Der Leser, welcher sich an den Briefen des Samuel Rutherford erquickt und stärkt, möchte doch wohl auch aus dem Lebensgange dieses Mannes so viel erfahren, daß ihm die köstlichen Briefe verständlicher werden. Aus seinem Leben fallen Lichtstrahlen auf die Briefe, aber auch umgekehrt verklären die Briefe sein Leben, besonders nach der innern Seite hin. Schon von Jugend auf scheint dieser Mann gerade die innere Seite seines Lebens gepflegt zu haben. Er erzählt uns selber einen Zug aus seiner Kindheit. Mit seinen Gespielen ergötzte er sich einmal und fiel in einen Brunnen. Erschrocken liefen die andern Kinder zu seinen Eltern um ihnen das Unglück zu melden, und als diese eilends herbeikamen, fanden sie den Samuel vom Wasser triefend in der Nähe des Brunnens. „Wie bist du denn daher gekommen?“ fragten erstaunt die Eltern. „Ein schöner weißer Mann,“ sagte der liebe Kleine erfreut, „kam zu mir und zog mich aus dem Brunnen heraus.“ Er kam im Jahre 1600 zu Nisbet in der Grafschaft Roxburgh zur Welt.
Seine Eltern gehörten zu dem niedern Adel Schottlands, und waren darauf bedacht, ihm eine tüchtige Bildung zu geben. Seine ersten wissenschaftlichen Kenntnisse sammelte er in einer lateinischen Schule, und in seinem siebzehnten Jahre bezog er schon die Universität zu Edinburg, der Hauptstadt Schottlands. Seine ausgezeichneten Gaben traten hier recht an’s Licht. Allgemein bewunderte man den Jüngling, und bald wurde Rutherford, obwohl noch sehr jung, zum Professor der Philosophie der Edinburger Universität ernannt. Aber nicht sehr lange lehrte er hier, denn Lord Kenmure ließ im Jahre 1627 einen Ruf zur Pfarrstelle von Anwoth in der Grafschaft Galloway an ihn ergehen, und Rutherford muß darin einen Ruf vom HErrn der Kirche erkannt haben, denn er machte sich nach Anwoth auf und lebte ganz für seine neuen Verhältnisse. Was er angriff, das griff er recht an. Tag und Nacht arbeitete er mit Fleiß und Treue in seiner ihm anvertrauten Gemeinde. Gewöhnlich stand er schon Morgens früh drei Uhr auf. Gebet und Lesen des göttlichen Wortes war sein Tagesanfang. Dann ging es an’s Schreiben, an das Katechisieren in Schule und Kirche, an die Besuche in den Häusern. Kurzum alle Pflichten seines geistlichen Amtes lagen ihm ernstlich am Herzen. Solche Arbeit konnte nicht ohne Frucht bleiben. Ganz in seinem Elemente war er, wenn er auf dem Predigtstuhle stand. Er war der volksthümlichste Prediger seiner Zeit, seine Predigten drangen mit Macht in die Herzen seiner Zuhörer. „Ich habe manche große und gute Geistliche in unsrer Kirche gekannt,“. erzählt sein Zeitgenosse Patrik Simpson von ihm, „aber einen Mann solchen Schlages, dem so viele ausgezeichnete Gaben verliehen gewesen, wie Rutherford, kannte ich keinen in Schottland; dann er lebte unausgesetzt nur in dem was heilsam, gut und segensreich ist. Er hatte zwei lebhafte Augen, und wenn er ging, sah man ihn immer sein Haupt aufwärts zum Himmel gerichtet. Manchmal glaubte ich, er würde sich von der Kanzel wegschwingen, wenn er von Jesu Christo redete. Er war niemals in seinem wahren Elemente, als wenn er sich mit dem Lobe des Heilandes beschäftigte. Mit Christo sich beschäftigend legte er sich nieder zum Schlafe, und mit Ihm stand er wieder auf.“ Ein Engländer hörte Rutherford, und ganz ergriffen sagte er von ihm, dem kleinen sanften Mann, wie er ihn schilderte: „Er zeigte mir die Liebenswürdigkeit Christi.“
Als er die Stelle von Anwoth annahm, suchte er durchaus nicht die Bestätigung von Seiten der Bischöfe nach. Und das führt uns auf die großen Kämpfe, die damals in der schottischen Kirche mächtig im Schwange waren. Wir gehen nicht auf die Reformation Schottlands und auf ihren gewaltigen Zeugen John Knox zurück. Die schottische Kirche hatte von Anfang der Reformation an einen Widerwillen gegen das landesherrliche und bischöfliche Kirchenregiment. Und das war auch kein Wunder. Die königliche Familie der Stuarts meinte es nie ganz offen mit der Reformation, sie war vielmehr von einem römischen Grundzuge durchdrungen. Jakob VI. hatte den Grundsatz, den er oft genug hören ließ: „Kein Bischof, kein König!“ Das bischöfliche Regiment in der Kirche war ihm ein feststehender Satz, auf den er sein Regiment in Kirche und Staat gründete. Er war zwar in der presbyterianischen Kirche Schottlands aufgewachsen, hatte jedoch bei seiner angebornen Herrschsucht keinen Sinn dafür, daß der christlichen Gemeinde auch Rechte gebühren. Nur muß man nicht glauben, daß in der evangelischen Kirche Schottlands Crethi und Plethi berechtigt gewesen wäre. Rechte wurden nur Solchen verliehen, welche die christlichen Pflichten erfüllten. Schon bis in’s Jahr 1561 reicht die schottische Verfassung, bekannt unter dem Namen „das erste Buch der Disciplin.“ Sie erkennt vier Gattungen von Beamten in der Kirche, als göttlich eingesetzt an. Der erste ist der Diener oder Pastor, der das Wort zu predigen und die Sakramente zu verwalten hat; alsdann kommt der Doctor oder Lehrer, worunter besonders die Lehrer an Schulen, Universitäten verstanden wurden. Der dritte ist der Aelteste, der mit dem Prediger die Zucht und das Kirchenregiment auszuüben hat. Der Diakon hat als der vierte das Kirchenvermögen zu verwalten und die Armen zu besorgen. Die kirchlichen Behörden von unten auf sind die Kirchsitzung, die wöchentlich zusammenkommt; das Presbyterium, bestehend aus den Geistlichen und abgeordneten Aeltesten seines Kreises, welches das Recht hatte, die von den Gemeinden zu wählenden Geistlichen zu prüfen und zu ordinieren; die Provinzialsynode, bestehend aus den Predigern und Aeltesten der Presbyterien einer Provinz. Endlich war die Generalversammlung, aus abgeordneten Predigern und Aeltesten des Königreiches bestehend, die alljährlich sich versammelte. Sie bildete die höchste Instanz in allen kirchlichen Angelegenheiten. Die Gemeinden hatten das Recht, ihre Pastoren zu wählen. Neben diesen Freiheiten gab es aber eine feste und strenge Zucht über das sittliche Leben der Gemeindeglieder.
Das Parlament von Schottland erkannte im Jahr 1567 die presbyterianische Verfassung an, und der damalige Regent Graf von Murray willigte ein. Auch König Jakob bestätigte im Jahre 1592 dieselbe, aber aufgezogen in den Grundsätzen des absoluten Königthums hatte er sich nie damit innerlich befreundet. Inzwischen war durch ein zweites Buch der Disciplin die Verfassung weiter ausgebildet worden. Es würde uns zu weit führen, dieß darzustellen. Jakob hing, wie wir wissen, am Bischofthum, und wollte durch dasselbe in der Kirche herrschen. Er fing schon an, Bischöfe und Erzbischöfe für Schottland zu ernennen, aber die Schotten, welche an ihrer Verfassung festhielten, leisteten ihm den entschiedensten Widerstand. Die Prediger traten offen, oftmals schroff gegen den König und seinen geheimen Rath auf. Als der König im Jahr 1603 unter dem Namen Jakob I. König von England geworden war, glaubte er, mit seiner vermehrten Macht die ihm eigentlich verhaßte Presbyterial-Verfassung allmählig abschaffen und das Bischofthum einführen zu können. Im Jahre 1618 wurden auf der Versammlung von Perth die sogenannten fünf Artikel von Perth genehmigt, in denen mehrere Punkte sich fanden, worin die Schotten eine Hinneigung zum Katholizismus witterten. Auf’s Entschiedenste stemmte sich das Volk mit seinen Geistlichen entgegen. Es gab Geistliche, die sich lieber Absetzung und Verbannung gefallen ließen, als daß sie sich den Perth’schen Artikeln unterworfen hätten. Da starb Jakob, und sein Sohn Karl I. bestieg im Jahre 1625 den Thron. Er hatte kein schottisches Herz und lebte ganz in der absoluten Gewalt des Königs, sowohl im Staate als in der Kirche. Durch sein rücksichtsloses, gewaltthätiges Auftreten erregte er den entschiedensten Widerspruch. Schon in England, wo er auf strenge Beobachtung der bischöflichen Liturgie und Kirchenverfassung drang, erregte er allgemeinen Unwillen. An dem Erzbischof Laud von Canterbury, einem Manne verhaßten Namens, hatte er eine getreue Stütze. Dieser ging noch weiter und glich den heutigen Puseyiten, welche katholische Gebräuche einführen wollen. Laud brachte solche katholisierende Neuerungen auf. Die Abweichung von diesen Gebräuchen hieß Non-Conformity. Viel hundert Geistliche wurden ihres Amtes entsetzt und hart bestraft, weil sie gewissenshalber die vorgeschriebenen Gebräuche nicht mitmachen konnten und wollten. Und Tausende der besten Christen verließen lieber das Land ihrer Väter, als daß sie in die königlichen Befehle eingewilligt hätten. Sie gingen nach Nordamerika und gründeten daselbst gesegnete Kolonien. Aber noch viel entschiedener war der Widerstand der Schottländer, die an ihrer presbyterianischen Verfassung zähe festhielten und alle Ceremonien der englisch bischöflichen Kirche für ein Stück Katholizismus hielten. Zuerst betraten sie den Weg der Bitte, aber der König nahm keine Rücksicht auf ihre Vorstellungen, sondern begehrte einfach den Vollzug seiner Befehle und die Annahme der bischöflichen Kirchenverfassung. Da stand ganz Schottland auf. Die Stände traten zu einem festen Bunde, unter dem Namen Covenant bekannt, zusammen. Das geschah in dem für Schottland denkwürdigen Jahre 1638. Sie gelobten hier, ihrem Glaubensbekenntnisse treu zu bleiben und sich jeder Neuerung einmüthig zu widersetzen.
Als dies geschah, war Rutherford bereits nicht mehr in seiner lieben Gemeinde Anwoth. Schon im Jahre 1620 erlitt er eine schwere Verfolgung, er hatte nehmlich ein Buch mit dem Titel: „Exercitationes Apologeticae pro divina gratia“ geschrieben, worin er für die Hauptlehre der evangelischen Kirche, für die Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden, allein durch den Glauben an Jesum Christum in den Riß trat, und der arminianischen Lehre der hohen Geistlichkeit, die mehr oder weniger das Verdienst des Menschen her vorhob, gegenüberstand. Er wurde wegen dieses Buches vor den hohen geistlichen Gerichtshof zur Verantwortung geladen. Weil aber sehr stürmisches Wetter einfiel, konnte der Erzbischof von St. Andrews nicht erscheinen, und eins der weltlichen Mitglieder des Gerichtshofes, Alexander Colville, stand mit Rutherford auf so freundschaftlichem Fuße, daß die Sitzung aufgehoben wurde, ohne daß Etwas gegen den Angeklagten vorgenommen worden wäre. Er hatte aber auch noch um jene Zeit den Schmerz, seine erste Gattin nach einer schweren Krankheit von mehr als einem Jahre zu verlieren. Hatte er auch jetzt eine Zeit lang Ruhe, so sollte sie doch nicht zu lange währen. Im April 1636 zog ihn der Bischof Sydserff von Galloway vor den Gerichtshof, weil er sich den fünf Artikeln von Perth nicht allein nicht unterworfen, sondern sogar gegen dieselben gepredigt hätte. Auch war das Buch, das die Vertheidigung der göttlichen Gnade enthielt, noch nicht vergessen. Es kam ebenfalls auf die Tagesordnung des Gerichtshofe. Rutherford erschien vor dem Gericht, aber nach seinen Grundsätzen konnte er diesen Gerichtshof als einen gültigen nicht anerkennen, und er erklärte dieses auf bestimmte Weise.
Ein Mitglied des Hofes, Lord Lorn, der nachher unter dem Namen Marquis von Argyle so berühmt geworden als Vertheidiger der Schottischen Kirche und darüber den Märtyrertod erlitten hat, nahm sich des hart angeklagten Rutherford warm an. Der Bischof von Galloway aber drohte, daß er, wenn man Rutherford ungestraft ziehen lassen würde, es an den König berichten werde. Der Gerichtshof ließ sich durch solche Drohung einschüchtern, und sprach am 27. Juli 1636 über Rutherford die Entlassung von seinem Amte aus, so wie er ihm die Ausübung jeder geistlichen Verrichtung in ganz Schottland bei Strafe der Rebellion verbot und ihm befahl, sich nach Aberdeen zur Haft zu stellen und so lange dort zu bleiben, als es dem Könige gefallen würde. In einem Briefe, den er kurz nach diesem ungerechten Urtheilsspruche an Lady Kenmure geschrieben hat, sagt er: „Die Ehre, welche ich mir seit 16 Jahren mit Unterwerfung unter den Willen Gottes erbeten habe, hat mein liebreicher HErr mir nun zu Theil werden lassen, um Jesu und Seines Reiches willen zu leiden. Ich bin zur Gefangenschaft in der Stadt Aberdeen verurtheilt, und es ist mir im Namen des Königs befohlen, am 20. August mich dahin zu begeben – und daselbst so lange zu bleiben, als es dem König gefällt. Wiewohl dieses mir auferlegte Kreuz mich etwas niederbeugt, wenn ich mir die vielen schönen Tage ins Gedächtniß zurückrufe, die meiner, so wie mancher andern mir theuren Seele süß und tröstlich waren, so ist es doch zugleich mit süßen Erinnerungen begleitet, mit der Freude im h. Geist, mit dem Glauben, daß der HErr das Seufzen eines Gefangenen hört und mit der unerschütterlichen Hoffnung, daß so gewiß der HErr lebt, auch auf diese Nacht das Tageslicht folgen und Christi Himmel sich wieder über mich und über Seine arme Kirche erhellen, und daß er auch in einem fremden Lande unter fremden Angesichtern Seinem armen unterdrückten Diener, der nur den HErrn Jesum, den Tröster seiner Seele, lieben kann, auch vor Menschen Gnade geben wird. Schon auf der Reise dahin fand er allenthalben innige Theilnahme und er selbst hielt trotz der Feindschaft der Leute von Aberdeen die Zeit seiner Gefangenschaft für wahre Festtage, obwohl auch von Zeit zu Zeit Kummer ihn beschlich. Während seiner Gefangenschaft in Aberdeen hat er viele und wohl auch seine herrlichsten Briefe geschrieben, die noch jetzt eine Fundgrube des Trostes, der Mahnung und der Kraft für den Leser bleiben. Es durchzieht sie die Süßigkeit der Liebe Jesu, daß man sich nur auch von solcher himmlischen Salbe wünschen möchte. „Meine Feinde,“ schreibt er, „haben mich hieher gesandt, damit Seine liebe mir Festtage bereite. Sollte ich Christi Liebe verheimlichen? Nein, ich kann es nicht verschweigen, was Er an meiner Seele gethan hat.“
In Aberdeen hielt er sich etwas über anderthalb Jahre auf. Denn als er hörte, daß die Aufhebung des geistlichen Gerichtshofes allgemein verlangt werde, und der Geheime Rath bei dem König schon darauf angetragen habe, so verließ er seinen Aufenthalt in Aberdeen, und kehrte zu seiner Gemeinde in Anwoth zurück. Hatte er schon früher mit allem Eifer und Ernst gearbeitet, jetzt that er es wo möglich noch mehr. Oeffentlich und sonderlich gab es nicht leicht einen treueren Diener seines HErrn. Die Macht seiner Zeugnisse war so eindringlich, daß nicht blos Anwoth, sondern die ganze Umgegend in geistliche Bewegung kam. Er hatte die Freude, dem oben schon genannten Covenant im Jahre 1638 beiwohnen zu können. Nicht lange hernach wurde wieder eine allgemeine Versammlung zu Glasgow gehalten. Da bestätigte man den geschlossenen Bund, hob die Beschlüsse der früheren Versammlungen unter König Jakob auf und schaffte namentlich das aufgedrungene bischöfliche Regiment ab. Dieses gewaltsame eigenmächtige Vorgehen der Schotten glaubte König Karl nicht dulden zu können, und rüstete deßhalb ein Heer, um seine Befehle mit Hülfe desselben durchzuführen. Aber die Schotten rüsteten ebenfalls ein Heer, das noch bedeutender, als das königliche und von Religionseifer entflammt war. Da hielt es doch der König für gerathener, sich auf gütliche Unterhandlungen einzulassen. Die Macht und das Ansehen des Königs sank auch in England immer tiefer. Die Schotten benützten dieses Verhältniß, steigerten ihre Forderungen und der König gab es endlich ganz auf, die schottische Kirche anzutasten. Was für ein trauriger und beklagenswerthes Ende Karl I. auf dem Schafott genommen hat, ist hinlänglich bekannt. Bis es dahin gekommen war, mußte die schottische Kirche vieles durchmachen, und Rutherford war Einer von denen, welche mit Wort und Schrift für die Rechte der Kirche einstanden. Er war auch nicht mehr in Anwoth. Die denkwürdige Versammlung zu Glasgow im Jahr 1638 hatte mit inniger Theilnahme den Bericht Rutherfords von seiner Wirksamkeit in Anwoth, von seiner Gefangenschaft in Aberdeen und der Veranlassung dazu vernommen und bald erkannt, daß dieser Mann auf einen einflußreicheren Posten gestellt werden müsse. Sie ernannte ihn daher zum Professor der Theologie in St. Andrews. Wo bisher der Sitz eines Erzbischofs mit dem Gefolge des Aberglaubens, des Irrthums und der Gottlosigkeit sich fand, da erhob sich jetzt ein schöner Libanon mit herrlichen Cedern, mit denen die Kirche Gottes in Schottland geschmückt wurde. Rutherford trug besonders zu diesem Flore bei. Sein gründlicher Unterricht in den Fächern, die er die Studenten zu lehren hatte, besonders seine mächtigen, populär-edlen, von der Liebenswürdigkeit Christi zeugenden Predigten wirkten gewaltig auf die Herzen der jungen Leute. Die Segensströme, die in ihre Herzen flossen, wurden von ihnen in die Gemeinden geleitet, an denen sie nach vollendeten Studien zu arbeiten hatten.
Nicht blos öffentlich durch Vorlesung und Predigten verbreitete der Professor von St. Andrews das wahre Christenthum, sondern auch sein Privatleben war ein leuchtendes Vorbild. Es durchzog ein heiliger Ernst und ächt evangelische Liebe seine ganze Erscheinung. Namentlich drang er darauf, ähnlich wie Spener, daß auch in den Häusern hin und her religiöse Versammlungen gehalten wurden. Nicht alle begünstigten dieselben. Auf der Generalversammlung des Jahres 1640 erhob namentlich der Prediger Henry Guthrie, der nachmalige Bischof von Dunkeld, seine Stimme gegen diese Versammlungen, während Andere sie blos geregelt zu sehen wünschten. Rutherford fühlte sich in solchen öffentlichen Versammlungen selten gedrungen, zu reden. Dießmal aber konnte er nicht schweigen. Kurz und gut erklärte er: „Was die heilige Schrift gut heißt und wozu sie sogar auffordert, das darf keine Kirchenversammlung verbieten. Privatversammlungen zu religiösen Uebungen sind aber durch die heilige Schrift gut geheißen, denn wir lesen: „Die Gottesfürchtigen sprachen oft mit einander und Gott hörte egal (Mal. 3, 15. nach der englischen Uebersetzung). Ferner heißt es: „Bekenne Einer dem Andern seine Sünden und betet für einander“ u. s. w. Dieses Alles konnte aber nicht in den öffentlichen Versammlungen geschehen.“ Solchen Bezeugungen trat der Herzog von Seaforth und die Parthei des Guthrie scharf entgegen, aber Rutherford genoß ein solches Ansehen und sein Einfluß war so mächtig, daß die Gegenparthei nichts zu erlangen vermochte, als daß über den Familien-Gottesdienst einige Bestimmungen festgesetzt wurden.
Es war nicht das letzte Mal, daß Rutherford in großen, öffentlichen Versammlungen als Abgeordneter erschien und handelte. Wir begegnen ihm mit den andern schottischen Deputierten auch in der sogenannten Westminster-Versammlung zu London im Jahre 1645. Einer der Zwecke dieser Versammlung war der, eine nähere Uebereinstimmung mit der schottischen Kirche und andern auswärtigen reformirten Kirchen zu bewirken. Wenn sie auch für die englische Kirche keine bleibenden Erfolge erreicht hat, so kann man dieß nicht gleichermaßen von der schottischen sagen. Noch jetzt in ihr gültige Vorschriften über Lehre, Verfassung und Gottesdienst sind daraus hervorgegangen. In der Versammlung selbst standen sich drei Partheien einander entgegen. Auf der einen Seite kämpften die Presbyterianer, welche die Mehrzahl ausmachten, und zu welchen unsere schottischen Abgeordnete gehörten. Die andere Parthei bildeten die sogenannten Independenten, zu denen Oliver Cromwell zählte. Sie behaupteten eine völlige Unabhängigkeit der christlichen Gemeinden in Betreff des kirchlichen Regiments, des Gottesdienstes und der Zucht. Die dritte Parthei führt den Namen Erastus und heißt Erastianer. Sie leiteten alle Gewalt, sowohl die bürgerliche als auch die kirchliche, von der weltlichen Obrigkeit her. Daß Karl I., überhaupt die Stuarts, zu dieser Parthei hielt, ist begreiflich, sie war in ihrem Sinn und Interesse. Daß aber Rutherford mit den beiden letzteren Partheien nicht übereinstimmte, sondern sie auf’s Entschiedenste bekämpfte, beweist seine Thätigkeit in der Westminster-Versammlung. Er zeichnete sich in den Verhandlungen durch große Klarheit, mit der er seine Ueberzeugungen darlegte, aus. Und seine Schriften über die großen kirchlichen Streitfragen jener Zeit stellen ihn als einen der tiefsten Denker seines Volkes dar. Besonders gehört hieher seine beste Schrift, die er geschrieben hat: „Lex Rex, oder das Gesetz und der König. Hier legt er die Grundsätze der bürgerlichen und religiösen Freiheit auf eine Weise dar, wie sie in der englischen Staatsverfassung verwirklicht worden sind. Freilich unter König Karl II, wurde sie öffentlich verbrannt. Es folgten noch andere gelehrte Abhandlungen von Rutherford, er warf den Fehdehandschuh den Erastianern, den Wiedertäufern, den Independenten und andern Sektierern hin, und Niemand hatte den Muth, ihn aufzuheben und es mit diesem reichbegabten, gelehrten und gesalbten Kämpfer aufzunehmen.
Noch während seines Aufenthalts in London nöthigte ihn sein Gesundheitszustand, um Rückkehr nach Schottland zu bitten. Aber die Westminster-Versammlung gewährte sie ihm nicht, weil sie seine Kenntnisse und Erfahrungen nicht entbehren wollte. Erst im Jahre 1647 kehrte er in sein geliebtes Schottland zurück, und nahm wieder seine Arbeiten in St. Andrews auf. Im Jahre 1651 wurde er zum Rector der Universität erwählt, die höchste Ehre, die ein Geistlicher der Kirche von Schottland erlangen kann. Sein Name drang sogar auf das Festland herüber, so daß zwei Rufe von auswärts an ihn ergingen. Der eine kam von der Universität von Harderwyk zu einer Professur, und der andere ebenfalls aus Holland, nehmlich von Utrecht. Auch hier sollte er Professor an der Universität werden. Aber die kritische Lage seiner heimischen Kirche hielten ihn im Vaterlande fest. Er schrieb darüber einem Freunde: „Lassen Sie sich erbitten, und geben Sie den Gedanken auf, dieses Land zu verlassen. Ich sehe, wie der HErr in seinem Zorne das ganze Land mit einer Wolke bedeckt hat, und ob ich wohl auf gleiche Weise, wie Sie, versucht worden bin, so will ich doch lieber bei dem zürnenden Jesus Christus in Schottland bleiben, als sonst in irgend einem Eden oder Garten dieser Erde, da ich weiß, daß Er es nicht übel mit uns meint.“ So harrte er denn lieber unter Kampf und Trübsal in Schottland und bei seinem Berufe aus, als daß er eine bequemere Stellung angenommen hätte.
Es war aber nach der Hinrichtung des Königs Karl I. böse Zeit. Auf der einen Seite stand die Republik unter dem mächtigen Protektorate Oliver Cromwells, dessen independentische Grundsätze Rutherford nicht theilte, auf der andern Seite gewann der Kronprätendent, der nachmalige König Karl II., einen bedeutenden Anhang in Schottland. Zwei politische Partheien rissen in Schottland eine tiefe Furche auch in das Lager der Gläubigen. Die Einen hielten es mit Karl II. und von ihren Beschlüssen, die sie gefaßt hatten, führten sie den Namen Resolutionere, während die andere, ernster gesinnte Parthei, die mit Recht dem jungen Stuart nicht traute, dagegen protestierte, und deshalb protesters genannt wurde. Rutherford schloß sich der letzteren Parthei an, wie wir von ihm nicht anders erwarten können. Er ließ so viele Schriften und Schriftchen in diesem Betreffe und in anderer christlicher Beziehung ausgehen, daß man hätte denken sollen, der Mann stecke immer in seiner Studierstube, und wenn er sie etwa verlasse, thue er es nur, um Vorlesungen und Predigten zu halten. Aber er lebte auch der Gemeinde und besuchte die Kranken von Haus zu Haus, gerade wie damals, als er noch Pfarrer von Anwoth war.
Es gehört nicht hieher, die politischen Verhältnisse darzustellen. Nach Cromwells Tode und seines Sohnes Richard Rücktritt siegte die Parthei, welche die Königsfamilie der Stuarts zurückführte, um wieder neues Elend über England und Schottland zu bringen. Man hat schon oft von ihnen gesagt, daß sie die Bourbonen Englands gewesen. Und wirklich, die Stuarts haben, wie diese, nichts gelernt und nichts vergessen. Karl II. fühlte sich kaum warm auf dem Thron, da brach die ererbte Natur heraus. Die kirchlichen Verhältnisse erfuhren betrübende Veränderungen. Da konnte ein Buch, wie Rutherford’s Lex Rex keine Gnade mehr finden. Es wurde öffentlich verbrannt und sein Verfasser vom Parlamente zur Verantwortung wegen Hochverraths vorgeladen.
Als die Ladung Rutherford überbracht wurde, lag er schwer krank in seinem Bette. „Sagt ihnen,“ antwortete der Kranke, „ich hätte bereits eine andere Ladung vor einen höheren Richter erhalten; ich müsse daher dieser ersten Ladung folgen, und bevor ihr Tag komme, würde ich sein, wo wenige Könige und Große hinkämen.“ Als dem Parlamente diese Antwort zuging, beschloß es mit Ausnahme weniger Stimmen, daß dem todtkranken Rutherford nicht gestattet sein solle, im Collegiengebäude von St. Andrews zu sterben. „Ihr habt diesen frommen Mann aus seinem Collegium votiert,“ sagte unwillig Lord Burleigh, „aber ihr seid nicht im Stande, ihn aus dem Himmel hinauszuvotieren.“ Die Hölle sei noch zu gut für ihn, bemerkten Einige lästerlicher Weise. „Ich wünschte,“ erwiderte Burleigh, ich wäre des Himmels so gewiß; ich würde mich für glücklich halten, könnte ich nur einen Zipfel seines Gewandes ergreifen, um mich hineinschleppen zu lassen.“
Auf seinem Krankenlager beklagte er es schmerzlich, daß er verhindert worden sei, seit dem Jahre 1638 kräftiger für das Werk der Reformation zu zeugen. Am 28. Februar 1661 legte er noch ein umständliches Zeugniß gegen das sündliche Treiben jener Zeit ab, und unterschrieb es zwölf Tage vor seinem Heimgange, als er in vollem Frieden und voll Glaubens und voll Freudigkeit war. Dieses herrliche Zeugniß für die Sache der Reformation ist nach seinem Tode gedruckt erschienen.
Oft brach er auf seinem Sterbelager in ein heiliges Entzücken aus, indem er seinen herzlichgeliebten und hochgelobten Heiland seinen königlichen König nannte und laut pries. „Ich werde leuchten,“ sagte er einige Tage vor seinem Tode, „Ich werde Ihn sehen, wie Er ist, ich werde Ihn herrschen sehen und die Seinen mit ihm. Ich werde mein großes Erbtheil besitzen, und meine Augen werden meinen Heiland sehen; mit diesen meinen Augen werde ich Ihn schauen. Dies ist keine Einbildung, keine Täuschung, es ist Wahrheit. Der Name meines HErrn sei hoch erhoben, und der meine werde, wenn es ihm gefällt, zertrümmert, auf daß nur Er Alles in Allem werden möge. Sollte Er mich auch zehntausend Mal schlagen, will ich ihm doch vertrauen.“ Oft hörte man die Worte von ihm: „Dein Wort ist unsers Herzens Freude und Trost.“ (Jer. 15, 16.)
Einen Besuchenden ermahnte er dringend zu einem heiligen Wandel. „Ach,“, sagte er, „es ist nicht leicht, ein Christ zu sein, ich aber habe jetzt überwunden, und Christus streckt beide Arme aus, mich zu umfangen.“ Gegen einige Freunde äußerte er: „Im Anfange hatte ich, wie alle sündige Menschen, große Furcht, daß ich schwach werden möchte, und trug dieß dem HErrn vor; aber so wahr, wie Er je zu mir in seinem Worte sprach, so wahr wie sein Geist meinem Herzen Zeugniß gab, hat Er meine Bekümmerniß angesehen und zu mir gesagt: fürchte nichts, der Ausgang wird des Preises werth sein, laß dir an meiner Gnade genügen. Ja, ich habe wie andere Menschen gesündigt, aber Er hat mir vergeben, mich geliebt, mit seinem Blut rein gewaschen, und wird mir unaussprechliche Freude und Herrlichkeit geben.“ Als ihn mehrere Amtsbrüder besuchten, sagte er zu ihnen: „Theure Brüder, thut doch Alles für Ihn, betet für Christum, predigt für Christum, und hütet euch vor Menschengefälligkeit, die jetzt so sehr unter uns herrscht. Es mag liebe Brüder, übermüthig scheinen, wenn ich, ein Einzelner, einem Presbyterium eine solche Botschaft sende, aber da ich ein Sterbender bin, so ermahnt die Mitglieder unsers Presbyteriums in meinem Namen, daß sie doch für Gott und seine Sache auftreten, den Grundsätzen des Covenants treu bleiben und für die ihrer Hut anvertraute Herde Sorge tragen. Mögen sie dieselbe aus Liebe weiden, besuchen, predigen und katechisieren für Gott, kurz Alles für Gott thun.“
Als einige Freunde, darunter auch der gottselige Blair, dessen Herz nichts lieber als Christum preisen hörte, sich darüber äußerte, daß er über der Treue in seinem Amte so viele Leiden erfahren habe, erwiderte er: „Das Alles ist nichts. Der Hafen, nach dem ich steure, ist: Versöhnung und Vergebung durch das Blut meines Heilandes. Zwischen mir und der Auferstehung ist jetzt nichts mehr, als das: Heute sollst du mit mir im Paradiese sein!“ Unter den Besuchenden war auch Wood, ein Beschlußanhänger, sonst ein trefflicher Mann, sowie Honeyman, der später als Feind des Presbyterianismus auftrat und Bischof ward. Wood betete, aber der Kranke blieb ziemlich ungerührt, während er bei Honeyman’s Gebet weinte. Als man ihn nachher darüber fragte, äußerte er ganz bestimmt: „Wood und ich werden uns wiedersehen, wenn wir uns jetzt auch trennen. Aber ach, was den armen Honeyman betrifft, so werden wir nie in einer andern Welt zusammen kommen, das ist die Ursache, warum ich weinen mußte.“
Am Abend vor seinem Todestage bekannte er: „Ich erkenne, wie all mein Wollen und all mein Thun, so weit es aus mir gekommen, befleckt und unvollkommen gewesen ist, aber Christus ist sowohl meine Heiligung, als meine Rechtfertigung. Er ist mir von Gott gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung,“ und fügte ganz freudig hinzu: „Ja, ja, so ist es, Er ist mein Alles in Allem.“ Später brach er in die Worte aus: „O daß doch alle meine Brüder wissen möchten, welch einem HErrn ich gedient habe, und welchen Frieden ich genieße. Ich werde schlafen in Christo und werde satt werden, wenn ich erwache nach Seinem Bilde.“ Er fügte bald hinzu: „Diese Nacht wird die Thüre verschlossen werden, und mein Anker in das Inwendige des Vorhangs hineingehen. Um 5 Uhr Morgens werde ich entschlafen.“ Als er im Sterben lag, hörte man ihn ausrufen: „O nur Arme Ihn zu umarmen! O eine wohltönende Harfe her! Ich höre Ihn zu mir sagen: Komm her zu mir!“ Seine letzten Worte waren: „Gloria, Gloria, ich wohne in Immanuels Land!“
So starb er am 19. März 1661 Morgens fünf Uhr, wie er vorher gesagt hatte, dieser treue Zeuge von Geist und Kraft, um seinen Gnadenlohn zu empfangen, welcher Allen zu Theil wird, welche Christi Erscheinung lieb haben.