Johann Reuchlin

Johann Reuchlin

Johann Reuchlin war zu Pforzheim in Schwaben 1455 geboren und der Sohn eines Dienstmanns der Dominikaner. Seine schöne Stimme verschaffte ihm die ersten Gönner, deren Erwartungen er schon auf der Schule zu Schlettstadt erfüllte. Hier empfing der Jüngling jene tiefere Anregung, gleichwie Erasmus einst auf der gleichberühmten Schule zu Deventer.

Reuchlin studirte die Rechte und Philosophie in Paris und Orleans, und wurde, eben 24 Jahre alt, Professor in Tübingen. Der Graf von Württemberg schenkte dem tiefrechtlichen und geistvollen Manne sein ganzes Vertrauen und erhob ihn zu seinem Geheimen Rathe. In dessen Gefolge ging er nach Rom und riss dort durch die Schärfe seines Geistes und die Grösse seiner Sprachkenntnisse Alles zur Bewunderung hin. Lange Zeit lebte er auch am Hofe seines andern fürstlichen Freundes, des Kurfürsten von der Pfalz, dessen Lossprechung vom Bann er in Rom erwirkte. Eilf Jahre lang führte er den Vorsitz im schwäbischen Bundesgerichte, ein Amt, welches in jenen Zeiten, wo Fürsten, Ritter und Städte sich auf Tod und Leben bekriegten, ebenso schwierig als wichtig war. Die Stärke des schwäbischen Bundes beruhte zum grossen Theil auf dem Vertrauen, welches man zu Reuchlin’s Rechtssinn und Tüchtigkeit hatte. Seine Verdienste zu ehren, ernannte ihn Maximilian zum kaiserlichen Rath und Pfalzgrafen: einen höheren Titel gab es im deutschen Reiche für einen Juristen nicht. Reuchlin umgab eine persönliche Würde, deren Gewicht auf kleinlichen Menschen, die sich ihm nähern wollten, schwer lastete, welche aber für Gleichgestimmte sich in seelenvolle Freundlichkeit auflöste.

Es ist bewundernswerth und zeugt für die seltene Stärke dieser Geisteskraft, dass Reuchlin unter so viel Mühen und Arbeiten in Staatsund Rechtsgeschäften noch die Wissenschaften ein paar tüchtige Schritte vorwärts brachte. Er war der Erste in Deutschland, der das Hebräische verstehen lehrte, der Erste, der eine griechische Sprachlehre und ein lateinisches Wörterbuch verfasste. Auch ein Lustspiel schrieb er: „Sergius sive capitis caput“, in welchem er die Pfaffenherrschaft geisselte. Doch alles dies genügte diesem mächtigen Geiste und seinen Bedürfnissen nicht. Er hatte einen ächt religiösen Sinn, einen Zug in die Tiefe des Weltalls. Deshalb war er innerlich am glücklichsten, wenn er über Plato’s Ideenwelt und über die Geheimnisse der Kabbala sinnen konnte. Auch über die letztere schrieb er ein Werk: „de arte cabbalista libri III.“ Ueberhaupt, so sehr Reuchlin dem Erasmus an Umfang und Energie des Wissens gleich kam, so wenig genügte ihm dessen nüchterne Klarheit, die gleich mit Allem fertig war.

Als Reuchlin sich auf sein Landgut und seine Studien zurückziehen wollte, umspann ihn ein ärgerlicher Handel. An ihn, der von den Rabbinen hebräisch gelernt, der die alte lateinische Uebersetzung der Bibel an mehreren Stellen berichtigt hatte, wurde das verfängliche Ansinnen gestellt, ob nicht den Juden all ihre Bücher abzunehmen und zu verbrennen seien? Sein humanes Gutachten auf diese Frage, welches Gerechtigkeit mit Milde verband, wurde von den Kölner Dominikanertheologen als nicht durchaus rechtgläubig angefochten. Reuchlin, dem ein solcher Streit in der Seele zuwider, suchte erst die Sache auf anständige Weise zu schlichten. Als die Kölner aber keine Ruhe gaben, gab er es ihnen tüchtig heim in seinem „Augenspiegel“, der den Unsinn und die Tücken seiner Feinde aufdeckte. Die Dominikaner brachten diese Schrift auf den Scheiterhaufen. Die ganze gebildete Welt gerieth in Bewegung. Sechs Jahre lang war Alles gespannt auf den Ausgang des Handels. Die Humanisten überschütteten ihren Meister mit Huldigungen, ihre Briefe an ihn wurden nach einander in zwei Bänden herausgegeben als „Illustrium virorum epistolae hebraicae graecae et latinae ad Joannem Reuchlinum Phorcensem“, und im Gegensatze dazu erschienen die berühmten „Epistolae obscurorum virorum“, in welchen die Humanisten ihre Gegner in deren eigenem kostbaren Mönchslatein auf das Lustigste verspotteten. Kein Buch schadete so sehr der päbstlichen Herrschaft, und der ganze kriegerische Handel war der erste Akt, zu welchem Luther bald den zweiten machte.

Zuletzt begegnete Reuchlin noch das Unglück, dass ihn der Herzog von Bayern, der mit dem schwäbischen Bunde in Fehde lag, gefangen nahm und ihn nach Ingolstadt als Professor brachte. Doch nur zwei Jahre lehrte Reuchlin dort. Von der Pest vertrieben ging er nach Stuttgart, wo er 1522 starb.

Historische und biographische Erläuterungen zu
Wilhelm von Kaulbach's
Zeitalter der Reformation
von Franz Löher
Stuttgart
Verlag von Friedrich Bruckmann
1863