Nonna

Die fromme Nonna hatte sich lange bemüht, ihren Gemahl Gregorius, welcher einer nicht christlichen Religionssekte angehörte, für das Evangelium zu gewinnen. Oft betete sie mit heißen Thränen für sein Heil, drang in ihn mit langem Zureden und mit nachdrücklicher Rede, aber mehr als das Alles wirkte, wie Gregor von Nazianz, ihr Sohn, sagt: ihre im Leben sich bewährende Frömmigkeit und ihr anhaltendes Gebet. In allen äußerlichen Dingen ihrem Gatten nach dem Gesetz der Ehe unterthan, verstand sie es doch in wahrer Frömmigkeit seine Lehrerin und Führerin zu sein. Sie löste die schwere Aufgabe, eine höhere Bildung vornehmlich in der Erkenntnis göttlicher Dinge, und strenge Uebung der Andacht mit pünktlicher Sorge für ihr Hauswesen zu vereinigen. War sie im Hause thätig, so schien sie von den Uebungen der Frömmigkeit nichts zu wissen; beschäftigte sie sich mit Gott und seiner Verehrung, so schien ihr jedes irdische Geschäft fremd zu sein: sie war bei jedem ganz und ungetheilt. Erfahrungen hatten ihr unbegrenztes Vertrauen auf die Wirkungen des glaubensvollen Gebets eingeflößt. Sie war daher die fleißigste Beterin, und überwand durch das Gebet auch die tiefsten Empfindungen des Schmerzens über eigene und fremde Leiden. Sie hatte dadurch eine solche Gewalt über ihre Seele erlangt, daß sie bei allem Traurigen, was ihr begegnete, nie einen Klagelaut ausstieß, ehe sie Gott dafür gedankt hatte. Am wenigsten hielt sie es geziemend, Thränen zu vergießen, oder ein Trauerkleid anzulegen an den Tagen der Christlichen Festfreuden; so vollständig war sie durchdrungen von dem Gedanken: „eine gottliebende Seele müsse alles Menschliche dem Göttlichen unterordnen“. Wichtiger als die Uebungen der Andacht war ihr der thätige Gottesdienst: Unterstützung der Witwen und Waisen, Besuche der Armen und Kranken. Unerschöpflich war ihre Freigebigkeit, ja selbst in’s Uebermaß ausartend, so daß sie, wie ihr eigener Sohn erzählt, sagen konnte: „Sie könnte, wenn es anginge, sich selbst und ihre Kinder verkaufen, um das erlöste Geld den Armen zu geben.“ Ein tägliches Vorbild dieser Art konnte auf den ernsten, empfänglichen Sinn des Gatten nicht ohne Einfluß bleiben. Der immer fort anschlagende Wassertropfen mußte endlich den Felsen erhöhlen. Oft hatte Nonna ihn vergebens gebeten, mit ihr Ps. 122, V. 1. zu singen: „Ich freue mich des, daß mir geredet ist, daß wir werden in’s Haus des HErrn gehen.“ Einst träumte er nun, daß er diesen Vers mit seiner Frau sänge. Dieser Traum machte so großen Eindruck auf ihn, daß ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht ergriff, an dem beseligenden Leben seiner Frau theil zu nehmen, und diesen günstigen Eindruck wußte sie sogleich, wie sie ihn selbst als Wirkung des HErrn betrachtete, glücklich zu benützen, und der Erfolg ward, daß Gregor nicht nur ein Christ wurde, sondern nach einiger Zeit zum Bischof der Gemeinde Nazianz erwählt ward.

Dieselbe Nonna eilte mit ihrem Erstgebornen, dem nachher berühmten Kirchenlehrer Gregor von Nazianz, sobald sie konnte, in die Kirche, weihte ihn Gott, daß sein Leben der Religion besonders dienen möge, und legte als Zeichen der Weihung, wie damals in solchen Fällen zu geschehen pflegte, ein Evangelienbuch in die Hand des Kindes. Die Erinnerung an diese erste Weihe machte auf das Gemüth Gregors wiederholt die gesegnetsten Eindrücke. Als Jüngling war er auf stürmischer See dem Schiffbruche nahe, und es schmerzte ihn besonders, daß er ungetauft sterben sollte. Da betete er mit heißen Thränen, daß Gott sein Leben Ihm zum Dienste erhalten möge. Und da er dann sein Gebet erhört sah, betrachtete er dies als eine zweite Weihe, als eine neue Verpflichtung zu einem ganz Gott geweihten Leben. Der Sohn, der nie ohne Gefühl der innigsten Dankbarkeit, besonders wegen des von ihr empfangenen Segens für das höhere Leben, an die Mutter Nonna zurückdachte, schilderte sie mit folgenden Zügen: „Nie besuchte sie das Theater; wenn sie gleich tiefe Empfindungen hatte, und selbst die Leiben Anderer tief empfand, ließ sie doch keine plötzliche Trauerempfindung auf solche Weise ihrer Seele sich bemeistern, daß sie nicht bei Allem, was ihr begegnete, zuerst Gott gedankt hätte. Bei Allem, was sie auch Trauriges betreffen mochte, faßte sie ihre Seele in Geduld und Ergebung, nie legte sie an einem Festtage ein Trauergewand an, denn immer wurde bei ihr das Menschliche von dem Göttlichen überwogen, die religiösen Gefühle siegten bei ihr über alle anderen, die Heilsangelegenheiten der ganzen Menschheit bewegten ihr Herz noch tiefer, als alles Persönliche. Mit ehrfurchtsvoller Andacht erschien sie in der Kirche; betend in der Kirche fand sie ihren Tod.“

Die Wirkung dieser christlichen Erziehung der frommen Nonna zeigte sich, wie bei Gregor, so auch bei ihrem zweiten Sohne Cäsarius. Zwar nahm er einen andern Lebensgang als Gregor; er wurde mehr in die Zerstreuungen des Weltlebens hineingeworfen; er erhielt alle kaiserlicher Leibarzt einen angesehenen Platz am Hofe zu Constantinopel. Er blieb sogar am Hofe, als der Kaiser Julian zur Regierung kam. Dieser dem Christenthume so feindselige Fürst, der alle ausgezeichneten Talente gern der christlichen Kirche entzog und für das Heidenthum gewann, wandte auch bei Cäsarius alle Arten der Ueberredungskunst und Versprechungen an. Schon war die Familie in der größten Besorgnis seinetwegen. Der Mutter mußte man Alles zu verbergen suchen, weil man wohl wußte, daß ihr frommes Gemüth hier auf das Empfindlichste verletzt werden konnte. Aber auch Cäsarius hielt den Glauben für die Perle, für die man alles Andere verkaufen müsse, und er verließ den Hof des Kaisers, um an der Gunst des Allerhöchsten nicht Schaden zu leiden. Als er, nach dem Tode dieses Kaisers, wieder zum Hofleben zurückgekehrt war, brachte eine merkwürdige Fügung eine neue Erweckung in ihm hervor. Bei einem Erdbeben, welches die Stadt Nicäa in Bithynien verheerte, wo er ein ansehnliches Amt bekleidete, wurde er unter den Trümmern seines Hauses begraben; doch wurde er gesund wieder hervorgezogen. Da regte sich in ihm Reue über sein früheres Leben, und er that das Gelübde, ganz von Neuem und zwar mit aller Strenge Gott zu dienen. Die Taufe, die man damals auf das Ende des Lebens aufzuschieben pflegte, war für ihn der Anfangspunkt eines neuen Abschnitte seines nun mit höherem Ernste erfüllten Lebens. Doch konnte er wenig von seinen neuen Vorsätzen in dem irdischen Leben ausführen, denn bald wurde er zum ewigen Leben abgerufen. „Ich vermache Alles, was ich habe, den Armen“, waren seine letzten Worte.

Auch an ihrer Tochter Gergenia erlebte die fromme Nonna hohe Freude: denn auch diese trat in ihre gottseligen Fußstapfen, sie hielt nicht allein ihren Mann von Sünden ab, sondern erzog auch ihre Kinde und Neffen in der Furcht Gottes. So lang sie lebte, ging sie ihnen mit dem Muster eines gottseligen Lebens voran, und als sie starb, gingen ihre letzten Erinnerungen darauf hin, daß sie sollten Gott fürchten und in Seinen Wegen wandeln. Es hatte aber ihre Frömmigkeit einen um so höheren Werth, da sie es nicht sowohl auf äußerliche Frömmigkeit anlegte, als vielmehr auf wahrhaftige innerliche Gottseligkeit, und vor Allem bemüht war, demjenigen zu gefallen, der in das Verborgene siehet.

Nonna

Das Christenthum verlangt den ganzen Menschen und bietet sich der ganzen Menschheit als Heils- und Lebensquelle dar. Hierin bleibt es für Alle und zu allen Zeiten sich selbst vollkommen gleich. Doch aber tritt es nach dem unerschöpflichen Reichthum seines innern Wesens auch wieder in ein besonderes Verhältniß zu verschiedenen Zeitaltern, Völkern, Geschlechtern und Personen, je nach deren eigenthümlicher Art und vorwaltendem Bedürfniß. Ein lebendiges Vorbild hiervon ist uns der große Apostel der Völker: er hatte für alle nur ein Evangelium, das von Christo dem Gekreuzigten, den Juden ein Aergerniß den Heiden eine Thorheit; dennoch ist er in seiner evangelischen Liebe und Weisheit den Juden ein Jude, den Heiden ein Heide geworben.

Ein ganz besonderes, ebenso schönes und zartes, als tiefergreifendes Verhältniß besteht zwischen dem Christenthum und der Frauenwelt. Und zwar ist dieses Verhältniß nach beiden Seiten hin von großer Wichtigkeit, ebenso für das weibliche Geschlecht wie für das Christenthum selbst. Dürfte man auf diesem Gebiete von menschlichem Verdienst sprechen, so würde man sagen müssen, daß sich nicht nur das Christenthum um die Frauen das höchste Verdienst erworben, sondern daß auch diese sich um das Christenthum verdient gemacht.

Wenn das Christenthum sich überhaupt als weltumwandelnde göttliche Kraft bewährt hat, so hat es als solche sich wieder in ganz besonderer Art bethätigt zum Heil und Frommen des weiblichen Geschlechts. Das Christenthum erst hat die volle Werthschätzung jeder unsterblichen, zur Ebenbildlichkeit und Gemeinschaft Gottes geschaffenen Seele in die Welt gebracht, und eben damit, ohne das naturgemäße Verhältniß der Unterordnung zu zerstören, das Weib in seiner unvergänglichen Würde an die Seite des Mannes gestellt, in reiner, göttlich geweihter Liebe ihm verbunden. Das Christenthum erst hat die Familie im höchsten Sinne begründet als Haus und Tempel Gottes, im Kleinen, als den ersten ursprünglichsten Feuerheerd alles höheren Lebens, aller Frömmigkeit und Sitte, in dessen Bereich alle Angehörigen zubereitet werden sollen zu jeglichem Guten, großen und Schönen in der größeren Lebensgemeinschaft, und hat der Frau, vornehmlich aber der Mutter die herrliche Bestimmung gegeben, die Pflegerin des heiligen Feuers, die belebende und erwärmende Seele in diesem Kreise zu sein. Das Christenthum endlich hat auch außer dem Hause den Frauen erst ihren wahrhaft gottgefälligen Wirkungskreis angewiesen, das große, unermeßliche Feld der Werke helfender Liebe, und ihnen eben damit sowohl die schönste innere Befriedigung verheißen, als das königliche Siegel seiner eigenen Huld und Schönheit auf die Stirn gedrückt. Mit einem Wort: das Christenthum erst hat das Weib in seiner ächten unvertilgbarer Hoheit geschaffen, in der Hoheit des Glaubens und der Demuth, in der Würde, die aus der Freudigkeit der Aufopferung und aus dem still wirkenden Geiste erbarmender und dienender Liebe entspringt, als die in gleicher Weise zum Höchsten und Ewigen bestimmte Genossin des Mannes und als die Seele der Familie, die ein Tempel Gottes für sich selbst und ein Grundstein des Reiches Gottes. im großen sein soll.

Hinwiederum hat auch das Christenthum in seiner zeitlichen Erscheinung den Frauen vieles zu verdanken, von jenen biblischen Frauen an, die den Herrn glaubend und liebend umgaben, bis auf eine Elisabeth Frey herab, die in seinem Geiste die Gefangenen besuchte und allen Mühseligen Hülfe brachte. Was schon in früher Zeit das Christenthum auch seinen Feinden ehrwürdig machte und ihm viele seiner Siege verschaffte, die Bewährung einer bis dahin unerhörten Bruderliebe, die aufopfernde Fürsorge für Arme, Kranke und Unglückliche aller Art, die Gastfreundschaft gegen Lebende und die Theilnahme selbst für Verstorbene, wurde vornehmlich von Frauen geübt; und was zu allen Zeiten dem Christenthum Bahn brach in die Familie und, indem es ihm hier seine recht heimische Stätte bereitete, das beste Lebensfundament für die Kirche und das ganze menschliche Gemeinwesen legte, auch das ist einem guten Theile nach auf die Frauen zurückzuführen. Durch Frauen am meisten ist das Christenthum in seiner Milde und Innigkeit, in seinem stillen gottseligen Sinn, in seiner duldenden Kraft und in seiner opfernden Liebe verherrlicht worden; durch sie sind vielfach die Männer gewonnen, die Kinder in der Zucht und Vermahnung zum Herrn herangezogen, durch sie die ersten, nicht mehr zu zerstörenden Keime der Frömmigkeit in die Seele von Söhnen gelegt worden, die nachmals als weitleuchtende und tiefwirkende Kirchenlehrer oder als Lebensführer in der christlichen Gemeinschaft auftraten.

Der letztere Punkt ist ganz besonders wichtig und einen Fall dieser Art haben wir in einem leuchtenden Muster vor uns. Unter den Frauen des christlichen Alterthums, die, obwohl bescheiden im häuslichen Kreise verbleibend, doch durch ihre Söhne weit hinauswirken durften auf das Ganze der Kirche, haben sich vornehmlich drei dem gesegneten Andenken der Christenheit empfohlen: Anthusa, die Mutter des Johannes Chrysostomus, Monika, die Mutter des Augustinus, und diejenige, der wir diese Blätter widmen, Nonna, die Mutter des Gregorius von Nazianz. Durch diesen Sohn Gregorius, einen der vorzüglichsten griechischen Kirchenlehrer im vierten Jahrhundert, wegen eifriger und erfolgreicher Vertheidigung der Lehre von der Gottheit Christi mit dem Beinamen des „Theologen“ beehrt, ist auch der Name der Mutter in der Kirche berühmt geworden. Aber es ist nicht bloß um dieses Lichtes willen, welches von dem Sohn auf die Mutter zurückfällt, weshalb wir uns hier ihr Bild vorhalten; sondern es geschieht um ihrer selbst willen, weil sie uns, wie nicht viele andere, das schöne Verhältniß zwischen dem Christenthum und der Frauenwelt in ihrer Person anschaulich macht, weil sie, selbst durch das Christenthum wiedergeboren und neubeseelt, der erneuernde und belebende Mittelpunkt einer christlichen Familie wurde, deren Gliedern sich ihr Geist durch stillen Einfluß mittheilte und in deren Schooße auch ihr Sohn Gregorius allein das werden konnte, was er geworden ist.

Das Land, in welchem diese Familie, zuerst vielleicht auf einem Landsitze Arianzus, dann in der kleinen Stadt Nazianzus lebte, trug damals den Namen Cappadocien und bildete, dem innern Kleinasien angehörig, einen Theil des ungeheuren Römerreiches. Die Kappadocier galten für tapfer, aber auch für treulos, tückisch und verwildert, und waren selbst in einem gangbaren Sprichwort übel berüchtigt. Gerade unter einem verwilderten Geschlechte jedoch erweckt sich der göttliche Geist oft um so kräftigere Werkzeuge, und unter verdorbenen Umgebungen bildet sich das christliche Leben um so reiner, fester und strenger heran. Dazu kam, daß das Christenthum damals in diesen Gegenden zwar weit verbreitet, aber noch nicht allgemein durchgedrungen war. Es galt also noch Kampf mit dem Heidenthum und einen strengen Gegensatz gegen alles Heidnische. Das alles sehen wir in dem Wesen der Nonna sich abspiegeln; und wenn ihre christliche Frömmigkeit bei großer Tiefe und Innigkeit, in ihrer Kraft auch etwas Strenges und besonders dem Nichtchristlichen gegenüber, auch etwas scharf Ausschließendes und mitunter Gesetzliches hatte, so werden wir das nicht nur der menschlichen Beschränktheit zu gute halten, sondern wir werden es in diesen verderbten Umgebungen und in dieser Uebergangsperiode des Christenthums aus der Kampfeszeit und dem Heldenalter in die Zeit des Friedens und der Herrschaft ganz natürlich und nothwendig finden. Wir haben uns hier vornehmlich das christlich Rechte und Schöne in ihrer Persönlichkeit vor Augen zu stellen.

Nonna, aus einer angesehenen, längst christlichen Familie abstammend, war mit Sorgfalt im Christenthum erzogen worden. Ihr Gatte dagegen, welcher auch Gregorius hieß, gehörte einer nichtchristlichen Religionspartei an, deren Mitglieder den Namen Anbeter des Höchsten, Hypsistarier, führten, weil die Grundlage ihrer Religion der einfache Glaube an einen höchsten, allmächtigen Gott war, womit sie jedoch überlieferte Religionsbestandtheile, vermuthlich jüdische und persische, verschmolzen zu haben scheinen. Der eifrig christlichen Nonna war es ein tiefer Herzenswunsch, ihren Ehegenossen für das Christenthum zu gewinnen. Unter stetem Flehen zu Gott drang sie in ihn mit Bitten und Mahnungen; vor allem aber suchte sie ihm ihren Glauben durch thätige Frömmigkeit und liebevolle Hingebung zu empfehlen. Das letztere war ohne Zweifel das wirksamste. Daran können wir nicht zweifeln, wenn wir uns das Wesen der Nonna mit den Worten ihres Sohnes vergegenwärtigen: „Sie war eine Hausfrau nach dem Sinne Salomo’s; in allen Dingen ihrem Gatten nach den Gesetzen der Ehe unterthan, schämte sie sich nicht, in wahrer Frömmigkeit seine Lehrerin und Führerin zu sein. Sie löste die schwere Aufgabe, eine höhere Bildung, vornehmlich in der Erkenntniß göttlicher Dinge, und strenge Uebung der Andacht mit pünktlicher Sorge für ihr Hauswesen zu vereinigen. War sie im Hause thätig, so schien sie von den Uebungen der Frömmigkeit nichts zu wissen; beschäftigte sie sich mit Gott und seiner Verehrung, so schien ihr jedes irdische Geschäft fremd zu sein: so war sie bei jedem ganz und ungetheilt. Erfahrungen hatten ihr unbegrenztes Vertrauen auf die Wirkungen des glaubensvollen Gebetes eingeflößt. Sie war daher die fleißigste Beterin, und überwand durch das Gebet auch die tiefsten Empfindungen des Schmerzes über eigene und fremde Leiden. Sie hatte dadurch eine solche Gewalt über ihre Seele erlangt, daß sie bei allem Traurigen, was ihr begegnete, nie einen Klagelaut ausstieß, ehe sie Gott dafür gedankt hatte. Am wenigsten hielt sie es für geziemend, Thränen zu vergießen oder ein Trauerkleid anzulegen an den Tagen der christlichen Festfreude; so vollständig war sie durchdrungen von dem Gedanken: eine gottliebende Seele müsse alles Menschliche dem Göttlichen unterordnen. Wichtiger als die Uebungen der Andacht war ihr thätiger Gottesdienst: Unterstützung der Witwen und Waisen, Besuchen der Armen und Kranken. Unerschöpflich war ihre Freigebigkeit, ja fast in Leidenschaft ausartend, so daß sie – auch dies sind Worte ihres Sohnes – wohl zu sagen pflegte: sie könnte, wenn es anginge, sich selbst und ihre Kinder verkaufen, um das erlöste Geld den Armen zu geben.“ Ein tägliches Vorbild dieser Art konnte auf den ernsten, empfänglichen Sinn des Gatten nicht ohne Einfluß bleiben. Er fand sich zuletzt von dem christlichen Geist seiner Gattin überwunden und ein Traum befestigte entweder seinen Entschluß oder brachte ihn zu voller Klarheit. Es war ihm, als ob er die Stelle Psalm 122,1. sänge: „Ich freue mich deß, das mir geredet ist, daß wir werden in’s Haus des Herrn gehen.“ Gregorius wurde im Beisein von Bischöfen, die gerade damals zur ersten großen Kirchenversammlung nach Nicäa reisten, (325) getauft; er verblieb nun auch nicht mehr lange im Laienstande, sondern ward Priester und bald nachher zum Bischof der in letzter Zeit vernachlässigten Gemeinde von Nazianz verordnet. Dieses Amt bekleidete er mit Kraft und Milde 45 Jahre lang bis zu einem fast hundertjährigen Alter. „Er war – um auch über ihn das Zeugniß des Sohnes anzuführen – ein Mann von feurigem Geist und ruhigem Antlitz; sein Leben war voll Hoheit, sein Sinn voll Demuth; sein Wesen schlicht und recht, fromm ohne Scheinheiligkeit; seine Kleidung einfach, sein Umgang sanft und zuvorkommend; er theilte gern mit, aber die Freude des Gebens überließ er seiner Gattin.“

Nachdem in solcher Weise Nonna ihren Gatten für Christenthum und kirchliches Wirken gewonnen, war der feste Grund zu einem christlichen Familienleben gelegt. Dieses breitete sich nun ganz natürlich und ohne innern Gegensatz auch in den Kindern aus, doch so, daß offenbar am meisten die Mutter die Seele des höhern Lebens im Hause blieb. Die Eltern hatten drei Kinder, eine Tochter Gorgonia, zwei Söhne, Gregorius und Cäsarius. Sie waren unter sich sehr verschieden, namentlich die Brüder, reiften aber alle drei zu trefflichen, von christlichem Geiste erfüllten Persönlichkeiten heran. Am nächsten stand wohl dem Herzen der Mutter der Sohn Gregorius, der nachmals berühmte Theologe, und auf ihn ging auch am meisten, man kann sagen schon mit der Muttermilch, ihr Geist über.

Nonna hatte sich einen Sohn gewünscht und denselben, wenn er ihr zu Theil werden sollte, schon vor der Geburt den Dienste Gottes gelobt. Als sie wirklich eines Knaben genas, der nach dem Vater Gregorius genannt ward, eilte sie mit ihm zur Kirche und legte zum Zeichen der Weihe seine zarten Hände auf die heilige Schrift. Gregorius verglich nachher oft seine Mutter mit der Anna, die ihren Sohn Samuel auch schon vor der Geburt dem Dienste des Herrn geheiligt hatte. Natürlich erzog Nonna den ihr geschenkten Sohn ganz in dem Sinne ihres Gelübdes. Frühe gab sie ihm, nach dem Vorbild der ersten Weihe, die heilige Schrift auch zum Lesen und zur Beherzigung in die Hand und pflegte in ihm den ernsten, innerlichen, von der Welt abgezogenen Sinn, der einen Grundzug seines Wesens ausmachte. Als er im Jünglingsalter verschiedene Lehranstalten in entlegenen Ländern besuchte, um sich die Schätze der damaligen Bildung anzueignen, war es das Bewußtsein, daß das Gebet der Mutter ihn begleite, waren es noch mehr die im Elternhause empfangenen Lebenseindrücke, was ihn nicht nur in äußerer Gefahr z. B. einem schweren Seesturm stärkte, sondern ihn auch vor inneren Gefahren bewahrte. Es scheint dies namentlich ein Seelenschutz für ihn gewesen zu sein während seines Aufenthalts in Athen, wo damals noch den studierenden Jünglingen das Heidenthum von allen Seiten reizend und verlockend entgegentrat. Nur so konnte er auf den Punkt geführt werden, wo er selbst wieder als einflußreicher Kirchenlehrer andern zur Stärkung und Befestigung gereichte.

Nach Vollendung ihrer Studien, denen sie an verschiedenen Orten obgelegen, kehrten die Brüder Gregorius und Cäsarius, glücklich zusammentreffend, in das Vaterhaus zurück. Oft hatte die jetzt schon betagte Nonna Gott im Gebete darum angefleht, daß ihre Söhne gemeinschaftlich das elterliche Haus wieder betreten möchten. Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt. Beide kamen wohlbehalten und tüchtig ausgerüstet zu den Ihrigen zurück. Aber von da an schlugen sie ihrer Eigenthümlichkeit gemäß verschiedene Lebenswege ein. Gregorius, mehr ein Abbild der Mutter, gab sich mit Vorliebe der stillen Betrachtung und dem Studium göttlicher Dinge hin und konnte nur durch die Gewalt der Umstände bewogen werden, auf den Schauplatz kirchlicher Wirksamkeit hinauszutreten, auf welchem er jedoch, besonders während seiner bischöflichen Thätigkeit zu Constantinopel in entscheidender Zeit, durch Festigkeit des Glaubens, Macht und Glanz der Beredsamkeit, und ernste christliche Lebenshaltung bedeutende Erfolge erzielte. Cäsarius dagegen, der sich der Natur- und Arzneikunde mit Auszeichnung gewidmet hatte, war durch sein, mehr dem Vater ähnliches, Wesen vorherrschend auf das Wirken in der Welt angewiesen; er gelangte zu hohen Ehren, wurde kaiserlicher Leibarzt und bekleidete selbst vorübergehend ein ansehnliches Staatsamt; aber auch in der günstigsten Lage verleugnete er die christlichen Grundsätze, die er in der Jugend in sich aufgenommen, nicht; es war auch am Hofe sein Stolz, den Namen eines Christen nicht nur zu führen, sondern zu verdienen, und sein Bruder konnte an ihm eine hieraus entspringende Eigenschaft, die in solcher Lage so selten ist, rühmen: hohe und ungeheuchelte Einfalt. Gegen Ende seines Lebens wollte auch Cäsarius sich in die Stille zurückziehen; aber der Tod überraschte ihn: doch hatte er noch vorher die Weihe der Taufe empfangen, denn es kam damals, einer weit verbreiteten Sitte zufolge, auch bei christlich ernsteren Personen nicht selten vor, daß sie die Taufe bis in eine spätere Lebenszeit, ja bis zum Herannahen des Todes verschoben.

Die Mutter Nonna überlebte alle die Ihrigen, mit Ausnahme ihres Sohnes Gregorius, der auch ihr die letzten Pflichten der Liebe und Verehrung erweisen konnte.

Zuerst starb ums Jahr 368 oder 369 Cäsarius. Als seine irdischen Reste zu den Gräbern der Märtyrer hingetragen wurden, folgte auch Nonna dem Zuge, nicht im Trauerkleide, sondern im weißen Gewande festlicher Freude. Sie erkannte die christliche Bedeutung des Todes als einer Geburt zum höhern Leben, und überwand ihre Trauer durch heilige Psalmgesänge. Gregorius feierte das Andenken des Bruders durch eine Rede, in welcher er unter andern sagte: der Verklärte werde wohl jetzt über alles hier unten von oben herab lächeln „über die sogenannten Reichthümer und Ehren, über den falschen Ruhm, über den verführerischen Sinnenreiz und über den Sturm dieses Lebens über das alles werde er lächeln, zur Seite des großen Königes stehend und durch das von ihm ausstrahlende Licht erleuchtet.“

Bald darauf folgte im Tode die Schwester Gorgonia. Auch sie war nach der Weise der Mutter eine wackere Hausfrau und fromme Christin gewesen. Nach dem Tode sich sehnend, hatte sie nicht nur ein Vorgefühl desselben, sondern auch eine Ahnung von der Zeit seines Eintretung. Sie bereitete sich darauf vor, wie auf einen Festtag, versammelte Gatten, Kinder und alle die Ihrigen um ihr Lager und nahm von ihnen unter erbebenden Gesprächen über ein besseres Leben Abschied. Es war eine heilige Feier, an der auch die alte Mutter Theil nahm. Schon schien die Sterbende nicht mehr zu athmen, da bewegten sich noch einmal ihre Lippen und hauchten mit dem Geiste die Worte des frommen Lobliedes aus: „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden.“

Nach langer und schwerer Krankheit, in welcher die Tröstungen des Christenthums seine Stärkung waren, verschied, vermuthlich im Frühling 374, auch der Vater Gregorius. Es wurde ihm zu Theil, was der edle Heide Epistet sich wünscht: er starb betend. Die höchste Achtung und Liebe seiner Gemeinde folgte ihm, und auch ihm hat sein Sohn in einer Leichenrede ein dauerndes Denkmal gesetzt. In dieser Rede ruft der Sohn der einsamen Mutter folgende Worte zu: „Das Leben, meine Mutter, und der Tod, wie man das nennt, obgleich sie sehr verschieden zu sein scheinen, geben doch in einander über und treten eines an des andern Stelle. Das Leben beginnt von Verderbniß, unsrer allgemeinen Mutter, und geht durch Verderbniß hindurch, indem uns das Gegenwärtige immer entrissen wird, und endigt auch mit Verderbniß, mit der Auflösung dieses Lebens selbst. Der Tod aber, der eine Erlösung von den jetzigen Uebeln gewährt und zu einem höheren Leben führt, ich weiß nicht, ob man ihn eigentlich Tod nennen sollte, da er mehr dem Namen als der That nach furchtbar ist. Es gibt nur ein Leben, auf das (göttliche) Leben hinzuschauen; es gibt nur einen Tod, die Sünde; denn sie ist der Seele Verderben. Alles Uebrige aber, um deßwillen manche sich stolz erheben, ist ein Traumgesicht, ein verführerisches Trugbild der Seele. Wenn wir so denken, o meine Mutter, dann werden wir uns des Lebens wegen nicht überheben, noch um des Todes willen uns ängstigen. Denn was doch erdulden wir Schlimmes, wenn wir von hier zum wahren Leben hindurch dringen, wenn wir, aus allem Wandel, aus allem Strudel, aus allem Ueberdruß, aus aller Zinsbarkeit an das Schlechte befreit, dort sein werden bei den ewigen, nicht mehr wandelbaren Dingen, als kleine Lichter das große Licht umkreisend!“

Diese Worte des Sohnes schienen für die Mutter, deren ganzes Leben eine Vorbereitung auf den Tod gewesen, eine noch nähere Mahnung an das Ende zu sein. Wahrscheinlich überlebte die Hochbetagte ihren Gatten nicht lange. Sie hatte einen Tod ihres Lebens würdig. Ohne von Kränklichkeit oder Alter niedergebeugt zu sein, ging sie zum Gebet in die Kirche. Hier in dem Gotteshause, welches ihr Gatte großentheils erbaut und vor dem Altar, wo er so lange als treuer Hirte gedient, ward ihr das Ziel der Lebensbahn gesteckt. Wahrscheinlich vom Schlage gerührt, hielt sie sich mit der einen Hand am Altare fest, die andere erhob sich flehend zum Himmel und sank dann mit den Worten zusammen: Sei mir gnädig, mein König Christus!“ Und sie wurde, betrauert von allen, besonders von Armen, Witwen und Waisen, bei den Märtyrern zur Seite ihres Gatten bestattet. Der allein überlebende Sohn feierte sie durch eine Rede und durch mehrere Gedichte. In einem derselben sagt er: „Beweinet, Sterbliche, das sterbliche Geschlecht! Wenn aber jemand wie Nonna betend starb, dann weine ich nicht.“

Indem wir hiermit die Lebensschilderung der Nonna schließen, wird vielleicht der Leser sagen: ist darin nicht fast mehr von andern, von ihrem Gatten und ihren Kindern, die Rede gewesen, als von ihr selbst? Wir antworten: Nein; während von diesen die Rede gewesen ist, ist von ihr die Rede gewesen. In ihnen und durch sie lebte sie; in ihnen hat sich ihr eigenstes, innerstes Leben entfaltet und fortgesetzt. Eben das ist die hohe, herrliche Bedeutung der christlichen Hausfrau und Mutter: indem sie für sich in ihrem Gott und Erlöser etwas Aechtes und Wahres ist, ist sie das Beste und Schönste für andre und in andern. Will man sie schildern, so muß man ihre Familie schildern. Damit haben wir dann auch einen Blick gethan in eine edle Familie des christlichen Alterthums, eine Familie, durch den liebevoll gewinnenden Einfluß der Gattin und Mutter gegründet auf denselben Glauben und in der natürlichen Verschiedenheit ihrer Glieder zusammengehalten durch die eine göttlich geweihte Liebe. Die katholische Kirche erkennt diese innerliche Zusammengehörigkeit der Familie unserer Nonna dadurch an, daß sie alle Mitglieder derselben als Heilige verehrt. Wir evangelische Christen können das, im Hinblick auf den einen Mittler, Versöhner und Vertreter und auf das durch ihn allein hergestellte Kindschaftsverhältniß zu Gott, nicht in demselben Sinn thun. Aber auch uns weiset unser Bekenntniß an, das Andenken christlich geheiligter Personen zu erneuern, damit wir ihren Glauben und ihre guten Werke nach der Berufung nachahmen. Und so mag auch uns das Vorbild einer solchen Familie in dem Sinne heilig sein, daß wir den Geist, der sie durchdrang, im eigenen Hause pflegen, ohne durch die Verehrung menschlicher Tugend, die immer mangelhaft bleibt, von der heiligen Urquelle alles Guten, von dem, der allein gut ist, in irgend einer Weise abgeleitet, vielmehr um immer tiefer und lebendiger in seine Gemeinschaft hineingeführt zu werden.

C. Allmann in Heidelberg.