Christinger, J.J. – Theodor Bibliander

I. Jugend und Bildung.

 

Wenn jedes Zeitalter eine Hauptbestrebung hat, einen Zielpunkt, nach welchem Alle hinblicken, eine Geistesströmung, von welcher Alle getragen werden, so war dies im Anfang des 16. Jahrhunderts in unserm Vaterlande ein starker, alle Hindernisse besiegender Drang nach höherer Erkenntnis, nach wahrer, zuverlässiger Wissenschaft Es war, als spräche der Volksgeist zu sich selbst: „Lange genug habe ich wie ein Kind mich leiten lassen von jenem einzigen Stand, von jener altehrwürdigen Macht, der Niemand widersprechen darf; habe angenommen, was sie mir auflegte, habe entbehrt, was sie mir nicht darreichen wollte; ich muss mich aufmachen und einmal selbst hingehen an die Quellen der Wissenschaft, muss einmal selbst suchen und forschen, was denn in diesem Wirrwarr der Meinungen noch Wahrheit sei und wie es um des Menschen höchste und heiligste Angelegenheit stehe?“ Also der Volksgeist, da stiegen aus den Tälern der Alpen einige seiner Kinder herab und drängten sich kühn in die Hörsäle der klassischen Gelehrsamkeit und errangen im Kampfe mit tausend Hindernissen durch eisernen Fleiß und aufopfernde Hingebung, was sie gesucht hatten, um es zum Gemeingut des Volkes zu machen.

 

Nicht mit vollgepackten Koffern und klingendem Geldbeutel, noch auf den weichen Polstern des Postwagens zogen sie den Schulen Deutschlands zu, sondern als arme Bauern- und Hirtenjungen, die sich auf der Reise und am Ort ihrer Bestimmung durchschlugen, so gut es gehen mochte. Freilich ihre Sitten waren roh, ihre Lebensweise ungeordnet, ihre Erwerbszweige nicht immer zu rechtfertigen; manche gingen wohl an Leib und Seele zu Grunde und sahen das Vaterhaus nicht wieder. Aber ein rührender Zug geht doch durch dieses wilde Leben hindurch; er spricht sich aus in jenen Worten Thomas Platers, die er nach vielen Irrfahrten im Lehrsaal des Myconius in Zürich zu sich selbst sprach: „An diesem Orte willst du entweder etwas lernen oder sterben.“

 

Zu diesen Kindern des Volkes, die von einem dunkeln Drange getrieben, hinaus eilten in die weite Welt, um von dem neuaufgehenden Lichte der Wissenschaften zu holen, und dann mit demselben getreulich wieder zurückkehrten ins Vaterland, gehört auch der Thurgauer Theodor Buchmann, oder wie er sich nach damaliger gelehrter Sitte umtaufte: Bibliander.

 

Er ist keiner von den Sternen, die mit einem Alles überstrahlenden Glanz durch die Jahrhunderte fortleuchten, aber ein ungünstiges, fast möchte ich sagen tragisches Geschick machte ihn und seine Verdienste bei der Nachwelt viel schneller vergessen, als Andere, die es eher verdienten. Er ist ein Märtyrer jener freieren Überzeugung geworden, die das 16. Jahrhundert nur im Anfang verstehen und billigen konnte, dann aber, wie über seine eigenen Taten erschrocken und ängstlich geworden, wieder zu erdrücken und verbannen suchte.

 

Theodor Buchmann wurde wahrscheinlich im Jahr 1504 zu Bischofszell im Thurgau geboren, wo sein Vater, Hans Buchmann, Stiftsamtmann war. Nach andern Angaben ist sein Geburtsjahr 1509. Da er aber bereits 1532 auf einen der ersten theologischen Lehrstühle der Schweiz berufen wurde, so ist die ältere Jahrzahl jedenfalls weit zuverlässiger. Seine Jugendzeit ist gänzlich in Dunkel gehüllt. Pellican, einer seiner späteren Freunde und Verehrer, soll sein Leben beschrieben, aber nicht im Druck herausgegeben haben; ob solches richtig und ob die Handschrift noch irgendwo vorhanden, vermag ich zur Zeit noch nicht zu entscheiden. Der Thurgau war damals, unter der Landvogtei der 7 Orte, noch wenig geeignet, dem Bildungsdrang des heranwachsenden Geschlechtes irgendwie fruchtbaren Boden zu bieten. Die Landvögte kamen und gingen alle 2 Jahre, denn die regierenden Orte wechselten in der Besetzung des einträglichen Amtes miteinander ab. So kam es, dass, was unter dem einen ins Leben gerufen und gepflegt worden, unter dem andern wieder zerstört wurde. Religiöse Unduldsamkeit und Verfolgungssucht waren damals auf beiden Seiten nahezu gleich und so selbstverständlich, als der Grundsatz, dass die Wahrheit nur auf Einer Seite sein könne. Doch war gerade Biblianders Geburtsort, das Städtchen Bischofszell, vor vielen andern als Pflanzstätte einiger Bildung bevorzugt; denn das Stift (Episcopi Cella) war verpflichtet, einen Schulmeister zu halten, dessen Schule den Knaben des Städtchens geöffnet war. Daher kommt es denn ohne Zweifel, dass ungefähr gleichzeitig mit Bibliander noch einige andere bedeutende Männer aus diesem lichten Punkt der Landvogtei Thurgau hervorgingen; so Ulrich Hugbald, genannt Mutius, gestorben 1571, ein tüchtiger Philologe, Lehrer an der Universität Basel und Verfasser mehrerer Schriften, worunter die merkwürdigste: De Germanorum prima origine, moribus, institutis et rebus gestis. Dahin gehört ferner Fridolin Sicher, Kaplan zu Bischofszell bis 1528, nachher in St. Gallen, der eine schätzenswerte Chronik seiner Zeit als Manuskript hinterließ. Zu Bischofszell war in den vierziger Jahren des sechszehnten Jahrhunderts auch der gelehrte und tätige Pfarrer Johannes Zwick. Von da stammte der humanistisch gebildete Fritz Jakob von Anwyl, Obervogt des Bischofs von Constanz, 1508-25 zu Bischofszell, ein Kenner und Freund der damaligen theologischen und humanistischen Literatur; er schrieb eine helvetische Chronik, eine Beschreibung des Thurgaus und etliche religiöse Lieder, die in ein geistliches Gesangbuch übergegangen sind (Nüw Gesangbüchle von viel schönen Psalmen und geistlichen Liedern, Zürich bei Froschauer 1540). Endlich hat Bischofszell auch einen jener Schwarmgeister ausgesandt, welche im Gefolge der Reformation gingen, Ludwig Hetzer, Kaplan zu Wädensweil, dann in Zürich, Verfasser des Büchleins: Urteil Gottes, wie man es mit Bildern halten soll. Aus einem Freunde Zwinglis wurde er ein fanatischer Wiedertäufer, richtete im Zürichgebiete große Verwirrung an und wurde zuletzt wegen eigener sittlicher Verirrungen zu Constanz enthauptet, 1529.

 

Nachdem Bibliander die Schule seiner Vaterstadt absolviert, kam er nach Zürich, wo er von dem trefflichen Oswald Myconius weiter gebildet und zu dessen Provisor (Vikar) herangezogen wurde. Im Hause dieses gelehrten Mannes, als Schüler, Pensionär, Famulus, Provisor und endlich als Freund scheint er eine Reihe von Jahren gelebt und gelernt zu haben. Mit rührender Zärtlichkeit und Verehrung hing er an dem ausgezeichneten Lehrer sein ganzes Leben lang, legte ihm die Erstlingsfrüchte seiner Studien zur Prüfung vor und zog ihn namentlich in den später erwachenden theologischen Streitigkeiten mit kindlichem Vertrauen immer wieder zu Rate. Bibliander studierte mit eisernem Fleiß sozusagen Alles, was ihm in den Weg kam: Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Theologie und Philosophie. Der Name „Buchmann“ wurde bald die treffendste Bezeichnung seines Trägers, denn die Bücher waren des Jünglings und des Mannes eigentliches Lebenselement. Als Provisor des Myconius versah er auch eine Zeit lang das Amt eines Pfarrverwesers in Weiach; ob er sich indes für das Predigtamt weniger berufen fühlte, oder ob die Wissenschaften ihn mächtiger anzogen; er wählte, wie es scheint im Hinblick auf Myconius, die Laufbahn des Gelehrten. Wenige haben sich mit größerer Hingebung dem Studium der orientalischen Sprachen und der Schrifterklärung gewidmet, obgleich ihm auf dem mühevollen Wege ebenso viel Dornen als Früchte erwuchsen.

 

In den Jahren 1527 und 28 treffen wir den jungen Bibliander auf Reisen. Er ging nach Basel und Straßburg teils in Geschäften seines Lehrers, teils wohl zu seiner weitern Ausbildung. Mit Briefen der Schweizer Reformatoren reiste er von dort nach Württemberg, Kassel und Schlesien und verweilte ungefähr zwei Jahre in Liegnitz, wo er sich wahrscheinlich mit den orientalischen Sprachen beschäftigte, in welchen er nachmals als eine der ersten Autoritäten galt. Von dort aus schrieb er an Myconius mehrere Briefe, die jedoch den eigentlichen Zweck seiner Reise und seines Aufenthaltes daselbst nur unvollkommen erkennen lassen, dagegen die treue und dankbare Gesinnung ihres Schreibers deutlich offenbaren.

 

Wir teilen hier einen derselben im Auszuge mit:

 

„Dem frommen und weisen Oswald Myconio, Bürger zu Zürich, meinem guten Freund und Gönner.

 

Bei der letzten Leipziger Messe, welche zu Michaelis abgehalten wurde, schickte ich Briefe dorthin, welche ich St. Galler Kaufleuten übergeben ließ, vor allem einen an Dich, worin ich meine sämtlichen Reiseerlebnisse mitteilte, wie ich meine Aufträge ausgerichtet und welches mein Schicksal von meinem Abschied an bis auf diesen Augenblick gewesen sei. Da Du, wie ich hoffe, jenen Brief erhalten hast, will ich nicht wiederholen, was darin stand, nur das Eine, dass Johannes Frumentarius, Geheimer Rat des Herzogs von Württemberg, sich viele Mühe gegeben hat, dass die Briefe und Schriften, welche Zwingli und Ökolampadius aufgegeben, so gut und zuverlässig als möglich besorgt würden. Nun vernimm meine persönlichen Nachrichten!

 

Ich bin körperlich gesund, fühle mich aber geistig nicht wohl teils wegen minder wichtiger Dinge, die ich übergehen kann, teils darum, weil ich von Euch keine Briefe bekomme, was ich mit ruhigem Gemüte nicht mehr zu ertragen vermag. Wie dies mich beunruhigt, kann ich kaum ausdrücken. Daher, bester Myconius, gib Dir Mühe und sinne doch auf Mittel, damit ich einmal einen Brief von Dir erhalte, wenn es nicht öfters sein kann. Durch St. Galler Kaufleute, welche die Leipziger Messe besuchen, könnte es wahrscheinlich wohl geschehen, dass ich von Euch Nachricht erhielte. Wenn irgend eine Gelegenheit sich darbietet, so beschwöre ich Dich, dass Du sie nicht vernachlässigst. Wenn Du mir aber schreibst, so vergiss nicht zu sagen, ob Du etwas von meinen Büchern weißt oder etwas darüber erfahren kannst; denn bis auf den heutigen Tag habe ich kein Wort davon vernommen. Ich weiß, dass Du dies mit Deiner gewohnten Güte und Umsicht für mich wohl besorgen wirst.

 

Die Schule hier hat wenig Zuwachs, ich weiß nicht, ob durch die Ungunst der Zeit, welche die Schulen so ziemlich in Abnahme bringt?

 

Der Fürst selbst steht fest im Glauben, als ein Vorbild der Fürsten steht er da für Christum. Das Verständnis des Abendmahles beginnt immer Mehreren aufzugehen, ob auch Papisten und Lutheraner widerstreben. Übrigens ist der Gebrauch (Form) nicht wiederhergestellt worden, außer bei den Wiedertäufern, deren Halsstarrigkeit, wie ich beiläufig bemerke, man aufs Strengste zu unterdrücken und zu bezwingen unternimmt.

 

Mehr zu schreiben will der eilende Briefbote dies Mal nicht erlauben. Wenn ich wieder einen Boten und Zeit haben werden, so will ich Dir ausführlich über Alles schreiben. Denn ich hätte mit Euch (den Zürchern) Mehreres schriftlich zu verhandeln. Grüsse von mir die ganze christliche und wissenschaftliche Genossenschaft bei Euch und sage besonders Deiner guten Gattin meinen besten Gruss. Das will ich noch beifügen, dass von den Straßburgern Briefe hier angekommen sind, von den Zürchern keine. Wie das kommt, darüber kann ich mich nicht genug wundern.

 

Liegnitz den 11. December 1527.

 

Theodor Buchmann, immer und von Herzen der Deine.“

 

Dieser Brief ist, wie alle übrigen, in dem ziemlich breiten und umständlichen Latein geschrieben, welches damals üblich war. Welches der Hauptzweck von Biblianders Reise nach Schlesien gewesen, ob er in Liegnitz als Lehrer oder Schüler sich aufhielt, ob er als Abgesandter der Schweizer mit den deutschen Reformatoren in persönlichen Verkehr trat, geht leider aus den vorhandenen Briefen mit Sicherheit nicht hervor. Es müsste aus jenem ersten an Myconius zu erkennen sein, worin er seine Reiseerlebnisse erzählt, doch scheint gerade dieser verloren gegangen.

 

Am wahrscheinlichsten will mich bedünken, dass Bibliander als angehender Schulmeister zu seiner weiteren Ausbildung, namentlich wohl in den orientalischen Sprachen, diese Studienreise unternahm und, wie es damals üblich war, auf derselben die Briefe seiner Freunde bestellte. Er scheint bei dieser Gelegenheit auch Luther gesehen und gesprochen zu haben, gegen den er bereits eine etwas gereizte Stimmung zeigt. Denn der Abendmahlsstreit war ausgebrochen, welcher Reformirte und Lutheraner aufs Tiefste entzweien sollte.

 

Nachdem einige eifrige lutherische Theologen zweiten und dritten Ranges die Schweizer (Zwingli und Ökolampadius) wegen ihrer Abendmahlslehre angegriffen, machte sich Luther selbst auf und trat an die Spitze der Kämpfenden, zur größten Freude der kleinen Zänker, aber zum aufrichtigen Bedauern der milden und großen Geister beider Parteien. Und er fuhr so schneidend darein mit dem Schwerte seines volkstümlichen Wortes, dass die Schweizer Mühe hatten, das bisherige Vertrauen, das sie in Deutschland genossen, zu behaupten und den Streit in den Schranken der Mäßigung zu halten. Doch erklärten die Fürsten von Württemberg, Hessen und Schlesien (Liegnitz), dass sie unentwegt zu ihnen stehen werden; ja der letztere ließ durch seinen Gesandten Fabian die Schweizer ersuchen, ihm einen treuen und gelehrten „Schuldiener“ (Unterschulmeister) zu verschaffen. Sie empfahlen ihm den Bonifazius Wolfhard „als in der Lehr mit Ökolampadio und Zwinglio ganz gleich gesinnet.“ Vielleicht, dass auch Bibliander in gleicher Eigenschaft nach Schlesien abging. Er war damals (1527) 23 Jahre alt.

 

Bibliander erhielt auf den oben angeführten Brief an Myconius abermal keine Antwort, sei es, dass diese verloren gegangen oder ungebührlich verzögert worden war. Da scheint schmerzliches Heimweh, damals schon ein Vorrecht der Schweizer, und das Gefühl der Kränkung sich der Seele des Jünglings bemächtigt zu haben, und er schreibt einen Klagebrief nach Zürich, der in pathetischen Phrasen und Ausrufen das Mögliche leistet. Als Beispiel möge folgende Stelle genügen:

 

„Sed quid nunc de hoc scribam, quod me ita expertem sinas tuarum literarum? Expostulem? At pietas me vetat facere. Rationibus tecum agam? At quo rationes persuadebunt, si animus iste tuus optime mihi volens, qui ut scribas me sentiscit velle, Te non ad scribendum impellit? Rogem? obsecrem? obtester? At vereor, ut frustra sit, quum mihi nuper non scripsisti, cum nuntium habuisses commodissimum.

 

Dolet mihi, dolet Myconi pater, non accedere scripta tua ad me, tam improbe flagitata, tam diu expectata. Nec mirari satis possum tantum silentium tuum. Nisi forte perlatum est aliquid ad vos de nobis, ob quod succenseas mihi. Certe si succenseatur nobis, indignis illud accidit et non merentibus.

 

(Vom 22. Juli 1528.)

 

Abermals verlassen uns die Nachrichten über Biblianders Leben vollständig; doch ist ziemlich sicher, dass derselbe im Jahr 1528 wieder nach Zürich zurückkehrte und in sein früheres Verhältnis zu Myconius trat. Die folgenden Jahre brachten nun wie in die ganze Schweiz, so namentlich auch in das Häuflein der Zürcherschen Gelehrten eine außerordentliche Aufregung. Manche derselben zogen mit dem Banner von Zürich auf das Schlachtfeld von Kappel; ob auch Bibliander unter ihnen war, lässt sich kaum mehr bestimmen. Als aber Zwingli dort (11. Oktober 1531) im Kampfe für seine heiligste Überzeugung gefallen und andere hervorragende Männer sein Schicksal geteilt hatten, bemächtigte sich der sonst so beherzten Stadt einen Augenblick Bestürzung und Traurigkeit. Bald indes ermannte sich der Rat wieder und begann die verwaisten Stellen in Kirche, Schule und Staat zu besetzen. Besonders wichtig und schwer war die Ersetzung des Reformators selbst, denn Zwingli hatte mit staunenswerter Tätigkeit und Arbeitskraft gewirkt und Niemand schien wohl im Stande, diese Last von Arbeit auf sich zu nehmen. Da beschloss der Rat sie zu teilen: er wählte für das Predigtamt den trefflichen Bullinger, für das Lehramt der Schrifterklärung aber, welches Zwingli mit jenem verbunden hatte, unsern Bibliander.

 

Während Myconius von Zürich nach Basel übersiedelte und dort die Pfarrstelle zu St. Alban übernahm, betrat sein Schüler den Lehrstuhl der Theologie, um mit seiner bereits hervorragenden Gelehrsamkeit und seinem milden, versöhnlichen Geist das angefangene Werk weiter zu führen. Wie der junge Gelehrte mit 27 Jahren zu dieser ehrenvollen Stellung kam, lässt sich nicht deutlich genug mehr erkennen. Der Erfolg zeigte indes bald, dass diese Wahl eine glückliche war, Bibliander ward der treue Nachfolger des Reformators nicht bloß im Amte, sondern auch in rastlosem Fleiß und theologischer Gelehrsamkeit, ganz besonders aber in jenem weitherzigen, milden und freisinnigen Geiste, welcher die Wahrheit sucht und Jedem, der aufrichtig das Gleiche tut, die Hand der Versöhnung bietet. Ja Bullinger gibt ihm das glänzende Zeugnis: Haud scio, num aliud hodie festivius, eruditius et majori pollens judicio vivat ingenium.

 

II. Amtsjahre.

 

Am 11. Januar 1532 hielt Theodor Bibliander seine Antrittsvorlesung als Zwinglis Nachfolger auf dem Lehrstuhl der Schrifterklärung. Er begann mit der Auslegung des Propheten Jesaja. In der Einleitung, welche wohl als sein Programm betrachtet werden darf, entwickelt er den Gedanken, dass der göttliche Geist der Wahrheit sich auch bei den Heiden geoffenbart habe, ja dass jene ausgezeichneten Dichter und Philosophen der Griechen und Römer wohl auch als Träger dieses Geistes betrachtet werden können. Die vollkommenste Offenbarung Gottes sei gegeben in der heiligen Schrift, aber der Geist der Wahrheit habe sich keinem Volk unbezeugt gelassen.

 

„Es waren wohl zu allen Zeiten und unter allen Nationen, nicht nur bei den durch Künste und Wissenschaften gebildeten, sondern selbst bei den barbarischen ausgezeichnete und hervorleuchtende Männer, welche entweder durch den Vorzug eines tugendhaften Lebens oder durch den Ruf großer Weisheit, durch praktische Tätigkeit oder durch Wissenschaften erworben, bei ihren Zeitgenossen und Nachfolgern am meisten gegolten haben. Diesen, weil sie als treffliche Männer galten und eine außerordentliche Erkenntnis in göttlichen und menschlichen Dingen sich erworben hatten, haben die andern, von einem Instinkt der Natur geleitet, das Recht zu regieren zugestanden und ihnen als Führern zu einem vernünftigen und rechtschaffenen Leben ihr Vertrauen geschenkt.

 

In ihre Aussprüche wurde eingestimmt, in ihre Urteile und Vorschläge wurde bereitwillig eingegangen. Auf ihren Rat wurden Unternehmungen angefangen, durch ihre Klugheit geleitet, nach ihrer Meinung hinausgeführt oder aufgegeben. Ihren Weisungen wurde Gehorsam geleistet in öffentlichen wie in Privat-Angelegenheiten, in heiligen wie in weltlichen Dingen. Und es wurde die Erfahrung gemacht, dass es den Staaten, Völkern und Reichen immer heilsam war, wenn sie die Ermahnung guter und weiser Männer befolgten. Und wiederum war es höchst gefährlich, mit großen Verlegenheiten, Elend, Schande und äußerstem Unglück begleitet, wenn sie so tüchtige Ratgeber verachtet und überhört hatten. Woher meinen wir, dass jene ähnlichen Erfolge kamen? Woher jene Regelmäßigkeit? Woher jene Übereinstimmung bei der größten Verschiedenheit der Zeit und des Ortes? Doch ohne Zweifel aus den Absichten des höchsten Wesens, in welche auch jene hervorragenden Männer teilweise schauten.

 

Denn Gott, welchem es viel notwendiger ist, das allgemeine Gut zu sein, als die Wahrheit, wie Plato sagt, hat nichts außerhalb seiner Güte und Vorsicht gelassen, sieht Alles vor und leitet Alles und nichts kann bestehen ohne ihn. Aus allen Völkern aber hat er Einen erwählt und ausgesondert, in welchem er klarer zu erkennen geben wollte, welches seine unermessliche Güte, Gerechtigkeit, Weisheit und Macht sei. Doch ist Gott in allen Völkern, lässt keines ohne Anteil an ihm, bietet sich allen zum Genuss dar, offenbart sich bis zu einem gewissen Grad allen, den einen näher, den andern gleichsam von ferne, den einen klar und lichtvoll, den andern wie im Traum, in einer Wolke, in einem durchscheinenden Körper. Dieser Gott also ist Gemeingut der Wahrheit, das ist: er hat sich auch den heidnischen Menschen dargeboten und ihnen Gesetze gegeben, nicht in Erz oder Stein gegraben, sondern geschrieben und eingedrückt in ihre Herzen ((impressas in corda illorum)). Weil diese eingepflanzt und anerschaffen sind dem menschlichen Gemüt von dem Schöpfer aller Dinge, so werden sie natürliche Gesetze genannt. Sie sind Teile ohne Zweifel von dem Willen und der ewigen Ordnung Gottes. Nach diesen Ideen der Wahrheit haben jene vorleuchtenden Männer ihre Begriffe ((sensa)) gebildet; nach ihnen, als nach einer Norm und Regel, haben sie ihre Lebensgrundsätze abgewogen und eingerichtet. Daher haben sie ihre Sittenlehren, daher ihre Räte, daher ihre Aussprüche auf alle Gebiete des Lebens ((ad omnes partes vitae muniendas)) genommen, so dass ihre Gebote und Weisungen annehmen so viel heißt, als Gottes ursprünglichen Geboten gehorchen, diese Schranken aber übertreten soviel, als Gottes Gebote vergessen. Es war daher mit Recht und nach der genauesten Prüfung des göttlichen Urteils mit der Haltung jener Grundsätze, Lehren und Mahnungen Ruhe und Glück, mit ihrer Verachtung Strafe und Schmach verbunden. Nicht von Haus haben wir diese Philosophie mitgebracht, sondern aus dem Heiligtum des wohlbelehrten Paulus hervorgenommen, welcher diesen Gegenstand klar genug behandelt in dem apostolischen Briefe an die Römer 2, 8-15 und 26-29 (Gott wird vergelten einem Jeden nach seinen Werken; denen, die durch Standhaftigkeit im guten Werke nach Preis und Ehre und Unvergänglichkeit trachten, das ewige Leben; denen aber, die widerspenstig und der Wahrheit ungehorsam sind, der Sünde aber gehorchen, Ungnade und Zorn. Trübsal und Angst über jede Seele eines Menschen, der Böses wirkt, über den Juden zuerst und auch über den Griechen; Preis aber und Ehre und Frieden einem Jeden, der Gutes wirket, dem Juden zuerst und auch dem Griechen). Im ersten Kapitel sagt er ausdrücklich, Gott habe sich den Völkern geoffenbart, aber die meisten haben die Wahrheit mit dem Irrtum vertauscht. Ich meine daher, es sei aus dem heiligen Wort Gottes klar, dass die Wahrheit auch den Heiden mitgeteilt worden sei und dass das natürliche Gesetz sie dasselbe lehre, was das mosaische; und wenn die Heiden diese Kundgebung verachtet haben, so ist mit Recht die Strafe gefolgt; wenn sie die Lehren der Weisen und Guten annahmen, die nach dem angeborenen Gesetz gehalten sind, so ward ihnen Lob, Ehre und Glück von Gott zugeteilt. – Als Wächter und Vollzieher jener Gesetze, welche Gott dem menschlichen Gemüt eingepflanzt hat, sind dann zu betrachten: bei den Indern die Bramanen und Gymnosophisten, bei den Persern die drei Geschlechter der Magier, bei den Ägyptern die Hierophanten, bei den Griechen und Römern die Philosophen, bei den Galliern die Druiden etc. Weiterhin werden zu diesen Lehrern des menschlichen Lebens mit vollem Rechte die ausgezeichneten Gesetzgeber gezählt: ein Charondas, Minos, Lycurgos, Solon, Dracon; dann auch die Andern, welche bei den verschiedenen Nationen durch hervorragenden Geist und rechtschaffenes Leben sich auszeichneten, wie bei den Scythen Anacharsis.

 

Den ersten Rang aber als Lehrer für das Leben nehmen glaube ich bei den heidnischen Völkern die Dichter ein, von denen man hielt, dass sie die Gedanken des höchsten Wesens erkannt und erforscht hätten. Man glaubte nämlich, dass sie von einem heiligen Hauch berührt und durch göttliche Begeisterung das lehrten, was den Menschen heilsam sei, wie Ovid rühmt:

 

Est Deus in nobis, agitante calescimus illo:\\

Sedibus aethereis spiritus ille venit.

 

Sie wurden daher auch für Weissager und heilige Priester des Apollo gehalten. Nennt nicht Paulus (an Titus 1,12), indem er den Dichter Epimenides oder Menander zitiert, denselben einen Propheten, eben weil bei den heidnischen Völkern an der Stelle die Dichter standen, wo bei uns die Propheten? Ohne Zweifel waren die ältesten Dichter Theologen von Beruf, wie Musaeus, Orpheus, Linus und Hesiod, der eine Genealogie der Götter erzählt.

 

Ihr gemeinsames Bestreben war, das dem Menschen Heilsame ((utilia vitae)) durch die lockende Macht der Rede darzubieten und einen gesunden, mit Zucker und Honig versüßten Trunk der Lehre zu reichen. Wenn sie nicht immer die Tugend übten, so haben sie dieselbe doch fleißig gelobt und das Laster gegeißelt. Oder sind ihre Satiren nicht Sittenpredigten, klare Beurteilungen der Laster ihrer Zeit und Ermahnungen zur Sittlichkeit? Ja, man findet in ihnen mehr heiligen Sinn, mehr Bildung, mehr Weisheit, überhaupt mehr nützliche Frucht, als in den langen Summen ((Lehrbüchern)) gewisser Matäologen((abw. Philosophen, leere Schwätzer)) (ich sage nicht: „Theologen“) und in ihren ungeheuren Bänden zusammengetragenen Zeuges ((ingentibus centonum fasciculis)). In der Tat sind jene Männer ihrer Zeit viel gewesen und haben auch der Nachwelt viel Gutes getan. Durch die Mahnungen der Dichter wurde die Ausgelassenheit der Jugend besänftigt, die Wildheit gebändigt, das Urteil gebildet, die Verkehrtheit des Sinnes zurecht gebracht. Der Dichter war der öffentliche Ankläger der Laster, der große Schrecken der Spitzbuben und Schwindler. Aber unter jenen gelehrten Männern sind doch auch viele als Betrüger erfunden worden, möchte Einer sagen. Niemand wird leugnen, dass unter ihnen manche nichtsnutzige und durch böse Leidenschaften verkehrte Menschen gewesen sind, welche dem Schein nach die Wahrheit und jene eingepflanzten Gesetze verkündeten, aber in der Tat das Ihrige suchten und verderbliche Lehren in die Menschheit ausstreuten, nicht anders, als wie auch bei uns zu allen Zeiten falsche Propheten und falsche Apostel gewesen sind. Ihre Lehren wurden aufgegriffen von übelgesinnten und verdorbenen Leuten; aber von den besser gesinnten, die von der Idee des Wahren und Guten getrieben waren, wurden sie zurückgewiesen, da sie als töricht, schändlich, schmutzig, mit der Wahrheit streitend, der Vernunft widerstrebend erschienen und durchaus nicht zu jenen Normen der angeborenen Gesetze stimmten. Aus den Büchern jener Männer aber, die unermüdlich nach Wahrheit und Tugend strebten, kann viel gewonnen werden, das unser Leben veredelt, bildet, verschönt und vor Schaden bewahrt. Vieles, was sie gesagt haben über Gott, stimmt mit den Glaubenssätzen des Christentums überein. Dies hielten unsere Altvordern für entwendet aus den Schätzen der heiligen Bücher und meinten, dass man es mit Recht zurückfordern und jenen als den unrechtmäßigen Besitzern entreißen müsse. Umgekehrt müssen diese Wahrheiten alle vielmehr betrachtet werden als Geschenke des himmlischen Vaters, als Samenkörner des Rechten und Wahren, vom Himmel her in den Acker des menschlichen Gemüts geworfen. Wie nämlich Gott reich ist und großmütig und am allerwenigsten neidisch, so wollte er auch jene Menschen nicht von der Wahrheit, dem höchsten Gute, ausschließen. Was sage ich, er wollte sie nicht ausschließen? Vielmehr wollte er ((maxime nopit)), wie sein Wort lehrt, dass alle Menschen mit großen Schritten nach der Erkenntnis der Wahrheit fortschreiten und an dem ewigen Heil Teil erlangen. Möchten nur die törichten Menschen die ihnen dargebotene Wohltat anerkennen, nicht undankbar vernachlässigen, sondern mit Eifer erfassen. Lasst uns also mit jenen Schätzen (Wahrheiten der Heiden) Mitleid haben, nehmen wir sie in Empfang, damit sie nicht zu Grunde gehen und legen wir sie ehrenvoll im Haus Gottes nieder!“

 

So sprach Bibliander in seiner Antrittsvorlesung als Nachfolger des Reformators. Ein feiner, freier und zugleich milder Geist weht durch alle seine Worte hindurch. Besonders charakteristisch aber ist ihm das Bestreben, das ganze Geistesleben der Menschheit als Totalität zu erfassen, ein Universalismus, der an Herder erinnert, ein Humanismus, der nichts Menschliches sich fremd fühlt. Seine Zuhörer, darunter die ersten Theologen Zürich’s, waren entzückt von der Beredsamkeit und eminenten Gelehrsamkeit des jungen Professors. Eine Reihe von Jahren besuchten Männer wie Bullinger und Pellican die Morgenvorlesungen Biblianders, die, ich möchte sagen, als ein Morgengebet oder eine Frühmesse im Tempel der Wahrheit betrachtet wurden. Ja, Pellican hat viele derselben wörtlich niedergeschrieben und sorgfältig aufbewahrt.

 

Jetzt eröffnete sich dem für Wissenschaft und Christentum gleich begeisterten Gelehrten ein schöner und großer Wirkungskreis; immer tiefer drang er in den Geist der orientalischen Sprachen ein, die er zur Auslegung des alten Testamentes brauchte; immer freundlicher gestaltete sich sein Verhältnis zu den Häuptern der reformirtan Kirche und den Trägern der Wissenschaft; immer mehr befestigte sich auch sein Standpunkt, auf welchem er Christentum und Humanität verbinden wollte; immer mehr schärfte sich aber auch der Gegensatz zwischen ihm und jenen Männern, welche den freien Geist des Jahrhunderts und das religiöse Bewusstsein der Zeit um jeden Preis wieder in strenggefasste, allgemein verbindliche Glaubenssätze zurückzwingen wollten.

 

Nach J. J. Hottinger füge ich hier bei, was Pellican über diese Zeit in seiner erbaulichen Weise berichtet: „Gottes Gnad‘ und Barmherzigkeit hat es geleitet, dass anstatt eines Zwinglii und der von selbigem erzeigten Treu die Kirch Zürich in Lehr und Leben zweifaltig und vortrefflicher erbauet worden. Ehmal hat allein Zwinglius unter vielen Geschäften Gottes Wort in der Kirch und in der Schule erklärt. Aber durch göttliche Verfügung ist Zwinglii Schularbeit anvertraut worden Theodoro Bibliandro, einem in den Sprachen und allen übrigen Wissenschaften so wohl erfahrnen, wohl beredten und gelehrten Mann, dass Bullinger von selbigem geschrieben: Er wisse nicht, ob selbigem an Gelehrsamkeit, Verstand und Freundlichkeit jemand vorzuziehen seye.“

 

Von dem Privatleben Biblianders in den Jahren 1532-60, während welcher Zeit er sein Amt inne hatte, ist wenig genug zu unserer Kenntnis gekommen. Er vermählte sich im Jahre 1532, bald nach seinem Amtsantritt, mit Rosine Rordorf, wahrscheinlich von Zürich, die ihm mehrere Kinder geschenkt und ihn um einige Jahre überlebt hat. In Anerkennung seiner Verdienste schenkte ihm die Stadt Zürich 1546 das Bürgerrecht; auch wurde er Mitglied des reorganisierten Chorherrenstiftes, womit ein bescheidenes Einkommen verbunden war. Auf zwei Glasfenstern in Zürich sind die Schilde der damaligen Chorherren gemalt, gruppiert um die Stiftung Karls des Grossen. Dort glänzt neben dem Schilde Bullingers derjenige Biblianders mit seinem Monogramm (Jahrzahl 1556). Eine andere gemalte Scheibe im Antiquitätensaal auf der Wasserkirche, wahrscheinlich eine Dedikation, enthält unter dem Bild einer Coena die Namen: Conr. Pellicanus, Theodorus Bibliander, Conr. Gessner. Man pflegte dergleichen Scheiben früher bei besondern Anlässen einem Heiligtum zu stiften, später aber als Zeichen der Freundschaft und Verehrung sich gegenseitig zu dedizieren. Um Biblianders Stellung und Wirken in Zürich noch etwas genauer zu zeichnen, ist es nötig, einen kurzen Blick auf seinen Freundeskreis zu werfen, mit dem er in fleißigem, meist theologischem, Briefwechsel stand.

 

III. Freundeskreis.

 

„Der Mensch hat nichts so eigen,

So wohl steht ihm nichts an,

Als dass er Treu erzeigen

Und Freundschaft halten kann.“

 

So singt der treffliche Simon Dach und schlägt damit den Ton an, welchen das sechzehnte Jahrhundert nach langem Schlummer zuerst wieder geweckt hat. Ein Zeitalter, reich an geistigen Bestrebungen und Kämpfen, das die Geister sondert und wiederum zum Streite gegeneinander führt, bringt auch eine größere Zahl idealer Freundschaften hervor, als jede andere Zeit. Dazu trägt schon die gehobene, kampfesmutige Stimmung bei, in welcher die hervorragenden Männer sich finden; dann aber auch das gesteigerte Bedürfnis, seine Gedanken auszutauschen und des Andern Meinung mit der eigenen zu vergleichen; endlich der gemeinsame und eifrige Wunsch, einer als gut erkannten Sache zum Sieg zu verhelfen und die gemeinsame Gefahr, wenn dieser Sieg verloren gehen sollte. Diese Gefühl, bald mehr bald weniger klar empfunden, haben im Reformationszeitalter eine Reihe von Freundschaften gestiftet, welche einen fast antiken Charakter an sich tragen. Es sind in jener Zeit so viele Briefe, teils in wissenschaftlichem, teils in freundschaftlichem Interesse, teils in beiden zugleich geschrieben worden, dass man mit Recht sagen kann: Bei Betrachtung der zahlreichen Foliowerke jener rastlos tätigen Männer kann man es kaum begreifen, wie sie noch zu so vielen Briefen die Zeit fanden; und wenn man ihren Briefwechsel kennt, so verwundert man sich, dass sie darüber noch zu größeren Arbeiten kamen.

 

So stand auch Bibliander mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit in regem geistigem Verkehr und mit mehreren in ungetrübter Freundschaft, die durch das ganze Leben blieb. Wie bereits angedeutet, knüpfte ihn ein besonders inniges Band an den ausgezeichneten Philologen und Schulmann Oswald Myconius. Dieser war aus Luzern gebürtig und hieß eigentlich Geisshüser oder Geisshüsler, wofür ihm Erasmus den Namen Myconius gab. Bei seiner großen Gelehrsamkeit und humanistischen Bildung blieb er doch eine derbe, kräftige Natur, treu und fest, aber auch zu Zeiten schroff und zackig wie die Berge seiner Heimat. Seine Tätigkeit in Zürich fällt in die Jahre 1522-31. Dann siedelte er nach Basel über und wurde der Nachfolger des Ökolampad als Haupt der dortigen Kirche. An diesem Manne hing Bibliander mit der ganzen Treue eines dankbaren Schülers; er hatte von ihm Lateinisch, Griechisch und Hebräisch gelernt, in den orientalischen Sprachen aber sich selbständig weiter gebildet und seinen Lehrer nach und nach überragt. Myconius war auch einer der Wenigen, die das freiere Denken Biblianders verstanden und nicht ängstlich darüber urteilten. Noch im Jahre 1551 besuchte der Schüler den alternden Lehrer in Basel zur nicht geringen Freude des letzteren; dann starb Myconius 1553 und Bibliander wurde in jene bemühenden Streitigkeiten verwickelt, welche die Prädestinationslehre nach sich zog. Im Haus des Myconius in den zwanziger Jahren war Bibliander auch mit einigen anderen merkwürdigen Männern bekannt geworden, so mit Thomas Plater und Conrad Gessner. Nach seinen Irrfahrten als fahrender Schüler in Deutschland und im Elsass und Studien mit Hindernissen kam Plater um’s Jahr 1522 nach Zürich, wo bald auch Myconius, von Einsiedeln herberufen, eintraf. Da der lernbegierige und treuherzige Walliser bald in des Myconius Haus heimisch wurde, so knüpfte er auch mit Bibliander Bekanntschaft an und lernte von ihm Hebräisch. „Thomas Plater“, so erzählt Hottinger, „hat ziemliche Zeit in Zürich mit Studieren und Unterweisung anderer Knaben, unter welchen Otto Werdmüller und Conrad Gessner, zugebracht. Er war viel in Myconii Haus und mit Theodor Bibliander, welcher um anno Chr. 1509 (1504) zu Bischofszell geboren und damals nicht nur des Myconius Provisor oder Conrector, sondern auch Kostgänger gewesen, so wohl bekannt, dass selbiger ihn in hebräischer Sprache unterrichtet, so dass Plater Andern gute Anleitung darinn geben können.“

 

Inniger und dauernder als mit dem etwas plauderhaften Plater war die Freundschaft Biblianders mit dem großen Polyhistor Conrad Gessner von Zürich, dem Begründer der Naturgeschichte und Herausgeber zahlreicher gelehrter Werke aus allen Gebieten der Wissenschaft. (Lexicon Graeco-Latinum; Enchiridion historiae plantarum; Historia animalium; Bibliotheka universalis seu Catalogus omnium scriptorum u. v. a.) Gessner war sieben Jahre jünger als Bibliander und anfänglich sein Schüler, schien sich zuerst der Philologie widmen zu wollen und hatte schon bedeutende selbständige Leistungen darin gemacht, als er noch zur Medizin und von ihr zur Naturgeschichte überging, wo er sich mit Recht den Ehrennamen des „Deutschen Plinius“ und „literarum miraculum“ erwarb. Nach langen Studienreisen in Frankreich und Deutschland lebte er in seiner Vaterstadt Zürich und starb daselbst 1565 an der Pest. Unermessliches Wissen und außerordentliche Leistungen auf so vielen und verschiedenen Gebieten der Wissenschaft machen Conrad Gessner heute noch zu einem Wunder der Gelehrsamkeit. Er nahm auch an den theologischen Fragen der Zeit lebendigen Anteil und wirkte dem ängstlichen, kleinlichen und dogmatisch streitsüchtigen Geist der dreißiger und vierziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts bisweilen kräftig entgegen. Er beklagte es, dass man so bald von der freien und reinen Bahn Zwingli’s zurückkomme, und schrieb darüber an Bibliander und Bullinger gemeinsam: „Quotiescunque animo meo summam illam nostrae aetatis ingratitudinem volutare caepero, dicto mirum, quanto mens mea dolore tota inundatur. Tam rarae amicitiae, tam parata oblivio mortuorum, ut Plinii verbis utar. Nec enim ullus est nostrorum, qui vel unico verbulo gratum aperiat animum erga strenuissimum illum heroem, patriae patrem lucemque orbis terrarum, Huldr. Zwinglium, in cujus vestigiis vos quoque nunc insistitis. Heroem merito appello, ut pote quem nulla cunque vis, nullae minae, nullae insidiae, nulla denique invidia a vero et honesto labefecit.“

 

Conrad Gessner und Bibliander waren verwandte Geister, beide suchten sie mit gewaltiger Kraft und eisernem Fleiß des Wissens ganze Fülle zu umspannen und gingen in rastlosem Lauf von einem Gebiet zum andern über.

 

Ein treuer und vieljähriger Freund war unserm Bibliander dann besonders auch der Pfarrer am Grossmünster und Schulherr von Zürich, Heinrich Bullinger. Dieser gelehrte und außerordentlich tätige Mann, der mit den meisten protestantischen Fürsten und Autoritäten Europas in Beziehungen stand und ihr Ratgeber war, besuchte Jahre lang die Vorlesungen Biblianders und schrieb sie in 45 Tomus nieder. Sein feiner Takt, sein maßvolles Wesen und seine Gewandtheit in theologischen und politischen Fragen machten ihn zum Leiter der ganzen reformirten Kirche jener Zeit. Der Schutz und die Treue eines solchen Freundes kam dem unpraktischen Bibliander um so mehr zu Statten, als dieser immer mehr in die Bahn des Erasmus trat, ungewöhnliche Meinungen äußerte und sich darüber in mehrfache Händel verwickelte.

 

Zu diesem Freundeskreis gehörte dann auch Conrad Pellicanus (Kürschner), aus Rufach im Elsass gebürtig, ein Kollege Biblianders an der Schule beim großen Münster. Er war ein kindlich frommes Gemüt und so heiter, dass er gegen den Abend seines Lebens zu einem Freund sagen konnte: „Wenn man mich von Haus und Hof triebe und alle meine Habe nähme, ich würde, glaub ich, kaum traurig werden; in meinem ganzen Leben war ich es zusammen kaum 3 Tage lang und zornig niemals.“ Seinen gelehrteren Freund Bibliander hielt er außerordentlich hoch, schrieb die meisten seiner Vorlesungen noch in den späteren Jahren nieder und soll auch dessen Leben beschrieben haben. Außerdem stand Bibliander in Briefwechsel mit Joachim Vadian, dem vielseitigen Gelehrten und Bürgermeister von St. Gallen. Dieser merkwürdige Mann hatte zwar die Bahn seines Ruhmes durch ein Lobgedicht auf Kaiser Friedrich III. betreten und war von Maximilian eigenhändig zum Dichter gekrönt worden. In seine Vaterstadt St. Gallen zurückgekehrt, kehrte ihm aber auch der freie republikanische Sinn wieder und er erwarb sich als Arzt und Bürgermeister dieser Stadt, sowie durch Förderung der Wissenschaft bedeutende Verdienste.

 

Endlich stand Bibliander auch in freundschaftlichem Verkehr mit den Brüdern Ambrosius und Thomas Blarer (Blaurer) von Konstanz, der erstere hatte das Kloster verlassen und war Prediger des Evangeliums in seiner Vaterstadt geworden, von wo aus er reformirend auch im Thurgau, besonders in Bischofszell, einwirkte. Sein Andenken erhielt sich beim Volk bis auf die neueste Zeit. Später, als Konstanz zur Annahme des Interims gezwungen wurde, kam er in die Schweiz, wirkte an mehreren Orten, z. B. in Biel und Winterthur, wo er auch starb.

 

In diesem Freundeskreis, welcher zugleich die Gelehrten-Republik der deutschen Schweiz im 16. Jahrhundert repräsentiert, nahm Bibliander durch seine außerordentliche Gelehrsamkeit eine hervorragende Stellung ein; auch war er der entschiedenste Gegner jeder fremden theologischen Lehrmeinung, welche man damals von zwei Seiten her auf deutsch-schweizerischen Boden verpflanzen wollte. Gegen diese pflegte er seine Freunde zur Wachsamkeit aufzumuntern, und ob auch von Natur ein sanftes und argloses Gemüt, konnte er doch über fremde Anmaßungen auf dem Gebiet des Glaubens und der Wissenschaft in heftigen Zorn gebracht werden,

 

Doch dies führt uns zu einem neuen Kapitel, das wir trotz seines vorwiegend dogmengeschichtlichen Inhaltes nicht ganz übergehen wollen, zu Biblianders literarischer Tätigkeit.

 

IV. Gelehrte Arbeiten.

 

Das Studium und die Erklärung der heiligen Schrift in den Ursprachen, insbesondere des alten Testaments, befand sich um diese Zeit in einem solchen Zustand, dass der Sprachkundige recht eigentlich aus dem Vollen arbeiten konnte. Wo er hinblickte, sah er entweder ägyptische Finsternis über den Büchern schweben, die nun als Quellen des Glaubens gelten sollten, oder dieselben durch willkürliche, tendenziöse und abenteuerliche Ausdeutungen entstellt. Daher auch die große Zahl gelehrter Werke, die nun bald auf diesem Gebiet ans Licht traten. Biblianders eigentliche Stärke, sein Lieblingsfeld, worauf er durch Neigung und Amtspflichten vorzugsweise gewiesen war, ist nun gerade die Schrifterklärung. Seine Kommentare unterscheiden sich von den ähnlichen Werken der früheren Zeit hauptsächlich in zwei Punkten: Einmal beurkunden sie eine weit vollkommnere Kenntnis der hebräischen Sprache, als sie sonst bei der Mehrzahl der damaligen Theologen zu finden war; und damit hatte er auch das Studium des Arabischen und der übrigen semitischen Dialekte verbunden und die Geschichte, Philosophie und Altertumskunde in den Kreis der Exegese gezogen. Sodann zeichnet sich Biblianders exegetische Tätigkeit außerordentlich wohltätig aus durch den freien theologischen Standpunkt, von welchem sie ausgeht und durch eine nicht gewöhnliche Unbefangenheit des Urteils. Man fühlt, dass es ihm durchaus nicht um eine vorgefasste Meinung, sondern um Herstellung des richtigen Sinnes im Interesse der Wahrheit zu tun ist. Zugleich beginnt er die Schriften im Zusammenhang mit ihrer Zeit zu erklären und weiß durch geistvolle Exkurse das Verwandte aus Philosophie und Geschichte beizuziehen.

 

In 24 gelehrten Werken, sämtlich lateinisch geschrieben, hat Bibliander die bedeutendsten Früchte seines Fleißes niedergelegt; davon sind 14 exegetischen Inhaltes, die übrigen theologische Abhandlungen, Reden an seine Zeit, archäologische und geschichtliche Beiträge. Der größere Teil seiner exegetischen Vorlesungen aber ist von seinen Freunden Pellican, Bullinger, Gwalter, Lavater eigenhändig aufgezeichnet und nicht zum Druck gekommen. Seine Erstlingsarbeit ist betitelt:

 

Oratio ad enarrationem Esaiae, prophetarum principis dicta Tiguri 1531. Es ist eine Einleitung in den Geist dieses Propheten und in die Prophetie des alten Testaments überhaupt. Demselben Gebiet angehörend erschienen sodann: Propheta Nahum, juxta veritatem Hebraicam latine redditus, adjecta exegesi. Tigur et Basil. 1534.

 

Institutiones Grammaticae de lingua Hebraea. Tigur 1535.

 

  1. D. Joannis Öcolampadii et Huldr. Zwinglii epistolarum libri quatuor, praecipua cum religionis a Christo nobis traditae capita, tum ecclesiasticae administrationis officia, nostro maxime saecula tot hactenus erroribus perturbato convenientia adamussim exprimentes etc. Basil 1536. – Die Vorrede zu diesem theologischen Briefwechsel ist bedeutend, eine glänzende Ehrenrettung Zwinglis und Öcolampads gegen Lutheraner und Katholiken. Die Briefe sind nicht chronologisch, sondern nach der Materie geordnet und sind denselben die Lebensbeschreibungen beider Männer, von zuverlässiger Freundeshand aufgezeichnet, beigefügt. Auch hebräische, griechische und lateinische Epigramme auf dieselben zieren nach damaliger Sitte das ziemlich selten gewordene Buch.

 

De optimo genere Grammaticorum Hebraicorum commentarius. Basil 1542.

 

Eine besondere Gruppe bilden sodann die zwei folgenden Werke:

 

Ad nominis Christiani socios consultatio, quanam ratione Turcarum dira potentia repelli possit ac debeat a populo Christiano. Basil 1542.

 

Emendatio textus Alkorani cum exemplaribus Latinis et Arabicis, addita praefa. tione editionis illius apologetica. Basil. 1543.

 

Diese beiden Schriften beurkunden den lebendigen Anteil, welchen der scheinbar ganz in seine Bücher vertiefte Gelehrte an den damaligen Zeitläuften nahm und wie sehr ihm die Wohlfahrt der ganzen christlichen Kirche und die Erhaltung ihrer Selbständigkeit am Herzen lag. Die erste ist ein „Ratschlag an die christlichen Glaubensgenossen, auf welche Weise die grausame Macht der Türken von dem Volke der Christenheit abgehalten werden könne und müsse!“ Beilegung der innern Händel, Einigung auf dem Grunde eines evangelischen Glaubens zu einer wahrhaft „katholischen Kirche“ erscheinen ihm gewiss richtig als die Hauptmittel, um die schön aufwachsende Saat christlicher Bildung vor dem rohen Andrang der Muhamedaner zu retten. Nur schade, dass sein Aufruf die Stimme des Predigers in der Wüste blieb. Die zweite Schrift ist nichts anderes als eine lateinische Übersetzung des Korans, mit einer Vorrede, welche die Herausgabe dieses viel geehrten und viel gehassten Buches rechtfertigt.

 

Die orientalische Frage war dazumal in ganz anderem Sinne eine brennende als heutzutage: sie brannte auf den Gewässern des Mittelmeeres, wo die Seeräuberschiffe von Algier und Tunis den ganzen Handel Spaniens und Italiens zu erdrücken drohten, so dass Karl V. persönlich zwei Züge dorthin unternahm. Mit den Trümmern seines Heeres war er 1541 von dem zweiten Zuge zurückgekehrt und war froh, noch so viel aus der Höhle des Löwen gerettet zu haben. Die orientalische Frage brannte noch heftiger an der Ostgrenze des heiligen römischen Reiches. Dort hatten sich 1542 die Türken in Ungarn festgesetzt und erst 1547 kam ein Waffenstillstand mit ihnen zu Stande, und zwar unter der bemühenden Bedingung, dass König Ferdinand für den ihm gebliebenen Teil des ungarischen Landes ihnen einen jährlichen Tribut bezahlte. Da war denn die abendländische Christenheit teils mit panischer Furcht, teils mit grimmigem Zorn und Hass gegen die Türken erfüllt. Von allen Kanzeln wurde gegen diese Kinder des Satans gepredigt, geeifert und gebetet, ohne dass der Mut und die Eintracht der christlichen Mächte sonderlich zu wachsen schienen. Da entstand auch aus dem Munde eines Unglückspropheten die allgemein verbreitete Sage: „Die Türken werden nicht eher ruhen, bis sie ihre Rosse im Bodensee getränkt haben.“

 

Um diese Zeit also wagte es Bibliander, eine Übersetzung des Korans herauszugeben, und dieselbe mit einer Vorrede zu begleiten. Es war teils ein politisches, teils ein wissenschaftliches Interesse, was ihn zu diesem Schritte bewog. Der Koran war zwar in der Christenheit nicht ganz unbekannt, aber doch nur in unsicheren und fehlerhaften Texten vorhanden. Dann schien es gerade damals für den Denkenden von hoher Bedeutung, die Religion aus ihren Quellen kennen zu lernen, die ihre Bekenner zu so gewaltigen und scheinbar unaufhörlichen Kämpfen gegen die Christenheit antrieb. Vielleicht, dass gerade aus einer bessern Kenntnis des Islam auch der Mut und die Kraft des Abendlandes gestärkt wurden, um sich dieses Feindes mit besserem Erfolg zu erwehren. So ungefähr argumentierte Bibliander, als er sich zur Herausgabe des Korans entschloss. In seiner Vorrede beweist er zunächst, dass hierdurch dem Christentum kein Schaden geschehe und die Kirche deshalb nicht erschüttert werde. Er sagt nämlich gleich zu Anfang: „Da die Lehre Muhameds, welche seit ungefähr neunhundert Jahren den größten Teil des Erdkreises in Besitz genommen und denselben wie ein Krebsschaden verdorben hat, nie für sich allein in die Öffentlichkeit gegeben wurde, sondern nur mit einer gewaltigen Reihe von Schriftstellern, welche diese Lehre nicht sowohl widerlegen und als irrig zurückweisen, als vielmehr verderben und zertreten: so hoffe ich, es werde keinem Freund des christlichen Glaubens und keinem verständigen Mann missfallen, wenn jenes (die Herausgabe des einfachen Textes) einmal geschehe. Denn wenn nichts zu lesen erlaubt wäre, als was von jeder Unwahrheit und Gottlosigkeit frei ist, und den heiligen Schriften in allen Stücken entsprechend, so würden jene Christen außerordentlich übel handeln, welche die Bücher heidnischer Philosophen und Dichter so viel Mal abschreiben und in privaten und öffentlichen Bibliotheken aufstellen, sie lesen und den Knaben in den Schulen erklären, während diese (Bücher) gewiss mehr Unfrommes enthalten und lehren, als der Koran Muhameds.“ Dann stellt er auch die Vorteile dieser Arbeit ins Licht: Der finstere und verdorbene Zustand der Heidenwelt werde daraus erklärt, die elende Lage der vielen tausend Christensklaven in türkischer Gefangenschaft offenbar; auch könne der Koran nur dazu beitragen, die Würde und Majestät der Lehre Jesu Christi ins Licht zu stellen usw. Nicht alle Gelehrten vermochten sich indes auf Biblianders Standpunkt zu erheben. Als das Werk in Basel bei Oporin (Herbster) gedruckt werden sollte, versagten die Zensoren ihre Zustimmung. Der Rat wurde angerufen und verlangte von den Theologen der Stadt ein Gutachten. Die einen waren für, die andern gegen die Veröffentlichung und konnten ein einheitliches Votum nicht abgeben. Endlich legten die Zürcher für Bibliander Fürsprache ein und verbürgten sich für ihn, worauf der Druck endlich gestattet wurde. Es ist übrigens nicht der arabische Text, welchen Bibliander herausgab, sondern eine berichtigte und mit dem Grundtext verglichene lateinische Version Sie war im Kloster Clugny unter dem Abt Petrus zur Zeit des zweiten Kreuzzuges entstanden.

 

Bibliander hatte keine Sympathie mit dem verhassten Buch bezeugt, er hatte vielmehr durch seine Bemerkungen an demselben strenge Kritik geübt. Das hinderte indessen die spanischen Inquisitoren nicht, diese Ausgabe des Korans zu verdammen; sie verdammten nicht allein die Vorrede, sondern auch den Koran selbst. Die Jesuiten aber meinten, dass das Werk nicht sowohl wegen seines eigentlichen Inhaltes, sondern wegen der Vorrede und der Anmerkung Biblianders zu verdammen sei. Sie nannten ihn einen Mann damnatae memoriae und einen meribibulus, der stets nach Verbreitung verbotener Bücher trachte und sich erkühne, darüber zu brummen, dass die Kaiser Theodosius und Valentinian die Schriften des Nestorius verbrennen ließen. Doch gab es auch protestantische Theologen, welche das Vorgehen Biblianders nicht billigten und ihn schon als einen halb vom Glauben Abgefallenen zu betrachten anfingen. Es scheint, dass sie seinen Versicherungen nicht glaubten, oder in Bezug auf den Koran nach dem Sprichwort urteilten: Wer Pech angreift, besudelt sich.

 

Von den folgenden Schriften mögen hier nur noch einige der interessanteren aufgeführt werden:

 

De ratione communi ommnium linguaram ac literarum commentarius, cui adnexa est compendiaria explicatio doctrinae recte beateque vivendi et religionis omnium gentium et populorum. Tig. 1548. -Es ist dies eine Anleitung, wie jede Sprache wissenschaftlich zu behandeln sei, eine Art Methodik der allgemeinen Sprachlehre. Merkwürdig ist allerdings die Beigabe: „Anleitung zu einem rechtschaffenen und glücklichen Leben und Erklärung der Religionen aller Völker,“ doch ganz im Geist jener Zeit, welcher die Wissenschaft noch als ein großes Ganzes zu nehmen pflegt.

 

Quomodo legere oporteat Sacras Scripturas et compendium doctrinae Christianae ex Augustino collectum. Basil. 1550.

 

Consideratio decreti synodalis Tridentini de Authentia doctrinae ecclesiae Dei. Basil. 1551.

 

Concilium Sacrosanctum domini nostri Jesu Christi, angelorum, apostolorum, prophetarum, regum, episcoporum et doctorum excellentium in ecclesia Dei catholica, in quo demonstratur, quomodo possit ac debeat pereunti populo Christiano succurri per legitimam ecclesiae reformationem ejusque concilii decreta etc. Basil. 1552.

 

Bibliander war einer der Wenigen, welche den Gedanken an eine einzige Kirche und eine Gesamtreformation derselben durch Kaiser und Papst nie ganz aufgeben konnten. Es schien seinem milden und freien Geist immer noch möglich, dass man sich gegenseitig die Hand zur Versöhnung biete; es schien ihm aber auch notwendig, wenn nicht die christlichen Staaten und vor allem das deutsche Kaiserreich selbst an den Rand des Verderbens gebracht werden sollten. Die durch eine legitime Reformation geeinigte und gereinigte christliche Welt sollte sich dann nach Osten kehren und endlich der schmachvollen Türkenherrschaft ein Ende machen und das Evangelium wieder in jene Länder verpflanzen, wo es zuerst war verkündigt worden. Bibliander selbst wollte dann als Glaubensbote nach dem Morgenland ziehen und dort mit Hilfe seiner Sprachkenntnis das Licht des Christentums ausbreiten. Freilich Träume eines unpraktischen Gelehrten, aber Zeugnisse eines gross und edel denkenden Geistes.

 

Die letzten Arbeiten sind dogmatischen und apologetischen Inhaltes:

 

De summa Trinitate et fide catholica, de Christianis catholicis, haereticis et apostatis; de sacramentis fidei et unionis Christianae etc. Motto: Erit unus pastor et unum ovile. Basil. 1555.

 

De mysteriis salutiferae passionis et mortis Jesu Messiae, expositiones historicae libr. 3. Basil. 1555.

 

Christianismus sempiternus, verus, certus et immutabilis, in quo solo possunt homines beari. Tig. 1556.

 

V. Theologischer Streit und Ende.

 

Vierundzwanzig Jahre hatte Bibliander in seinem Amt gestanden und durch seine Vorlesungen, seine Schriften und sein Privatleben sich in der ganzen deutschen Schweiz hohe Anerkennung erworben, als noch sein Lebensabend durch einen theologischen Handel getrübt und heftig bewegt wurde. Im Jahr 1556 war nämlich in Zürich der greise Pellicanus, Biblianders unwandelbarer Freund und Kollege, mit Tod abgegangen und an seine Stelle wurde berufen: Peter Martyr Vermigli, ein Italiener, geb. 1500 zu Florenz. Nachdem derselbe mehrere Jahre Mitglied des regulierten Augustinerordens gewesen und zu Fiesole, Neapel und Lucca gelebt hatte, fing er an letzterem Ort um’s Jahr 1542 an, reformatorische Lehren zu predigen und wurde deshalb vor dem Inquisitionstribunal angeklagt. Er floh und kam nach Zürich, wo er von den Professoren und Geistlichen sehr freundlich aufgenommen wurde, dann weiter nach Basel und Straßburg. Hier fand er eine Anstellung und vertiefte sich, durch Bucer angeregt, in das theologische System Calvins. Es sagte seinem Geist so zu, dass er fortan einer der eifrigsten Lehrer dieser Glaubensform ward. Besonders schien ihm die Calvinsche Prädestinationslehre ein Grundpfeiler der evangelischen Wahrheit zu sein, und er glaubte sie überall in der heiligen Schrift, im alten wie im neuen Testament zu finden. Unter Eduard VI. von England wurde er als Lehrer der Schrifterklärung an die Universität Oxford berufen; unter Maria wieder entlassen, kehrte er nach Straßburg zurück, wo er das Bürgerrecht besaß.

 

Dieser Mann also kam 1556 nach Zürich, um Pellican’s Stelle als Professor des alten Testamentes neben Bibliander einzunehmen. Man nahm den gefeierten Lehrer abermals mit großer Zuvorkommenheit auf. Anfangs schien sich das Verhältnis zwischen ihm und den übrigen Professoren durchaus freundlich gestalten zu wollen, denn er war eine milde und bereits viel geprüfte Persönlichkeit. Allein Peter Martyr scheint sich die Aufgabe gestellt zu haben, die Lehre von der Gnadenwahl und absoluten Vorausbestimmung zur Seligkeit und zur Verdammnis auch in Zürich, wo man sie gerne mit Stillschweigen überging und als Mysterium behandelte, zur herrschenden Geltung zu bringen. Es war, als ob Calvins Geist plötzlich einen theologischen Lehrstuhl an dieser Schule eingenommen hätte. Die meisten Theologen und Lehrer in Zürich beugten sich vor dieser Autorität, um so mehr, da es in der Strömung der Zeit lag, den freien Geist wieder in die gewohnten Bande zu legen. Bibliander aber war ein erklärter Gegner der Prädestinationslehre, er hielt zu Erasmus und nahm für jeden Menschen, der verantwortlich handeln sollte, den freien Willen in Anspruch. Er verschmähte das Prädikat vollkommener Orthodoxie, das nun nicht mehr ohne Anerkennung jener Lehre zu behaupten war. Er wollte sich auch in seinen alten Tagen nicht mehr zu neuen Grundsätzen bekennen, die seinem Geist fremd und zuwider waren. Ein Jahr lang ungefähr sah er den Bestrebungen Peter Martyr’s stillschweigend zu, obgleich dieser an allen Stellen, wo sich die Gelegenheit fand, in seinen Vorlesungen die Lehre von der ewigen Vorausbestimmung herbeizog, erörterte und in seiner Weise auch begründete. Endlich wurde es ihm doch zu viel und er fing an (Juni 1557), seinen Kollegen in seinen eigenen Vorträgen zu bekämpfen. Hören wir einige seiner Hauptgründe, welche er für die freie Selbstbestimmung des Menschen aufführt:

 

„Hat Gott nicht Allen seinen ewigen, gerechten, wohlmeinenden, heiligen Willen vorgelegt? Wer wird nun jenen Knecht nicht einen ausgezeichneten Taugenichts nennen, welcher den Willen seines Herrn hört, aber ihm widersteht und anfängt zu philosophieren, ob der Herr das meine, was er befiehlt, oder ob er schon längst etwas Anderes beschlossen? Man soll also nicht in die Geheimnisse der göttlichen Majestät eindringen wollen, von welchen der Forscher nur erdrückt wird. Man soll Gott glauben und vertrauen als dem Wahrhaften, welcher nicht täuschen kann. Dieser Herr, unser Richter, Vater, Schöpfer und Erhalter, ruft die Mühseligen und Beladenen zu sich, damit sie erquickt werden, und erklärt mit wiederholten Worten, er wolle nicht den Tod des Sünders; er wolle, dass Alle an dem dargebotenen Heile Teil erlangen: Er verheißt Allen das ewige Heil, welche an den Sohn Gottes glauben. Er spricht selig mit unwiderruflichem Wort Diejenigen, welche den Hungrigen speisen, den Durstigen tränken, den Nackten bekleiden, den Fremdling beherbergen, den Gefangenen trösten, und mit klaren Worten sagt er, dass sie aufgenommen werden in das Reich des Vaters, welches von Anfang an bereitet sei. Diese göttlichen Aussprüche sollen wir hören, ihr Brüder; an diesem himmlischen Ratschluss sollen wir uns festhalten, wenn uns um die Seligkeit bange ist. Die heiligen Lehren der göttlichen Majestät lasst uns befolgen, wenn wir dem letzten Übel entrinnen wollen, durch Demut des Geistes im Gehorsam.“

 

Es ist hier nicht der Ort, den theologischen Hausstreit einlässlicher darzustellen. Er wurde zwei Jahre citra turbas, d. i. ohne namhafte Störung und Verwirrung geführt. Unterdessen wurde Bibliander, dessen Kräfte durch große Geistesarbeit abgenommen, heftiger und aufgeregter, teils weil die Polemik seines Gegners ihn verletzte, teils weil sein Gemüt durch trübe Erfahrungen krankhaft verbittert war. Er wollte nach Arabien ziehen, um dort der Verkündigung des Evangeliums, worüber man zu Hause nur noch streiten konnte, den Rest seiner Tage zu weihen. Doch Bullinger hielt ihn zurück, wohl einsehend, dass er nur dem Tod oder der Gefangenschaft entgegen gehen würde. Endlich fiel Bibliander auf ein wunderliches Mittel, um die Frage der Prädestination zu lösen: er forderte seinen Gegner zum Zweikampf heraus und soll zur bestimmten Zeit mit einer Hellebarde auf dem Platz erschienen sein. So wenigstens berichten mehrere Quellen übereinstimmend, obgleich sie selbst einigen Zweifel in den Hergang der Sache zu haben scheinen.

 

Ob Bibliander wirklich ein Gottesurteil über die schwere Frage der Vorherbestimmung herbeiführen wollte, oder ob er nur dem Streit so einmal ein Ende zu machen gedachte, ist wohl kaum mehr zu entscheiden möglich. So wunderlich und überspannt indes dieses Vorgehen war, so ist ihm doch ein heroischer und aufopfernder Zug nicht abzusprechen, ja es ehrt in unserm Auge den wackern Bibliander in seinem krankhaft aufgeregten Zustand noch mehr, als es ihn lächerlich zu machen vermag.

 

Peter Martyr erschien nicht auf dem Kampfplatz, es scheint, dass er diese Konsequenzen seiner Lehre nicht liebte. Vielmehr brachte er die Sache an das Collegium der Geistlichen und hielt am 25. Januar 1560 zur Verteidigung seiner Auffassung von dem „freien Willen“ einen öffentlichen Vortrag. Niemand war, der für Bibliander und Erasmus, der gegen die Autorität Calvins und Peter Martyrs auftrat, Zürich anerkannte an diesem Tag, dass es nicht erlaubt sei, einen freien Willen haben zu wollen. Die Sache kam nun an Bürgermeister und Rat und von da an die Schulherren. Bibliander wurde vorgeladen und in Gnaden seines Amtes enthoben (rude donatur), doch mit Belassung seines Gehaltes wegen seiner früheren ausgezeichneten Verdienste. Bullinger, dem vielleicht nicht ganz wohl bei der Sache sein mochte, erzählt den Hergang sehr kurz folgendermaßen:

 

  1. Anno praeterito et initio hujus praesentis praestantissimus vir, D. Theod. Bibliander morosius caepit praelegere et vellicare D. Martyrem. Convenerunt igitur omnes ministri in urbe et negotium retulerunt ad consulem (30. Januarii). Consul refert ad deputatos studiis. Vocatur igitur ad ipsos, donatur rude (8. Febr.), stipendio concesso propter merita egregia.

 

So trat Bibliander krank und theologisch geächtet von dem Schauplatze seiner vieljährigen Wirksamkeit ab und ins Dunkel des Privatlebens zurück. Er lebte noch vier Jahre, aus welcher Zeit nichts mehr über ihn bekannt ist. Am 24. September 1564 wurde er von der Pest, welche damals in Zürich furchtbar wütete, dahin gerafft. Er hinterließ eine trauernde Gattin mit drei Kindern und den Namen eines großen Gelehrten und edeln Charakters, welchen viele umsonst der Vergessenheit anheimzugeben oder zu verkleinern suchten. Im äußeren Kampf ist er unterlegen, ein Märtyrer der Wissenschaft und des freien Willens, ein Bekämpfer des Fremdländischen und Unfreien, aber seine Arbeit ist nicht verloren gegangen.

 

Er hat das Verdienst, den Geist der schweizerischen Reformation als einen freien und selbständigen mannhaft gewahrt und durch bedeutende wissenschaftliche Arbeiten zur Ehre des schweizerischen Namens und zur Förderung einer freien theologischen Bildung das Seinige beigetragen zu haben. Er war Einer der Ersten, welche sprachvergleichende Studien anstellten, die freilich noch sehr dürftige Anfänge, aber eben doch Anfänge sind; einer der Wenigen seiner Zeit, welche die außerchristliche Literatur, wie z. B. den Koran, vom Standpunkt der Kulturgeschichte zu würdigen vermochten. Wäre nicht die Calvinsche Geistesströmung zu seiner Zeit so übermächtig geworden, so würde man ohne Zweifel seiner Verdienste länger gedacht haben. Um so mehr schien es uns Pflicht, seine Züge, so gut wir’s vermochten, wieder aufzufrischen.

 

Sein Bild, welches als Ölgemälde und in mehreren Kupferstichen vorhanden ist, zeigt ein schönes, mildes, fast wehmütiges Angesicht, mit hoher und breiter Stirn und regelmäßigen Zügen. Darunter steht geschrieben:

 

Theodorus Bibliander,

natus Episcopicellae Helvetiorum Anno 1504.

In professione theologica Zwinglii sucessor Anno 1532. Denatus 1564.

Et docui totum et toto cognoscor in orbe Linguarum cultor theiologusque fui.

 

Und ich lehrte die Welt und war bekannt bei den Menschen,

Pfleger der Sprachen war ich, Lehrer des Göttlichen auch.