Portrait Franz Heinrich Härter

Bilder aus dem Leben von Franz Heinrich Härter

Vorwort

Diese kurzen Notizen kommen zehn Jahre zu spät. In der Mitte dieses Jahrhunderts war F. Härter der bekannteste Mann unserer elsässischen Kirche, viel geliebt und viel gehasst. Tausende dankten es ihm, dass er ihnen Wegweiser war zur Seligkeit in Jesu Christo, und an allen christlichen Werken unseres Ländchens war er beteiligt. Seitdem ist aber ein neues Geschlecht aufgekommen, das wenig mehr weiß von den früheren Kämpfen und Siegen des Evangeliums in unserer Stadt, das den ehrwürdigen Gründer unseres Diakonissenhauses kaum dem Namen nach kennt, ja vielleicht eine ganz irrige Meinung über ihn hat. Deshalb entschließen wir uns, auf vielfach ausgesprochene Aufforderung unserer Freunde, diese Gedenkblätter der Öffentlichkeit zu übergeben, damit diejenigen, die ihn gekannt und geliebt, sich an den alten, vergangenen Geschichten erfreuen, die andern aber ihn ein wenig besser kennen lernen, und ihnen was er durchgekämpft und errungen auch zum Segen werde.

Es ist nicht eine Biographie, die wir schreiben, sondern nur Züge aus seiner meist unbekannten Jugend und seiner innern Entfaltung, welche zeigen, wie der Herr selbst seinen Diener erzogen und ausgerüstet hat. Entspricht unser Beginnen auch nicht dem Wunsch des Entschlafenen, der gerne vergessen sein wollte, so glauben wir dennoch eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen, indem wir das Bild des teuren Gottesmannes unserer elsässischen Kirche zu erhalten uns bestreben.

Kinder- und Jugendjahre.

Franz Härter stammte aus einer alten Straßburger Bürgerfamilie. Einer seiner Vorfahren war der Hauptmann, der das Fähnlein Straßburger den Eidgenossen gegen Karl den Kühnen zu Hilfe führte, welches ihnen die Siege von Murten und Nanzig erfechten half. Franz ward geboren zu Straßburg am 1. August 1797. Er war der einzige Sohn eines Zuckerbäckers, der in einem der vielen Gässlein des ältesten und winkeligsten Stadtteils, „die Heiligenlichtergasse 1“, sein Haus und Geschäft hatte. Dort lebte noch der Großvater, der lange Jahre hindurch der Bäckerherberge als Herbergsvater vorgestanden hatte, und von dem der Enkel noch in späten Jahren rühmte, mit welcher Kraft er seinen Gesellen und die bei ihm wohnenden Burschen in Zucht und Ordnung zu halten gewusst, und wie gottesfürchtig er seinem Haus und Amt vorgestanden hatte. Von ihm und der leider früh schon verstorbenen frommen Mutter hatte das Kind die ersteren tieferen religiösen Eindrücke erhalten, die es sein Leben lang begleiteten und die den Jüngling vor mancher Versuchung bewahrten. – Ein Ereignis, dessen sich Härter noch in spätem Alter dankbar erinnerte, fesselte ihn besonders an seinen Großvater. Kaum zwei Jahre alt, wurde er von einer schweren Krankheit befallen, die ihn in wenig Tagen scheinbar dem Tode zuführte. Das Knäblein lag in der kalten Kammer auf dem Totenbett in seinem weißen Kleide; der Sarg war schon bestellt. Drunter saßen in tiefster Betrübnis die Eltern und der Großvater beim Abendbrot; und die große Traurigkeit über den Verlust des einzigen Kindes lag schwer auf ihnen. Da steht der Großvater auf und sagt: „Ich muss noch einmal das Kind sehen, ehe sie es in den Sarg legen.“ Er beugt sich über dasselbe, er drückt es an sein Herz; plötzlich ist es ihm, als fühle er eine Bewegung in des Knaben Körper. Er ruft die Eltern herbei, Belebungsversuche werden gemacht, und siehe, der Starrkrampf, in dem er lag, löst sich und das Bewusstsein kehrt zurück.

Die Krankheit war gebrochen und die Genesung erfolgte auffallend schnell. Oft noch wurde das Leben des Kindes bedroht, doch so lange die treue Mutter lebte, wachte ihre zärtliche Sorgfalt über ihm. Einst, beim Umwerken eines Wagens, hatte sie die Geistesgegenwart, ihn in ein Fruchtfeld zu werken, während sie selbst schwere Verlegungen davontrug. Später wurde er an den Pocken so krank, dass er erblindete; doch gelang es ihr mit Gottes Hilfe, ihm durch unaufhörliches Auflegen nasser Kompressen das Augenlicht zu erhalten.

Doch nur zu schnell wurde sie ihm entrissen, und nun verdüsterte sich das Leben des stillen, friedliebenden Knaben. Der Vater, der leider keine Gottesfurcht besaß, lebte in stetem Unfrieden mit der alten Großmutter, die ihm den Haushalt führte, und Franz litt unsäglich darunter. Auch auf dem Geschäft ruhte kein Segen, und sehr jung schon musste der Sohn neben seinen Schularbeiten dem Vater an die Hand gehen, Holz spalten, im Laden dienen, ja sogar im Theater, dessen Cournisseur der Vater war, Pastetchen und Zuckerwerk anbieten. Selbst die Not lernte er früh kennen und noch als vorgerückter Gymnasialschüler trug er so verwachsene Kleider, dass seine Mitschüler darüber spotteten. Schon damals hatte der blasse, hoch aufgeschossene Knabe jenen eigentümlichen tiefen Blick, der auch in späteren Jahren auffiel und ihn befähigte, zahlreiche Schüler mit dem Auge zu leiten. Eine seiner treuesten Freundinnen erzählte, dass wenn ihre Mutter, die Wirtin im Rebstöckchen war, sie schicken wollte Zuckerwerk zu holen, sie antwortete: „Ich fürchte mich, denn in dem Laden ist ein Bube, der einen so ernst ansieht.“ Kameraden hatte er keine; seine einzige Erholung war die Freude an der Natur. Oft ging er in den Neuhöfler Wald, zuweilen mit seinem Vater. Bald kannte er alle Vögel an ihrem Gesang und freute sich, wenn sie nicht scheu wegflogen; er hatte einen offenen Sinn für alles Liebliche und Schöne. Trotz seiner schweren Lage im elterlichen Haus war er ein ausgezeichneter Schüler und seine Familie besitzt noch das ehrenvolle Zeugnis womit er im sechzehnten Jahr aus dem Gymnasium entlassen wurde. Sein Hauptlehrer, der noch wohlbekannte Dr. C. Timotheus Emmerich, schrieb: Härter hat mich nie betrübt.

Warum Härter Pfarrer wurde?

Als für Fr. Härter die Zeit kam, sich für einen Beruf zu entscheiden, stand er an einem wichtigen Scheideweg. Einerseits hatte er große Vorliebe zu den mathematischen Wissenschaften; ja, er war schon auf dem Punkt, sich zur Aufnahme in die polytechnische Schule zu melden, um nach beendigten Studien entweder Ingenieur zu werden oder dem Waffenhandwerk sich zu widmen; andererseits äußerte sein Vater in der letzten Stunde der Entscheidung: er habe immer gehofft, dass sein Sohn Pfarrer würde, damit er, der Vater, oft krank und schwächlich, und seine noch lebende alte Mutter, bei ihm in einem ländlichen Pfarrhaus ihr Leben beschließen könnten.

Dieser Wunsch des Vaters genügte. So schwer auch dem Sohn das Opfer war, es wurde gebracht. Gegen seine eigene Neigung trat er in die Theologie ein, dazu erbeten in seinem Kindesalter von seiner frommen, für ihn zu früh geschiedenen Mutter, die den Knaben in ihren tiefsten Herzenswünschen zum Geistlichen bestimmt hatte.

Nur mit Widerwillen betrat Härter seine theologische Laufbahn, wenn er gleich die ehrenvollsten Zeugnisse über seinen Fleiß und sein Betragen in seinem 16. Jahre aus dem Gymnasium mitbrachte. Sein junger Verstand war schon mit Zweifeln an den Grundwahrheiten des Evangeliums erfüllt, welche in seinem Vaterhaus durch völligen Unglauben und Spott alles Heiligen fruchtbaren Boden und Nahrung hatten. Härter erkannte seine Zweifel wohl, hoffte aber durch das Studium der Theologie von denselben erlöst zu werden. Doch auch diese Hoffnung erfüllte sich nicht, denn auch das Wenige von Glauben, das er besaß, wurde ihm mehr und mehr genommen. Was er in den Jahren seines akademischen Trienniums1Zeitraum von drei Jahren 1816-1819 in den Hörsälen der theologischen Fakultät zu Straßburg vernahm, war nicht dazu angetan, die Liebe zum geistlichen Amt in ihm zu erwecken und zu fördern, noch weniger die Bande zu lösen, in welchen seine zweifelnde Seele gefangen lag. Die große Erweckung, welche nach den Freiheitskriegen ganz Deutschland ergriffen hatte, war beinahe spurlos an dem Elsass und an dessen Hauptstadt, dem ehemaligen Forte evangelischen Glaubenslebens, vorübergegangen. Nicht durch Zollgesetze, sondern durch Druck auf die einzige, deutsche Schriften führende Buchhandlung in Straßburg, wurde den Erzeugnissen der neueren geistlichen Literatur, selbst den neu ans Licht gezogenen Bekenntnissen alter Gottesmänner, der Eingang in das Land versperrt und dadurch den hungernden Seelen das Brot des Lebens vorenthalten.

Das Kirchenregiment lag in Händen, die wohl das Äußere am Heiligtum wieder aufzurichten, nicht aber die innersten Güter desselben, die ihnen anvertraut waren, zu pflegen vermochten. Da, wo die zukünftigen Diener am Wort zu ihrem heiligen Amt sollten herangebildet werden, befanden sich, mit wenigen Ausnahmen, solche Lehrer, die dem draußen bereits hinsterbenden Rationalismus huldigten und dessen welke Grundsätze in die Herzen der Studierenden einpflanzten.

Dennoch betrieb Härter fleißig seine theologischen Studien. Während derselben legte sich die Sorge um sein zerrüttetes väterliches Hauswesen schwer auf seine Schultern. Den Tag über gab er in seinen Freistunden Unterricht an junge Schüler, um seinen Vater unterstützen zu können, die Nächte brachte er größtenteils hinter seinen Büchern und am Krankenbett seines Vaters zu. Dieser war verbittert durch Körperleiden und Nahrungssorgen, stand zugleich mit seiner eigenen Mutter in fortwährendem häuslichen Zwist und wendete seinem sich ihm aufopfernden Sohn wenig Dank und Liebe zu, was diesen jedoch in seiner kindlichen Liebesarbeit nicht entmutigte. Gegen das Ende der Studienzeit nahm das Leiden des Kranken immer mehr überhand, die letzten Nächte vor seinem Examen wachte der treue Sohn und studierte am Schmerzenslager, und am Tag, da er sein Diplom als Kandidat der Theologie erhielt, starb der Vater. Es war dem Sohn nicht vergönnt, ihn, seinem oft ausgesprochenen Wunsche gemäß, in einem ländlichen Pfarrhaus zu pflegen. Die alte kranke Großmutter nahm er dagegen später, nachdem er ein eigenes Hauswesen gegründet, zu sich, pflegte sie mit kindlicher Liebe und obgleich er und seine junge Gattin von der mürrischen Frau wenig gute Worte der Anerkennung erhielten, ermüdeten sie dennoch nicht, bis endlich im tiefen Leidenstiegel die harte Seele geläutert und mürbe wurde, danken lernte für alle Liebe und Treue, welche sie erfuhr und milde gestimmt, im Frieden abscheiden konnte. Diese häuslichen Zerwürfnisse und Notstände waren wohl nicht geeignet, den Sohn in seinem Beruf aufzumuntern und ihn zu stärken. Je tiefer Härter in das Studium der Theologie sich einlebte, um so mehr wurde er diesem Berufe entfremdet, um so düsterer und verhängnisvoller erschien ihm die Stunde, wo er in die Lage kommen würde zu predigen und einer Gemeinde die gute Botschaft zu verkündigen, die zu glauben er leider auf der theologischen Hochschule nicht gelernt hatte. Die weitern Studien fielen seinem nach Wahrheit verlangenden Gemüt sehr schwer. Mit Zweifeln war er eingetreten und statt Klarheit zu finden wurde es immer finsterer in seiner Seele. O wie gerne hätte er geglaubt, aber einige seiner Lehrer knüpften nur noch fester die Binde seines Geistesauges und nahmen ihm Alles, was ihm zum Leben und zur freudigen Berufsarbeit Kraft verleihen konnte. Es war ihm oft, als könnte er sich nicht entschließen, ein Prediger des Evangeliums zu werden, da ihm das Amt eines Mannes, dessen Wort nicht mit der Herzensüberzeugung im Einklang war, verwerflich schien. Oft geriet der glaubensbedürftige und nach Klarheit dürstende Jüngling nah an Verzweiflung; aber die Hand des Herrn hielt über ihm und sandte ihm Hilfe in der Not, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden.

Wie Härter zum Glauben kam.

In dieser Not, welche ihn erfüllte, steckte der Herr dem Zagenden eine Leuchte auf, welche sein ganzes Leben hindurch seines Fußes Licht und sein Leitstern wurde. Härter fand einen Retter in einem seiner Lehrer, Dr. Carl Timotheus Emmerich, welchem er auch bis an sein Ende die tiefste Erkenntlichkeit bewahrt hat.

Zu ihm ging Härter and teilte ihm seinen Entschluss mit, der Theologie zu entsagen, um irgend einen andern Beruf zu ergreifen, so schwer ihm, dem 21jährigen Jüngling, nach soeben glänzend bestandenem Examen, solches werden mochte.

Emmerich aber hielt ihn fest. „Mein Freund,“ sagte er, „verzagen Sie nicht; ich bin durch dieselben Zweifel und Kämpfe gegangen, in welchen Sie jetzt stehen. Damals war ich in Göttingen und verzweifelte beinahe daran, jemals die Wahrheit finden zu können und dadurch das tiefe Bedürfnis meiner Seele nach Licht gestillt zu sehn. Da wurde ich durch die Betrachtung der Natur aufmerksam gemacht auf die Fülle, womit Gottes Güte für die Befriedigung unserer mannigfachen leiblichen Bedürfnisse gesorgt hat. Wie reichlich gibt er uns das tägliche Brot und hängt die köstlichsten Früchte für uns an den Bäumen auf! Und nun musste ich mir sagen: wenn für den Leib so gesorgt wird, der doch sterblich ist, sollte Gott nicht auch für das tiefste Bedürfnis meines Geistes, für den Hunger und Durst nach Wahrheit gesorgt haben? Ich kam zur Überzeugung, dass Gott gewisslich solches getan. Nur wusste ich noch nicht, wo ich meinen Hunger nach Wahrheit befriedigen könnte. Da wurde ich durch das Studium der Kirchengeschichte auf das geschriebene Wort hingewiesen. Denn alle jene ehrwürdigen Männer der Vorzeit, die Apostel, die Kirchenväter und die Reformatoren, sie waren ja sämtlich davon überzeugt, die Heilige Schrift sei Gottes Wort. So entschloss ich mich denn, ohne menschliche Erklärung, wie ein einfacher Bauer, bloß mit Gebet um göttliche Erleuchtung, die Bibel zu lesen. Und siehe, je mehr ich darin las, desto lichter wurde es in meinem Innern. Viele Zweifel wurden durch das bloße Besen gelöst, andere schwanden durch die Erfahrungen des Lebens, die mir das Wort verständlich machten, und so kam ich zur tröstlichen Gewissheit, dass auch die noch übrigen Dunkelheiten gleichfalls völlig schwinden werden und dass ich einst die vollkommene Wahrheit, die droben liegt, mein Eigentum werde nennen dürfen.“

Der Lehrer umarmte hierauf seinen Schüler und nahm ihm das Versprechen ab, es in Gottes Namen zu versuchen, ob es ihm gelingen möchte, auf demselben Wege, wie er, Frieden zu finden.

Härter blieb bei der Theologie und befolgte von Stunde an den Rat des treuen Freundes Emmerich, die Heilige Schrift, die ihm bis dahin ein so gut wie verschlossenes Buch gewesen war, mit Gebet um Erleuchtung durch den heiligen Geist zu durchforschen. Er selbst erzählt, wie er sich Jahre lang hineingelesen und hineingebetet habe und wie schon damals, obwohl ihm noch Vieles dunkel blieb, immer herrlicher die Eine Gestalt aus derselben hervorgetreten sei, Jesus Christus, im Alten Testament angekündigt, im Neuen erschienen als das Licht der Welt. Obgleich er das eigentliche Evangelium noch nicht in seiner ganzen Fülle verstand, wurde er doch je mehr und mehr durchdrungen von tiefer Ehrfurcht vor der Bibel, als vor Gottes Wort.

Aber dieses Studium verschaffte ihm nicht sobald Lebensfreudigkeit, im Gegenteil, er war abgespannt und müde. Ein Blatt in seinem damals geschriebenen Tagebuch lässt uns einen tiefen Blick in sein bekümmertes Herz tun. Unterm 18. Sept. 1820 schrieb er: „Vor einigen Jahren waren die Studien und die Sorge für meinen Vater meine einzige Beschäftigung. Ich liebte die ganze Menschheit und lebte doch abgeschieden von der Welt; ich hatte keinen andern Wunsch als den, im Stande zu sein für das Wohl meiner Mitbrüder sorgen zu können, und doch fühlte ich mich zu schwach, zu verlassen, ohne Anleitung, ohne Ratgeber. Da fasste mich tiefer Gram, ich sah mich als unnütz, als verloren für die Menschheit an, mein Wunsch war zu sterben, um frei von den Banden des schwachen Körpers, wirksamer und wohltätiger für das Ganze zu werden. Es war mir in meinem leidenden Zustand ein tröstender Gedanke, als Genius die armen verlassenen Menschen zu umschweben und sanften Balsam in ihre verwundeten Herzen einzuflößen. Meine Freunde sahen, dass ich schwärmte; wider meinen Willen zogen sie mich in ihre frohen Kreise. Ich war heiter, wenn ich frohe Gesichter sah, und nahm Teil an den Freuden Anderer, um dieselben nicht zu stören. Jeden, den ich für gut hielt, kam ich mit Liebe entgegen; doch nach und nach wurde ich schüchtern, ich zog mich wieder zurück, ängstlicher als zuvor und mit noch weniger Selbstvertrauen. Mit dem Tode meines Vaters hatte ich das Letzte verloren, für das ich noch mit Liebe sorgen konnte, und lebte nur noch auf, wenn ich unter meinen Schülern war, welche größtenteils meine Mühe durch Anhänglichkeit belohnten.“

Härters Reisen.

Ein Aufenthalt im Schwarzwald im Jahr 1820 gab dem Frühmüden bald neue Lebenskraft und stärkte seine wankende Gesundheit, auch fand er dorten im freundlichen Hub-Bad, das der angesehenen Familie Kampmann aus Straßburg gehörte, einen größeren Schatz, der ihm mehr wert wurde als Gesundheit und Leben, in der ältesten Tochter, Elise Kampmann, seine zukünftige Lebensgefährtin, welche wir später noch näher werden kennen lernen. Im Frühjahr 1821 unternahm dann Härter mit einem Freunde eine Fußreise durch Krankreich, auf welcher er Paris, Havre, Reims und andere Orte Nordkrankreichs kennen lernte. Bei seiner Rückkehr trieb es ihn, im Oktober 1821, über Mainz, Kassel und Göttingen, nach der damals berühmten Universität Halle, wo er bis zum Mai des folgenden Jahres blieb.

Daselbst arbeitete er fleißig an seiner theologischen Ausbildung und hatte selbst Gelegenheit, einem Professoren gegenüber, in einem Religionsgespräch, dessen Einwürfe gegen das Christentum zu widerlegen und dieselben verstummen zu machen, indem er kräftig auf die Notwendigkeit einer Offenbarung hinwies und dartat, wie dieselbe in Gottes Wort, und darin allein, vorhanden sei. Es ward ihm dabei gegeben, so freudig und mächtig Zeugnis abzulegen von dieser Gewissheit, die nur dem Glauben eigen ist, der sich auf Gottes Wort stützt, dass in ihm selbst in jener Stunde der letzte Zweifel an der Wahrheit der Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift niedergeschlagen wurde und er mit um so größerem Eifer bei seinem ernsten Vorhaben beharrte, immer wieder betend sich in das Studium der ganzen Bibel zu versenken.

Ein andermal stellte ein Professor die Frage auf: ob nicht das Christentum sich überlebt habe und ob es nicht an der Zeit sei, es durch eine vernunftgemäßere, geistvollere Religion zu ersetzen? Ein Student, dem die Beantwortung dieser Frage übertragen war, bejahte sie auf das entschiedenste in einem längeren Vortrag
und alle Studenten, nebst dem gelehrten Herrn Professor, stimmten ihm bei. Härter, um seine Meinung gefragt, erwiderte: „Meine Herren, was würden Sie einem Bauern antworten, der Ihnen behauptete, dass diese Bibel, die in Ihren Augen ein Buch voller Irrtümer und Fabeln ist, dennoch, meiner unerschütterlichen Überzeugung nach, Gottes heiliges Wort ist?“ Alle blieben ihm die Antwort schuldig und in seinem Herzen befestigte sich die Gewissheit, dass Niemand ihn überwinden könne, so lange er auf der Bibel als auf der göttlichen Offenbarung stehe.

In Halle brachte ihn eine Krankheit dem Tode nahe. Nach den Befreiungskriegen in dem zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, waren Freiheitsgedanken auch in die Studentenwelt eingedrungen und hatten eine Verstimmung zwischen derselben und dem Universitätssenat zuwege gebracht. Verschärfte Gesetze sollten derselben entgegenwirken, welche die Studenten sich nicht wollten gefallen lassen und darauf einen allgemeinen Auszug beschlossen, welchen sie auch ausführten und sich an einen zwei Stunden entfernten Ort begaben. Die Regierung sandte Militär gegen sie, die Professoren erschraken, wie auch die vernünftigeren Studenten.

Härter, der als fertiger Kandidat und als Ausländer nicht mit den unruhigen Köpfen auszuziehen hatte, wurde als Vermittler zu den Aufrührern gesandt. Er eilte zur Stadt hinaus in das Lager der Studenten, verhandelte mit dem Seniorenconvent, welchen sie gebildet hatten, indem er demselben die bedenklichen Folgen des übereilten Schrittes vorstellte, und es gelang ihm, die Studenten zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Diese stellten einzelne Bedingungen, unter welchen sie die Rückkehr versprachen und Härter eilte damit in die Stadt, denn es war hohe Zeit, schon nahten die Truppen. In Schweiß gebadet kam er zurück, eilte zu dem Rektor der Universität, wo die Professoren versammelt waren, musste aber zwei Stunden lang im ungewärmten Vorzimmer warten, bis er hineingerufen wurde. Da hatte er wohl die Freude, dass er einen für beide Teile annehmbaren Frieden vermitteln konnte, aber dagegen war eine heftige Halsentzündung die Folge der Erkältung, die ihn an den Rand des Grabes brachte und den Grund zu einem spätern chronischen Halsübel legte. Wohl besuchte ihn während seiner Krankheit der eine und der andere der Professoren, lasen ihm auch fleißig die Zeitungen vor, aber keinem wäre es eingefallen mit ihm zu beten, das Wort Gottes zu lesen oder von der Vorbereitung auf eine selige Ewigkeit mit ihm, der zwischen Tod und Leben lag, zu sprechen. Härter fühlte wohl seinen gefährlichen Zustand, Todesgedanken füllten seine Seele und schon hatte er seiner Braut einen letzten Gruß gesandt, als er wieder genesen durfte.

Von Halle aus besuchte Härter noch einige wichtige Städte Deutschlands, den Ranzen auf dem Rücken und zu Fuß. Früh Morgens machte er vor dem Frühstück einige Stunden Wegs; ging weiter bis Mittag, bestellte dann sein Essen auf 1 Uhr und legte sich bis dahin auf die Ofenbank, den Tornister unter dem Kopf und suchte zu schlafen. Während er einmal mit geschlossenen Augen da lag, stand die behäbige Wirtin neben ihm, schaute mitleidsvoll den jungen Menschen an und sagte zu den andern Gästen: „Wie kümmerlich muss doch Mancher sich durchs Leben schleppen!“

Härter zog nun mit vier Straßburger Freunden über Berlin, Dresden, Jena und Göttingen, ohne Aufenthalt nach seiner Vaterstadt zurück; reich an Erfahrungen aller Art, gestärkt in seinem Glauben und fröhlich in seinem Gott. Die Reise geschah zu Fuß, jene Zeit kannte keine Beförderungsmittel heutiger Art; Eilwagen waren für einen Kandidatenbeutel zu teuer; aber zwei der Gefährten kamen nur bis Krankfurt, der dritte musste von Karlsruhe aus Fahrgelegenheit nehmen, Härter allein konnte das Wagnis vollenden und kam auch wohlbehalten nach Straßburg zurück.

Härter hatte sich auf das Fußreisen verstanden. Sein Freund Schweighäuser, nachheriger Gymnasiumsprofessor, hatte ihn begleitet. Beide waren wie Handwerksburschen gekleidet, waren in wollenen Kleidern warm angezogen und hatten über dem Tuchrock ein Staubhemd angezogen; der schwere Ranzen auf dem Rücken drückte sie wohl, aber sie waren die Last bald gewohnt und als treue Kumpane zogen sie ihre Straße. Nur einmal waren sie uneins; Härter hatte aus Fürsorge auf seinen Tornister einen Wachstuchmantel geschnallt. Als nun einmal ein feiner durchdringender Regen fiel, bot er seinem Kameraden, der zu frieren anfing, denselben an. Der aber antwortete: wer ihn getragen hat, solle ihn auch benützen. Auf dies hin riss Härter, im Unmut seine gute Absicht verschmäht zu sehen, den Mantel in zwei Stücke und bot die Hälfte dem Freunde an; dieser ebenfalls unwillig, warf diese weg und Härter, der es nicht besser haben wollte, warf die andere Hälfte der ersten nach und trostmütig wanderten beide im Regen weiter, ohne dass ihre Freundschaft dadurch erkältet ward.

Bald nach seiner Rückkehr hielt Härter in Straßburg seine erste Predigt über Joh. 8,12: „Ich bin das Licht der Welt!“ Obgleich er mit großem Bangen die Kanzel betrat, also dass ihm die ganze Predigt wie entschwunden war und alles vor seinen Augen flunkerte, so gab doch der Herr ihm mit dem ersten Worte die ganze Rede wieder und ein freudiges Auftun des Mundes vor der Gemeinde.

Härters Eintritt ins Pfarramt und erste Ehe.

Nach seiner Rückkehr blieb Härter einige Monate lang ruhig in Straßburg, trieb mathematische Studien und gab Unterricht in den Naturwissenschaften. Mitten in diesen ihm lieben Beschäftigungen kam ihm über einmal die Ernennung an die Pfarrstelle in Ittenheim, durch das Konsistorium von Wolfisheim, welchem die Gemeinde angehört. Härter nahm die Berufung an, als aus Gottes Hand, schloss seufzend seine mathematischen Bücher, um sie nie mehr zu öffnen und gab sich willenlos seinem neuen Beruf hin. Es war den 14. März 1823. Bei den Glückwünschen der Freunde schaute er finster drein und fühlte in diesem Augenblicke die ganze Last, die dadurch auf seine Schulter gelegt wurde, ob er sie wohl auch werde tragen können?

Härter wurde in eine Sitzung des Konsistoriums gerufen und sah da viele weltliche Geschäfte, viel Gezänke, viele unedle Gesinnung selbst. Sein Herz wurde deswegen noch trauriger; doch da er es für seine Pflicht erkannte, nahm er die Stelle an und fuhr an einem Nachmittag mit einem Kirchenältesten hinaus ins Dorf, wo er von nun an wirken und sein Amt verrichten sollte.

Der Zustand des Pfarrhauses machte aber auf ihn keinen günstigen Eindruck. Es hatte feuchte, verrauchte Zimmer, das Dach war durchlöchert, die Gartenmauer eine Ruine, überall herrschte Unordnung und Verwahrlosung; die Bäume des verwilderten Gartens waren bis an die obersten Zweige mit Moos überzogen. Der Kirchenrat, der am andern Morgen zusammentrat, gab den schlechten Zustand wohl zu, zuckte aber die Achseln und erklärte, dass weder die Kirchen- noch die Gemeinde-Kassen Geld hätten, und dass die notwendigen Reparaturen wohl sechshundert Kranken kosten würden. Die Herren hofften dadurch es hinzubringen, dass wie in Fürdenheim, Pfulgriesheim, Lingolsheim der Pfarrer vorziehen würde, in der Stadt zu wohnen und nur am Sonntag seines Amtes im Dorf zu warten. Aber Härter erklärte, dass er die sechshundert Kranken aus seiner Tasche liefern wolle, wenn sie von ihrer Seite mithelfen würden. Der junge Pfarrer gewann durch dieses Anerbieten die Achtung seiner zukünftigen Pflegebefohlenen; er opferte wohl dabei alle seine Ersparnisse, die er durch Stundengeben sich erworben hatte, bewirkte aber dadurch, dass auch die Bauern in der Herbeischaffung der Materialien wetteiferten, wodurch aus einer unfreundlichen Wohnung ein gastliches, gesundes Pfarrhaus wurde, in welches Härter, am 21. August 1823, feierlich von der Gemeinde eingeholt, seine ihm seit drei Jahren verlobte Braut, Fräulein Elise Kampmann, einer angesehenen Straßburger Familie angehörend, als junge Pfarrfrau einführte.

Henriette Elise Kampmann war am 27. Januar 1799, die zweite von acht Kindern, geboren, und den 5. März durch Pfarrer Eissen getauft worden. Der Großvater, Heinrich Gottfried Kampmann, von Waltenheit (1728-1776) war seiner Zeit Lehrer am Gymnasium gewesen. Der Vater, Friedrich Gottfried, geboren den 5. März 1771, seit 1796 verheiratet, hatte Güter in Rheinbischofsheim und war Besitzer des Hubbades. Im Jahre 1811 trat die Tochter in die Pension der Frl. Barbeues ein und am 15. Mai 1814 wurde sie durch Prof. I. Haffner konfirmiert, nachdem sie den Religionsunterricht in der Pension bei Herrn Himly befolgt hatte. Als die teure Mutter, Friederike Magdalene, geborene Haug, am 7. Februar 1819, entschlafen war und am 10. ihre sterbliche Hülle auf dem Friedhof zu Ottersweyer ihr letztes Plätzchen gefunden hatte, übernahm Elise mit ihrem Bruder Theodor die Leitung des Geschäfts. In Monat Juli 1820 fand die Verlobung mit Härter statt, wozu der Vater von Herzen Einwilligung und Segen gab. Der Brautstand der jungen Leute war ein überaus glücklicher. Der romantische Zug, der jenen Zeiten eigen ist, verlieh ihm einen besondern Reiz. Wenn der Bräutigam von Straßburg in die Hub hinüberritt, so ließ er von ferne schon das Waldhorn friedlich durch die Dämmerung ertönen. Die Braut eilte ihm entgegen, und das Pferd am Zügel führend langten beide, das liebliche Tal durchstreifend, am Bestimmungsort an. Auch von einer Lebensrettung weiß jene Zeit zu berichten. Einst machten die Brautleute mit einer größeren Gesellschaft eine Wasserfahrt auf der Ill. Da erhob sich ein gewaltiger Sturm, und sie wären alle unfehlbar verloren gewesen, wenn es nicht den Männern geglückt wäre, die beiden Schiffe, in denen sie fuhren, fest zusammen zu binden.

Überhaupt waren jene zwanziger Jahre, nach den Stürmen der Revolution, weit friedlicher als unsere Zeit. Jenes Geschlecht kannte noch nicht die fieberhafte, raschlebige, aufgeregte, vom großen Weltverkehr mitgerissene, von politischen und sozialen Fragen wild bewegte, in aufreibendem Strudel unaufhaltsam sich fortdrängende Lebensweise der Jetztzeit. Man lebte eingezogener, einfacher und gewiss auch glücklicher, als es heutzutage meist der Fall ist.

Wie der Brautstand, so war auch die Ehe, von Gott geschlossen und am 18. August 1823, im Hause, durch Herrn Pfarrer Kreiß, Vater, eingesegnet, sehr glücklich. Härter war 26, die Gattin 23 Jahre alt; beide waren ideale und gefühlvolle Naturen, Eines fand in dem Andern die Verwirklichung dessen, was zuvor das Ziel ihrer Wünsche war. Er fand in ihr ein tief weibliches Gemüt, sie sah in ihm den „Mann“, was Verstand, Frömmigkeit und Tatkraft betrifft und so waren beide im Aufblick auf den Herrn auf das innigste verbunden.

Die junge Frau war im vollen Sinne des Wortes die Gehilfin ihres Mannes. Sie führte ein musterhaftes Hauswesen, arbeitete rüstig in Stall und Garten und nahm sich zugleich der Armen und Kranken der Gemeinde mütterlich an. Auf sie fand die Schilderung Salomos eines tugendhaften Weibes ihre volle Anwendung. Sie hatte ihrem Manne kein irdisches Gut mitgebracht, denn die ihr versprochene Mitgift war vor ihrer Verehelichung verloren gegangen; Härters Vermögen war nicht in Anschlag zu bringen; für ihren Mann aber war die Gattin viel edler denn die köstlichste Perle und er konnte mit Freuden sagen: „Lieblich und schön sein, ist nichts; ein Weib, das den Herrn fürchtet, soll man loben.“ Beide wussten, dass man nicht von Geld und Gut lebt, sondern von Gottes Segen und dass das eheliche Glück nicht auf Kapitalien ruht, welche Rost und Motten fressen, sondern auf gegenseitiger Tüchtigkeit in Allem, was vor Gott recht ist, auf Einfachheit der Sitte und vor Allem auf inniger, dem Herrn geweihter Liebe.

Sobald die junge Frau in ihrem Hauswesen eingerichtet war, kam sie dem heimlichen Wunsch ihres Gatten zuvor und erklärte demselben, dass sie dessen hochbetagte, kränkliche Großmutter zu sich nehmen wolle. Sie holte sie selber in Straßburg ab, verpflegte sie wie nur die treueste Wärterin und hatte die Freude, die harte Seele mürbe und geläutert, im Frieden mit ihrem Gott abscheiden zu sehen (30. Sept. 1823).

Der Herr schenkte dieser glücklichen Ehe zwei Kinder, eine Tochter, welche als treue Diakonissin heimgehen durfte, und einen Sohn, den wir als Nachfolger seines Vaters lieben und schätzen.

Aber, leider wurde dieses liebliche Familienleben plötzlich und unerwartet gestört. Mehrere Personen der Gemeinde waren vom weißen Friesel2Fieber mit Hautausschlag, Miliaria befallen, zuletzt auch die Frau des Bürgermeisters. Härter, welcher vor keinem Krankenbett sich fürchtete, und an dem ärmsten und ekelhaftesten sein Amt als Seelsorger waltete, hatte die ganze Nacht im Haus der Kranken zugebracht. Seine Frau war auf seine Bitte zu Hause geblieben; doch als sie am frühen Morgen erfuhr, dass die, mit welcher sie innig befreundet war, sterbend sei, eilte sie hinüber und kam im Augenblick des letzten Atemzugs an das Sterbelager. Dieser Anblick ergriff die Pfarrfrau so sehr, dass sie nach Hause ging, sich niederlegte und nach zwei Tagen selbst eine Leiche war. Die böse Krankheit hatte auch sie der Liebe der Ihrigen entrissen, und zwar an Karfreitag 1828, im Augenblick, da man zum Gottesdienst zusammenläutete. Härter bestieg die Kanzel wie gewöhnlich. Noch Niemand wusste, dass im Pfarrhaus der Todesengel eingekehrt. Als er aber mit den Worten begann: „So eben ist meine liebe Frau gestorben,“ da ergriff der Schmerz über diesen Verlust die ganze Versammlung, Alle brachen in lautes Weinen aus und gingen, nachdem am Altar nur ein kurzes Gebet gesprochen und der Segen des Herrn erteilt, tief ergriffen nach Hause. Es war eine ernste Karfreitagfeier für die ganze Gemeinde.

Am Ostersonntag wurde die teure Heimgegangene der Erde übergeben, unter großer Beteiligung von Leidtragenden und heute noch, nach 60 Jahren, ist das Grab in Ehren gehalten und geschmückt von der dankbaren und ihr Andenken ehrenden Gemeinde. Auf dem Leichenstein ist das Wort zu lesen: „Ich komme dir entgegen!“ Es war das letzte Wort der Entschlafenen.

Ihres Gatten Herz aber war gebrochen. Er sehnte sich nur, seiner teuren Hälfte bald nachfolgen zu dürfen und auf die letzte Seite seines Tagebuches schrieb er: „Wer diese Blätter einst findet, der füge das Datum meines Todestages hinzu, als der glücklichste Tag meines Lebens.“

Härter im Dienste der Gemeinde Ittenheim.

Härter widmete sich mit voller Kraft seinem Berufe als Seelsorger der ihm anvertrauten Gemeinde. Alle Zweifel waren bei ihm entschwunden. Er hatte sich demütig und aufrichtig in die Heilige Schrift hineingelesen und war gleich die tiefste Tiefe des Heilswegs ihm noch verschleiert und das Wort Gottes noch mehr ein Gesetz als eine Friedensbotschaft an den Sünder, so entwickelte er doch in diesem seinem ersten Wirkungskreise eine reich gesegnete Tätigkeit, welche, so kurz dieselbe war, wohltätig auf die zuvor verwahrloste Gemeinde einwirkte. Er nahm es ernst mit seinem Amte als Prediger, als Seelsorger und als Schulmann; in alle Verhältnisse griff er mit voller Entschiedenheit ein und bald gab es rings umher im Lande keine Gemeinde, in welcher nach allen Seiten hin eine solche Zucht und Ordnung in Kirche, Schule und Häusern herrschte, als in dem schönen Dorf Ittenheim, zu welchem oft viele Land- und Stadtleute von nah und fern pilgerten, um den beredten jungen Pfarrer predigen zu hören.

Härters Bemühungen galten vorerst der Schule, welche in jeder Beziehung in jämmerlichen Zustand sich befand. Zur Besserung der Notstände hatte er eine besondere Schulkasse gebildet, aus welcher das schadhafte Mobiliar ausgebessert, teils auch Neues angeschafft wurde. Auch dem Gehalt des Lehrers wusste er durch bessere Vermietung der Schuläcker und durch den Ertrag einer vierteljährigen Kirchensteuer aufzuhelfen, wenn gleich der Lehrer, sehr mangelhaft gebildet und ein starker Trinker, dessen unwürdig war und keine Achtung bei den Alten und den Kindern des Dorfes genoss.

Härter besuchte deswegen täglich die Schule, besprach mit dem Lehrer die verschiedenen Missstände, suchte diesen in den Augen der Gemeinde zu heben, machte ihm Mut, gegen sein Laster anzukämpfen und bat die besseren Familien, sich des armen Mannes anzunehmen.

Härter gründete auch mit allen Schullehrern der Umgegend einen Lehrerbund zu gegenseitiger Aufmunterung und Fortbildung.

Wohl lohnte ihm der Lehrer seines Dorfes durch arge Verleumdungen und suchte ihm in der Gemeinde durch mancherlei Gerede zu schaden. Doch Härter schwieg dazu, damit die Schule nicht noch größeren Schaden erleide, und als Bürgermeister und Kirchenrat den Lehrer absetzen wollten, bat Härter für den Verleumder, welcher gelobte, einen geordneten Lebenswandel zu führen, aber bald wieder zurückfiel, zum Ärgernis der Schuljugend, worauf die Gemeinde auf seine Absetzung antrug, welche auch an dem armen Manne vollzogen wurde.

Der Kirche galt Härters Hauptbemühung. Der Gottesdienst lag ebenso darnieder wie die Schule; kaum dass einige Frauen und die Schuljugend denselben besuchten. Die Wenigen, welche etwas Besseres begehrten, gingen anderthalb Stunden weit, um den Versammlungen eines Reisepredigers beizuwohnen. Härter wurde von Gemeindegliedern angegangen, gegen diese Auswanderung von der Kanzel herab zu eifern. Er aber antwortete den Verklägern: „Es ist schön, dass diese Leute solch ein Verlangen haben nach Gottes Wort, wenn ich einen Wagen hätte, so würde ich sie hinüberführen lassen.“ Er besuchte diese Familien dann freundlich, drückte seine Freude darüber aus, das: sie, trotz des Spottes der Leute, den weiten Weg nicht scheuten, um etwas Gutes zu hören und lud sie ein, doch hie und da auch seinen Gottesdienst zu besuchen. Sie kamen und sahen. bald, dass es überflüssige Mühe sei, weit zu gehen und in der Ferne zu suchen, was man in der Nähe haben könne und in der Folge wurden sie die fleißigsten Kirchgänger und treuesten Pfarrgenossen.

Die Gemeinde fühlte immer mehr, dass ihr junger Pfarrer von ganzem Herzen sein Amt zu ihrem Besten verwaltete. Auch füllte sich das Gotteshaus, Sonntag für Sonntag, mit andächtigen, regelmäßig kommenden Zuhörern. Er predigte eindringlich, nach sorgfältiger Vorbereitung und so wie seine Leute es verstehen und anwenden konnten.

Der Gemeindegesang lag ebenfalls im Argen. Die Frauen schrien ihr Lied in näselndem Trompetenton, der Rest brüllte mit so gut es ging, je lauter, desto schöner. Härter fing mit der Jugend in der Schule an; als diese hinlänglich eingeübt war, musste sie in Gottesdienst die erste Strophe des Liedes vorsingen, worauf die Alten eingeladen waren, sanft nachzusingen. Der Gesang hob sich dadurch zusehends, zur Freude Aller, die nun noch lieber die Kirche besuchten.

Härter, so jung er war, hatte bald die Gemeinde in seiner Hand, so dass sie sich willig von ihm leiten ließ. Alle fühlten, mit welcher Liebe und Treue er seines Amtes wartete und dabei nicht sich selbst, sondern nur das Wohl der Andern suchte. Ebenso sahen sie der jungen Frau Pfarrerin Tun und Schaffen mit großem Wohlgefallen und wenn sie irgendwo ihres Pfarrers mit Lob besprachen, so erhielt seine treue Gehilfin ihr gutes, wohlverdientes Teil davon. Oft sammelte sie die jungen Mädchen, auch Frauen in ihrem Hause, gab ihnen Unterricht im Stricken und Nähen, lehrte sie fröhliche Lieder, erzählte anmutige Geschichten und half auch in den Häusern, besonders an Krankenbetten, mit Rat und Tat. Sie war eine treue Martha mit Mariensinn und was sie angriff, wurde mit Segen belohnt.

Den moralischen Zustand der Gemeinde nahm sich Härter sehr zu Herzen. Er tröstete sich nicht damit, dass dies oder jenes Hergebrachte Dorfsitte, an welcher der Pfarrer nicht von ferne rütteln dürfe, und dass es in anderen Gemeinden nicht besser hierin bestellt sei; auch nicht mit dem Sprüchlein: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Er suchte nicht nur durch Belehrung und Ermahnung die bösen Gewohnheiten zu bekämpfen, sondern er griff auch den nächtlichen Unfug auf den Straßen mit Erfolg an. Oft ging der Pfarrer in einen Mantel gehüllt und eine geschlossene Laterne in der Hand in die Kunkelstuben3Spinnstuben oder an die Stelldicheinplätze, leuchtete unversehens hinein und hieß die jungen Leute auseinander und nach Hause gehen. An dem Bürgermeister hatte er dabei eine gute Stütze, dieser ließ bessere Wache halten und verbot die Kunkelstuben. Zugleich drohte der Pfarrer von der Kanzel mit Ausschließung aus der Kinderlehre und wehrte jedem Zuwiderhandelnden in öffentlicher Gemeinde bei Taufen Patenstelle zu vertreten, was den betreffenden Familien eine Schande gewesen wäre. Diese Maßregel wirkte und wenn Härter später den Rundgang durch die Dorfgassen machte, sah er selten etwas Verdächtiges auf denselben; nur einmal hörte er aus einem Hause spottende Rufe. Die große Mehrheit der Gemeinde war ihrem beherzten Pfarrer dankbar für die eingeführte Ordnung, die Bürgerwache wurde wieder ordentlich bezogen, der Besuch der Spinnstuben hatte ein Ende und auch die in Wegfall gekommenen Wirtshausordnungen wurden von dem Bürgermeister strenge gehandhabt.

Seine medizinischen Kenntnisse wusste Härter ebenfalls in Sttenheim zu verwerten. In dringenden Notfällen achtete er weder Mühe noch Anstrengung, wenn es galt, in Abwesenheit des weit entfernt wohnenden Arztes den ersten Rat zu erteilen und dann die Pflege des Kranken zu leiten. Manche Nacht verbrachte er an Krankenbetten. Sein Scharfblick, seine praktische Tätigkeit und Ausdauer erzielten manche ärztliche Erfolge. Er heilte selbst einem jungen Mädchen den schwarzen Star. Als 1874 Vater Härter zu Grabe getragen werden sollte, kam eine 70jährige Bäuerin und erzählte, dass sie es sei, welche dem Heimgegangenen das Tageslicht wieder verdankte. Wie viel geistig Blinden hat er, durch Gottes Gnade, später den Star stechen dürfen! Auch bei einem taubstummen Knaben brachte er es mit unendlicher Geduld dahin, dass er nach und nach deutliche Töne hervorbringen und wohl schwach lesen und schreiben erlernen konnte.

Alle diese verschiedenartigen Dienstleistungen, welche er unentgeltlich tat, gewannen ihn auch die feindlichsten Gemüter und die ganze Gemeinde erkannte, dass ihr Pfarrer, dem Beispiel seines Herrn und Heilandes folgend, zu ihnen gekommen war, nicht dass er sich dienen lasse, sondern dass er Allen, Reich und Arm, in herzlicher Liebe diene.

Härter an der Neuen Kirche.

Am 31. Mai 1829 wurde Härter der zahlreich versammelten Neukirch-Gemeinde als ihr nunmehriger Seelsorger vorgestellt und eingesegnet. Seine Antrittspredigt behandelte die Schriftstelle Joh. 15,26.27. Das Konsistorium dieser Kirche hatte ihn ohne sein Wissen und Willen ernannt und die Oberbehörde diese Wahl bestätigt. Härters Wunsch war nie nach einer Stelle in der Stadt, ihn gelüstete nicht nach dem, was man Ansehen in den Augen der Menschen nennen kann, er wollte draußen in seiner Gemeinde, welche er liebte und die ihn auch liebte, ein verborgenes Leben führen in treuer Pflichterfüllung und mit der Sehnsucht, bald mit seiner Gattin wieder vereinigt zu werden. Doch in Gottes Rat war es anders beschlossen. Er musste aus seiner ruhigen Stellung, in welche er eingewöhnt war, hinaus in ein viel bewegtes Leben, in einen Kampf, der für manchen andern verderblich hätte werden können, aber ihm selber und der protestantischen Christenheit Straßburgs und weit über dessen Grenzen hinaus zum Segen ward. Härter betrachtete den Ruf nach Straßburg als eine göttliche Fügung, ohne zu ahnen, welche Wendung derselbe seinem ganzen Leben geben werde. Wohl fürchtete er, wegen einer fortwährenden Heiserkeit der Gemeinde nur eine Last, statt eine Hilfe zu werden, aber auf den Rat treuer Freunde, welche hofften, dass er in der Nähe von ärztlicher Behandlung werde genesen können, hatte er die Stelle angenommen, und als der neue Wirkungskreis ihm geöffnet war, griff er mit der Treue und dem Eifer, welche bisher sein Tun geleitet, zur Arbeit und fühlte sich auch bald in seiner Gesundheit gestärkt und gekräftigt.

Seine ersten Predigten in der Neuen Kirche erwarben ihm bald das allgemeine Zutrauen, und viele Familien begehrten ihn zu ihrem Seelsorger, zum großen Verdruss länger im Amte stehender Kollegen, im Gegensatz zu der stets wachsenden Liebe der Gemeinde. Härter blieb sich gleich, freundlich gegen seine Amtsbrüder, unermüdet in seinem Dienst. Von Sonntag zu Sonntag, sowohl in den Amts- als Abendpredigten, sowie auch in den „Frühgebeten“ und in den Wochenstunden wuchs die Zahl seiner Zuhörer. Es geschah oft, dass eine halbe Stunde vor Öffnung der Kirchtüren hunderte dieselben umstanden und sich dann hineindrängten, aus Furcht, keinen guten Sitzplatz zu finden. Jeder andere junge Pfarrer wäre stolz darüber geworden und hätte diesen Erfolg seiner Beredtsamkeit und Gelehrtheit oder gar seiner Liebenswürdigkeit zugeschrieben, aber nicht so Härter. Während er gesucht und gefeiert wurde, kam er sich selber klein und unbedeutend vor, er fühlte sich unglücklich, und oft nach einer Predigt, welche er nicht ohne tiefen Eindruck auf seine Zuhörer gehalten, überfiel ihn die Furcht, selbst verwerflich zu sein und unvermögend, bei allem guten Willen, Gott zu dienen und die Gemeinde auf den Weg des Heils zu leiten; ihr den Frieden zu predigen, während er selber keinen Frieden hatte. Er fühlte, wie er nachher einsah und auch seinen Freunden bekannte, dass ihm etwas fehlte, nämlich die rechte Freudigkeit in Gott; er war in seinen jungen Jahren lebensmüde, hatte ein Heimweh, das ihn nach oben zog; er wäre gerne am Abend eingeschlafen, um am Morgen nicht mehr für das Leben zu erwachen.

Endlich, nach zehnmonatlichem Gebet nach der wahren Weisheit, deren er so sehr bedurfte, kam er zur Überzeugung, dass in Christo, dem Heiland der Welt, allein Leben und Seligkeit zu finden ist, und diese gottselige Erkenntnis trieb ihn, statt nur das Gesetz, das er bisher mit Vorliebe gepredigt, die frohe Botschaft von dem Herrn Jesu, dem Anfänger und Vollender unseres Glaubens, zu verkünden und in der Liebe des Gesetzes Erfüllung offenbar zu machen.

In seiner Predigt am Trinitatissonntag 1831 sprach Härter vor den Tausenden, die sich unter seine Kanzel versammelt hatten, von dem Kampf, den er in seinem Glaubensleben gegen eigene Gerechtigkeit und gegen Alles, was Welt heißt, geführt hatte. Dieses Bekenntnis war ein nie dagewesenes Ereignis in der Neuen Kirche, es weckte einerseits mehr Anhänglichkeit und Zutrauen zu dem geliebten Lehrer, andererseits Widerspruch, Spott und Feindschaft. Härter aber, in seinem Glauben nur noch fester geworden, fuhr fort, das damals neu auf den Leuchter gestellte Evangelium von dem Sünderheiland zu predigen und zu bezeugen, dass Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.

Härters Predigten.

Härters Predigten, welche hin und wieder im Druck erschienen sind und in manchen Familien als Kleinodien unserer Kirche aufbewahrt werden, sind ein Beweis der Kraft und Eindringlichkeit seines evangelischen Zeugnisses. Es sind unter Andern:
Stephanus (1832), Die Unbekanntschaft mit Jesu (1834), Das Weltgericht (1835), Pharisäer und Zöllner. Das Geheimnis des Grabes (1836), Die richtige Erziehungsweise (1837), Das Vater Unser in seiner Anwendung. Ich und mein Haus (1839). Die Sonntagsfeier (1840), Die Nachfolge Christi (1842). Der Glaube ein Bedürfnis für die Schule. Die enge Pforte (1843). Die Herrlichkeit des Sohnes Gottes. Der gute Rat für Alle, die nach dem ewigen Leben fragen (1844). Der wahre Bekenner Jesu Christi (1846). Die Sammlung des Volkes Gottes (1847). Die Rechtfertigung (1848). Das göttliche Ansehen der Bibel (1852). Beinahe ein Christ. Gesetz und Evangelium (1855). Predigten über die göttliche Gnadenordnung (1865-1869).

Eine größere Sammlung von Härters Predigten wurde vorbereitet, aber die Zeitereignisse der 50er Jahre waren für den Druck und den Verkauf von Predigten, selbst der besten, nicht günstig.

Es ist kaum zu fassen, woher Härter bei einer treuen Seelsorge von 3 bis 4000 Seelen, bei den vielen Krankenbesuchen, Taufen, Vermählungen und Beerdigungen, bei seinen unzähligen Predigten und Gelegenheitsreden, bei den vielen Kommiteesitzungen der verschiedenartigen Werke, Zeit und Kraft nahm, ohne unter der Last der Arbeit zu unterliegen. Die Liebe Christi trieb ihn und in derselben achtete er keine Mühe und Arbeit zu groß, um sich derselben zu entziehen. Er bezeugte immer und immer wieder, dass in Christo nur der Glaube gelte, welcher durch die Liebe tätig ist; dass nur der Baum ein guter zu nennen ist, welcher gute Früchte hervorbringt. Er trennte nicht Glaube, Hoffnung und Liebe, aber die sich hingebende Liebe im Dienste des Herrn, besonders an leiblich und geistlich Armen, hatte in sein Herz unauslöschlich die Frage eingeprägt: „Das tat ich für dich, was tust du für mich?“

Es wäre Härter ein Leichtes gewesen, sich zu einem Parteihaupt zu erheben und einen selbständigen Anhang zu gewinnen; aber er war jeder Parteiung und Sektenwesen fremd und unzugänglich; er diente als ein treuer Knecht Gottes seiner Kirche, um in ihr das Leben in Christo zu wecken und zu erhalten, dahin zielte all sein Wirken; niemals hat er darnach getrachtet, ein Kirchlein in der Kirche zu bilden, wie ihm solches oft von seinen Gegnern vorgeworfen, oder von seinen Anhängern zugemutet wurde.

Härters Predigten waren einfach und klar, ergreifend und überzeugend, sie waren sorgfältig vorbereitet, in einem klaren, das Einzelne umfassenden, in formeller Hinsicht mustergültigen Plan niedergelegt, dem er den bezeichnenden Namen „Wiederholung“ gab, Alles nach richtigem Maß in Form und Gedankengang. Seine Taufreden schmeichelten nicht den betreffenden Familien, sie waren nicht auf Rührung berechnet, z. B. durch Erwägung der Freude, mit welcher die längst verstorbene Elternmutter der heiligen Handlung beiwohnen werde, wie der eine oder der andere Pfarrer zu tun pflegte. Bei Vermählungen deutete er der Versammlung die hohe Wichtigkeit der Ehe für Zeit und Ewigkeit und in seinen Leichenreden machte er die im Sarge Liegenden nicht zu Heiligen neuerer Art. Die Personenfrage war ihm fremd; aber jeder Zuhörer konnte seinen Teil nehmen und das Gesprochene für sich anwenden. Wenn Härter es aber für notwendig erachtete, konnte er auch die Zuchtrute des Gesetzes anwenden und von Gottes Gerechtigkeit reden, welche sich nicht spotten lässt. So erinnert sich Schreiber dieses einer seiner Leichenreden aus den 40er Jahren. Härter war um eine Mitternacht aufgeweckt und zu einem Sterbenden gerufen worden, welcher noch nach einem Pfarrer begehrte. Der Mann war Wirt eines schlechten Hauses, hatte auf dem Schiltigheimer Messtisch an dem Tage herumgetrieben und lag nun vom Schlag getroffen. Härter tat, was seines Amtes war, in Beisein der liederlichen Sippschaft des Hauses. Zwei Tage nachher begleitete er die Leiche zur Kirche, das große Gefolge bestand aus Männern von zweideutigem Aussehen; ein betrunkenes Weib, von einem Trotz Buben gehegt, wollte durch die Reihen durchdringen und stürzte zwischen dem Pfarrer und den Trägern des Sarges zu Boden, ein Militär packte dasselbe und schleuderte es in eine Ecke. Ebenso war die Kirche mit zahlreichem Gesindel angefüllt, welches ohne Achtung im Heiligtum schwatzte und lachte; dabei war ein schreckliches Gewitter aufgestiegen, der Sturm rauschte, dass die Fenster klirrten, der Donner rollte, Blitze erhellten das Dunkel der Kirche und Härter stand wie ein Prediger in der Wüste auf seiner Kanzel und predigte über die Worte: „Hernach aber das Gericht!“ in einer Mark und Bein durchschauernden Weise, dass das Lachen in Zähneklappern überging und alle sich beugen mussten vor dem Herrn, der im Sturme mit ihnen redete.

Eine andere Predigt wäre fast für Härter selber Anlass zu einer Strafe geworden. An einem Fastnachtsonntag am Ende der 40er Jahre, nach einem während der Nacht zuvor abgehaltenen, sogenannten „Armenball“, hatte Härter die Amtpredigt; in derselben besprach er die Vergnügungssucht, die in diesem Jahre der Teuerung und der allgemeinen Not sich besonders breit gemacht und erzählte von einem Handwerksmann, der mit seinem Gesellen bei der Zurüstung im Theatersaale tätig gewesen. Es wurde beiden erlaubt, von einer oberen Loge heraus dem tollen Treiben zuzusehen. „Sieh, sagte der Meister zu seinem Arbeiter, was diese vornehmen Leute sich so viel Mühe geben, sich die Nachtruhe nehmen, wie sie keuchen und schwitzen und sich müde tanzen, sich freiwillig Erkältungen zuziehen und den größten Teil des Sonntags verschlafen, um euch Armen zu helfen und ihr dankt so wenig für das, was sie aus Barmherzigkeit für euch tun.“ – „Barmherzigkeit? erwiderte der Bursche, mit Ingrimm die Faust ballend, solcher Barmherzigkeit möge der Böse danken und sie dafür belohnen!“ Diese Predigt war ein Donnerwort für viele Zuhörer. Als sie aber geendet, das Gebet und der Segen gesprochen und Härter in die Kirchenstube trat, sah er nur drohende Blicke; der Präses des Kirchenrats forderte ihm das Manuskript seiner Predigt ab und zwei Tage nachher stand er vor dem wohllöblichen Kirchenregiment, unter der Anklage, die verschiedenen Stände der Gesellschaft gegen einander aufzuhetzen. Einer der geistlichen Herren ging soweit, anzutragen, dass Härter der weltlichen Obrigkeit solle überantwortet werden als Anstifter zu Zwietracht und Aufruhr. Doch soweit trauten die Herren doch nicht, Härter verteidigte sich und ging mit der gnädigen Ermahnung, ein andermal klüger zu sein, gerechtfertigt nach Hause.

Aber mit diesem Spruch war nicht Jedermann zufrieden; acht Tage später wurde mit selbstzufriedenem Lächeln auf der Neukirchkanzel der Satz aufgestellt: „dass ein Christ die Freuden, welche die Winterszeit ihm darbietet, genießen darf und soll, mur möge er es tun mit heiterem Geist, mit belebenden Geist, mit für die Freude empfänglichen Geist und mit betendem Geist; mit dieser Begleitung möge er ruhig hingehen und mit den Fröhlichen froh sein, dem Reinen ist ja Alles rein.“

Am nämlichen Sonntag, zur gleichen Stunde, stand Abbe Mühe, der berühmte Volksredner, auf der Münsterkanzel und geißelte den „armen Armenball“ und dessen Genossen mit noch viel derberen Peitschenhieben und Niemand wagte es, ihm nur ein Haar zu krümmen!

Härters Familienleben.

Wir haben den verehrten Pfarrer und Seelsorger in seinem Amt an der Neukirchgemeinde gesehen, haben uns von seiner Predigt vom Kreuz und vom Heil in Christo belehren, ermahnen, trösten und wohl auch züchtigen lassen; nun wollen wir ihn auch in seinem Haus besuchen, aus welchem ein heiliger Ernst uns entgegen weht. Seine erste Gattin haben wir kennen gelernt und sind mit dem gebeugten Witwer und seinen zwei zarten mutterlosen Kindern am Ostersonntag 1828 an ihrem Grab gestanden und sind dann mit ihm in die Stadt gezogen. Bei aller Trauer um die Geliebte sah Härter aber bald ein, dass er, seines Amtes wegen, seinen Kindern eine Mutter, sich selber eine Gehilfin und seinem Haus eine Wirtschafterin wieder geben müsse; diese fand er in Friederike Dorothea Rausch, einer Jugendfreundin seiner heimgegangenen Gattin. Den 30. März 1830, zwei Jahre nach jenem Karfreitag, wurde diese Ehe an dem Altar der Neukirche eingesegnet.

Hochzeitsreisen waren damals noch nicht üblich; aus der Kirche ging die junge Frau hinüber in ihre neue Wohnung, ließ sich von den Kindern mit Staunen ansehen, zog sie zu sich, setzte sie auf ihren Schoß, küsste sie und sagte herzlich „ich bin nun eure Mama“. Dem Gatten und den Kindern wurde und blieb sie auch die liebende Gehilfin und Mutter im vollen Sinn des Wortes. Die Erinnerung an die erste Gattin suchte sie nicht aus den Herzen zu verdrängen, sie war ja mit derselben von Kindheit an aufs innigste verbunden gewesen und ihr Streben ging dahin, sie würdig zu ersetzen. Mit warmem Herzen und mit klarem Verständnis übernahm sie ihre Pflichten und übte sie mit Marthasinn und Marienliebe. Als würdige Pfarrfrau besuchte sie die Kranken, sorgte für die Armen, empfing freundlich, in Abwesenheit ihres Mannes, die vielen Besuche, welche in ihren verschiedenartigen Anliegen seelsorgerlichen Trost, Hilfe und guten Rat suchten. Niemand verließ das Haus, ohne wenigstens mit der Einladung wiederzukommen, wenn zu der und der Zeit ihr Gatte zu Hause sein werde.

Wehe tat es ihr in ihrem innersten Herzen, wenn ihr Mann verkannt und verleumdet wurde. „Ich kann Alles ertragen,“ sagte sie oft zu demselben, „nur nicht dass man über dich spottet und dich für einen Verrückten hält.“ – „Meine Liebe, antwortete er ihr dann tröstend, das verstehst du nicht.“ Sie lernte es aber bald verstehen, als auch an ihrem Herzen das Evangelium sich als eine Gottesmacht bewährte und sie stark machte, mit Freudigkeit die Schmach Christi zu tragen und in ihrem ganzen Wesen sich als eine treue Jüngerin zu beweisen.

Sie beteiligte sich eifrig an allen Werken der Barmherzigkeit, welche ihr Gatte gegründet oder an denen er arbeitete. Einen fleißigen Frauen-Arbeitsverein für Arme und für Mission hatte sie in ihrem Haus gegründet; der Mägdeanstalt war sie besonders zugetan. Das Beispiel ihres Gatten, der bei seiner nicht starken Gesundheit sich selbst verleugnete, wo es galt zu wirken, trieb auch sie an, im Dienste des Herrn zu arbeiten, so lange es Tag für sie war.

Das oft wiederkehrende Halsleiden ihres Mannes bereitete ihr manchmal heimlichen Kummer. Dasselbe erschwerte ihm oft das Predigen in der großen ungeheizten Kirche. Obwohl sie ihn zuweilen zurief: „Schone dich“, ließ er sich nur im äußersten Notfall von einem Amtsbruder ersetzen. Zuweilen predigte er sich gesund, doch manchmal kam er auch sehr entkräftet, selbst krank nach Hause; einmal schon unwohl, trotz aller Bitten seiner Gattin, sich nur diesmal vertreten zu lassen, vollzog er dennoch eine Trauung, aber eine heftige Lungenentzündung wurde der Lohn seiner Treue.

Solche Prüfungen erstarkten und läuterten den Glauben der lieben Pfarrfrau. Härter sagte oft: an seiner ersten Gattin habe er das Ideal wahrer Weiblichkeit gehabt, bei der zweiten eine heilige Liebe gefunden, die ihm selber zu großem Segen geworden ist.

Diese Ehe wurde mit drei Kindern gesegnet; einem Söhnlein, das bald nach der Geburt starb, und 2 Mädchen. Aber bald nach der dritten Niederkunft stellte sich bei der Mutter ein Brustleiden ein, welches nach und nach ihre Kräfte aufzehrte. Sie hatte noch die Freude, der Eröffnung des ersten Diakonissenhauses, im Himmelreichgässchen, beiwohnen zu können, aber von da an musste sie ihre Arbeitstreue auf das Haus beschränken; bald fühlte sie sich immer schwächer und schwächer und sah auch mit Zuversicht und ohne sich durch falschen Trost täuschen zu lassen, ihrem Ende entgegen, wusste sie doch, dass sie das Eigentum des Herrn ist, der auch für sie dem Tod die Macht genommen und sie als sein Eigentum zu sich ziehen will aus lauter Liebe.

Am 15. November 1842 sagte sie zu ihrem Gatten: „Gestern hab ich meine Kinder dem Heiland anvertraut, jetzt, heute hab ich auch dich dem Herrn hingegeben, und fühle mich nun völlig frei.“ Zwei liebe Freundinnen wohnten mit dem Gatten dem seligen Sterben bei und als ihr Atem stille stand, da senkte sich über die drei Zeugen ein wunderbarer Gottesfrieden, sie fielen auf die Knie und die sanft Entschlafene dem Herrn empfehlend, konnten sie nur loben und danken.

Härter blieb nun unverehelicht; seine drei Töchter erstarkten nach und nach, um die Leitung des Hauswesens übernehmen zu können. Der Sohn führte inzwischen eine Enkelin des ehrwürdigen Friedrich Legrand aus dem Steintal als neues Glied in die Pfarrfamilie ein; ihre Bescheidenheit verbietet uns, von dem Schatz, den sie mit ihrem frommen, heitern Sinne in das Härtersche Haus zubrachte, zu reden. Die älteste Tochter, Sophie, trat, zur großen Freude ihres Vaters, in das Diakonissenwerk ein und ist auch bis an ihren Heimgang, den 25. Oktober 1869, demselben treu geblieben. Die zweite Tochter, Elise, reichte dem würdigen Pfarrer Max Reichard, damals in Fröschweiler, die Hand und folgte demselben zuerst nach Straßburg, wo er Vikar und Helfer des ermattenden Vaters einige Jahre lang war, und später nach Posen, wo er die Würde eines Konsistorialrats mit Segen bekleidet; die dritte, Marie, blieb als Hausmütterlein bei ihrem Vater und war demselben eine treue Pflegerin bis an sein Ende. Sie selber aber durfte den 22. März 1887 zu ihres Herrn Freude eingehen.

Es war von jeher ein schönes Familienleben im Härterschen Pfarrhaus. Alle Glieder desselben verstanden und liebten sich sehr; das Wohl und die treue Pflege des lieben Vaters war ihre Hauptsorge, welche er ihnen mit großer Liebe entgalt.

Härter selbst führte eine sehr geregelte Lebensweise; jeder Tag war geordnet nach weisem Plan, gleich einem richtigen Uhrwerk. Um halb fünf jeden Morgen stand er, so lange er gesund war, auf. In den zwei ersten Morgenstunden beschäftigte er sich mit Gebet und der Betrachtung des Wortes Gottes, auch wohl mit Predigtplänen. Die Hausandacht sammelte nach 7 Uhr sämtliche Familienglieder zum Lesen der Losung der Brüdergemeine, eines Abschnitts der Bibel, zum Singen einiger Liederverse und zu kurzem Gebete auf den Knien mit Vaterunser und Segensspruch nach einer von Härter herausgegebenen Anleitung zu einer gesegneten Hausandacht, welche heute noch in vielen Familien gehalten wird. Nach dem gemeinschaftlichen Frühstück ging Jedes dann an seine Tagesarbeit. Härter hatte für die Morgenstunden den Unterricht der Konfirmanden und der Konfirmierten, auch Religionsstunden in einem Töchterinstitut. Das einfache Mittagsmahl vereinigte wieder alle um den Vater, der dabei nie Wein, sondern nur frisches Wasser trank. Einladungen zu Tisch hat er nie angenommen. Bei dieser schlichten Diät wurde seine Gesundheit nicht nur erhalten, sondern wunderbar gestärkt. Von ein Uhr an hatte er seine Sprechstunde für Reich und Arm, Vornehm und Gering. Mit ruhigem Ernst hörte er Alles, was gedrückte und bekümmerte Herzen ihm anvertrauten, an, sprach den Schwachen Mut zu, tröstete die Leidtragenden, stützte die Sinkenden, richtete die Gefallenen auf und mit Mühseligen und Beladenen, auch mit reuevollen Sündern, kniete er zum Gebet hin und erflehte von dem Heiland, der gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, den Segen und den Frieden, der höher ist als alle Vernunft.

Nach drei Uhr begannen seine Besuche an Krankenbetten und sonst wo man seines Amtes begehrte; im Diakonissenhaus fehlte er an keinem Tage! nie versäumte er eine Kommiteesitzung; ließ sich sehr selten bei Begleitungen auf den Kirchhof ersetzen. Es waren dieses seine einzigen Gänge in der Stadt; spazieren gehen hat man ihn nie gesehen, auch kümmerte er sich nicht um die Händel der Welt, das Lesen der politischen Zeitungen nahm ihm keine Zeit weg und doch kannte er die Zeichen der Zeit und beurteilte Gottes Wirken in den Begebenheiten nach richtigem Maß. Um 7 Uhr konnte man ihn wieder in seinem Studierzimmer mit Lesen oder Schreiben beschäftigt sehen und um 9 Uhr wurde das Tagewerk des Hauses mit der Abendandacht geschlossen, an welcher Niemand fehlen durfte.

Nur der Sonntag brachte nach mühevoller, oft sehr schweren Woche dem treuen Arbeiter in seinen Abendstunden Ruhe und Ausspannung im Kreise seiner Lieben. Da wurden seine Lieblingslieder mit Harfe oder Klavierbegleitung gesungen, es wurde aus christlichen Zeitschriften gelesen und das Wichtigste der Erlebnisse während der Woche mitgeteilt und besprochen.

So war Härter seiner Familie Kern und Stern, denen, die ihm näher standen, ein leuchtendes Vorbild und als Geistlicher ein Mann nach dem Herzen Gottes.

Härters Wirken und Werke.

Nicht nur durch das gesprochene und geschriebene Wort, sondern eben so sehr durch die Werke der Liebe, welche von dem Glauben Zeugnis geben, wirkte Härter vieles, ja das unglaublichste. Reich ausgefüllt war durch dieselbe sein Tagewerk und von ihm konnte gesagt werden: „An den Früchten sollt ihr sie erkennen“, und das Andere: „Ihre Werke folgen ihnen nach.“

Härters Tatkraft wurde bald nach seiner Verlegung nach Straßburg bekannt und anerkannt. Die Verwaltung der Neuhofanstalt fühlte am ersten, schon im Jahre 1831, seinen hohen Wert im Ordnen bestehender Verhältnisse. Diese Anstalt für arme verlassene Kinder war neun Jahre zuvor gegründet und bis dahin gut geführt worden. Die Leiter derselben waren aber „alt“ geworden, nicht nur an Jahren, sondern auch in ihren Ansichten und so fühlten sie selber, dass zum Wohl der Anstalt jüngere Kräfte müssten angeworben werden; diese fanden sie in Härter und Cuvier. Der letzte wurde zum Vorsitzenden ernannt und blieb es bis 1870. Härter dagegen war nur 8 Jahre lang Mitglied der Verwaltung, bis er einsah, dass dies Werk in neugeordnete Bahnen eingetreten und er bei der ferneren Leitung überflüssig sei. Er blieb aber noch während 10 Jahren Seelsorger der Anstalt, bis auch da andere tüchtige Männer dieses Amt übernahmen.

Härter war wohl nicht der Gründer der Evangelischen Gesellschaft von Straßburg, aber doch einer ihrer ersten Förderer Wir werden derselben einen besonderen Abschnitt widmen. An ihrem Stamm setzten sich nach und nach eine Niederlage christlicher Schriften, Lesesäle für Handwerker zur guten Verwendung ihrer Sonntagabende, eine christliche Leihbibliothek, Kolportage, Reisepredigt, ein Landverein, als fruchtbringende Zweige an, Außerdem betrieb diese Gesellschaft manche andere Werke zeitweise je nach deren Dringlichkeit.

1835 entstand unter Härters Mitwirkung die Straßburger Evangelische Missionsgesellschaft für Paris und Basel mit dem Zweigverein der Freunde Israels, welche beide heute noch in Segen wirken.

Angeregt durch den gesegneten Erfolg dieser 3 Werke, wurden nicht ohne Widerspruch gegen dieselben drei Andere gegründet, dem Neuhof gegenüber, die Blessigstiftung; der Evangelischen Gesellschaft, die Evangelisationsgesellschaft; dem „Kapellen-Missionsverein“, die kirchliche Missionsgesellschaft. Aber diese Gegensätze schadeten sich nicht, jedes dieser sechs Werke bahnte sich die eigene Straße für seine Wirksamkeit, und das, was die Gegengründer anfangs bezweckten, hat sich in gegenseitigen Wetteifer für das Wohl der Kirche und des protestantischen Christenvolkes klar gelegt.

Härter war lange Jahre Mitglied der Verwaltung der Straßburger Bibelgesellschaft und der Privatarmenanstalt. Er sammelte einen Männerverein, der unter seiner Leitung zur Gesellschaft der Armenfreunde anwuchs, welche besonders kranken Familienvätern ihre Unterstützungen zuwendet. Nach dem Vorbild desselben wurde auch ein Frauenverein gegründet, welcher die Pflege armer kranker Frauen sich zur Aufgabe macht.

Diesen folgte das Entstehen einer Mägdeanstalt zur Erziehung guter Dienstboten, ein Magdalenenstift für Gefallene, eine Bewahranstalt für kleine Kinder, deren Mütter ihrem Brot nachgehen müssen; ein Versorgungshaus zur Pflege alter, alleinstehender Personen, eine Besserungsanstalt für junge weibliche Sträflinge, eine Lehranstalt „Zum Guten Hirten“ zum Unterricht von Mädchen und zur Bildung von Lehrerinnen. Diese sechs Anstalten wurden nach und nach mit dem Diakonissenwerke vereinigt.

Alle diese Werke zum Wohle des leidenden Teiles unserer Kirche verdankten teils ihre Gründung, teils ihre Fortführung der Tatkraft Härters und bewahren heute noch sein Andenken im Segen.

Ein größeres Denkmal setzte sich Härter durch die Gründung des Diakonissenwerkes, das eine Zierde unserer elsässischen Evangelischen Kirche ist. Aus seinen älteren Schülerinnen hatte er die tüchtigsten zu einem Jungfrauenverein gesammelt, zur weiteren geistigen Fortbildung; aus diesem Kreise erwuchs der engere Verein der „Dienerinnen“, welche sich dem regelmäßigen Besuche alter, kranker Frauen widmeten und denselben neben leiblicher Unterstützung Gebet und Gottes Wort brachten. Aus diesem Schwesternbunde traten 1842 drei Jungfrauen aus und wurden die Erstlinge der Diakonissen in diesem Werk der Barmherzigkeit.

Wir können hier nicht in die nähere Geschichte der Gründung und der gesegneten Fortentwickelung des Diakonissenwerkes eingehen. Es wurde trotz manchen Einwendungen, trotz manchen enttäuschten Vorhersagungen und mancher Hindernisse, nicht nur lebensfähig geboren, sondern heute, nach Bestehen und Wachsen während fast fünfzig Jahren, ist dasselbe, groß und anerkannt,

Zeuge dessen, was frommer Glaube verbunden mit der göttlichen Liebe, wirken kann. So lange es sein wird, ist Härters Name eng mit ihm verbunden; dessen Wohl war seines Lebens Hauptaufgabe und der Herr hat dasselbe reich gesegnet und wird es auch zum Heile der kommenden Geschlechter in Gnaden bewahren vor allem Übel, das es treffen könnte.

Über diesem vielseitigen Wirken versäumte Härter aber nicht seine Neukirchgemeinde, in welcher die Erziehung der Jugend eine Hauptaufgabe seiner Tätigkeit war. Die Jahrhunderte alte „Kinderlehre“ war fast in Wegfall gekommen, einer seiner Kollegen wollte unter allerlei Einwänden dieselbe ganz abschaffen. Härter nahm die Leitung eines neugeordneten Jugendgottesdienstes in die Hand, bestellte Jungfrauen und Jünglinge zu Gehilfen und Aufseherinnen je einer Abteilung und sammelte bald Hunderte von Kindern zum Segen Vieler. Wer ermisst aber die Fülle des Wohltuns, welche er seiner Gemeinde durch seine Predigten, seine Abendmahlsreden, seine Besuche an Krankenlagern und an Sterbebetten dem Herrn zur Ehre und zum Heile der Seelen als treuer Knecht seines hohen Meisters und als guter Verwalter der himmlischen Gnadengüter austeilen durfte?

Wir wollen nicht mehr über seine Amts- und Vereinstätigkeit berichten; einem Schriftsteller, der nicht gerade zu Härters Freunden zählte, wollen wir das Urteil überlassen. Da Härter, schreibt Wehrhan, von welchem wir im nächsten Artikel noch reden werden, in seiner „Umschau“, wenig für das größere Publikum schriftstellert, sondern ganz seinem Amte und einer allgemeinen christlichen Tätigkeit lebt, so ist sein Ruf in der Ferne schwächer als Vieler, die weit unbedeutender sind; aber man muss in seine Atmosphäre kommen, um zu sehen, in welchem Ansehen er steht.“

Eine andere Beurteilung Härters finden wir im „Lebensbild von Friedr. Theod. Horning, weiland Pfarrer an Jung St.Peter“, wie folgt: „Es war damals, anfangs der dreißiger Jahre, die Zeit eines geistlichen Frühlings ins Land gekommen. Nach dem langen, erstarrenden Winter des herrschenden Rationalismus hatte der Herr durch sein Wort wieder gläubige Männer und entschiedene Zeugen Christi geweckt, die, mit Gaben des Geistes ausgerüstet, durch Mund und Schrift Christum freudig bekannten.“ „Zu Straßburg war Pfarrer Härter in der Neuen Kirche mit warmem Herzen und frischem Mut aufgetreten, und hatte durch seine beredten Glaubenspredigten dem christlichen Leben einen mächtigen Aufschwung gegeben. Aus eigener Herzenserfahrung verkündigte er Den, der unsre Gerechtigkeit ist. Die geräumige alte Dominikanerkirche konnte die Zuhörer kaum aufnehmen. Aus der ganzen Studt strömte die Menge Derer zusammen, die noch ein Ohr für das alte Evangelium hatten; und auch Solche, die bis dahin die Sorge um ihr Seelenheil nicht kannten, wurden angeregt, nach dem Wege des Lebens zu fragen.“

Härters Freunde und Mitarbeiter.

Obgleich Härter nie Anstandsbesuche machte, keine Einladungen annahm und überhaupt sich um die Freundschaft der Welt wenig kümmerte, hatte er doch sehr viele Freunde und Anhänger, welche nicht nur mit Achtung, sondern auch mit großer Liebe an ihm hingen und sich für seine Werke lebhaft interessierten. Solche fand er auch außerhalb Straßburgs, im Oberrhein, in der Schweiz, in Paris, als er die zur Gründung des Diakonissenhauses nötigen Geldmittel sammelte. Er war etwas zaghaft hinausgewandert in eine bis jetzt in dieser Hinsicht ihm unbekannte Welt; bis dahin hatte er für seine Armen und seine ersten Werke nicht großer Summen bedurft, auch keine gefordert, aber nun sollte er solche suchen, doch ihn begleitete der Trost, dass der Herr ihm geben werde zu rechter Stunde zu reden und dass ja dieser Gott, dem Gold und Silber gehören, dem und jenem Begüterten ins Herz geben werde, einem Werke, das die Not, sowohl die leibliche und auch die geistige berührte, zum Erstehen zu helfen. Der Herr gab ihm über Bitten und Erwarten, ließ ihn auch viele Freunde finden, die ihm in späteren Jahren noch zugetan waren. Wohl fand er auch zuweisen verschlossene Türen und Herzen, aber denen empfahl er sich für künftige Gewogenheit und ließ sich dadurch nicht entmutigen.

Er erfreute sich in Paris besonders der warmen Teilnahme der edlen Kronprinzessin Helene, Herzogin von Orleans. Sie empfing ihn mehrmals in ihrer Wohnung, spendete ihm reiche Gaben und gab ihm auch das Versprechen, wenn sie nach Straßburg kommen werde, ihn und das Diakonissenhaus im Himmelreichgässchen zu besuchen. Es sollte dies 1842 von Plombiéres aus, wo sie im Bade weilte, mit ihrem Gatten, geschehen.

Aber der Herr hatte es anders beschlossen. Die Herzogin kam nie mehr nach Straßburg.

Außerdem fand Härter auch im Lager der Katholiken Achtung und Wohlwollen. Der wohlbekannte Abbé Bautain und andere Geistliche hielten hoch von ihm und einer derselben verstieg sich in seiner Begeisterung für ihn so hoch, dass er, den römischen Maßstab anlegend, sagte, wenn Härter einer der Unsern wäre, so würde die Kirche ihn zu einem Heiligen erheben. Härter dagegen war in seinen eigenen Augen ein armer Sünder, der in Christi Blut und Gerechtigkeit sein Heil allein suchte und auch fand.

Zu seinen vielfachen Liebeswerken brauchte er aber Mitarbeiter; solche wusste er auch mit seltener Forschungsgabe mit Gottes Hilfe zu treffen. Wenn er dafür eine männliche oder weibliche Kraft nötig hatte, so suchte er sie und fand sie auch bald. Zeuge davon der schöne Kranz edler, tüchtiger, glaubensstarker Frauen, welchen er um sein Diakonissenwerk wand, die ehrwürdigen aufopfernden Namen, welche in den Verzeichnissen der Verwaltungsmitglieder seiner Gründungen sich finden, die hunderte von Diakonissinnen, welche, nach wohlbestandener Probezeit, in den Dienst der Armen und Kranken sich stellten, davon Viele vor Härter heimgegangen sind. Obwohl er bei Allem die Seele des Ganzen war, so wollte er doch nie auf die Beratungen das Gewicht seiner Erfahrung und seiner anerkannten Einsicht legen, sondern er sagte dabei bescheiden wie er die Sache ansehe und überließ den Beisitzenden die Entscheidung.

Bei der Wahl seiner Mitarbeiter und -arbeiterinnen bekundete er eine klare, gesunde Menschenkenntnis; er stellte die, auf welche er sein Augenmerk lenkte, nicht gleich auf die oberste Stufe, um sie mit der Ehre, dieser oder jener Verwaltung anzugehören, zu locken, er führte sie zuerst hinunter, gab ihnen einfache Arbeit; die, welchen dieses nicht gefiel, zogen sich bald zurück und entschuldigten sich mit Nichtkönnen und Nichtzeithaben; nur die vom Herrn Erkorenen blieben am Tagewerk und achteten nicht die Mühe und die Opfer, welche es begehrte.

So trat Härter einmal vor 46 Jahren in die Stube eines einfachen jungen Bürgers, mit dem er nie gesprochen, dessen Name ihm bloß genannt worden war. Er sprach zuerst von etwas Gleichgültigem, von dem Knaben des Hauses, welcher die Diakonissenschule besuchte, und rückte dann mit der Frage heraus, ob er nicht an der Aufsicht an den von der Evangelischen Gesellschaft gegründeten Lesesälen für Handwerker, sich beteiligen wolle; eine bescheidene, nicht lohnende Arbeit mit Aufopferung der Sonntagabende. Der Befragte nahm sie nicht nur an, sondern treibt sie heute noch und andere wichtigere Arbeiten wurden seitdem hinzugetan und nicht als Last sondern mit Lust getragen bis das Ruhestündlein schlagen wird.

So fand Härter immer die nötige Beihilfe und dass er das richtige getroffen, beweist der Fortgang und die stete Entwicklung aller der Werke mit welchen sein Name verbunden ist und die heute noch in seinem Geiste fortgeführt werden.

Härter und seine Gegner.

Gegner? Konnte dieser Mann solche haben? Fast unglaublich, und dennoch wahr! Härter hatte manche Gegner, in der Nähe mit spitzer Zunge und bösen Reden, in der Ferne mit Schrift und Wort, im Amte mit Drohen, Verwünschungen und Schmähworten. Wie konnte es auch anders sein? Ein Mann, der um eines Hauptes Länge alle andern überragte, konnte nicht ohne Anfechtung sein, wie sehr er auch sich niederhielt und seiner Größe keinen Wert beilegte. Schon 1835 griff ihn ein angeblich wegen seiner Glaubensrichtung entlassener schlesischer Pfarrer, der vorhin genannte Wehrhan, an, der in einer mit Härter verbundenen Familie gastliche Aufnahme gefunden hatte. In seinem Buche, „Die Umschau“, warf er Härter vor, Seligkeit durch gute Werke zu predigen und verwies ihm, dass er in seinem kirchlichen Verhalten nichts weniger als Lutheraner sei, dass er mit vielen Reformierten in freundschaftlichen Verhältnissen stehe und in der Bruderliebe zwischen diesen und den Lutheranern keinen Unterschied mache.

Auch Diemer, der treue Gefängnisprediger, Verfasser der Schriften: „Stimmen eines Lutheraners“, „Zuruf an meine Brüder im feurigen Ofen“, „Aufruf an alle lutherischen Missionsfreunde im Elsass“, in welcher er für Rechtgläubigkeit warm eintrat, schloss sich nicht an Härter an.

Oster, Missionar für Israel in Metz, ergriff die Feder gegen Härter. Und doch hatte letzterer die „Augsburgische Konfession“ mit einer Vorrede über den Wert und das Wesen unserer Bekenntnisschriften mit erläuternden Anmerkungen herausgegeben; wobei Theologen jener Zeit gestanden, dass sie die Konfession vor Erscheinen von Härters Buch kaum dem Namen nach gekannt, geschweige gelesen hätten.

Ein Kollege Härters richtete öfters in seinen Predigten die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf das „Glaubenskissen“, welches Härter den Seelen, um träger Ruhe zu pflegen, unterlege, damit sie dem „Schlaf des Gerechten“ sich sorglos hingeben können.

Diese Angriffe gegen Härters Rechtgläubigkeit hatten sich kaum gelegt, so kamen welche von anderer Seite. Als Härter nach einer Krankheit Ruhe und Erholung in der Schweiz, auf den Rat der Ärzte, suchen musste, kolportierten seine Kollegen mit schlechtverhaltener Schadenfreude, als ein öffentliches Geheimnis, dass Härter geisteskrank sei und wohl nicht mehr die Neukirchkanzel besteigen werde.

Ein anderer Amtsbruder sagte damals dem Schreiber dieses: „ich habe wohl nur ein kleines Auditorium, aber ich verstehe es und es versteht mich. Würde ich darauf aus sein, eine große Versammlung vor mir zu haben, so müsste ich studieren und wieder studieren, um sie zusammen zu halten, und da könnte es mir gehen wie dem Härter, und dafür bedanke ich mich.“ Derselbe sagte zu einer armen Mutter, welche ihm sagte, dass sie ihren ungezogenen Knaben in die Neuhof-Anstalt tun wolle: „dazu würde ich ihr nicht raten, da draußen lernen sie nur beten, der Härter ist ja der Beichtvater der Anstalt.“

Ein anderer Geistlicher sagte zu gleicher Zeit einer andern Mutter, welche ihn um Beihilfe bat, ihr Mädchen in dieselbe Anstalt bringen zu können: „ich werde es nicht tun, da draußen füttert man bloß den Leib, aber die Seele entbehrt das Brot des Lebens in Härters Religionsunterricht.“

Auch Dr. De Valenti, welcher zur Zeit mit allen hervorragenden Geistlichen im Kampfe lag, schrieb der Verwaltung der Neuhofanstalt einen langen Brief, worin er die Ketzereien Härters, welche derselbe sollte gepredigt haben, in langer Reihe aufzählte und die Verwaltung aufforderte, diesem gefährlichen Menschen die Seelsorge der Anstalt abzunehmen. Ein Schüler von De Valentis Evangelisten-Schule, der sich in Straßburg aufhielt, hatte nämlich bei fleißigem Besuche von Härters Predigten hunderte von einzelnen Sägen herausgenommen und seinem Lehrer geschickt. „Gebt mir drei geschriebene Worte eines Mannes, sagte einmal ein Richter, und ich werde ihn verurteilen.“

In religiösen Zeitschriften wurde Härter auch oft angegriffen. Eine französische Gräfin, Frau von Gasparin, sonst eine edle, als Schriftstellerin hochgeschätzte Dame, ging so weit, dass sie in einem vielgelesenen Buch, zur Zeit da Härter den Grund zu seiner Diakonissenanstalt legte und deswegen einen Aufruf nach Frankreich ergehen ließ, ein solches Werk als unevangelisch, ja jesuitisch brandmarkte, auch hin und wieder Glauben fand und dadurch der Diakonissensache, mit welcher man sich auch in Paris beschäftigte, großen Schaden zufügte.

Nach diesen Vorgefechten wurde auch gröberes Geschütz, in Schrift und Wort, sogar von den Kanzeln, gegen Härter aufgefahren; selbst vor das Forum der Pastoralgesellschaft wurde er einmal geladen, unter der Anklage des Separatismus und der Sektiererei, indem er Bibelstunden in der Kapelle der Evangelischen Gesellschaft halte, Jünglings- und Jungfrauen-Vereine gegründet habe und dadurch den Ordnungen der Kirche zuwider handle. Es wurde ihm dabei gedroht, falls er solches nicht unterlassen werde, dass man im Namen sämtlicher Amtsbrüder bei der Behörde auf seine Absetzung antragen werde. Härter staunte ob dieser Anklage und entgegnete mit hohem Ernst: „So mir irgend Jemand von meinen Amtsbrüdern oder aus meiner Gemeinde nachweisen kann, dass meine Tätigkeit in der Evangelischen Gesellschaft mich meine heiligen Amtspflichten versäumen lässt, so will ich gerne, von heute an, dieselbe aufgeben. Weil ich aber weiß, dass solches nicht der Fall ist, so erkläre ich hiermit, dass ich fortfahren werde, auf dem Feld, das mir der Herr angewiesen hat, ihm weiter zu dienen. Nicht ich bin ein Separatist, der ich die Kirche vor Rotten und Ärgernis zu bewahren suche, ob Sie mich auch als einen solchen bezeichnen und anklagen mögen; der Unglaube aber, der die Kirche zerreißt, indem er Christum leugnet und Gottes Wort mit Füßen tritt, er allein ist Schuld an aller Separation, welche der Kirche droht. Beantragen Sie, meine Herren, wenn Sie es wagen, meine Absetzung, ich bin meines Gottes und Seiner Hilfe gewiss. Sie aber mache ich für alle Folgen Ihres Schrittes vor Gottes Richterstuhl und vor der ganzen Gemeinde verantwortlich.“

Nach diesen Worten verließ Härter die Versammlung und keiner der Herren wagte mehr, bei aller Verbissenheit, den Antrag zu stellen, der Klage bei der Oberbehörde Folge zu leisten.

Was die Welt von Härter dachte und sagte, was ersonnen wurde, um ihn auch in seinen redlichsten Bestrebungen zu verdächtigen, was in öffentlichen Blättern, in einem Anschlag an seiner Haustüre und in einem Spottgedicht von einem Amtsbruder in einem vielgelesenen Lokalblatt gegen ihn geschrieben wurde, wollen wir der Vergessenheit überlassen, mehr ist es auch nicht wert.

Manche von Härters Zuhörern sprachen ihre Bemerkungen, so wie sie es verstanden, aus. Die Einen, welche in die Kirche das Irrlichtlein ihrer Vernunft mitbrachten, sagten: „Härter verdummt die Leute.“ Andere, welche die Fackel ihrer Selbstgerechtigkeit hoch hielten, deren Gewissen aber bei einzelnen Predigtsätzen ihnen zuflüsterte: „Du bist der Mann! Dies ist der Weg, den du wandelst; auf dich ist es gemünzt!“ ärgerten sich darüber und äußerten, dass Härter die Leute verdamme! Aber beide Klassen von Hörern kamen doch wiederholt zu seinen Vorträgen, um zu sehen „was wohl Härter auf diesen Text wieder bringen werde?“ Mancher aber, den die Neugierde hergetrieben, ging mit einem Stachel im Herzen heim und merkte gar nicht dass ein Samenkorn mit hineingefallen, das früher oder später aufging und Früchte trug, wenn auch erst in der zwölften Stunde.

Es ist uns leid, den Namen eines glaubensstarken, tatkräftigen Gottesmannes, Hornings, dem unsers Härters nun gegenüberstellen zu müssen. Wanderten doch beide auf dem Wege nach Zion, nur verstand der Jüngere den Älteren erfahreneren nicht, wie es in manchen Verhältnissen des Lebens geht, und nahm nicht die Mahnung des Erzvaters Jakobs an seine Söhne zu Herzen, die wir 1 Mose 45,24 lesen: „Zankt nicht auf dem Wege!“ Es soll ferne von uns sein, zu richten über dies und jenes. Härter, der demütige Knecht, richtete auch nicht, sondern überließ dieses Amt dem Wort, das ihm zu predigen aufgetragen war. Wir wollen uns auch nicht in dogmatische Fragen einlassen, welche Andere erwägen und feststellen mögen. Nur erzählen wollen wir einfach in diesen Blättern, was wir seit bald fünfzig Jahren gesehen, gehört und miterlebt haben und auch beweisen können, im Gegensatz zu manchen Stellen in „Hornings Lebensbild“, dessen wir schon erwähnten, welche, so wie sie geschrieben sind, auf Härter ein falsches Licht werken könnten. Täuschung der Ansichten aus früheren Jahren ist es nicht, welche sich ausspricht; sondern eine ruhige Beurteilung, welche etwaige Täuschung verdrängt, wenn der Schlagbaum, welchen Moses im 90sten Psalm unserm Leben, wenn es hoch kommt, aufgestellt hat, von heut auf morgen niederfallen kann.

Wir lesen im „Lebensbilde“, S. 67, unter Anderm: „Als Pfarrer Härter auch nach Hornings Verheiratung ein gewisses Aufsichtsrecht über die bisher seinem Dienerinnenverein so treu ergebene Pfarrfrau von Grafenstaden beanspruchen wollte, fand sich Horning genötigt, diesem Einfluss entgegenzuwirken.“ Was war dieser vermeintliche Einfluss? Härter war jedem derartigen Einfluss fremd. Die junge Pfarrfrau hatte in Härters Unterricht den Herrn gefunden, hatte auch nach Härters Rat geheiratet und war eine innige treue Seele, sehr geliebt von den eng zusammenhaltenden Schwestern des genannten Jungfrauenvereins, welche auch bei Verheiratung oder Entfernung von Straßburg nicht aufhörten, dem Bund anzugehören und daher in vertraulichem Briefwechsel unter einander blieben. Dies geschah auch da, wie junge Freundinnen gegenseitig zu tun pflegen; die Beteiligten konnten auch wohl Briefe ohne Beihilfe und ohne Ratgeber schreiben. Ein solcher kam an die unrechte Adresse. Horning glaubte nun steif und fest, dass Härter um diesen Briefwechsel wissen müsse, dass er denselben nicht nur gutheiße, sondern auch dabei mithelfe und sich in fremde Angelegenheiten mischen wolle. Obwohl Härter bei der Sache ganz unschuldig war und auch andere Sorgen hatte, als sich um die vertrauten Mitteilungen seiner Schülerinnen und Vereinsschwestern unter sich zu kümmern, benützte Horning doch diese Gelegenheit, um „ein für allemal die Bande, welche seine Gattin an den Straßburger Pietismus fesselten, durchzuschneiden.“ (S. Lebensbild S. 67.)

Von dem an war Härter übel angeschrieben und bald wurde gegen ihn gezeugt (S. 67), dass er in der Rechtfertigungslehre nicht rein geblieben, „dass er von Glaubensgerechtigkeit und Werkgerechtigkeit eine Mischung gemacht, die der Sauerteig wurde, der vielfach die Lehre und Amtstätigkeit dieses begabten Predigers durchsäuerte und ihn zum Unionspietisten machte.“ Andere, durch diese Anklage aufgemuntert, nannten selbst Härter, den lutherischen Papst in Straßburg, dessen Herrschaft aufhören müsse.

Wohl gefiel es Horning, dass fast jeden Sonntag Dutzende von Härterschen Pietisten nach Grafenstaden wanderten, um dem schönen liturgischen Gottesdienste daselbst beizuwohnen. Freude war auch in den Härterschen Kreisen, als im Jahr 1846 Horning nach Straßburg an Jung St-Peter berufen wurde, ja einige derselben hatten durch ihren Einfluss dazu geholfen. Man hoffte, dass eine Kraft nun mit Härter Hand in Hand gehen werde, zum Wohl der Kirche. Aber diese Freude währte nicht lange; es zeigte sich bald, dass die beiden Charaktere nicht zusammenpassten und nicht miteinander gehen konnten. Andere seufzten über den Riss der der gläubigen Kirche, zur Freude der Gegner, drohte; obwohl Horning damals noch „von der Kirche im Allgemeinen (Lebensbild S. 91) sprach“, aber doch schon einen Anhang um sich sammelte, welcher ihn trieb zu dem, wohin er anfange nicht wollte; selbst Viele waren unter diesen, welche ihn aus der Altargemeinschaft mit den Ungläubigen in die Separation leiten wollten und als es ihnen nicht gelang, zu einer eigenen, noch bestehenden, separierten lutherischen Gemeinde sich zusammentaten.

Es gab eben damals, wie heute noch, Leute genug, die bei Erscheinen von etwas Ungewohntem in kirchlicher Hinsicht dasselbe als das Bessere ansehen und sich klettenweise daranhängen, bis wieder etwas anderes sie ab- und anzieht, das ihnen als ein besseres Evangelium erscheint, wobei aber gewöhnlich die Liebe auf die Seite gestellt und Glaubensstolz und Richtgeist, mit Verachtung derer, welche an dem Alten, in seiner Gotteskraft bewährten, bleiben, an deren Stelle treten.

Über diese Bewegungen im gläubigen Lager gibt uns das „Lebensbild,“ (S. 72) Aufschluss. „Wer Hornings zähe, unbeugsame Natur kannte, der wird sich nicht wundern, dass er als seine Aufgabe, die Kirche in ihrem Bekenntnisglanze wieder herzustellen, nicht nur eine ganze Manneskraft, sondern auch alle nötige und ihm möglichen Opfer setzte. Bei der Grundverschiedenheit Härters und Hornings und der Unbiegsamkeit beider Charaktere musste es unvermeidlich zu einer Trennung kommen.“

Unsere Aufmerksamkeit müssen wir nun auf einen Verein christlicher Männer, Geistliche und Laien, richten, welche seit fünfzig Jahren monatlich zusammen kommt zur Betrachtung des Wortes Gottes und zu Mitteilungen, das Reich Christi betreffend. Härter war ein treues Mitglied desselben und selten fehlte er bei den Sitzungen. Horning wünschte diesem Vereine beizutreten und wurde auch am 27 Dez. 1847 als Mitglied desselben aufgenommen. Aber schon nach etlichen Monaten traten die Gegensätze zwischen ihm und Härter und den älteren Mitgliedern an den Tag. Um 27. November 1848 war der Verein, wie gewöhnlich versammelt, auch Härter und Horning wohnten bei. Während drei Stunden wurden Worte der Versöhnung und der Annäherung zu gemeinschaftlichem Wirken zum Wohle der Kirche, welche jenes Revolutionsjahr in ihren Fundamenten erschüttert hatte, gewechselt. Der langen Rede kurzer Sinn war: „Ich habe nichts gegen Br. Härter, er soll nur zu mir kommen!“

Den Schlüssel zu diesem Worte finden wir ebenfalls im mehrerwähnten „Lebensbild“ (S. 67). „Unmöglich konnte Horning bei seiner klaren, unvermischten Rechtfertigungslehre und seiner kirchlichen Erkenntnis mit Härter Hand in Hand, oder besser gesagt, in einer durch die Amtsjahre gebotenen Unterwürfigkeit, gehen. Die Schäden des Straßburger Pietismus mit seinem gewohnten Scharfblick erkennend, ließ er sich nicht, wie andere junge Pfarrer, von Härters gewaltiger Anziehungskraft ergreifen.“ Die Richtigkeit dieser Darstellung wollen wir dahin gestellt sein lassen.

Dieses Wort „zu mir kommen!“ entschied. Jeder der Beiden zog seine Straße. Warum sollte auch Härter den Weg verlassen, auf dem er bisher so segenspendend und von dem Herrn reich gesegnet, zur Ehre Gottes und zum Heile seiner Mitmenschen gewandelt? Er pilgerte weiter dem schönen Ziel zu und der Herr zog mit ihm. Er ließ sich tadeln und er schalt nicht wieder, da er gescholten ward, er drohte nicht, da er litt, sondern stellte es dem anheim, der da recht richtet.

Härter schwieg auf Alles, was gegen ihn gepredigt und geschrieben wurde, er schwieg auch da noch, als von anderer Seite seine Freunde aus den Sitzen seines Konsistoriums durch beeinflusste Volkswahl ausgewiesen wurden, und er allein stand mitten unter manchen Angriffen seiner Kollegen und deren Helfern.

Aber Härter schwieg nicht, als durch den Riss in der gläubigen Kirche aufgemuntert, der Liberalismus mehr und mehr seine Stimme erhob und auch von seiner Kanzel seine Sätze als Wahrheit und als Fortschritt predigte. Er schwieg nicht, als in den fünfziger Jahren der Widerspruch gegen die heiligsten Wahrheiten des Evangeliums des Herrn Jesu und das Wort vom Kreuz sich immer mächtiger erhob und die Vernunft höher stellte als die Offenbarung Gottes.

Härters Predigten wurden stets mehr und mehr das gewaltigste Zeugnis vom Heil in Christo, immer wuchs die Zahl seiner Zuhörer, immer inniger wurde der Freundschaftskreis, welcher sich an den geliebten Lehrer anschloss, zum großen Ärger seiner Gegner, selbst des damaligen Kirchenregiments, welches seine besten Absichten und seine Arbeiten von vorne herein verdächtigte und ihn zum mindesten als einen unbequemen Neuerer und Ruhestörer ansah.

Da galt es für Härter auch in dieser Schule tägliche Selbstverleugnung und Übung in Geduld und festzustehen im Kampf gegen seine vielseitigen Gegner. Das waren seine schwersten Stunden; aber es ward ihm gegeben stille zu halten und als treuer Streiter Christi fest zu bleiben bis an sein Lebensende. „Wenn wir nur treu sind, und der Herr mithilft, was können uns Menschen tun!“ pflegte er bei allen Verdächtigungen zu sagen. Persönlich und namentlich griff er Niemanden an, verteidigte sich auch nicht gegen manche Luftstreiche, die in Wort und Schrift gegen ihn geführt wurden. In seinem Tagebuch finden wir nicht die geringste Klage über das erlittene Unrecht oder Missachtung. Er sprach auch nicht mit Selbstruhm von seiner Arbeit, sondern betrachtete sich nur als den unnützen Knecht, der weniger tue, als er nach des Meisters Gebot tun sollte und wollte am liebsten den Christen und Jüngern Jesu zugerechnet werden, deren Namen wohl in der Heiligen Schrift stehen, von denen aber weiter nichts bekannt worden ist, als dass sie des Herrn Eigentum und seine Nachfolger waren.

Härter und die Evangelische Gesellschaft.

In den Frühlingstagen des Jahres 1834 saßen in Straßburg einige Männer beieinander, die den Herrn Jesum lieb hatten und auch andere dieser Liebe teilhaftig machen wollten, und berieten, auf welche Weise wohl am besten christliches Leben in Straßburg geweckt, gefördert und erhalten werden könnte. Es war Dämmerung in der Kirche geworden, die süßlichen, die Sinne einschläfernden Gesänge Witschels waren verklungen, die Predigten der Natur und der Moral verstummt auf mancher Kanzel; die frohe Botschaft ertönte wieder hier und dort, dass ein Heiland der Welt geboren, durch dessen Menschwerdung das Werk der Erlösung begründet worden und dass die Quelle neu gefunden worden, aus welcher Alle, die dürstet nach Glauben und Gerechtigkeit, Erquickung und Kraft finden sollten. Härters Predigten hatten dazu die Bahn geebnet, und als am 31. Mai desselben Jahres die Männer eine größere Versammlung von Gleichgesinnten vereinigten, wurde der Grund gelegt der Evangelischen Gesellschaft von Straßburg. Das Erstehen, Leben und Wirken derselben ist ein Blatt in der Kirchengeschichte unseres Landes; sie sollte zum Zweck haben, die Belebung des geistlichen und kirchlichen Lebens durch Bibelstunden, Gebetsvereinigungen, Reisepredigt und Verbreitung christlicher Schriften.

Die versammelten Freunde und Gründer der Evangelischen Gesellschaft ernannten ein Komitee und luden Härter, Cuvier, Notar Hickel und noch einige Laien ein, in dasselbe einzutreten; Statuten wurden dann aufgestellt zur Verantwortung ihres Zweckes gegen jede Anfeindung. Ein Vereinssaal wurde von den Brüdern Keck gebaut, und Sonntag, Donnerstag und Samstag jeder Woche füllten sich die Räume mit drei- bis vierhundert Personen, zu Stunden, in welchen sonst kein Gottesdienst gehalten wurde. Die Ermächtigung, solche Vereinigungen zu halten, wurde der Gesellschaft am 31. Mai 1834 von dem Justiz- und Kultusminister erteilt.

Ein Agent der Pariser Evangelischen Gesellschaft, ein mächtiger Redner, Major, hatte zu diesen Versammlungen seine Hilfe angeboten, hatte dann einen Jünglings- und einen Jungfrauenverein gegründet, auch öfters den Lehrstuhl bestiegen; aber da dessen Absicht, eine selbständige freie Gemeinde zu bilden, sich bald ans Licht stellte, zogen sich die beiden theologischen Mitglieder des Komitees, Härter und Cuvier, zurück und mit ihnen manche Freunde, die von einer Separation nichts wissen wollten. Major bildete einen neuen Verein, welcher im Anfang mit ihm gehen wollte und selbst geschehen ließ, dass er in der Kapelle einen Altar aufstellte, Konfirmandenunterricht erteilte, das heilige Abendmahl spendete, einige Kinder taufte, selbst eine Ehe einsegnete, alles im Widerspruch mit den Statuten der Gesellschaft.

Da trat Härter wieder auf den Plan, nicht geblendet von Majors Beredsamkeit und von dessen Schmeichelreden; er sah dass viel fleischliches Treiben dahinter steckte, viel Schaffen in eigener Kraft und zur eignen Ehre.

Härter ließ sich nicht in das Netz des Separatismus fangen. Er trat öffentlich gegen Major auf und bezeichnete dessen Verfahren als ein solches, das auf Zerrüttung aller von Gott geordneten Verhältnisse unserer Kirche zusteure. Major, der sich nicht mehr unterstützt sah, erkannte dass die Gründung einer eigentlichen separierten Gemeinde in Straßburg ihm unmöglich sei, reichte im Dezember 1838 sein Entlassungsbegehren der Pariser Gesellschaft ein und am 3. Februar 1839 hielt er seine Abschiedspredigt über die Schriftstelle: „Was hast du hier zu tun, Elias?“ worin er den Staub seiner Füße über die Stadt ausschüttelte, die ihn verkannt und verstoßen hatte.

Acht Tage darauf hielt Härter auf Einladung des Komitees die Bibelstunde im vollgepfropften Vereinssaal und gab auf Majors Drohrede die evangelische Antwort: „Wisst ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid?“

Nun wurde die Evangelische Gesellschaft als ein Verein für innere Mission neu geordnet; Härter und seine Freunde, Inspektor Becker, Professor Bögner, Professor Cuvier und einige Laien standen derselben vor. Härter erklärte in seinem ersten Vortrag: „Auch ich werde darüber wachen, dass nichts gegen die Kirche, der ich von Herzen angehöre, im Schoß der Gesellschaft unternommen werde. Sämtliche Mitglieder müssen kämpfen wider den Unglauben, wo sie ihn finden; zuerst wider den Unglauben in der eigenen Brust, denn da sind immer noch Regungen genug zu bewachen und zu unterdrücken; dann aber auch wider den Unglauben nach außen. Sie müssen gegen den Irrtum ein ernstes, kräftiges Zeugnis ablegen, die Irrenden aber mit Geduld und Barmherzigkeit tragen.“

An einem der spätern Jahresfeste wurde im Bericht gesagt: „Was ist die Evangelische Gesellschaft? Es ist keine Kirche, keine Gemeinde, auch kein Ersatz oder Surrogat der Kirche und der Gemeinde. Sie ist nicht darauf aus, einen Verein von lauter Gläubigen zu bilden, die sich als eine Art Kirche abgesondert konstituiert, um sich für die Mängel der Kirche schadlos zu halten. Es soll kein Glied der Gesellschaft glauben, durch seine Teilnahme an derselben ein Diplom der Christlichkeit und Rechtgläubigkeit oder gar der Seligkeit zu haben; es soll Niemand wähnen, in den Mauern der Kapelle versammle sich die eigentliche Christenheit Straßburgs und draußen sei das Pöbelvolk, das Heidentum, das Antichristentum, oder was weiß ich was. Nein, es gibt, Gott sei Dank, viel mehr Christen als Mitglieder der Evangelischen Gesellschaft und es sollten viele Glieder dieser letzteren Fleiß anwenden, um rechte Christen zu werden. Was die Evangelische Gesellschaft will, ist gerade das nämliche, was als Christenberuf gilt. Sie rüttelt nicht an kirchlichen Formen und Organisationen, sie will sich auch nicht mit Nebendingen befassen, sondern sie will in christlicher Freiheit und Freimütigkeit, ohne Ruhm und Lohn zum Wohle der Kirche arbeiten, wie jeder einzelne Christ es tun soll, zum Preis unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi.“

Hoffentlich bedarf es keiner weiteren Belege, um über das noch heute bestehende Verhältnis der Evangelischen Gesellschaft zur Kirche Aufschluss zu erhalten. Was sie als ihre Pflicht erkannte, das tat sie nach besten Kräften. Ihre sonntäglichen Bibelstunden, ihre Gebetsvereine wurden fleißig besucht, verschiedene Bücher des Alten und des Neuen Testaments wurden der Reihe nach erklärt, auch eine Zeit lang die Augsburger Konfession in ihren einzelnen Artikeln besprochen; Traktate von Johann Arnd Verfasser des wahren Christentums, eine Sammlung von Hofackers Predigten, später auch eine Reihe von elsässischen Erzählungen von Fräulein Spörlin und von Kindertraktaten, und eine Unzahl von biblischen Betrachtungen von Inspektor Zeller in Beugen wurden herausgegeben; die Traktatsache gedieh immer schöner, die Lesesäle für Handwerker füllten sich je mehr und mehr, die Verbreitung christlicher Schriften durch Kolportage nahm stets zu und zeitweise konnte die Gesellschaft Evangelisten aussenden zur Pflege einzelner Landvereine. Noch auf manchem andern Felde der inneren Mission arbeitete die Evangelische Gesellschaft, ungehindert öfters durch Spott und mancherlei Angriffe der Gegner durch Wort und Schrift. „Bis jetzt haben wir wohl von einem Komitee der Evangelischen Gesellschaft gelesen, aber noch wenige Namen der Mitglieder desselben genannt. Fürchteten etwa dieselben ans Licht zu treten und zogen sie vor, wie einmal ein kirchlicher Inspektor predigte: „ihren trüben Sinn in trübe Winkel einzunisten?“ Keineswegs; deren Namen, welche von Anfang an jedem Jahresberichte beigedruckt wurden, sind heute noch wohlbekannt, ob auch die Meisten im Laufe der Jahre heimgegangen und keinem derselben konnte kirchlicher Sinn und Rechtgläubigkeit abgesprochen werden; sie dürfen wohl und mit Ehren genannt werden. Es sind 21 Laien und 19 Geistliche, welche im Laufe der 54 Jahre des Bestehens der Gesellschaft das Werk leiteten. Zu den ersten gehören: die Kaufleute Roth, Klimrath, Rausch, Walter-Passavant, Rudi, Göhrs; die Ärzte Schure und Thierry-Mieg; die Professoren Berg, Adolph und Gustav Kampmann und Bögner; die Ingenieure Schlösing und Morel-Fatio; die Notare Hickel und Ott; die Brüder Keck, Fabrikant A. Herrenschmidt, Baumeister Stuber und Schreiber dieses, welcher seit bald 50 Jahren an den Werken der Gesellschaft tätig, öfters das „lebendige Protokoll“ derselben genannt wird. Die Namen der 19 Geistlichen, welche seit der Gründung kürzere oder längere Zeit zu dem leitenden Komitee gehörten, hatten und haben heute noch einen guten Klang. Es sind: die Kandidaten Becker, Bartholmes und Matter; die Prediger und Pfarrer Bögner, Cuvier, Härter, Vater und Sohn, Hausmeister, Erhardt, Kreiß, Scheffer, Max Reichard, Löscher, Buhlmann, Fischer, Nied, Stern, Magnus und Horning.

Horning! kaum möglich! Steht doch in dem schon erwähnten „Lebensbilde“ desselben (5, 67), „dass derselbe nicht an den Gottesdiensten der Kapelle (Knoblochgasse) und an der Tätigkeit der von Härter gegründeten Straßburger Evangelischen Gesellschaft, einer Filiale der reformirten Gesellschaft in Paris, sich beteiligte.“

Diesem ganz unrichtigen Satze gegenüber können wir beweisen, dass diese Gesellschaft schon im Anfang des Jahres 1834 gegründet war, am 31. Mai durch den Justiz- und Kult-Minister als solche anerkannt wurde und dass erst nachher, am 3. Juni desselben Jahres, Härter von dem schon in Arbeit stehenden Komitee eingeladen wurde, daran Teil zu nehmen, dass er auch von 1838 bis 1847, da andere Arbeiten seine ganze Kraft in Anspruch nahmen, nicht Mitglied war, sondern nur in die Reihe der Geistlichen, welche Bibelstunden hielten, eintrat, und eine gesegnete Gebetsvereinigung an Wochentagen hielt. Erst 1848, auf das Begehren der Mitglieder der Gesellschaft, trat er wieder in das Komitee ein, wohnte aber seltener den Sitzungen bei, weil andere Wortführer seiner Ansicht nur Gegensätze aufstellten. Zu bemerken ist auch, dass die Evangelische Gesellschaft von Straßburg mit derjenigen von Paris nicht verbunden, noch weniger eine Filiale derselben war, welche ganz andere Zwecke verfolgt.

Das Protokollbuch des Komitee, 1847 von Professor Bögner und 1848 und 1849 von dem neuernannten Sekretär Pfarrer Magnus geschrieben, gibt uns mehr Aufschluss über die damaligen Verhältnisse. Wir finden darin, unterm 6. August 1847: „Bögner berichtet im Namen einiger Geistlichen, worunter Pfarrer Horning, dass dieselben den Wunsch geäußert, unserer Gesellschaft beizutreten unter einigen Bedingungen, die Statuten betreffend. Sie sollte entschiedener als bisher das „Bekenntnis“ betonen und noch bestimmter als „Evangelische Gesellschaft der Kirche Augsburger Konfession Lutherischen Bekenntnisses“ auftreten.

Der Wunsch, mit Allen die auf demselben Grund und Boden stehen gemeinschaftlich zu arbeiten und den gemeinsamen Feind, den Unglauben zu bekämpfen, bewog das Komitee, diesen Wunsch zu berücksichtigen. Nach reiflichem Erwägen wurden die Statuten demgemäß geändert und am 15. Dezember 1847 einer Generalversammlung der Mitglieder der Gesellschaft vorgelegt und von derselben angenommen. Die Änderungen schienen beim ersten Anblick so harmlos und selbstverständlich, dass Niemand die schlimmen Folgen, welche zwischen den Zeilen hätten können gelesen werden, ahnte.

Selbst Härter, der nicht leicht im Irrtum sich fangen ließ oder falschen Hoffnungen sich hingab, schrieb unterm 3. August 1847 in sein Tagebuch: „Mit Erstaunen erfahre ich, wie treu und freundlich der liebe Heiland unsere arme Wirksamkeit unterstützt; unsere kleine Evangelische Gesellschaft ist so zu sagen durch die Künste der Kirchenbehörden und feindlichen Geistlichen auf ein Minimum reduziert worden, dass sie beinahe nichts mehr wirken konnte; nun hat der Herr es dem lieben Pfarrer Magnus ins Herz gegeben, dass er unserer Gesellschaft zum Besten unserer Kirche aufhelfen will, wozu auch Pfarrer Horning die Hand zu bieten scheint, was eigentlich, wie uns gesagt wird, nichts anderes sein wird, als unserer Evangelischen Gesellschaft eine bestimmte kirchliche Form zu geben.“

So geschah es, dass Horning in das Komitee der Evangelischen Gesellschaft als Pfarrer den 29. Dezember 1847 eintrat und Magnus als Sekretär, welcher alle noch vorhandenen Protokolle verfasste und unterzeichnete. Aus denselben entnehmen wir das Folgende: „Wohl erklärte Horning in der ersten Sitzung, dass er nicht an den Gottesdiensten in der Kapelle sich beteiligen werde, aber in den Sitzungen des Komitee hielt er oft, zur Verteidigung irgend eines Satzes, oder nur eines Wortes, Reden, welche das Maß einer gewöhnlichen Predigt überstiegen. Schon in der zweiten Sitzung, am 15. Februar 1848, zeigte es sich, dass keine Einigkeit unter den Mitgliedern war und dass diese Verbindung verschiedenartiger Elemente nur zum Auseinandergehen führen werde. In Folge dieses nahmen Härter und einige andere Mitglieder ihre Entlassung,“ ermüdet von den fruchtlosen, eitlen Streitigkeiten, womit die Sitzungen angefüllt waren.

Als diktatorische Beschlüsse wurde nun aufgestellt und durchgeführt, dass die Kapelle unter strenger Aufsicht des Komitees stehen solle, dass jeder Redner und jeder Vortrag zu kontrollieren, d. h. Gnade vor den Wortführern des Komitee haben müsse, und nichts gegen die in den veränderten Statuten aufgestellten Grundsätze dürfe gesprochen werden, was allerdings sehr dehnbar war, denn wer sollte darüber entscheiden? Zugleich wurde gewünscht, dass diese Vorträge je eher je lieber überflüssig würden.

Die sehr besuchten und gesegneten Gebetsvereine, welche Härter an Wochentagen gehalten und die sonntäglichen Abendstunden wurden fast ein ganzes Jahr lang eingestellt, und als am 11. August 1848 ein Mitglied wünschte, dass monatlich an einem Sonntag-Abend Mitteilungen, das Reich Gottes betreffend, gemacht würden und am 13. Oktober 1848 darauf angetragen wurde, dass wieder Bibelstunden mögen gehalten werden, wurden diese Vorschläge zurückgewiesen. Der Verkauf christlicher Schriften wurde einer scharfen Zensur unterworfen, dagegen die „Straßburger Traktate“, welche Horning in jener Zeit herausgegeben und andere in Inhalt und Ton ähnliche Büchlein, sollten allein zum Verkauf ausgelegt werden. Selbst der Name, welchen von Anfang an die Evangelische Gesellschaft ehrlich getragen, wurde abgeändert, wie solches in der Überschrift des Jahresberichts von 1848: „Evangelische Gesellschaft der Kirche Augsburgischer Konfession zu Straßburg“ und in dem Verzeichnis der Mitglieder des Komitee, unter denen Magnus, Härter und Horning verzeichnet sind, zu lesen ist.

Die oft stundenlangen Besprechungen und diese Beschlüsse, die den Statuten der Gesellschaft sichtlich entgegen arbeiteten, ermatteten die noch übrigen Mitglieder des Komitee, welche den Antragstellenden nicht gewachsen waren; aber sie hatten lange nicht den Mut dagegen aufzutreten, obgleich sie sehen konnten, dass es an das Leben und die Existenz der Evangelischen Gesellschaft ging – dadurch dass die Gelder der Gesellschaft nicht mehr für Werke in Straßburg und im Elsass, sondern für Algier, Paris und andere auswärtige streng lutherische Werke und Missionen sollten verwendet und dadurch der Lebensfaden der Evangelischen Gesellschaft abgeschnitten werden. Ein solches Begehren, verbunden mit einer scharfen Diskussion über eine noch schärfer und deutlicher sich aussprechende Benennung der Gesellschaft hatte in der Sitzung vom 16. Februar 1849 die Wirkung, dass die beiden Meinungen darüber heftig verteidigt wurden und die Glieder in Folge davon noch weiter auseinander gingen.

Es fehlen uns von da an drei Protokolle der Sitzungen, in welchen ein mächtiger Wille die übrigen Mitglieder kaum zum Worte kommen ließ. Wahrscheinlich war in denselben das Todesurteil der Gesellschaft ausgesprochen.

Die Mitglieder, die nach den früheren Statuten auch ein Wort zu sagen hatten, aber von allen diesen Streitigkeiten keinen Segen sahen, wurden endlich nach 18 Monaten der Sache müde und Einige richteten an das Komitee das Begehren nach einer allgemeinen Versammlung, welche ihnen nicht verweigert werden durfte. Dieselbe wurde eingerufen. Manche verletzende Worte wurden gewechselt, zuletzt aber wurde fast einstimmig begehrt: Rückkehr zu den früheren Statuten, Wiedereröffnung der Kapelle wie zuvor, neue Belebung der Werke, welche bisher betrieben wurden und ein anderes Komitee. Dieser Forderung musste entsprochen werden, eher hätte die Gesellschaft sich aufgelöst. Es war eine peinliche Verhandlung. Während derselben, den Ausgang vorhersehend, verließen einige Glieder den Saal und schüttelten, wie 11 Jahre früher, es Major getan, den Staub von den Füßen.

Eine provisorische Verwaltung wurde nun ernannt und der zerrüttete Geschäftsgang neu geordnet. Jeder Zweig der Tätigkeit erhielt eine besondere Kommission, während ein Hauptkomitee die Leitung des ganzen Werks übernehmen sollte. Am Jahresfeste 1851 konnte die neue Verwaltung die erste Rechenschaft zur Zufriedenheit der Mitglieder ablegen. Härter trat erst 1853, auf die dringende Bitte der Freunde, wieder in das Komitee ein, welchem er auch, so lange ihm zu wirken erlaubt war, treu blieb.

Die Evangelische Gesellschaft war nun von einer gefährlichen Krankheit genesen, welche sie dem Sterben nahe brachte. Wohl kam sie jetzt in das schwarze Buch, in welchem sie heute noch, nach 40 Jahren, über angeschrieben ist. Das Vokabularium von ungewohnten, nicht wohlwollenden Worten wurde seitdem in neuer vermehrter Auflage öfters geöffnet, ein Schlagwort wurde selbst in einem Kalender auf wenigen Seiten über sechzig Mal, mit Adresse an die Gesellschaft und deren Freunde angewendet. Auch das Gesangbüchlein von „hundert Liedern“, welches in der Kapelle vor Erscheinen des „Gesangbuchs für Lutherische Christen“ im Gebrauch war, in welcher Sammlung 80 Lieder in jedem Worte unverändert sich finden und die übrigen zwanzig nicht minderwertig sind, wurde als „Zwergbäumlein“ verunglimpft. Aber die Gesellschaft nahm sich dieses Gebaren nicht groß zu Herzen; sie ließ ohne Widerrede geschehen, dass ein Pranger aufgestellt wurde, an welchem ihre besten und treusten Freunde, Härter, Cuvier, Kreiß und Andere, namentlich als Irrlehrer ausgestellt waren, und noch heute zuweilen, als ein Gericht über die Toten, verurteilt werden. Die Gesellschaft schwieg und schweigt noch; sie lässt sich schelten und schilt nicht wieder und wird, wie männiglich bekannt, noch immer so, nicht so genannt.

Härters Lebensabend.

Die Glocken des Jahres 1866 läuteten denselben ein und riefen Härter zur Ruhe. Bis dahin war er als rüstiger Kämpfer auf seiner Neu-Kirch-Kanzel gestanden, mit ungeschwächter Geisteskraft; war seinen Anstalten ein treuer Hort gewesen und seiner Gemeinde der Seelsorger nach dem Herzen Gottes. Plötzlich mahnte ihn ein leichter Schlaganfall an die Feierstunde, deren. Ruhe er wohlverdient hatte. Erleichterung in der Arbeit ward ihm durch die Liebe treuer Freunde, welche dafür sorgten, dass ihm in seinem Tochtermann, Max Reichard, bis dahin Pfarrer in Fröschweiler, eine kräftige Hilfe gegeben wurde, welche ihm die Last des Amtes abnehmen konnte, dabei aber noch je nach seinen Kräften zu wirken erlaubte. Das Seelsorger-Amt des Diakonissenhauses übergab er seinem Sohn, die Gemeinde hatte dabei den Vorteil, dass junge Kräfte an ihr arbeiteten, während der Vater mit seinem Rat und seinen Gebeten mithalf, auch noch öfters mit Kraft predigen konnte. Die Angriffe seiner Gegner hatten meist aufgehört, das fortwährende Zeugnis vom Heil in Christo und von dem Einen, das Not tut, hatten ihm die allgemeine Anerkennung, auch die fast aller seiner Amtsbrüder in Straßburg erworben, und er durfte mit Ruhe sein Tagewerk überschauen, wusste er doch, dass dasselbe in treue Hände gelegt war.

Wir wollen den teuren Freund noch nach Anleitung seines Tagebuchs weiter begleiten und einige Bruchstücke aus demselben mitteilen.

Dem 1866 beginnenden Lebensabschnitt setzte er zur Überschrift: Geschichte des Endes eines nach Zion eilenden Pilgers.“

30. Juli 1866. Mit einem Herzen voll Wehmut und Dank beginne ich diese Blätter; voll Wehmut über meine vielfachen Untreuen und Sünden, voll Dank für die freie Gnade, die mir widerfahren und die mich aus der Sünde gezogen und in ewiger Liebe sich meiner erbarmt hat.“

31. Juli 1866. Heute ist der Abend vor meinem Geburtstag, da trete ich mein 70stes Jahr an; welch eine lange Gnadenzeit! Vergebens wünschte ich, sie besser angewendet zu haben. Mein einziger Trost ist, dass ich einen Heiland habe, der mir seine Gerechtigkeit schenkt. Auch ich bin Sein Schmerzenslohn, auf ewig Sein!“

1. August 1866. „Es ist heute ein schauerlicher Morgen, Sturm und Regen. Ich meine, dass ich nie je einen solchen Geburtstag erlebt habe, so trüb und düster. Doch wenn die Erde sich mit Tränen umhüllt, wird der Aufblick nach Oben desto heiterer und ich kann mitten in den Sturmesschauern rufen: „Lobe den Herrn, meine Seele!““

10. Aug. 1866 (nach dem Tod einer Diakonissin). „Ich fühle, dass ein Heiliger Geist not tut, um kräftiger das Werk des Herrn zu leiten und es vor Schaden zu bewahren. Gib, o Herr, mir diesen Ernst der reinen Liebe und lass Deinen Segen auf allen Schwestern ruhen, dass sie nicht sich selbst suchen, sondern Deinen Ruhm allein mit demutsvoller Treue; gleich der seligen Ch.“

14. Aug. 1866. „Es ist mir ziemlich wohl, doch bin ich meiner Sprache noch nicht ganz mächtig. O Herr, wenn Du mich ganz herstellst, so gib, dass ich nur Dir die Ehre gebe und von Allem abscheide, was Deinen heiligen Geist betrübt. Stärke mich zur willigen Entsagung und zum heiligen Leben in Deiner Nachfolge, kraft Deiner Barmherzigkeit!“

15. Sept. 1866. „Ich habe gepredigt, konnte kräftig sprechen, doch sind meine Gedanken noch nicht ganz in meiner Gewalt. Herrsche Du durch Deinen heiligen Geist, o Jesu, dann hat es keine Not, und ich werde Dein treuer Zeuge bleiben.“

26. Sept. 1866. „Meine Vakanz ist geendet, die Gnade Gottes hat sie möglich gemacht; ich habe sie nicht in allen Stücken benützt, wie ich sollte. Herr, vergib mir und tilge meine Sünden alle. Doch das hast Du ja getan täglich und ich darf froh mein Haupt erheben, denn mein Heiland ist mein Richter und mein Bruder. O wohl mir, dass ich Dich kenne und sagen darf: ich bin Dein! Wunderbar tröstet mich mein Immanuel und zeigt mir den offenen Himmel, da ist auch für mich ein Plätzchen bereitet und ich komme dem Himmel immer näher. Bald bin ich am Ziel und sinke als ein armes gerettetes Gnadenkind Dir zu Füßen. Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Jesus Christus, gestern und heute und derselbe in Ewigkeit!“

7. Mai 1868. „Ich brauche nicht zu sorgen, der Herr wird Alles wohl machen und zum seligen Ende hinausführen. gibt mir die innigste Versicherung, dass Er gerade zur rechten Zeit und auf die rechte Weise mein Ende herbeiführen werde. Will Er mich noch länger hienieden lassen, so hab ich nur einen Wunsch, dass jede Stunde meines noch übrigen Erdenlebens mit Freuden Seinem Dienste gewidmet sei. Das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist!“

1. Aug. 1868. Mein 71ster Geburtstag. Ich schaue mit Beschämung auf eine lange Reihe von Gnadenführungen, wodurch der Herr mir eine große Liebesschuld aufgelegt hat, die mich niederbeugt und mich ausrufen macht: „Herr, ich bin zu geringe aller Barmherzigkeit und aller Treue, die Du an Deinem Knechte getan hast!“

21. Sept. 1868. „Seit vier Wochen bin ich hier (in Ottersweier), um mich auf den Winter zu stärken. Unaussprechlich ist Gottes Güte und eine Freundlichkeit, die über alle Begriffe geht, tut Er an mir unwürdigen Knecht. Herr! nimm mich ganz mir und gib mich ganz zu eigen Dir, mit meinen Kindern und Kindeskindern.“

14. Okt. 1868. Heute früh ist mein alter Freund Franz Herrenschmidt sanft in dem Herrn entschlafen. Er hatte am 5. dieses Monats seinen 79sten Geburtstag. Wie ist mir so heimwehartig ums Herz! 0 komm, Herr Jesu, und hole Deinen alternden Knecht auch heim, denn mir wird bange zu wohnen in der Fremde. Rette meine Seele, Du treuer Heiland, und nimm mich bald auf zu Dir.“

18. Okt. 1869. „Heimgang meiner teuren Tochter Sophie. Sie war 45 Jahre und 3 Monate alt. Wie sanft ruht sie nun in ihres Heilands Schoß! Jetzt sind ihre Leiden überstanden und ein himmlischer Friede erquickt ihre begnadigte Seele; sie war ein treues, demütiges Gotteskind im Prüfungsleben. Herr! führe mich auch bald ins selige Heimatland!“

Härter in den Schreckenstagen von 1870.

Wir schlagen nochmals Härters Tagebuch auf, durchblättern dasselbe mit Wehmut und versetzen uns ganz in jene Zeiten, wo Härters Hand es beschrieben. Wir gedenken auch noch mit Rührung der Predigt, welche er am 40sten Jahrestag seiner Einführung in die Neue Kirche gehalten, über seinen Wahlspruch: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe in Ewigkeit,“ als ein Zeugnis an seine Gemeinde, dass er von diesem Herrn, hochgelobt in Ewigkeit, der sein Licht, sein Leben und seine Liebe geworden, wunderbar geführt worden, bis auf jenen Tag. Wohl waren wunderbar die Wege während der vierzig Jahre, welche Härter durchwandert; von dem einfachen, anspruchslosen, sterbensfreudigen Dorfpfarrer, bei dessen Eintritt in die Gemeinde Niemand ahnte, wozu der Herr ihn in die Stadt berufen und was er ausrichten sollte, nicht nur für die Neue, sondern auch für die ganze elsässische Kirche, dadurch dass viele junge angehende Geistliche sich an ihn anschlossen und an seinem Beispiel lernten, was das Amt eines wahren Jüngers Jesu ist.

Härters Lebensabend wurde aber noch mit unheilvollen, düsteren Wolken überzogen, welche in ihrem Ausbruch ihn leiblich zu verderben drohten. Wir öffnen hierüber sein Tagebuch.

1. Aug. 1870. „Ich bin nun 73 Jahre alt; eine merkwürdige Zeit ist für unser Land gekommen, es ist Krieg!“

Vom 12. Aug. an finden wir nun Tag für Tag das Merkwürdigste der Leidensgeschichte Straßburgs aufgezeichnet. An diesem Tage schrieb er noch: „Ich habe die stille Zuversicht, dass der gnadenreiche Heiland uns behüten werde vor aller Gefahr.“

Am 13. Aug. aber schon: „Gott erbarme dich unser!“

16. Aug. „Schönes Wetter von Oben; es blieb ruhig die Nacht. Dem Herrn sei Dank, dass Er unsere Gebete erhört hat und nicht mit uns handelt nach unserer Sünde.“

17. Aug. Komm uns bald zu Hilfe, treuer Gott. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der unser Aller Heiland ist. Segne und behüte unsere arme Stadt, Herr Jesu!“

19. Aug. „Herr Gott, barmherzig und gnädig, heiße die Kriegführenden aufhören und führe bald einen wahren Frieden herbei, der Dein armes Volk tröste.“

23. Aug. „Der feierliche Augenblick ist gekommen!“ sagt ein Anschlagzettel; wir aber sagen: „Harre des Herrn, sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!“

25. Aug. „Ach, welch entsetzliche Nacht! Gestern Abend um 8 Uhr flogen die Kugeln über unsere Häupter, eine der ersten zündete unter dem Dache der Stadtbibliothek, diese brannte ganz nieder; das Feuer ergriff auch die Neue Kirche, welche um 10 Uhr in vollen Flammen stand. Sie sank ein; die Bibliothek ist nun ein Schutthaufen, die Kirche eine Ruine. Es war eine furchtbare Hitze; von allen Seiten regnete auf uns das Feuer; wir konnten demselben nur dadurch wehren, dass wir die Fenster und die Läden immerfort begossen, auf das Dach schütteten wir Ströme von Wasser. Meine Tochter Marie und Anna mit ihren Kindern waren im Archivgewölbe verborgen.“

Mit Tagesanbruch ging Schreiber dieses über noch brennendes Holzwerk in das liebe Pfarrhaus. Härter saß wie gebrochen und starrte laut- und klagelos auf die Ruinen ihm gegenüber. Die Hände waren gefaltet, er betete; das einzige Wort, das geredet wurde, klang wie: „Eine Mauer um uns baue!

26. Aug. „Als es Tag wurde, welch ein Anblick bot sich uns dar! Überall Ruinen. Ich konnte nur auf großem Umwege zu Inspektor Ungerer kommen. Ich lud ihn ein, mit mir zu Präses Braun zu gehen, ihn zu bitten, er möge sich für unsere arme Stadt beim General v. Werder verwenden; er erklärte, dass er dieses allein nicht tun könne, der Bischof und der Oberrabbiner müssten mitgehen. Endlich wurde ausgemacht, Inspektor Bruch würde allein zum Bischof gehen, mit der Frage, ob er mit Präses Braun wolle den General um Schonung bitten. Bald darauf traf ich Herrn Bruch, der mit Dankestränen in den Augen mir mitteilte: der Bischof wolle allein ins Lager sich begeben. Gott! lenke diesen Gang zum Heile unserer Stadt.“

27. Aug. „Ach, wird Gott nicht die Herzen der Behörden lenken, dass sie die Stadt übergeben und wir vor fernerer Zerstörung bewahrt bleiben? Herr, der Du die Herzen lenkst wie Wasserbäche, hilf uns und erweise Deine Wunderkraft zu unserem Besten. Erhör uns, Vater, im Namen unsers Herrn Jesu Christi!“

1. Sept. „O Jesu, mach ein Ende und führ uns aus dem Streit, wir heben Herz und Hände nach der Erlösungszeit!“

5. Sept. (Nachdem eine Kugel in das Versorgungshaus, ohne zu zerplatzen, gefahren.) „Herr, wir liegen vor Dir mit unseren Gebeten, nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit. O gib, dass wir diese Barmherzigkeit rühmen dürfen, indem Du uns bald zu Hilfe kommst, Gnadenreicher!“

So stand Härter bis zum Ende der Belagerung betend vor dem Herrn und erhob hohepriesterlich seine Hände nicht allein für sich und seine Lieben alle, sondern auch für die schwer heimgesuchte Vaterstadt. Während der ganzen Zeit wollte er nicht, wie er dazu eingeladen wurde, die Stadt verlassen und eine Zuflucht in der Schweiz suchen. Er hielt sich einige Tage in den Kellerräumen des Gymnasiums auf, wo auch seine Kinder weilten, dann zog er in das Diakonissenhaus, wo ihm die treuen Schwestern ein Ruheplätzchen bereiteten und den durch das Erlebte aufgeregten Mann mit aller Liebe pflegten. Aber jeden Tag, trotz des oft dichten Kugelregens, ging er seinem Amt nach, er machte jeden Morgen einen Rundgang durch die Diakonissengebäude, davon einige schwer getroffen wurden. Während eines solchen Ganges flog eine Kugel in sein eigenes Zimmer und ein Splitter derselben wurde auf dem Kissen gefunden, auf dem er einige Stunden vorher geruht hatte. Er besuchte die Ruinen seiner lieben Kirche, sein übel zugerichtetes Pfarrhaus und die Kapelle der Evangelischen Gesellschaft, wo jeden Tag um 2 Uhr eine Betstunde von einigen Geistlichen der Stadt, vom 2. September bis zum Ende der Belagerung gehalten wurde, während oft Kugelsplitter auf das Dach fielen.

25. Sept. „Ach, wird keine Sabbatstille? Herr Zebaoth, tröste uns, lass dein Antlitz leuchten, so genesen wir. Heile Du. uns, so werden wir heil, hilf Du uns, so ist uns geholfen!“

27. Sept. „Ich schlief ruhig bis Mitternacht, dann erwachte ich und bekam in mir die Aufforderung, heute Morgen allein zu General Urich zu gehen, mit der Versicherung des Herrn, dass er mich mit geneigtem Ohr anhören werde, wenn ich ihm von der Übergabe der Stadt, von deren nahen Erstürmung und der Plünderung spreche. Ich soll ihn fragen, für wen er denn die Stadt erhalten wolle. Sei mit mir, o Jesu, und in meiner Schwachheit mächtig. Um 10 Uhr begab ich mich mit bangem Herzen zum General Urich, er war nicht zu Haus; um halb 11 kam er; ich sagte ihm Alles was mir der Herr ins Herz gegeben; er war recht artig gegen mich, und antwortete mir: „Ich werde mein Möglichstes tun.“ „Um 12 Uhr ging ich zu Herrn Küss, unserm Maire, und fragte ihn, was denn der Munizipalrat zu der Lage der Dinge in Straßburg sage, und stellte ihm die Folgen eines längeren Widerstandes vor. Er sagte: Wir sind 45 Räte, 44 derselben haben eine Petition an den General unterschrieben und ihm vor 8 Tagen dieselbe eingehändigt. Der General kam selber in die Sitzung, wir legten ihm alle Gründe vor, die die Kapitulation motivierten, er erwiderte immer, dass die Militärgesetze es ihm unmöglich machten.“ So ging ich auch von ihm trostlos fort, ich war sehr niedergeschlagen. Nachmittags, um 2 Uhr, wohnte ich der Andacht im Dratoire bei. Von da ging ich ins Seminar in die Ambulance, dann nach Haus, wo verschiedene Hilfsbedürftige meiner warteten; halb vier ins Versorgungshaus, wo die Schwestern jammerten und mich baten, mich zu legen.“

27. Sept. „Abends 7 Uhr. Man meldet mir, dass die Stadt übergeben sei. Ich danke dem Herrn, der mein schwaches Flehen erhört hat.“

28. Sept. „Um 2 Uhr hielt ich im Oratoire der Ev. Gesellschaft die Andacht über Psalm 31, 1-9 mit dem Lied: „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Wir haben nun die Betstunde um 2 Uhr eingestellt und die Abendbetstunde am Freitag, um 8 Uhr, wieder angekündigt. Überall begegnet man heitern Gesichtern und man fühlt, dass eine schwere Last von allen Herzen genommen ist. – Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was Er dir Gutes getan hat.“

30. Sept. „Die Leidenszeit geht durch des Heilands Gnade nun zu Ende; ich hatte eine gute Nacht und erwachte neugestärkt mit einem Herzen voll Dank. Um 11 Uhr waren wir eingeladen, in Kirchenrock in der Thomaskirche uns zu versammeln; wir waren nur zu 6 Pfarrer, Hr. Baum an der Spitze führte das Wort, redete den General v. Werder an, indem er ihm die Bürgerschaft und besonders die alten Anstalten Straßburgs ans Herz legte. Der General antwortete energisch, doch mit Wohlwollen, er versprach alle Schonung für die Stadt und wünschte, dass die Wunden, die er habe wider Willen ihr schlagen müssen, ausgeheilt würden. Pastor Emil Frommel leitete den Gottesdienst. Ich ging tiefgerührt aus der Kirche.“

27. Oktober. „Gestern Abend von 6-9 Uhr ein fürchterlicher Sturm mit Blitz ohne Donner. Er vollendete die Zerstörung der Ruinen der Neuen Kirche, indem er den noch stehenden Giebel zur Hälfte in die Kirche warf, das noch Übrige des Gewölbes zusammenschlug, die hintere Reihe der Säulen umstürzte und nichts übrig ließ als die äußern Mauern. Ich nahm Abschied von dem letzten Reste meiner Kirche. Droben in der Heimat hab ich einen unvergänglichen Bau. Amen!“

Härters Heimgang.

In den schwersten Tagen der Belagerung schrieb Härter im Diakonissenhaus noch ein liebliches Lied nieder, mit der Überschrift:

Der Zug nach oben.

Heimat meiner Liebe,
Ziel der heilgen Triebe,
Ort der sel’gen Ruh,
Wo mein Jesus weilet,
Friedenstadt, es eilet
Dir mein Sehnen zu!

Herr, wie lang
Werd‘ ich noch bang
an die Erdennot gebunden
Zählen Tag und Stunden?

Zwar sollt‘ ich nicht zählen,
Sollte mich nicht quälen,
Denn die Zeit entflieht;
Und ich kann mit Freuden
Sehn wie durch das Leiden
Mich mein Jesus zieht.

Näher stets
Zur Heimat geht’s; –
Folg‘ ich nur dem Liebeszuge
Auch im Liebesfluge!

Doch ich geh so träge
Auf dem Lebenswege
Meinem Jesu nach,
Dankend halb, halb zagend,
Nach dem Ausgang fragend
Und mit manchen Ach!

O, wie schwer
Ward mir’s bisher
Ganz mir selber abzusagen
Und mein Kreuz zu tragen!

Lehr‘ mich stiller gehen,
Treuer auf dich sehen,
Den ich oft betrübt!
Jesu, voll Erbarmen
Hast du ja mich Armen
Je und je geliebt!

Lauter Güt
Ist’s die mich zieht
Hin zum Ziel der heil’gen Triebe,
Zu dir, meine Liebe!

Das war Härters Schwanensang, der noch während der Schreckenstage erklungen. Als diese Tage vorüber, waren seine Kräfte gebrochen, er konnte nur noch ein paar Male die Kanzel besteigen und seiner Gemeinde das verkünden, was das Glück seines Lebens und sein Trost Angesichts des Todes war. Von 1872 an war er seinem Erdendasein nach halb gestorben, er hatte sichtbar abgenommen, man sah, dass er dem Ziel seines vielbewegten, segensreichen Lebens nahegekommen war. Einige Wochen vor dem Jubiläumstag seiner 50jährigen Amtsführung lähmte ein Schlaganfall sein Gedächtnis, hinderte ihn an jeder ferneren Wirksamkeit und führte ihn in die Stille. Wohl besuchte er noch ab und zu sein liebes Diakonissenhaus, auch die Bibelstunden der Kapelle. Den 25. Nov. 1872 wohnte er noch dem christlichen Männerverein, dessen wir schon erwähnten, bei, ließ am 27. Januar 1873 seine Abwesenheit entschuldigen und schickte am 17. Nov. des Jahres seinen herzlichen Brudergruß. Anderthalb Jahre belastete ihn noch große Leibes- und Geistesschwachheit. Wohl nicht vor den Menschen, sondern vor Gott, lebte er still im Kämmerlein, gepflegt von der treusten Kindesliebe. Kaum achtete er, was um ihm her vorging, die lange Reihe der durchlebten Jahre zog wie in Schattenbildern an seinem Geist vorüber; die Gegenwart war vor ihm mit einem Schleier bedeckt, den er erst lüften durfte, wenn der Todesengel ihm die Hand reichte. Aber die Gedanken an die Gnade und die Barmherzigkeit seines Heilands erfüllten ihn fort und fort. Seine Rede, welcher früher Tausende andächtig zugehört, ergriffen von der Beredsamkeit seines Mundes, hatte nur noch einzelne Sprüchlein der Heiligen Schrift und kurze Gebete. Seine Gedanken irrten unstet umher, die an den Wänden seines Zimmers hängenden Bilder, Pfänder der Erinnerung an nahe und ferne Freunde, schaute er nur flüchtig an, selbst an seine Anstalten und Werke schien er nicht mehr zu denken; aber man merkte seinen Lippen an, dass er meist wohl nur in Seufzern betete zu seinem Herrn und Heiland, dessen Barmherzigkeit und Versöhnungsgnade die Schrecken des Todes bei ihm weit überwogen. Sein letztes verständliches Wort sprach er am Sonntag vor seinem Scheiden, da ihm der Spruch Psalm 73,26 zugerufen wurde: „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil!“ Da wiederholte er deutlich die Schlussworte: „Mein Teil!“

Am Mittwoch, den 5. August 1874, am 4ten Tage seines 78sten Lebensalters, entschlummerte er sanft und friedlich, umgeben von seinen Kindern und Enkeln. Sein Lieblingslied: Es ist noch eine Ruh vorhanden, schien ihm noch verständlich zu sein, weniger das Lied: Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh? In der Mitte der 3. Strophe:

Wie selig die Ruhe bei Jesu im Licht,
Tod, Sünden und Schmerzen, die kennt man dort nicht.
Das Rauschen der Harfen, der liebliche Klang
Bewillkommt die Seele mit süßem Gesang.
Ruh‘, Ruh‘, Ruh‘, himmlische Ruh,
Im Schoße des Mittlers, ich eile dir zu!

stand sein Puls stille.

Mit Blitzeseile durchflog die Trauerkunde die Stadt und ergoss sich in die Ferne; die Freunde klagten, die Gegner verstummten „ein Großer in Israel war gestorben!“

Zwei Tage darauf drängte sich viel Volk um die Neue Kirche, in welcher der Heimgegangene getauft, konfirmiert, ordiniert und getraut worden war. Hunderte von Geistlichen und Freunden, auch solche, welche ihn im Leben wenig geachtet, begleiteten den Sarg, der mit Palmen geschmückt und mit der offenen Bibel, Härters größtem Kleinod, belegt war, in die Jung-Sankt-Peter Kirche, wo die Leichenfeier stattfand, weil der in Angriff genommene Kirchenbau noch nicht vollendet war.

Nach seiner Bestimmung, wurde die schon im Jahr 1835 während einer schweren Krankheit und in der Gewissheit seines nahen Heimgangs geschriebene Rede: „Abschied an meine Gemeinde“ durch seinen langjährigen Freund Pfr. H. Scheffer verlesen. Er hatte darin die Stelle 1 Tim. 1,15-17 als Text angegeben: „Denn das ist je gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort, dass Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der Vornehmste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf dass an mir vornehmlich Christus erzeigte alle Geduld, zum Exempel denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben.“ Mit der ganzen Glut der damaligen ersten Liebe schilderte er darin „die Barmherzigkeit, die ihm armen Sünder widerfahren war, durch welche ihn der Herr aus den Banden des Zweifels und aus der Finsternis, des Unglaubens und des Todes erlöst und zu der Erkenntnis der freien Gnade im lebendigen Glauben geführt hatte.“

„Der Eindruck (schreibt ein Bericht über dieses Begräbnis) des einfachen aber aus der reichsten Erfahrung und in der überzeugendsten Wahrheit geschriebenen Lebenslaufes war ein überwältigender. Es war als ob noch einmal, aber nunmehr in dem Lichte der Ewigkeit verklärt, die seit Jahren verhüllte Gestalt ihres alten Hirten vor der Gemeinde erschienen wäre, ihr in prophetischer Kraft, mit dem Worte, das da tötet und auch lebendig macht, zu bezeugen, dass in keinem Andern Heil ist, auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir können selig werden, als der Name Jesu Christi, der allein aus diesem Manne ein Kind der Gnade und einen Diener der Barmherzigkeit gemacht hat.“

Ein unendlich langer Trauerzug hat dann den treusten und gesegnetsten Gottesmann zum Grabe begleitet, wo er neben seiner zweiten Gattin und seinen beiden Töchtern und umgeben von acht vorangegangen Gliedern der Familie Rausch dem Auferstehungsmorgen entgegenschlummert. Wenn du, lieber Leser, sei’s bei einem Begräbnis, dem du beiwohnst, oder bei Besuchen der Gräber deiner Angehörigen den Friedhof zu St. Helena betrittst, so wirst du, ungefähr in der Mitte des alten Teiles desselben, links einen Denkstein, finden, auf dem eingegraben die Worte stehen:

Franz Heinrich Härter
Pfarrer der Neuen Kirche
geboren den 1. August 1797
heimgegangen
den 5. August 1874.
Jesus Christus, gestern und heute,
Und derselbe in Ewigkeit
Ebr. 13, 6.

Scheiden tut weh! Aber wir haben ihn ja nicht verloren; diese und noch manche andere teure Seelen, die im Leben uns lieb waren, sie sind uns nur vorangegangen.

„Wir folgen ihnen gläubig nach
Und leise führt uns jeder Tag
Dem letzten Tag entgegen!
Uns Allen winkt das ernste Grab,
Wo wir auch unsern Wanderstab
Zur Ruhe niederlegen.

O möchten wir dann mit dem Apostel, wie unser tiefbetrauerter Freund und Bruder Härter, sagen können: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe Glauben gehalten“. Das walte Gott, der Herr, nach seiner großen Gnade und Barmherzigkeit an uns Allen!

 

Quelle:

Bilder aus dem Leben von Franz Heinrich Härter

Ein Beitrag zur Geschichte des geistlichen Lebens im Elsass im XIX. Jahrhundert

Von
Christian Hackenschmidt, Vater

Sonderabdruck aus dem „elsässischen evangelischen Sonntagsblatt“

Straßburg,
J. H. Ed. Heitz (Heitz und Mündel)
1888