Unter den Kirchenoberen, welche gegen den Ausgang des ersten Jahrtausends der Christenheit hie in Deutschland segensreich wirkten, nimmt Bruno, eigentlich Brun, häufig Bruno der Große, auch der Friedfertige genannt, eine hervorragende Stellung ein. Der Hoheit seiner Geburt entsprachen seine natürliche Begabung und geistige Entwicklung, sein Eifer in den Wissenschaften, sein milder Ernst im Glauben, seine Treue und Demuth im Beruf, seine anerkannten Leistungen in Staat und Kirche.
Bruno’s Geburtsjahr fällt in die zweite Hälfte des dritten Jahrzehends (925, nach Andren 928). Er war das jüngste Kind Heinrich des Voglers und der Königin Mathilde. Sein Vater bestimmte ihn für den geistlichen Stand in einem Alter, worin Anlage und Neigung sich kaum schon mochten ausgesprochen haben. Mit vier Jahren ward er nach Lothringen, wo die karolingischen Stifts- und Klosterschulen vergleichungsweise noch in Blüthe standen, gesandt und dem Bischof Alberich in Lüttich zur Erziehung übergeben. Dies geschah um die gleiche Zeit, als König Heinrich seine älteste Tochter dem Herzoge Konrad von Lothringen zur Ehe gab. Dort begann Bruno die Grammatik zu erlernen. Er ließ in Kurzem an Fleiß und Erfolg die Altersgenossen hinter sich zurück, und gern wurde auf ihn der Ausspruch alttestamentlicher Weisheit (Sprichw. 20,11) angewendet: auch kennet man einen Knaben an seinem Wesen, ob er fromm und redlich werden will. Unter den Lieblingsschriften, mit welchen er sich frühe beschäftigte, werden die christlichen Dichtungen des Prudentius hervorgehoben, die ihm sowohl wegen ihres gläubigen Inhalts als wegen ihrer gefälligen Form besonders zusagten. Bei der Lesung des Terenz soll er, unverlockt durch die leichtfertigen Gedanken und schlüpfrigen Witze des heidnischen Dichters, die Schönheit der Sprache empfunden, die Anmuth des Ausdrucks gelobt und sich zum Muster genommen haben. Unter dem auffallend raschen Fortschritte seiner wissenschaftlichen Ausbildung nahm der fromme, nach oben und innen gekehrte Sinn und das Wohlgefallen an den Uebungen der Andacht in den Formen jener Zeit eher zu als ab. Er galt unter Schülern wie Lehrern als ein Vorbild jugendlicher Weisheit und Bescheidenheit.
Schon mit vierzehn Jahren berief König Otto (der Erste), welcher nach dem Hinscheiden Heinrichs den väterlichen Thron bestiegen hatte, seinen jüngeren gelehrten Bruder an den Hof. Zunächst schien die Absicht dahin zu gehen, daß nach dem Vorgange der karolingischen Zeit eine Bildungsstätte für höheren Beruf in geistlichen und weltlichen Dingen, eine schola palatina am königlichen Lager entstehe, aus welcher die Bischöfe für den kirchlichen Dienst und zugleich im königlichen Interesse hinausträten und dabei die tüchtigsten Kräfte für die Verwaltung der Staatsangelegenheiten herangezogen würden. Lernend und lehrend war Bruno an dieser Schule der königlichen Pfalz betheiligt. Er selbst genoß den gründlichen Unterricht eines, wie es scheint, in Schottland geborenen und aus Irland an den deutschen Hof gekommenen Bischofs, mit Namen Isaak (nach) Anderen Israel). Vornehmlich zur Vervollkommnung seiner sprachlichen Kenntnisse bediente er sich der im Abendlande erschienenen Griechen, welche freilich mehr durch den Umfang als die Tiefe ihres Wissens, auch durch die leichtere Beweglichkeit ihres Naturels und die größere Gewandtheit ihrer gesellschaftlichen Bildung sich nützlich zu machen wußten. Bruno soll von den frühen Morgenstunden bis tief in die Nacht hinein die Zeit, welche ihm von den Berufsgeschäften übrig blieb, seinen gelehrten Studien gewidmet haben. Man weiß von einem Commentar zu den Büchern Mosis, den er verfaßt, und von dem Leben mehrerer Heiligen, welches er beschrieben habe. Aber schon das Urtheil über ihn, welches Bischof Isaak fällte, „er sei ein ausgezeichnet heiliger Mann“ legt den Schluß nahe, daß, wie sich der Geschichtschreiber der deutschen Kaiserzeit, Giesebrecht, fein und richtig ausdrückt, die religiöse Bildung des Herzens in seinen Augen höheren Werth besaß als die wissenschaftliche des Geistes, und daß diese in ihm wesentlich auf jene zurückgewirkt habe. Solches bestätigt sich ferner in der Fürsorge, welche Bruno den Abteien zuwandte, deren Einkünfte der König ihm überlassen hatte, wie das reiche Lorsch auf dem rechten Rheinufer in der Nähe von Worms. Er wirkte auf eine Reform der Klöster im Sinne der ursprünglichen Regel des heiligen Benedict, auf Hebung und Veredlung der Stifter und Schulen im Geiste der Ascese der trefflichen irischen Mönche, die sich um jene Zeit über Deutschland ergossen und bis nach Sanct Galen herauf so viel Segen für christliche Wissenschaft und Gesittung gestiftet haben. Bruno sorgte mit Eifer für die vollständigere Wiedereinführung des sogenannten Quadriviums, der vier höher geachteten Wissenschaften der Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie, in den Stifts- und Klosterschulen, während in der Regel damals nur noch das Trivium, Grammatik, Dialektik und Rhetorik, bestand. Auch gelangte die Kenntniß der römischen Dichter, Redner und Geschichtschreiber – von Italien aus in den Norden, und hat eben König Otto den gelehrten Gunzo beauftragt, Manuscripte des klassischen Alterthums herbeizuschaffen, deren mehr denn hunderte auf diesem Weg über, die Alpen gekommen sind.
Die Lebensaufgabe des geistlichen Prinzen erstreckte sich aber noch weiter, und nicht zum wenigsten auf das politische Gebiet. Bald nach seiner Berufung an den Hof ernannte ihn Otto zu seinem Erzkapellan. Kapelle des Königs hieß seine Regierungskanzlei. Der Erzkapellan stand berathend an der Seite des Regenten, vollstreckend und ordnend an der Spitze der von dem Throne ausgehenden Weisungen und Geschäfte. Bei dem eigenthümlichen Charakter, welchen das deutsche Mittelalter ausprägt, bei der Neigung, Kirchliches und Staatliches zu verknüpfen, und bei dem Umstande, daß die vorwiegende Bildung der Zeit in dem Stande der Geistlichkeit zusammenfloß, wurde die Kapelle des Königs eine Pflanzschule für die geeignete Besetzung der Bischofssitze mit solchen Klerikern, welche zugleich der weltlichen Verwaltung vorzustehen vermochten. An Niemanden stellt sich diese Vereinigung beider Aemter auffälliger und nachhaltiger dar als an Bruno, der als der Vertraute des königlichen Raths und höchsten irdischen Regiments, zugleich die Bestimmung erhielt, der vornehmste Kirchenfürst im Reiche seines Bruders, der Statthalter desselben in einer der wichtigsten Provinzen, wie der Canzler seiner weithin gebietenden Regierung zu sein.
951 begleitete Bruno den König nach Italien. 953 ward er zur Beilegung des Zerwürfnisses, das von Seiten des Sohnes und seines Oheims gegen Otto ausgebrochen war, vor die Thore von Mainz berufen. In demselben Jahr fiel auf ihn die Wahl für den erledigten Sitz des Erzbischofs in Cöln. Desgleichen übertrug ihm damals das Vertrauen des Königes die oberste Verwaltung des Herzogthums Lothringen.
In der Leitung seines ausgedehnten Kirchensprengels war Bruno zunächst auf Herstellung der unter den Unbilden der vorausgegangenen Zeit vielfach gestörten Ordnung, auf Abstellung der im Klosterwesen eingerissenen Mißbräuche und Schäden, auf Pflege des Unterrichte und der Gottesfurcht bedacht. Ein besonderes Anliegen war ihm die Verehrung alter und neuer Heiligen, die Beischaffung ihrer Reliquien und deren Verschenkung an Kirchen und Klöster. Er eiferte für die zur Veräußerlichung geneigte Frömmigkeit des Zeitalters, aber nicht ohne die innerlichen Motive einer aufrichtigen Demuth und Andacht. Er verwendete die reichen Mittel, die ihm zuflossen, für den Bau von Kirchen, Klöstern, Schulen und Spitälern. Er selbst blieb dabei mäßig und einfach in seiner Tagesordnung und Lebensweise und zog den Genuß der Wissenschaften jedem anderen Ueberfluß des Daseins und der Tafel vor. Seine Bücher führte er auch auf Reisen im Gefolge des Königs „wie eine Bundeslade“ mit sich und suchte bei ihnen die Erholung von den Arbeiten des Berufs.
Daß ihn seine Zeitgenossen den Friedensstifter nannten, erhellt aus verschiedenen Aufträgen des Königs, die er mit Einsicht und Glück vollzog; namentlich, aus den, zuerst erfolglosen, zuletzt aber siegreichen Bemühungen, welche er dem in seinem nächsten Familienkreis ausgebrochenen Hader widmete.
Bruno hatte einst wahrgenommen, wie während der Messe sein Bruder Heinrich, Herzog von Bayern, und der Gemahl seiner Schwester, Herzog Konrad von Lothringen, ein eifriges Geflüster unterhielten, und hierbei war in ihm die Ahnung aufgestiegen, diese Beiden werden sich noch einmal entzweien und befehden. Und so geschah es in dem Jahre, welches Bruno auf den erzbischöflichen Stuhl in Cöln erhob. Konrad verschwor sich mit seinem Neffen, dem ältesten Sohne Otto’s, Herzog Ludolf von Schwaben, zum gemeinschaftlichen Widerstand gegen den Vater und König. Sie regten sich, nicht ohne Einverständniß mit dem Erzbischof Friedrich von Mainz, in dieser Stadt fest und vermochten sich eine längere Zeit hindurch gegen die Belagerung zu halten. Da rief Otto seinen Bruder herbei, veranstaltete einen Zusammentritt Bruno’s mit den Abtrünnigen und hoffte auf den günstigen Eindruck seiner weisen Ansprache. Die Aussöhnung sollte aber noch nicht gelingen, Ludolf blieb unerweicht und kehrte verblendeten Sinns und mit einem trotzigen Gemüthe nach Mainz zurück. Mittlerweile hatten die Rebellen den Aufruhr auch nach Bayern hinübergespielt. Der König, hierdurch zu einem Zuge wider den Pfalzgrafen Arnulf in Regensburg veranlaßt, übertrug beim Abschiede dem Erzbischof Bruno die oberste Aufsicht über den Westen des Reichs. Nachdem aber Otto nicht bloß die Aufständischen in Bayern, sondern auch die mit verstärkter Macht eingedrungenen Ungarn überwältigt hatte, unternahm Bruno abermals (955) auf den irregeleiteten Neffen einzuwirken, und hatte nunmehr die Genugthuung, daß Ludolf in sich ging und gleich dem verlorenen Sohne sich seinem königlichen Vater unterwarf, der ihm dann auch so großmüthig verzieh, daß er ihm alsbald die Verwaltung der italischen Lande übergab. Während der Romfahrt, die der König im J. 961 antrat und wobei ihm 962 der Papst die Kaiserkrone aufsetzte, hatte er die Erzbischöfe von Cöln und Mainz, seinen Bruder Bruno und seinen Sohn Wilhelm, zu Reichsverwesern in Deutschland bestellt. 965 feierte Kaiser Otto die Pfingsttage in Cöln, umgeben von seinen Angehörigen, auch in Gegenwart seiner betagten Mutter, der Königin Mathilde. Diese Feier war für den Erzbischof Bruno der Zeitpunkt seines höchsten irdischen Glücks. Bald hierauf, bei einer Reise nach Frankreich, um im Auftrage des Kaisers die unter den dortigen Vettern aufgebrochenen Zwistigkeiten zu schlichten, blieb er in Compiegne wegen plötzlichen Unwohlseins liegen und verschied nach fünf Tagen am 11. Oktober 965, kaum 40 Jahr alt. Nuotger bemerkt aus Anlaß des Kölner Pfingstfestes: „diese heitere Gemeinschaft des Lebens und aller Geschäfte trennte allein der grausame Tod, der furchtbare Tod, der nichtswürdige Tod: Und obgleich es nichts Schrecklicheres geben konnte als diese Trennung, so gab es doch wieder nichts Unschuldigeres als den Tod, was sie hatte von einander scheiden sollen.“ Denn wie viel Schmerzlicheres hatte der Kaiser schon zuvor durch die in seiner unmittelbarsten Verwandtschaft hervortretende Untreue, durch den Aufruhr des eigenen Sohnes erleiden müssen. Bruno soll zu den Umstehenden gesagt haben: er habe keine Krankheit, aber er fühle eine allmählige Erschöpfung und völlige Auflösung seiner Natur. Dann machte er sein Testament zum Besten der Kirche, Schule und Armuth und empfing andächtig das Sacrament. Am 19. October wurde sein Leichnam in der Kirche der Märtyrer zu Cöln beigesetzt. Sein Andenken lebt in der Erzdiöcese und in der Geschichte einer der glänzendsten Perioden der deutschen Nation und des sächsischen Kaiserthums im Segen fort. Zwar trug sich die einseitige Ascese der Folgezeit mit der Sage, die gelehrten Neigungen Bruno’s, namentlich seine Neigung zur Philosophie, der Quelle aller Ketzereien, habe ihm die Aufnahme in den Stand der Seligen erschwert, aber durch die Verwendung und Vertheidigung des Apostels Paulus habe sich der Herr zu seinen Gunsten entschieden und ihn zugelassen. Möge es doch viele solcher Exempel geben auch in unsern Tagen, die ein offenes und warmes Herz für den Herrn und sein Reich haben, ohne sich vor der Weisheit der Welt zu scheuen. Möge die Zeit lange währen, worin das von der Vorsehung auserkorene Oberhaupt so stark, so klug und so glücklich ist, wie Bruno’s Vater und Bruder, das Vaterland zusammenzuhalten und jeden antinationalen Anspruch oder selbstsüchtige Gelüste niederzuwerfen. Dazu müßten auch die deutschen Bischöfe so einhellig, wie Bruno selbst, mit den großen Ideen, in welchen sich die Aufgabe des Staats und der Kirche zusammenschließt, ein nach innen lauteres und nach außen fruchtbares und duldsames Christenthum fördern lernen.
C. Gruneisen in Stuttgart.