Jugendzeit (1802 – 1827)
Adolf Monod wurde am 21. Januar in Kopenhagen geboren als das sechste von zwölf Kindern des Pfarrers Jean Monod und dessen Ehefrau Luise von Koninck. Jean Monod war gebürtiger Schweizer; seine Vorfahren stammten aus dem französischen Savoyen. Die Monods und auch die Konincks waren Nachkommen jener tapferen Bekenner, die unter dem Namen Hugenotten eine so leidvolle und sieghafte Geschichte aufzuweisen haben. Die Eltern Adolf Monods hatten es nicht leicht. Not und Sorge waren ihre täglichen Hausgenossen; doch hat ein Reichtum des Gemüts und der Liebe Eltern und Kinder allezeit beglückt. Im Jahr 1808 siedelte die Familie Monod von Kopenhagen nach Paris über, wo Jean Monod eine Pfarrstelle an der reformierten Kirche übernahm. Auch hier fehlte nicht die alltägliche Mühe und Sorge um das Auskommen. Aber innige Liebe im Familienkreis ließ dennoch echten Frohsinn gedeihen. Der Vater nahm sich trotz starker Inanspruchnahme durch sein Amt Zeit, die Studien seiner Sühne zu überwachen, und die Mutter war jedem ihrer zwölf Kinder mehr als eine vertraute Freundin.
Im Jahre 1820 reiste Adolf mit seinem Bruder Billy nach Genf, wo beide Theologie studieren sollten. Auf der Genfer Theologischen Hochschule herrschte der Liberalismus. Dabei konnte ein junges Herz nicht warm werden. Adolf kam in eine innere Krise. Zweifel zerrissen sein Herz, das sich doch so begeistert danach sehnte, wie der Vater mit Freudigkeit und Gewißheit das Evangelium zu verkündigen.
Doch in Genf war außerhalb der Universität ein geistlicher Frühling ausgebrochen, eine Erweckung. Von der rationalistischen Kirche verfolgt und hinausgestoßen, hatte sich ein freier evangelischer Kreis von Gläubigen gebildet, die im Feuer der ersten Liebe glühten und eifrig evangelisierten und Menschen für Jesus zu gewinnen suchten. Ausgelöst wurde diese Erweckung durch den Schotten Robert Haldane (1764 – 1842). Durch ihn entstand zunächst in der welschen Schweiz reges geistliches Leben. Zu den Trägern der Erweckung („Reveil“) gehören Namen, die in der Geschichte der gläubigen Gemeinde einen guten Klang haben: Ami Bost, Cäsar Malan, Guers, Pyt, Friedrich Monod (der ältere Bruder Adolf Monods), Gaußen, Merle D’Aubigne, Empeytaz, Felix Neff und andere. Diese waren mit Gewalt aus der Staatskirche hinausgedrängt worden. Mit ihnen kam Karl von Rodt in Berührung, der 1829 zu den Mitbegründern der ersten deutschredenden Freien evangelischen Gemeinde in seiner Vaterstadt Bern gehörte.
Adolf Monod wurde durch diese innerlich lebendigen Menschen angezogen. Besonders ein junger vornehmer Schotte Thomas Erskine nahm sich seiner an und suchte ihm in seinen inneren Kämpfen zu helfen. Bei Gaußen gingen die beiden Brüder Monod, die immer unzertrennlich waren, wie Kinder des Hauses aus und ein. Und noch ein dritter Freund, Karl Scholl, Pfarrer in Lausanne, später französischer Pfarrer in London, hat auf Adolf Monod gesegneten Einfluß ausgeübt. 1824 legten die Brüder Monod ihr theologisches Examen ab; Adolf hatte eine Dissertation über die Inspiration der Heiligen Schrift geschrieben, deren er allerdings später nicht froh werden konnte. Mit einem gläubigen Freunde Ballette hat er sich viel über die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift ausgetauscht; so fraglich sie seinem grübelnden Verstand schien, so klar wurde sie ihm später, als er selbst von Jesus Christus erfaßt war.
Als Studenten haben die Brüder Monod oft in kleinen Dörfern der Umgebung von Genf sonntags gepredigt. Sie gaben sich große Mühe mit der Ausarbeitung der Predigt, wie das Adolf Monod zeitlebens von sich bezeugt hat, daß er sich mit großem Fleiß bemüht habe, die Botschaft so klar und einprägsam wie nur möglich zu verkündigen. Noch aber fehlte dem jungen Monod die Hauptsache, um ein Zeuge Jesu sein zu können: die Heilgewißheit.
Als die Brüder Monod ihre Studien in Genf beendet hatten, begab es sich, daß Billy Monod eine Hauslehrerstelle in der – mit dem Elternhaus Monod befreundeten – Familie Gonthier annahm; er sollte seinen Zögling nach Italien begleiten, und Adolf wurde aufgefordert, sich den beiden anzuschließen. Im Oktober 1825 traten sie die Reise an, die für Adolfs innere Entwicklung von so hoher Bedeutung werden sollte.
In Rom hatte der preußische Botschafter Freiherr von Bunsen den jungen Monods die Gesandtschaftskapelle für französische Gottesdienste eingeräumt; er gewann Adolf Monod herzlich lieb und hat mit ihm noch längere Zeit nach seiner Abreise im Briefwechsel gestanden. Den ganzen Winter brachten die Monods in Rom zu und bereisten von da aus das südliche Italien; gegen Ende Februar kamen sie nach Neapel. Hier lernten sie einige französische Protestanten kennen, die sich längst nach geistlicher Betreuung gesehnt hatten. Adolf Monod wurde ersucht, französische Gottesdienste einzurichten und eine Gemeinde zu sammeln. Zuerst wurden diese Gottesdienste im Hause einer frommen Dame, später in der Kapelle der preußischen Gesandtschaft gehalten.
Adolf Monod hatte keinen Plan für sein Leben. Er wollte sich Schritt für Schritt von Gott führen lassen. So sah er sich in Neapel an dem Platz, auf den Gott ihn gestellt hatte, obwohl er viel lieber in Paris seiner Kirche gedient hätte. Mit Eifer gab er sich seiner Aufgabe als Prediger und Seelsorger hin. Doch füllte ihn eine tiefe Schwermut. Ihn bedrückte es, daß er anderen Menschen das Heil anbot, das er selbst persönlich nicht als eigen besaß. Doch bald sollte für ihn die beglückende Stunde schlagen, da er vom Suchen zum Finden kam.
Achtzehn Monate wirkte Adolf Monod in Neapel. Im Frühjahr 1827 bekam er den Besuch seines schottischen Freundes Thomas Erskine. Adolf Monod schrieb im Mai in sein Tagebuch: „Aus meinen Gesprächen mit Erskine ist mir klar geworden, daß mir etwas Unentbehrliches fehlt, das ich bisher nicht gefunden hatte und in eigener Kraft nicht erlangen kann. Ich ahne, ja ich sehe, daß Erskine und die ihm gleichgesinnten Christen ein Glück, eine Ruhe, einen Frieden, eine Überzeugungstreue besitzen, die mir abgehen, denn ich bin voller Unruhe und Sünde, voll inneren Widerstreites und Friedlosigkeit: meine philosophische Weisheit ist am Ende! Vollkommen kann ein Geschöpf nur durch unauflösliche Verbindung mit dem Schöpfer werden; ich aber lebte bisher nur mir selbst, und darin lag meine Sünde: abhängig von Gott müssen wir sein, ich aber wollte unabhängig bleiben! Ich strebte danach, meine Eigenart zu bewahren, und ich fürchtete mich davor, in der großen Allgemeinheit aufzugehen; meine Religion wollte ich mir selbst bilden, statt sie aus der Hand Gottes entgegenzunehmen. Und doch muß es irgendwo wirkliches Glück, wahre Harmonie geben, denn meine Ahnung sagt es mir. Außer dem Bereich das göttlichen Wortes habe ich sie nicht gefunden, und doch finden Tausende sie in der Bibel; so will ich denn fortan auch nur noch in der Bibel suchen. Nur ein von außen her an mich herantretender Einfluß kann meine Bekehrung herbeiführen. Mit meinen eigenen Betrachtungen werde ich sie nicht erlangen. Jahrhunderte würde ich brauchen, um nur meine Gedanken zu klären, ja von einem Jahrhundert zum anderen würden diese stets nur verwickelter werden wie verwirrtes Garn. Selbst wenn es in meiner Macht stünde, Licht hineinzubringen, so würde ich zuletzt an meiner Vernunft noch zu zweifeln beginnen. Es bedarf demnach eines außer mir wirkenden Einflusses, um mir zur Sinnesänderung zu verhelfen.“
Eine andere Tagebucheintragung jener Tage lautet:
„Gott der Wahrheit! Du kannst mir die Wahrheit nicht vorenthalten. Dein Wort mit all seinen Verheißungen bürgt mir dafür, daß Du sie mir offenbaren wirst. Du mußt es tun um meiner Konfirmandenkinder, um der mir anvertrauten Seelen willen, um des Opfers willen, das ich Dir noch täglich bringe, indem ich hier auf meinem Posten ausharren muß. Darum vertraue ich auf Dich allein, und da ich nur über die Zeit im Ungewissen bin, in der Du mich mit Deinem Lichte erleuchten wirst, so will ich jetzt schon leben, als wäre ich des Vollbesitzes der Wahrheit in Zukunft ganz sicher. Ich will sie da suchen, wo ich sie am gewissesten finden werde: in der Heiligen Schrift und bei denen, die treu und lauter die Bibel ausgelegt haben. Lenke Du mein Forschen und laß mich die Wahrheit finden, die zur Heiligung dient! Gib mir die Kraft des Leibes und der Seele, die zur Arbeit und zum Nachdenken erforderlich ist! Hilf mir selbst, Dich von ganzem Herzen zu suchen, und laß Dich finden! Laß mich ja durch nichts von der Gottseligkeit scheiden, die all meines Forschens und Suchens A und O bleiben soll! Heilige mich in Deiner Wahrheit; Dein Wort ist die Wahrheit!“
Adolf Monods Gebet wurde erhört. Gott erfüllte Seine Verheißung: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ In einem Brief an seine geliebte ältere Schwester Adele, die in London mit dem edlen gläubigen Eduard Babut verheiratet war und die viel für ihn gebetet hat, schildert Adolf Monod, wie ihm Gottes Gnadenstunde schlug. Wir geben den Brief mit wenigen Kürzungen wieder.
Neapel, 14. August 1827
Meine zärtlich geliebte Adele!
Eine Schwester, wie Du es bist, hat vor allen anderen ein Recht darauf, zu erfahren, wie es um mich steht und welche ersten Schritte auf dem Wege des Friedens zu tun mir Gott verliehen hat. Ich habe Dir meine Mitteilung nur so lange vorenthalten, als nötig war, um gewiß zu sein, daß mich diesmal nicht eine Selbsttäuschung meiner launenhaften Natur blendete, sondern daß der ewig treue Gott, in Dem kein Wandel ist, in der Tat ein Neues in mir geschaffen hat. Und es geht wirklich vorwärts bei mir! Aus meinen früheren Briefen konntest Du im Laufe des Jahres entnehmen, daß es bei mir immer noch beim alten geblieben war. Es war so weit gekommen, daß ich über mein Seelenleben mit niemand mehr redete, daß ich darüber nicht weiter nachdachte, und darüber war ich in solche Betäubung geraten, daß ich anscheinend ganz ruhig dahinlebte ohne zu beten, ohne die Schrift zu lesen. Herr Erskine entriß mich diesem Zustand des Selbstbetrugs; es gelang ihm aber nicht, mir zu einer besseren Gemütsstimmung zu verhelfen. Ich wünschte allerdings, aus meinem Zustand in den seinigen versetzt zu werden, ich bemühte mich auch darum; wie sehr ich aber dabei fehlgriff, sehe ich jetzt deutlich ein. Ich vergaß, daß Gott selbst meinen Sinn aufschließen mußte, damit ich die Botschaft des Evangeliums verstehen und empfangen könnte; ich brannte vor Ungeduld, mit einem Male die ganze christliche Lehre zu erfassen, auch da, wo sie meinem natürlichen Sinn am meisten widerstrebte. Ich betete wohl, aber nicht in der Weise, daß ich dabei von meiner völligen Ohnmacht und Blindheit und von der alleinigen Barmherzigkeit Gottes durchdrungen gewesen wäre; ich verließ mich dabei stets allzu sehr auf die Belehrungen eines Menschen und nicht auf Ihn allein; kurz, die Zeit war eben noch nicht gekommen, da mein Herz umgewandelt werden sollte. Nur insofern waren meine Unterredungen mit Erskine, mein Gebet und Bibellesen nicht erfolglos, daß ich aus meiner Betäubung aufgerüttelt wurde und nicht wieder in diese zurücksank. Nach Erskines Abreise nahm meine Schwermut in bisher nicht gekannter Weise zu, übermannte mich völlig, verdüsterte sowohl die geringsten Handlungen meines äußeren Lebens wie die Tiefen meiner Seele und verwüstete meine Gefühle, meine Urteilskraft, mein Lebensglück bis in ihre innersten Wurzeln hinein. Die Leute um mich her meinten, daß ich an eingebildetem Leiden krankte; ich wußte es aber besser, ich war so wahrhaft krank, daß mein Elend wuchs, je mehr ich darüber nachdachte.
Da wurde mir plötzlich, wie durch einen Lichtstrahl von oben, geoffenbart, daß mein Geist mit Blindheit umnachtet und in einem Irrtum befangen sei, der behoben werden müsse, wenn ich Frieden finden sollte. Ich erkannte, daß ich mit meiner Vernunft und Willenskraft dies Wunder niemals vollbringen könnte, denn auch sie waren verdüstert, und darum durfte ich von ihnen keine Hilfe erwarten, so wenig als ein Blinder die Blindheit des einen erloschenen Auges ersetzen kann durch das andere, das ebenfalls erblindet ist. Hilfe konnte nur von einer außer mir liegenden Einwirkung kommen. Da gedachte ich der Verheißung eines Trösters, des Heiligen Geistes, und endlich lernte ich durch die bitterste Seelennot das ergreifen, wovon mich bisher die bestimmtesten Aussagen des Neuen Testaments nicht hatten überzeugen können. Zum ersten mal in meinem Leben vermochte ich es, dieser Verheißung in dem einzigen Sinne Glauben zu schenken, in dem sie dem Drange meiner Seele entsprach. Ich glaubte an eine wirkliche, äußere, übernatürliche Einwirkung, die imstande wäre, meine Gedanken und Gefühle sowohl im Geben wie im Nehmen zu regieren und zu erneuern; eine Einwirkung, die von einem Gott ausgehen muß, der ebenso wohl der Herrscher in meinem Herzen ist wie draußen im weiten Reiche der Natur. O seliges Herz, in dem Er diese Herrschaft ausübt, die um so köstlicher ist, je unumschränkter sie waltet! Aber um Seine Macht gebrauchen zu können, fordert der HErr die Einwilligung des Menschenherzens, und Gott will, daß der Mensch Ihm entgegenkomme oder wenigstens den Zug danach bekunde. Bei eingehender Überlegung wird es uns ja klar, daß alles von Gott ausgeht, selbst der geringste Anfang des Anfangs, und daß Er in unserer Seele nur solche Bestrebungen mit Segen krönt, die Er selbst in uns entwickelt hat, gerade als ob Seine unermeßliche Barmherzigkeit eine Freude darin fände, es Sich selbst zu verhehlen. Diesen ersten Schritt habe ich nun getan. Ich habe alle eigene Kraft und Würdigkeit, alles eigene Verdienst fahren lassen und mich mit der einzigen Berufung auf meine eigene Erbarmungswürdigkeit Seiner Barmherzigkeit hingegeben; ich habe Ihn um Seinen Geist angefleht, damit er meinen Geist erneuere!
Drei Wochen sind seit jenem Tage verflossen, ohne daß ich wieder einen einzigen Rückfall in meine Schwermut erlitten hätte. Gewiß kommt solches daher, daß ich früher ohne Gott lebte und selbst der Schöpfer meines Glücks sein wollte; jetzt habe ich einen Gott gefunden, der für mich eintritt, und das genügt mir. Noch bin ich nicht auf der Höhe des Glücks angelangt, und meine Freudigkeit ist nicht ungetrübt, weil das Bewußtsein von der Nähe Gottes und der Liebe meines Gottes mir nicht beständig und deutlich fühlbar ist. Während ich dies schreibe, fühle ich mich sogar kalt und beinahe wehmütig gestimmt, aber ich verzage nicht, denn ich weiß, daß der HErr diesen Seelenzustand wenden wird, sobald Er will, und Er wird wollen, sobald es nötig ist. Indessen sehe ich diesen Zustand als einen Prüfstein meiner Geduld und meines Gottvertrauens an und bitte ihn um so inbrünstiger, Er möge mich nicht aus Seiner Hand fallen lassen, nach Seiner Verheißung beim Propheten Jeremia: „Ich habe ihn gepflanzt und werde ihn nimmermehr ausreißen.“ Was ich von den evangelischen Heilswahrheiten kenne und verstehe, ist noch ganz unzureichend. Je mehr ich mich in Gottes Gedanken versenke und den HErrn lieben lerne, um so mehr drängt sich mir die Überzeugung auf, daß das Neue Testament göttlichen Ursprungs und demnach ewige Wahrheit ist; aber ich kann es noch nicht verstehen, und seine Grundlehre, die von der Erlösung, ist mir noch verschleiert. Aber ich beruhige mich darüber, daß ich nichts weiß, und ich glaube gewiß, daß Gott mich in Seine Schule genommen hat, in der wohl der eine schnell, der andere langsam lernt, je nachdem es dem einen und dem andern heilsam ist. Die Eichel ist ja nur eine kleine Frucht, aber sie birgt den Keim eines gewaltigen Baumes, dessen Wachstum bis in die Ewigkeit reicht. Wie es einen Abgrund des Elends gibt, in dem derjenige liegt, der sich nur auf seine eigene Kraft stützt, so gibt es einen Abgrund des Trostes und der Hoffnung für den, der nur auf Gott vertraut, selbst wenn dies Vertrauen noch schwach und jung ist wie das meinige. Du siehst, wie ich beim allerersten Anfang des neuen Lebens bin, und die Sorge, ob meine Sinnesänderung auch festen Bestand haben werde, hätte mich beinahe am Schreiben verhindert. Aber ich habe bald erkannt, daß solche Vorsicht nur notwendig wäre, wenn ich mich auf meine eigene Kraft verlassen wollte. Nun aber, wo mein ganzes Bestreben nur darauf gerichtet ist, des HErrn zu harren, würde ich mich des Mißtrauens in Seine Güte schuldig machen, wenn ich Dir gegenüber länger schweigen wollte. Meine einzige Furcht dürfte jetzt nur noch die sein, daß ich nicht sicher und kühn genug alles von Ihm zu erhoffen wage …“
Jetzt wurden Adolf Monods Predigten ganz anders, als sie vordem waren. Die erste Predigt nach seiner Bekehrung hielt er über Römer 11,32: „Gott hat alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß Er Sich aller erbarme.“ In diesem Wort sah er deutlich die beiden Grundgedanken des christlichen Glaubenslebens ausgesprochen, nämlich „das Elend des Menschen“ und „die Barmherzigkeit Gottes“.
„O mein Gott!“ ruft er am Schluß dieser Predigt aus, „der Du niederbeugst, um wieder zu erheben, der Du nur betrübst, um zu trösten, nur erschütterst, um zu befestigen, wir beugen uns in Reue und Schmerz unter den Richterspruch, der uns verdammen müßte, aber auch wiederum in Dankbarkeit und Hoffnung, denn Dein Zerbrechungsweg mit uns ist uns gleichzeitig ein Unterpfand für unsere Erlösung. Offenbare uns unser ganzes Elend, aber erfülle auch unsere Seelen ganz mit dem Schein Deines hellen Lichtes! O daß wir uns endlich erkennten, so wie wir sind, und daß darüber ein Angstschrei aus diesem Zuhörerkreis aufstiege, der den uns umhüllenden Nebel der Gleichgültigkeit zerreißen und bis an Dein Vaterherz bringen möchte! Möchten wir darauf lernen, hinfort auf alle Selbstgerechtigkeit zu verzichten und nur unser Elend vor Dich bringen – als den einzigen Rechtstitel auf Deine Barmherzigkeit! Möchten wir gedemütigt, gläubig – von ganzem Herzen gläubig – uns ohne Rückhalt Deiner Liebe hingeben und aus dem Abgrund unseres Elends errettet werden durch den Abgrund Deiner Barmherzigkeit!“
Von nun an war Adolf Monods Lebensrichtung klar und entschieden. Im Oktober 1827 erklärte sich sein Freund Louis Balette bereit, in Neapel sein Nachfolger zu werden, und Adolf Monod kehrte nach Paris zurück. In späteren Jahren ist übrigens auch Balette Prediger in Paris geworden; beide lebten hier jahrelang in herzlicher Verbundenheit und gesegneter Arbeitsgemeinschaft, und noch engere Bande schlangen sich um sie, als zwei ihrer Kinder sich miteinander fürs Leben verbanden.
In Lyon (1827 – 1836)
Am 28. Oktober 1827 hielt Adolf Monod seine Probepredigt in der großen reformierten Kirche in Lyon. Sogleich nach dem Gottesdienst wurde er durch den Gemeindekirchenrat und die Gemeindevertretung einstimmig zum zweiten Pfarrer und schon wenige Monate später, nach dem Abgang des ersten Pfarrers, zu dessen Nachfolger und zum Vorsitzer des Gemeindekirchenrats gewählt. Der Besuch der Gottesdienste mehrte sich von Sonntag zu Sonntag. Protestanten und Katholiken drängten sich um Adolf Monods Kanzel. Es lag daran, daß dieser Prediger mit der Kraft persönlicher Wahrheit verkündigte. Das waren keine psychologischen Vorträge, keine schöngeistigen Reden, sondern das war Verkündigung des Evangeliums in Beweisung des Geistes und der Kraft. Zu dem inneren geistlichen Gehalt der Predigten kam eine vollendete Darstellungsgabe in Wort und Gebärde und eine Stimme, die wie Glockenklang durch die größten Kirchen tönte.
Allein, nur kurze Zeit währte die allgemeine Bewunderung. Als Monod zunehmend darauf geführt wurde, die Heilslehre in voller Klarheit darzulegen, da wurde die Entschiedenheit vielen unbequem. Die einflußreichsten Mitglieder des Gemeindekirchenrats waren reiche und angesehene Fabrikanten, die in selbstzufriedener laufwarmer Frömmigkeit dahinlebten. Es ärgerte sie, daß dieser junge Prediger zu sagen wagte, mit bürgerlicher Ehrbarkeit könne man nicht vor Gott bestehen, sondern man müsse von neuem geboren werden. In einer Osterpredigt über das Thema: „Kannst du ruhig sterben?“ prägte er seinen Zuhörern ein, daß keiner ruhig sterben könne, der sich nicht die Versöhnung durch Christi Blut im Glauben angeeignet hätte. In einer andern Predigt über Römer 6,1 führte er aus, daß der wahre Glaube die guten Werke nicht ausschließe, daß aber in Wahrheit kein einziges gutes Werk möglich ist, wenn die Seele nicht an die freie Gnade in Christus glaubt.
Eine Abordnung des Gemeindekirchenrats wurde bei ihm vorstellig und legte ihm nahe, anders zu predigen, so wie seine Amtsbrüder, die nichts von der Rechtfertigung durch den Glauben sagten. Als er sich weigerte, anders zu predigen, wurde er ersucht, sein Amt niederzulegen. Er erklärte sich dazu nur bereit, wenn man ihm irgendwelche Pflichtversäumnisse nachweisen könne. Dies war nun nicht möglich.
Die Feindschaft gegen Monod steigerte sich immer mehr. Es wurden Unterschriften gesammelt, in der die Absetzung Monods verlangt wurde. Man kann verstehen, daß unter diesen Feindseligkeiten die Wirksamkeit Monods behindert schien, und als im Jahr 1830 der akademische Lehrstuhl für Homiletik und Ethik an der Universität zu Montauban neu besetzt werden sollte, bewarb er sich auf den Rat seines Vaters um diese Stelle. Siebenundzwanzig reformierte Synoden unterstützten seine Bewerbung. Die Professoren in Montauban aber schienen durch die Gegner Monods in Lyon bearbeitet worden zu sein: sie lehnten es ab, mit Monod über die Besetzung des Lehrstuhls zu verhandeln, und der zuständige Minister, der alle Streitigkeiten vermeiden wollte, beschloß, die Ernennung eines Professors auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Adolf Monod mußte in den gespannten Verhältnissen in Lyon weiter aushalten.
Im Frühjahr 1831 kam es zu einer Entladung der Spannung, und zwar dadurch, daß Monod die Wiedereinführung der altreformierten Kirchenzucht beantragte. Als das abgelehnt wurde, weigerte sich Monod, am Pfingstsonntag die vorgesehene Abendmahlsfeier zu leiten. Er wollte das heilige Mahl nicht an offenbar Unwürdige austeilen. Nach der Predigt verließ er die Kirche, so daß die Feier des Abendmahls unterbleiben mußte. Am folgenden Tag trat der Gemeindekirchenrat, dessen Vorsitzer Monod war, ohne ihn zusammen und faßte den Beschluß, Pfarrer Monod von seinem Amt als Prediger und Seelsorger an der reformierten Kirche zu Lyon vorläufig zu entbinden, bis seine Absetzung vom Kultusminister bestätigt würde.
Monod fügte sich diesem Spruch und stellte seine öffentliche Wirksamkeit ein, setzte jedoch in seiner Wohnung die sonntäglichen Bibelstunden fort, besuchte fleißig die Kranken und diente heilsverlangenden Seelen mit seelsorgerlichem Zuspruch. Die amtliche Absetzungsurkunde ging ihm erst im folgenden Jahr zu.
Eigentümlich mutet es an, daß Adolf Monod sein Pfarramt aufs Spiel setzte ausgerechnet durch die Forderung der Kirchenzucht, da eine solche mit dem Wesen und den Grundsätzen einer Volkskirche unvereinbar scheinen muß. Manche seiner Freunde machten ihn vergeblich auf diesen inneren Widerspruch aufmerksam; man kann nicht den Maßstab, den die Schrift an eine Gemeinde von Gläubigen legt, an eine Volkskirche legen. In späteren Jahren scheint sich Monod der Unfolgerichtigkeit seines Handelns bewußt geworden zu sein. Vorerst aber führte seine Haltung dazu, daß er Prediger einer freien evangelischen Gemeinde in Lyon wurde.
Zur Gründung dieser freien evangelischen Gemeinde in Lyon kam es 1832. Schon ehe Monod nach Lyon kam, bestand dort eine kleine, von der Landeskirche abgetrennte Gemeinde, die ihren Ursprung vermutlich dem Einfluß einiger gläubiger Männer aus der Schweiz und aus England verdankte. Doch als Monod in Lyon ein so klares, biblisches Zeugnis von der Kanzel ausrichtete, da fanden die nach Gottes Wort hungernden Seelen hier ihre Speise, und der kleine außerkirchliche Kreis löste sich auf und hielt sich zu Monod. Nun aber, als Monod abgesetzt wurde, taten sich die Gläubigen wieder zusammen und gründeten – wie Monod einem Freunde berichtet – „unter viel Gebet und Tränen“ eine freie evangelische Gemeinde. Sie baten Adolf Monod, ihr Prediger und Seelsorger zu sein. Monod sagte zu.
Aus den ersten Anfängen dieser Gemeinde weht uns ein Hauch apostolischer Ursprünglichkeit entgegen. Ein inbrünstiges Gebetsleben zeichnete die Glieder der kleinen Gemeinde aus, die durchweg aus armen, schlichten Menschen bestand. Aber die jungen Männer der Gemeinde entwickelten einen großen Missionseifer und eine bewundernswerte Hingabe an die Sache des HErrn Jesus. Sonntagsschule wurde gehalten; Fernstehende wurden eingeladen, die Predigten Adolf Monods zu hören, und auch in der Umgebung von Lyon entstanden kleine Hausversammlungen. Eine Art Bibelbesprechstunden wurde für einen Wochentagabend eingeführt; an einem anderen Abend war Missionsstunde, in der über den Stand des Reiches Gottes in aller Welt berichtet wurde. Da viele junge Leute nicht lesen und schreiben konnten, wurde ihnen an manchen Abenden diese Kunst beigebracht, damit sie die Bibel lesen konnten. Natürlich wurde in dieser Gemeinde ohne jeden Widerstand heilsame Zucht geübt. Eine öffentliche Bücherei wurde eingerichtet. Ein Frauenverein bekümmerte sich um die Kranken und Notleidenden der Gemeinde und fertigte Handarbeiten für die Heidenmission. Die Arbeit wuchs so, daß Adolf Monod schon bald einen jungen Mitarbeiter heranziehen mußte, für dessen Besoldung Freunde aus England sorgten. Überhaupt wurden die erheblichen geldlichen Bedürfnisse der Gemeinde zum größten Teil von Freunden Monods in Frankreich, England und der Schweiz aufgebracht. Erwähnt mag noch werden, daß die kleine Gemeinde sich auch der in Lyon ansässigen Ausländer hilfreich annahm, insbesondere der Engländer und der Deutschen. In einer Abendstunde für die Deutschen verkündigte ein gläubiger Schuhmacher, der aus der Nähe von Basel stammte, etwa fünfzehn Deutschsprechenden das Evangelium im Segen. Adolf Monod selbst war des Deutschen nicht mächtig genug, um in dieser Sprache predigen zu können, obschon er Deutsch lesen und verstehen konnte. Aus der römischen Kirche bekehrten sich manche zu Christus und schlossen sich der Gemeinde an. Ja es entstand ein regelrechtes Evangelisationswerk unter en Katholiken, indem junge Gemeindemitglieder geeignete Schriften unter den Katholiken verbreiteten und ihnen die freie allgenugsame Gnade in Jesus Christus bezeugten.
Hier muß eingefügt werden, daß Adolf Monod in Lyon eine Familie gegründet hat. Hanna Honyman, die Tochter einer schottischen Witwe, wurde seine Lebensgefährtin, die ihm im Laufe der Jahre sechs Kinder – fünf Töchter und einen Sohn – schenkte. Sie war ihrem Mann eine wertvolle Gehilfin, den Kindern eine vorbildliche Mutter, und in den vielen Kämpfen seines Lebens hat Adolf Monod in seiner Familie immer wieder den notwendigen erquickenden Ausgleich gefunden.
Der gesegneten, aber aufreibenden Tätigkeit Monods in Lyon wurde ein Ende gesetzt, als der 1836 vom Kultusminister zum Professor für praktische Theologie und Ethik an die Universität von Montauban berufen wurde. Monod nahm den Ruf an. Schon in seiner Jugend lockte ihn das Ziel, akademischer Lehrer zu werden. Nun wurde ihm dieses Amt – diesmal ohne sein Zutun – angetragen, und er sah in dem Ruf einen Auftrag Gottes. Daneben aber sah er hier einen Weg, der ihm wieder eine Wirkungsmöglichkeit in dem breiten Flußbett der Landeskirche ermöglichte, was er um des Evangeliums willen für richtig hielt.
Die freie evangelische Gemeinde in Lyon fand in Prediger Cordes, einem geborenen Deutschen, der zwanzig Jahre in England zugebracht hatte und in drei Sprachen predigen konnte, einen tüchtigen Nachfolger. Adolf Monod hat zeitlebens der Gemeinde in Lyon, die ihm eine so wundervolle Entfaltungsmöglichkeit geboten hatte, ein dankbares Gedenken bewahrt und hat seine zahlreichen Freunde in aller Welt immer wieder gebeten, diese an äußeren Mitteln arme, aber an geistlichen Gaben so reiche Gemeinde zu unterstützen.
Theologieprofessor in Montauban (1836 – 1847)
Im Herzen der Guyenne, der südfranzösischen Provinz, die von der Garonne durchströmt wird, liegt an den Ufern eines der Nebenflüsse dieses Stromes, des Tarn, das freundliche Städtchen Montauban. Von Rebengeländen und schattigen Kastanienwäldern umkränzt, bietet es mit seinem milden Klima und seiner reizvollen Umgebung das Bild der Ruhe und Stille. Hier waren dem neu ernannten Theologieprofessor nach den aufreibenden Kämpfen in Lyon Jahre der Erquickung und ungehemmter Entfaltung beschieden. Obwohl er seinen Amtspflichten mit großem Fleiß und großer Treue nachging, ließen ihm diese doch mehr Zeit für seine Familie, als das bei seinem aufreibenden Wirken in Lyon der Fall war.
Mit geheiligter Liebe umgab Adolf Monod seine Kinder, und zuweilen nahm er auch noch mehrere junge Leute, Franzosen und Ausländer, an seinen Tisch. In seinem Tagebuch faßt er seine Erziehungsgrundsätze in folgende Worte zusammen:
„Wir wollen unsere Kinder zu Jesus führen. Nicht wir wollen sie erziehen – der HErr selbst soll es durch unseren Dienst tun. Wir wollen nie vergessen, daß sie Ihm mehr gehören als uns. Wir wollen im HErrn unsere Kinder lieben, mit völliger Selbstlosigkeit, und uns täglich darauf vorbereiten, sie Ihm wiederzugeben, wenn Er sie von uns fordert. Nichts anderes wollen wir für sie erflehen, als daß sie selig und heilige werden durch unser HErrn Jesus, und daß Gott sich in ihnen verherrliche. Ohne Unterlaß wollen wir für sie wachen und beten und es dem HErrn zutrauen, daß Er ihre Herzen erneuern werde.
In unserem Verhalten gegen die Kinder wollen wir sanft, fest, geduldig, vorsichtig, vor allem aber aufrichtig und einfältig sein vor Gott. Weder ihre noch unsere Fehler sollen uns entmutigen, auch dann nicht, wenn besondere Schwierigkeiten in der Erziehung vorliegen.“
Trotz des großen Ernstes, der seinem ganzen Wesen eigen war, sah er dennoch gerne seine Kinder heiter und fröhlich und konnte selbst mit den kleinsten scherzen und spielen.
Ehe die Kinder lesen konnten, machte er sie mit den biblischen Geschichten bekannt. Wenn sie lesen konnten, leitete er sie an zu planmäßigem Bibellesen. Im Gespräch über das Gelesene knüpfte er daran allgemeine Belehrungen aus der Weltgeschichte, Naturkunde, Erdkunde und anderen Gebieten, die sich gerade nahe legten. Täglich ließ er von den Kindern eine Bibelstelle auswendig lernen. So sammelten sie einen reichen Schatz biblischer Kenntnisse und schärften zugleich ihr Gedächtnis. Er stellte auch wohl biblische Fragen, die sie nach selbständigem Nachdenken beantworten sollten. Einige dieser Fragen seien angeführt:
„In welchen Stellen stimmt der Epheserbrief mit dem Kolosserbrief überein?“
„Welche Ereignisse haben in Bethlehem stattgefunden?“
„Welche Stellen in den paulinischen Briefen belehren uns über das Gebet?“
„Welche Propheten haben keine Schriften hinterlassen?“
Monod befleißigte sich bis in die kleinsten Umstände seines Alltagslebens hinein der größten Pünktlichkeit und Sorgfalt. Nur so war es ihm möglich, den Anforderungen seines Amtes gerecht zu werden und zugleich sich keiner Vernachlässigung seiner Pflichten als Familienvater schuldig zu machen. Jeder Brief, jeder Vortrag, jede Predigtniederschrift ging sozusagen druckfertig aus seiner Hand. Mit ungewöhnlicher Seelsorgertreue ging er den ihm anvertrauten Seelen nach.
Er machte es sich zum Leitbild seiner Arbeit, den akademischen Unterricht so schriftgemäß wie möglich zu gestalten. Er leitete seine Studenten an, fleißig in der Bibel zu lesen. In den Vorlesungen über Ethik machte der die Studenten mit dem Lebenswerk und den Worten bedeutender Gottesmänner in aller Welt bekannt; vor allem aber stellte der das Lebensbild Jesu in die Mitte seines Unterrichts über die Ethik. In Übungsstunden leitete er die jungen Leute an, sowohl aus dem Stegreif wie vorbereitete Vorträge zu halten, Übersetzungen aus den alten Sprachen anzufertigen und überhaupt zu einem selbständigen Urteil über die Fragen der Zeit zu kommen. Um seine Schüler näher kennen zu lernen, lud er einzelne in seinen Familienkreis oder alle zusammen zum Tee in seinem Hause ein. Einer seiner Studenten sagte später: „Es ging eine Kraft von ihm aus. Nie ist ein Professor so schwärmerisch verehrt worden wie Adolf Monod, obwohl seine Schweigsamkeit die Jugend hätte einschüchtern könne. Aber wir spürten seine innige Herzensgüte.“
Als Adolf Monod sein Amt antrat, gab er sich große Mühe, sich vertraut zu machen mit allen Fragen, die zu seiner Zeit von der theologischen Wissenschaft bewegt wurden. Er warf sich mit allem Fleiß auf das Studium der ihm bis dahin unbekannten deutschen Theologie und studierte mit Vorliebe die Werke Tholucks und Neanders, die bestimmend wurden für seine eigene Entwicklung. Eine reiche Quelle für das Studium der biblischen Wissenschaften bot ihm seine Kenntnis des Englischen, das er beherrschte wie seine Muttersprache. Sein vorzüglichster Lehrmeister aber war die Heilige Schrift selbst, die er nicht nur täglich in der Grundsprache las, sondern deren Sinn er betend zu erforschen trachtete und in der er lebte.
Im Jahre 1841 gab er eine Schrift zur Glaubensverteidigung heraus in der anziehenden Form einer Familiengeschichte, in der eine katholisch erzogene Dame aus protestantischer Familie zum lebendigen Glauben und zum Frieden kommt. Das Buch wurde ein großer Erfolg.
In jenen Tagen, als dieses Buch herauskam, gefiel es Gott, Seinen Knecht schmerzlich zu betrüben durch den Tod seines jüngsten Töchterleins. Adolf Monod weilte gerade in Paris, als das Kind erkrankte und starb. Der tief erschütterte Vater durfte erfahren, wie Gott für Seine Kinder reichen Segen in das Leid hineingelegt. „… Und dennoch, wie gnädig ist der HErr! Mir ist, als liebte ich Ihn jetzt mehr, als bevor Er uns diesen bitteren Kelch zu trinken gab!“ schreibt er in einem Brief an seine Gattin nach Erhalt der Todesnachricht. Und in seinem Tagebuch finden sich aus jenen Tagen Sätze wie: „O mein Heiland, der Du mich geschlagen hast und mich wieder aufrichtest, laß mich Dir ähnlich werden!“ – „Ich will nicht murren, nicht klagen noch zweifeln, weil Du es verbietest. HErr, stärke mir den Glauben!“
Adolf Monods Gesundheit erwies sich nicht stark genug, um auf die Dauer den Anstrengungen eines so ausgefüllten Lebens zu widerstehen. Schon in Montauban zeigten sich die ersten Anzeichen des Leidens, das ihn im kräftigsten Mannesalter wegraffen sollte. Im Sommer 1842 rieten die Ärzte zu einer Wasserkur in dem damals berühmten Bad Gräfenberg in Schlesien. Dort lebte Prießnitz, der Bauerndoktor, ein Vorläufer von Sebastian Kneipp; dessen Wasserkur bekam dem französischen Professor vorzüglich.
Nach Beendigung der Kur besuchte Monod auf der Heimreise einige deutsche Universitäten und hervorragende Theologen seiner Zeit. Auf der Hinfahrt hatte er Weimar und die Lutherstädte Eisenach und Erfurt flüchtig in Augenschein nehmen können. Auf der Rückreise besuchte er in Halle Tholuck, in dessen Haus er mit herzlicher Gastfreundschaft aufgenommen wurde. In Berlin hatte er zehn Tage zur Verfügung; er stand vor der Wahl, ob er seine Zeit den Sehenswürdigkeiten der Stadt oder dem Besuch hervorragender Männer widmen sollte, und ohne viel Besinnen entschied er sich für das letztere. Er nennt in seinem Reisebericht zahlreiche Namen, die damals Leuchten der Wissenschaft waren und die er kennen lernen durfte. Durch den Erzieher des späteren Kaisers Friedrich Wilhelm IV. vorgestellt und am andern Tag zur königlichen Tafel geladen. Er hielt im französischen Dom am Gendarmenmarkt eine französische Predigt. Übrigens wurde später bekannt, daß König Friedrich Wilhelm IV. und seine Gemahlin Elizabeth Adolf Monods Predigten und ganz besonders die „Abschiedsworte“ (Adieux) griffbereit auf ihrem Schreibtisch liegen hatten und daß sie immer wieder darin Erbauung und Trost suchten und fanden.
Neu gestärkt kehrte Monod im Herbst 1842 nach Montauban zurück und nahm seine mannigfaltige Tätigkeit als Universitätslehrer, als Festprediger hin und her und als Schriftsteller wieder auf.
Noch zweimal reiste Monod nach England, um an den Arbeiten des Hauptvorstandes der Evangelischen Allianz teilzunehmen. Er war von Herzen ein Allianzmann. „In den Dingen, in denen alle Kinder Gottes einig sind, will ich meine Kräfte verzehren; in anderen Dingen, in denen sie voneinander abweichen, will ich nach dem Maße der mir von Gott verliehenen Erleuchtung handeln und es in christlicher Liebe glauben, daß andere desgleichen tun.“ Auf der zweiten Englandreise war Monod zugleich mit dem englischen Pastor Binney und Hofprediger Friedrich Wilhelm Krummacher aus Potsdam Gast von Sir Culling Eardley; dieser bat seine drei Gäste, jeder in seiner Muttersprache eine Predigt in der Kirche zu halten, die zu seiner Besitzung gehörte. Ein Gottesdienst wurde anberaumt, in dem die drei Pfarrer in englischer, deutscher und französischer Sprache predigten. Die drei Predigten wurden gedruckt und bildeten ein Zeugnis für den Geist, der die Evangelische Allianz beseelte.
Im ganzen darf man sagen, daß die elf Jahre akademischer Lehrtätigkeit für Monod eine Zeit fruchtbaren Schaffens waren, das sich segensreich auswirkte auf weite Kreise in Frankreich, besonders aber auf das protestantische Leben in Paris. Indem Adolf Monod andere lehrte, lernte er selber. Mehr und mehr drängte sich ihm die Erkenntnis auf, daß das Evangelium nicht einseitig aufgefaßt werden dürfe als Lehre, sondern als Lebensgestaltung. So wichtig wie der Satz „Christus für uns“ wurde ihm der Satz „Christus in uns“. „Glücklich kann ich nur noch unter der Bedingung sein, das fühle ich wohl, daß mein Glaube immer mehr ein Leben und meine Predigt eine Tat werde.“
Bei allen Erfolgen, die ihm seine Universitätsarbeit gewährte, sehnte er sich doch je länger je mehr ins praktische Pfarramt zurück. Als ohne sein Zutun im Jahr 1847 der Ruf an ihn herantrat, an der reformierten Kirche zu Paris die Stelle eines Hilfspredigers zu bekleiden, sagte er zu, zur großen Freude seines älteren Bruders Friedrich, der seit dem Tode seines Vaters in dessen Stelle eingetreten war und schon lange nichts sehnlicher wünschte, als daß sein jüngerer, viel bedeutenderer Bruder Zugang zu einer Kanzel in Paris finden würde.
Im September 1847 verließ Monod mit seiner Familie Montauban, um nach Paris überzusiedeln. Damit betrat er die letzte und gesegnete Wegstrecke seines Lebens.
Pfarrer in Paris (1847 – 1855)
Adolf Monod wollte dem Herrn dienen mit der Gabe, die er empfangen hatte, und das war in hervorragendem Maße eine rednerische Begabung, jedenfalls mehr noch als die Lehrgabe. In seiner neuen Stellung als Hilfsprediger war ihm darum die sonntägliche Predigt und der Konfirmandenunterricht übertragen worden, während die sonstigen Amtshandlungen von dem Pfarrer übernommen wurden.
Es waren politisch unruhige Zeiten, die Adolf Monod in Paris verlebte. Sie begannen mit der Februarrevolution 1848, und die dadurch ausgelösten Stürme berührten natürlich auch das kirchliche Leben in Paris. Da man damals jeden Franzosen, der einen berühmten Namen trug, in die aus allgemeinen freien Wahlen hervorgehende Nationalversammlung wählen wollte, stand auch Adolf Monod als bedeutendster Vertreter der reformierten Kirche auf der Kandidatenliste. Es kostete ihn einige Mühe, die Weglassung seines Namens durchzusetzen, denn er wollte nicht durch eine politische Betätigung, die ihm nicht lag und zu der er sich nicht von Gott berufen wußte, seinen Dienst am Evangelium gefährden.
Als die Februarunruhen in der französischen Hauptstadt vorüber waren und man eine ruhigere politische Entwicklung erhoffen durfte, brach der schreckliche Aufstand in den Junitagen 1848 aus. In unmittelbarer Nähe seiner Wohnung fanden Straßenkämpfe statt. Doch auch diese Gefahr ging vorüber, ohne daß dem Hause Monod Schaden zugefügt werden durfte. Aufregender und länger andauernd waren kirchliche Kämpfe, in die der junge Pfarrer hineingezogen wurde. In einer außerordentlichen Generalsynode, die zum ersten mal seit der Reformationszeit in jenen Tagen sich in Paris versammelte, sollten unvereinbare Gegensätze ausgetragen werden, die man ganz grob gefaßt kennzeichnen könnte durch die Begriffe Orthodoxie und Liberalismus. Unglaube, Gleichgültigkeit und Verweltlichung hatten in der Kirche Eingang gefunden, die einst so heldenhaft gekämpft hatte für das Evangelium und so viele Blutopfer gebracht hatte. Im weiteren Verlauf der kirchlichen Kämpfe ging es aber nicht nur um den Gegensatz zwischen Glauben und Unglauben, sondern es kam nun zu einer Spaltung unter den Gläubigen. Anlaß dazu war die Bekenntnisfrage. Die reformierte Kirche hatte noch die alte „Confession de foi de la Rochelle“, wenigstens war diese Bekenntnisgrundlage niemals abgeschafft worden. Aber kaum jemand kannte diese Bekenntnisschrift. Sie galt als ehrwürdiges Denkmal an den Glauben der Väter. Eine Minderheit vertrat den Standpunkt, die Kirche könne nicht ihr Leben fristen aus dem Erbe der Väter. Sie verlangte ein neues Glaubensbekenntnis, das dem modernen Unglauben bestimmter entgegentrat.
Die Mehrheit der Synode, zu der auch Adolf Monod gehörte, lehnte es ab, im Zeichen des Kampfes eine neue Bekenntnisschrift zu verfassen. Lieber wollte man es bei dem alten Bekenntnis von La Rochelle belassen. Da auch die Liberalen von einem neuen Bekenntnis nichts wissen wollten, das ihnen kein Daseinsrecht in der Kirche gelassen hätte, so trat die Minderheit aus der Landeskirche aus und gründete eine freie Kirche unter dem Namen „Union des Eglises évangeliques libres de France“. Zu dieser Minderheit gehörte auch der älteste Bruder Adolf Monods, Friedrich, wie überhaupt viele eifrige und entschiedene Pfarrer und Nichtpfarrer. Friedrich Monod und mit ihm einige Jugendfreunde Adolf Monods wurden die eigentlichen Träger der neuen Kirche, die sowohl in Paris wie in zahlreichen Städten und Dörfern Frankreichs Gemeinschaftskreise bildete und beachtliche christliche Liebeswerke hervorbrachte. Die freie Kirche hatte naturgemäß nicht die zahlenmäßige Weite der Staatskirche, aber gerade weil sie einem Bach glich, der in ein enges Bett gepreßt ist, entwickelte sie erhebliche geistliche Kraft, während der breite, flache Strom der Staatskirche ohne sichtliche Bewegung dahin trieb.
Friedrich, den sein Bruder Adolf gerne den „warmherzigen Friedrich“ nannte, schrieb diesem nach der entscheidenden Sitzung: „Vergib mir die Heftigkeit, die ich gestern zur Verhandlung mitgebracht habe; sie kam aus dem Kopfe, nicht aus dem Herzen. Durch nichts bin ich mir das Schatzes meiner innigen Liebe zu Dir so bewußt geworden wie durch den brennenden Schmerz, den mir unser jetziges Auseinandergehen verursacht! Gott stehe uns bei und verhindere jede Herzenszwietracht zwischen uns beiden! Alles kann ich eher ertragen als das! Er verleihe uns, daß wir uns über die Verschiedenheit unserer Meinungen verständigen und mit der größten Treue in unserer Überzeugung und in unserer Pflichterfüllung stets die aufrichtigste Bruderliebe verbinden.“
Adolf spricht sich über diese Mißhelligkeiten in einem Brief an seine Schwester Adele so aus: „Ich sehe wohl aus dem Ton Deines Schreibens, daß Du eher auf Friedrichs Seite stehst als auf der meinigen. Dies ist eine der Ursachen, um derentwillen ich es oft ausgesprochen habe: Friedrichs Vorgehen ist weniger schwierig als mein Ausharren. Außerdem kann ich Dir sagen, daß der Austretende ein für allemal endgültig protestiert, während derjenige, der in der Landeskirche bleibt, wenn er sein Amt treu verwalten will, zu einem unaufhörlichen Protestieren gezwungen ist, was viel mühsamer ist als einmaliger Protest.
Durch die Behauptung will ich jedoch nicht andeuten, daß die Austretenden nicht auch große Opfer bringen, und ich will deren Wert nicht im geringsten herabsetzen. Eines ist gewiß, und das bleibt in dieser so vielfach verworrenen Angelegenheit meine einzige Zuversicht: wir haben beide, Friedrich und ich, mit aufrichtigem Herzen danach getrachtet, Gottes Willen zu erkennen, und wir sind zu verschiedenen Zielen gelangt. Wohlan! Jeder von uns tue das Werk, das ihm befohlen ist – er durch seinen Austritt, ich durch mein Bleiben…!“
Adolf Monod, der bisher Hilfsprediger gewesen war, wurde nun in die durch den Austritt seines Bruders freigewordene Pfarrstelle berufen. Das hatte er nicht geahnt, als er vor Jahresfrist den Ruf nach Paris angenommen hatte, daß er an die Pfarrstelle kommen würde, die einst sein Vater und nach ihm sein ältester Bruder verwaltet hatte. Dieser Umstand hat ihn tief bewegt. Er blieb bis an sein Lebensende mit seinem Bruder Friedrich wie mit den anderen Mitgliedern der Freien Kirche in aufrichtiger brüderlicher Liebe verbunden. Für ihn waren die kirchlichen Formen etwas Vorläufiges, nur Baugerüste der wahren Gemeinde Jesu Christi, die alle beseitigt werden, wenn der Bau fertig sein wird: beim Kommen Jesu Christi!
Unerschrocken hat Adolf Monod mit offenem Visier gekämpft gegen den theologischen Liberalismus in der französischen reformierten Staatskirche und sich bekannt zur göttlichen Eingebung der Heiligen Schrift und zum Verlorensein des Menschen, der nicht die Versöhnung mit Gott durch Christi Blut in einer persönlichen Glaubensentscheidung angenommen und die Vergebung seiner Sünden erlangt hat. Da es damals keine örtlich abgegrenzten Pfarrgemeinden in Paris gab, sondern es jedem Pfarrer freistand, sich eine Personalgemeinde aus dem weiten Stadtgebiet zu sammeln, so brachte dies für Adolf Monod starke Anspannung seiner Zeit und Kraft durch seelsorgerliche Besuche bei den Gemeindegliedern mit sich. Die weiten Wege in der Weltstadt Paris verzehrten viel Kraft. Die Sonntage waren ausgefällt mit Frühandacht in einem Lyzeum vor evangelischen Schülern sowie mit einem Frühgottesdienst in einem Gefängnis, durch den Hauptgottesdienst mittags um zwölf Uhr in seiner Kirche, durch seelsorgerliche Besuche am Nachmittag und durch eine Bibelstunde am Abend, in der er seine erweckten Zuhörer tiefer in das Schriftverständnis einzuführen suchte. Seine meisten Predigten und Bibelstunden sind gedruckt und im Lande weit verbreitet worden und haben viel Segensfrüchte gebracht. Manche sind auch ins Deutsche übersetzt worden, wie die fünf Predigten über den Apostel Paulus. Der Grundton von Monods Predigten war die freie Gnade Gottes in Christus Jesus, daneben aber der Ernst, mit dem er die Bekehrung des Menschen forderte. Sünde und Verdammnis waren für ihn Wahrheit und Wirklichkeit; darum brannte in seinem Herzen die Retterliebe Jesu zu den Verlorenen. Er rang um die Menschenseelen so hinreißend, daß der berühmte Geschichtsschreiber Michelet nach einer seiner Predigten sagte: „Die ihn gehört haben, zittern noch im Gedanken daran.“
Dabei blieb Adolf Monod so unbefangen wie ein Kind, unberührt von Lob und Tadel. Diese kindliche Einfalt des gelehrten Christuszeugen erwarb ihm das Vertrauen und die rührende Aufgeschlossenheit seiner Konfirmanden, die vielfach bis an sein Lebensende mit ihm in einem innigen Vertrauensverhältnis verbunden blieben. Nie kam ein liebloses Wort über seine Lippen. Er war ein geheiligter Seelsorger, und darum hatte sein Wort Gewicht im Salon der Herzogin, in der Bodenkammer des Arbeiters, am Bett der Kranken und Sterbenden und in seiner eigenen Familie und seinem großen Verwandtenkreis. Besonders innig war er mit seiner Mutter verbunden, mit der er noch viereinhalb Jahre in Paris zusammen war. Mit ihren Gebeten hat sie den Dienst ihrer Söhne priesterlich vor Gott getragen. Ihr Heimgang war für Adolf Monod ein überaus schmerzlicher Verlust.
In den Ferien machte Adolf Monod mit Familienmitgliedern oder Freunden Ausflüge, so einmal nach Straßburg, wo er von Studenten der Theologie zu einem Vortrag und geselligen Zusammensein eingeladen war, ein andermal nach dem Steintal, wo er auf Friedrich Oberlins Kanzel predigte, oder nach Baden-Baden, wo er am Fuße des alten Schlosses, im Schatten des Tannenwaldes, in die Worte des 104. Psalms ausbrach. Bald nach dieser Reise merkte er ein Nachlassen seiner Kräfte, so daß er nun allen Ernstes sich zu beschränken suchte auf die Aufgaben, die sein Pfarramt an ihn stellte, und viele Einladungen zu auswärtigen Vorträgen und Festpredigten ablehnte. In dieser Zeit machte ihm eine Erkrankung seiner Gattin durch Sonnenstich große Sorge. Nur langsam konnte sie sich erholen, durfte aber völlig genesen. (Sie hat nach ihres Gatten Tod seine „Abschiedsworte“ und die Predigten über die Versuchung Christi ins Englische übersetzt. Im Kreise ihrer Kinder und Enkel ist sie 1868 eingegangen zur Ruhe des Volkes Gottes.)
Im Sommer 1852 konnte Adolf Monod eine Schweizerreise unternehmen, und zwar in Begleitung seines Sohnes sowie eines ihm besonders nahe stehenden Freundes, des lutherischen Pfarrers Louis Meyer aus Paris. Diese Reise brachte ihm gute Erholung und reiche Erquickung für Leib und Seele. Manchmal übernachteten sie in katholischen Pfarrhäusern, da sonst in der Abgeschiedenheit der Berge damals keine andere Herbergsmöglichkeit bestand. Das ergab oft unvergeßliche Gespräche über das Eine, was not ist. Auch den Bergführern gegenüber unterließ es Adolf Monod nicht, sie darauf hinzuweisen, daß sie den Führer Jesus Christus brauchten auf dem steilen und gefährdeten Weg zur Seligkeit. Wo er in Gasthäusern übernachtete, hielt er Andacht und sag mit seinen Begleitern ein geistliches Lied oder einen Choral. Überall streute er Samenkörner für die Ewigkeit aus. Er nutzte die Zeit aus, solange er wirken konnte. Vielleicht ahnte er, daß diese Tage gezählt waren.
Im Leidenstiegel (1854 – 1856)
Im Frühjahr 1854 erkrankte Adolf Monod so ernstlich, daß er auf einige Monate jeder Tätigkeit entsagen mußte. Bei seinen Geschwistern in Hâvre erhoffte er Stärkung durch die Seeluft. Einer seiner Freunde, Pfarrer Petit, hatte sich ihm als Hilfsprediger zur Verfügung gestellt, so daß er ohne Sorge um die Weiterführung seiner Arbeit ausspannen konnte.
Der Aufenthalt am Meeresstrand von Hâvre brachte nicht die erhoffte Besserung seiner Gesundheit. Die Ärzte rieten ihm eine Kur in Evian, wo er den ganzen Sommer zubrachte. Das einzige, was er tun konnte, war die Vorbereitung seiner Predigten zum Druck. Die Stelle tat seiner Seele wohl.
Am 2. September 1854 unterbrach er seine Kur, um in dem schweizerischen Dorf Céliny seine silberne Hochzeit zu feiern. Kurz zuvor hatte sich seine zweite Tochter mit dem Pfarrer von Céliny, August Bouvier, verheiratet. In dem ländlichen Pfarrhaus konnte das teure Elternpaar mit seinen fünf Kindern und einigen vertrauten Freunden auf fünfundzwanzig Jahre gesegneten Ehestandes und gnädiger Gottesführung zurückblicken und einige Tage ungetrübter Gemeinschaft verleben. Die heftigen Schmerzen, die in Paris Adolf Monod geplagt hatten, waren gelindert; aber das Leiden selbst war nicht geheilt. Daran änderte die bis Ende Oktober in Evian ausgedehnte Kur nichts.
Nach halbjähriger Ruhezeit nahm Monod Advent 1854 sein Amt wieder auf. Doch schon vier Wochen später hielt er seine letzte Weihnachtspredigt, und zwar über das Wort Simeons: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dringen.“ Er schloß diese Predigt: „Wenn auf einem Christen eine Heimsuchung liegt oder wenn ihm eine solche droht, die das Maß der von ihm schon erduldeten Leiden ebenso weit übersteigt, wie das Kreuz Christi alle Seine bisherigen Leiden überstiegen hat, so nimm du, mein Bruder, meine Schwester diese Heimsuchung hin in demselben Geist, in dem Christus Sein Kreuz hingenommen hat. Du darfst wohl beten, wie Er es tat: „Vater, führe mich aus dieser Stunde!“, aber wie Er selbst mußt du beifügen: „Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen“, dahin wollte der HErr mich bringen, wie ich’s jetzt deutlich sehe, das ist die Trübsal, die Er mir schon lange zugedacht und zu der Er mich vorbereitet hatte durch alles Bittere, das ich bisher erfahren habe. Dadurch sollte mein äußeres Leben zum Abschluß kommen, aber gleichzeitig auch mein inneres Leben zum Ziel gelangen, wo es sich erst recht entfalten und seine reichsten Früchte bringen kann. So wird dieses Leiden für dich ein Schmelztiegel werden, den der HErr in Gnaden deinen Blicken verhüllt hatte, um deine Schwachheit zu schonen. Wenn diese Stunde schon angebrochen ist, heiße sie ruhig willkommen! Wer kann wissen, welch reichen Gottessegen sie dir bringen wird? Laß diese Heimsuchung nicht entschwinden, ohne daß sie eine verborgene reiche Frucht der Besserung getragen hat!
Eilet, ergreifet euer Kreuz! Laßt es euch zur willkommenen Gelegenheit werden, um nach dem Vorbild des Meisters Gott zu verherrlichen und Ihm zu dienen!“
Nun galt es, ein Stück seiner vielseitigen Tätigkeit nach dem andern abzubauen, so seine Teilnahme am Evangelisationswerk der Evangelischen Gesellschaft; er wollte wenigstens noch die Hauptanforderung seines Amtes erfüllen können: Predigt und Konfirmandenunterricht. Seine Predigten in dieser Zeit zogen besonders viel Zuhörer an, als ob diese ahnten, daß ihr Seelsorger nur noch mit dem letzten Aufwand seiner Kraft ihnen mit dem Wort des Lebens dienen könne. Seine letzte Predigt hielt Adolf Monod am Pfingstsonntag, dem 27. Mai 1855. Die immer heftiger auftretenden Krankheitserscheinungen hatten ihn genötigt, wieder um einen längeren Urlaub einzukommen; doch wollte er das Pfingstfest noch mit seiner Gemeinde begehen. Er sprach über das Wort Jesu an die Samariterin: „Wer das Wasser trinken wird, das Ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten; sondern das Wasser, das Ich ihm geben werde, wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Er schilderte die schalen Wasser der Weltfreude und die herrliche Erquickung der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott durch die Innewohnung und das Wirken des Heiligen Geistes. „Im Heiligen Geist haben wir unendliche Hilfsquellen, die sich um so herrlicher erschließen, je mehr wir alles andere verleugnen lernen. Ja, der Heilige Geist – Gott in uns – will uns durch den Verlust der irdischen Freuden seliger, durch das wachsende Bewußtsein unseres Sündenelends stets heiliger machen.“ Sein Abschied von der Gemeinde war für alle ergreifend. Er sollte seine geliebte Kanzel nicht wieder betreten.
An fünfundzwanzig Sonntagen ist es Monod vergönnt gewesen, vom Krankenbett aus zu seinen Freunden zu reden. Jeden Abend hielt er mit den Seinen eine kurze Hausandacht. Jedesmal wurde dabei ein Lied gelesen oder gesungen. Wenn seine Mattigkeit nicht zu groß war, knüpfte er ohne Vorbereitung an ein verlesenes Schriftwort einige erläuternde Betrachtungen; oft konnte er nur ein kurzes Gebet sprechen, manchmal nur die Namen derer nennen, deren er fürbittend gedenken wollte. Von sich selbst sprach er wenig; meist lag er still, oder er äußerte herzliche Dankbarkeit für die Liebe der Seinen und seiner Freunde. Oft führte er halblaute Gespräche mit seinem Heiland. Wer die Nachtwache bei ihm hatte, schrieb solche Gebetsworte oder Mahnworte auf als wertvolles Vermächtnis für die Seinen. Einzelne dieser Aussprüche lauten:
„Mein Gott, wir möchten Dich so gerne verherrlichen, aber wir können es nicht, wenn Du uns nicht dazu die nötige Gnade verleihst. Schenke mir, wenn es möglich ist, einige Erquickung!“
„Mache es wie Du willst mit meinem armen Leibe des Todes, der nach Deiner Gerechtigkeit niemals genug gestraft werden wird für seine Ungerechtigkeit. Aber meine Seele, meine arme Seele, meine zerschlagene und doch teuer erkaufte und geheiligte Seele, sie bedarf Deines Heiligen Geistes, um nicht zu unterliegen. Sie hungert und dürstet nach Deiner Gegenwart, Deiner Gnade, Deinem Frieden, Deinem Leben. Dieses kannst Du mir nicht verweigern. Erfülle an mir Deine Verheißungen und laß mich deren keine missen! Und weil Du mir so mannigfache und zahlreiche Schmerzen zugedacht hast, so verleihe mir auch zahlreiche und mannigfache Tröstungen!“
„O mein Gott! Du willst mein Herz prüfen bis in seinen tiefsten Grund hinein! Du willst sehen, ob Dein alter Knecht, der mit Macht und Überzeugung verkündigt hat, daß der Glaube ein Sieg ist, der alles überwindet, imstande ist, solches selbst zu beweisen, und ob er bereit ist, die Last zu tragen, die er so oft auf anderer Schultern gelegt hat! – Nun ja, ich nehme diese Last auf mich. Ich weiß, daß Du es bist, der mir diese entsetzlichen Schmerzen zugedacht und mir sie bis jetzt gelassen hat und sie noch verlängern wird. Aber ich weiß auch, daß Du mein Vater, das heißt die ewige Liebe selbst bist. Ich weiß, daß Du mir die Erlösung senden wirst, indem Du mich entweder heilst oder zu Dir heim nimmst!“
„O mein Heiland, Du hast noch ganz anders gelitten als ich! Wie hast Du’s angefangen? Du hast mich geliebt, Du hast mich geliebt, Du hast mich geliebt! So will ich denn leiden und lieben. Ich danke Dir dafür, mein Gott! Mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen, ach, wie herrlich! Dort gibt’s keine Folterqualen mehr für meine wunde Seite! Noch ein paar Tage und Nächte, dann darf ich am Herzen des Heilands einschlafen mit einer Freudigkeit, die um so größer sein wird, als meine Leiden mich heftig bedrängt haben. „Selig sind die Toten, die in dem HErrn sterben von nun an! Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Nicht voraus gehen die Werke, um ihnen den Himmel zu öffnen; aber sie folgen ihnen nach in den Himmel, den Christus uns durch Sein Blut eröffnet hat.“
„Mein Gott, ich spreche nicht wie der Heide: „O Schmerz, du wirst mich nicht zwingen zu sagen, daß du ein Übel bist“, sondern ich sage: O Schmerz, ich werde d i c h zwingen, zu bekennen, daß du eine Wohltat bist!“
„Vielleicht habt ihr nie darüber nachgedacht, welch eine Gnade es ist, einen Fuß vor den andern setzen zu können, von einer Straße zur andern, ja selbst nur von einem Zimmer zum andern ohne Schmerzen gehen zu können; oder welche Gnade es ist, wenn man – müde geworden, auf einer Seite zu liegen – sich wenden und ohne Schmerzen eine andere Stellung einnehmen kann; oder welche Gnade es ist, essen zu dürfen, ohne zu leiden, und vor allem die Geisteskräfte frei gebrauchen zu dürfen, ohne Anstrengung sich zu unterhalten, schreiben, arbeiten zu können im Dienste Gottes und der Menschen. Das alles habe ich dreiundfünfzig Jahre lang tun dürfen, ohne es in seinem ganzen Wert zu erkennen; heute weiß ich es zu schätzen, und ich wünschte, daß ihr’s von mir lerntet, damit ihr unserem Gott euren Dank dafür darbrächtet. – Und noch einmal, welche Gnade ist es, eine Nacht hindurch schlafen zu können, an seinen Körper gar nicht denken zu dürfen, so als ob man keinen hätte! Seid dankbar für diese Dinge, damit Gott sie euch nicht nehmen müsse, um euch ihren Wert erst durch ihren Verlust erkennen zu lassen!“
„Welch ein Unterschied liegt doch, was den Glauben betrifft, zwischen Wissen und Fühlen! Wir wissen alles, was uns in unsern Kämpfen stärken und in unseren Versuchungen zum Siege führen kann, aber meistens bleibt das alles außer uns liegen und gleicht einer Speise, die wir anschauen, ohne sie in uns aufzunehmen. Wenn aber der Heilige Geist uns diese heilsame Lehre aneignet, uns sie innerlich erfahren läßt, dann – aber nur dann! – stärkt und erquickt Er uns und verhilft uns zum vollen Sieg. Laßt und deshalb nicht müde werden, um den Heiligen Geist zu bitten, der uns von dem bloßen Wissen zum Herzensglauben führt und uns auf diesem Weg aller Verheißungen teilhaftig machen will.“
Am 30. März 1856 schien seine Kraft schon beim Beginn seiner mit leiser Stimme begonnen Ansprache zu erlöschen. Sein letztes Wort war ein brünstiges Gebet über den hundertsten Psalm, ein Halleluja über den Gedanken, der seine ganze Seele erfüllte: „Gott ist die Liebe!“ „Ich habe zu nichts mehr Kraft“, so begann er die Ansprache, „als dazu, daß ich mich mit der Liebe Gottes beschäftige. „Er hat uns geliebt“, das ist die ganze Dogmatik des Evangeliums, „lasset uns Ihn lieben!“, das ist die ganze Ethik des Evangeliums.“ Dann pries er mit dem letzten Rest seiner Kraft die grenzenlose Liebe Gottes in seinem Leben, in den Zeiten seines Wirkens und in den Zeiten seines Leidens. Dieser Liebe Gottes in Christus Jesus befahl er sich selbst, die Seinen, seine Freunde, alle Kranken und Trauernden für Zeit und Ewigkeit.
Von diesem Sonntag an sah Adolf Monod sein Leben und Wirken beendet. Von Schwäche und Todesmattigkeit war er in der folgenden Woche so hingenommen, daß er keine Nahrung mehr zu sich nehmen und kaum ein Wort mehr reden konnte. Nur noch segnen konnte er die Seinen. „Der HErr ist mir nahe!“ – „Ich harre des HErrn!“ Solche Sätze konnte man noch vernehmen, wenn die schweren Anfälle ihn auf einzelne Augenblicke ruhen ließen.
Auf Sonntag, den 6. April 1856, hatte er selbst noch eine Versammlung anberaumt, aber in der Frühe dieses Tages lag er bereits in den letzten Zügen. Während in allen Kirchen der Hauptstadt und des ganzen Landes für den kranken Prediger wie allsonntäglich gebetet wurde, hauchte Adolf Monod seine Seele aus und ging ein zu seiner Ruhe.
Sein Heimgang rief allenthalben tiefe Bewegung hervor, obwohl man damit hatte rechnen müssen. Am Tage seines Begräbnisses, dem 8. April 1856, regnete es in Strömen. Dennoch umgaben Tausende das Trauerhaus; zu Fuß und zu Wagen folgten Männer und Frauen dem Sarg auf den Friedhof, wo sie das Grab bis zum Schluß der Feier umgaben. Der ehrwürdige Pfarrer Juillerat, der 1847 Adolf Monod als seinen Hilfsprediger nach Paris gerufen hatte, hielt die Grabrede. Dann riefen Vertreter der reformierten, der lutherischen und der freien Kirche dem Verewigten Abschiedsgrüße nach. Das letzte Wort hatte sein ältester Bruder Friedrich Monod, der im Namen der Familie für alle Teilnahme dankte und aufforderte, dem Vorbild des Heimgegangenen nachzufolgen.
Auf Adolf Monods Grabstein ließen die Seinen das Wort aus 1. Korinther 15,55 setzen:
„Der Tod ist verschlungen in den Sieg!“