Eberhard im Bart, Herzog von Wirtemberg

Einen Mann, über den man ganze Bücher schreiben könnte und geschrieben hat, auf wenigen Seiten abfertigen, ist eine schwere Aufgabe, und kann, wenn’s gut geht, nur dazu dienen, nach jenen Büchern lüstern zu machen. Denn Eberhard gehörte zu den wenigen Menschen, von denen ihre Umgebungen dachten, sie könnten nicht blos einen höheren, sondern den höchsten Wirkungskreis ausfüllen; seine Unterthanen pflegten von ihm zu sagen: „Wenn Gott nicht Gott wäre, so müßte unser Eberhard Gott sein.“ Und doch war er nicht von denen, die „in der Taufgnade geblieben sind;“ er ging durch viele Verirrungen, und mußte über viele Sünden Buße thun, ehe er den Weg des Lebens richtig wandeln konnte; er war ein Sünder, aber ein begnadigter.

 

Am 11. Dec. 1445 wurde Eberhard im Schloß zu Urach geboren, wo sein Vater, Graf Ludwig zu Wirtemberg, der drei Jahre vorher mit seinem Bruder Ulrich das Land getheilt hatte, damals residierte. Eberhard war der jüngere Sohn; aber ein älterer Bruder litt an unheilbarer Kränklichkeit, der Vater starb 1450 an der Pest, und das unglückselige Loos, das seitdem so manchen Jammer über Wirtemberg gebracht hat, frühzeitig und unreif zur Regierung zu gelangen, stand dem jungen Grafen bevor. Seine Mutter, Mechthild, Tochter des Kurfürsten von der Pfalz, eine durch Bildung und Charakter ausgezeichnete Frau, in der Bibel wohl bewandert, ließ es zwar in ihrem Theil an weiter Erziehung nicht fehlen; aber nachdem sie sich an Erzherzog Albrecht von Oestreich verheirathet hatte, stand der Knabe ganz unter der Leitung des eingesetzten Vormundschaftsraths, der dem trefflichen Lehrer Nauclerus die Hände band, daß er nicht thun konnte, wie er wollte. Nicht einmal die lateinische Sprache wurde gestattet, in jener Zeit der unentbehrliche Schlüssel zur Wissenschaft, weil fast alle guten Bücher lateinisch geschrieben waren. Den Vorwand bot die Schwächlichkeit des jungen Prinzen, die man nicht übermäßig anstrengen dürfe; der eigentliche Grund war vielleicht, daß sie selbst um so länger am Ruder bleiben möchten. Dagegen wurde er zu allen ritterlichen Uebungen sorgfältig angehalten, und im Reiten, Jagen, Fechten u. dgl. stand er Keinem nach. Schon in seinem vierzehnten Jahre trat er die Regierung seines Landestheils an, und mit den Fesseln der Vormundschaft zerbrach er nun auch alle anderen Bande der Zucht und Sitte. Junge Räthe sammelte er um sich her, die einen sinnlichen Gelüsten keine Schranken setzten; und an seinem Hofe zu Urach, sowie in den benachbarten Frauenklöstern, ging es mit Reigen, Tanzen, Fechten, Stechen, Jagen und Banketiren so lustig her, daß er dadurch sogar seiner Gesundheit bleibenden Schaden that. Drückende Steuern, Schulden, Ungerechtigkeiten und Verderbniß durch das schlimme Beispiel waren die natürlichen Folgen eines so zügellosen Lebens; und wohlmeinende Unterthanen sahen mit Bangigkeit in die Zukunft und mit Seufzen gen Himmel. Zu den Seufzenden gehörte namentlich auch des jungen Grafen Mutter, die Erzherzogin Mechthild, die sich um den ungerathenen Sohn sehr bekümmerte; und ihr Seufzen war nicht vergeblich. Mag die Erinnerung an die herzlichen Ermahnungen seines sterbenden Vaters und an die wiederholten ernstlichen Vorstellungen des frommen Propstes von Güterstein dabei mitgewirkt haben, – welcher Werkzeuge, welcher inneren und äußeren Stimmen sich die Gnade Gottes dabei bediente, wissen wir nicht mehr genau; aber so viel ist gewiß, eine mächtige Anregung von Oben muß in das Herz des jungen Grafen gekommen sein; wo Andere das zügellose Leben oft erst recht beginnen, da setzte ihm Eberhard auf einmal ein Ziel, und wurde zum Staunen aller seiner Umgebungen von Stund an ein andrer Mensch. Daß er dazu eines kräftigen Anlaufs bedurfte und sich gewaltig aufraffen mußte, ist auch in dem Wort Attempto angedeutet, daß er von da an zu seinem Wahlspruche machte; aber der Anlauf gelang, und er kam wirklich über den Graben. Seinen festen Entschluß, von nun an ein anderes Leben zu führen und auch in seinen Umgebungen die Liederlichkeit nicht mehr zu dulden, bethätigte sich zunächst in der Reform des Klosters Offenhausen, das so oft der Schauplatz seiner Ausgelassenheit gewesen war, an dessen Verdorbenheit aber alle Reformversuche scheiterten, so daß nichts übrig blieb als es eingehen zu lassen. Sofort glaubte er auch, nach den Vorstellungen der damaligen Zeit, einer Vergangenheit ein Sühnopfer schuldig zu sein; und die wiederholten Erzählungen des wackern Ritters Georg von Ehingen, der im Gelobten Lande gewesen war, brachten ihn auf den Gedanken, es durch eine Pilgerfahrt zum heiligen Grab zu bezahlen. Am 10. Mai 1468 trat er mit einem Gefolge von 24 Edelleuten, 2. Kaplanen, 1 Arzt, 1 Wundarzt, 3 Trompetern, 2 Köchen und etlichen Dienern und Schützen die Reise an, und gelangte über Venedig am 29. Juni nach Joppe, von da über Ramla nach Jerusalem, wo er in den Orden der Ritter des heil. Grabes aufgenommen wurde. Nachdem er noch Bethlehem und den Jordan besucht hatte, kehrte er über Italien nach der Heimath zurück. Auf der Reise hatte er sich den Bart wachsen lassen, von dem er fortan den Beinamen erhielt.

 

Durch die Empfehlung des Markgrafen Albrecht von Brandenburg war Eberhard auf die Tochter des Markgrafen von Mantua aufmerksam gemacht worden. Er warb um die durch den Ritter Georg von Ehingen; die Heirath kam zu Stande und die Hochzeit wurde in Urach mit großer Pracht gefeiert. Barbara von Mantua war eine treffliche, gebildete Prinzessin, die Italienisch, Deutsch und Lateinisch verstand, hatte häuslichen Sinn, schickte sich sehr gut in die kleineren, engeren Verhältnisse des Uracher Hofes, und lebte mit Eberhard in einer frommen, glücklichen Ehe, welche auch mit zwei Kindern gesegnet war, die aber bald wieder starben. Die Versäumnisse in seiner Erziehung fühlte Eberhard schmerzlich. Zu einer Zeit, wo das Lateinische so häufig angewendet wurde, kam es nicht selten vor, daß ihm die Unbekanntschaft mit dieser Sprache Verlegenheit bereitete; und nicht selten sprach er es aus, daß Wissenschaft Niemand so nöthig habe wie ein Fürst. Er suchte freilich das Versäumte so viel als möglich nachzuholen, zog gelehrte Männer, namentlich einen früheren Lehrer Nauclerus, in seinen Umgang, und lernte von ihnen mit angestrengter Aufmerksamkeit, machte sich auch noch mit dem Lateinischen etwas bekannt; aber doch brachte er es nicht so weit, daß er die Schriften der römischen Classiker im Zusammenhang hätte lesen können, und mußte sich daher mit Uebersetzungen behelfen, die er sich durch seine gelehrten Freunde anfertigen ließ. Mit besonderer Vorliebe las er im Josephus und in der heiligen Schrift, in der er sehr bewandert war. Sein Lieblingsbuch war das Evangelium Johannis; und das Exemplar, dessen er sich bediente, ein schöngeschriebenes deutsches Manuscript auf Pergament, wird jetzt noch aufbewahrt. Je mehr er aber an sich selbst erfahren hatte, welche schlimme Folgen die Verwahrlosung in der Jugend hat, desto ernstlicher lag es ihm an, Anderen zu dem zu verhelfen, was ihm selbst abging. Dieß war es, was ihn zur Gründung der Universität Tübingen bewog, die im J. 1477 zu Stande kam. Er gründete sie, wie er selbst in der Stiftungsurkunde sagt: „zur Ehre Gottes, der ganzen Christenheit zu Trost, Hilf und Macht, auch der Herrschaft Wirtemberg „Lob, Ehr‘ und Nutzen zu erwerben, und in der guten Meinung, graben zu helfen den Brunnen des Lebens, daraus von allen Enden der Welt geschöpft werden möge unersichtlich tröstliche und heilsame Weisheit zu Erlöschung des verderblichen Feuers menschlicher Unvernunft und Blindheit.“ Er übergab der Universität liegende Güter und Gefälle, Einkünfte aus verschiedenen geistlichen Stiftungen und das Patronat über mehrere Kirchen des Landes, verlegte auch nach Tübingen das Chorherrenstift zu Sindelfingen.

 

Johann Nauclerus wurde der erste Rector der Universität. Bei ihm hatte Eberhard sein Absteigequartier, wenn er nach Tübingen kam, was häufig geschah, und die Studenten nannte er seine Söhne. Im J. 1482 reiste Eberhard nach Rom, um die Fastenzeit dort zuzubringen. Er wurde vom Papst mit großen Ehren empfangen und mit der goldenen Rose beschenkt, „wegen seiner Verdienste um den heil. Stuhl, und weil er, nicht ohne Beschwerlichkeit, in Person gekommen sei, um diesen heiligen Orten seine Ehrfurcht zu bezeugen.“ Indessen wußte ein Mann von so hellem Kopfe wie Eberhard, in dessen Gefolge sich auch Johann Reuchlin befand, sehr gut, wie weit er in dieser Hinsicht gehen durfte, und beharrte z. B. standhaft auf seinem Investiturrecht. So lange er an der Regierung sei, erklärte er, werde er sich von keinem päpstlichen Höfling Eintrag thun lassen, denn wenn er es thäte, würden eine Unterthanen irre an ihm werden und glauben, er sei ganz aus der Art geschlagen. Der Papst selbst wagte es nicht, weiter in ihn zu dringen. Im Rückweg besuchte Eberhard auch den Fürsten Lorenz von Medici in Florenz; und dieß gab Veranlassung, daß er nachher mehrere junge Wirtemberger zu weiterer Bildung in Sprachen und Philosophie nach Italien schickte. Marsilius Ficinus bewunderte die Liebe des Mannes zu den Wissenschaften so, daß er ihn die Sonne unter den deutschen Fürsten nannte. Mittlerweile war der Regent des andern Landestheils, Graf Ulrich der Vielgeliebte, der seinen Sitz in Stuttgart hatte, und dem seine beiden ungerathenen Söhne, Eberhard d. J. und Heinrich, viel Noth machten, gestorben, Eberhard d. J. hatte die Regierung angetreten, führte ein ärgerliches Leben, trieb allen möglichen Unfug und drückte das Land durch unerträgliche Auflagen. Eberhard d. Ä. suchte diesem Unheil möglichst zu steuern, und war froh, als endlich sein Vetter, der lieber schwelgen als sich mit Regierungsgeschäften plagen wollte, zu dem Entschluß kam, auf eine Wiedervereinigung der getrennten Landestheile und auf eine gemeinschaftliche Regierung anzutragen. Diese Vereinbarung kam am 14. Dec. 1482 durch den Münsinger Vertrag zu Stande, durch welchen die Untheilbarkeit des Landes festgesetzt wurde. Zwar bereute Eberhard d. J. schon im nächsten Jahre seine Nachgiebigkeit, und bot Alles auf, namentlich auch die Verwendung eines Schwiegervaters Albrecht von Brandenburg; allein Eberhard im Bart erklärte ihm: „Vetter, wir können mit beide regieren; ich han mich müssen des Regiments annemen, und hab‘ um dieses Zusammenwerfen euch nit gebeten, denn ich sonst wollte bessere Tage und mehr Lust gehabt haben als so. Da ich aber darein gekommen bin, mein ich auch darin zu bleiben.“ Ueberdieß erklärte sich der Kaiser für Eberhard im Bart, und es kam nun so weit, daß diesem allein die Regierung übertragen wurde, und sein Vetter sich mit einigen Ortschaften und einer jährlichen Abfindungssumme begnügen mußte.

 

Eberhard im Bart hatte von nun an seinen Sitz in Stuttgart und bezeichnete eine Regierungszeit durch weise Einrichtungen und Anordnungen zum Besten seiner Unterthanen. Ein altes Verslein sagt von ihm:

 

Was Herzog Eberhard fieng an, \\

Das blieb wie Ceder lang bestah’n.

 

Sein Hof war eine Schule der Höflichkeit und Sitte für junge Prinzen und Edelleute; und mehrere Grafen und Herren, welche die schöne Zucht und Ordnung sahen, übergaben ihm ihre Söhne und Verwandten, daß sie ihm ohne Sold dienen und von ihm lernen sollten. Eberhard hatte diese jungen Leute fleißig unter seinen Augen, und führte auch Aufsicht über ihren Unterricht. Er ließ sie zuweilen selbst den Katechismus, und was ihnen sonst zum Lernen aufgegeben war, hersagen, belobte die Fleißigen und bedrohte die Nachlässigen. Alle hielt er unter strenger Zucht, und schärfte ihnen oft das Wort ein, daß die Furcht Gottes aller Weisheit Anfang sei. Den Sohn des Grafen Heinrich, den einzigen männlichen Nachkommen des Hauses Wirtemberg, hielt er wie einen eigenen Sohn und gab ihm frühzeitig geschickte Lehrer. Es war der nachmalige unglückliche Herzog Ulrich, für den Eberhard viel zu früh starb. Durch die „Regimentsordnung“, welche in dem „Eßlinger Vertrag“ festgesetzt, und von dem Kaiser in demselben Monat bestätigt wurde, in welchem Columbus Amerika entdeckte, suchte Eberhard auch noch nach seinem Tode die Ordnung im Lande festzustellen. Ueberhaupt ließe sich, wenn der Raum es erlaubte, noch viel davon sagen, wie er die Klöster und Mönchsorden reformirte, das Stift zu Einsiedel gründete, durch die „Landesordnung“ der Gerechtigkeitspflege aufhalf, Kirchen baute, für Brücken, Wege, Märkte, Forsten sorgte, die Lage der Leibeigenen erleichterte, und bei seinen Unterthanen wahre Frömmigkeit, Gottesfurcht und Rechtschaffenheit in Aufnahme zu bringen suchte. Sein lebhaftester Wunsch war, eine allgemeine Kirchenversammlung und durch die eine Reformation an Haupt und Gliedern zu erleben. Er hat ihn mit ins Grab nehmen müssen. Im ganzen Reiche war Graf Eberhard wegen seiner Weisheit, Klugheit und Tapferkeit geachtet, und in allen wichtigen Dingen fragte ihn der Kaiser um einen Rath. Maximilian wollte seine Verdienste durch Erhebung der Grafschaft Wirtemberg zu einem Herzogthum anerkennen, und nachdem Eberhard den Antrag reiflich erwogen und sich gegen etwaige nachtheilige Folgen einer solchen Veränderung durch kluge Bedingungen sicher gestellt hatte, willigte er ein; am 23. Juli 1495 wurde die feierliche Belehnung mit dem Herzogthum auf einem freien Felde in der Nähe von Worms vorgenommen. Bei einem Gastmahl, das aus Anlaß dieser Feierlichkeit gehalten wurde, geschah es, daß die versammelten Fürsten die Vorzüge ihrer Länder rühmten. Eberhard hörte schweigend zu. „Nun, Wirtemberg“ hob der Herzog von Sachsen an, „was habt denn Ihr von eurem Land zu preisen?“ Bescheiden erwiederte Eberhard: „Ich hab wohl ein geringer Land denn Euer Liebden; aber dessen darf ich mich rühmen, daß ich im dicksten Walde in dem Schooß eines jeden meiner Unterthanen sicher und ruhig schlafen kann.“ Die andern Fürsten mußten zugeben, daß der Herzog von Wirtemberg bessere Schätze als sie aufzuweisen habe. Ach, wie schmählich ist dieser Ruhm in den letzten Jahren zunichte geworden! Nicht lange durfte Eberhard die neue Würde genießen. Schon in den letzten Tagen des Februar 1496 lag er auf einem Sterbebette. Er berief eine vornehmsten Räthe und erinnerte sie in einer ernsten Rede an ihre Pflichten gegen das Vaterland. Drei Tage lag er in schwerem Todeskampf und konnte nicht mehr reden. Die vorgesprochene Beichte bejahte er durch Kopfnicken, und sprach hierauf halblaut: „Herr, ich danke Dir!“ Dann auf einmal sammelte er noch seine letzten Kräfte, setzte sich zur Verwunderung aller Anwesenden aufrecht im Bette hin und sprach mit voller deutlicher Stimme: „Herr Gott, Du Schöpfer Himmels und der Erden! Ich „bitte Dich, gib mir zu erkennen, ob Jemand sei, dem ich durch „meine Regierung wider Recht und Billigkeit beschwerlich war, „damit ihm solches aus meiner Hinterlassenschaft vollständig ersetzt „werde; und wenn auch hiedurch keine Genugthuung geschehen „kann, so hast Du hier, gnädiger Schöpfer, meinen Leib, welchen „ich Dir anbiete und übergebe. Schlage und züchtige ihn wacker, „damit ich Vergebung erlange.“ In ähnlicher Weise hat er sich auch in einer Ansprache geäußert, die laut einer Testamentsverordnung nach seinem Tode von allen Pfarrern auf den Kanzeln verlesen werden sollte. Am 24. Februar 1496 ging er, wie M. Ficinus sagt, aus diesem Schattenleben hinauf zur ewigen Sonne. In Einsiedel wurde er unter großem Zulauf einer weinenden Unterthanen begraben. Als drei Jahre nachher Kaiser Maximilian dieses Grab besuchte, sprach er zu seinen Begleitern: „Hier liegt „ein Fürst, weise und tugendhaft wie keiner im Reich, Sein Rath „hat mir oft genützt!“

 

Chr. G. Barth in Calw.