Johann Friedrich Lobstein

Mancher, dem die schriftstellerischen Arbeiten des nun vollendeten Pfarrer Lobstein zum Segen geworden, wünscht über den Verfasser Einiges zu erfahren. Diesen Wunsch zu befriedigen, zugleich auch, um zu zeigen, wie der Inhalt seiner Arbeiten aus tiefer Selbsterlebnis hervorgewachsen ist, dazu mag folgender kurze Lebensabriss dienen.

Zu Straßburg, den 9. Januar 1808, war Johann Friedrich Lobstein geboren, der Sohn eines Arztes. Von früher Kindheit auf nahmen die Seinen sich seiner Erziehung sorgfältig an. Besonders nahe kam er bald, durch Familienverhältnisse, seinen mütterlichen Großeltern. Hier herrschte noch die alte, gute, christliche Sitte. So ward der kleine Fritz zum Gebet angehalten und mit der heiligen Schrift und schönen Liedern, seinem Alter gemäß, vertraut. Die Lust am Lernen und am Umgang mit Büchern zeigte sich frühe, und neben dem Deutschen, das seine Muttersprache war, wurde das Französische nicht vernachlässigt. Der siebenjährige Knabe wurde einem Landgeistlichen in der Nähe der Vaterstadt übergeben, wo er einige Jahre zur Förderung seiner Kenntnisse verblieb. Hier erwachte in ihm die Freude an Dichtungen, und er selbst versuchte sich frühzeitig in allerlei Nachahmungen. Er vermaß sich sogar in größeren Versstücken und dramatischen Arbeiten.

Hier auch machte eine Begebenheit auf ihn einen Eindruck, dessen er später oft Erwähnung tat und welche wir darum anführen. Anfälle von Heimweh beschlichen ihn zuweilen; da zog er sich einst in die Scheune an ein Plätzchen zurück. Hier schüttete er sein Herz vor Gott aus und klagte ihm seine Verlassenheit, seine große Not. Unter heißen Tränen bat er Ihn, Er möchte ihm irgend ein bekanntes Wesen aus der Heimat herbeiführen, welches ihn durch sein Erscheinen tröste, erquicke. Während er so flehte, rollte ein Wagen in den Hof. Der Knabe eilte zu sehen und sah nun den Großvater und die Tante ganz unerwarteter Weise aus dem Wagen steigen. Sie kamen von Straßburg und wollten nach dem Kleinen fragen. Nun war’s ihm klar, Gott hatte ihn gehört. Tief ergriffen begab er sich, noch bevor er die ankommenden Gottesboten begrüßte, zurück an seine Gebetsstätte und dankte aus voller Seele. Später, in die Stadt zurückgekehrt, besuchte er ein Institut, damals wohlbekannt und ausgezeichnet durch dessen berühmten Vorsteher. Als er aber für die oberen Klassen sich befähigt erwies, trat er in das protestantische Gymnasium, wo er zu den besten Schülern gehörte. Die alten Sprachen, besonders aber das Griechische, beschäftigten ihn mehr und mehr. So widmete er sich denn auch vorzüglich der Philologie, als er, 17 Jahre alt, die akademischen Studien begann, ob er sich gleich zu der Theologie bekannte. Es herrschte übrigens damals an der Hochschule der Rationalismus. Er selbst urteilte später streng über diese und einige folgende Jahre, wo er, in Eitelkeit und Dünkel befangen, dem weltlichen Wesen huldigte. Er absolvierte, 21 Jahre alt, und begab sich nach Berlin. In dieser Stadt wirkten damals in ihrer schönsten Kraft Schleiermacher und Neander, die für so manchen Jüngling die Führer zur Wahrheit geworden sind. Sie sprachen jedoch Lobstein wenig an; er zog ihnen den Umgang mit den Griechen der Vergangenheit vor, in welchen ihn der berühmte Böckh, dem er sich anschloss, mehr und mehr einführte. Seine eifrige Beschäftigung mit der alten Literatur konnte ihn dennoch vor mancher trüben Stunde nicht bewahren, in welcher er in der großen Stadt sich gar einsam fühlte. Diese Empfindung war ihm desto lebendiger, als er, mit dem Bedürfnis des Umgangs, sich dennoch nicht leicht an Gefährten anschloss.

Eine schöne Reise brachte ihn nach achtmonatlichem Aufenthalt über Greifswalde, Rügen, Kopenhagen, Hamburg, Holland und Belgien nach Paris. Damals war Europa, besonders aber Paris, in voller Aufregung und allerseits traten dem Jüngling die bedeutendsten Erscheinungen entgegen. Er aber war zu sehr von sich selbst und seinen Aufgaben eingenommen, als dass ihm, was um ihn herumwogte, tiefere Eindrücke mitgeteilt hätte. In Paris selbst traf ihn, nach acht bis neun Monaten, der Ruf zur Professur der alten Sprachen an dem Lyceum zu Mühlhausen. So verließ er denn gegen Ende des Jahres 1831 die Hauptstadt, in Gesellschaft des späteren Pfarrer Verny, welcher zum Vorstand desselben Lyceums ernannt worden war. Keiner von beiden ahnte, als sie ihre Anstellungen bezogen, wie Gott noch umgestaltend eingreifen würde in ihre innern und äußern Verhältnisse.1Eduard Verny starb als Geistlicher der Pariser Gemeinde, in Straßburg 1854.

Mühlhausen, wo Lobstein von 1831 bis 1841 verblieb, sollte für ihn gleichsam eine zweite Vaterstadt werden, dadurch, dass sie die Geburtsstätte seines geistlichen Lebens ward.

Die schönen Kenntnisse, welche er sich gesammelt, befähigten ihn durchaus zu der Stellung, die er einnahm; doch eine große Reizbarkeit eignete ihn weniger zum Unterricht von Knaben des Alters, das ihm zufiel, und die Aufgabe ward noch schwieriger dadurch, dass man inmitten der industriellen Interessen den Wert der alten Sprachen bedeutend unterschätzte. Auch beschlich ihn oft jene Unruhe, von welcher Augustin sagt: „Du hast uns für Dich geschaffen und unser Herz ist unruhig, bis es in Dir ruhe.“ Nun vergrub er sich mehr und mehr in seinen Liebling, in Plato, und suchte durch lebendiges Aneignen der erhebenden Ahnungen des großen, sinnenden Griechen über die Tiefen sich hinwegzuträumen, in welchen das Sehnen aller Kreatur und die Angst nach Befreiung vom Dienst des vergänglichen Wesens unverstanden und oft quälend sich kund gab. In seinem längeren Gedicht, die platonischen Weihestunden und in der vorzüglichen Übersetzung der zweiten olympischen Ode Pindars haben wir die Frucht langer und fleißiger Arbeit aus jener Zeit.

In den Vakanzen besuchte Lobstein gewöhnlich die Seinen in der Vaterstadt und erholte sich gerne auf längeren Fußreisen. Bei einer solchen Gelegenheit, nach einem anregenden Aufenthalt Tholucks in Straßburg, ging ihm zuerst, in Gesprächen mit einem durch den Umgang und die Schriften des gläubigen Theologen ergriffenen Bekannten, die Bedeutung des Begriffs und Wesens der Sünde auf und ihre Beziehung zur Versöhnung in Christo. Von jenen Gesprächen an datierte Lobstein seine beginnende Aufmerksamkeit auf die höhere Wahrheit.

Die Jahre 1837 bis 1839 predigte und wirkte mit mannigfachem Segen ein französischer Geistlicher zu Mühlhausen; auch Lobstein gesellte sich zu dessen Zuhörern und nun geschah es, dass „der Zug des Vaters zum Sohne“ in ihm sich fühlbar machte. An einem Sonntag, wo die Predigt über 2 Kor. 4,5 gehandelt hatte, wandte sich Lobstein persönlich an den Geistlichen und begrüßte ihn mit den vielsagenden Worten: „Wie müssen Sie glücklich sein, glauben zu können!“ Von dieser Stunde an war ihr Umgang ein häufiger und immer erfolgreicher. Langsam jedoch nur und mühsam entrang sich des Ergriffenen Vernunft der rationalistischen Anschauung. Dabei leisteten ihm die Reden Vinets, welche er ernstlich las, die wesentlichsten Dienste. Er wandte auch seine Aufmerksamkeit, zuerst mit philologischen Absichten, dem Neuen Testament wieder zu. Bei der Erforschung desselben jedoch erwachte zugleich eine höhere Erkenntnis. Das Gewissen tat sich mit seinem Ernste kund; geschärft wurde dessen Macht durch die Mahnungen bald dieser, bald jener Predigt. Nach und nach übertönte die Stimme Johannis des Täufers das eitle Geschwätz und Räsonieren der wohlgefälligen, weltlichen Einbildungen; sie sprach von Sünde und Gericht, mahnte zu Buße und Sinnesänderung. Da trat die alte Welt mit dem schönen Heidentum in den Schatten, ja noch mehr, das Wesen des natürlichen Herzens, die Fleischeslust, die Augenlust, die Hoffart des Lebens ward vom Geiste Gottes aufgedeckt und gestraft. Die Worte des heiligen Gesetzes und der lockende Ruf der Gnade wirkten immer gewaltiger, bis die überwundene Seele zu den Füßen des Heilands der Sünder, und des ewigen Trösters niedersank und ihm sich hingab. Wie wohltuend wurde damals für ihn ein kleiner Kreis gläubiger Freunde, der sich ihm aufschloss und ihn treulich aufnahm. Die Stunden, wo die Paar Freunde, regelmäßig zur Betrachtung des Wortes Gottes, zum Gebet, zur traulichen Besprechung beisammen saßen, sind ihm unvergesslich geblieben und bis zu seinem Heimgang fühlte er sich in Dank und Liebe mit diesen Freunden verbunden. Sein Briefwechsel gibt davon rührende Beweise.

So war denn Lobstein für das Evangelium gewonnen. Das neue Leben wuchs und trieb. Die Einsamkeit hatte sich belebt durch die erfahrene Gegenwart Gottes im Gebet. Mit dem Licht der Wahrheit beleuchtete er sein Inneres mehr und mehr, und mit den geistlichen Waffen bekämpfte er die gebrochene Macht des alten Wesens. Wie gerne auch besuchte er nun einige arme Familien, welchen er das Evangelium vorlas; bei einer solchen Veranlassung äußerte er sich einst gegen jenen Prediger mit den Worten: „Hätte mir vor einiger Zeit jemand gesagt, ich würde in diesen feuchten Behausungen des größten Elends einst mehr Freude finden als in meinem netten Zimmer bei den schönen Büchern, nie hätte ich es geglaubt.“

Ermutigt durch seine Freunde, bestieg im Jahr 1840 Lobstein die Kanzel und predigte nun einige Mal in Mühlhausen, häufig aber in einer Nachbargemeinde. Diejenigen, welche ihn damals hörten, erinnern sich gar wohl des Ernstes und der Entschiedenheit, mit welchem er sein Zeugnis ablegte. Seine Rede war ergreifend. Die natürliche Gabe der Dichtung und das tiefere Studium der Sprache wurden nun der Wahrheit dienstbar.

Damals aber herrschte zu Mühlhausen unter dem Einfluss einiger Persönlichkeiten eine dem Evangelium entschieden feindselige Stimmung. Lobstein sollte deren Opfer werden, um so mehr als seine Gaben und sein Eifer ihn nur verhasster machten. So brachte man es dazu, dass er im Lauf des Jahres 1841 seine Professur aufgeben musste und auch bald darauf jener Nachbargemeinde, welche ihn zum Geistlichen verlangte, und an welcher er sehr hing, rundweg abgeschlagen wurde. So verließ er sein teures Mühlhausen nicht ohne Kummer; doch hatte er daselbst, wie er es oft den Freunden schrieb, einen überschwänglichen Trost gefunden. Aus den harten Prüfungen ging er mutig hervor und, entschieden für das Predigtamt, ließ er sich in seiner Vaterstadt dazu weihen. Ein Vorfall aus jener Zeit mag beweisen, wie er fertig war mit seiner Vergangenheit und welche große Umwälzung in ihm sich vollendet hatte.

Eine auserlesene Bibliothek hatte er sich im Verlauf der Jahre gesammelt; an ihr fand er lange sein größtes Wohlgefallen. Diese verkaufte er nun, sich beschränkend auf die Bibel und die Bibel erklärenden Werke. Gebet, Betrachtung des Wortes Gottes, Predigen und ein wohltätiger Umgang mit verwandten Seelen füllten die Monate aus, welche er meistens bei den Seinen zubrachte, bis ihm ein neuer Wirkungskreis eröffnet wurde.

Ende April 1842 begab er sich nach Freiburg in der Schweiz, wo er bis Oktober desselben Jahres den Geistlichen ersetzte. Er arbeitete da mit rechter Freudigkeit und wäre wohl auch in der Stelle geblieben, wenn seine deutsche Predigt den Landbewohnern verständlicher gewesen wäre.

Was überhaupt einem Jeden so schwer fällt, was aber besonders dem ungeduldigeren, leicht erregbaren Gemüt Lobsteins unerträglich sein musste, ward nun reichlich über ihn verhängt. Er sollte warten lernen. Beinah ein ganzes Jahr floss hin, ohne dass sein Wünsch, eine Pfarrstelle zu erhalten, sich erfüllte. Zwar predigte er oft und manche Aussicht hatte sich auf Wochen eröffnet, doch auch wieder erfolglos. Freilich für jede Gemeinde fühlte sich Lobstein nicht gleich tüchtig. So geschah es, dass er zuletzt den Ruf zum Geistlichen der freien deutsch-reformirten Gemeinde in Odessa (Russland) annahm, wo er vom Oktober 1843 an sich aufhielt. Dieser Posten hatte große Schwierigkeiten für ihn. Sie erwuchsen teils aus der streng reformirten Richtung einer Anzahl der Gemeindeglieder, teils aus den entgegengesetzten Klassen der Gesellschaft, aus welchen die Zuhörer bestanden. Doch fand er in der Folge an mancher Seele eine süße Erquickung in der Offenbarung der seligmachenden Kraft des Evangeliums, und auf seinem Sterbebette erfreute ihn auch der Gedanke, dass er diese und jene Seele bei seinem Herrn finden würde, welchem er sie damals zuführen durfte.

In Odessa, wohin ihm 1844 seine Verlobte gefolgt war, gründete er seine Familie, und da ward ihm sein erstes Kind geboren.

Immer reger jedoch ward der Wunsch, in die Heimat zurückzukehren, da die besagten Schwierigkeiten sich nicht lösen wollten und das warme, weiche Klima der Gesundheit seiner Gattin nachteilig wurde. Als sich denn endlich einige Aussicht auftat, gab er seine Entlassung und reiste, nach langen Mühseligkeiten, im Oktober 1848 mit Frau und Kind zurück. Hier nun begann eine neue Wartezeit von einem halben Jahr. Wie schwer war sie ihm! Im Juni 1849 übernahm er den Posten als Geistlicher der unter Katholiken weithin zerstreuten Protestanten des Departements der Vogesen, und bezog Epinal. Bis 1852 im September bekleidete er diese Stelle, wo er hin und her pilgerte, auf Entdeckung seiner Glaubensgenossen ausgehend, die Erkalteten anfeuernd und selbst angefeuert durch einen segensreichen Umgang. Hier, wo er beinah ausschließlich französisch predigte, übergab er sein erstes Büchlein der Öffentlichkeit. Er war von christlichen Freunden dazu aufgefordert worden und gab ihren Wünschen Gehör, obgleich er mehr, wie irgend jemand, das Mangelhafte seiner Leistungen einsah und hervorhob.

Im September 1852 vertauschte er Epinal gegen Genf, wo er als Professor der neutestamentlichen Exegese an der theologischen Schule angestellt wurde. Aus seiner Einsamkeit sah er sich nun plötzlich in einen Herd evangelischer Bewegung versetzt und von tätigen, erprobten Glaubensgenossen rings umgeben, mit welchen er sich in herzlichem Einverständnis fühlte. Hier genoss er viele Freundschaft und Bruderliebe: sie war ihm reiche Entschädigung für manche lange Entbehrung. Seine Vorlesungen jedoch, welche mehr den erbaulichen als den belehrenden Charakter hatten, waren von den Studierenden weniger geliebt als seine Predigten von seinen Zuhörern. Erstere wurden nach einiger Zeit aufgegeben und nun trug man sich mit dem Gedanken, Lobstein zum Prediger an der freien Kirche zu ernennen. Da erging von der französischen Gemeinde in Basel ein Ruf an ihn. Nicht ohne einiges Widerstreben entschloss sich Lobstein, die schöne Stadt und den lieblichen Kreis zu verlassen, mit welchem er in innigem Verkehr blieb und der nach seinem Heimgang seine tätige Sorge auf die hinterlassene Familie noch ausgedehnt hat. Er traf im Juli 1853 in Basel ein, wo er, bis zu seiner Übersiedelung in die ewigen Wohnungen, mit möglicher Treue und jedenfalls mit wachsender Freudigkeit arbeitete.

Unterdessen hatte sich seine Familie vermehrt und manche häusliche Prüfung war über ihn gekommen. Zwei Kinder waren ihm wieder abgefordert worden und seine Gattin hatte Zeiten der Kränklichkeit durchgemacht. In Genf hatte eine Feuersbrunst, wobei er selbst große Gefahr gelaufen, einen Teil seines Eigentums zerstört und manches Provisorische in der äußern Stellung hatte, Sorgen erweckend, Monate angedauert. Doch durch Alles hatte der Herr freundlich durchgeholfen und stets hatten Sein Wort und die Macht des Gebetes die Oberhand behalten.

Die ruhigste Zeit seines Lebens war Lobstein in Basel geworden. Es knüpften sich da, auf dem lieblichen Grund der Genfer Eindrücke, ähnliche Beziehungen und die neue Tätigkeit entsprach ganz den Wünschen. Außer der Predigt und den Pfarrfunktionen beschäftigten ihn die seit Epinal fortgesetzten Veröffentlichungen, auf welchen ein merklicher Segen lag und die mit Anerkennung und Dank aufgenommen wurden. Die Zahl derselben ist ziemlich angewachsen und nachdem Lobstein sich bloß in französischer Sprache versucht hatte, gab er seine letzte Arbeit in der ihm immer teuern Muttersprache heraus.

Über seine letzte Zeit schrieb er, einige Wochen vor seinem Heimgang, und weit entfernt davon, diesen zu ahnen: „Ich kann sagen, dass diese gegenwärtige Zeit die glücklichste meines Lebens ist. Wir können nur loben und danken, nach einem so ernsten und mörderischen Jahr, und wollen uns einen recht freudigen Glauben anschaffen, damit wir auch dieses Jahr zum voraus ein Segensjahr nennen können.“ Aus diesen glücklichen Verhältnissen wurde er nun schnell herausgenommen und in die Hütten des himmlischen Vaters verpflanzt. Da sein Ende manchem Gemüt einen Eindruck hinterlassen, so möchte einiges davon erwähnenswert scheinen.

Den 12. Januar predigte Lobstein noch über die Worte: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“ (Jes. 54,10.) Den zweiten Morgen. darauf erwachte er unter heftigen Brustschmerzen und Beklemmungen und die Seele voll trüber Todesahnungen: seine ersten Worte handelten von seinem wahrscheinlichen Ende. Den körperlichen Leiden gesellte sich geistige Unruhe und innere Dunkelheit bei, welche vier Tage, bis zur Nacht vom Samstag auf den Sonntag andauerte. Er selbst sagte letztern Tag: „Ich hatte viele Kämpfe in diesen letzten Tagen, da wählte M. (welcher diese Nacht bei ihm wachte) beim Lesen der Psalmen den 20ten; den hatte mir Herr M. als Losung bei meiner Abreise nach Basel mitgegeben; nun schwanden sogleich meine Kämpfe. Die Lieben von Genf!“ Von Dankbarkeit und Liebe, von der seligen Gewissheit der zukünftigen Freuden floss nun seine Seele über. Diese Gefühle kleideten sich am liebsten in Worte der h. Schrift, welche er sich so lang und treu angeeignet hatte. „Mich dürstet nach dem Wasser, von dem der Herr sagt: Wer das Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten,“ so sprach er zu dem Freund, der ihm die Erfrischung reichte. Der letzte Sonntag und Montag, welche er hienieden verlebte, waren besonders lieblich. Seiner nahen Auflösung in sich selbst gewiss, verfasste er am Morgen jenes Tages den Abschied an seine Gemeinde, welcher ihr auch verlesen wurde. Vor einigen Gliedern derselben, welche ihn besuchten, äußerte er seine Freude über den bevorstehenden Heimgang und wechselte mit ihnen freundliche Worte. Ja, dem Einen sagte er: „Ich werde zwar nicht aus dem Gesangbuch singen, an dem wir so fleißig gearbeitet haben, aber im Himmel werden wir zusammen singen.“ Er hatte großen Frieden. „Ich hätte nie gedacht, sagte er, dass ich einen siegbewussten Tod haben würde. Wohl gehe ich durch die Stufen des Sterbens, doch der Herr führt mich sachte von der einen zur andern. Der Gesichtskreis dehnt sich aus, mehr und mehr; man kommt in ein lichtvolles Land, ein himmlisches Italien. Jetzt verstehe ich die Stelle: „Dies Verwesliche muss anziehen das Unverwesliche und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit:“ Der Heiland entzieht mich dem Verweslichen, mir ist’s, als wäre ich schon im Unverweslichen. Das Gebet wird ein anderes; es wird ein leidendes; man empfängt bloß; das gewöhnliche Gebet ist schon ein zu langsames Verkehrsmittel mit dem Heiland; nun ist der Umgang unmittelbar und bleibend.“ Solche Worte sprach er mit Unterbrechungen und sehr ruhig. Wie dankend äußerte er sich über seine Gemeinde, die christlichen Freunde nah und fern!

Auch von seinen nächsten Anverwandten waren zu seiner Freude einige herbeigeeilt. Die Schmerzen wurden sehr empfindlich, da sagte er wohl auch: „traurig, aber allezeit fröhlich; sterbend und siehe, wir leben.“ Sehr gestärkt fühlte er sich immer durch Vorlesen der H. Schrift und Gebet. Oft wiederholte er: „Es sind deren viel mehr für uns, als wider uns.“ „Der Teufel hat keine Macht über die Kinder Gottes, er plagt sie nur.“ Als beim Anbruch des Montags, auf die Frage nach der Uhr, ein Freund zu ihm sagte: „Es bricht vielleicht Ihr schönster Tag an,“ so erwiderte er: „In der Tat, es wird keine Nacht da sein und nicht bedürfen einer Leuchte noch des Lichts der Sonne; denn Gott der Herr wird sie erleuchten, und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ (Offenb. 22,5.) Im Lauf eben dieses Tages sah er noch mehrere Freunde. Zu dem Einen sagte er: „Als Sie neulich ausgeführt haben, dass unsere Vereinigung mit Christo nicht bloß eine moralische, sondern eine metaphysische sei, eine Wesensumwandlung, dem geb‘ ich mit beiden Händen meine Zustimmung. Ich erfahre schon etwas davon.“ Ein andermal: „Man dringt in das Privatleben des Herrn, in eine Welt, wo man angesehen ist; da sind die dienstbaren Geister, ausgesandt zum Dienste, um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit.“ (Hebr. 1,14.) – „Wahrlich, der Tag des Todes ist besser, denn der Tag der Geburt.“ (Prediger 1,2.) Oft hörte man ihn die Worte wiederholen: „Die Rechte des Herrn behält den Sieg.“

Nach diesen trostreichen Tagen, wo sich die Macht des innern Lebens auf eine so klare Weise kund gegeben, und den Todkranken über alle Anfechtungen und Sorgen erhob, und nachdem er Abschied genommen von seinen Geliebten, die er zuversichtsvoll den Händen seines Erlösers überließ, stellten sich noch einige Tage ein, welche den Umgebenden schwer werden mussten. Die Krankheit gestaltete sich vollständig in ein Nervenfieber um und es trat ein beinahe anhaltendes Delirium ein, welches freilich immerfort auf dem geistlichen Gebiet sich bewegte und worin er sich oft mit großer Schärfe über sich und seine Leistungen vernehmen ließ. Zuweilen wurde er sich seines Zustandes und seiner Umgebung bewusst. So zogen sich die letzten Tage hin, während welcher die Ärzte noch allerlei Mittel fruchtlos versuchten. Freitag Morgen um 210 Uhr entschlief er, umgeben von den Seinigen und den nächsten Freunden, nachdem er noch um 6 Uhr Zeichen des Bewusstseins gegeben hatte. Sonntags darauf wurde er beerdigt. Sein Amtsgenosse und Freund wandte auf ihn die Worte aus Josua 1,2 an: „Moses, mein Knecht, ist gestorben.“ Für die Feierlichkeit hatte Lobstein selbst einige Tage vor seinem Ende die Worte bezeichnet: „Es müsse Frieden sein inwendig deinen Mauern und Glück in deinen Palästen.“ (Psalm 122,7.)

Wir schließen mit den Ausdrücken, welche Pfarrer Kramer gebraucht: „Erzählte ich alle Erfahrungen, welche der Sterbende noch durchlebt hat, so wäre es für manchen, als redete ich von den Höhen unsrer Alpen, von der Aussicht, welche sie erschließen und von der Luft, welche man da einatmet, zu irgend einem Fremden, der nie aus dem dichten und schweren Dunstkreis der Ebene gekommen wäre.“

Diese Erfahrungen aber hatte der Hingeschiedene darum gemacht, weil er gewiss war, dass „weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes ihn scheiden mochte von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, seinem Herrn.“ Denn „da er gewandelt hatte nach dem Lauf dieser Welt und den Willen des Fleisches tat und der Vernunft, hat Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, durch seine große Liebe ihn lebendig gemacht samt Christo und ihn samt Ihm in das himmlische Wesen gesetzt. Dasselbige ist Gottes Gabe.“

Heinrich Müller - Portrait

Heinrich Müller

Heinrich Müller.

Auf dem dunklen Grunde des nationalen Elends, der sittlichen Verwilderung, der Zerrüttung des christlichen Gemeinde- und Familienlebens, die im Gefolge des dreißigjährigen Krieges sich zeigten, hebt sich doppelt tröstlich und versöhnend das Lichtbild der Arbeit ab, welche die lutherische Kirche während des 17. Jahrhunderts insbesondere auf dem Gebiete der Predigt und Seelsorge an dem armen geschlagenen und zertretenen Volke Deutschlands getan hat. Man ist gewöhnt, das 17. Jahrhundert, welches die Aufgabe hatte, das von der Reformation erzeugte Leben evangelischer Erkenntnis zum festen dogmatischen Ausdruck zu bringen, als das Zeitalter der toten Orthodoxie, der unfruchtbaren theologischen Scholastik und Polemik zu kennzeichnen und auf die doktrinäre Richtung der Predigten jener Zeit geringschätzig herab zu blicken; und in der Tat hat Valentin Andreä, der damals eine Rose unter Dornen blühte, recht, wenn er von der großen Menge jener zeitgenössischen Prediger sagt: „Sie wollen lieber die Dreieinigkeit definieren, als anbeten, die Gegenwart Christi beweisen, als verehren, die Reue und Buße beschreiben, als in sich fühlen, die Verdienstlichkeit der Werke widerlegen, als ein gutes Werk tun und lieber die heiligen Wissenschaften treiben, als mit der Praxis der christlichen Liebe sich beschäftigen.“1Veri Christianismi solidaque philosophiae libertas Argentora 1618 pag. 99. – Und doch bildete sich schon damals, geweckt und gefördert durch den Geist der Calixtinischen Schule, ein entschiedener Gegensatz gegen den trocknen Scholastizismus in der Predigt aus. Es ging eine tiefe Sehnsucht nach Geist und Leben, nach Saft und Kraft, nach einer gesunden lebenskräftigen Praxis in der Predigt durch das Jahrhundert, und nicht nur die Vertreter des damals wild wuchernden theosophischen Mystizismus eines Weigel, Schwenkfeld, Jakob Böhme, sondern auch die geisterfüllten Zeugen der lutherischen Kirche: ein Johann Arndt, Philipp Nicolai, Johann Gerhard, Christian Scriver kamen dem lebendigen Heilsverlangen erweckter Christen entgegen, führten das Volk zur Quelle evangelischer Heilserkenntnis in der Schrift und bezeugten in ihren Predigten, dass das Christentum nicht tote Doktrin, sondern Leben in der Gemeinschaft mit Christo und in seiner Nachfolge sei. Der Christus für uns sollte nach ihrem Zeugnis vor Allem der Christus in uns werden.

In der Reihe jener das 17. Jahrhundert mit dem lebendigen Zeugnis von Christo erfüllenden Prediger, welche nach Luthers Vorgang eine edle aus der Tiefe der heiligen Schrift und innersten Herzenserfahrung geschöpfte Mystik mit der Glaubenslehre der Kirche verbanden, finden wir auch den Mann, der durch seine reiche theologische Begabung sowie durch seinen innern und äußern Lebensgang insbesondere berufen war, die Wiedererneuerung des kirchlichen Lebens seiner Zeit mit herbeizuführen: Heinrich Müller aus Rostock.

Lassen wir zunächst die wichtigsten Züge und Momente aus seiner Lebensgeschichte an uns vorübergehen. Mitten unter den Drangsalen des 30 jährigen Krieges, da Wallenstein nach Vertreibung der Herzöge Adolf Friedrich und Albrecht von Mecklenburg sich der Stadt Rostock bemächtigt hatte, wurde Heinrich Müller am 18. Oktober 1631 in Lübeck geboren, wohin seine Eltern, Peter Müller, ein angesehener Kauf- und Handelsherr Rostocks, und Elisabeth geb. Stubben, für kurze Zeit sich geflüchtet hatten. Unter den günstigsten Verhältnissen konnten die bald darauf in ihre Heimat zurückgekehrten Eltern sich der Erziehung ihres Sohnes, den ihr frommer Sinn frühzeitig zum Dienste der Kirche (der Vater war selbst Vorsteher der Kirche zu St. Marien) bestimmt hatte, widmen. Wahrhaft bewundernswert war die rasche geistige und geistliche Entwicklung des körperlich schwachen Knaben, der nach Beendigung der klassischen Studien, lateinischer und griechischer Sprache, in denen er sich eine gründliche Kenntnis erworben, bereits im dreizehnten Lebensjahre die Universität Rostock beziehen konnte. Hier ward der fromme und gelehrte Joachim Lütkemann, ein ebenso scharfsinniger Denker als christlicher Theologe, der zu sagen pflegte: „Ich will lieber eine Seele selig, als hundert gelehrt machen,“ sein Lehrer in der Philosophie, aber zugleich sein Führer zur Gottseligkeit und Erzieher zu einem lebendigen Herzenschristentum. Auf Anraten eines väterlichen Freundes Johannes Quistorp widmete er sich hierauf dem theologischen Studium auf der Universität Greifswalde und erwarb, 1650 nach Rostock zurückgekehrt, im Alter von noch nicht zwanzig Jahren auf seiner heimatlichen Universität die Magisterwürde. Nach damaliger Sitte unternahm er zunächst eine wissenschaftliche Reise, um die Zustände auswärtiger Universitäten, insbesondere aber hervorragende Theologen seiner Zeit und ihre theologische Richtung kennen zu lernen. Sein Weg führte ihn über Danzig und Königsberg nach Helmstedt, Leipzig, Wittenberg und Braunschweig. Männer wie Georg Calixtus, Carpzov, Calov und Meißner zogen ihn vor Allen dahin. In Leipzig trat er insbesondere zu Carpzov, von dessen milderer auch das praktische Christentum betonender Richtung er sich sympathisch berührt fühlte, in ein innigeres Verhältnis und war sein täglicher Tischgenosse. Bald aber von seinen Eltern nach Rostock zurückgerufen, widmete er sich mit rastlosem Eifer der akademischen Tätigkeit, hielt philosophische und theologische Vorlesungen und gewann durch die Ursprünglichkeit, Frische und Tiefe seiner aus der heiligen Schrift geschöpften Predigten in dem Maße die Herzen der Gemeindeglieder, dass er ungeachtet seiner Jugend, kaum 21 Jahre alt, zu dem Archidiakonate an St. Marien gewählt wurde. Nur mit innerem Zagen übernahm er das heilige Amt. „Ich erinnere mich wohl,“ schreibt er selbst, „dass, da ich im 20. Jahre meines Alters das hochheilige Amt antrat, das ich jetzt in der Kraft des Herrn bediene, mir zu allen Füßen kalt war; denn ich noch unerfahren war und in göttlichen Dingen ungeübte Sinne hatte, wenig Muts, die Gottlosen getrost zu strafen. Was sollte ich tun? Vor meinem Gott kniete ich in meinem Kämmerlein und sprach mit Jeremia: Ach Herr, Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der Herr aber sprach zu mir: Sage nicht, ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende und predigen, was ich dich heiße. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten.“

Im Jahre 1653 ernannte ihn die Universität Helmstedt zum Doktor der Theologie; später wurde er zum Professor der griechischen Sprache und 1662 zum ordentlichen Professor der Theologie in Rostock ernannt. Gleichzeitig wurde ihm das Pfarramt zu St. Marien übertragen. Mit welcher Hingebung und Treue er sein Predigt- und Seelsorgeramt verwaltete, davon gab die Liebe und das Vertrauen seiner Gemeinde ein helles Zeugnis. Keine noch so glänzenden Berufungen, die aus der Nähe und Ferne an ihn ergingen, konnten ihn von seinem Amt und der Gemeinde wieder trennen. Als von Hamburg aus ein Ruf an ihn erging, sagt er in seinem Antwortschreiben: „Ich habe in meiner Vaterstadt eine gute Gemeinde, die mich wie einen Engel Gottes wert hält, das Wort des Herrn, durch mich gepredigt, zur Erbauung annimmt und mich mit Wohltaten überschüttet. Was könnte mich bewegen, dieselbe zu verlassen. Reichtum habe ich nie gesucht, lass mir an meinem Groschen, an Nahrung und Kleidung sehr gern genügen; daran fehlt mir’s, Gott Lob, nicht. Auch suche ich keine größere Gemeinde; ich habe an der meinigen von etlichen Tausenden genug zu tun, es ist nicht damit abgetan, dass man eine lauliche Predigt hält und dann spricht: Dixi et salvavi animam meam2Ich sprach und habe meine Seele gerettet. Nein, fürwahr es gehört mehr zur treuen Haushaltung. Für eine jede Seele wird man Rechenschaft geben müssen, und wird einst heißen: Deine für seine Seele, wo man nicht bestehen kann.“ Er selbst war der Gemeinde ein leuchtendes Vorbild in der Übung christlicher Liebe und Barmherzigkeit, ein Freund und Wohltäter der Armen, unter die er oft nach dem Beichtsitzen die Beichtpfennige verteilte, ein Beschützer der Witwen, ein Vater der Waisen, seine Gemeinde, und vor Allem die Schwachen und Kranken auf betendem Herzen tragend, unermüdet in der Sorge für das Heil der ihm befohlenen Seelen, so dass sein Amtsbruder Barclay in der Gedächtnispredigt über seinem Sarge der Gemeinde zurufen konnte: „Was hat ihn so frühzeitig unter die Erde gebracht? Seine gar zu große Sorgfalt für eure Seelengesundheit; zu Tode hat er sich studiert und meditiert.“

Im Jahre 1671 wurde er vom Rat und der Geistlichkeit einstimmig zum Stadt-Superintendenten gewählt; bei seiner Einführung standen ihm die Tränen der Demut und Rührung im Auge, so dass der herzogliche Superintendent Sommerfeld, der ihn einführte, ausrief: „Was sehe ich? Tränen bei Ehren; das will ich merken.“

Obwohl fest im Zentrum der lutherischen Lehre stehend, drang Heinrich Müller in seinen Predigten vor Allem auf die Erneuerung des inwendigen Menschen, auf rechtschaffene Früchte der Buße und ein praktisches tätiges Christentum. „Wir heilen Babel“, schrieb er mit den Worten des Jeremias3Diese Worte: Jeremias 51,9 wählte er selbst auch zu seinem Leichentexte. 1675 an den gottseligen D. Spener; „ach, dass sie sich nur wollte heilen lassen.“ Mit dem Schwerte des Geistes eiferte er gegen alles Heuchel- und Scheinchristentum, gegen eine tote Rechtgläubigkeit, die in äußerem Gottesdienste den Schein eines gottseligen Wesens an sich trägt, aber seine Kraft verleugnet. In einer Predigt über die Epistel am 10. Sonntag nach Trinitatis (1. Kor. 12,1-12) eifert er „wider die vier stummen Kirchengötzen, denen die Christenheit nachgeht“, und zwar in einer nur den böswilligen Gegnern missverständlichen Weise; denn er selbst erläutert seine Worte: „sie tröstet sich ihres äußerlichen Christentums, dass sie getauft ist, Gottes Wort hört, zur Beichte geht, das Abendmahl empfängt, aber die innere Kraft des Christentums verleugnet sie; sie verleugnet die Kraft der Taufe, weil sie nicht im neuen, sondern im alten Menschen wandelt, da doch die Taufe ein Bad der Wiedergeburt und Erneuerung ist; sie verleugnet die Kraft des göttlichen Wortes, weil sie das Wort Gottes widerlegt mit ihrem gottlosen Leben und macht’s zu Lügen; sie verleugnet die Kraft der Absolution, weil sie unverändert bleibt in ihrem Wesen nach wie vor; sie verleugnet die Kraft des heiligen Abendmahls, weil sie nicht lebt in Christo, mit welchem sie vereinigt ist, sondern wandelt nach den Lüsten ihres Fleisches und ergießt sich in allen Sünden. Wie stimmt Christus und Belial zusammen? Dies Alles ist Abgötterei. Denn Gott ist ein Geist und will, dass wir ihm im Geist und in der Wahrheit dienen. Was findest du denn bei der heutigen Christenheit anders als lauter heidnische Gräuel?“ Schon beim Anhören der Predigt hatten Viele an den obigen Ausführungen Müllers Anstoß genommen. Andere verdächtigten ihn auf Grund derselben der wiedertäuferischen Gesinnung; auch von auswärts wurden Schmähungen wider ihn laut. Ja, als man bald darauf ihn für die Katharinengemeinde zu Hamburg zu gewinnen suchte, erhob der dortige Pastor zu St. Petri, Johannes Müller, wider ihn die Anschuldigung irriger Lehre unter Bezugnahme darauf, dass er den „Taufstein, den Predigtstuhl, den Beichtstuhl und den Altar“ die vier stummen Kirchengötzen der heutigen Christenheit genannt habe. –

In den bald darauf von Heinrich Müller herausgegebenen: Geistlichen Erquickstunden, einem wahrhaft klassischen Erbauungsbuche für alle Zeiten, voll köstlicher, geistvoller, kernhafter Sentenzen aus der Tiefe der Schrift, der innersten Erfahrung, der Betrachtung der Welt geschöpft, und den daran gefügten: „Theologischen Bedenken von der Abgötterei der heutigen Maul-Christen und brüderlichen Bestrafung“ widerlegt er jene falschen Beschuldigungen und getröstet sich des Trostes, dass er um Christi Willen (Matth. 5,11) geschmäht würde und mit Paulo sprechen könne: „Mir ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde“ (1. Kor. 3). Nichtsdestoweniger fühlte er sich veranlasst, von ihm befreundeten verständigen und gottseligen Theologen ein Urteil darüber einzuholen, ob seine Worte schriftgemäße göttliche Wahrheit seien oder nicht. Die ihm gegebenen Gutachten zeugten übereinstimmend zu seinen Gunsten, u. a. schrieb Dr. Gossmann, Superintendent in Stralsund: „Von Herzen freue ich mich, dass die güldene apostolische Schlusskette, ein Buch, das ich hochhalte und liebe, ebenso wenig vorm Satan soll Frieden haben, als der Heiland selbst“ und schloss mit den Worten: Ich bitte meinen allerwertesten herzlich geliebten Bruder sich doch an solche Teufelspossen nicht zu kehren. Ride et vicisti4Lache, und Du hast gewonnen; Gott Lob ein Andrer kennt noch, was schwarz ist und was weiß.5Weiter heißt es: „Was gedruckt ist, soll gedruckt bleiben, so lange als das falsche Christentum von der Kraft Gottes nicht mehr versteht, als Kalk und Stein. – Von Herzen freue ich mich, dass die güldene Apostolische Schlusskette, ein Buch, so ich hoch halte und aus dem Grund liebe, eben so wenig vom Satan soll Fried haben, als der Heiland selbst.

So ließ sich Heinrich Müller als ein treuer Hirt und Seelsorger durch keine böswilligen Anfeindungen zurückhalten, mit johanneischem Bußernst und Feuereifer das pharisäische Scheinchristentum mit seinen Sünden und Lastern zu strafen und im treuen Dienste der Gemeinde seine Kräfte zu verzehren.

Nur zu frühe wurde er seiner Familie (22 Jahre lang hatte er mit seiner Gattin Margarethe Elisabeth Siebrand aus Rostock, die ihm fünf Söhne und eine Tochter schenkte, in glücklicher friedlicher Ehe gelebt) und seiner ihm ans Herz gewachsenen Gemeinde entrissen. Schon im Jahre 1669 heftig erkrankt, erhob er sich noch einmal zu frischer Tätigkeit. „Wie will ich noch reden“, gelobte er damals mit Hiskia (Jes. 38,15). Sein Dankaltar und seine evangelische Schlusskette waren die Lobopfer, die er nach seiner Genesung dem Herrn darbrachte; da erkrankte er 1675 aufs Neue, um nicht wieder aufzustehen, an einer skorbutischen Auflösung aller seiner Säfte6heroica adfectio wird diese Krankheit in dem lateinischen Berichte seines Arztes genannt. Mit christlicher Geduld und Freudigkeit sah er dem Tode entgegen. Mit tiefer Demut und Andacht feierte er das heilige Abendmahl und sang mit schwacher Stimme verschiedene geistliche Lieder: „Herr Jesu Christ, wahrer Mensch und Gott, O Lamm Gottes unschuldig.“ „Liebe Kinder“, sprach er sodann zu den um sein Bett Versammelten “betet, betet, dass Gottes Wille an mir vollbracht werde; denn was mein Gott will, gescheh‘ allzeit: sein Will, der ist der beste.“ Von seiner geliebten Gattin, von seinen Kindern und von seinem Beichtvater (dem Archidiaconus Barklay) nahm er Abschied unter vielen Tränen und herzbewegenden Worten des väterlichen Segens und Ermahnung zum Glauben und zur Gottesfurcht: „Nicht ich“, sprach er, „sondern mein Elend und Jammer wird sterben. Ich weiß nicht, dass ich in meinem ganzen Leben einen recht fröhlichen Tag in dieser Welt gehabt habe; nach diesem Leben wird meine Herzensfreude erst recht angehen. Ungehindert von dem Leib des Todes werde ich vor dem Stuhle des Lammes mit größerer Kraft für meine Söhne, für euch, mein lieber Beichtvater, für alle meine Schäflein, sonderlich auch für meine Wohltäter beten. Darum seid auch Alle getrost. Ich weiß, dass ich gar bald, ohne einige Verstellung und Gebärden und Herzensangst aus diesem Leben abscheiden werde.“ Und so geschah es auch. An demselben Tage, dem 23. September 1675, ging er, noch nicht 44 Jahre alt, den Namen Jesu im Herzen und auf den Lippen, in sanftem Frieden still und selig heim. Der Tag seines Todes war ein allgemeiner Trauertag, „dass eine solche Säule der Kirche, ehrwürdig im Ministerio und Consistorio sowie in der Akademie so früh gefallen war“. Das Symbolum, das er sich nach 2. Kor. 6-10 selbst erwählt: „Allezeit fröhlich“ fand als der Ausdruck seiner Siegesgewissheit im Glauben seine rechte Bewährung in seinem Leben und Sterben.

Betrachten wir nun die Stellung Heinrich Müllers innerhalb der theologischen Entwicklung seiner Zeit, so kann er zwar als ein Vorläufer des Pietismus gelten, insofern er durch die sittlichen und kirchlichen Notstände seiner Zeit auf das Innerste ergriffen und bewegt, in seinen Predigten vor Allem auf eine Erneuerung des christlichen Lebens durch rechtschaffene Buße und lebendigen Glauben drang: aber doch wusste er, die Heilswahrheiten der Schrift und den ganzen Reichtum der lutherischen Lehre mit der ihm eignen Energie des Glaubens darzulegen und zu entfalten. Aus seinen Predigten spricht der tiefe Schmerz über das Verlorengehen so Vieler, die den Weg des Heils nicht finden, und das glühende Verlangen, die Sünder zu bekehren von dem Irrtum ihrer Wege. Dabei war ihm unter den Erfahrungen seiner Zeit eine Weltanschauung eigentümlich, die allerdings ihre Begründung in der Lehre der heiligen Schrift hat: nämlich der oft bis zum Widerspruch sich steigernde Gegensatz zwischen Gott und Welt. Gott ist der Heilige, die Welt ist sündhaft; Gott der Ewige, die Welt vergänglich; Gott der Selige, die Welt voll Jammer und Elend, das durch allen Trug und Schein weltlicher Ehrbarkeit und Glückseligkeit hindurchbricht; daher das Heimweh des Christen nach dem Himmel, und die Aufgabe des Christenlebens auf Erden, die Seligkeit in Christo zu schaffen mit Furcht und Zittern. Diese Anschauung tritt bei Heinrich Müller überall in den Vordergrund; er richtet Alles nach dem Worte der Wahrheit und betrachtet Alles vom Standpunkte der Ewigkeit (sub specie aeterni), daher auch sein mächtiges Zeugnis gegen alle eitle Weltlust und Weltseligkeit. Sein Kampf richtet sich insbesondere gegen alles Scheinchristentum der toten Werke, gegen den eitlen Götzendienst, den man auch in sogenannten kirchlichen Werken übt, sobald der Geist ernster Buße, die Wahrheit eines lebendigen Glaubens fehlt, der in Liebe tätig ist. Selbst ein rechter Beter und Streiter Gottes ruft er in allen Tonarten die Gläubigen auf zum Kampfe wider die Macht der Sünde, zur Wachsamkeit über sich selbst, zur Heiligung und zum Gebet. So gewinnen seine Predigten einen eminent praktischen Charakter; sie gehen darauf aus, die Lehre der Kirche sofort in das Leben zu übersetzen, in die Tat der Buße und des Glaubens an Christum. Wohl muss man auch aus seinen Predigten hier und da das Gold heraussuchen unter vielen Schlacken, wenn er der homiletischen Unsitte seiner Zeit einmal huldigend gelehrte theologische Exkurse (auch in lateinischen Zitaten) und Untersuchungen auf die Kanzel bringt (vgl. die oft 20-30 Folioseiten langen Festpredigten), aber seine besten Predigten und Reden sind frei von theologischer Schulweisheit; sie gehen vielmehr von dem Schriftwort, seinen Textgehalt und Gedankengang oft bis in das Einzelnste und Kleinste verfolgend und entfaltend, aus und mit schlagender Kürze auf das Leben der Gemeinde, die herrschenden Irrtümer, Übelstände und Missbräuche der Zeit ein.

Wollen wir einen Meister der populären Predigt suchen, in Heinrich Müller ist er uns gegeben. Wie selten Einer versteht er es, die tiefsten Saiten des menschlichen Herzens, wie sie im Volks- und Familienleben sich äußern, anzuschlagen und so den Weg zum Herzen und innern Leben seiner Hörer sich zu bahnen. Mit klarem Blick, mit tiefem Scharfsinn beobachtet er das Volk in seiner Denk- und Anschauungsweise, in seinen Reden und Sitten, und straft die Sünde nicht im Allgemeinen, sondern individualisierend auf alle Stände, Lebensalter, Geschlechter, in ihren konkreten Gestalten und Erscheinungen, ja er verfolgt sie bis in ihre äußersten Schlupfwinkel des Herzens und Lebens. Als er einst in Gegenwart einer fürstlichen Person hatte gelehrt predigen wollen, blieb er stecken. In der nächsten Predigt erklärte er: „Vor acht Tagen hat Doktor Müller predigen wollen; jetzt aber soll der heilige Geist predigen.“

Dabei ist er aber keineswegs exklusiv ein Bußprediger, sondern weiß mit der Lieblichkeit des Evangeliums, mit der herzandringenden Sprache mitleidender, erbarmender Liebe die Sünder zu locken und zu Christo einzuladen. Das Geheimnis der Macht seiner Predigt aber ruht in seiner von Christo ergriffenen und durchdrungenen Persönlichkeit; er selbst lebt so in der Schrift, dass sie sich überall lebensvoll ihm gestaltet; er predigt biblisch, ohne in seinen Predigten Bibelzitate zu häufen; denn Alles, was er predigt, ist aus den Tiefen der heiligen Schrift geschöpft; sein Leben in der biblischen Wahrheit lässt ihn auch frei und ungezwungen des Bibelwortes sich bedienen, bald verkürzt, bald unverkürzt, bald wörtlich nach Luther, öfter aber nach eigner Übersetzung.

Auch seine Themata sind leicht und ungezwungen dem als Text vorliegenden Schriftwort entnommen, er stellt darin den Grundgedanken des Textes, freilich oft in zu allgemeiner Fassung, hin, und verfolgt dann den Text Vers für Vers, Wort für Wort, nur hie und da Abschweifungen aus praktischen Rücksichten auf das Bedürfnis der Gemeinde sich gestattend. Ohne immer streng zu disponieren, hält er in der Ausführung der Grundgedanken eine logische Ordnung fest, die sich organisch gliedernd durch die ganze Predigt zieht. Dabei fehlt es freilich in der Ausführung an Wiederholungen nicht, die aber, getragen von der Beweglichkeit seines Geistes und der Frische seiner Darstellung, nur selten ermüdend wirken.

Die Volkstümlichkeit der Predigten Müllers tritt aber besonders hervor in der Weise, wie er die Schriftwahrheiten an das Herz der Gemeinde und des Volkes bringt. Es ist eine originelle Geistesfrische voll jugendlicher Anmut und Lieblichkeit, die seinen Stil belebt und beherrscht; seine Diktion ist eine so reine, edle, natürliche, dem Genius der deutschen Sprache entsprechende, dass sie abgesehen von einzelnen Worten und Wendungen für unsere Zeit als eine klassische mustergültige gelten kann; sie erinnert bezüglich ihrer biblischen, volkstümlichen Kraft an Luther und Arndt, zeichnet sich aber vor diesen noch durch ihre gedrungene Kürze im Ausdruck und ihren sententiösen Stil aus. In kurzen, prägnanten, oft änigmatisch7nicht zu durchschauen oder zu erklären klingenden Sätzen entfaltet er in Trost und Mahnung der Schrift einen überraschenden Reichtum der Gedanken und geht in Thesen und Antithesen, in Sprichwort und Sentenzen, Schlag auf Schlag auf das Herz und Gewissen der Hörer los. Er selbst spricht in der Vorrede zur apostolischen Schlusskette zu den Sonn- und Festtagsevangelien: „Aufs Kürzeste habe ich Alles gefasst, ist’s doch besser mit wenigen Worten Viel, als mit vielen Worten Nichts auszusprechen.“

Seine Sprache ist reich an Bildern und Gleichnissen, die seinem dichterischen Sinne meistens ungesucht in der Natur und dem Leben des Hauses und Volkes sich bieten, zuweilen aber doch auch an die Spielerei der schon auftauchenden emblematischen8gehobenen Predigtweise erinnern (z. B. in Themata wie der geistliche Fuchsfang: Matth. 7,14; die geistliche Schäferei: Joh. 10,19; Honigblümlein der armen Sünder: Luk. 10,41). In der obengenannten Vorrede bekennt er selbst: „Geblümelt habe ich auch zuweilen, nicht, dass ich im Predigen des Blümelns gewohnt bin, sondern dem Leser eine Anmut zu machen und den Liebhaber der Allegorien an solche Allegorien zu führen, die nicht nur der Schrift keine Gewalt antun, sondern auch zugleich trösten und besserlich sind.“ Im Allgemeinen macht H. Müller von der Allegorie nur einen beschränkten Gebrauch; wo er sie aber anwendet, z. B. bei den Erzählungen der evangelischen Geschichte, deren Inhalt eine symbolische Auffassung zulässt, da weiß er auch die ganze Fülle seiner poetischen Anschauungen hineinzulegen und bis in die kleinsten Züge zur Darstellung zu bringen. Seine dichterische Begabung hat er nicht nur als Prediger, sondern auch als Verfasser mehrerer geistlicher Lieder bekundet, die in mehreren Gesangbüchern Aufnahme gefunden.

Die Frauen von Löwenberg.

In Schlesien verbreiteten 1629 die Liechtensteiner Dragoner Schrecken und Verwirrung. So wurde auch die Stadt Löwenberg gezwungen, ihre evangelischen Prediger zu entlassen. Es wurde den Bewohnern Himmel und Hölle vorgehalten, um sie ihrem Glauben untreu zu machen. Man verhieß ihnen die kaiserliche Gnade, Privilegien nach Wunsch und Begehren, wenn sie in den Schoß der römischen Kirche zurückkehren wollten; dagegen drohte man die Widerspenstigen mit den härtesten Strafen zu belegen. Ein großer Teil der Männer ließ sich zum Abfall verleiten; die Ungehorsamen mussten Herd und Heimat verlassen.

Kaum aber waren die Soldaten wieder abgezogen, so besannen sich die Abtrünnigen eines Andern. Sie ließen ihre Kinder in der Nachbarschaft nach evangelischer Weise taufen; die Kirchen der katholischen Geistlichen standen leer. Da kamen die Liechtensteiner zurück, um das Bekehrungswerk mit Waffengewalt zu vollenden. Wer irgend konnte, entfloh aus der Stadt; ganze Familien zogen das Exil dem furchtbaren Glaubenszwange vor. Es wurde ein neuer Stadtrat eingesetzt, an dessen Spitze als Königsrichter ein Advokat stand. Auf Anraten der Geistlichen fasste man den Beschluss, vor Allem die Frauen, welche bis jetzt am standhaftesten dem evangelischen Glauben treu geblieben waren, zur Verleugnung desselben zu bewegen. Man lud dieselben aufs Rathaus vor und es erschien eine große Anzahl, die Frau Königsrichterin und die Frau Bürgermeisterin an der Spitze. Die Herren am grünen Tische erschraken vor der Menge der mutig auftretenden Weiber; sie erklärten, dieselben in kleinen Abteilungen vernehmen zu wollen. Aber alle hielten fest zusammen; die Frau Königsrichterin antwortete im Namen Aller: „Meint ihr, dass wir so einfältig sind und eure Possen nicht merken, wie man uns arme Weiber drängen will, von dem Evangelium zu weichen. Wo ich bleibe, bleiben die Andern auch.“ Diese riefen einstimmig: Ja. Die Ratsherren erschraken, um so mehr, da sie merkten, wie jede Frau mit einem großen Bunde Schlüssel (der eigentümlichen Waffe der Weiber) versehen war. Die Herren nahmen zu einer List ihre Zuflucht. Die Türen wurden unvermerkt verschlossen, so dass die Frauen gefangen waren. Die meisten Ratsherren hatten sich teilweise ohne Hut und Stock – davon gemacht. Aufs Neue versammelten sich die Herren im Hause des Königsrichters, wo sie den Beschluss fassten, die Frauen zum fleißigen Kirchenbesuch zu ermahnen und wieder frei zu lassen.

Auch jetzt gaben dieselben die bestimmte Erklärung ab, dass sie am evangelischen Glauben festhalten wollten.

In den nächsten Tagen beschied der Pfarrer einige Frauen zu sich, namentlich die Frau Bürgermeisterin. Die Frau Königsrichterin, die nicht mit geladen war, begleitete dieselbe. Der Pfarrer redete ihnen freundlich zu, sie sollten doch nachgeben und die allein seligmachende Religion annehmen; sie würden sich bald überzeugen, dass sie sich wohl dabei befinden würden. Es erfolgte alsbald die Antwort: Wir sind von unseren Eltern und vorigen Predigern anders unterrichtet worden und bei dieser Lehre haben wir Ruhe und Frieden gefunden. In Eure Religion können wir uns nicht schicken. Der Pfarrer bat sie, sie möchten doch nur zur Kirche kommen; und wenn sie Bedenken hätten, sollten sie es ihm offen sagen. Alle seine Mühe war umsonst. Auch das half nichts, dass der Pfarrer ihnen vorstellte, wenn sie nachgäben, würden die Männer, wie sie selbst erklärt hätten, alle Folge leisten. Die Standhaftigkeit der Frauen bewirkte, dass die katholischen Geistlichen im folgenden Jahre die Stadt verlassen mussten. Doch hatte dieselbe noch viel zu leiden im Laufe des Krieges; beim Friedensschlusse war sie beinahe ganz verödet.

Isabella von Dänemark.

Eine andere Schwester Karls V. war Isabella, die Gemahlin des Königs Christian von Dänemark. Dieser wurde wegen seiner Grausamkeit vertrieben. Isabella floh mit ihm und erklärte, da die Dänen sie zurückriefen und versprachen, sie als rechtmäßige Königin anzuerkennen, sie werde ihr Schicksal von dem ihres Gemahls nicht trennen. Wie sie ihrem Gatten ein liebendes Herz auch im Unglück bewies, so hing sie auch ihrem Herrn und Heiland mit ganzer Seele an. So viel sie auch von ihrem Bruder und den Großen des Reichs bestürmt wurde, wieder zur katholischen Kirche zurück zu kehren, so große Vorteile sie sich auch von einem solchen Schritte versprechen konnte, so beharrte sie doch im Bekenntnis der evangelischen Wahrheit bis an ihren 1526 erfolgten Tod.

Maria von Ungarn

Selbst unter den Frauen der kaiserlichen Familie finden sich solche, die Luthers Lehre zugetan waren. Wir nennen zuerst Maria, die Schwester Karls V., die als fünfzehnjähriges Mädchen mit Ludwig II., König von Ungarn, vermählt wurde, aber schon nach fünfjähriger Ehe ihren Gemahl durch den Tod verlor. Luther wechselte bisweilen Briefe mit derselben. In einem solchen von 1525 drückte er seine Freude darüber aus, dass sie Interesse am Evangelio nehme; er empfahl die Bekenner desselben ihrem Schutze gegen die mächtigen Bischöfe. Sie duldete in ihrer Umgebung evangelische Prediger und zeigte eine solche Bibelkenntnis, dass sie die Geistlichen verbesserte, wenn dieselben eine Bibelstelle unrichtig zitierten. Weiter durfte sie nicht gehen, da ihr Bruder sie öfters warnen ließ: sie möchte sich nicht von den ketzerischen Pfaffen verführen lassen; er entfernte sogar die evangelischen Prediger aus ihrer Nähe. Um sie noch mehr dem Einflusse derselben zu entziehen, nahm er sie mit nach Spanien und machte sie später zur Statthalterin der Niederlande, so dass sie für Deutschland ganz verschwand. Man schreibt ihr ein Lied zu, welches 1598 in dem Leipziger Gesangbuch unter ihrem Namen Aufnahme gefunden hat und dessen erster Vers also lautet:

Mag ich dem Unglück nicht widerstahn,
Muss Ungnad han
Der Welt für mein recht Glauben,
So weiß ich doch, s‘ ist all mein Kunst,
Gotts Huld und Gunst,
Die muss man mir erlauben.
Gott ist nicht weit,
Eine kleine Zeit,
Er sich verbirgt,
Bis er erwürgt,
Die mich sein’s Wort berauben.

Katharina von Sachsen

Um die Einführung und Verbreitung der Reformation im Herzogtum Sachsen machte sich Katharina, die Gemahlin des Herzogs Heinrich von Freiberg, verdient. Sie war frühe für die Ansichten Luthers gewonnen worden während ihr Gemahl noch wankte und schwankte, wenigstens nicht stark genug war, den anti-reformatorischen Bestrebungen seines Bruders, des Herzogs Georg, Widerstand zu leisten. Katharina verhinderte wenigstens, dass derselbe ganz für die kaiserliche Partei gewonnen wurde. In ihrer Umgebung verbreitete sich die evangelische Gesinnung immer mehr, wiewohl das offene Hervortreten derselben nicht unbedenklich war. Drei ihrer Hofdamen, Hanna von Dreschwitz, Ursula von Feilizsch und Milia von Olsnig, wurden, weil sie Luthers Schriften gelesen hatten, aus Freiberg vertrieben. Man hat noch einen Brief Luthers an die Herzogin, worin er sie zu trösten suchte. Katharina soll ihrem Gemahl den Stuhl in der Kirche näher an die Kanzel gerückt haben, damit er die Predigt besser hören möge. Nach dem Tode des Herzogs Georg fiel dessen Herrschaft seinem Bruder Heinrich zu, und wenn nun die Reformation in dem ganzen Herzogtum eingeführt wurde, und wenn sich die späteren Kurfürsten Moritz und August als Beschützer der evangelischen Kirche bewiesen, so verdanken wir dieses großenteils dem Einflusse Katharinens auf ihren Gemahl und ihre Söhne.

Elisabeth von Braunschweig

Noch mehr und unmittelbarer als sie selbst wirkte ihre gleichnamige Tochter für die Verbreitung der Reformation. Sie war geboren 1510, und verheiratete sich 1525 mit dem fünfundfünfzigjährigen Herzog Erich von Braunschweig, einem Witwer. Derselbe war noch immer ein kräftiger, lebensfroher Mann, der auch jetzt noch lieber am Kaiserhofe, auf Reisen und bei Fehden verweilte als in seinem kleinen Herzogtume. Er hatte zwar Luthern in Worms einen Trunk Einbecker Bier überreichen lassen, war aber sonst kein Freund der kirchlichen Neuerung; wir glauben allerdings mehr aus religiösem Indifferentismus, als aus einer, auf innerer Überzeugung ruhenden Antipathie. Den sich auch in seinem Lande regenden reformatorischen Bewegungen wirkte er hartnäckig und teilweise mit Strenge entgegen, konnte aber derselben nicht Meister werden. So musste er der Stadt Göttingen gegen Bezahlung von 6000 Talern die Einführung der Reformation gestatten. Selbst seine Gemahlin neigte sich der neuen Lehre zu, wahrscheinlich durch das erbauliche Vorbild ihrer Mutter gewonnen. Als nun gar ihre Brüder in dem alten Glauben wankend wurden, als ihr der jüngere, Johann von Küstrin, die Vortrefflichkeit der Lutherischen Lehre auseinandersetzte, nahm auch sie in ihrer Residenz zu Münden das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Erich erhielt nach seiner Rückkehr Kunde davon, handelte aber minder strenge als weiland sein Schwiegervater. Er drückte sogar seine Augen zu, als seine Gemahlin den hessischen Geistlichen Anton Corvin herbeikommen ließ. „Meine Else,“ sagte er, „lässt mich in meinem Glauben ungestört; darum will ich sie auch in dem ihrigen nicht stören.“ 1540 ereilte den siebzigjährigen Fürsten der Tod zu Hagenau; sein Leichnam konnte erst nach einiger Zeit in die Heimat gebracht werden, da derselbe vorher durch Bezahlung einer Schuld eingelöst werden musste. Überhaupt hatte sich der alte Herzog als ein schlechter Haushalter bewiesen und seinem Lande eine übergroße Schuldenlast aufgeladen. Elisabeth übernahm unter dem Beistand des Landgrafen Philipp des Großmütigen die Vormundschaft über ihren Sohn Erich II. Sie musste alle ihre Kraft aufbieten, um die ungestümen Forderungen der ungeduldigen Gläubiger einigermaßen zu befriedigen. Am meisten hatte sie den Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, einen leidenschaftlichen Gegner Luthers, zu fürchten, da dieser die Regentschaft beanspruchte und ein günstiges Urteil vom König Ferdinand erhielt. Heinrich wurde 1542 von den Mitgliedern des Schmalkalder Bundes überfallen und gefangen gesetzt. Jetzt konnte Elisabeth ungehindert daran denken, ihren Lieblingsplan zu verwirklichen, die Reformation in ihrer Herrschaft einzuführen. Schon 1541 hatte sich ein Landtag zu Pattensen dafür ausgesprochen. Corvinus wurde als Generalsuperintendent angestellt. Er verfasste eine Kirchenagende, welche den Geist der Milde und der Besonnenheit atmete. Elisabeth erkundigte sich bei ihren häufigen Reisen durchs Land nach den kirchlichen Verhältnissen und suchte die wahrgenommenen Mängel möglichst zu verbessern. Die Erziehung ihres Sohnes ließ sie sich besonders angelegen sein; sie schrieb für denselben christliche Lebensregeln nieder. In der Einleitung sagte sie: „Ich schreibe dies, um Dich zu erinnern, Dein Vertrauen nicht auf Menschen zu sehen, sondern allein auf Gott, und seine Gebote zu halten. Wenn Du Gott fürchtest, wird er Dir gnädig beistehen. Solches merke mit Fleiß und bedenke, dass ich es Dir, als meinem Kinde, sage, das ich vor zeitlichem und ewigem. Verderben behütet sehen möchte.“

In diesem Tone ist die ganze Schrift abgefasst; sie enthält die weisesten Ratschläge in Beziehung auf die Landesregierung, dass man sich gedrungen fühlt, eine Frau zu achten und zu bewundern, welche die Staatsklugheit so ganz in sich aufgenommen hatte, und zwar zu einer Zeit, wo es schwer war, das Rechte zu treffen.

Der junge Erich wurde in seinem achtzehnten Jahre für mündig erklärt. Noch war er gewillt, dem Evangelio treu zu bleiben, aber es zeigte sich bald, dass er mehr von den Eigenschaften seines Vaters, als von denen seiner Mutter geerbt hatte. Er ließ sich an den kaiserlichen Hof verlocken, gelobte aber vorher, Alles, was er zwischen Wams und Busen habe, für die Wahrheit der evangelischen Lehre zu opfern. Nur allzubald war das Versprechen vergessen. Er diente in dem Schmalkalder Kriege dem Kaiser gegen seine Glaubensgenossen, und ließ alsbald eine völlige Reaktion in Beziehung auf das Kirchenwesen eintreten. Er vertrieb alle evangelischen Prediger, die das Interim nicht annehmen wollten, und setzte katholische dafür ein. Corvin und der Superintendent Hoyser von Pattensen, welche gegen das Interim geschrieben hatten, kamen in engen Gewahrsam. Elisabeth hatte vollauf zu tun, um den Bedrängten und Vertriebenen Hilfe zu leisten und, wo sie nicht helfen konnte, wenigstens Trost zu gewähren. Erich ging noch weiter und verband sich mit dem größten Feinde seiner Mutter, dem Herzog Heinrich. Vergebens richtete Elisabeth ein eindringliches Schreiben an ihren Sohn, worin es unter Anderm heißt: „Die erkannte Wahrheit zu verleugnen ist Sünde, die weder im Leben, noch darüber hinaus Vergebung findet; und die Diener Christi schänden und beleidigen, heißt nichts Anderes, denn unseren Heiland kränken, der unsere Sünden getragen hat. In mütterlicher Liebe beschwöre ich Dich, jage Christum nicht aus dem Lande, betrübe den heiligen Geist nicht, damit er nicht von Dir weiche, und meine Tränen Dir zum ewigen Unheil gereichen.“

An die Landstände schrieb Elisabeth: „Ist ein einziger Blutstropfen in Euch, der den Gekreuzigten liebt und bekennt, so ermahne ich Euch: Gedenkt Euer Eide und Pflichten, verstummt nicht in Feigheit, sondern besprecht Euch mit Adel und Städten, die armen unschuldigen Gefangenen zu vertreten und frei zu bitten. Uns hat der Sohn mit diesem bösen Spiel ins Bett gebracht, und steht er nicht ab, so wird er uns unter die Erde bringen.“

Die Gefangenen suchte sie zu trösten und zu ermutigen; sie schrieb an dieselben: „Wir ermahnen Euch, nach dem Beispiele Christi Euer Leid zu tragen, und als die Berufenen dessen auszuharren, für den ihr Verfolgung leidet. Seid beherzt und streitet ritterlich in dem Bekenntnis des reinen Glaubens, haltet an am Gebet, hofft auf den starken Retter und seid versichert, dass wir alle christlichen Mittel und Wege für Eure Erlösung suchen werden.“

Die Herzogin erfüllte, was sie versprochen hatte, aber Alles umsonst. Sie schrieb wiederholt an ihren Sohn in einer Weise, dass man hätte meinen sollen, für ein wahrhaft kindliches Herz wäre Widerstand unmöglich gewesen. In der Nachschrift zu einem Briefe sagte sie: „Wehe und immer wehe! über Dich, wenn Du Dich nicht besserst. Wie hast Du uns so hart betrübt, dass wir darnieder liegen in Ohnmacht und Schmerzen. Doch mussten wir schreiben, wenn unser Herz nicht brechen sollte; denn so wir nicht riefen, so würden die Steine sprechen müssen.“

Erich kümmerte sich um die Bitten und Klagen seiner Mutter so wenig, wie um die Seufzer seiner Untertanen. Er verzehrte in der Fremde das Mark der letzteren und machte neue Schulden, statt die alten zu bezahlen. Auch seine Gemahlin Sidonie, die Tochter des Herzogs Heinrich von Sachsen, eine Schwester des Kurfürsten Moritz, suchte er zu überreden und durch Lockungen zu bestimmen, in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Diese aber erklärte, sie werde im evangelischen Glauben Leben und sterben.

Elisabeth hatte Unsägliches zu leiden; auch Herzog Heinrich ließ es an Schikanen nicht fehlen und beeinträchtigte auf mancherlei Weise ihr spärliches Einkommen. Endlich kam Versöhnung mit ihrem Sohne zu Stande, da dieser sich gleichfalls von seinem Vetter Heinrich beleidigt glaubte. Beide verbanden sich mit dem unruhigen Markgrafen von Brandenburg-Culmbach, einem Vetter Elisabeths. Der junge Herzog gestattete die Wiedereinführung der evangelischen Lehre und es zeigte sich alsbald, wie tief dieselbe im Volke Wurzel geschlagen hatte. Die Stände knüpften jede Geldbewilligung an die Bestätigung der Lehr- and Bekenntnisfreiheit für die Anhänger der Augsburger Konfession.

Die Schlacht bei Sievershausen am 4. Juli 1553 vernichtete alle Hoffnung der Herzogin, indem der Markgraf völlig geschlagen wurde. Heinrich gab seinem Hass gegen Elisabeth um so mehr freien Lauf, da seine beiden Lieblingssöhne in der Schlacht gefallen waren. Dieselbe hatte keinen Vorteil davon, dass zwischen ihrem Sohne und dem Herzog Heinrich der Friede zu Stande kam. Ihre Lage war längere Zeit hindurch eine verzweifelte. Von Mangel und Not gedrückt, lebte sie wie eine Gefangene zu Hannover; 1554 klagte sie, dass sie seit drei Wochen kein Fleisch in der Küche gehabt habe und selbst des nötigen Holzes entbehre. Wiederholte Vorstellungen bei dem Kaiser verschafften ihr endlich einige Erleichterung, da ihr Sohn und ihr feindlicher Vetter bewogen wurden, ihr wenigstens einen Teil ihres Wittums zurück zu geben. Sie konnte nun ihre Schulden bezahlen und zog sich mit ihrem zweiten Gemahle, dem Grafen Poppo von Henneberg, nach Schleusingen zurück, wo sie am 19. August 1566 selig verschied.

In der Hennebergischen Chronik heißt es von ihr: „Diese Fürstin war eine rechte Liebhaberin des göttlichen Wortes, eine mitleidige Mutter der Armen, und hat mit ihrem Herrn in friedlicher Ehe gesessen zwanzig Jahre.“

Ihr Sohn setzte sein unstetes Leben unverändert fort, so dass das Land immer mehr verarmte; als er 1584 kinderlos starb, trug Julius, ein Sohn des Herzogs Heinrich, Bedenken, ob er die Erbs

Elisabeth von Brandenburg.

Alle die genannten Frauen konnten nur in beschränktem Kreise für die Reformation tätig sein; dagegen haben wir noch einiger Fürstinnen zu gedenken, welche in einzelnen deutschen Staaten die Einführung der Reformation entweder ganz oder großenteils veranlasst haben. Wir nennen zunächst Elisabeth, die Gemahlin des Kurfürsten Joachim Nestor von Brandenburg, eine geborene Prinzessin von Dänemark. Ihr Gemahl war ein eifriger Verteidiger der bestehenden Kirchenlehre und Verfassung, und bei verschiedenen Gelegenheiten, wie auf den Reichstagen zu Worms und zu Augsburg, sprach er sich für die strengsten Maßregele zur Unterdrückung der auftauchenden Ketzerei aus. Und doch konnte er es nicht hindern, dass sich das Gift derselben in seinem Lande verbreitete und zu wirken begann. Selbst seine Gemahlin Elisabeth wurde von demselben angesteckt. Das Verhältnis beider fürstlichen Gatten war schon seit einiger Zeit ein getrübtes und ihre Stimmung war eine gedrückte, namentlich da ihr Bruder Christian aus Dänemark vertrieben wurde. Sie suchte Trost und Beruhigung in der heiligen Schrift und fühlte sich durch das Lesen derselben immer mehr zu Luther hingezogen, dessen mutiges und entschlossenes Auftreten einen tiefen Eindruck auf ihr leicht erregbares Gemüt gemacht hatte. Eine Reise nach Sachsen in Begleitung ihres Gemahls und ihres Bruders trug noch weiter dazu bei, sie auf die Seite der Evangelischen hinüber zu ziehen. Doch musste sie ihre religiösen Ansichten verheimlichen, und nur in stiller Zurückgezogenheit konnte sie durch die Schriften Luthers ihren Glauben stärken. Immer größer wurde ihr Verlangen, das Abendmahl der Einsetzung gemäß zu genießen. Deshalb benutzte sie 1528 die Abwesenheit ihres Gemahls, um sich dasselbe von einem aus Wittenberg berufenen Geistlichen reichen zu lassen.

Joachim war außer sich vor Zorn, als er das Geschehene erfuhr. Er überhäufte sein treues Weib mit den heftigsten Vorwürfen und drohte derselben mit Einsperrung, ja Einmauerung, wie man sagt. Elisabeth musste heimlich entweichen; sie nahm ihre Zuflucht zu ihrem Oheim, dem Kurfürsten Johann dem Beständigen von Sachsen, bei dem sich auch ihr vertriebener Bruder, Christian von Dänemark, aufhielt. Sie fand die gewünschte Aufnahme und in dem ihr angewiesenen Schlosse Lichtenburg einen ruhigen und sicheren Aufenthalt. Ihr Gemahl tat keine weiteren Schritte, sie zur Rückkehr zu nötigen. Mit Luther stand sie in schriftlichem und persönlichem Verkehr. Sie zog denselben öfters an ihre Tafel und kehrte, selbst bisweilen Trost und Stärkung ihres Glaubens suchend, bei ihm ein.

Joachim starb 1535, ohne dass an eine Versöhnung mit demselben zu denken gewesen wäre. Vor seinem Tode hatte er sich noch von seinen Söhnen das Versprechen geben lassen, dass sie den bisherigen Religionszustand beibehalten wollten. Das aber konnten diese nicht über sich gewinnen, dass ihre Mutter als eine Verbannte außer Landes leben sollte; sie holten dieselbe zurück und brachten sie auf ihren Witwensitz zu Spandau. Hier lebte sie abgeschieden von der Welt, aber beschäftigt mit der Fürsorge für Arme und Notleidende. Täglich wurde in ihrer Wohnung Gottesdienst gehalten, an welchem alle ihre Hausgenossen teilnehmen mussten. Auch die Bewohner der Stadt hatten Zutritt zu demselben. Öfters las sie selbst aus Luthers Hauspostille oder aus der Bibel vor. Mit der größten Zärtlichkeit hing sie an ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln, deren sie im Ganzen 70 erlebte. Als bestes Erbteil suchte sie denselben ihren frommen Sinn zu hinterlassen. 1555 erreichte sie das Ziel ihres irdischen Lebens. Kurz vor ihrem Tode trat eine Mondfinsternis ein. Der Arzt suchte ihr solches zu verbergen. Sie aber bemerkte: „Vor einer solchen Finsternis fürchte ich mich nicht; ich traue dem, der Sonne, Mond und Sterne erschaffen hat. Wenn er nur bald käme und holte mich zu sich.“

Als ihr des Heilands letzte Worte: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ vorgesprochen wurden, bewegten sich noch einmal betend ihre Lippen. Sie schied mit dem seligen Bewusstsein, dass der von ihr ausgestreute Same nicht ganz verloren gegangen wäre. Ihre Söhne, Joachim II. und Georg, hatten schon dem Drange der Zeit nachgegeben und die Reformation in Brandenburg einführen lassen.

Margaretha Blaarer

Nicht in gleicher Weise mit der Feder, aber durch gleiche Liebestätigkeit diente Margaretha Blaarer der Reformation; sie war die Schwester des Bürgermeisters Thomas Blaarer zu Konstanz und des Ambrosius Blaarer, eines Geistlichen, der in der Reformationsgeschichte Oberdeutschlands eine ehrenvolle Stelle einnimmt. Ganz Konstanz hatte die Kirchenverbesserung angenommen; auch die Klosterpforten wurden geöffnet; seit 1528 verkündigten 23 Prediger das Wort Gottes nach evangelischer Weise. Sie alle hatten Arbeit in Menge, denn durch Missernte und Krankheiten kamen schwere Zeiten über die Stadt und die Umgegend. Vielleicht hätten Manche diese Heimsuchungen für ein Strafgericht Gottes angesehen und darin Veranlassung gefunden, wieder zur katholischen Kirche zurückzukehren, wenn nicht, so weit es durch Menschen geschehen konnte, Hilfe in der Not gekommen wäre. Es fanden sich aber christlich gesinnte Jungfrauen zusammen, welche einen Verein bildeten, um Armen und Kranken Beistand zu leisten. Margaretha Blaarer, die früher einer geistlichen Ordensschwesterschaft zur Übung barmherziger Liebe angehört hatte, stand an der Spitze dieses evangelischen Diakonissenbundes. 1541 schrieb Ambrosius an seine Schwester: „Höre nicht auf, ich bitte Dich herzlich, das Anliegen der Kirche auf Erden, der echt evangelischen, dem himmlischen Vater in heißer Fürbitte zu empfehlen! Du weißt, sie leidet übel Not von allen Seiten und wird angefochten von Gewalttätigen, geistlichen und weltlichen Standes; bitte doch mit dem stillen Hausvölklein, ich meine Deine Hauskirche, dass die Bedrängten und Verfolgten wieder zur Ruhe kommen. Grüße mir doch Deinen ganzen Haushalt, all‘ Deine Armen, Kranken, Presshaften, nach Erlösung Seufzenden, welche in Dir eine liebende Mutter finden. – O, wie freut es mich, zu sehen, wie schön Dich der Herr mit höherer Kraft stärkt, dass Du nicht unterliegst unter den Sorgen allen. Möge er Dir zeitlebens den schönsten Segen gönnen, Hungrige zu speisen, Durstige zu tränken, Nackende zu kleiden, Fremde zu beherbergen, Kranke zu laben“ usw.

Nicht lange sollte diese Jüngerin des Herrn in ihrem gesegneten Wirken fortfahren. Als sie 1541 eine Menge Pestkranke besuchte, erkrankte sie selbst und unterlag der verderblichen Krankheit.

Über ihr Ende berichtet ihr Bruder Ambrosius: „Sie gab sanft und mit heiligen Reden unter vollem Vertrauen auf Christum ihren Geist auf, dass man wohl sagen kann: Sie ist nicht gestorben, sondern zu dem Herrn heimgegangen.“ Der schon mehrmals erwähnte Bucer schrieb über sie: „O, unvergessliche Zierde, Schmuck und Segen des wiedergeschenkten Evangeliums, die mit den größten Zierden der glücklichsten Zeiten der Kirche in eine Linie gesetzt werden kann!“

Der gleichfalls erwähnte Bullinger richtete einen Trostbrief an ihren Bruder, darin lesen wir: „Von Herzen bin ich betrübt, dass der unerbittliche Tod Deine Schwester, die Hoffnung so vieler Dürftigen hienieden, und ein Edelstein vom reinsten Wasser, Margaretha, diese Perle der Jungfrauen, Dir entrissen hat.“

Solche Frauen, welche dem Evangelium nützten, indem sie Liebe in der Tat und Wahrheit bewiesen, waren gerade keine Seltenheit. Von der Gattin des Magisters Leu, Pfarrers zu St. Peter in Zürich, heißt es: „Sie trug allen Kranken und Kindbetterinnen ihrer Gemeinde zu, was sie bedurften, und teilte redlich mit ihnen. Weil aber ihre Pfründe klein und der Magister ein armer Mann war, so musste er stets anflehen, und wiewohl er keine großen Schulden machte, konnte er doch Nichts erübrigen.

Die Mutter lag Tag und Nacht dem Weben ob; damit verdiente sie viel Geld; das ließ ihr der Vater und daraus kaufte sie Bücher und Hausplunder. Sie hatte auch arme Knaben, deren etliche ihr nicht zwölf Gulden Tischgeld im Jahre gaben. Die Vertriebenen nahm sie auf und hielt manchen einen Monat, zwei oder drei und mehr. Sie hatte ein ehrliches Hausplunder, besonders on Bettgewand, aber da war nichts Köstliches, wie man jetzt hat.

Von der Frau des Oswald Myconius, früher Lehrer in Zürich, später Antistes in Basel, wird gleichfalls gerühmt, dass sie sich der Vertriebenen liebevoll angenommen und dieselben Monate lang beherbergt habe.

Anna Adlischweiler, die Gattin von Bullinger in Zürich, eine gewesene Nonne von Ortenbach, war in Zürich unter dem Titel „Frau Mutter“ und im Auslande unter dem Namen „Züricher Mutter“ bekannt.

Mitunter ermunterten Frauen zur Zeit der Verfolgung ihre Männer zur Standhaftigkeit; so die Gattin des Bartholomäus Bertlin, der, weil er das von Karl V. befohlene Augsburger Interim nicht annehmen wollte, seine Pfarrei verlassen und drei Jahre mit der bittersten Armut kämpfen musste. Als der Kaiser 1551 nach Augsburg kam, beschied er die Geistlichen der Umgegend zu sich, um sie zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. Wer sich nicht fügen wollte, hatte das Schlimmste zu fürchten. Bertlins Gattin sagte beim Abschied zu demselben: „Hüte Dich, dass Du nicht um meinet- und unserer Kinder willen die Wahrheit, für welche Du zu zeugen bereit bist, verleugnest.“ Bertlin blieb standhaft und musste ein weiteres Jahr unstet und flüchtig umherirren, bis er eine Anstellung in einem Spital zu Augsburg erhielt. Nach einiger Zeit durfte er in sein früheres Amt nach Memmingen zurückkehren.

Katharina Zell.

In Straßburg lebte um dieselbe Zeit eine Frau bürgerlichen Standes, die sich den Ehrennamen „Reformatorenmutter“ erworben hat. Es war dies Katharina Zell, geborene Schütz. Sie war die Tochter eines ehrsamen Schreinermeisters und erblickte das Licht der Welt im Jahre 1497. „Von Mutterleib an,“ schrieb sie selbst, „hat mich der Herr gezogen, und von Jugend auf gelehrt; darum habe ich mich auch seiner Kirche nach dem Maße meines Verstandes und der verliehenen Gaben zu jeder Zeit fleißig angenommen und mit Ernst gesucht, was des Herrn Jesu ist. Daher mich auch von früher Jugend an alle Pfarrherren und Kirchenverwandten geliebt und geehrt haben.“

Wie sie zum Glauben gekommen, sagt sie selbst: „Und da wir in solcher Angst und Sorge der Gnade Gottes standen, aber in vielen Werken Übungen und Sakramenten der päpstlichen Kirche keine Ruhe finden mochten, erbarmte sich Gott unserer und vieler Menschen und sandte uns den lieben und jetzt seligen Dr. Martin Luther, der mir und Andern den Herrn Jesu so lieblich fürschrieb, dass ich meinte, man zöge uns aus dem Erdreich hinauf, ja aus der grimmen, bitteren Hölle in das liebliche, süße Himmelreich.“ Im Jahre 1523 verheiratete sie sich mit dem wackeren Verteidiger der evangelischen Lehre, welchem der Stadtrat eine besondere Kanzel im Münster errichtet hatte, da ihm die katholische Geistlichkeit die daran befindliche Kanzel verschloss, Matthias Zell. Von nun an stand sie ihrem Gatten bei dessen Wirken für die Sache der Reformation mutig und treulich zur Seite. Der bekannte Martin Bucer, oder Bucer, der auch die Trauung dieses Ehepaares vollzogen hatte, schrieb über Katharina: „Sie ist gottesfürchtig, grundstudiert und mutvoll wie ein Held; aber es wybelt((flattert)) doch immer ein wenig um sie.“

Bald nach ihrer Verheiratung schrieb ihr Luther: „Dass Dir Gott seine Gnade so reichlich gegeben hat, dass Du nicht allein selber sein Reich siehst und kennst, so vielen Leuten verborgen, sondern auch solch einen Mann bescheret, von dem Du es täglich und ohne Unterlass besser kennen und immer hören magst, gönne ich Dir wohl; und wünsche Dir Gnade und Stärke dazu, dass Du solches behaltest bis auf jenen Tag, wo wir uns Alle sehen und freuen werden, wills Gott.“

Katharina wusste den Mariageist mit dem Marthasinn zu verbinden; sie besorgte die Geschäfte des Hauswesens und war bei der Hand, wo es galt, die vielen gelehrten Männer, die in ihrem gastlichen Hause einkehrten, in geistreicher Weise zu unterhalten. Dies war zum Beispiel der Fall, als Zwingli und Oekolampad im Jahre 1529 auf der Durchreise nach Marburg einige Tage bei ihr zur Herberge waren. Überhaupt besuchte in jenen Tagen nicht leicht ein Freund der Reformation die Reichsstadt Straßburg, ohne bei Magister Zell und dessen Frau einzusprechen. Besonders nahmen sich beide Ehegatten derjenigen an, die um ihres Glaubens willen ihre Heimat verlassen mussten. Katharina durfte von sich erzählen: „Ich habe schon im Anfang meiner Ehe viele herrliche gelehrte Leute in ihrer Flucht aufgenommen, in ihrer Kleinmütigkeit getröstet und herzhaft gemacht, wie Gott im Propheten lehrt: Unterstütze und stärke die müden Knie.“

Als im Jahre 1524 in einer Nacht anderthalbhundert Bürger auf kaiserlichen Befehl als Anhänger des Evangeliums die Stadt Kenzingen verlassen mussten, nahm das Ehepaar Zell achtzig in sein Haus auf und speiste fünfzig bis sechzig vier Wochen lang, wozu allerdings fromme Leute ihre Beisteuer lieferten. Auch den vertriebenen Bauern, „viel elenden und erschrockenen Leuten“, bewies die Pfarrfrau ihre Samariterliebe; sie sorgte für deren Unterkunft und kollektierte((sammelte)) zu ihrer Unterstützung. Selbst den verfolgten Wiedertäufern entzog sie nicht ihre helfende Hand; sie stand fest im Glauben, aber ihre Menschenliebe erhob sie über dogmatische Engherzigkeit.

1538 unternahm sie mit ihrem 61jährigen Manne eine Reise durch die Schweiz und Deutschland, wobei sie auch bei Luther in Wittenberg einkehrten. Sie schrieb über diese Reise: „Ich bin nur eine schwache Frau, habe viel Arbeit, Kummer und Sorge, Krankheit und Schmerz in meiner Ehe erlitten, aber meinen Mann habe ich so lieb, dass ich ihn durchaus nicht wollte allein wandeln lassen, da er unsern lieben Dr. Luther und die Seestädte bis an das Meer, ihre Kirchen und Prediger sehen und genießen wollte. Meinen ehrwürdigen, alten, inniglieben Vater, den 85jährigen, meine Freunde und Alles, was mir lieb war, empfahl ich dem Schutze des Herrn, verließ Alles und zog mit meinem Manne dreihundert Meilen hin und her.“

Zell starb 1548. Katharina schrieb über ihr eheliches Leben: „Gar oft habe ich mich bei mir selbst verwundert und Gott gedankt, dass wir Beide, mein seliger Mann und ich, durchaus einerlei Sinnes, Gemütes und Verstandes in heiliger Schrift, ja selbst in äußerlichen Dingen, in Kleinigkeiten und Nebensachen gewesen sind, ein Herz und eine Seele.“

Auch nach dem Tode ihres Gatten setzte sie ihre Barmherzigkeit fort, wie ihr derselbe vor seinem Ende noch anempfohlen hatte; sie blieb noch zwei Jahre und elf Wochen im Pfarrhause und versäumte Nichts, dasselbe zu einer Herberge für ihre bedrängten Glaubensgenossen zu machen.

1549 mussten die Straßburger Prediger Bucer und Paul Fagius ihr Amt niederlegen, Straßburg verlassen und nach England fliehen. Sie hinterließen der Witwe Zell ohne deren Wissen mehrere Geldstücke, damit sie nicht Not leide. Katharina aber schrieb an die Flüchtlinge: „Ihr habt mich mit dem Gelde, so Ihr mir heimlich in dem Briefe zurückgelassen, auf das äußerste betrübt. Auf dass aber meine Schamröte einesteils hingelegt werde, habe ich zwei Stücke Geldes wieder in den Brief wollen legen, wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein des Interims wegen verjagter Prädikant mit fünf Kindern und eines Prädikanten Frau, deren Mann getötet worden ist. Die habe ich zehn Tage lang bei mir gehabt, und habe das eine Stück Geld diesen beiden zur Zehrung geschenkt, nicht meinet-, sondern euretwegen.“

Katharina war also eine rührige Kämpferin für das Evangelium, hatte aber dabei, wie ihr Mann, ein weites Herz und konnte sich in die dogmatischen Streitigkeiten der Evangelischen selbst nicht finden. Darum wagte sie es sogar, an Luther zu schreiben und ihn zu bitten, er möge in dem Abendmahlstreite wider die Schweizer und Oberländer milder verfahren. Luther scheint diese Zumutung nicht ungünstig aufgenommen zu haben, er versprach, seine Schärfe ein wenig zu mildern. Nur möge Katharina auch ihren Mann und andere Freunde anhalten, dass sie Friede und Einigkeit bewahren möchten. „Die Liebe solle über Alles gehen, und den Vorgang haben, ausgenommen Gott, der über Alles, auch über die Liebe sei.“

Für die Wiedertäufer legte Katharina bei verschiedenen Gelegenheiten Fürsprache ein; sie nannte dieselben die „armen Täufer, die gehetzt würden, wie der Jäger die Hunde auf die wilden Schweine und Hasen hetze. Wer Böses tue, den solle die Obrigkeit strafen, den Glauben aber nicht zwingen, der gehöre dem Herzen und Gewissen an, nicht dem äußeren Menschen.“

Auch der schlesische Edelmann Kaspar Schwenkfeld, der nicht frei war von mystischen Verirrungen, und aus Furcht, es möchte unter den Protestanten ein neues Papsttum entstehen, das geistliche Amt und die Einrichtungen der Kirche, so wie die Sakramente verachtete, wurde in der Familie Zell gastlich aufgenommen. Von anderer Seite war man unwillig über diese Weitherzigkeit; doch schwieg man, so lange Zell am Leben war. Aber nach seinem Tode wurde Katharina heftig angegriffen, als ob sie selber Schwenkfeld’sche Ansichten hege. Sie verteidigte sich in einer zwölf Folioseiten umfassenden Schrift.

Am heftigsten eiferte gegen sie der Nachfolger ihres Mannes, Dr. Rabus, der als Superintendent nach Ulm versetzt worden war, und der in früherer Zeit von der Familie Zell viele Wohltaten empfangen hatte. Das Schreiben dieses Mannes ist so gemein und grob, dass wir Bedenken tragen, mehr als die Anfangsworte davon anzuführen. Es heißt: „Dein heidnisch-unchristlich, erstunken und erlogen Schreiben ist mir zugekommen“ usw. Katharina wusste zu antworten, mitunter, das ist nicht zu leugnen, auch in scharfen Worten. Auf die Beschuldigung, dass sie in Straßburg Unruhe verursacht habe, erwiderte sie: „Du liebes Straßburg, denn du mich länger als Herr Ludwig (Rabus) gekannt hast, sage, was ich getan habe. Ja, mir selbst und nicht der Kirche habe ich viel Unruhe gemacht, und angefangen, das vorher bei den Weibern nicht gewöhnlich gewesen, auch mir nicht viel Nachfolge getan ist worden, da ich Arme, Verjagte und Elende hab‘ aufgenommen, für sie geredt und geschrieben, weder Nachrede, Hass, noch Gunst angesehen, der Kirche kein Leid getan, noch Unruhe angefangen, sondern alle Zeit freundlich mit allen Parteien, und habe gerne gesehen, dass nicht ein Bruder dem anderen zum Tode geholfen hätte.“ „Ist das die Sünd‘ und Unruhe, die ich in der Kirche gemacht habe, dass ich, da andere Weiber ihrer Hoffart geluget und zu Hochzeiten, Freuden und Tanz gegangen, mit aller Lieb, Treue und Mitleid, Pestilenz und Tote getragen?“ usw.

Über ihr Lebensende fehlen genauere Nachrichten, nur so viel ist bekannt, dass der damalige Superintendent seinen Geistlichen befahl, ihr zu Ehren keine Leichenpredigt zu halten; es wäre denn, dass sie beifügen wollten: allerdings habe sich Frau Katharina als Wohltäterin verdient gemacht, zuletzt sei sie aber der lutherischen Lehre abtrünnig. geworden und habe sich auf die Seite der Reformirten geschlagen.

Die Geistlichen achteten wenig auf diesen Befehl und noch weniger die Straßburger Bürger. Allgemein betrauerte man den Verlust der merkwürdigen Frau.