Jacob Andreä.

Jacob Andreä, auch Schmidlin (Fabricius) genannt, theol. Dr., wurde den 25. März des Jahres 1528 zu Waiblingen geboren. Sein Vater war Jacob Endris, „so dem Kriegswesen in Böheim, Ungarn, Frankreich und Hispanien nachgezogen, welcher Länder Sprach er kündig worden, 1527 2. Februar sein Mannrecht bekommen und Bürger zu Waiblingen worden ist.“ Die Mutter war Anna, geb. Weisskopf, von Gundelfingen; der Grossvater Steffan II. Endris, Bürger in Mockelaw, aichstettischen Bisthums in Franken; die Grossmutter Anna, eine geb. Herdlin; der Urgrossvater Steffan I. Endris, welcher in Ingolstadt gestorben zu sein scheint, da er daselbst begraben ward; die Urgrossmutter Elisabeth, geb. Holzapfel.

Jacob, von seinem Vater nach dessen Einwanderung in Waiblingen zum Schmied bestimmt (daher der Name Schmidlin), studierte in der Folge auf Anrathen des berühmten Reformators Dr. Schnepf Theologie und erhielt den Baccalaureusgrad im Kloster zu Hirsau, wohin sich damals ein Theil der Professoren der Philosophie der Pest (1.) wegen begeben hatte. Kaum 18 Jahre alt erhielt er das Diaconat bei der Stuttgarter Stadtkirche, wo er, der jüngste unter den fünf Geistlichen Stuttgarts, nebst seiner Gattin keineswegs vor den eindringenden Truppen des Herzogs Alba sein Heil in der Flucht suchte, sondern im Gegentheil alle Predigten und kirchlichen Handlungen übernahm, ja selbst den kaiserlichen Offizieren, welche sich zu denselben und selbst zu Disputationen mit ihm herandrängten, durch seine Festigkeit Achtung und Vertrauen abgewann. Hierauf wurde er 1548, da auch er dem eingetretenen Interim (einer Verfügung des Augsburger Reichstages, bis zum Concilsbeschluss alles beim Alten zu lassen, in Folge dessen alle Mönche wieder das Land überschwemmten) weichen musste, von Herzog Ulrich, der ihn liebgewonnen, nach Tübingen berufen und 1549 daselbst zum Diaconus ernannt. Als nach dem 1550 eingetretenen Tode des Herzogs diesem sein durch alle Tugenden ausgezeichneter Sohn Herzog Christoph (2.) in der Regierung folgte und den Freund Luther’s und Melanchthon’s, den Reformator Württemberg’s, Johann Brenz, zum Stiftspropst in Stuttgart und zu seinem vertrautesten Rathgeber in Kirchensachen gemacht hatte, liess er Andreä mit Unterstützung aus den Kirchenmitteln doctoriren (1553) und setzte ihn zugleich zum Pfarrer und Superintendenten, später General-Superintendenten in Göppingen ein.

Bald darauf leistete Andreä bei Einführung der Reformation in Nachbarländern, welche ihn dazu vom Herzoge sich erbaten, Dienste, so 1554 bei den Grafen von Oettingen und 1556 bei den Grafen von Helfenstein, bei dem Markgrafen Karl von Baden und in Rothenburg a. d. Tauber. 1555 musste Andreä den Herzog auf den Reichstag nach Regensburg und dann nach Frankfurt begleiten, und im August sandte ihn sein Fürst mit Brenz nach Worms; 1557 führte ihn der Letztgenannte in die literarische Theilnahme an der erneuten Streitigkeit über das Abendmahl ein.

Als 1561 Herzog Christoph von Catharina von Medici und dem Könige von Navarra zu der Synode zu Poissy, (9. September bis 13. Oktober 1561), welche die Schlichtung der zwischen den Päpstlichen und den Hugenotten obwaltenden Streitigkeiten bezweckte, um Ueberlassung einiger bedeutender Theologen, wohl nur um den Herzog von den französischen Reformirten und deren Unterstützung so viel als möglich abzuziehen, gebeten worden war, sandte der Herzog Andreä, sowie Dr. Beurlen und Dr. Balthasar Bidenbach unter Beigabe des in der französischen Sprache besonders bewanderten Edlen Melchior: von Salhausen dahin ab. Nach 16tägiger Reise kamen dieselben in Paris an, wo sie jedoch das Collegium bereits aufgelöst fanden. Der Bischof Montluc benutzte dabei die Gelegenheit, Andreä gegen den noch in Paris weilenden Beza aufzubringen, welcher die Anerkennung der Augsburgischen Confession verweigert habe, wozu sich doch der Cardinal Guise erboten habe. Andreä und Bidenbach übergaben dem Könige von Navarra ihr Gutachten, die Augsburgische Confession betreffend, erhielten indess keine Antwort darauf. Was Dr. Beurlin betrifft, so sollte derselbe nicht mehr in’s Vaterland zurückkehren. Nach ihrer Ankunft in Paris nemlich waren die Abgesandten in Erwartung des königlichen Befehls in das Collegium des Königs geführt worden, woselbst Dr. Beurlin mit der Einsichtnahme der dortigen, aus den besten Schriftstellern bestehenden Bibliothek beschäftigt, plötzlich von einer Krankheit überfallen wurde, welche anfangs für eine Erysipelas (Rothlauf) gehalten, sich bald als die in diesem Collegium grassirende Pest entpuppte, von deren Vorhandensein die Abgeordneten zu unterrichten man nicht für nothwendig gehalten hatte. Beurlin starb den 28. October und wurde in Paris in dem dortigen heiligen Kreuz Kirchhofe beigesetzt. 1562 nahm der Herzog auf inständiges Bitten der vier Brüder Guise, insbesondere des Cardinals von Lothringen, persönlich nebst Brenz, Andrei und Bidenbach an dem in Elsass-Zabern abzuhaltenden Colloquium Theil. Auf demselben gelobten die Guisen mit Handschlag dem Herzoge, dass sie nicht wieder gegen die Hugenotten mit Heftigkeit und Gewalt vorgehen wollten. Trotzdem richteten gerade die Guisen auf dem Rückweg das bekannte Blutbad von Vassy an, womit sie die Hugenottenkriege begannen, die in der Pariser Bluthochzeit 24./25. August 1572 und in dem darauf folgenden allgemeinen Blutbade gipfelten.

Von Tübingen aus verkehrte Andreä viel und gerne mit dem aus altadligem Geschlechte stammenden Johann von Au in Wachendorf, (dessen erste Gemahlin Rosine, Markgräfin von Baden, war), einem durch Tugend wie durch Weisheit, Frömmigkeit und Grossmüthigkeit ausgezeichneten Manne, und half ihm seine Kirche der Augsburgischen Confession gemäss reformiren. Johann von Au starb 1571, 29. October, nachdem ihm am 27. August desselben Jahres seine zweite Gattin, Maria, geb. von Neuneckh, im Tode vorangegangen war. Nach dem im Jahre 1615 erfolgten kinderlosen Ableben des Neffen des Johann von Au fiel Wachendorf an die noch heutzutage blühende Linie v. Ow – Felldorf und wurde trotz des fürsorglichen Testaments Johann’s nach und nach wieder zum Katholicismus zurückgebracht.

Der Herzog selbst lernte in der Folge Andreä immer mehr schätzen, zog ihn zu allen seinen mit Brenz auszuarbeitenden kirchlichen Aufgaben und ernannte ihn zuletzt an Stelle des verstorbenen Dr. Beurlin zum Propst und Kanzler der Universität Tübingen, ein Amt, das Andreä bis zu seinem Tode bekleidete.

1565 ging Andreä mit Abt Christoph Binder nach Hagenau, wo er den Magister und Dr. der Theologie Philipp Heerbrand als Pfarrer einsetzte; nach dessen 1575 daselbst erfolgtem Tode wurde M. Georg Volmar dahin abgesandt.

Zu wie viel Fürsten und Grafen, zu wie viel Reichsstädten Andreä, dessen Verstandes- und Weisheitsruf überall hin sich verbreitet hatte, zu Reformirung ihrer Territorien in der Folge reisen musste, zu welcher Masse von Disputationen und Gesandtschaften er von seinem Herzoge erwählt wurde, ist allgemein bekannt und folgen hier nur einige davon: Nach dem Tode Herzog Heinrich’s von Braunschweig, des alten Gegners von Luther, zu dessen Nachfolger dem Herzoge Julius 1568, zu den Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg und August von Sachsen, zu den Seestädten und nach Dänemark.

Selbst Kaiser Maximilian besprach sich einst zu Prag, 16. und 17. März 1570, privatim mit Andrei über die Concordienformel, lobte dessen Weisheit und entliess ihn huldvollst.

Im Jahre 1576 folgte Andreä, nachdem er in der Zwischenzeit im Süden Mömpelgard, Strassburg, Memmingen, Hagenau, Aalen, Lindau, Pfalz-Neuburg und Regensburg bereist und viele Disputationen daselbst gehabt hatte, abermals einer Einladung nach Kursachsen, war zugleich im Kloster Bergen bei Magdeburg ein thätiger Mitarbeiter an der Concordienformel(3.) und disputierte 1586 auf Wunsch des Herzogs Friedrich von Württemberg mit seinem alten Gegner Beza zu Mömpelgard.

Die letzte öffentliche Verhandlung Andreä’s fand statt bei dem Colloquium zu Baden 1589, wo er mit dem wieder katholisch gewordenen Dr. Johann Pistorius Niddanus, Sohn des frommen und gelehrten Hessischen Superintendenten Pistorius, disputierte. In diesem Jahre äusserte Andreä noch bei voller Gesundheit gegen seinen Freund, den Dr. und Professor der Theologie Jakob Heerbrand, sein Geist verkündige ihm, dass er nicht länger lebend bleiben werde, er habe seinen Lauf vollendet. Von Baden nach Stuttgart zurückgekehrt (1589 December), erkrankte Andreä an einem heftigen Catarrhfieber, wozu sich in der Folge noch starker Husten gesellte. Den 6. Januar des folgenden Jahres (1590) liess er den Rector und Senat der Universität zu sich bitten und bekannte ihnen, dass er mit der christlichen Lehre, welche er 44 Jahre lang mündlich und schriftlich gelehrt, fröhlich vor dem Richterstuhl Christi erscheinen wolle; dessen zum Zeugniss habe er sie zu sich gebeten, da er wohl wisse, dass Papisten und Calvinisten das Gerücht ausstreuen werden, er sei eines schrecklichen Todes gestorben. Rector und Senat nahmen dies auf Wunsch des Sterbenden zu Protokoll, und sorgten für die Veröffentlichung. Die am Schluss der Urkunde befindliche Beglaubigung lautet: Actum wie obstehet uff Zinstag, den 8. tag Januarij, gleich nach der Morgenpredig zwischen 10 und 11 Uhr. Anno 1590. In gegenwertigkeit nachfolgender hiezu beruffener Personen, benantlich: Dr. An drcas Planeri, Rectoris; Dr. Joannis Brentij; Dr. Joannis Georgij Sigwardi, parochi; Dr. Nicolai Varenbüleri, Decani Juris; Dr. Ana stasii Demleri, Jure consulti; Dr. Georgij Hambergeri, Decani Medicinae; Dr. Philippi Grameri, Medici; M. Georgij Liebleri, Decani Artium; M. Christophori Stehelin, M. Eberhardi Bidembachij, Diaconorum.

Den folgenden Tag, nachdem Andreä die Nacht theilweise im Sessel sitzend zugebracht, legte er sich um 7 Uhr Morgens zu Bette und sagte zu dem neben ihm sitzenden Pfarrer: Mein lieber Pfarrer, es muss geschieden sein, da wird nichts anders aus ferner: in manus tuas, Domine, commendo spiritum meum Als ihm hierauf sein zunächst stehender Sohn M. Johann ins Ohr rief: Ob er nun glaube, dass ihm hinfort die Krone der Gerechtigkeit beigelegt würde, sah er ihn mit weitgeöffneten Augen an, nickte ihm zu, antwortete mit stockendem Athem „Ita“ (Ja), und entschlief sanft.

So verschied im Jahre 1590 den 7. Januar Morgens zwischen 8 und 9 Uhr der Mann, welcher seit dem Tode des berühmten Reformators Johann Brenz, als das eigentliche Haupt der württembergischen Kirche galt, der sich um Württemberg wie um viele evangelische Kirchen des Auslandes ein bleibendes Verdienst erworben hatte, und stets für die Einigkeit der lutherischen Kirche thätig gewesen war, seines Alters im 62., seines Predigtamts im 44. Jahre. Die württembergische Kirchen-Verfassung, die er im Auftrag Herzog Christoph’s mit Brenz ausgearbeitet und eingeführt, ist im wesentlichen die bis heute gebliebene (Synodus, General- und Special-Superintendenzen u. S. w.). Andreä hat über 150 grossentheils deutsche Schriften verfasst.

Seine 1. Gattin war Anna, geb. Entringer, (23. Juli 1583), deren Vater im Alter von 103 Jahren starb, welcher Ehe 9 Söhne und 9 Töchter entsprossten, von denen 4 Söhne und 4 Töchter den Vater überlebten; die 2. war Regina, geb. Prenzinger von München, kinderlos 16. September 1591. Beide ruhen auf dem alten Tübinger Kirchhofe, und ihre Namen finden sich heute noch auf ein und demselben Grabstein verzeichnet. Die Kinder Andreä’s, soweit über sie Näheres bekannt ist, sind:

  1. Susanna Andrei, geb. 1552, verm. mit dem Herzoglich-Württemberg. Consistorial-Director Balthasar Eisengrein.
  2. Blandina, geb. 1557, verm. mit dem Med. Dr. Anton Schweickhardt. Derselbe war ebenfalls bei Abfassung des vorbenannten Protokolls zugegen.
  3. Maria,. geb. 1560, verm. I. mit dem Pfarrer in Mühringen J. Georg Schütz; II. mit dem Professor zu Tübingen, Johann Harpprecht.
  4. Corona, verm. mit dem Med. Johann Jacob Frei.
  5. Hedwig, geb. 1571, verm. mit dem Abt zu Lorch Johanna Magirus.
  6. Jacob, geb. 1549, Pfarrer zu Hagenloch 1569, zu Dusslingen 1573, zu Metzingen 1588, welch letztere Pfarrei er 1617 mit der des Specials M, Ulrich Pauli zu Kirchentellinsfurth vertauschte. Er starb, nachdem er noch einige Zeit vorher neben seiner Pfarrei das Decanat des Capitels zu Reutlingen bekleidet hatte, 1630, 14. September, seines Alters im 81., seines Predigtamts im 60. Jahre. Seine I. Gattin war Anna, eine Tochter des Herzoglich Württembergischen Raths in Stuttgart Caspar Beer, mit welcher er die Verlobung in dem Closter zu Denkendorf bei dem Probst Bartholomäus Käs, die Hochzeit aber zu Tübingen in der Probstei (1571, 9. Januar) gefeiert hatte; die II. Catharina, geb. Mann, welch‘ letzterer Ehe 9 Söhne und 4 Töchter entsprossen sind.
  7. David, geb. 1551, Pfarrer zu Hagenloch, zu Jesingen bei Tübingen, zu Gültstein 1576–1585, verm. I. mit Agnes Greis ( Greinsin ); II. mit Margaretha Godelmann. Er starb 1588 mit Hinterlassung von 6 Töchtern und einem Sohne Namens Jacob), welcher Pfarrer in Haslach war, und ebenfalls Nachkommen hatte.
  8. Ulrich, Med. Dr. und Physikus zu Lindau 1588, verm. mit Ursula Franz, welcher Ehe zwei Töchter entsprossen sind; diese verheiratheten sich beide mit Mitgliedern der Familie Mögling, nemlich Anna mit Med. Lic. und Physikus zu Heilbronn, nachmals in Calw, Johann David DIöyling; Regina Blandina aber mit dem Med. Dr. und Professor zu Tübingen Johann Ludwig Mögling. IX. Daniel, Curiae Württemberg. Collega 1615.
  9. Johann, Special zu Herrenberg 1589, nachmals auch Herzoglich Württembergischer Rath und Prälat zu Königsbronn 1591, verm. mit Maria, des Vogts von Herrenberg, Valentin Moser Tochter.
1. Zu Tübingen hielten, wie Crusius in seiner Schwäbischen Chronik Frankf. 1733 berichtet, zur Zeit dieser schrecklichen Seuche folgende Prediger bei ihren Schäflein aus: Dr. Theodoricus Schnepf, Pfarrer, und die drei Helfer M. Jacob Gering, M. Elias Benignus (ein Johann Benignus Professor der Beredsamkeit daselbst und 1540 Decan der philosophischen Facultät hielt 1550 die Trauerrede über Herzog Ulrich ) 1585 10. September als Pfarrer zu Nürtingen, nebst M. Michael Otto; sämmtliche verwalteten ihr Amt treulich sowohl im Lehren als Krankenbesuchen.
2.Kurz nach seinem Regierungsantritt liess der Herzog die württembergische Confession auf dem Concil zu Trient übergeben (1551), welche von den päbstlichen Legaten unterdrückt, von auswärtigen Bischöfen gesucht, auch im Herzogthum Preussen als Vorschrift des Glaubens und der Lehre aufgestellt wurde. Die württembergischen Theologen aber waren die ersten Protestanten, welche sich in Trient vernehmen liessen, gleich darauf folgten die sächsischen Abgesandten,
3. Andreä erhielt, nachdem er die Concordienformel unterschrieben, von dem Kurfürsten August von Sachsen 1580, 21. Dez., beim Abschied einen vergoldeten Pokal von 73 Loth. (Auf einer alten Copie seines Wappenbriefes bemerkt.
Jakob Andreä

Jacob Andreä

Jacob Andreä, geboren am 25. März 1528 zu Waiblingen, war der Sohn eines Schmiedes mit Namen Endris (Andreas) und wurde desshalb häufig Jacob Schmidlin genannt. Endris hatte in seiner Jugend Böhmen, Ungarn und Gallien durchwandert und sogar St. Jago di Compostella in Spanien als Wallfahrer besucht. In Waiblingen hatte er durch Verheirathung mit der Wittwe eines Schmiedes Anna, einer geborenen Weisskopf, der nachmaligen Mutter Jacob’s, eine dauerndere Stätte gefunden. Doch ist er nach Anna’s Tode in’s Kloster zu Bebenhausen gegangen, wo er seine Tage in andachtsvoller Ruhe zubrachte bis an seinen seligen Tod im Jahre 1566.

Jacob besuchte seit 1534 die Waiblinger evangelische Schule, und schon 1539 beschlossen seine Ältern, denen nach ihm noch drei Kinder geboren waren, ihn bei einem Tischler in die Lehre zu geben. Dieses verhinderte jedoch der Bürgermeister Sebastian Mader, welcher in dem Knaben besondere Anlagen entdeckt hatte. Erhard Schnepf in Stuttgart, durch welchen er ihn examiniren liess, fand nun zwar, dass Jacob im Lateinischen völlig unwissend war, bemerkte jedoch: „Die Schuld ist nicht in dem Knaben, aus dessen Gesichte der Geist hervorleuchtet, sondern in dem Lehrer, der seine Pflicht nicht gethan hat.“ Letzterer erhielt vom Waiblinger Rathe einen starken Verweis und züchtigte dafür den unschuldigen Schüler, der bald darauf, zur Hälfte auf Kosten des Waiblinger Kirchenärars, auf die lateinische Schule zu Stuttgart gesandt wurde. Der dortige Lehrer, Alexander Marcoleon, besass bei grosser Gelehrsamkeit ausgezeichnete pädagogische Gaben. Er genoss die allgemeine Verehrung und Liebe der Schüler und brauchte bei seinem freundlichen Ernste kaum ein Mal im Semester den Stock. Jacob machte unter seiner Leitung so gute Fortschritte, dass er nach zwei Jahren, mit den Regeln der griechischen und lateinischen Grammatik, so wie mit der Rhetorik und Dialectik Melanchthon’s vertraut, in das Stipendiatenstift zu Tübingen aufgenommen werden konnte. Schon 1543 wurde er Baccalaureus und 1545 Magister. Schnepf, seit 1543 Professor und Prediger in Tübingen, übte auf der Kanzel und dem Katheder den entschiedensten Einfluss auf seine theologische Bildung aus. Schon früh bestieg er selbst die Kanzel, und bereits im 18. Jahre folgte er einem Rufe zum Diaconus nach Stuttgart. In demselben Jahre verheirathete er sich mit Anna Entringer aus Tübingen, mit der er in Freud’ und Leid eine glückliche Ehe geführt und achtzehn Kinder, neun Söhne und neun Töchter, erzeugt hat. Der Ruf seiner Beredtsamkeit wurde bald so gross, dass ihn Ulrich auf seinem Schlosse predigen liess. Nach beendigter Predigt sagte der Herzog zu den Räthen: „Woher auch dieses junge Huhn kommen mag, so ist doch gewiss, dass Schnepf es ausgebrütet hat.“

Während der Besetzung Stuttgart’s im schmalkaldischen Kriege blieb Andreä von allen evangelischen Predigern allein in der Stadt. In dieser Zeit verrichtete er einst die Taufe eines Kindes, welches ein höherer kaiserlicher Officier aus der Taufe hob. Letzterer überreichte ihm sechs Silbermünzen. Andreä schlug sie aus, weil sie nach seiner Meinung dem Kinde oder der Wöchnerinn zukämen. Aber der Officier zeigte ihm in der Linken das für Letztere bestimmte Geschenk und fügte hinzu: Ich danke Gott dem Herrn, dass ich euch im Glauben der heiligen katholischen Kirche habe taufen sehen und hören, und werde Solches dem Kaiser berichten. Andreä erwiderte, er könne nicht anders taufen, und es sei auch nie in der evangelischen Kirche anders getauft worden. Hierauf erklärte der Officier: „Bei den Kaiserlichen herrscht die feste Überzeugung, dass Ihr allen Glauben und alle Religion völlig abgeworfen habt. Man ist der Ansicht, dass bei Euch keine Sacramente sind und keinerlei Verehrung des Heiligen Statt findet. Ich wünsche mit Euch mehr zu reden und lade Euch zu Tische in der kaiserlichen Residenz.“ Andreä fand zu Hause seine schwangere Gattinn in Thränen. Ein Stuttgarter Bürger hatte versprochen, Andreä’s Bücher in Verwahrung zu nehmen, hatte aber die Gattinn, welche sie überbringen wollte, zurückgewiesen. Andreä tröstete sie, erzählte seine Erlebnisse und übergab ihr das erhaltene Geldgeschenk als ein Unterpfand der göttlichen Barmherzigkeit. Hierauf begab er sich nach der von dem Rathe dem Kaiser eingeräumten Residenz. Sobald ihn der Officier eintreten sah, stand er auf und empfing ihn auf ehrende Weise. Zwar verschwieg er ihm während des Gespräches nicht die dem Lutherthum drohenden Gefahren; doch rieth er freundschaftlich, alle Schriften von Luther, Brentz, Melanchthon, Bugenhagen, Regius und anderen evangelischen Verfassern sorgfältig zu verbergen und dafür Autoren, wie den Thomas Scotus, zu substitutiren. In diesem Falle wolle er ihm für allen Schaden, den die Spanier ihm zufügen könnten, Ersatz leisten. Mit hoher Geistesgegenwart und unter besonderem göttlichen Schutze entging Andreä in jener bedrängten Zeit den Verfolgungen der Feinde, von denen manche seine Bewunderer wurden, nachdem er auf ihre papistischen Fragen mit schlagender Wahrheit geantwortet hatte.

1548 musste er in Folge des Interims, das er nicht anzunehmen vermochte, nach Tübingen flüchten. Aber auch hier entwickelte er eine gesegnete Thätigkeit für das Reich Gottes. Die vor dem Thore untergebrachten Aussätzigen sehnten sich nach dem Worte Gottes, und er predigte es ihnen freudig bei verschlossenen Thüren. Als einst ohne sein Wissen das Haus offen stand, strömten die Studenten und Bürger herein oder hörten ihn von fern bis jenseit des Flusses auf der Wiese mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Von der Zeit an hatte er immer ein zahlreiches Auditorium in der Hospitalkirche, und es wurde ihm, als diese zu klein wurde, sogar gestattet, in der Jacobskirche zu predigen. Bald darauf fand er Anstellung als Katechet an der Kirche St. Georgii und Martini. Als solcher durfte er zwar die Kanzel nicht betreten, doch hatte er mitten im Tempel auf einem niederen Sitze die Hauptstücke des Katechismus zu erklären. 1549 wurde er zum Diaconus ernannt, und seine Amtsgeschäfte mehrten sich bis zum Übermaass; denn er hatte zuweilen wöchentlich neun Predigten zu halten, sämmtliche Kinder zu taufen und die Kranken zu besuchen.

Herzog Christoph, Ulrich’s Nachfolger, that Alles, das Licht Andreä’s auf den Leuchter zu stellen. Er ernannte ihn 1552 zum Superintendenten von Göppingen, veranlasste im folgenden Jahre seine theologische Doctorpromotion und übertrug ihm 1553 die Generalsuperintendentur. Jetzt beginnen die zahlreichen theologischen Wanderungen Andreä’s, von denen fast sein ganzes Leben hingenommen wurde. 1553 reis’te er nach Tübingen zur Begutachtung des Osiandrischen Streites, 1554 nach Öttingen zur Reformation der Grafschaft, 1556 nach Wisensteig zur Reformation der Grafschaft Helfenstein, nach Pforzheim zur Reformation der Markgrafschaft Baden und nach Rotenburg zur Kirchenordnung. 1557 besuchte er mit Christoph den Reichstag zu Regensburg, und noch in demselben Jahre war er auf dem Tage zu Frankfurt. 1558 reis’te er nach Pfedersheim zum Gespräche mit den Anabaptisten und zum Colloquim in Worms. Wie er bei dem innersten Interesse, das auf und zwischen diesen grossen theologischen Reisen seine Seele in Anspruch nahm, dennoch vorkommenden Falls zur allerspeciellsten Seelsorge bereit war und wie gründlich er sie übte, beweis’t folgendes Beispiel. In Weissenstein, zwei Meilen von Göppingen, sollte ein Jude, der einen Diebstahl begangen hatte, erhängt werden. Andreä begab sich, um zu sehen, in welcher Confession er sterben würde, auf den Richtplatz. Der Missethäter hing da, die Hände auf den Rücken gebunden, von zwei Hunden angebellt und zerfleischt, die zu beiden Seiten mit den Hinterbeinen befestigt waren. Vergebens versuchten katholische Priester, ihn zu bekehren. Aber so oft das Bellen der Hunde nachliess, sang der Unglückliche Trostsprüche aus dem hebräischen Psalter und rief mit inbrünstigem Flehen den Gott Abraham’s, Isaak’s und Jacob’s um Erbarmen an. Der Pastor von Weisenfels, in seinem Herzen evangelisch, aber aus Menschenfurcht in seinem Bekenntniss papistisch, tritt zu Andreä und fordert ihn auf, sein Heil an dem Juden zu versuchen. Nach einigem Bedenken wegen des fremden Territoriums und der Verschiedenheit der Landeskirche willigt Andreä ein. Er redet den Juden an, billigt seine Gebete, da ja Abraham, Isaak und Jacob den einen, wahren Gott angerufen hätten; darin aber bestehe sein Irrthum, dass er von dem einen, wahren Gotte abzutreten meine, wenn er an Jesum Christum, Maria’s Sohn, glaube. Denn dieser werde in den prophetischen Schriften Jehovah genannt, wie denn im Propheten Jeremias geschrieben stehe (23, 5.6): „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David ein Gewächs erwecken will, und soll ein König sein, der wohl regieren wird und Recht und Gerechtigkeit auf Erden anrichten. Zu Desselbigen Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen, und dies wird sein Name sein, dass man ihn nennen wird: Herr, der unsere Gerechtigkeit ist (Jehovah Zidkenu). Hieraus gehe klar hervor, dass der Messias nicht allein wahrer Mensch aus dem Samen David’s, sondern auch wahrer Gott, Jehovah, der Schöpfer Himmels und der Erde, sei. Wenn er also an Christum glaube, so glaube er nicht an einen neuen selbstgemachten Gott, sondern an den wahren Gott Abraham’s, Isaaks und Jacob’s, die all ihr Vertrauen auf diesen Messias, als wahren Gott, gesetzt und seinen Tag zu sehen gewünscht hätten. Gott aber habe Christus sein müssen, um die Sünden der ganzen Welt zu sühnen und eine so grosse Strafe zu tragen, wie sie keine englische oder irdische Creatur auszuhalten vermocht hätte. Letzteres sehe ja der Jude an sich selbst, da er nicht wegen der Übertretung des ganzen Decalogs, sondern nur eines Gebotes und nicht einmal des ganzen, sondern eines Stückes aufgehängt sei, und durch diese Strafe nicht Gotte, sondern nur den Menschen genug thue. Für die heimlichen Diebstähle aber, die er nur in Gedanken verübt, und die doch nach dem Gesetz „dich soll nicht gelüsten“, auch Diebstähle seien, habe er nicht genug gethan. Wie viel Strafe habe er also zu leiden für die Übertretung der übrigen Gebote, gegen welche er in Gedanken, Worten und Werken gesündigt, wenn er gedenke an das Wort des Moses: Verflucht, wer nicht bleibt in Allem, was im Buche dieses Gesetzes geschrieben steht? Den Fluch habe Christus auf sich genommen, welcher Jehovah ist, der Herr, und wahrer, ewiger Gott und unser Fleisch angenommen hat, in welchem er mit höchster Unschuld dem Gesetze durch thätigen und leidenden Gehorsam genug that und dergestalt die Sünden der ganzen Welt versöhnte. Auf ihn hatte, wie Jesaias sagt, Gott unser aller Sünde geworfen, und wenn der Jude an ihn glaube, solle er wissen, dass er nicht die Religion Abraham’s, Isaak’s und Jacob’s wegwerfe, sondern befolge und selig werde. Der Unglückliche hörte dieses Alles mit der gespanntesten Aufmerksamkeit an. Selbst die Hunde sollen während der Ansprache still gewesen sein und in ihren Bissen nachgelassen haben. Andreä ging den Berg hinab; aber, schon im Begriff, sein Pferd zu besteigen, wird er, auf Bitten des Delinquenten, zurückgerufen. „Ach Herr! Ach Herr!“ schrie der arme Sünder – „gieb, dass ich nicht ohne Taufe sterbe!“ Andreä erwidert: „Glaubst Du Dem, was ich Dir aus den heiligen Schriften der Propheten von Christus vorgehalten habe?“ „Ich glaube“ – spricht der Jude – „Gott weiss es.“ „Siehe zu,“ mahnt Andreä, „dass Du Dich nicht also anstellest, um Dein Leben zu behalten.“ „Daran denk’ ich nicht,“ versetzt der Jude, „Du siehst ja, wie jämmerlich ich von den Hunden zerfleischt bin. Nicht das irdische, sondern das ewige Leben suche ich. Helft, dass mich der Tod nicht vor der Taufe erfasst. Ich wünsche nicht zu leben, sondern zu sterben, wenn mir nur die Taufe zu Theil wird!“ Andreä, der an der Ächtheit seiner Busse nicht mehr zweifeln konnte, stärkte seinen Glauben mit anderweitigen prophetischen Aussprüchen. Noch an demselben Abend erfolgte die Taufe durch den Pastor von Weissenstein, und unmittelbar darauf die Erdrosselung.

Im Jahre 1560 reformirte Andreä die durch papistische, zwinglische, schwenkfeldsche und anabaptistische Irrthümer zerrissene Kirche zu Lauingen, hielt dort viele, später im Druck erschienene, Predigten und kehrte, von den Segenswünschen der befriedigten Bürger geleitet, nach Göppingen zurück. 1561 visitirte er die Kirchen der Pfalz und noch in demselben Jahre reis’te er mit Bidembach (Beuerlin starb unterwegs) nach Frankreich, um an dem von der Königinn von Navarra zur Versöhnung der Guisen und Hugenotten zu Poissy veranstalteten Gespräche Theil zu nehmen. Aber Beza hatte durch seinen plumpen Ausruf: „So weit der höchste Himmel von der untersten Erde, so weit ist der Körper Christi entfernt vom Brodte und Weine im Abendmahl“ den Schluss der Religionsgespräche herbeigeführt, und die beiden Würtemberger kamen zu spät.

Im folgenden Jahre wurde Andreä an Beuerlin’s Statt zum Kanzler der Universität Tübingen und zum Propst ernannt. Durch Predigten, Vorlesungen und Leitung der Disputirübungen in grossem Segen wirkend musste er jedoch auch hier seine Thätigkeit durch zahlreiche kirchliche Reisen unterbrechen. 1563 reis’te er nach Strassburg, wo er den Hieronymus Zanchius, welcher die Unverlierbarkeit der Gnade behauptet hatte, zur Ruhe brachte, 1564 nach Maulbronn zum Gespräch über das Abendmahl, 1564 nach Hagenau zur Reformation und 1567 nach Esslingen, wohin die Universität wegen der Pest verlegt war und wo er ein ganzes Jahr während der Pfarrvakanz Predigten, vorzüglich gegen die Ketzereien der Zeit, gehalten hat. 1568 ging er auf die Einladung des Herzogs Julius nach Wolfenbüttel, von wo aus er mit Chemnitz die braunschweigische Landeskirche visitirte und wohin er die Prediger zum Examen berief. Den bei dieser Gelegenheit erkannten Mangel treuer und gelehrter Prediger zu decken, wurde er gebeten, würtembergische Geistliche zu verschreiben. Leider gelang ihm Dieses nicht, und er musste 1569 an Chemnitz schreiben: „Ich konnte sie nicht überreden, dass sie vom Weine zum Biere sich rufen liessen.“ (Illis persuadere non potui, ut a vino ad cerevisiam sese paterentur vocari.)

Seine allerbedeutendste Thätigkeit entfaltete Andreä als Haupturheber und Förderer des Concordienwerkes. (Hierüber Ausführlicheres von: Johannsen, Jacob Andreä’s concordische Thätigkeit, in Niedner’s Zeitschrift für die historische Theologie, 1853. Heft 3.) Nachdem er schon Jahre lang und namentlich auf der Conferenz zu Zerbst 1570 unter vielem Widerspruch und erlittenene Beleidigungen für die Vereinigung der Kirchen Augsburgischer Confession gearbeitet hatte, gab er „sechs christliche Predigten von den Spaltungen, so sich zwischen den Theologen Augsb. Confession von Anno 1548 bis auf das Jahr 1573 nach und nach erhoben, Tübingen 1573. 4.“ heraus, widmete sie dem Herzoge Julius und schickte sie an Chemnitz in Braunschweig und Chytäus in Rostock, mit der Bitte, sie in Niedersachsen und Östreich, wohin beide Theologen damals berufen waren, zur Unterschrift zu empfehlen. Letztere machten dagegen den Vorschlag, dass die vornehmsten Theologen aus den Predigten die dogmatischen Artikel herausziehen und den Kirchen vorlegen möchten. Andreä unterzog sich dieser Aufgabe selbst und sandte am 23. März 1574 eine „Erklärung der Streitigkeiten, so sich unter den Theologen Augsb. Confession erhoben haben,“ an Julius und Chemnitz, welcher diese Schrift, die später den Namen der schwäbischen Confession erhalten hat, den bedeutendsten niedersächsischen Theologen zugehen liess. Nach den im September und October eingelaufenen Censuren wurde sie von Chemnitz umgearbeitet, in dieser Gestalt von den schwäbischen Kirchen genehmigt (1575) und nunmehr die schwäbisch-sächsische Concordie genannt. Weil sie jedoch der Form nach zu einer allgemeinen kirchlichen Eintrachtsformel nicht geeignet schien, ward auf Andreä’s Rath die von Balthasar Bidembach und Lucas Osiander verfasste Maulbronner Formel von den würtembergischen und badischen Theologen (1576) vorgezogen und nun erst aus beiden von Andreä, Chemnitz und Chyträus das Torgauer Buch componirt, welches die Grundlage der Bergischen Concordienformel von 1577 geworden ist. Vor und nach der Beendigung des Eintrachtswerkes musste Andreä die mannichfaltigsten und ausgebreitetsten Reisen zu Fürsten und Magistraten machen. Immer das eine Ziel ins Auge, legte er viele tausend Meilen in Begleitung eines Dieners zurück. Seinen Standort hatte er schon seit 1576 in Leipzig genommen, wo auch seine Familie während seiner Wanderungen in der Obhut des Churfürsten August, des Hauptconcordienfreundes, zurückblieb. Neben den hohen Ehren, die ihm seine gesegnete Thätigkeit brachte, fehlte freilich nicht das Kreuz. Man warf ihm vor, er stecke alle Secten zusammen in einen Sack, vermenge Christus und Belial, Licht und Finsterniss, nannte das ganze Werk mit Anspielung auf seinen Namen die Jacobsbrüderschaft und meinte, hindeutend auf seine Herkunft, es sei von Schustern und Schmieden zu Stande gebracht. Ja man häufte auf ihn die ungerechten, später von Arnold in seiner sehr parteiischen Kirchengeschichte wiederholten Vorwürfe des Geizes, Ehrgeizes, Hochmuthes und der Unverschämtheit. Er aber kehrte mit hoher Freude und inniger Dankbarkeit gegen Gott, am 21. Dec. 1580, von dem Churfürsten August huldvoll entlassen und beschenkt, nach Tübingen zurück. Hier starb ihm 1583 seine theure Gattinn, mit welcher er sieben und dreissig Jahre lang eine glückliche Ehe geführt hatte. Nach anderthalb Jahren verheirathete er sich zum zweiten Male mit der frommen Wittwe Regine Prentzinger, welche ihrem ersten, der reinen Lehre wegen vertriebenen, Gatten in’s Exil nach Regensburg gefolgt war.

Auch die späteren Lebensjahre Andreä’s waren grossentheils von theologischen Reisen ausgefüllt. 1586 disputirte er zu Mömpelgard mit Beza über das Abendmahl, die Person Christi, die Prädestination, die Reformation der katholischen Tempel und die Adiaphora. 1587 ordnete er das Kirchenwesen zu Nördlingen in Rhätien. Als er bei seiner Rückkehr in der Nähe von Tübingen erkrankte, beschied er den Rector und Senat der Universität zu sich, bekannte seinen Glauben und nahm das Abendmahl. Doch genas er wieder, und seine Wanderungen begannen auf’s Neue. nach dem Religionsgespräche zu Baden (November 1589), auf dem er gegen den katholisirenden Johannes Pistorius disputirt hatte, schrieb er eine Abhandlung über die dort vernachlässigte oder abgebrochene Lehre von der Kirche, einen Lutheraner und einen Jesuiten einander gegenüberstellend. Bei der Abfassung fühlte er sich dermaassen innerlich getrieben, dass er den Wunsch aussprach, er möchte nicht bloss mit den Händen, sondern auch mit den Füssen schreiben können, und erklärte, es sei ihm nicht anders zu Muthe, als wenn Jemand hinter ihm stände und zum Schreiben drängte. Als die Schrift, in kurzer Zeit, vollendet war, verfiel er in seine letzte Krankheit, und die Todesahnungen, unter denen er schon in Baden zu Heerbrand gesagt hatte: „Du wirst mir die Leichenrede halten und mein Nachfolger werden!“ verstärkten sich. Als er bei heftigem Schleimdruck nicht mehr aufzuhusten vermochte, ertrug er seine Schmerzen still und Gott ergeben. Am Epiphaniasfeste, dem 6. Januar 1590, liess er den Rector der Universität, die Decane, einen Arzt und verschiedene Prediger unmittelbar nach der Vormittagskirche zu sich rufen, reichte ihnen die Hand und redete sie, im Sessel sitzend, folgendermaassen an: „Es ist Euch, meine Herren, sammt und sonders unverborgen, welchermaassen vor dieser Zeit, nachdem mich Gott mit dreien beschwerlichen Krankheiten, Herzzittern, Fieber und Kolik, heimgesucht, ich dermalen Rectoren und den ganzen senatum academicum zu mir berufen, in derselben Gegenwärtigkeit mein Bekenntniss, den Glauben betreffend, ausführlich gethan und darauf das heilige Abendmahl zu Stärkung meines Glaubens und Versicherung meiner Seligkeit, auch zum Zeugniss meines Bekenntnisses, empfangen, mich auch Gottes gnädigem Willen befohlen habe, welchem gefallen hat, mich wieder aufkommen und länger bei Euch leben zu lassen. Demnach ich aber jetzo neulicher Zeit wiederum von Gott dem Allmächtigen mit einer zugleich beschwerlichen Krankheit heimgesucht werde, da ich dann nicht weiss, welche Stunde mich Gott von Euch möchte abfordern, habe ich Euch zu mir zu kommen wiederum erbitten lassen und Solches der Ursachen halber, dieweil mir unverborgen, was die Calvinisten und Papisten sammt anderen Secten nach meinem Tode ausbreiten werden, nämlich, als ob mich Gott mit einem erschrecklichen Tode abgefordert hätte, und der ganzen Welt damit zu verstehen geben, dass er mir also wie einem von katholischer Kirche abtrünnigen, gottlosen Menschen keine Gnade habe wollen widerfahren lassen, und was dergleichen mehr sind, deren ich bis daher viel habe erfahren müssen, besonders aber des neulichen zu Markgrafen Baden gehaltenen Coloquii halber, als ob ich mir Böses und einer irrigen Lehre wäre bewusst gewesen. Solchem nun vorzukommen will ich zuvor jetzund in Eurem Beisein mein Bekenntniss thun, nachmals auch zum Zeugniss, dass ich bei demselben, vermittelst göttlicher Gnaden, bis an mein letztes Ende verharren wolle, das hochwürdige Abendmahl empfangen. Nun ist Euch Allen wohl bewusst, was meine Lehre in Glaubenssachen gewesen, die ich öffentlich, Beides in Kirchen und Schulen, an fremden Orten und in diesem Fürstenthum mit Predigen und Schreiben, nunmehr in das vier und vierzigste Jahr, in meinem Predigtamt geführt habe. Zu derselben bekenne ich mich nochmals, will auch auf dieselbige, als die ewige Wahrheit, mit göttlicher Hilfe, da mich mein Gott und Herr aus dieser Welt nimmt, absterben und am jüngsten Tage vor dem Richterstuhle Christ mit unerschrockenem Herzen dieselbe aus seinem heiligen Worte vertheidigen und verantworten und jetzo den wahren Leib und Blut Christi, meines Erlösers, darauf empfangen, dessen ihr mir vor der ganzen Welt Zeugniss geben und, im Fall meinethalben lästerliche Reden ausgebreitet würden, solche mit gegenwärtigem Actu in der Christenheit ablehnen wollen. Darnach bitte ich Euch sammt und sonders, dass Ihr Euch meines lieben, getreuen Weibes und gehorsamen Kinder getreulich annehmen, sie schützen und schirmen wollet. Und weil ich mir selber wohl bewusst, dass ich ein armer, elender, sündiger Mensch und kein Engel bin, auch meine Fehl und Mängel an mir habe, erkenne ich dieselben von Grund meines Herzens, und da ich entweder Einen unter Euch oder Andere aus dem Senat oder auch Jemand Andern jemals mit Worten oder Werken beleidigt hätte, will ich Euch hiemit öffentlich und brüderlich gebeten haben, dass Ihr mir Solches verzeihen wollet, auch Anderen im Senat Solches vermelden. Denn was ich etwa im Senat mit Euch geredet, weiss mein Gott und Herr, dass ich Solches guter Meinung und um der Jugend willen gethan habe, damit dieselbe in Zucht und Ehrbarkeit erzogen werden möchte. Denn wir ja wohl wissen, wenn ein junger Student verderbet würde, so wir wohl hätten verhüten können, dass wir dann an jenem Tage schwere Rechenschaft seinethalben geben müssen, und bitte auch, dass man fürohin getreulich ob der Jugend halten wolle. ich für meine Person will Jedermänniglich von Herzen auch gern verzeihen und vergeben haben.“ Hierauf sprach er die Beichte, empfing die Absolution und stehend das heilige Abendmahl. Sodann hob er die Hände gen Himmel und sprach folgendes Dankgebet: „Ich sage Dir, mein Herr Jesu Christe, von Grund meines Herzens ewig Lob und Dank, dass Du nicht allein für mich gestorben und mit Deinem theuern Blute erkauft und erlös’t hast, sondern auch mir solche Gutthaten verbrieft und versiegelt und jetzt in dem heiligen Abendmahle ein Geheimniss gegeben, das ich mit meiner Vernunft nicht verstehe, aber doch festiglich glaube, nämlich, dass ich unter Brodt und Wein Deinen wahren Leib und Blut vermöge Deines Wortes empfangen habe, Dir befehle ich meine Seele in Deine Hände, Du wollest sie an den Ort stellen, dahin Du sie verordnet, und von Deinem himmlischen Vater allen Auserwählten gebeten hast: Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, Joh. 17. Dir sei für alle zeitlichen und ewigen Gutthaten ewig Lob und Dank gesagt, und bitte den barmherzigen Gott, dass wir Alle in jener Welt einander bald wiederum sehen und mit Christo ewiglich leben, herrschen und regieren. Amen. Amen. Amen.“ In der Frühe des andern Morgens antwortete er dem Arzte, der ihn um sein Befinden befragte: „von Gott ungeschieden.“ Unter den trostreichen Zusprüchen seines Beichtvaters, so wie seines Sohnes Johannes und nach wiederholten lauteren Bekenntnissen mit bebendem Munde entschlief er sanft am 7. Januar 1590, Morgens zwischen acht und neun Uhr. Bei seinem Begräbniss am 9. Januar hielt ihm der würtembergische Hofprediger Lucas Osiander die Leichenrede über 2. Timoth. 4,7.8.

Selten verband ein Lehrer der Kirche so grosses praktisches, namentlich organisatorisches, Talent mit so grosser Gelehrsamkeit wie Andreä, und selten ist, wie bei ihm, jene Mässigung, die bei entschieden kirchenpolitischem Geschick von aller Einmischung in Staatsangelegenheiten sich fern hält. Dass er sie besass, beweis’t u.A. folgender Vorfall. In Stuttgart wurde er von einem einflussreichen Grafen eingeladen. Dieser brachte die Rede auf französische Staatsangelegenheiten; aber Andreä, dessen Urtheil erwartet wurde, erklärte: Über solche Dinge mag ich nicht gern mein Urtheil fällen, weil sie vor den Richterstuhl der Juristen gehören. Der Graf wandte ein, dass im alten Testamente die Priester auch in politischen Angelegenheiten ihren Rath ertheilt hätten, Andreä aber schnitt dieser Instanz den Nerv ab mit den Worten: „Es ist wahr; allein mit den Priestern des alten Testaments kann ich nicht verglichen werden, weil mir das Brustschild mangelt. Ich sage vielmehr mit Christo aus dem neuen Testamente: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschichter über euch gesetzt!“

A.’s Predigten sind überwiegend doctrinärer Natur, Abhandlungen ähnlicher, als erbaulichen Vorträgen. Anziehend wurden sie zu ihrer Zeit durch das lebendige dogmatische Interesse und Feuer des Redners. Doch finden sich auch wirklich ascetische, sogar kindlich einfältige Vorträge wie etwa die unten abgedruckte Katechismuspredigt. Der Methode nach sind sie grösstentheils Analysen des Textes ohne Form der Homilie. Zuweilen werden die Gedanken unter bestimmt ausgesprochene Loci gebracht. Auch die synthetisch-thematische Predigtweise ist vertreten. Ein Beispiel der ersten Art giebt die unten zu lesende Predigt am Tage der heiligen Dreifaltigkeit, ein Beispiel der zweiten die Predigt auf den 6. Sonntag nach Trinitatis, welche im ersten Theile von der Busse und im zweiten vom Gebete handelt. Zum Exempel der dritten Art diene eine Predigt auf den achten Sonntag nach Trinitatis mit folgender Proposition: „Darum wollen wir auf dies Mal Gottes Sohn in einem Stück hören, und das ist das heilige Nachtmahl Christi. Damit aber Eure Liebe den ganzen Handel desto leichter verstehen und länger behalten möge, will ich ihn in sechs Theile austheilen, und wollen erstlich hören, was für eine Speise und Trank uns im heiligen Abendmahl fürgetragen werden; zum Andern, wozu sie nutz und gut seien; zum Dritten, ob sie mit Brodt und Wein ausgetheilt werden; zum Vierten, wie man’s austheilen und empfangen soll; zum Fünften, wie oft man’s thun soll; zum Sechsten, wie man sich dazu schicken und bereiten solle.“ – Die Diction steht der Heshusenschen an Kraft und Reinheit bei weitem nach.

Andreä verfasste zahlreiche Streitschriften gegen die Papisten, Calvinisten und Flacianer (s. bei Valentin Andreä in der Fama Andreana), Commentare zu den neutestamentlichen Episteln und viele Predigten, z.B.: Vom Nachtmahl des Herrn. Tübingen 1559. 4. Zwo Predigten vom heiligen Abendmahle. Tübingen 1583. 4. Sechs Predigten über den 51. Psalm. Tüb. 1561. 4. Zehn Predigten von den sechs Hauptstücken christl. Lehre. Tüb. 1561. 4. Christl. Predigten über etliche sonntägliche Evangelien. Tüb. 1562. 4. Sechs Predigten vom Klosterleben. Tüb. 1562. 4. Eine Predigt, wie der Mensch vor Gott gerecht werde. Tüb. 1559. 4. Drei und zwanzig Predigten von den fürnehmsten Spaltungen in der Rel. Tüb. 1568. 4. Dreizehn Predigten vom Türken. Tüb. 1568. 4. Vier Predigten über etliche Evangelien im Advent. Regensb. 1568. 4. Predigt von der Leiter Jacobs. Tüb. 1566. 4. Predigt von dem Verbot der Ehe. Tüb. 1571. 4. Sechs Predigten von den Spaltungen zwischen den Theologen augsb. Confess. Tüb. 1574. 4. Predigt von der Gotteslästerung. Tüb. 1575. 4. Predigt am Tage Johannis des Täufers. Tüb. 1579. 4. Predigt vom grossen Abendmahle. Magdeb. 1579. 4. Predigt vom Nachtmahl des Herrn. Tüb. 1579. 4. Predigt am 24. p. Trin., von Vieler Verführung vor dem jüngsten Tage. Leipz. 1578. 4. Predigt am Tage der heil. Dreifaltigkeit. Eisl. 1579. 4. Fünf Predigten vom Werke der Concordie. Dresden 1580. 4. Sechs Predigten vom Wucher. Tüb. 1589. 4. – A.’s Methodus concionandi gab aus seinen Heften Polycarpus Lyser heraus, Witeb. 1595. 4.

S. Fama Andreana reflorescens, sive Jacobi Andreae Waiblingensis, Theol. Doctoris, Vitae, juneris, scriptorum, peregrinationum et progenies recitatio, curante Joh. Valentino Andreae, nepote. Argentorati 1630. 12. Hier findet man auch die oratio funebris de vita et obitu Jac. Andreae von Jacob Heerbrand und die Leichenpredigt von Lucas Osiander.

Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856