Johann Friedrich Lobstein

Mancher, dem die schriftstellerischen Arbeiten des nun vollendeten Pfarrer Lobstein zum Segen geworden, wünscht über den Verfasser Einiges zu erfahren. Diesen Wunsch zu befriedigen, zugleich auch, um zu zeigen, wie der Inhalt seiner Arbeiten aus tiefer Selbsterlebnis hervorgewachsen ist, dazu mag folgender kurze Lebensabriss dienen.

Zu Straßburg, den 9. Januar 1808, war Johann Friedrich Lobstein geboren, der Sohn eines Arztes. Von früher Kindheit auf nahmen die Seinen sich seiner Erziehung sorgfältig an. Besonders nahe kam er bald, durch Familienverhältnisse, seinen mütterlichen Großeltern. Hier herrschte noch die alte, gute, christliche Sitte. So ward der kleine Fritz zum Gebet angehalten und mit der heiligen Schrift und schönen Liedern, seinem Alter gemäß, vertraut. Die Lust am Lernen und am Umgang mit Büchern zeigte sich frühe, und neben dem Deutschen, das seine Muttersprache war, wurde das Französische nicht vernachlässigt. Der siebenjährige Knabe wurde einem Landgeistlichen in der Nähe der Vaterstadt übergeben, wo er einige Jahre zur Förderung seiner Kenntnisse verblieb. Hier erwachte in ihm die Freude an Dichtungen, und er selbst versuchte sich frühzeitig in allerlei Nachahmungen. Er vermaß sich sogar in größeren Versstücken und dramatischen Arbeiten.

Hier auch machte eine Begebenheit auf ihn einen Eindruck, dessen er später oft Erwähnung tat und welche wir darum anführen. Anfälle von Heimweh beschlichen ihn zuweilen; da zog er sich einst in die Scheune an ein Plätzchen zurück. Hier schüttete er sein Herz vor Gott aus und klagte ihm seine Verlassenheit, seine große Not. Unter heißen Tränen bat er Ihn, Er möchte ihm irgend ein bekanntes Wesen aus der Heimat herbeiführen, welches ihn durch sein Erscheinen tröste, erquicke. Während er so flehte, rollte ein Wagen in den Hof. Der Knabe eilte zu sehen und sah nun den Großvater und die Tante ganz unerwarteter Weise aus dem Wagen steigen. Sie kamen von Straßburg und wollten nach dem Kleinen fragen. Nun war’s ihm klar, Gott hatte ihn gehört. Tief ergriffen begab er sich, noch bevor er die ankommenden Gottesboten begrüßte, zurück an seine Gebetsstätte und dankte aus voller Seele. Später, in die Stadt zurückgekehrt, besuchte er ein Institut, damals wohlbekannt und ausgezeichnet durch dessen berühmten Vorsteher. Als er aber für die oberen Klassen sich befähigt erwies, trat er in das protestantische Gymnasium, wo er zu den besten Schülern gehörte. Die alten Sprachen, besonders aber das Griechische, beschäftigten ihn mehr und mehr. So widmete er sich denn auch vorzüglich der Philologie, als er, 17 Jahre alt, die akademischen Studien begann, ob er sich gleich zu der Theologie bekannte. Es herrschte übrigens damals an der Hochschule der Rationalismus. Er selbst urteilte später streng über diese und einige folgende Jahre, wo er, in Eitelkeit und Dünkel befangen, dem weltlichen Wesen huldigte. Er absolvierte, 21 Jahre alt, und begab sich nach Berlin. In dieser Stadt wirkten damals in ihrer schönsten Kraft Schleiermacher und Neander, die für so manchen Jüngling die Führer zur Wahrheit geworden sind. Sie sprachen jedoch Lobstein wenig an; er zog ihnen den Umgang mit den Griechen der Vergangenheit vor, in welchen ihn der berühmte Böckh, dem er sich anschloss, mehr und mehr einführte. Seine eifrige Beschäftigung mit der alten Literatur konnte ihn dennoch vor mancher trüben Stunde nicht bewahren, in welcher er in der großen Stadt sich gar einsam fühlte. Diese Empfindung war ihm desto lebendiger, als er, mit dem Bedürfnis des Umgangs, sich dennoch nicht leicht an Gefährten anschloss.

Eine schöne Reise brachte ihn nach achtmonatlichem Aufenthalt über Greifswalde, Rügen, Kopenhagen, Hamburg, Holland und Belgien nach Paris. Damals war Europa, besonders aber Paris, in voller Aufregung und allerseits traten dem Jüngling die bedeutendsten Erscheinungen entgegen. Er aber war zu sehr von sich selbst und seinen Aufgaben eingenommen, als dass ihm, was um ihn herumwogte, tiefere Eindrücke mitgeteilt hätte. In Paris selbst traf ihn, nach acht bis neun Monaten, der Ruf zur Professur der alten Sprachen an dem Lyceum zu Mühlhausen. So verließ er denn gegen Ende des Jahres 1831 die Hauptstadt, in Gesellschaft des späteren Pfarrer Verny, welcher zum Vorstand desselben Lyceums ernannt worden war. Keiner von beiden ahnte, als sie ihre Anstellungen bezogen, wie Gott noch umgestaltend eingreifen würde in ihre innern und äußern Verhältnisse.1Eduard Verny starb als Geistlicher der Pariser Gemeinde, in Straßburg 1854.

Mühlhausen, wo Lobstein von 1831 bis 1841 verblieb, sollte für ihn gleichsam eine zweite Vaterstadt werden, dadurch, dass sie die Geburtsstätte seines geistlichen Lebens ward.

Die schönen Kenntnisse, welche er sich gesammelt, befähigten ihn durchaus zu der Stellung, die er einnahm; doch eine große Reizbarkeit eignete ihn weniger zum Unterricht von Knaben des Alters, das ihm zufiel, und die Aufgabe ward noch schwieriger dadurch, dass man inmitten der industriellen Interessen den Wert der alten Sprachen bedeutend unterschätzte. Auch beschlich ihn oft jene Unruhe, von welcher Augustin sagt: „Du hast uns für Dich geschaffen und unser Herz ist unruhig, bis es in Dir ruhe.“ Nun vergrub er sich mehr und mehr in seinen Liebling, in Plato, und suchte durch lebendiges Aneignen der erhebenden Ahnungen des großen, sinnenden Griechen über die Tiefen sich hinwegzuträumen, in welchen das Sehnen aller Kreatur und die Angst nach Befreiung vom Dienst des vergänglichen Wesens unverstanden und oft quälend sich kund gab. In seinem längeren Gedicht, die platonischen Weihestunden und in der vorzüglichen Übersetzung der zweiten olympischen Ode Pindars haben wir die Frucht langer und fleißiger Arbeit aus jener Zeit.

In den Vakanzen besuchte Lobstein gewöhnlich die Seinen in der Vaterstadt und erholte sich gerne auf längeren Fußreisen. Bei einer solchen Gelegenheit, nach einem anregenden Aufenthalt Tholucks in Straßburg, ging ihm zuerst, in Gesprächen mit einem durch den Umgang und die Schriften des gläubigen Theologen ergriffenen Bekannten, die Bedeutung des Begriffs und Wesens der Sünde auf und ihre Beziehung zur Versöhnung in Christo. Von jenen Gesprächen an datierte Lobstein seine beginnende Aufmerksamkeit auf die höhere Wahrheit.

Die Jahre 1837 bis 1839 predigte und wirkte mit mannigfachem Segen ein französischer Geistlicher zu Mühlhausen; auch Lobstein gesellte sich zu dessen Zuhörern und nun geschah es, dass „der Zug des Vaters zum Sohne“ in ihm sich fühlbar machte. An einem Sonntag, wo die Predigt über 2 Kor. 4,5 gehandelt hatte, wandte sich Lobstein persönlich an den Geistlichen und begrüßte ihn mit den vielsagenden Worten: „Wie müssen Sie glücklich sein, glauben zu können!“ Von dieser Stunde an war ihr Umgang ein häufiger und immer erfolgreicher. Langsam jedoch nur und mühsam entrang sich des Ergriffenen Vernunft der rationalistischen Anschauung. Dabei leisteten ihm die Reden Vinets, welche er ernstlich las, die wesentlichsten Dienste. Er wandte auch seine Aufmerksamkeit, zuerst mit philologischen Absichten, dem Neuen Testament wieder zu. Bei der Erforschung desselben jedoch erwachte zugleich eine höhere Erkenntnis. Das Gewissen tat sich mit seinem Ernste kund; geschärft wurde dessen Macht durch die Mahnungen bald dieser, bald jener Predigt. Nach und nach übertönte die Stimme Johannis des Täufers das eitle Geschwätz und Räsonieren der wohlgefälligen, weltlichen Einbildungen; sie sprach von Sünde und Gericht, mahnte zu Buße und Sinnesänderung. Da trat die alte Welt mit dem schönen Heidentum in den Schatten, ja noch mehr, das Wesen des natürlichen Herzens, die Fleischeslust, die Augenlust, die Hoffart des Lebens ward vom Geiste Gottes aufgedeckt und gestraft. Die Worte des heiligen Gesetzes und der lockende Ruf der Gnade wirkten immer gewaltiger, bis die überwundene Seele zu den Füßen des Heilands der Sünder, und des ewigen Trösters niedersank und ihm sich hingab. Wie wohltuend wurde damals für ihn ein kleiner Kreis gläubiger Freunde, der sich ihm aufschloss und ihn treulich aufnahm. Die Stunden, wo die Paar Freunde, regelmäßig zur Betrachtung des Wortes Gottes, zum Gebet, zur traulichen Besprechung beisammen saßen, sind ihm unvergesslich geblieben und bis zu seinem Heimgang fühlte er sich in Dank und Liebe mit diesen Freunden verbunden. Sein Briefwechsel gibt davon rührende Beweise.

So war denn Lobstein für das Evangelium gewonnen. Das neue Leben wuchs und trieb. Die Einsamkeit hatte sich belebt durch die erfahrene Gegenwart Gottes im Gebet. Mit dem Licht der Wahrheit beleuchtete er sein Inneres mehr und mehr, und mit den geistlichen Waffen bekämpfte er die gebrochene Macht des alten Wesens. Wie gerne auch besuchte er nun einige arme Familien, welchen er das Evangelium vorlas; bei einer solchen Veranlassung äußerte er sich einst gegen jenen Prediger mit den Worten: „Hätte mir vor einiger Zeit jemand gesagt, ich würde in diesen feuchten Behausungen des größten Elends einst mehr Freude finden als in meinem netten Zimmer bei den schönen Büchern, nie hätte ich es geglaubt.“

Ermutigt durch seine Freunde, bestieg im Jahr 1840 Lobstein die Kanzel und predigte nun einige Mal in Mühlhausen, häufig aber in einer Nachbargemeinde. Diejenigen, welche ihn damals hörten, erinnern sich gar wohl des Ernstes und der Entschiedenheit, mit welchem er sein Zeugnis ablegte. Seine Rede war ergreifend. Die natürliche Gabe der Dichtung und das tiefere Studium der Sprache wurden nun der Wahrheit dienstbar.

Damals aber herrschte zu Mühlhausen unter dem Einfluss einiger Persönlichkeiten eine dem Evangelium entschieden feindselige Stimmung. Lobstein sollte deren Opfer werden, um so mehr als seine Gaben und sein Eifer ihn nur verhasster machten. So brachte man es dazu, dass er im Lauf des Jahres 1841 seine Professur aufgeben musste und auch bald darauf jener Nachbargemeinde, welche ihn zum Geistlichen verlangte, und an welcher er sehr hing, rundweg abgeschlagen wurde. So verließ er sein teures Mühlhausen nicht ohne Kummer; doch hatte er daselbst, wie er es oft den Freunden schrieb, einen überschwänglichen Trost gefunden. Aus den harten Prüfungen ging er mutig hervor und, entschieden für das Predigtamt, ließ er sich in seiner Vaterstadt dazu weihen. Ein Vorfall aus jener Zeit mag beweisen, wie er fertig war mit seiner Vergangenheit und welche große Umwälzung in ihm sich vollendet hatte.

Eine auserlesene Bibliothek hatte er sich im Verlauf der Jahre gesammelt; an ihr fand er lange sein größtes Wohlgefallen. Diese verkaufte er nun, sich beschränkend auf die Bibel und die Bibel erklärenden Werke. Gebet, Betrachtung des Wortes Gottes, Predigen und ein wohltätiger Umgang mit verwandten Seelen füllten die Monate aus, welche er meistens bei den Seinen zubrachte, bis ihm ein neuer Wirkungskreis eröffnet wurde.

Ende April 1842 begab er sich nach Freiburg in der Schweiz, wo er bis Oktober desselben Jahres den Geistlichen ersetzte. Er arbeitete da mit rechter Freudigkeit und wäre wohl auch in der Stelle geblieben, wenn seine deutsche Predigt den Landbewohnern verständlicher gewesen wäre.

Was überhaupt einem Jeden so schwer fällt, was aber besonders dem ungeduldigeren, leicht erregbaren Gemüt Lobsteins unerträglich sein musste, ward nun reichlich über ihn verhängt. Er sollte warten lernen. Beinah ein ganzes Jahr floss hin, ohne dass sein Wünsch, eine Pfarrstelle zu erhalten, sich erfüllte. Zwar predigte er oft und manche Aussicht hatte sich auf Wochen eröffnet, doch auch wieder erfolglos. Freilich für jede Gemeinde fühlte sich Lobstein nicht gleich tüchtig. So geschah es, dass er zuletzt den Ruf zum Geistlichen der freien deutsch-reformirten Gemeinde in Odessa (Russland) annahm, wo er vom Oktober 1843 an sich aufhielt. Dieser Posten hatte große Schwierigkeiten für ihn. Sie erwuchsen teils aus der streng reformirten Richtung einer Anzahl der Gemeindeglieder, teils aus den entgegengesetzten Klassen der Gesellschaft, aus welchen die Zuhörer bestanden. Doch fand er in der Folge an mancher Seele eine süße Erquickung in der Offenbarung der seligmachenden Kraft des Evangeliums, und auf seinem Sterbebette erfreute ihn auch der Gedanke, dass er diese und jene Seele bei seinem Herrn finden würde, welchem er sie damals zuführen durfte.

In Odessa, wohin ihm 1844 seine Verlobte gefolgt war, gründete er seine Familie, und da ward ihm sein erstes Kind geboren.

Immer reger jedoch ward der Wunsch, in die Heimat zurückzukehren, da die besagten Schwierigkeiten sich nicht lösen wollten und das warme, weiche Klima der Gesundheit seiner Gattin nachteilig wurde. Als sich denn endlich einige Aussicht auftat, gab er seine Entlassung und reiste, nach langen Mühseligkeiten, im Oktober 1848 mit Frau und Kind zurück. Hier nun begann eine neue Wartezeit von einem halben Jahr. Wie schwer war sie ihm! Im Juni 1849 übernahm er den Posten als Geistlicher der unter Katholiken weithin zerstreuten Protestanten des Departements der Vogesen, und bezog Epinal. Bis 1852 im September bekleidete er diese Stelle, wo er hin und her pilgerte, auf Entdeckung seiner Glaubensgenossen ausgehend, die Erkalteten anfeuernd und selbst angefeuert durch einen segensreichen Umgang. Hier, wo er beinah ausschließlich französisch predigte, übergab er sein erstes Büchlein der Öffentlichkeit. Er war von christlichen Freunden dazu aufgefordert worden und gab ihren Wünschen Gehör, obgleich er mehr, wie irgend jemand, das Mangelhafte seiner Leistungen einsah und hervorhob.

Im September 1852 vertauschte er Epinal gegen Genf, wo er als Professor der neutestamentlichen Exegese an der theologischen Schule angestellt wurde. Aus seiner Einsamkeit sah er sich nun plötzlich in einen Herd evangelischer Bewegung versetzt und von tätigen, erprobten Glaubensgenossen rings umgeben, mit welchen er sich in herzlichem Einverständnis fühlte. Hier genoss er viele Freundschaft und Bruderliebe: sie war ihm reiche Entschädigung für manche lange Entbehrung. Seine Vorlesungen jedoch, welche mehr den erbaulichen als den belehrenden Charakter hatten, waren von den Studierenden weniger geliebt als seine Predigten von seinen Zuhörern. Erstere wurden nach einiger Zeit aufgegeben und nun trug man sich mit dem Gedanken, Lobstein zum Prediger an der freien Kirche zu ernennen. Da erging von der französischen Gemeinde in Basel ein Ruf an ihn. Nicht ohne einiges Widerstreben entschloss sich Lobstein, die schöne Stadt und den lieblichen Kreis zu verlassen, mit welchem er in innigem Verkehr blieb und der nach seinem Heimgang seine tätige Sorge auf die hinterlassene Familie noch ausgedehnt hat. Er traf im Juli 1853 in Basel ein, wo er, bis zu seiner Übersiedelung in die ewigen Wohnungen, mit möglicher Treue und jedenfalls mit wachsender Freudigkeit arbeitete.

Unterdessen hatte sich seine Familie vermehrt und manche häusliche Prüfung war über ihn gekommen. Zwei Kinder waren ihm wieder abgefordert worden und seine Gattin hatte Zeiten der Kränklichkeit durchgemacht. In Genf hatte eine Feuersbrunst, wobei er selbst große Gefahr gelaufen, einen Teil seines Eigentums zerstört und manches Provisorische in der äußern Stellung hatte, Sorgen erweckend, Monate angedauert. Doch durch Alles hatte der Herr freundlich durchgeholfen und stets hatten Sein Wort und die Macht des Gebetes die Oberhand behalten.

Die ruhigste Zeit seines Lebens war Lobstein in Basel geworden. Es knüpften sich da, auf dem lieblichen Grund der Genfer Eindrücke, ähnliche Beziehungen und die neue Tätigkeit entsprach ganz den Wünschen. Außer der Predigt und den Pfarrfunktionen beschäftigten ihn die seit Epinal fortgesetzten Veröffentlichungen, auf welchen ein merklicher Segen lag und die mit Anerkennung und Dank aufgenommen wurden. Die Zahl derselben ist ziemlich angewachsen und nachdem Lobstein sich bloß in französischer Sprache versucht hatte, gab er seine letzte Arbeit in der ihm immer teuern Muttersprache heraus.

Über seine letzte Zeit schrieb er, einige Wochen vor seinem Heimgang, und weit entfernt davon, diesen zu ahnen: „Ich kann sagen, dass diese gegenwärtige Zeit die glücklichste meines Lebens ist. Wir können nur loben und danken, nach einem so ernsten und mörderischen Jahr, und wollen uns einen recht freudigen Glauben anschaffen, damit wir auch dieses Jahr zum voraus ein Segensjahr nennen können.“ Aus diesen glücklichen Verhältnissen wurde er nun schnell herausgenommen und in die Hütten des himmlischen Vaters verpflanzt. Da sein Ende manchem Gemüt einen Eindruck hinterlassen, so möchte einiges davon erwähnenswert scheinen.

Den 12. Januar predigte Lobstein noch über die Worte: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“ (Jes. 54,10.) Den zweiten Morgen. darauf erwachte er unter heftigen Brustschmerzen und Beklemmungen und die Seele voll trüber Todesahnungen: seine ersten Worte handelten von seinem wahrscheinlichen Ende. Den körperlichen Leiden gesellte sich geistige Unruhe und innere Dunkelheit bei, welche vier Tage, bis zur Nacht vom Samstag auf den Sonntag andauerte. Er selbst sagte letztern Tag: „Ich hatte viele Kämpfe in diesen letzten Tagen, da wählte M. (welcher diese Nacht bei ihm wachte) beim Lesen der Psalmen den 20ten; den hatte mir Herr M. als Losung bei meiner Abreise nach Basel mitgegeben; nun schwanden sogleich meine Kämpfe. Die Lieben von Genf!“ Von Dankbarkeit und Liebe, von der seligen Gewissheit der zukünftigen Freuden floss nun seine Seele über. Diese Gefühle kleideten sich am liebsten in Worte der h. Schrift, welche er sich so lang und treu angeeignet hatte. „Mich dürstet nach dem Wasser, von dem der Herr sagt: Wer das Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten,“ so sprach er zu dem Freund, der ihm die Erfrischung reichte. Der letzte Sonntag und Montag, welche er hienieden verlebte, waren besonders lieblich. Seiner nahen Auflösung in sich selbst gewiss, verfasste er am Morgen jenes Tages den Abschied an seine Gemeinde, welcher ihr auch verlesen wurde. Vor einigen Gliedern derselben, welche ihn besuchten, äußerte er seine Freude über den bevorstehenden Heimgang und wechselte mit ihnen freundliche Worte. Ja, dem Einen sagte er: „Ich werde zwar nicht aus dem Gesangbuch singen, an dem wir so fleißig gearbeitet haben, aber im Himmel werden wir zusammen singen.“ Er hatte großen Frieden. „Ich hätte nie gedacht, sagte er, dass ich einen siegbewussten Tod haben würde. Wohl gehe ich durch die Stufen des Sterbens, doch der Herr führt mich sachte von der einen zur andern. Der Gesichtskreis dehnt sich aus, mehr und mehr; man kommt in ein lichtvolles Land, ein himmlisches Italien. Jetzt verstehe ich die Stelle: „Dies Verwesliche muss anziehen das Unverwesliche und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit:“ Der Heiland entzieht mich dem Verweslichen, mir ist’s, als wäre ich schon im Unverweslichen. Das Gebet wird ein anderes; es wird ein leidendes; man empfängt bloß; das gewöhnliche Gebet ist schon ein zu langsames Verkehrsmittel mit dem Heiland; nun ist der Umgang unmittelbar und bleibend.“ Solche Worte sprach er mit Unterbrechungen und sehr ruhig. Wie dankend äußerte er sich über seine Gemeinde, die christlichen Freunde nah und fern!

Auch von seinen nächsten Anverwandten waren zu seiner Freude einige herbeigeeilt. Die Schmerzen wurden sehr empfindlich, da sagte er wohl auch: „traurig, aber allezeit fröhlich; sterbend und siehe, wir leben.“ Sehr gestärkt fühlte er sich immer durch Vorlesen der H. Schrift und Gebet. Oft wiederholte er: „Es sind deren viel mehr für uns, als wider uns.“ „Der Teufel hat keine Macht über die Kinder Gottes, er plagt sie nur.“ Als beim Anbruch des Montags, auf die Frage nach der Uhr, ein Freund zu ihm sagte: „Es bricht vielleicht Ihr schönster Tag an,“ so erwiderte er: „In der Tat, es wird keine Nacht da sein und nicht bedürfen einer Leuchte noch des Lichts der Sonne; denn Gott der Herr wird sie erleuchten, und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ (Offenb. 22,5.) Im Lauf eben dieses Tages sah er noch mehrere Freunde. Zu dem Einen sagte er: „Als Sie neulich ausgeführt haben, dass unsere Vereinigung mit Christo nicht bloß eine moralische, sondern eine metaphysische sei, eine Wesensumwandlung, dem geb‘ ich mit beiden Händen meine Zustimmung. Ich erfahre schon etwas davon.“ Ein andermal: „Man dringt in das Privatleben des Herrn, in eine Welt, wo man angesehen ist; da sind die dienstbaren Geister, ausgesandt zum Dienste, um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit.“ (Hebr. 1,14.) – „Wahrlich, der Tag des Todes ist besser, denn der Tag der Geburt.“ (Prediger 1,2.) Oft hörte man ihn die Worte wiederholen: „Die Rechte des Herrn behält den Sieg.“

Nach diesen trostreichen Tagen, wo sich die Macht des innern Lebens auf eine so klare Weise kund gegeben, und den Todkranken über alle Anfechtungen und Sorgen erhob, und nachdem er Abschied genommen von seinen Geliebten, die er zuversichtsvoll den Händen seines Erlösers überließ, stellten sich noch einige Tage ein, welche den Umgebenden schwer werden mussten. Die Krankheit gestaltete sich vollständig in ein Nervenfieber um und es trat ein beinahe anhaltendes Delirium ein, welches freilich immerfort auf dem geistlichen Gebiet sich bewegte und worin er sich oft mit großer Schärfe über sich und seine Leistungen vernehmen ließ. Zuweilen wurde er sich seines Zustandes und seiner Umgebung bewusst. So zogen sich die letzten Tage hin, während welcher die Ärzte noch allerlei Mittel fruchtlos versuchten. Freitag Morgen um 210 Uhr entschlief er, umgeben von den Seinigen und den nächsten Freunden, nachdem er noch um 6 Uhr Zeichen des Bewusstseins gegeben hatte. Sonntags darauf wurde er beerdigt. Sein Amtsgenosse und Freund wandte auf ihn die Worte aus Josua 1,2 an: „Moses, mein Knecht, ist gestorben.“ Für die Feierlichkeit hatte Lobstein selbst einige Tage vor seinem Ende die Worte bezeichnet: „Es müsse Frieden sein inwendig deinen Mauern und Glück in deinen Palästen.“ (Psalm 122,7.)

Wir schließen mit den Ausdrücken, welche Pfarrer Kramer gebraucht: „Erzählte ich alle Erfahrungen, welche der Sterbende noch durchlebt hat, so wäre es für manchen, als redete ich von den Höhen unsrer Alpen, von der Aussicht, welche sie erschließen und von der Luft, welche man da einatmet, zu irgend einem Fremden, der nie aus dem dichten und schweren Dunstkreis der Ebene gekommen wäre.“

Diese Erfahrungen aber hatte der Hingeschiedene darum gemacht, weil er gewiss war, dass „weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes ihn scheiden mochte von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, seinem Herrn.“ Denn „da er gewandelt hatte nach dem Lauf dieser Welt und den Willen des Fleisches tat und der Vernunft, hat Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, durch seine große Liebe ihn lebendig gemacht samt Christo und ihn samt Ihm in das himmlische Wesen gesetzt. Dasselbige ist Gottes Gabe.“