus der Hauswirtschaft mit der Versicherung übersandte, dass sie sich alle mögliche Mühe für ihr Hauswesen gebe, wofür der König ihr wieder Wildpret, Austern, eine neue Büchse zum Scheibenschießen und gelegentlich Erlaubnis und Vorspann-Pferde zu einer Winterreise nach Berlin sendet.

Ihre kindliche Einfalt konnte freilich nie dem hohen und starken, durch eine tote, dürre Rechtgläubigkeit von Christentum und Kirche zurückgeschreckten, an Voltaire und Bayle genährten Geiste Friedrichs genügen, sie musste froh sein, wenn er sie als gutes Kind gewähren ließ. Es ist rührend, mit welcher Treue und Liebe sie dann an ihm hing, zu seinen Gunsten beim Vater vermittelte und diesen versicherte, wie er an dem Kronprinzen einen so guten und ergebenen Sohn habe, dass sie unglücklich sei, wenn sie höre, der König bezeige sich ihm nicht so gnädig als er’s verdiene, und dass sie es für die größte Gnade gegen sie selbst achte, wenn er dem Prinzen nur ein wenig sein Wohlwollen schenken wolle.

Letzteres geschah denn auch immer mehr und in dem Grade, als die Kronprinzessin zur Herstellung des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn beitrug, so wie in dem Maße, als in der Umgebung Friedrichs ihre weltliche und höfische Bildung fortschritt, gestaltete sich ihr eheliches Verhältnis freundlicher und selbst dahin, dass man sogar einmal von einem Einfluss der Kronprinzessin auf ihren Gemahl sprechen konnte.

Da starb der König in Potsdam nach viermonatlicher Krankheit den 31. Mai 1740. Der kleine Rheinsberger Hof hatte mit Ungeduld auf die Todespost gewartet und begrüßte nun die Prinzessin, welche die Todesnachricht am frühen Morgen erhalten hatte, nachdem die Oberhofmeisterin ihr vorsorglich ein niederschlagendes Pulver gereicht, feierlich als Königin, „die Bezeigungen des Mitleids waren kurz, aber desto länger die Glückwünsche.“ Achtzig Postpferde führten die junge noch nicht fünfundzwanzig Jahre alte Königin mit ihrem Tross nach Berlin. Die Tore der höchsten Ehren dieser Erde taten sich ihr auf, um ihr für immer das irdische Glück zu verschließen. Wie auf jenem römischen Grabsteine konnte über den Ehrenpforten, durch die sie zum Throne emporstieg, die Inschrift stehen: „Ich habe den Hafen gefunden, lebe wohl Hoffnung und Glück!“

Friedrich stellte die ihm aufgedrungene Gemahlin dem versammelten Hofe im Schlosse zu Berlin mit den Worten vor: „Das ist Ihre Königin.“ Er ließ es nicht an einem angemessenen Hofhalt für sie fehlen. Auch für einen glänzenden Schmuck der jungen Königin wurde gesorgt, sie durfte den dritten Edelstein in Europa ihr Eigentum nennen. Bald nach der Thronbesteigung schenkte der König seiner Gemahlin das Lustschloss Schönhausen. Nun war sie versorgt; sie hatte Alles, nur keinen Gemahl.

Nie durfte sie denselben auf Reisen begleiten, in mehr als fünfzig Jahren hat sie Berlin kaum dreimal verlassen, auch ihr Geburtsland nie wieder gesehen. Nach Sanssouci, dem geistigen Herrschersitze des gekrönten Philosophen kam sie niemals, nur einmal war sie in Potsdam. Auch ihr geliebtes Rheinsberg sah sie nur noch einmal wieder, als sie im Jahre der Thronbesteigung ihrem Gemahl dorthin folgte; das war zugleich das einzige Mal, dass sie, außerhalb Berlin, noch längere Zeit mit dem Könige in einem Hause gelebt hat.

Die Gemahlin Friedrichs des Großen verlebte ihre besten Stunden zu Schönhausen in frommer Betrachtung, in wissenschaftlicher Beschäftigung und in stillem Dulden. Mit dem Glanze der Krone war ihr das wenige Glück entschwunden, dessen sie als Kronprinzessin in dem vertrauteren Umgange mit ihrem vielgeliebten und einzig verehrten Gemahl genossen hatte. Kindersegen war ihr von Gott nicht beschert.

So vertrauerte sie ihr Dasein gleich einer Witwe einsam und nicht einmal einsam, wie ein stilles Gemüt als letzten Trost es sich wünschen mag. Der Königspalast mit seinen rauschenden Festen und prunkenden Bräuchen gab ihr keinen Frieden und ließ ihr keinen Frieden.

Man begegnete der Königin mit Ehrerbietung; aber auch das nicht einmal von allen Seiten. Schmerzlich empfand ihr zartes Gemüt die Entfernung ihres Gatten, doch bewahrte sie bei aller Wehmut darüber ihre Liebe zu dem Könige, dessen Herz sie nicht anzuklagen vermochte, während sie in den Ränken und Zettelungen, welche in der Familie ihr und ihrem Glücke entgegenwirkten, die Hauptschuld ihres Unglücks suchen musste. Die Kriege, welche der König führte, entfremdeten das königliche Paar so völlig, dass sie sich endlich auch an dieses Verhältnis gewöhnte. Ihrer innern Würde sich bewusst, ertrug sie die äußern Ehren, welche der König ihr Gemahl ihr als einer „dem Staate unentbehrlichen Person“ wiederfahren ließ. Sie spielte die ihr auferlegte Rolle selbstlos in treuer Hingebung.

Die Königin war übrigens nicht einmal im Stande, mit dem ihr zugewiesenen Gelde auszureichen; sie musste Anlehen machen; der König, der ihre Sparsamkeit anerkennen musste, war dann wohl auch so billig, ihre Schulden zu bezahlen, so oft die Staatseinkünfte nämlich es gestatteten. Da suchte die arme Frau selbst durch das Spiel in der Lotterie ihre Lage zu verbessern, damit sie ihre Schulden ohne Belästigung ihres Gemahls tilgen könnte. Aber das Glück war ihr nicht günstig.

Im Übrigen war der König in seinen Briefen an sie so zärtlich, als man in Briefen nur sein kann. Er zeigte sich in Krankheitsfällen teilnehmend für sie besorgt, gab ihr Ratschläge und sandte z. B. als ein offener Fuß sich schließen wollte, plötzlich ein eigenhändiges Schreiben an den Doktor Müzell, worin er sagt, „er vernehme mit äußerster Betrübnis, dass es mit der Königin bedenklich stehe, wenn nicht schnelle Hilfe komme; er ersuche ihn unverweilt, sich mit zwei andern vorzüglichen Ärzten in Berlin zu beraten und nicht zu vergessen, dass es sich um eine sehr teure, für den Staat, für die Armen und für ihn unentbehrliche Person handle.“ Stets dankte er ihr auch verbindlich für Aufmerksamkeiten, gab ihr immer die ersten Nachrichten vom Schlachtfelde, ließ sich bei seiner siegreichen Heimkehr ihre zärtlichste Bewillkommnung gefallen und feierte die Festlichkeiten mit, die sie hin und wieder in ihrem Palaste an Geburtstags- oder Friedensfeiern gab; denn sie war ja diejenige, der er nicht böse sein konnte und welche er brauchte, um den Hof des Landes halten und die Ehren seines Hauses vor der Welt darstellen zu lassen.

Wenn aber Mitglieder der Familie und fremde fürstliche Frauen zu Zeiten in Potsdam vom Könige empfangen und feierlich bewirtet wurden, so wurde die Königin niemals dazu eingeladen. War er einmal krank in Potsdam, so verging sie in Sorge, aber sie durfte es nicht wagen, ihn zu besuchen, kaum, um die Erlaubnis zu einem Besuche zu bitten. Sie konnte nur aus der Ferne für ihn wünschen, hoffen und beten. Selbst bei Taufen der Prinzen und Prinzessinnen, welche in Potsdam stattfanden, war die Königin nicht anwesend. Ihr fünfzigjähriges Ehejubelfest (12. Juni 1783) wurde weder bei Hof noch im Lande gefeiert. Eine dazu bestimmte Gedächtnismünze wurde nicht geprägt, nur in Kupfer gestochen. Ein schlechter Holzschnitt dagegen, der die eheliche Wiedereinsegnung des Königs und der Königin darstellen sollte, wurde gleich beim Erscheinen verboten und daher sehr teuer verkauft.

Niemals besuchte der König ihr Schönhausen. Sie musste von den Herrlichkeiten in Potsdam und Sanssouci so viel hören, manch eine erzählte ihr recht geflissentlich und boshaft von dem Paradiese, vor dessen Pforten der böse Geist Voltaires mit beißendem Schwerte Wache hielt, dass sie es nicht einmal sehen durfte; sie musste getrennt leben von ihrem Herrn und Gemahl, den sie so liebte, dem sie ihr Leben opfern wollte. Ach warum mussten die Tage von Rheinsberg für immer vorbei sein, warum musste sich Alles so ändern, klagte sie; aber das versprach sie sich selbst: „mein Herz soll sich niemals ändern, ich werde für Ihn immer dieselbe sein und nur die Hoffnung, es werde sich wieder zum Bessern ändern, erhält mich noch aufrecht.“

Vom Könige verlassen, sah sie sich auch sonst vereinsamt und missachtet. So viele gingen nach Potsdam und blieben um den König mit Widerwillen, sie, die dort ihr höchstes Glück gefunden hätte, musste wegbleiben und allein sein. In zweiundzwanzig Jahren war der König nur zweimal bei dem Geburtsfeste seiner Gemahlin anwesend. In der Regel war seine einzige Aufmerksamkeit für diesen Tag, dass er einige Tage vorher oder nachher nach Berlin kam, und Geschenke mit einigen Zeilen sandte, die sie dann unaussprechlich glücklich machten.
Wenn sie nun z. B. am Vermählungsfeste ihrer Schwester in grünsamtnem über und über mit Diamanten besäten Prachtgewande erscheinen musste, vier Hofdamen die ganz mit Edelsteinen besetzte Schleppe trugen, ihr ganzer Kopfputz überall mit diamantenen Haarnadeln geziert war und „der dritte Edelstein Europas“ sich auf ihrem Haupte erhob, „wie die Sonne mitten unter ihren Sternen,“ wenn dazu die Höflinge rühmten, die Schönheitsgöttinnen selber schienen ihren Putz und Anzug geordnet zu haben, wenn sie auf goldenen Prunkgefäßen im Werte von 1.300.000 Talern mit zu Abend aß – wenn an großen Soldatenschauspielen die Armee alle ihre Ehrengrüße vor der Königin entfaltete – war das Ersatz für verlorenes Liebesglück und verlorene Lebensfreude?

Nachdem ein treues Herz, in das sie das ihrige ganz ausschütten konnte, dessen Ruhm und Liebe ihr Leben verherrlichte, nämlich ihr Bruder Ferdinand, das geliebteste Glied ihrer eigenen, zärtlich geliebten Familie auf dem Felde der Ehre gestorben war, blieb ihre Schwester, die Prinzessin von Preußen, ihr die treuste und zärtlichste Freundin an ihrem eigenen Hofe. Immer jedoch schlugen ihr auch andere Herzen warm entgegen; sie war so glücklich Liebe geben und nehmen zu dürfen.

Über Alles aber stand ein Herz ihr offen, das nicht bricht, wenn alle brechen, das nicht stirbt, wenn alles Irdische schwindet und verblüht. „Stütze dich auf mich und glaube, hoffe, lieb und fürchte mich,“ sprach Der, welcher überm Staube alles Irdischen steht, auch zu dieser frommen Seele. Ihre Lieblingsbeschäftigung war das Lesen erbaulicher Schriften und um „desto tiefer in den Geist derselben einzudringen, den Sinn der Verfasser ganz zu erschöpfen und sich ihren Inhalt völlig eigen zu machen“, übersetzte sie mehrere derselben ins Französische, unter andern die Schrift: „Der Mensch, Gottes Freund“, „Sturms Betrachtungen auf alle Tage der Woche“, Spaldings „Bestimmung des Menschen“, Crugotts „der Christ in der Einsamkeit“. Sie widmete diese geistigen Erzeugnisse ihres Stilllebens ihren Geschwistern und nahen Verwandten, selbst einigen Frauen ihrer Umgebung, ihrem Gemahl sie zu widmen, unterstand sie sich nicht, kaum wagte sie die neu erschienenen Werke ihm zu übersenden. In den Büchersälen von Potsdam finden sie sich nicht vor, nicht einmal sind sie in der Berliner königlichen Bibliothek vorhanden, und die vorhandenen sind nicht unmittelbar von ihr dahingekommen. Diesen Werken fügte sie besondere Vorreden bei, die wie die Zueignungsschriften selbst von dem innern Leben der Königin zeugen. Unter der Vorrede ihrer Übersetzung von Gellerts Oden und Liedern unterschrieb sie sich als „eine wahre Freundin des menschlichen Geschlechtes.“ Gellert war überhaupt ihr Lieblingsschriftsteller und sie freute sich immer, mit ihm in einem Jahre geboren zu sein. In der Vorrede zu ihrer Übersetzung von Sturms „Betrachtungen über die Werke Gottes im Reiche der Natur und der Vorsehung“, die sie in hohem Alter vollendete, unterzeichnete sie sich mit ihrem alten Rheinsberger Namen ihrem Gemahle zu lieb, der sich von seinem dort gestifteten Orden le Constant, der Beharrliche nennen ließ, hieß sie sich Constance, „die Beharrliche,“

Sie hatte es empfunden und erfahren: „Durch Stillesein und Harren werdet ihr stark sein.“ Sie war glücklich genug, dass der Gemahl, mit dem sie nicht gemeinsam das heilige Feuer auf dem Altare des Herrn in und außer ihrem Hause hüten konnte, auch ihr doch die Erlaubnis ließ, „nach ihrer façon selig zu werden.“

Während das Berliner Königshaus sich zur reformierten Lehre bekannte, blieb sie dem lutherischen Bekenntnisse treu. Sie suchte in ihre Umgebung auch Ehrenfrauen ihres Bekenntnisses zu bekommen. Es war damals in Berlin noch alte Zucht und kirchliche Sitte; vornehm und gering pflegte des öffentlichen und häuslichen Gottesdienstes. Darin ging die Königin ihrem Hofe und ihrer Hauptstadt rühmlichst voran. Die Kirche wurde von ihr immer fleißig besucht; fast alle Sonntage wurde in Gegenwart des Hofes Gottesdienst in ihren Gemächern gehalten. Drei bis vier Mal des Jahres genoss sie mit dem Hofe das Mahl des Herrn. Zu ihren liebsten Predigern gehörte Spalding, der Prediger einer „richtig erkannten und warm gefühlten Religion“, Teller, Töllner, Sack, Ermann. Ihre Gottesfurcht, ihre christliche Mäßigung bei allen den Zerstreuungen, denen sie sich als Hofhalterin des Königs unterziehen musste, ihre Menschenliebe, Gerechtigkeit, Seelengüte dienten namentlich den bessern Familien vom Adel zu leuchtendem Beispiel. Die würdigsten lutherischen Geistlichen wählte sie zu ihren Beichtvätern. Es war nicht die übliche Schmeichelei, wenn man sie eine Königin nach dem Herzen Gottes nannte und es öffentlich rühmte, wie viel Gutes für Verstand, Religion, Herz, Sitten und Wohlfahrt in allen Ständen durch ihr hohes Beispiel und tätige Wirkung gegründet und befördert wurde.

„Erhalte die Mutter dieses Landes, welche in der Not für uns gebetet“, flehten die Israeliten in der Friedenspredigt von 1763 für ihre Königin.

Ihre Frömmigkeit war eine helle und freudige ohne Einseitigkeit und Empfindelei. Schon ihre Beschäftigung mit den besten Schriftstellern des Altertums, sowie ihre rege Teilnahme an sonstigen Förderungen des öffentlichen Wohles bewahrte sie davor. Sie setzte der Realschule in Berlin eine Summe für Freischüler aus, die noch jetzt ausbezahlt wird. Am Rande des schönen Tannen und Buchenwäldchens in ihrem Schönhausen legte sie eine Siedlung von Ausländern, meist Böhmen an, die kleine Ortschaft heißt noch jetzt Königin-Plantage oder Schönholz. Für die Kinder der Ansiedler gründete sie eine Freischule. Sie sorgte angelegentlich für Förderung des Waldanbaues in der sandigen Gegend zum Besten des Landes und der angrenzenden holzbedürfenden Untertanen. Die lebhafteste Teilnahme bezeugte sie der menschenfreundlichen Anstalt für Taubstumme, welche der Doktor Eschke in Schönhausen gründete.

So war ihr Glaube in Liebe tätig. Von den ihr ausgesetzten 41.000 Talern wandte ihre Milde jährlich vierundzwanzigtausend Taler der Armut zu. Lieber entzog sie sich selbst etwas, um nur dem Notleidenden einigermaßen helfen zu können. Die Königin hatte eine Lieblingsneigung für vorzügliche Perlen. Einst bot man ihr einen Halsschmuck davon zum Kaufe an, wie sie selbst noch keinen schöneren gesehen hatte. Unentschlossen ließ sie den Schmuck bei sich liegen. In einer einsamen Stunde, in welcher nur wenige Kammerfrauen sie umgaben, fiel das Gespräch auf die kostbaren Perlen. Die Königin besah sie nochmals mit vielem Vergnügen und mit lächelndem Munde sprach sie zu den Umstehenden: „Ob ich sie wohl kaufe?“ „Ihro Majestät können es ja,“ sprachen diese. „Sie geben Andern so viel, warum sollten Sie diese Summe nicht an Ihr eigenes Vergnügen wenden?“… „Nehmet sie hinweg,“ antwortete die hohe Frau, „dass ich sie nicht mehr sehe! Sie gefallen mir, aber für das Geld, das sie kosten würden, kann ich noch vielen Armen Gutes tun.“

Es war ihr so schmerzlich, wenn sie Bittschriften, die gewöhnlich in großer Menge bei ihr einliefen, ankommen sah, ohne dass sie im Stande war, alsbald helfen zu können, denn das wusste sie, dass, wer bald gibt, doppelt gibt und späte Hilfe oft gar keine ist. Sie hörte immer ungern von ihren Wohltaten sprechen, sie gab im Verborgenen und wollte die Linke nicht wissen lassen was die Rechte tat.

In ihrem eigenen Unglücke war sie glücklich im Glücke Anderer. Es machte ihr die höchste Freude, ihren schönen Schlossgarten von recht vielen fröhlichen Menschen belebt zu sehen. Schien ihr der Garten leer, so fürchtete sie alsbald, eine Eigenmächtigkeit der Dienerschaft sei schuld und ließ öfters ausdrücklich dem Türhüter sagen, doch ja jeden Menschen in ihren Garten einzulassen. Leutselig und freundlich sprach sie mit den ihr Begegnenden. Aufs Liebreichste unterhielt sie sich mit den taubstummen Zöglingen des Doktor Eschke.

So war der Hauptzug in ihrem Charakter innige, herzliche Frömmigkeit, die sie in demütigem Wohltun und Dulden bewährte. Die Leidenschaft, die Feindseligkeit, der Neid, das giftige Spiel der Ränke war aus ihrem stillen Kreise verbannt, ihre fromme Seele bot keinen Boden für solche Drachensaat. Immer war sie in Beschäftigung, die nie ermattet und sie rühmte noch im hohen Alter das unschätzbare Glück, dass sie sich früh gewöhnt habe, tätig zu sein, sich Kenntnisse zu sammeln und Fertigkeiten zu verschaffen, die sie in den Stand setzten, sich in der Einsamkeit zu beschäftigen. Ihre Büchersammlung, ihr Schreibtisch, der Genuss der Natur und künstliche Handarbeiten füllten die Zeit aus, die ihr von den Bräuchen und Festen des Hofes, vom Gottesdienste und Wohltun übrig blieb. Kein Wunder, dass sie, die also Liebe säte, auch Liebe erntete. Mit reinem Gewissen konnte sie am Ende ihrer Laufbahn sagen: „Gott hat mich gnädig bewahrt, dass ich mir keine Handlung vorzuwerfen habe, durch die irgend ein Mensch mit meinem Wissen an seinem Glücke gelitten hätte.“

Ihr Leben war Leiden und Lieben; Lieben aber und Leiden ist Gottes Art. Wahrhaftig, ihres Lebens Zweck war doch nicht verfehlt!

Nachdem mancher Tod ihr manches Leid gebracht, kam ihr am Morgen des 17. August 1785 die Botschaft vom Tode des großen Königs, dessen Liebe und Bewunderung sie unwandelbar in treuem Herzen trug. Sie war tief erschüttert und ganz Trauer über den großen Toten, dem sie in ihrem Gemüte nichts zu vergeben hatte. Nachdem den Anforderungen des Hofbrauches genügt war, trat sie zurück aus dem öffentlichen Leben. Mit aller Würde hatte sie 46 Jahre lang den Hof des Landes gehalten und den ersten Platz der Ehre nach dem König und für den König eingenommen, es war ihrem demütigen, gottesfürchtigen Sinne eine Luft, auf dem zweiten Range die ersehnte Ruhe zu finden. Der neue König wie das ganze Land bewahrte ihr die Verehrung, die ihr Gemahl ihr in seinem von ihm selbst geschriebenen Testamente vom 8. Jan. 1769 vermachte. „Der Königin, meiner Gemahlin,“ so heißt es darin, „vermache ich zu ihren bisherigen Einkünften noch eine jährliche Zulage von 10.000 Talern, zwei Fass Wein jährlich, freies Holz und Wildpret für ihre Tafel. Ihre Residenz mag Stettin dem Namen nach sein. Doch fordere ich zugleich von meinem Neffen, ihr eine anständige Wohnung im Berliner Schlosse frei zu lassen; auch wird er ihr jene Hochachtung beweisen, die ihr als der Witwe seines Oheims und als einer Fürstin, die nie vom Tugendpfade abgewichen, gebührt.“

König Friedrich Wilhelm II. besuchte oftmals seine Muhme, und mit ihr den Gottesdienst in Schönhausen, nahm bei ihr das Mittagsmahl ein und wusste im Jahre 1793 vom Kriegsschauplage heimkehrend, gerade an ihrem Geburtstage in Berlin wieder einzutreffen. Auch von fremden Gesandten wurde ihr fortwährende Aufmerksamkeit zu Teil.

Im Jahre 1790 war Elisabetha Christine fünfzig Jahre Königin gewesen. Der Tag ging bei Hofe ohne besondere Feierlichkeit vorüber; sie feierte dafür im selbigen Jahre ihren fünfzigjährigen Besitz von Schönhausen.

Bis in ihr höchstes Alter nahm sie lebhaften Anteil an den Angelegenheiten der Familie und den Ereignissen der Zeit. In Schönhausen, in Charlottenburg und Berlin war sie bei den Festlichkeiten zugegen, nur nach Potsdam kam sie auch als Witwe niemals. Die Geister von Sanssouci hatten kein Teil an ihrer kindlichen Seele.

Zehn Jahre vor ihrem Tode setzte sie ihren letzten Willen in deutscher Sprache auf, die ihr freilich gar nicht geläufig war. Ihr ganzes Wesen spiegelt sich in der Art, wie sie über ihre Bestattung bestimmte. „Wahn ich aus dieser Wehlt Wehrde sein und meine Sehle in der Glücksehliegen Ewigkeit, so ist meine Wille, das man meinen Körper nicht öffnen sol und mir anlassen mein nacht Neglische und darüber in einen Laken schlagen und in Leinewahnd kleiden, und auf dehm kopf ein Nacht Kopzeug, Welges ich auch des Morgens auf habe, Mein sarg sol ganz schegt ausgeschlagen Wehrden und ganz ordinären sarg von Eigenholz oder schwarz Gebeitz mit versilberte simple Griffe. Ich verlange Das man mir nicht in Parade sezet Und auch von keinem Menschen mich sehen lassen, als vor diejenigen, die es nicht verhüten können, bey mir zu sein, auch nicht zu frue Begraben wahn es sein kan und angeht 8 Tage nach meinem Tode. auch ist mein Wille, Gang in der stille Begraben zu Wehrden, Meine Hofstat kan mir folgen; man kan mir hintragen, Wahn es nicht zu Beschwerlig vor die Träger ist, weil es ganz nahe Bey dehn Dohme ist, kan ich getragen Wehrden, sonst auch Wehn man Wil, auf einem Wagen gesetzt Wehrden, und ist mein Wille und letzete Bitte keine öffentliege Zeremonie Machen. Möchten.“

So hatte sie Alles geordnet und der milde Bote des Friedens durfte sie heimrufen, wann er wollte. Nur zwölf Tage dauerte ihre letzte Krankheit. Noch musste sie den von ihr sehr geliebten zweiten Sohn des Königs vor ihr heimgehen sehen. Zu denen, die ihr Hoffnung zur Wiederherstellung machten, sagte sie: „Ich habe lange genug gelebt, ich habe der Güte Gottes viel zu danken. Nun kann ich mir und Andern durch länger Leben wenig mehr nützen. Jenseits wird mir wohler sein.“ Mit mütterlicher Herzlichkeit gab sie kurz vor ihrem Tode den treuen Gefährtinnen ihres Alters den letzten Segen; sie wusste, „diese werden sie nicht vergessen.“ Sie entschlummerte am 13. Jan. 1797 Abends nach 8 Uhr in einem Alter von 81 Jahren. Ganz wie sie es angeordnet, wurde ihre irdische Hülle am 20. Januar 1797 Abends 8 Uhr in die stille Gruft der Domkirche beigesetzt. Ihre schönste Grabschrift mögen wir lesen in der Zueignung der von ihr (1777) verfassten kleinen Schrift: Neujahrs-Gedanken und Betrachtungen über die Sorgen, welche die Vorsehung für die Menschen trägt und über die Wege voll Güte, auf denen sie dieselben leitet. Ich weiß, o Herr,“ sagt sie zum Schlusse, dass ich bisher in Deinem Bunde und unter Deinem Schutze war. Nichts ändert Dein Mitleid gegen mich, Du trägst mich mit Vaterhänden, Du führst mich auf Deinen Wegen nach Deinem Rat und nimmst mich endlich zu Ehren an, ja Du nimmst mich nach vollendetem Laufe verklärt in Deine Freude auf.“

Hedwig, Herzogin von Schlesien.

geb. 1174. gest. 1243.

Ihr Vater war der berühmte Herzog Berthold IV. von Meran, ein Enkel Kaiser Arnulfs, aus Karls des Großen Hause; seine Besitzungen erstreckten sich von den Ufern des adriatischen Meeres bis zum Fichtelgebirge. In unzähligen Klöstern rühmten zahlreiche Mönche den Edelmut, die Andacht und den frommen Eifer der Fürsten dieses Hauses.

Geboren im Jahre 1174 wuchs Hedwig unter den Beispielen dieser fürstlichen Frömmigkeit und unter den Erzählungen von den Leiden und Freuden Gott-verherrlichter Heiligen heran, und ihre Mutter durfte sich an der Bescheidenheit, an dem brennenden Eifer zu frommen Übungen und an den innigen Gebeten ihrer jungen Tochter erbauen. Schon in ihrem zwölften Jahre (1186) wurde sie mit dem achtzehnjährigen Sohne des Herzogs von Schlesien, Boleslaus des Hohen, einem Jüngling voll Feuer und Heldenkraft, wie voll Frömmigkeit und adeliger Sitte, verheiratet.

Die junge Hedwig war in dem schönen Breslau, das eine der schönsten bischöflichen Hauptkirchen hatte, geliebt vom Gatten, hochverehrt vom Volke, angebetet von den Armen, denen sie zahllose Wohltaten spendete. Sie hatte drei Söhne, die zwei jüngeren arteten leider schnöde aus, desto mehr hing ihr Herz an dem ältesten Sohne, dem milden, frommen und edlen Heinrich. Im Jahre 1201 bestieg ihr Gemahl den Thron seines Vaters. Er ließ ihr jetzt ganz freie Hand zu ihren klösterlich frommen und barmherzigen Werken. Unter ihren Händen bekam das noch rohe Schlesien bald ein freundlicheres Ansehen, und nach wenigen Jahrzehnten war kein Teil desselben, in dem nicht, meist auf ihren Betrieb, Kirchen, Klöster und prachtvolle Münster erstanden wären. Hedwig zog den strengen und ernsten Zisterzienser-Orden ins Land und baute mit ihrem Gemahl fünfzehn Jahre lang an dem großartigen Kloster Trebnitz, das auf tausend Nonnen berechnet war. So weit war ihr Tun ein Segen für sie und ihr Land.

Nun aber ließ sie sich von dem damals allgemein verbreiteten Wahne gefangen nehmen, dass völlige eheliche Enthaltung das schönste Opfer frommer Ehegatten sei. Sie beredete nicht ohne große Mühe ihren sonst für fromme oder fromm geltende Dinge sehr empfänglichen Gatten zur Einwilligung, und beschwor mit ihm in die Hände des Bischofs von Breslau ewige Keuschheit (1208). Von da an lebte sie fern von ihrem geliebten Gemahl in der Stille des Klosters zu Trebnitz heiligen Übungen und Gebeten. War sie früher hart, so wurde sie jetzt grausam gegen sich. Sommers und Winters ging sie barfuß im härenen Gewande, Wasser war ihr Trank, Hülsenfrüchte ihre Speise. Sie rührte auch davon nichts an, bevor sie dreizehn Armen zur Ehre Christi und der Apostel mit gebogenen Knien Speise dargereicht hatte. Ihre einzige Gesellschaft waren ihre Töchter und die Nonnen. Bloß wenn Armen oder Verunglückten geholfen werden sollte, oder wenn sie bei einem wohltätigen Plane Unterstützung brauchte, oder wenn sie Frieden stiften konnte, verließ sie die Schwellen des Klosters. Heinrich ließ zum Zeichen seiner frommen Trauer Haar und Bart wachsen, wovon er den Namen des Bärtigen erhielt. Selbst dazu ließ er sich bereden, in der Blüte seiner Jahre sein Land unter seine Söhne zu verteilen und sich ganz Gott und der Religion zu weihen.

Da nun Heinrich der ältere Sohn einen besseren und größeren Teil erhielt, war die Fackel des Krieges unter die Brüder geworfen. Nachdem der unzufriedene Sohn Konrad von Heinrich besiegt war und in einem Walde vom Pferde stürzend den Hals gebrochen hatte, übernahm der Vater wieder die Regierung.

Gegen Hedwigs Rat mischte er sich vollends in die Angelegenheiten von Polen. Aus der Gefangenschaft, in welche er dadurch kam, befreite ihn bloß der Mut und die Liebe seiner Gemahlin, die ihrem Lande den von ihrem Sohne zur Befreiung des Vaters bereits gegen Polen beschlossenen Krieg ersparen wollte, indem sie mit Tränen und Bitten den Feind bezwang und mit klugem Geiste seine Forderungen befriedigte, namentlich ihre beiden Enkelinnen den zwei Söhnen des Polenherzogs zur Ehe versprach. Die Hochzeiten wurden gehalten, aber Hedwig blieb während derselben unter beständigen Entbehrungen in ihrer einsamen Zelle. In diese verschloss sie sich auch, als der Leichnam ihres (1238) verstorbenen Gemahls nach Trebnitz gebracht wurde und alles Volk ihm klagend entgegen zog. Sie wollte durch nichts Irdisches in der Betrachtung des Ewigen unterbrochen werden.

„Es sei unrecht, den göttlichen Ratschlüssen sich zu widersetzen!“ rief sie mit gelassenem Gemüte und unverändertem Angesicht den weinenden Klosterfrauen zu.

Bald nachdem ihr Sohn den Thron bestiegen, brachen die furchtbaren Tartarenhorden in Schlesien ein, nachdem sie in Polen überall rauchende Brandstätten und gräuelvolle Wüste hinterlassen hatten. Die deutschen und polnischen Heerscharen stellten sich unter Heinrich auf der Wahlstatt (bonus campus) bei Liegnitz entgegen am 9. April 1241. Schlimme Vorbedeutungen und düstere Ahnungen der Mutter begleiteten den heldenmütigen, frommen Herzog in die Schlacht. Die Tartaren unter ihren grauenerregenden Götzenpanieren erfochten nach furchtbarem Verluste mit ihren zahllosen Scharen einen vollständigen Sieg, aber es gelüstete sie nach keinem zweiten, sie zogen sich für immer zurück. Heinrich, beinahe schon gerettet, nachdem er am längsten ausgehalten, ward von einer Lanze durchbohrt und sein abgeschlagenes Haupt auf einem Spieße unter dem Siegesgeheul der Tartaren davongetragen.

Hedwig wurde, während Alles in Tränen zerfloss und voll Furcht und Warten der Dinge war, weder durch die Nachricht von der verlorenen Schlacht, noch durch die Botschaft vom Tode ihres geliebtesten Sohnes erschüttert. Das Antlitz der Witwe, der nur eine Tochter in ihrem Kloster übrig war, zeigte keine Spur von Trauer, sie dankte mitten unter dem Jammer der Ihrigen Gott, dass sie durch seine Gnade einen Sohn geboren habe, der nach einem frommen Leben, während dessen er sie nie betrübte, sein Blut für die Religion und das Vaterland so freudig vergossen habe. Was war doch das für eine Zeit, in der es solche Frauen gab!

Hedwig, bereits siebenundsechzig Jahre alt, fühlte freilich ihre Kraft nach solchen schrecklichen Erlebnissen gebeugt, aber sie wurde jetzt wo möglich nur strenger gegen sich. Einmal noch trat sie aus ihrem Kloster, um ihrem lieben Schlesien den Frieden mit Polen zu schenken. Bald darauf wurde sie krank. Fasten, Nachtwachen und Kasteiungen hatten ihren fast ausgedörrten, völlig gelb gewordenen Körper zermartert. Zwei und ein halbes Jahr nach der Vernichtungsschlacht bei Liegnitz starb sie den 15. Oktober 1243, unter beständigem Anrufen des Namens Jesu. Unter den Tränen ihres Volkes, das allein ihrem Gebete den Rückzug der Tartaren verdankte, ward ihr im Tode verklärter Leib zu Trebnitz bestattet.

Für die Bildung Schlesiens hatte sie Unendliches geleistet; Klöster, Kirchen, Dörfer und Städte waren ihr Werk. Sie war die Wohltätigkeit und Uneigennützigkeit selber. In jener durch Teuerung, Hunger und Krieg entsetzlichen Zeit unterstützte sie die Scharen von Armen mit fast verschwenderischer Hand. Mit grenzenloser Aufopferung pflegte sie sorgfältig die Kranken und Elenden im Volke und erbarmte sich der Unglücklichen aller Art. Kein Bekümmerter verließ ungetröstet ihre Schwelle. Voll Friedensliebe war sie stets fertig, das Evangelium des Friedens zu treiben; eine Seele ohne Falsch gegen Freund und Feind, konnte sie nur mit dem einzigen Worte tadeln und strafen: „Möge Gott dir gnädig sein!“

Ihr Ruhm erscholl durch ganz Europa; ihr Grab war von Wundern verherrlicht; der Papst Clemens IV. sprach sie dreiundzwanzig Jahre nach ihrem Tode heilig.