Erdmute Dorothea von Zinzendorf.

Schließlich geben wir noch ein Beispiel weiblicher Frömmigkeit aus dem Kreise der Herrnhuter und wählen hierzu die Gemahlin Zinzendorfs selbst, deren wir schon unter den geistlichen Liederdichterinnen gedacht haben. Erdmute Dorothea war geboren zu Ebersdorf am 7. November 1700; sie war eine Enkelin der vorher erwähnten Gräfin Benigna von Solms-Laubach, und wurde am 7. September 1722 mit dem Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf vermählt. Ausdrücklich erklärte der Graf, als er sich um die Hand der Auserkorenen bewarb, er erwähle vor Allem dazu eine Gemahlin, damit sie ihm, seinen Untertanen und Anstalten eine Hausmutter sei, während er für seine Person das Zeugnis Jesu, dem er bereits mit Wort und Werk diene, ungehinderter durch die Welt tragen und auf des Herrn Wink alle Stunden den Pilgerstab in die Hand nehmen und zu den Heiden gehen könne, um denselben den Heiland zu predigen. Würde ihm der Ehestand solches, statt möglich, unmöglich machen, so würde er lieber gar nicht heiraten. Wiewohl die Familie einige Bedenklichkeiten über diese Bedingungen hatte, willigte Erdmute mit Übereinstimmung ihrer Eltern ein, und sie hat treulich gehalten, was sie versprochen. Sie besorgte nicht nur die schwierigen ökonomischen Geschäfte des ausgedehnten und verwickelten Haushaltes mit außerordentlicher Geschicklichkeit und Sorgfalt, sondern sie war auch ihrem Gemahl eine Gehilfin in der Seelenpflege der weiblichen Glieder der Gemeinde. Dabei wurde sie Mutter von zwölf Kindern, die freilich meistens frühe wieder starben.

Besonders nahm sie sich der Armen und Hilfsbedürftigen an; sie war eine Almosenpflegerin, welche die dargebotenen Gaben mit freundlichen Worten und gutem Rat begleitete. Wer zu ihr seine Zuflucht nehmen wollte, um Trost oder Hilfe zu suchen, wurde liebevoll aufgenommen und gar Manchem ist sie eine wirksame Fürsprecherin gewesen. Spangenberg, Bischof der Brüdergemeinde und Biograph Zinzendorfs, sagt von ihr: „Sie hatte an Gnade und Gabe etwas Ungemeines und ihre lobenswerten Eigenschaften blieben bei Allen, die sie kennen gelernt hatten, unvergessen. Sic stammte aus einer Familie, die Gottes Wort in Ehren hielt, und bei der die Kinder Gottes und Diener Jesu, ob sie auch sonst mit Schmach bedeckt waren, lieb und wert gehalten wurden. Sie war in der heiligen Schrift sehr geübt und hatte die Gotteswahrheiten, worauf sich unser Glaube und Wandel gründet, in trefflichem Zusammenhange inne. Auch in anderen Wissenschaften war sie nicht unbekannt. Im Ratgeben war sie besonders glücklich. In kleinen Ausgaben sparsam und wirtschaftlich, war sie, wenn es die Sache des Herrn erforderte, willig und bereit, selbst über Vermögen zu tun. Ihre Gesichtsbildung zeigte vom klarsten Verstande; sie war eine durch und durch „gescheite“ Frau. So war sie eine Fürstin Gottes unter ihrem Volke, indem sie eine gesegnete Dienerin desselben war, namentlich gegen die Elenden und Notleidenden mitleidig und mütterlich, und um das Kleinste und Größte besorgt; daher man sie auch nur „Mama“ nannte. Das Köstlichste von Allem aber war immer, dass ihr Herz mit einer innigen Liebe an Jesu hing und ihre liebsten Stunden in einem kindlich vertrauten Umgange mit ihm zubrachte.“

Hiermit verbinden wir das Urteil Zinzendorfs selbst. „Ich habe,“ so sagt er, „fünf und zwanzig Jahre aus Erfahrung gelernt, dass die Gehilfin, die ich habe, die Einzige gewesen, die von allen Enden und Ecken her in meinen Ruf passt. Wer hätte sich in meiner Familie so durchgebracht? Wer hätte vor der Welt so unanstößig gelebt? Wer hätte den Pharisäismus so gründlich gekannt? Wer hätte die Irrgeister der Zeit so tief eingesehen? Wer hätte. meinen ganzen Haushalt so viele Jahre so wirtschaftlich und so reichlich geführt, wie es die Umstände erfordert? Wer hätte mir das Kleinwesen im Hause so ganz abgenommen? Wer hätte so sparsam und doch so anständig gelebt? Wer hätte so rechtzeitig immer niedrig und hoch sein, die Welt ehren und verachten können? Wer hätte bald eine Dienerin, bald eine Herrin dargestellt, ohne in vornehme Geistlichkeit oder Weltlichkeit zu verfallen? Wer hätte einem Ehegatten solche Reisen und Proben hingehen lassen? Wer hätte unter so mancherlei fast erdrückenden Verhältnissen des Brüdergemeinwesens das Haupt immer empor gehalten und den Stifter der Gemeinde trog aller Anfechtungen unterstützt?“

Man muss bedenken, dass der Graf die meiste Zeit auf Reisen war und dass in dessen Abwesenheit seine Gemahlin doppelt in Anspruch genommen wurde. Auch war sie öfters vom Hause entfernt. Sie machte im Interesse ihres Gemahls und der Brüdergemeinde Reisen nach Berlin, Petersburg, öfters nach England und Holland.

1738 musste sie es geschehen lassen, dass ihr Gemahl selbst einige Brüder als Missionare nach Thomas in Westindien begleitete. Die Gräfin sollte einstweilen in Marienborn bei Büdingen, wo damals der Hauptsitz der Herrn-Huter war, bleiben. Die Reise nach Thomas wurde wegen des ungesunden Klimas damals für überaus gefährlich gehalten, indem man behauptete, dass von hundert Europäern, die dorthin reisten, kaum zehn zurückkehrten. So nahmen denn die beiden Gatten von einander Abschied, als ob Zinzendorf nie wieder zurückkehren werde. Die Gräfin fügte sich mit christlicher Geduld und Ergebung in das Unvermeidliche; sie übergab dem Grafen beim Abschied ein Gedicht, in welchem sie unter Anderem sagte:

Willst du nun Botschaft gehen?
Ist’s nun des Herren Wille,
So will ich in der Stille
Derweilen zu ihm flehen,
Dass, weil er dich geheißen
Nach Indien zu reisen,
Er Alles lass geschehen,
Was er dadurch ersehen.

Ich bleibe dann zurück,
Und seh‘ dir nach mit Beugung,
Doch auch mit Überzeugung
Von deinem Zeugenglück.
Hier soll Natur ersterben,
Und gehen ins Verderben,
Weil ich in diesem Stück
Nur auf die Sache blick‘.

Ich gebe dir die Hand,
Ich will des Heilands bleiben
Und seine Sache treiben
In meinem schwachen Stand,
Du gehest dann schon weiter
Und bist sein Wegbereiter
Durch Wasser und zu Land;
Sein Will‘ ist dir bekannt.

Während ihrer letzten Lebensjahre nahmen ihre Kräfte sichtbarlich ab. Ihre Gesundheit war durch viele Sorge, Mühe und Arbeit zerrüttet. Der Tod ihres einzigen noch lebenden Sohnes Renatus trug das Seine dazu bei, ihre Gesundheit vollends zu untergraben. Am 19. Juni 1756 erlöste sie der Tod von ferneren Leiden; sie war noch nicht 56 Jahre alt.

Zinzendorf, Erdmuthe Dorothea Gräfin von Zinzendorf, geb. Gräfin Neuß.

(Geb. 7. Nov. 1700, gest. 19. Juni 1756.)

Erdmuth Dorothea, Gräfin Neuß, die Gemahlin des Grafen Nicolaus Ludwig von Zinzendorf war eine der seltenen Frauen, welche den hohen Beruf ihres Gemahls, die Kirche Gottes auf Erden mit größter Selbstverläugnung bauen zu helfen, nicht bloß in seinem ganzen Umfange als einen gottgegebenen erkannte, und ihn darin unumgeschränkt gewähren ließ, nach Pauli Wort: „Die da Weiber haben, daß sie seyen, als hätten sie keine,“ sondern die auch sich selbst ihrem Gemahle zu einer Gehülfin in seinem Berufe mit einer Opferfreudigkeit und Ausdauer ihr ganzes Lebenlang hingab, daß sie mit Recht eine Säugamme der Brüderkirche, und eine Fürstin Gottes unter den Christen genannt wird. Nur durch eine solche Mitwirkung von ihrer Seite konnte er so Großes leisten, und ein solcher Vater für sein Brüdervolk werden, wie er selbst dankbarlichst bekannte.

Erdmuth Dorothea war eine Tochter des Grafen Neuß zu Ebersdorf, geboren am 7 November 1700. Von dem berühmten Hochmann von Hohenau, der einer ihrer Jugendlehrer war, schreibt sich ihr erster Eindruck von dem Verdienst Christi und dem hohen Werth seines Versöhnungs-Leidens her, welche Lehre sie hernach in der Brüdergemeine so stark unterstützt hat. Ihre Schwester, Gräfin Benigna, hatte großen Antheil an der ihr im Jahre 1720 widerfahrenen Begnadigung.

Bei dem Besuche ihres Bruders, im Jahr 1721, hatte Graf Zinzendorf sie kennen gelernt, und in ihr die für ihn passende Gehülfin erkannt. Da seine Verwandten mit dieser Wahl einverstanden waren, so erklärte er bei seiner Werbung um sie ihr sogleich mündlich, was für eine Gemahlin er suche und nöthig habe. Seine Absicht mit einer Gemahlin ginge eigentlich dahin, sowohl seinem jetzigen, als künftigen Vermögen, Unterthanen und Anstalten eine Hausmutter zu verschaffen, damit er für seine Person das Zeugniß Jesu, dem er bereits diene, freier und ungehinderter durch die Welt tragen könne. Wenn er durch einen künftigen Ehestand daran gehindert werden solle, so wolle er lieber ledig bleiben. Er machte darum auch seiner Braut sogleich mit seinem ganzen Vermögen ein Geschenk, und ersuchte sie, solches allemal zu obengenanntem Zweck zu verwenden, und wolle nicht über hundert Thlr. jährlich zu seinen Special-Bedürfnissen verlangen. Sie ging mit Freuden in seinen Plan ein, gestand ihrem künftigen Gemahl die volle Freiheit zu, seinem Herrn, ganz ungehindert von ihr, auch ohne die geringste Rücksicht auf sie, und künftige Familie, nach vollem Maße seines Erkenntnisses und innern Rufes zu dienen, und solchen Dienst in seiner Person so weit zu treiben, als es die Natur der Sache von Zeit zu Zeit erfordern würde.

Am 7. September 1822 erfolgte ihre Trauung. Ihre Ehe wurde mit 12 Kindern gesegnet, von denen jedoch nur 3 Töchter sie überlebt haben. Besonders vom Jahre 1727 an, wo Graf Zinzendorf seinen bleibenden Wohnsitz in Herrnhut nahm, wenn schon er sein Staats-Amt zu Dresden erst im Jahre 1732 förmlich niederlegte, übte sie das Amt der Hausmutter zum Dienst der armen mährischen Exulanten und aller ihrer andern Unterthanen, mit einer unvergleichlichen Gabe, nicht bloß in den ausgedehnten ökonomischen Angelegenheiten, sondern auch in der Seelenpflege unter ihrem Geschlecht, worin sie ihrem Gemahl eine treue und zuverlässige Mitarbeiterin war. So war sie eine der Gemeinhelferinnen und Seelenpflegerinnen der Frauen der Gemeinde; so hatten sie eine der kleinen Gesellschaften weiblicher Seelen, Banden genannt, welche zur Besprechung ihres Seelenzustandes von Zeit zu Zeit zusammenkamen, unter ihrer Aufsicht.

Alle ökonomischen Gehülfen standen unter ihr; denn ihr und ihres Mannes Vermögen war der vornehmste Fond für die Oekonomie. Sie war auch Herrschaft von Herrnhut, besonders seit der Graf seine Güter im Jahr 1732 förmlich durch einen Kaufact ihr übertragen, und ihr hatte huldigen lassen. Ihr Haus war die Haupt-Werkstatt der ganzen Gemeinde, eine Wohnung der vornehmsten Arbeiter, und ein Ruheplatz der vielen Pilger. Für viele Hunderte Menschen mußte sie fortwährend sorgen.

Während der vielen, langen Reisen ihres Gemahls blieb alle Arbeit der Leitung und Verwaltung der Gemeinde fast allein auf ihren Schultern, so daß sie dadurch oft in große Noth kam. So z. B. bereitete ihr, während der Reise des Grafen nach Kopenhagen, im Jahr 1731, die Ankunft vieler mährischen Exulanten zu Herrnhut, Mißwachs und Theurung große Verlegenheit. Sie erfuhr aber auch dabei, daß der Herr treu ist, und die Last, die er auflegt, selbst tragen hilft. Der Graf dankte dem Herrn dafür bei seiner Rückkehr von Herzen, und Beide verbanden sich auf’s Neue, sich zum Dienste des Heilands und seiner Gemeinde noch kindlicher, herzlicher und einfältiger herzugeben.

In einem Liede singt er davon also:

„Nun haben wir die Hände eingeschlagen,
Und halten sie Dir, treue Liebe hin.
Wir schwören Dir den unverrückten Sinn,
Wir wollen uns um Dich mit Freuden wagen;
Man soll an uns nichts hören, merken, sehn,
Als was in uns durch Deinen Trieb geschehn.
Hier hast Du uns, und unsre lieben Kinder,
Dir uns nur lieb sind, wenn sie Dir gefall’n;
Wir woll’n mit Mund und Herz und That erschall’n
Von unserm guten Herrn und Ueberwinder;
Wir und der Zeugen ganze Gnadenfluth,
Wir bringen Dir, nimm’s, unser Gut und Blut!

Im Februar 1736 reiste sie mit ihrem Gemahl und ihrer ältesten Tochter Benigna und 12 Mitarbeitern nach Holland und Friesland. Als sie auf der Rückreise nach Hessen-Kassel kamen, erhielten sie von Herrnhut eine Abschrift des Königlich-Sächsischen Rescriptus, wodurch dem Grafen der Aufenthalt in Sachsen verboten wurde. Da zur selben Zeit eine Regierungs-Commission von Dresden zur Untersuchung der Brüdergemeinde nach Herrnhut abgehen sollte, so eilte die Gräfin nach Herrnhut, um während der Verhandlungen der Commission gegenwärtig zu seyn, kam auch noch Einen Tag vor dem Eintreffen derselben an.

Dies Exil ihres Mannes beugte aber ihren Muth und ihre Freudigkeit für die Brüdergemeinde so wenig, wie bei ihm selbst. Sie erkannte vielmehr darin die gnädige Absicht ihres Gottes, durch das Exil ihres Mannes die Brüdergemeinde noch nach andern Ländern auszubreiten, wie es mit jener Verfolgung und Vertreibung der Apostel von Jerusalem Apgsch. 8 Statt hatte. Sie sang auf diese Begebenheit folgendes glaubensfreudige Lied:

1. Nun ist’s Zeit;
Völlig an das Licht zu gehn,
Denn der Herr macht offne Bahnen,
Und läßt uns ins Freie sehn.
Er steckt hie und da die Fahnen,
Machet Raum den Seinigen zum Streit;
Es geht weit.

2. Allemal
Wenn Er Seine Herrlichkeit
Auf besondre Art will zeigen,
Führet Er zur Niedrigkeit,
Und ein ganz besonders Beugen,
Die erfüllen soll’n der Zeugen Zahl

3. Allemal.
Und daß nun
Sie nichts mehr verhindern kann,
Recht in Kraft hervor zu brechen,
So erweitert Er den Plan,
Und führt sie auf weite Flächen,
Drauf sie können reiche Beute thun,
Eh’ sie ruhn.

4. Welch ein Loos
Haben wir in unserm Lauf!
Wir sind doch Herauserwählte,
Da kann man sich steifen drauf,
Und zu denen Mitgezählte,
Durch die Er sich, ob sie arm und bloß,
Machet groß.

5. O! man acht’t
Sich der Gnade ja nicht werth,
Daß man also wird erhöhet!
Man hält sich zu hoch geehrt;
Wer in diesem Sinne stehet,
Der will gern mit werden ausgelacht,
Und veracht’t.

6. Fahret fort,
Kehret euch an Niemand nicht!
Unser Aug’ bleibt an dem hangen,
Der auch Sein’s auf uns gericht’t.
Wir sind frei und doch gefangen;
Unsern Füßen leucht’t sein helles Wort
Immerfort.

7. Ei wie leicht
Trägt sich nicht die schöne Schmach
Unserer verwund’ten Liebe!
Und wie frisch geht man ihr nach!
Dahin gehen unsre Triebe.
Ist wohl was, das dieses übersteigt?
Und ihm gleich?

8. Wohl uns nun
Ueber diese Seligkeit!
Da wir so viel Luft bekommen,
Und die Wege sind bereit’t,
Auch viel Hindrung weggenommen,
Woll’n wir treulich das Befohlne thun,
Und nicht ruhn!

Statt daß die Gräfin nun, bei ihrem schwächlichen Körper, auf ihren Gütern zu Herrnhut geblieben wäre, wo sie auch für die Gemeinde viel Nutzen stiften konnte, zog sie vor, das vielerlei Ungemach und die Beschwerde des Exils mit ihrem Gatten zu theilen, so weit es irgend möglich war. So zog sie mit ihm und den Kindern auf die wüste Ronneburg in der Wetterau, und half da ihrem Manne an den vielen verkommenen Armen und Elenden, die dort wohnten, missionieren. Zugleich war sie der mütterliche Mittelpunkt der Pilgergemeinde, die sich um ihn herum sammelte, wo der Graf seinen Wohnsitz aufschlug. Hier waren die Brüder und Schwestern, die er im Dienst des Herrn aussandte; hierher kamen sie, wenn sie von den auswärtigen Stationen zurückkehrten. So füllten denn immer Schaaren von Pilgern das Haus, für deren Nothdurft sie nicht nur nach Vermögen, sondern auch über Vermögen sorgte. Sie wußte dabei Alles so weislich und sparsam einzurichten, daß mit Wenigem Viel geschah, und man pilgermäßig auskam. Wer von den Pilgern noch etwas eigenes hatte, der schaffte sich selbst seine Kleidung und andere geringere Bedürfnisse an; wer aber nichts hatte, dem wurde geholfen, so gut man konnte. Wer eine Gabe zum Dienen hatte, der wurde dazu gebraucht, nahm aber keinen Lohn. So war es auf der Brüder, und auch auf der Schwestern Seite.

Als der Graf in diesem Jahre nach Liefland reiste, in Folge vieler Einladungen von dort, blieb sie mit ihren Kindern und der Pilgergemeinde auf der Ronneburg. Allein die Landes-Herrschaft, der Graf von Ysenburg Wächtersbach, hatte sich von den Feinden der Brüder so gegen sie aufbringen lassen, daß er ihr plötzlich befahl, mit ihrer ganzen Pilgergemeinde die Ronneburg zu verlassen. Obgleich ihre jüngste Tochter in diesem Momente so krank lag, maß man alle Stunden ihr Scheiden erwartete, und obgleich sie noch kein Plätzchen zum künftigen Aufenthalte für sich und ihre Familie hatte, so machte sie sich doch am 11. Oktober mit den Ihrigen auf den Weg, nachdem sie vorher mit den bei ihr anwesenden Brüdern und Schwestern sich dem Heiland zu Füßen geworfen, und der Baron Friedrich von Wattewille, in einem herzlichen Gebet, wobei sich keines der Thränen enthalten konnte, nicht nur die abreisende Gesellschaft, sondern auch die auf der Ronneburg zurück bleibenden Seelen dem Herrn empfohlen hatte.

Sie selbst schreibt davon: „Mein Herz war sonderlich ganz zermalmt vor dem Heilande, um vieler Ursach wegen, und ich bat Ihn, daß er uns immer hinten nach sollte sehen lassen, und Ihm vorher danken, und daß Er auch die so viele und mancherlei Proben in- und äußerlich, die ich da erfahren, zu meinem wahren Nutzen und Seiner Verherrlichung möge gereichen lassen.“ Als die Schwestern, die sie bei sich hatte, zu Fuß nachfolgten, gingen die Mägdchen (auf der Ronneburg) unter vielem Weinen zur Begleitung mit, und versprachen dem Heiland treu zu bleiben. Sie kam dann nach Lindheim zu dem Baron von Schrautenbach, und wurde mit vieler Liebe aufgenommen, resolvierte aber, sich für die Zeit nach Frankfurt a. M. zu begeben, was am 15. Oktober erfolgte. Daselbst richtete sie sich mit ihrer Familie ein, doch sehr pilgermäßig. Wenige Tage darauf kamen viele Leute, und baten wieder um eine Versammlung. Sie schreibt davon: „Wir waren drei Stunden beisammen, und diskurrierten mit einander von dem ganzen Grunde der Seligkeit, und es war sehr herrlich und gesegnet. Am 27. hörten wir, daß sich einige schon darüber aufhielten, daß die Separatisten zum Theil bei uns aus- und eingingen. Herr Jesu, lehr’ mich wandeln in deiner Augen Licht!“

Uebrigens war die Gräfin mit ihrem ganzen Hause (denn die Brüder und Schwestern, die mit ihr auf der Ronneburg gewohnt, kamen auch mit nach Frankfurt) im Herrn vergnügt. Sie verbanden sich bei einem Liebesmahl allerseits mit einander, dem Heiland treulich anzuhangen und zu dienen, und in ungestörter Bruderliebe bei Ihm auszuhalten. Tiefes Leid fühlte ihr Mutterherz durch das frühe Sterben vieler Kinder. Ein Kind, Christian Ludwig, hatte sie schon im Mai d. J. auf der Ronneburg durch den Tod verloren, außerdem früher noch vier, Christian Ernst im J. 1724, Christian Friedrich im J. 1729, Johann Ernst im Mai 1732 und Theodora Caritas im Decbr. 1732.

In der letzteren Tochter, welche nur 2 Jahre und 2 Monate alt wurde, hatte sich außerordentlich früh eine kindliche Frömmigkeit mit geistiger Reife entwickelt, so daß sie ihren Aeltern große Freude machte. Sie sang sehr gerne geistliche Lieder selbst mit schweren Melodien, und Vater und Mutter mußten oft mit ihr singen. Mama fragte sie einmal: „Wo bist Du gewesen?“ „Bei dem Heiland und bei dem Papa!“ antwortete sie. Sie hatte den Vater im Gebete angetroffen. Wenn sie etwas versehen hatte, fiel sie gleich auf ihre Kniee, und bat es dem Heilande ab. Auch ihrem Papa, Mama, und Andern pflegte sie ihre Versehen abzubitten, ohne dazu angetrieben zu werden. Auch vergaß sie nicht in ihren kindlichen Gebeten die ihr bekannten Brüder und Schwestern. Als sie sich zu ihrer letzten Krankheit legte, sang sie auf dem Sterbebett:

„Mein Heiland, nimm mich ein zur Ruh,
Und mich in Dich recht füge!
Thu’ Du mir selbst die Sinne zu,
Und seh Du meine Wiege!“

Dies war damals der gewöhnliche Vers bei der Einsenkung der Kinder ins Grab.

Zu Ende des J. 1836 reiste die Gräfin mit ihrem Gemahl nach Marienborn und nach Holland, und als er von da nach London überschiffte, kehrte sie nach Frankfurt a. M. zurück.

Die ersten Monate des J. 1738 brachte sie mit ihm in Berlin zu, und als er die westindische Reise nach St. Thomas gegen Ende des Jahres unternahm, von wo sie wenig Hoffnung haben konnte, ihn wiederkommen zu sehen, da war sie so wenig betrübt, daß sie in ihrem Glaubensmuthe vielmehr das schöne Lied sang:

1. Willst Du nun Botschaft gehen?
Ist’s nun des Herren Wille;
So will ich in der Stille
Derweile zu Ihm flehn,
Daß, weil Er dich geheißen,
Nach Indien zu reisen,
Er alles laß’ geschehn,
Was Er dadurch erseh’n.

2. Ich bleibe dann zurück,
Und seh dir nach mit Beugung,
Doch auch mit Ueberzeugung
Von deinem Zeugenglück.
Hier soll Natur ersterben,
Und gehen in’s Verderben,
Weil ich in diesem Stück
Nur auf die Sache blick’. –

3. Ich gebe Dir die Hand,
Ich will des Heilands bleiben,
Und seine Sache treiben
In meinem schwachen Stand.
Du gehest dann dann schon weiter,
Und bist Sein Wegbereiter,
Durch Wasser und zu Land:
Sein Sinn ist Dir bekannt.

4. So ziehe denn nun hin
Mit tausendfachen Segen,
Auf den beschwerten Wegen!
Du siehst schon den Gewinn,
Den Du, beim Ueberlassen,
Wirst mit den Händen fassen.
Du weißt des Heilands Sinn,
Und hast Befehl von Ihm.

5. Der Herzog über’s Heer,
Der Hirte seiner Heerde,
Der König Seiner Erde,
Der Herrscher über’s Meer,
Leit’ dich durch Wind und Wellen,
Mit Deinen Reis’gesellen,
In Gnaden hin und her,
Als Seinen Wanderer.

6. Er stärk’ auch euren Muth!
Geht, schaut auf die Gefilde,
Und sehet, ob das Milde,
Das theure Gottesblut,
Die Saaten dort befeuchtet?
Ob’s Wundenlicht hell leuchtet?
Was sonst für Wunder thut,
Dies unschätzbare Blut.

7. Seht nach der schwarzen Schaar,
Ob die gewachsen worden?
Ob sie im Sünderorden?
Und seht ihr, daß es wahr;
So stärket auch die Brüder,
Die dort sind hin und wieder;
Seht ihr was in Gefahr,
So macht es ihnen klar!

8. Wenn alles ausgericht’t,
So kommet als die Tauben,
(Wie, s dann´allzeit geschicht,)
Zu euren Fenstern wieder,
Und sehet, wie die Glieder,
Die Zeit sich eingericht’t;
Gebt ihnen dann Bericht!

9. So wollen wir das Lamm
Mit Einem Munde loben,
Daß es so manche Proben,
So treu, so wundersam,
Hat helfen überstehen;
Wir wollen es erhöhen.
Es brenn’ dann Eine Flamm’
Vor unserm Bräutigam!“

Tags drauf sandte er ihr zur Antwort nachstehendes Lied, aus dem wir die hohe Verehrung ihrer großen Eigenschaften, die er ihr zollte, und die selige Geistes-Gemeinschaft, auch in der Opferfreudigkeit, ersehen, welche bei in dem Dienst ihres Heilandes zeigten.

1. Das ist Dein Gesinde,
Du geschlacht’tes Lamm!
Sende doch geschwinde
Deines Herzens Flamm’,
Und entzünd’ uns beide,
Die Du in der Welt
Sich zu Leid und Freude
Hattest zugesellt!

2. Deine Wegen gehen
Wir schon sechszehn Jahr,
Lamm!, und wir verstehen
Dich nun ziemlich gar.
Ich bin ganz zufrieden;
Meine Schwester auch,
Wie Du nun beschieden,
Reich zum Brauch.

3. O Du Herzenskönig!
Was machst Du das Jahr?
Itzo geht’s ein wenig,
Wie’s vor Alter war,
Wenn die Patriarchen
Deinen Sinn bedacht,
Und bei Deinen Archen
Heiliglich gewacht.

4. Meine Ehgenossin,
Der Dein heiliges Blut
Längst ins Herz geflossen,
Fühlt den Zeugenmuth.
Du willst, daß ihr Bruder,
Der ihr lieb und werth,
Weg vom Kirchenruder,
In die Inseln fährt.

5. Und das größte Wunder,
Bei der Sache ist,
Daß der Liebeszunder,
Mehr entglommen ist,
Als er, weil wir leben
Jemals noch gewes’t,
Und uns gern drein geben,
Wie Du alles drehst.

6. Ueber dieses bleibet’s
Beim Ergeben nicht;
Denn die Gnade treibet’s
In ein höher Licht.
Meine Hochgeliebte
Mitmagd, Schwester, Frau,
Die so manches übte
In der Wetterau; – –

7. Ist bei meiner Reise
Noch dazu erfreut,
Und auf eine Weise,
Fertig und bereit,
Mir mein Glück zu gönnen,
An der Kreuzes Fahn’
Daß ich sie kaum kennen
Und begreifen kann.

8. Meine Herzensschwester!
Du bist wirklich so,
Wie die Fürstin Esther,
Deines Stand’s recht froh.
Unter Centnerlasten
Stehst Du aufgericht’t,
Als wenn sie dir paßten;
Ja, sie drücken nicht. – –

9. Einen Blick der Freude,
Und der Innigkeit,
Sah man, wenn wir beide
Eine kurze Zeit
Von einander waren,
Und uns wieder sahn,
In den sechzehn Jahren
Dir beständig an. – –

Während Graf Zinzendorf in Westindien ist, hält sie sich in Marienborn auf, wo sie mehrere Jahre bleibt. Im Jahr 1741 reist sie mit ihm und der Pilgergemeinde nach Genf. Im Jahr 1742, während er die zweite Reise nach Amerika macht, in Begleitung der ältesten Tochter Benigna, wird sie vom Zeugengeist so mächtig ergriffen, , daß sie im Interesse der Gemeinde größere Reisen, nicht bloß Reisen nach Ebersdorf, Herrnhut und Berlin macht, sondern auch nach Dänemark und nach Liefland, theils um Vorurtheile und Beschuldigungen, gegen die dortigen Brüder zu widerlegen, theils um diese unter den Anfeindungen von außen zu stärken.

Auf dem Schloß Hirschholm bei Kopenhagen erhielt sie auf der ersten Reise eine Privat-Audienz bei der Königin von Dänemark.

Auf der letzteren Reise machte sie in Liefland, wo die vielfach gedrückten Brüder sie mit Sehnsucht erwartet hatten, große Freude. Schon vor ihrer Abreise von Herrnhut erhielt sie die Nachricht, daß ihr jüngster 4jähriger Sohn David zu Marienborn heimgegangen sei, und in Liefland wurde ihr der unterdeß erfolgte Heimgang ihrer zu Herrnhut zurückgebliebenen 5lährigen Tochter, Johanna Salome, gemeldet. Wegen der bedenklichen Lage der Brüder in Liefland und der Anschwärzung derselben bei der Regierung reiste sie nach Petersburg, um eine Audienz bei der Kaiserin zu erhalten. Man erwies ihre große Höflichkeiten von Seiten des Kanzlers Bestuchev und Andrer, ließ sie aber nicht zur Audienz bei der Kaiserin kommen. So verließ sie Petersburg wieder. Kaum aber hatte sie die russische Grenze passiert, so erreichte sie ein Kaiserlicher Eilbote, der sie zu bereden versuchte, wieder zurückzukehren: „Die Kaisersinn wolle sie sehen.“ Sie hatte aber nun schon 100 Meilen zurückgelegt, und ihr Scharfblick sah bei dieser Einladung so viele Bedenken, daß sie sich entschuldigte, und entschlossen weiter nach der Heimath reiste. Sie war wirklich als eine Stifterin der neuen Secte und der liefländischen Unruhen angegeben, und da hätte die in Aussicht gestellte Untersuchung ihr übel genommen werden können. – Bis zum Jahr 1745 behielt sie die Oberaufsicht über die ganze Oekonomie der Brüder, wo ihre zunehmende körperliche Schwachheit sie nöthigte, diese Last abzugeben, was ihr Gemahl auf tiefste bedauerte, und was freilich auch nicht zum zeitlichen Vortheil der Brüder diente. In den Jahren 1745 und 1746 reiste sie mit ihm nach Holland. Im Jahr 1748 wohnt sie im Herrnhaag, während er in England ist. Im Jahr 1750 reist sie zu ihm nach England, ebenso im Jahr 1752, als ihr die tödtliche Krankheit ihres dort bei dem Vater verweilenden einzigen Sohnes, Christian Renatus, gemeldet wird. Sie findet ihn nicht mehr lebend, was ihr Mutterherz auf’s allertiefste verwundet. Denn er war der einzige Sohn, der zu reifen Jahren gekommen war, eine tiefe Herzensfrömmigkeit besaß, und darum von Vater und Mutter auf’s zärtlichste geliebt wurde. Er war nicht bloß ein treuer Vorsteher der lebendigen Brüderchöre, sondern auch dem Vater ein sehr thätiger Gehülfe in der Correspondenz und anderen Amts-Geschäften.

Sie hatte ihre 3 erwachsenen Töchter Benigna, Marie Agnes und Elisabeth schon frühe zu Gehilfinnen bei den lebendigen Mädchen-Chören der Gemeinde heran gebildet, weil sie nichts Seligeres und Heiligeres kannte, als sich mit all ihren Kindern in den Dienst des Herrn zu stellen.

Seit dem Tode ihres Sohnes zog sie sich, so viel zu konnte, in die Stille zurück. Auch ihre Kräfte nahmen in diesen Jahren merklich ab. Anfangs Juni 1756 wohnte sie noch den ersten Sitzungen der in Berthelsdorf eröffneten General-Synode bei, entschlief aber darauf am 19. in Folge der überhand nehmenden Schwäche sanft und selig, ohne besondere vorhergegangene Krankheit, in ihrem 53. Lebensjahre. Die Gemeine in Herrnhut weinte der Seligen mit dem Grafen und den zur Synode versammelten Arbeitern unzählige Thränen der Liebe und des Schmerzes nach. Am 25. Juni wurde die entseelte Hülle dieser Magd des Herrn, bei einem feierlichen Leichenbegräbniß, unter zahlreicher Begleitung, auf dem Gottesacker der Herrnhutischen Gemeinde zur Erde bestattet.

Der Graf verfertigte ihr folgende Grabschrift:

Hier liegt
seit dem 25. Juni 1756
vor eine bestimmte Weile
der Leichnam der Gräfin
Erdmuth Dorothea
von Zinzendorf und Pottendorf,
gebornen Gräfin Reuß,
einer Fürstin Gottes unter uns,
und der Säugamme
der Brüder-Kirche im 18. Seculo.
Das Blut Jesu Christi hat ihn versöhnt,
Sein Geist hat ihn bewohnt,
und das Korn seines Leichnams
verklärt ihn.
Denn er selbst ist die Auferstehung.
Das Leben war auch todt.
Sie war geboren den 7. November
1700
und entschlief den 19. Juni
1756.

Was den Werth und Charakter seiner treuen Gehülfin betrifft, so hatte der Graf schon während ihrer Lebzeit in mehreren Liedern davon gerühmt. Außerdem ist noch die Erklärung merkwürdig, welche er darüber im Jahr 1757 in den naturellen Reflexionen gibt:

„Ich habe 25 Jahre aus Erfahrung gelernt, daß die Gehülfin, die ich habe, die einzige gewesen, die von allen Ecken und Enden her in meinen Beruf paßt. Wer hätte sich in meiner Familie so durchgebracht? Wer hätte vor der Welt so unanstößig gelebt. Wer hätte mir in Ablehnung der trockenen Moral so klug assistiert? Wer hätte den Pharisäismus, der sich alle diese Jahre hindurch immer herbei gemacht, so gründlich gekannt? wer hätte die Irrgeister, die sich von Zeit zu Zeit so gerne mit uns vermengt hätten, so tief eingesehen? Wer hätte meine ganze Oekonomie so viele Jahre so wirthschaftlich und so reichlich geführt, wie es die Umstände erfordert? Wer hätte mir den Detail des Hauswesens so ungern und doch so noble gelebt? Wer hätte so à propos niedrig und hoch seyn können? Wer hätte bald eine Dienerin, bald eine Herrin repräsentiert, ohne weder eine besondere Geistlichkeit zu affektieren, noch zu mundanisieren? Wer hätte in einer Gemeine, wo sich alle Stände beeifern, einander gleich zu werden, aus weisen und realen Ursachen, eine gewisse Distinction von außen und innen zu maintenieren gewußt? Wer hätte zu Land und See solche erstaunliche Mitpilgerschaften übernommen und souteniert? Wer hätte die Welt so à propos zu ehren und zu verachten gewußt? Wer hätte, unter so mancherlei fast erdrückenden Gemeinumständen, sein Haupt immer emporgehalten und mich unterstützt? Wer endlich unter allen Menschen hätte ereignenden Falls ein wahreres, ein plausibleres, ein überzeugenders Zeugniß von meinem innern und äußern Privatwesen ablegen können, als eine Person von ihrer Capacität, von ihrer Noblesse, zu denken, und von ihrer Unvermengtheit mit allen den theologischen Vorgängen, in die ich verwickelt worden?“

Spangenberg gibt noch folgende treffende Schilderung von der Gräfin:

„Die selige Frau Gräfin, deren Charakter mir nicht nur durch Zeugnisse vieler Andern, sondern auch aus eigener Erfahrung bekannt worden ist, hatte an Gnade und Gabe etwas Ungemeines, und ihre lobenswürdigen Eigenschaften bleiben bei Allen, die sie kennen gelernt haben, unvergessen. Sie stammte aus einer Familie, die Gottes Wort in Ehren hielt, und bei der die Kinder und Diener Jesu, wenn sie auch sonst mit Schmach bedeckt waren, lieb und werth gehalten wurden. Sie war in der heiligen Schrift sehr geübt, und hatte die Gotteswahrheiten, worauf sich unser Glaube und Wandel gründet, in einem trefflichen Zusammenhang inne. In andern Wissenschaften war sie nicht unbekannt. Dem Leibe nach war sie schwächlich; aber an Gemüth und Verstand stark und doch dabei von kindlicher Einfalt. Ihre Denkweise war gründlich und zugleich sehr lebhaft. So abgemessen ihre Reden und ihre schriftlichen Ausdrücke waren, so eindrücklich und begnadigt waren sie. Im Umgang distinguierte sie sich, und war doch herablassend gegen Jedermann. Sie war in schweren Umständen muthig und getrost, und im Rathgeben besonders glücklich. In kleineren Ausgaben war sie sehr sparsam und wirthschaftlich; wenn es aber die Sache des Heilandes erforderte, so war sie willig und bereit, nicht nur nach Vermögen, sondern über ihr Vermögen zu thun. Sie wußte das Vergangene mit dem Gegenwärtigen weislich zusammen zu halten, und daraus Schlüsse aufs Künftige zu machen, die gemeiniglich pünktlich eintrafen. Kurz: sie war eine Fürstin Gottes unter ihrem Volk, in einem patriarchalischen Sinn, da sie in der That eine gesegnete Dienerin desselben war; gegen die Elenden und Nothleidenden mitleidig und mütterlich, und um das Kleinste, wie um das Größte besorgt; daher man sie auch nur die Mama nannte; doch ihre Bedienten und Unterthanen blieben in gehörigem Respect gegen sie. Das Köstlichste von Allem, das von ihr gesagt werden kann, war, daß ihr Herz mit einer sehr zärtlichen Liebe am Heiland hing, mit dem sie in einem kindvertraulichen Umgang ihre liebsten Stunden zubrachte. – Es heißt von vielen Menschen: Man weiß nicht, was man an ihnen hat, so lange sie da sind; wenn sie aber nicht mehr da sind, so siehet man es erst. So war es nicht in Absicht auf die selige Frau Gräfin. Man wußte, was man an ihr hatte; sie war erkannt, geliebt und geehrt. – Die Güte, Treue und Weisheit des Herrn hat sich in Absicht auf unsern Grafen sonderlich darin geoffenbart, daß Er ihm diese Gemahlin gegeben. Sie war ihm zur Erreichung des Endzwecks, den der Heiland mit ihm hatte, schlechterdings, nach unsrer Denkart, unentbehrlich, und ihm war am besten bewußt, was er seit 34 Jahren an ihr gehabt hatte. –

Man kann es bei manchen Ehen als eine Schönheit ansehen, wenn der Mann so viel Vorzügliches vor seiner Frau hat, daß sie sich, ohne über die Dinge selbst viel zu denken, von ihm so kann leiten und führen lassen, als ob er ihr Vater wäre. So war es aber nicht mit unserm Grafen und seiner Gemahlin. Sie war nicht dazu gemacht, eine Copie zu seyn, sondern war ein Original; und ob sie gleich ihren Gemahl von Herzen liebte und ehrte, so dachte sie doch selbst über alle Dinge mit so viel Verstand, daß er sie in dem Theil mehr als Schwester und Freundin anzusehen hatten. Er that es wirklich, und das war auch eine Schönheit von einer andern Art. Sie nahm ihrem Gemahl nicht nur die Last der Besorgung der ökonomischen und herrschaftlichen Geschäfte ab; sondern war ihm auch eine treue, weise und gesegnete Gehülfin in den Dingen, welche er als Objecte seines eigentlichen Berufes angab. Der Heiland war mit ihr, und bekannte sich zu ihr, wenn sie als Helferin der Gemeine etwas in die Hände nahm. Sie hatte ein offenes Ohr für Alles, was Rath und Trost brauchte. Zuweilen machte sie sich schwere Stunden durch unnöthige Verlegenheit; welches sie hernach, wen sich die Wolken verzogen, und sie die Sache im rechten Licht sah, selbst erkannte, und darüber beschämt war. Gegen ihre Kinder bewies sie sich als eine zärtliche, sorgfältige, verständige und unermüdet treue Mutter. Von 12 Kindern, 6 Söhnen und 6 Töchtern, haben sie nur 3 Töchter überlebt. Ihren Sohn Christian Renatus konnte sie nicht vergessen, und hatte von der Zeit seines Todes an nicht viel Neigung mehr, sich mit Geschäften abzugeben, sondern war, wie ein Müdes, das sich nach der Ruhe sehnt. Aus ihren Liedern, die zum Theil gedruckt sind, sieht man deutlich, daß unser Herr Jesus Christus und Sein für uns zur Vergebung der Sünde vergossenes Blut der alleinige Grund war, worauf sie als eine arme Sünderin sich gründete. Sie hatte dieses nicht nur im Kopfe, sondern auch im Herzen, und daraus floß ihr Bestreben, dem Heiland zu dienen, und sein Herz zu erfreuen. Sie lebt nun in ungestörtem und vollkommensten Genuß dessen, was ihr derselbe durch Sein Leiden und Sterben erworben hat.“ eine seltene köstliche Mischung in ihrem Charakter dürfen wir zum Schluß nicht unerwähnt lassen, den heldenmüthigen Zeugen-Geist, der sie zu weiten, beschwerlichen Reisen trieb, um Seelen für das Lamm werben zu helfen, und das innigste, zarteste Gemeinschafts-Leben mit ihrem geliebten Seelen-Bräutigam in seligster Stille.

Der erstere Geist spricht sich aus in dem kleinen folgenden Liede, wo man eine Debora, die Mutter in Israel, glaubt mächtig in die Saiten greifen zu hören, aufrufend zu heiligem Streit:

1. Wasser brause, das die Welt umgeht!
Odem sause, der die Welt durchweht!
Gottes ganze Dienerschaft,
Auf! und alle eure Kraft
Aufgeboten, daß ihr Ihn erhöht!

2. Das ist Klarheit, was sich offenbart;
Das ist Wahrheit, was den Grund bewahrt;
Das ist Einfalt, welch ein Wort!
Das ist rechter Zeit und Ort,
So ist’s, wie es soll in seiner Art.

3. Herrnhut, weißt du, Schein vom Morgenstern!
Warum heißt eine Hut des Herrn? –
Daß in dir bei Tag und Nacht
Werde unserm Herrn gewacht;
Und Gottlob! wir rühren uns ihm gern.

4. Weiser Meister, fördre unsern Lauf!
Deine Geister freun sich alle drauf,
Die Dich ohne Aufenthalt
Loben, göttliche Gestalt!
Die Register zeuch du selber auf!

Der kindlich-selige Geist der Gemeinschaft mit ihrem Heilande tönt aus folgendem Liede:

1. Ach, mein Herr Jesu! dein Naheseyn
Bringt großen Frieden in’s Herz hinein,
Und dein Gnadenanblick
Macht uns so selig,
Daß auch’s Gebeine darüber fröhlich
Und dankbar wird.

2. Wir sehn dein freundliches Angesicht,
Voll Huld und Gnade, wohl leiblich nicht;
Aber unsre Seele
Kann’s schon gewahren;
Du kannst dich fühlbar g’nug offenbaren,
Auch ungesehen.

3. O, wer nur immer bei Tag und Nacht
Dein zu genießen recht wär‘ bedacht:
Der hätt‘ ohn Ende
Von Glück zu sagen,
Und Leib und Seele müßt‘ immer fragen:
Wer ist wie du?

4. Barmherzig, gnädig, geduldig seyn,
Uns täglich reichlich die Schuld verzeihn,
Heilen, stillen, trösten,
Erfreun und segnen,
Und unsrer Seele als Freund begegnen,
Ist deine Lust.

5. Ach gib an deinem kostbaren Heil
Uns alle Tage vollkomm’nern Theil,
Und laß unsre Seele
Sich immer schicken,
Aus Noth und Liebe nach dir zu blicken
Ohn Unterlaß!

6. Und wenn wir weinen, so tröst‘ uns bald
Mit deiner Gnad‘ und Friedensgewalt;
Laß dein Bild uns immer vor Augen schweben,
Und ein wahrhaftiges In-uns-leben
Zu sehen seyn!

7. Ein herzlich Wesen und Kindlichkeit
Sei unsre Zierde zu aller Zeit,
Und die Tröstung
aus deinen heiligen Wunden
Erhalt‘ uns Frieden zu allen Stunden
Bei Freud‘ und Leid!

8. So werden wir bis in Himmel hinein
In dir vergnügt wie die Kinder seyn.
Muß gleich unser Auge
Sich manchmal netzen, –
Wenn sich das Herz nur an dir ergötzen
Und stillen kann!

9. Du reich’st uns deine durchgrab’ne Hand
Die so viel Treue an uns gewandt,
Daß wir bei’m Gedächtniß
Beschämt dastehen,
Und unser Auge muß übergehen
Vor Lob und Dank.

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859