Otto Catelin

Otto Catelin aus Gent in Flandern zog in früher Jugend, ein guter Graveur und Wappenarbeiter, nach England, um Arbeit zu suchen. Er fand sie bei einem dortigen Meister, der ihm auch den Namen Gest oder Georg gab und blieb in diesem Lande. Unter dem echt reformatorisch gesinnten Eduard VI. war 1550 hier eine flamländische Kirche entstanden: Otto besuchte dieselbe. Er war anfangs noch sehr unwissend und in papistischen Irrthümern befangen; somit gewann er durch den Besuch von vorn herein wenig. Bald aber ging ihm in dem Worte des Herrn ein neues Licht auf, und er konnte seiner Kirche wesentliche Dienste leisten. Im Jahre 1554 zog ihn das Heimweh in das Vaterland zurück. Seine Freunde kannten und mahnten ihn, den Entschiedenen und Unerschrockenen, ja recht vorsichtig zu sein, um nicht Verfolgungen über sich heraufzubeschwören. Otto versprach ihnen nun zwar, nichts Unbesonnenes thun zu wollen, erklärte aber auch, daß er nicht still bleiben und die Wahrheit und seinen Christus verleugnen würde, wenn der Name Gottes oder Christi in seiner Gegenwart gelästert werden sollte.

Auf der Reise brachte ein fürchterlicher Orkan die Schiffenden an den Rand des Verderbens; jeden Augenblick mußte man fürchten, daß das Schiff ein Raub der Welten werden würde. Otto blieb aber ruhig, tröstete die andern mit großer Kraft und ward so ihr Prediger in Sturmesnoth. Was kaum möglich schien, geschah; sie entgingen glücklich dem drohenden Verderben und schifften freudig in den schützenden Hafen ein. Da ermahnte sie Otto, vor allem Gott, dem Retter in der Noth, Dank zu sagen und sprach, wie in einer Vorahnung seines traurigen Schicksals, den Wunsch aus, daß Gott ihnen, denen er so sichtbar beigestanden, Gelegenheit geben möge, ihren Glauben und ihre Treue durch Martern und Leiden zu besiegeln.

In Gent angekommen, hörte er, daß ein Dominikanermönch, Namens Pistoris, sich rühme, dem Volke die Wahrheit zu kündigen und großen Zulauf habe. Er nahm sich deshalb vor, auch einmal das Orakel zu hören. Es war Donnerstags vor Ostern, als er die Kirche zu diesem Zwecke besuchte und grade der Kanzel gegenüber einen Platz einnahm. Wie bitter fand er sich getäuscht! Statt eines Schatzes fand er Häckerling und Stroh, statt gesunder Kost tödtliches Gift. Der Mönch trug grade an diesem Tage, dem Tage der Einsetzung des Abendmahls die grobsinnlichste Brodtverwandlungslehre vor. Christus sollte nach ihm im Brodte körperlich verehrt und angebetet und verzehrt werden; hierdurch wurde Otto so geärgert, daß er alle Fassung verlor und kaum sich enthalten konnte, dem Lügenprediger ins Wort zu fallen. Endlich war er zum Schluß gekommen und wollte von der Kanzel herabsteigen; da nahm Otto seinen Hut ab und sprach mit lauter Stimme: „höret, mein Guter, eure ganze Predigt ist schriftwidrig, ich werde es beweisen, wenn mir die Versammlung Gehör schenken will.“ Der betroffene und verwirrte Mönch wollte natürlich nichts hören und rieth dem unberufenen Sprecher, sich zu entfernen. Der Aufgeregte trat ihm aber näher und rief: „O du falscher Prophet, der du dem Volke einredest, daß das Brodt der wahre Leib Christi ist, der doch nach seinem Tode zum Himmel erhoben worden ist.“ Es entstand darauf ein ungeheurer Tumult in der Kirche; Männer und Frauen riefen ihm zu: „Mein Freund, was beginnst du doch?“ Otto fuhr aber in seiner Heftigkeit fort: „das sind alles falsche Propheten, die euch irre führen; trauet ihnen nicht.“ Die wogende Menge drängte ihn endlich aus der Kirche hinaus. Solcher Frevel konnte nicht ungeahndet bleiben. Gutgesinnte gaben ihm deshalb den Rath, sich schleunigst zu entfernen; er aber wollte zu der öffentlich ausgesprochenen Wahrheit treu stehen.

Sofort ließ ihn auch der Generalprokurator Hessel an dem Thore „Brugsche Walpoorte“ gefangen nehmen und in dem alten Schloß Du Comte gefangen setzen (den 11. April 1554). Es geschah des Vormittags und schon Nachmittags kamen mit dem Generalprokurator Pistoris und noch andere Mönche, um Otto eines Besseren zu belehren. Drei Stunden lang dauerte der Kampf; er konnte aber zu keiner Entscheidung führen, da er ein Principienstreit wurde, Otto auf die Schrift, die Gegner aber auf scholastische Spitzfindigkeiten, kaiserliche Edicte, Concilienbeschlüsse, die alte Tradition, kurz auf alles Mögliche sich beriefen, um ihre schlechte Sache zu stützen. Endlich kam man überein, daß sich Otto schriftlich über die erfolglos verhandelten Sätze aussprechen sollte; er that es unter Berufung auf die Schrift. Auf diesem Boden konnten und wollten ihm aber seine Gegner nicht folgen; sie gingen deshalb im neuen Streite auf andre Gegenstände, die Anrufung der Heiligen, das Fegefeuer, die Lehre vom Oberhaupt der Kirche über. Otto blieb auch hier die Antwort nicht schuldig; mit gleicher Einfachheit und Klarheit erklärte er, daß er nur einen Heiligen, nur zwei Wege nach dem Todesgange, den einen zum Himmel, den andern zum Orte der ewigen Qual und nur ein Oberhaupt der Kirche, Jesus Christus, anerkenne.

Der Präsident, dem es nicht genehm war, daß Otto in seiner Gegenwart und der einiger Räthe so kühn und gewandt auf alle Fragen antwortete, brach das Gespräch unter dem Vorwande ab, daß es ihm verboten sei, sich mit irgend einem Ketzer in Streit über Glaubenssachen einzulassen. Er werde ihm späterhin einen Mönch oder Weltgeistlichen schicken, der das begonnene Gespräch fortsetzen könne. Otto erklärte, daß ihm das gleich sei und er auch dem Geringsten Rede stehen werde, fand es aber befremdend, daß der Kaiser ihnen als Richtern verboten haben solle, über Glaubenssachen zu verhandeln. Er sah übrigens klar ein, daß ihm nichts Gutes bevorstehe; er schrieb einen Abschiedsbrief an seine Frau, die er an Gott, den Vater der Wittwen und Waisen, verweist und bittet, seine Kinder in dem Glauben zu erziehen, für den er nächstens bluten werde, und ein Trostschreiben an einen wegen der Verfolgung eines seiner Freunde tief bekümmerten Freund, dem er die hohe Bedeutung dieser Leiden zur Verherrlichung des Herrn recht lebendig vorhält.

Otto hatte recht gesehen; Sonnabends den 27. April ward er, erst 30 Jahre alt, zum Tode verdammt und schon Nachmittags zum Scheiterhaufen abgeführt. Noch wollte er eine Mahnung zum Volke sprechen; der Generalprokurator machte es aber durch seinen Zuruf an den Henker „Beeile dich“ unmöglich. Das war Otto noch ein großes Herzeleid; er hätte auch jetzt noch gern das Volk vor denen gewarnt, welche Christus hier und dort sein lassen, als wäre er nicht zur Rechten Gottes aufgestiegen. So blieb ihm nur übrig, Gott noch um Gnade für Hessel, in dem ihm ein besseres Bewußtsein aufzugehen schien, und für sich selbst anzuflehn und das Volk um eine Fürbitte bei Gott zu ersuchen, daß er ihm in dieser bittern Todesstunde mit seiner Kraft beistehen möge. Er ließ sich dann vom Henker, dem er auch noch verzieh, getrost an den Pfahl binden und starb so standhaft den Flammentod für eine tief erkannte Wahrheit, für eine reinere geistigere Abendmahlslehre, im Hasse gegen die katholische, die ihm als ein Götzendienst erschien. Otto war eine geistige, klar und hell sehende Natur, die allmählig in der Erkenntniß gereift und von ihr durchdrungen, entschieden solcher Versinnlichung entgegentreten mußte.

E. F. Gelpke in Bern.