Martin Bucer

Martin Bucer

Martin Kuhhorn, der sich Bucerus nannte, stammte aus Schlettstadt im Elsass, wo er 1491 geboren wurde und schon im fünfzehnten Jahre sich für den Predigerorden der Dominikaner bestimmte. Auf der Universität Heidelberg wurde auch er ein beredter Humanist, und durch seines Gönners Franz von Sickingen Empfehlung daselbst Hofprediger des Kurfürsten von der Pfalz. Seiner lutherischen Ansichten wegen musste er aber wieder zu Sickingen flüchten, und fand im Jahre 1523 eine bedeutende Stellung als Prediger in Strassburg.

Von jetzt an stieg sein Ansehen im südwestlichen Deutschland in’s Grosse. Er war es, der für die vier Reichsstädte, Strassburg, Konstanz, Lindau, und Memmingen, ein eigenes Glaubensbekenntniss, die Confessio Tetrapolitana, verfasste. Begabt mit vorzüglicher wissenschaftlicher Bildung, nach evangelischem Frieden sich sehnend, suchte er die streitenden Parteien zu vermitteln und nahm den thätigsten Antheil an allen Religionsgesprächen zu Marburg, Köln, Augsburg, Regensburg u. s. w. Allein wenn er nicht einmal Luther und Zwingli versöhnen konnte, gelang ihm noch weniger seine Vermittlung zwischen den Anhängern der alten und neuen Lehre. Endlich erlebte er die Freude, dass 1536 wenigstens die Wittenberger Concordienformel zum Abschluss kam. Auch im Erzstift Köln streute er protestantischen Samen aus.

Da er das Interim nicht unterschreiben wollte, ging er auf Einladung des Erzbischofs Cranmer nach England. Dort wirkte er noch zwei Jahre als Erklärer des neuen Testaments auf der Universität zu Cambridge und starb dort 1551, wie man sagte, an Gift. Die englische Universität ehrte den Deutschen durch zweitägige Leichenfeier.

Historische und biographische Erläuterungen zu
Wilhelm von Kaulbach's
Zeitalter der Reformation
von Franz Löher
Stuttgart
Verlag von Friedrich Bruckmann
1863
Martin Bucer

Martin Bucer

Es ist eine schwierige Aufgabe, das reiche Leben eines großen Mannes in einen engen Rahmen zusammenzufassen. Man kann da Manches nur andeuten und thut leicht zu viel oder zu wenig. Darum fühlen wir uns gedrungen die Nachsicht des Lesers in Anspruch zu nehmen bei gegenwärtiger Darstellung. Butzer hat noch kein seiner würdiges Denkmal gefunden und doch ist das Material reichlich vorhanden und zudem ward er, von unten herauf sich arbeitend und in die Weite wirkend, das unbestrittene Haupt der oberdeutschen Reformation, der Ordner und Rathgeber zahlreicher evangelischer Gemeinden, der Vermittler zwischen den sich abstoßenden Principien der Schweiz und Sachsens. Er war ein Mann, der seine Zeit und die Zukunft wie sonst kaum Einer seiner Zeitgenossen begriff. Als ein Mann der Zukunft, als eine Stimme aus den kommenden Jahrhunderten und darum oft ein Prediger in der Wüste, hatte er seine Zeitgenossen, auch die gerühmtesten, in mancher Hinsicht überschaut, aber dafür auch, wie es hier unten zu gehn pflegt, viel Trübsal von Freunden und Feinden zu tragen und fand den Frieden erst im fremden Lande, das ihn zur ewigen Heimath brachte. Das Charakterbild Butzers ist eins der edelsten der so reichen Reformationszeit. Unerschütterlich stand er auf dem Einen Grunde, der gelegt ist, und hat seiner selbst nicht geschont, stets bereit zu helfen, gelehrt und klug, streng gegen sich selber, milde und freundlich, aber wo es Noth that, ist er aufgefahren wie ein Löwe und doch war er ein Friedensbote in sturmvoller Zeit und schmiegsam, sanft wie ein Lamm. Die Wenigsten seiner Zeit, und auch der Nachzeit haben ihn begriffen.

Zu Schlettstadt, der elsässischen Reichsstadt, ward Butzer am 11. November, dem Martinstag 1491 geboren und erhielt in der heiligen Taufe seinen Beinamen von dem Heiligen des Tages, Martinus. Sein Vater Nicolaus Butzer war ein Kübler, seine Mutter Eva, eine Hebamme; schlichte Bürgersleute, die im Hause der Großeltern, am Markt, wohnten und die „aller Zucht und Frommheit wegen berühmt gewesen.“ Später erst (1508) siedelten sich die Eltern in Straßburg an. Nach dem früh erfolgten Tode der Mutter nahm sich der andere Großvater, ebenfalls Claus genannt, des jungen Martins treulich an, besorgte seine Erziehung und schickte ihn in die damals zu Schlettstadt blühende Schule, unter Meister Crato Hofmann und seit 1501 unter Hieronymus Gebwiler. Diese Bildungsanstalt, die Pflanzschule vieler ausgezeichneter Männer, ward auch für den jungen Butzer das erste Anregungsmittel zum höhern geistigen Leben.

Seine Lernbegierde und sein von Jugend auf gewöhnter frommer Sinn trieb ihn zum Klosterleben, denn man hatte dem Knaben vorgesagt, daß er nur im Kloster zur vollen Genüge seinen Studien obliegen könnte. Er trat also in seinem 15. Jahr (1506) in das Dominikanerkloster zu Schlettstadt ein. Aber wie bald ward er enttäuscht! Die Klosterbrüder bemerkten eifersüchtig seine Fortschritte und nahmen ihm seine mühsam zusammengebrachten, lateinischen Bücher weg. „Von dem Leben, sagt Butzer, das ich bei ihnen gelehrt worden bin, sag ich nit mehr, denn Gott erbarme sich über sie und mich, verzeihe uns und lehre uns ein besseres. Wie wohl ohne Ruhm gemeldet, ich mit denen gezählt ward, so eines förmlichern (regelmäßigern) Lebens geachtet waren, daß sie mir selbst noch Zeugniß geben zu Heidelberg, und wo ich bei ihnen gewohnt habe. Darum bin ich aber nit desto besser, und gar nichts gerechtfertigt.“

Dessen ungeachtet wußten die Klosteroberen die Fähigkeiten und den Eifer des jungen Mönchs zu schätzen. Er wurde Lector (Lehrer der jungen Mönche); später sandten sie ihn, zu weiterer Ausbildung, auswärts nach Mainz und Heidelberg und vertrauten ihm eine bedeutende Zahl der dem Schlettstädter Kloster gehörigen Bücher an. In Heidelberg wurde Butzer „Baccalaureus der Theologie und Meister der Studenten.“ Hier lernte er vornehmlich die heilige Schrift kennen, aber dabei ward er genöthigt „den Thomas von Mossenburg, den Meister von den hohen Sinnen, (Thomas Aquinas) zu verzehren.“ Dabei sagt Butzer, neben der göttlichen Schrift, „die ich mit bestem Fleiß, als ich dazumal macht las, den jüngern Brüdern, die bei ihren nit vielen Antrieb nichts lernten, etwas dienstlich zu lateinischer und griechischer Sprach lehren sollt, da war kein größrer Uebelthäter im Tiden, denn ich, und so andere gefolgt hält den elenden Feind Christi, Jakob Hochstraten, ketzerischen Meister zu Cöln, mit seinem Anhang Cunz Knöllin von Ulm und dergleichen der Nunnen Möstling, so hätte man mir nit allein das Lesen gar verbotten, sondern auch aller Ehren und Grad bei ihnen entsetzet und vielleicht noch anders mit mir umgangen, fürnehmlich da sie inne worden, daß ich mit etlichen gelehrten Leuten Kundschaft hält. Dann ich acht daß kaum ein ander Münchsekten sey, die gelehrten Leuten so heftig zuwider sey und allweg gewesen, als die Predigermünch.“ In der That verklagte Hochstraten unseren Butzer bei dem päpstlichen Legaten, der zu Worms beim Kaiser sich befand, um Weihnachten 1520, auch bemühte sich der geistliche Vater, „den man zu Straßburg Doctor Jesus genannt hat, mich in große Gefahr zu bringen.“

Unterdessen hatte sich Butzer die folgerichtige Freundschaft zum Theil schon von der Schule her gewonnen. Unter ihnen stand oben an der Landsmann Beatus Rhenanus, der berühmte Gelehrte und Freund des Erasmus, mit welchem er in fleißigem Briefwechsel stand. Mit Luther selber kam unser Butzer im April 1518 zu Heidelberg zusammen und er erzählt diesen für sein Leben entscheidenden Moment in einem Brief an Beatus Rhenanus. Auch mit Zwingli, Spalatin, Capito, Ulrich von Hutten u. A. stand Butzer damals in Briefwechsel, aus welchem hervorgeht, wie unleidlich ihm das Klosterleben ward, mit seiner Engherzigkeit und seinem Aberglauben, und wie er sich sehnte nach dem Licht des Evangeliums, denn für Butzer war der Humanismus Huttens und Anderer blos eine kurze Uebergangsperiode, durch die er zum Glauben an das Evangelium gelangte. Luther hatte in Heidelberg seine Seele gewonnen, in der ein tiefes Glaubensbedürfniß wohnte. Laut hatte er seine Freude an Luthers Lehre ausgesprochen und dieselbe zu Frankfurt am Main 1520 gegen Cochläus vertheidigt. Schwere Gefahr schwebte deshalb über dem jungen Mönch.

Da riethen ihm wohlmeinende und vielvermögende Freunde „gelehrte fromme Männer und in ganz Deutschland bei allen redlichen Leuten hochberühmt“, aus dem Orden der Dominikaner zu treten und in der That erhielt Butzer durch die Verwendung mächtiger Freunde, eine officielle Entlassung durch den Weihbischof von Speier Anton Engelbrecht und auf Befehl des Papstes. Diese Urkunde ist datirt Bruchsal den 29. April 1521, sie entbindet ihn von der Ordensregel, weil er durch Furcht und Gewalt als fünfzehnjähriger Jüngling zum Eintritt gezwungen worden, und erklärt ihn für einen weltlichen Priester.

Damals war der Name des Ritters Franz von Sickingen hochberühmt, weit über die Rheinlande hinaus; er galt als Vorkämpfer der politischen und religiösen Freiheit und seine Ebernburg war die „Herberg der Gerechtigkeit“ genannt. Dorthin wandte sich Butzer im März 1521.

Als Luther im April 1521 nach dem Reichstag zu Worms reiste, sandte ihm Sickingen, auf den Vorschlag des Churfürsten von Mainz, unsern Butzer entgegen, um denselben einzuladen zu einem Besuch auf der Ebernburg: man wollte Lutherum im Beiseyn mehrerer Gelehrten, unter andern des kaiserlichen Beichtvaters Glapio, prüfen, welches denn eigentlich seine Absicht sey, und ihn zur Sanftmuth und Vorsicht ermahnen. Luther nahm zwar diese Einladung nicht an, sandte aber einige Wochen später, von der Wartburg aus, eine Empfehlung zu Gunsten Butzers an Sickingen.

Auf der Ebernburg traf er Geistesbrüder wie Oecolampadius, Joh. Schwebel, Adler u. A. Ein evangelischer, deutscher Gottesdienst wurde hier eingerichtet, auch Butzer nahm daran thätigen Antheil. Auf Sickingens Empfehlung wurde Butzer, im Frühling des Jahres 1522, Hofprediger (Kaplan) bei dem Pfalzgrafen Friedrich, aber das Hofleben, der Mangel an gleichgesinnten Umgebungen und, da der Pfalzgraf ein Dienstmann des Kaisers war, der ihm aufgelegte Gewissenszwang, dieses Alles bewog ihn solche Stelle bald wieder abzugeben. Er kehrte im Mai 1522 zu Sickingen zurück und wurde von diesem als evangelischer Pfarrer zu Lahnstall angestellt. Hier heirathete Butzer.

Aber schon nach fünf Monaten mußte er auch diese Stelle wieder verlassen, wegen der Fehde des Pfälzer Churfürsten und seiner Verbündeten gegen Sickingen. Butzer gedachte nach Wittenberg zu reisen, wo damals ein ungeheurer Zusammenfluß von lernbegierigen Männern war; er wollte des persönlichen Umgangs mit Luther sich erfreuen und sich daran erbauen, denn von Heidelberg her kannte er diesen. Aber die damals ausgebrochene Sickingische Fehde vernichtete diesen Plan, wie weh es auch unserm Butzer that. Der heimathlose Mann folgte endlich dem Ruf des evangelisch gesinnten Pfarrer, Heinrich Motherer, zu Weissenburg, der elsässischen Reichsstadt, im November 1522. Butzer wurde Hilfsprediger in der Kirche St. Johann daselbst. Außer seinem nicht geringen natürlichen Talent (vox grandis et canora), eignete sich Butzer ganz vorzüglich zum Prediger durch seine Kenntniß der Bibel, des christlichen Alterthums und des menschlichen Herzens; auch hatte er als Predigermönch sein Talent in dieser Art der geistlichen Wirksamkeit vielfach geübt und dazu kam vor Allem die Wärme und Innigkeit seiner evangelischen Ueberzeugung. Butzer führte sein Amt mit großem Beifall und der Magistrat, wie das Volk, hingen ihm an. Aber die Baarfüßer- und Dominikanermönche zu Weissenburg schalten ihn einen Ketzer und suchten auf alle mögliche Weise ihn bei dem Volke zu verunglimpfen. Butzer erbot sich wiederholt zur Verantwortung, ja er sagte auf der Kanzel, wenn seine Lehre gegen die heilige Schrift sey, so möge man ihn, einem alten Gesetz zufolge (5 B. Mos. 8) steinigen; er begab sich sogar einst in Begleitung einiger Rathsherren und Bürger in das Baarfüßerkloster und stellte den Mönchen das Begehren, sie sollten ihm aus der heiligen Schrift beweisen, daß er irre. Aber die Mönche ließen sich nirgends finden und wichen stets zurück. Da Butzer auf keine andere Weise Genugthuung erlangen konnte, verfaßte er sechs Artikel, deren Inhalt war: daß Christus allein unser Meister, dem alle gehorchen sollen; daß das Christenwesen bestehe im Glauben und in Liebe zu Gott und nit in äußerlichen Dingen; mit Menschensatzungen dient man Gott vergeblich; alle Gewalt in der christlichen Gemeine ist nur zur Besserung gegeben, was nicht dazu dient, ist ohne Nutzen. Diese Sätze schlug Butzer in der Johanniskirche an und sandte sie in das Baarfüßerkloster, ob jemand Lust habe dieselben auf Grund der heiligen Schrift anzugreifen. Auf Mittwoch nach Ostern 1523 um 12 Uhr waren die Kampflustigen in die Johanniskirche eingeladen. Niemand zeigte sich, selbst nach mehrwöchentlicher Frist. Aber unterdessen ward Butzer von den Mönchen bei dem Bischof von Speyer verklagt und dieser sprach den Bann über ihn und Motherer aus. Mittlerweile rückte der Sickingische Krieg näher heran gegen die Stadt Weissenburg, welche sollte belagert werden; und der Magistrat, der die Macht nicht hatte Butzern zu schützen, sprach den Wunsch aus, er möge sich auf einige Zeit von Weissenburg entfernen. Der Anfang der Belagerung war schon gemacht.

Butzer entkam mit seiner Gattin, unter mancher Gefahr, und wandte sich nach Straßburg, wo sein Vater, Claus Butzer, ein Kübler, von Schlettstadt, seit 1508 eingebürgert war. Es war um Pfingsten 1523 als Butzer hier, in seiner zweiten Vaterstadt anlangte, arm und von allen Existenzmitteln entblößt, ein verlassener Flüchtling.

Aber damals hatte in Straßburg der evangelische Glauben bereits einen starken Anhang unter den Bürgern und das Ehepaar Butzer fand freundliche Aufnahme in dem gastlichen Pfarrhaus des ehrwürdigen Matthäus Zell, des ersten evangelischen Pfarrers, am Münster zu Straßburg.

Hier trat Butzer in eine ihm ganz neue Sphäre ein; evangelische Freunde waren es, die hier ihn umgaben und sich mit ihm, dem Manne reichen Wissens und lebendigen Glaubens befreundeten. Capito, Theobald Schlatz, Nicolaus Gerbel, Symphorian Pollio und die Rathsherren Jakob Sturm, Kinels, Röder u. A.

Butzer predigte in dem Münster, abwechselnd mit Zell; aber weil das Domcapitel ihm dieses nicht ferner gestatten wollte, da er verehelicht war, so fing er lateinische Vorlesungen über die Briefe an Timotheus an, für die Studirenden und die Geistlichen. Dennoch fühlte er sich unbehaglich in dieser zweifelhaften Lage und er bat Zwingli, ihm in Zürich für eine festere Stellung besorgt zu seyn.

Unterdessen predigte er im Münster unter großem Zulauf und, weil die Domherren hartnäckig die officielle, alte Münsterkanzel verschlossen hielten, so brachten die Schreiner aus der nahegelegenen Kurbengasse jedesmal einen hölzernen Lehrstuhl herbei, wie sie auch für Zell thaten. Abwechselnd predigten Beide. Der Bischof von Straßburg begehrte zwar bei dem Magistrat, daß er dem, schon von dem Bischof zu Speyer gebannten, verheiratheten Priester Butzer das Geleit abbürde, damit das bischöfliche Gericht, als mit einem Trünnigen. mit ihm handeln könne. Aber Butzer reichte seine schriftliche „Verantwortung an E. E. Rath seiner Person halb“ ein, in welcher er seine Freude ausspricht darüber, daß ihm Gelegenheit gegeben sey sich seiner Lehre und seines Lebens halben zu verantworten und bezeugt, daß er sich in den Tod geben wolle, wo erfunden würde, daß er Etwas lehre, das nicht in der heiligen Schrift gegründet sey, den Glauben nicht mehre, die Liebe nicht entzünde und Friede, Gehorsam und Unterthänigkeit pflanze, er habe Niemanden all sein Tag mit Wissen ein Aergerniß gegeben und bitte den Magistrat, als ein Bürgerssohn und als ein vertriebener Christ, um Schutz und um das Bürgerrecht. Seine Ehe, welche der Bischof ihm zum Hauptverbrechen gemacht hatte, erbietet er sich, aus der göttlichen Schrift zu rechtfertigen; er habe dieselbe auch nicht verbergen wollen, denn was recht ist, scheuet das Licht nicht. Zwar wisse er wohl, daß er mit diesem entscheidenden Schritt alle Vorrechte und Pfründen des geistlichen Standes verwirkt habe, deshalb begehre er auch, in allen Stücken wie ein Lai, die Obrigkeit zu erkennen und ihr Gehorsam zu leisten in Betreff Leibs und Guts, begehr auch keine Pfründ; Gott, der auch die Vögel speiset, werde das Zeitliche ihn wohl finden lassen.„ Aber dabei hofft Butzer auch, „daß die gemeine Freiheit aller Menschen, nämlich die, seinen Nächsten mit dem, was man gelernt hat, zu dienen und davon seine Nahrung zu haben, ihm nicht werde genommen werden.“ Butzers Vater, ein zu Straßburg seit 1508 eingebürgerter Kübler, begleitete diese Verantwortung mit einem Empfehlungsschreiben für seinen Sohn, dessen Ansuchen genehmigt wurde (Donnerstag post Matthaei 1524). Jeder neu eintretende Bürger, auch die Geistlichen, welche das Bürgerrecht erlangt, mußte einer der Zünfte, in welche die Bürgerschaft der Stadt Straßburg getheilt war, sich anschließen. Butzer wählte die Gärtnerzunft. Unter Gärtnern versteht man von Altersher in Straßburg den Ackerbauenden und Gemüse pflanzenden zahlreichen Theil der Bevölkerung, welcher sich wohl von den Gärtnern (Kunst- und Blumengärtnern) unterscheidet. Die evangelische Predigt, welche Matthäus Zell im Münster begann, hatte den beinahe ungetheilten Beifall der Bürgerschaft der freien Reichsstadt erhalten, aber die Gärtnerzunft war die allereifrigste; mit Einwilligung des Magistrats setzte sie nach Ostern 1524 Butzer als Pfarrer in ihrer Pfarrkirche zu St. Aurelien ein. Bis zum Jahr 1531 behielt er diese Stelle und entwickelte in derselben eine umfassende geistige Thätigkeit. Es mochte ihm oft schwer werden seine Aureliengemeinde in Ordnung zu erhalten während der unruhvollen Zeit des Bauernkriegs. Aber er hat sich das Vertrauen des Volks zu erwerben gewußt und er wurde sogar von den empörten Bauern, nebst Zell und Andern, als Schiedsrichter erwählt, ja er durfte es wagen, ihnen ihr Unrecht vorzuhalten. Seine ausgebreiteten Kenntnisse, sein scharfer, durchdringender Verstand, sein ruhiger, milder und versöhnlicher Sinn und dabei seine feste christliche Ueberzeugung, verschafften ihm Achtung bei dem Magistrat und der Bürgerschaft nicht blos, sondern auch auswärts. Nicht leicht wurde schon damals etwas Wichtiges in geistlichen Dingen unternommen, wozu nicht Butzer seinen Rath gegeben.

Schon gleich nach seiner Ankunft in Straßburg 1523 hatte Butzer eine Schrift herausgegeben, welche den Gedanken seines ganzen Lebens und Wirkens ausspricht. Ihr zusammenfassender Titel lautet: „Daß ihm selbst Niemand, sondern Andern leben soll und wie der Mensch dahin kommen mög.“ Er faßt den Zweck des Lebens von seiner praktischen Seite auf und schildert „den Stand der Vollkommenheit“, der uns auf Erden zu erreichen möglich ist „als ein arbeitsames eingezogenes, gemeinnütziges Leben, frei von aller Selbstsucht, voll herzlicher Nächstenliebe mit steter Sorge für unser eigenes zeitliche und ewige Wohl. Die Quelle davon ist der Glaube an Jesum Christum.

Auch als Pfarrer zu St. Aurelien fuhr Butzer fort, Vorlesungen über einzelne biblische Bücher zu halten für die Gebildeten und die Studirenden; er las über den Brief an die Römer, die Psalmen, über einige Propheten. Auch die Polemik konnte nicht ermangeln zu einer Zeit, wo die Klöster in Straßburg noch nicht aufgehoben waren. Butzer vertheidigte mit seinen Collegen den evangelischen Glauben gegen die Schleichwege und Sophismen des Augustiner-Provinzials Conrad Treger und des Baarfüßermönchs Thomas Murner.

Aber weit wichtiger war der, durch Dr. Andreas Carlstadts Ankunft in Straßburg 1524, auch unter das hiesige Volk gebrachte Streit über die Bedeutung der Einsetzungsworte des heiligen Abendmahls. Die straßburgischen Theologen, und an ihrer Spitze Butzer, gingen dabei ihren eigenen Weg. Sie lehrten, daß das Sacrament nur in so fern Werth habe, als es sittliche Besserung bewirke; keine übernatürliche Gnadenwirkungen seyen davon zu erwarten. Von solch‘ praktischer Seite her standen die straßburgischen Reformatoren und so auch Butzer, den Schweizern näher als den Sachsen.

Schon im November 1524 schrieben die Prediger von Straßburg an Dr. Luther, um sich über Carlstadts Lehren zu verständigen. Da aber Luther dies Schreiben derb beantwortete, so mißbilligten Butzer und seine Collegen dieses Benehmen und ihr Gegensatz gegen Luther trat mehr an den Tag. Daß der beginnende Sacramentstreit ein verderblicher sey, daß ein guter Theil desselben nur Schulgezänk und bloßer Wortstreit genannt werden müsse, daß das Sacrament bloß in so fern Werth habe, als es sittliche Besserung bewirke, daß keine übernatürlichen Gnadenwerbungen dabei zu erwarten seyen, dies waren die leitenden Grundanschauungen Butzers und seiner Collegen in Straßburg. In diesem Sinn hat er eine Reihe von Jahren hindurch bis zum Jahr 1530, in Druckschriften, Briefen und mündlichen Vorträgen die Lehransicht der Schweizer verfochten; in diesem Sinn sprach er sich aus auf der zu Bern 1528 gehaltenen Disputation, so wie auf dem Marburger Gespräch, 1529, wohin ihn sein Amtsgefährte Caspar Hedio und der Stättmeister Jakob Sturm von Sturmeck begleitet hatten. Wenn aber die Gemüther sich einmal entfremdet sind, so können oft geringfügige Umstände die gegenseitige Bitterkeit vermehren. Wir übergehen hier die hämischen Aeußerungen und Spitzworte, welche Freunde Luthers in Briefen gegen Butzer und seine Collegen sich zu Schulden kommen ließen. Wir erwähnen bloß folgender Vorfälle, die an sich unbedeutend, das Feuer der Zwietracht anschürten. Butzer hatte im Jahre 1526 Dr. Bugenhagens Commentar über die Psalmen in deutscher Uebersetzung herausgegeben und hatte Manches, mit Einwilligung des Verfassers, wo er es für passend hielt daran geändert, worüber nun Bugenhagen auf das Bitterste sich beklagte. Luther hatte im Jahre 1522 angefangen seine deutsche Kirchenpostille herauszugeben und Butzer übersetzte dieselbe im Jahre 1525 in‘s Lateinische, damit sie auch den französischen und italienischen Evangelischen dienen könne; weil aber nach Butzers Meinung der 4te Theil dieses Werkes manches Schroffe enthielt, was Jenen anstößig sehn konnte, so machte er hier und da mildernde Anmerkungen und setzte eine Vorrede vor. Darob erzürnte sich Luther also, daß er Butzern der Betrügerei, des Diebstahls, der Fälschung öffentlich beschuldigte. Butzer vertheidigte sich bloß dadurch, daß er sämmtliche hierauf Bezug habende Schriften, auch Luthers frühere einwilligende und billigende Briefe zusammendrucken ließ. Dieses und manches Andere trug dazu bei, daß Butzers Stellung gegen den hochgeehrten sächsischen Reformator immer schroffer wurde, die doch im Grunde gleichgesinnten Gemüther entfernten sich. In dem Gespräch zu Marburg hielt sich Butzer zu Zwingli und Oecolampad. Butzer hatte starken Antheil an dem am 20sten Februar 1529 gefaßten Beschluß der straßburgischen Schöffen, welcher die Messe abschaffte. Unter drohenden Verhältnissen war er es, der in rührigster Thätigkeit mit Fürsten und Theologen Unterhandlung pflog und zuletzt 1530 die Tetrapolitana, das Bekenntniß der vier Städte (Straßburg, Constanz, Memmingen und Lindau), in Gemeinschaft mit Capito abfaßte, in welcher die Mitte gehalten wurde zwischen den Sachsen und den Schweizern. Nach dem Reichstag zu Augsburg setzte Butzer seine irenischen Bemühungen unablässig fort, in unzähligen Briefen an Fürsten, Stadtobern und Theologen, und in Reisen, um den Frieden zwischen den streitenden evangelischen Religionspartheien zu erreichen. Wir treffen ihn von jetzt an bald in Frankfurt und Augsburg, bald in Eßlingen und Ulm, bald in Constanz, Basel und Bern, wo ein Friedenswort zu reden war, durchaus unabhängig von politischen Einflüssen. Die officielle Vereinigung der straßburgischen Kirche mit der wittenbergisch-sächsischen geschah durch die Wittenberger Concordie 1536. Als friedliebend, nachgebend so weit möglich, verträglich und von Liebe erfüllt auch gegen Abweichende erscheint Butzer in seinen allgemeinen Verhältnissen zur evangelischen Kirche, aber der reformatorische Kampf gegen Rom dauerte bei ihm ununterbrochen fort. Er nahm den wärmsten Antheil an den zwischen den päbstlichen und evangelischen Abgeordneten zu Leipzig und Frankfurt, zu Hagenau, Nürnberg und Regensburg gepflogenen, fruchtlosen Friedensunterhandlungen. Selbst auf England und Italien hin erstreckte sich seine reformatorische Wirksamkeit. Mit Philipp von Hessen stand Butzer in fortdauerndem Briefwechsel, auch wurde er bewogen, das Gutachten für des Landgrafen Doppelehe zu unterschreiben, aber er läugnet wiederholt und gewiß mit Grund der Wahrheit, daß er an der Abfassung des Buchs: Huldricus Neobulus, in welchem die Polygamie vertheidigt ward, irgend einen Antheil gehabt. Er förderte die evangelischen Grundsätze nicht bloß durch seine zahlreichen Schriften, unter denen auch ein größerer und kleinerer Katechismus und ein Gesangbuch: nach Frankfurt, Augsburg, Eßlingen u. s. w. ward er berufen, um die Angelegenheiten der jungen Kirche zu ordnen; auch für die Evangelischen in Frankreich, Italien und die Waldenser schlug sein warmes Herz. In Verbindung mit Melanchthon war es Butzer vornehmlich, der die Einführung der Reformation in dem Churfürstenthum Cöln förderte, unter dem Erzbischof Herrmann von Wied. In einem merkwürdigen, an diesen evangelischen Kirchenfürsten gerichteten Bedenken, vom Jahre 1543, gewöhnlich die „Cölner Kirchenordnung oder Reformation“ genannt, räth Butzer die Errichtung einer theologischen Schule zu Bonn, ein Wunsch, der erst im Jahre 1818 in Erfüllung ging. Bei solch‘ ausgedehntem Wirken ist wohl kaum nöthig zu melden, daß Butzer auch in seinem engern Berufskreise die rührigste Thätigkeit entfaltete. Er betrieb die Einführung der Reformation in dem wichtigen elsässischen Gebiet der Grafen von Hanau-Lichtenberg, im Fleckensteinischen, in vielen ritterschaftlichen Orten des Elsasses. Als Präses des straßburgischen Kirchenconvents war ihm ein wichtiger Theil an der Bildung und Prüfung der jungen Geistlichen übertragen und seine Empfehlungen waren meistens entscheidend; für das Elsaß nicht bloß, sondern für das ganze Oberrheinland und weit über dasselbe hinaus war sein Rath von hoher Autorität bei Fürsten und Volk. An Stichreden und Spott über seine Rührigkeit und Schmiegsamkeit, auch an Spottschriften gegen ihn fehlte es nicht. Justus Jonas nannte ihn vulpecula. Andere machten ihn zu einem geheimen Juden, oder eines Juden Sohn, Andere dichteten ihm alle Laster an, wie die päbstlichen Zeloten es auch gegen Dr. Luther gethan haben, ja noch thun, und wie sich noch ganz neuerlich der Vicomte Th. de Bussiere – ein Convertit aus einer achtbaren evangelischen Familie des Elsasses – verlauten läßt. Der Gipfelpunkt dieser Schmähungen gegen unseren Butzer ist in der „Abconterfeytung und wahren gründlichen Beschreibung Martin Butzers“ rc., welche ein Pseudonym „Warnher von Marosheim“ im Jahre 1546 drucken ließ, ein Schandgedicht, welches der Erwähnung nicht verdiente, wenn es nicht Butzern beträfe. Er selber verantwortete sich in der „Auslegung des 120sten Psalms“ und wie wenig solches Gift aus den Winkeln seinem Ruhme schadete, beweist, daß Butzer fortan zu den wichtigsten Unterhandlungen beigezogen wurde.

Vielfach von Straßburg abwesend und durch allgemeinere Kirchensachen in Anspruch genommen, gab Butzer im Jahre 1540 sein Pfarr- und Seelsorger-Amt zu St. Thomä auf, doch fuhr er fort, so oft er’s vermochte, der Kirche zu dienen mit Predigen und Sacramentreichen u. dergl. Einen treuen Helfer und Hausfreund hatte er an Conrad Hubert, dem verdienstvollen und bescheidenen Manne. Nach des Schulrectors Joh. Sturms Bericht schrieb Butzer täglich so viel, daß seine zwei Ammanuenses, Conrad Hubert und Johann Lenglin zum Abschreiben kaum ausreichten.

Butzers häusliche Verhältnisse wechselten mannichfach. Als Pfarrer zu Lahnstall hatte er bereits im Jahre 1522 Elisabeth Pallas von Mosbach, welche zuvor Benedictiner Nonne im Kloster Lobenfeld bei Heidelberg gewesen war, geheirathet. Sie gebar in dieser Ehe 13 Kinder und starb im Jahre 1541 an der damals in Straßburg herrschenden Seuche. Fünf seiner Kinder starben zu derselben Zeit. Butzer trug diesen Verlust mit bewunderungswürdiger Fassung. Er gab seiner entschlafenen Gattin folgendes rühmliche Zeugniß: „Ich habe mit ihr bis in’s 20ste Jahr gelebt, und sie ist mit solcher Zucht, Ehrbarkeit und Gottseligkeit in aller Haussorg und Arbeit begabt gewesen, wie das viel frommer Christen wissen, daß ich durch sie in meinem Dienst merklich bin gefordert worden und nit allein in dem, daß sie mich aller Haussorg und zeitlichem Geschäft enthoben, sondern auch daß sie durch ihren Fleiß und Mühe die leibliche Versehung, so uns etwa nit gar reichlich zukommen, also rathlich angelegt und ausgetheilet hat, daß wir gar viel Pilgern und Dienern Christi viel mehr Dienst haben beweisen können, dann ich wo ich allein wäre blieben, nimmermehr vermocht hält.“ Aus diesen Gründen erkannten seine Freunde und auch Butzer selbst die Nothwendigkeit für ihn, in eine zweite Ehe einzutreten. Er heirathete im Jahre 1542 Wibrandis Rosenblatt, von Basel, die Wittwe Oecolampads und Capitos. Letzterer sogar hatte sterbend ihn darum gebeten. Wibrandis war die Schwester des Adelberg Rosenblatt, Münzmeisters zu Colmar und hatte aus ihren früheren Ehen vier Kinder mit einem ganz geringen Erbtheil. Butzer beschloß ihnen dieses Erbgut unangetastet zu lassen und sie mit seinen eigenen noch übrigen drei Kindern zu erziehen. Wibrandis war eine muntere, verständige, wohlwollende Frau, welche ganz der Erziehung ihrer Kinder lebte. Nach Butzers Tod zog sie gen Basel zurück, wo sie ihren Wittwenstand mit Werken der Barmherzigkeit zierte. Sie starb am 4ten November 1564 und ihre Leiche ward in Oecolampads Grab bestattet.

Butzer suchte, so viel an ihm war, den Ausbruch des schmalkaldischen Krieges zu verhindern. Als der Krieg nun doch ausbrach und das Augsburger Interim im Jahre 1548 erfolgte, weigerte er sich beharrlich es zu unterschreiben, ohngeachtet der dringendsten Zureden des Churfürsten von Brandenburg und des kaiserlichen Ministers Granvella. Auch Straßburg wurde je mehr und mehr durch den Kaiser gedrängt, dem Interim sich zu unterwerfen. Die evangelische Bürgerschaft und ihre Prediger wehrten sich lange; insbesondere Butzer und Fagius, also daß der Kaiser auf diese Beiden vornehmlich seine Ungnade warf. Von allen Seiten geängstet und bedroht, und das Schreckensbild der Reichsstadt Constanz vor Augen habend, beschloß der Magistrat der Stadt Straßburg am 1. März 1549: „die Beiden, Butzer und Fagius, ihnen selbst zu Gutem, mit freundlichen, guten Worten zu beurlauben, mit einem Zehrgeld abzufertigen und sie mit einer Pension eine Zeitlang zu versehen, bis Gott Gnade gebe, daß es besser würde, daß man sie wieder an der Hand haben möchte.“ Butzer hatte diesen Ausgang vorhergesehen. Mit Sanftmuth antwortete er dem Stättmeister Jakob Sturm, der den Auftrag hatte, ihm diesen Urtheilsspruch zu eröffnen: „Er habe wohl gedacht, daß es also kommen würde: stets habe er gelehrt, was er der Schrift gemäß hielt; habe er die Gränze der Mäßigung überschritten, so sei dies menschliche Blödigkeit gewesen. Nirgends wollte er lieber, denn zu Straßburg geblieben seyn; jetzt sehe er aber ein, daß man seine Predigt länger nicht dulden könne.“

Am 23. März 1549 hielten Beide ihre letzte academische Vorlesung zu Straßburg, wie ihr Schüler Martin Crusius erzählt. Sie blieben noch einige Tage im Haus der Frau Katharina Zell, um ihre Familienangelegenheiten zu ordnen. Der Kaiser hatte schon Verhaftsbefehle gegen sie gegeben. Calvin, Melanchthon, Oswald Myconius zu Basel und Andere hatten unserm Butzer eine Zufluchtsstätte angeboten, aber er zog vor, um aus dem Bereich des Kaisers wegzukommen, den dringenden Einladungen zu folgen, welche seit geraumer Zeit von dem Erzbischof Cranmer und anderen hochgestellten Männern aus England an ihn ergangen waren. Er sollte helfen, die dortige junge evangelische Kirche zu ordnen, unter König Eduard VI. Am 5. April 1549 verließen Butzer, Fagius und Matthäus Negelin, ihr jüngerer Begleiter, der ein Tagebuch dieser Reise hinterließ, die Stadt Straßburg und das Elsaß. Ihre Familien sollten erst später ihnen nachfolgen. Die edlen Flüchtlinge kamen ohne Gefahr durch Lothringen, Champagne, Picardie nach Calais, der ersten englischen Stadt, wo sie von den Behörden und erzbischöflichen Gesandten auf das Ehrenvollste empfangen wurden. Ihre Ueberfahrt war sehr günstig. Am 25. April 1549 langten sie zu London an. Der Erzbischof Cranmer nahm sie auf die freundschaftlichste Weise auf und suchte ihnen ihre schmerzliche Lage als Exulanten so viel als möglich zu erleichtern. Auf sein Verlangen beschäftigten sich nun Butzer und Fagius den Sommer hindurch mit einer neuen lateinischen Uebersetzung und Erklärung der Bibel. Beide waren als Bibelforscher rühmlichst bekannt. Allein diese vielversprechende Arbeit blieb unvollendet, da Butzer und Fagius, wegen des geänderten Clima und der neuen Lebensweise, oft erkrankten. Ein Heimweh blieb diesen edlen Männern, das an ihrer Lebenskraft zehrte. Fagius starb bereits am 13. November 1549.

Dessen ohngeachtet fuhr Butzer fort, mit unermüdlichem Eifer an der Befestigung der Reformation in England zu arbeiten. Eine Menge von Gutachten und Vorschlägen über Verbesserungen im Kirchenregiment und der Kirchenzucht geben Zeugniß hiervon. Er reinigte die englische Liturgie von vielen päbstlichen Ueberbleibseln und faßte die Grundzüge der Kirchenreformation in der, dem König Eduard VI. gewidmeten, gehaltvollen Schrift: „vom Reiche Christi“ zusammen, welche in lateinischer, deutscher und französischer Sprache im Druck erschien. Butzer wurde als Professor der Theologie zu Cambridge ernannt, mit einem ansehnlichen Gehalt und erhielt den Ehrentitel eines Doktors der Gottesgelahrtheit, durch die einstimmige Wahl seiner Collegen, ohne die sonst gewöhnlichen Vorgänge. Aber bei allen diesen Ehren sehnte er sich nach Straßburg zurück und wie seine Briefe es beweisen, behielt er die Kirche fortwährend auch in der Fremde auf seinem Herzen. Wegen Kränklichkeit konnte er seine theologischen Vorlesungen erst im Januar 1550 beginnen und war genöthigt, sie oft zu unterbrechen. Da er der Landessprache nicht kundig war, so sah er seine unmittelbare Wirksamkeit bloß auf den engern Kreis der Gelehrten beschränkt. Tief betrübten ihn die hoffnungslose Lage der evangelischen Kirche in Deutschland überhaupt und insbesondere die Zerwürfnisse in der Mitte seiner straßburgischen Kirche. Er wäre gern wieder dahin zurückgekehrt; da übereilte ihn der Tod, am 28. Februar 1551. Die Herzogin von Suffolk und mehrere andere angesehene Personen waren ihm in seiner letzten Noth beigestanden, da er vom Kampf zum Frieden und Sieg ging.

Butzers Leiche wurde mit den höchsten Ehrenbezeugungen in der Hauptkirche zu Cambridge bestattet; zahlreiche Gedichte feierten sein Gedächtniß. Aber auch im Grabe sollte der geplagte Mann noch nicht Ruhe haben. Als nach Eduards VI. frühem Tod der Rückschlag gegen die Reformation in England ausbrach, wurden die Gebeine Butzers, auf Befehl der Königin Maria, im Jahre 1556 ausgegraben; aber im Jahre 1560 wurden dieselben wieder gesammelt und mit großer Feierlichkeit bestattet.

Die Verwerthung seiner Habseligkeiten zu Gunsten seiner Erben verursachte dem Vormund und Sachführer dieser letzteren, Conrad Hubert in Straßburg, dem bewährten Freund und Gehilfen Butzers, viele Mühe; man mag sich dazu die damaligen mangelhaften Verbindungsmittel, und neben der örtlichen Entfernung auch mitunterlaufendes Uebelwollen denken. Butzers Bibliothek wurde an die Herzogin von Suffolk und an den Erzbischof Cranmer verkauft für 100 Pfund. Aber noch 1560 mußte Hubert einen Theil dieser Summe einfordern, mit dem Bemerken, es sei ja dies als eine Art von Almosen anzusehen, da Butzers Kinder erster Ehe in sehr dürftigen Umständen seien. Conrad Hubert gedachte eine Gesammtausgabe der Schriftwerke Butzers zu besorgen. Er hatte dieselben mit vieler Mühe gesammelt nebst einer bedeutenden Anzahl von Briefen des Reformators. Er hoffte dieselben in 10 Foliobänden zu Tage zu fördern – 4 Bände für die deutschen und wenigstens 6 Bände für die lateinischen Schriften. Aber es erschien nur ein Band 1577 in Basel, darüber starb Hubert.

Von Butzers Kindern überlebte ihn ein Sohn Nathanael, die Töchter trugen ihre Namen in andere Familien über. Nathanael aber war schwachsinnig und träg, zu nichts recht zu gebrauchen und machte dem Vater viel Kummer. Er wurde zuletzt Siegrist zu Alt. St. Peter in Straßburg. Seitdem ist dieser Name ausgestorben. Butzers Gesichtszüge wurden mehrfach dargestellt. So in der „Abcontrafactur des ehrwürdigen und hochgeehrten Herrn Martin Butzer, Diener des Evangeliums Jesu Christi zu Straßburg, 1568. Fol.“, dann bei Pantaleon, Beza u. A. Es sind edle, ernste Züge, ein seelenvolles, kluges Gesicht mit gebogener Nase. Sein Körperbau war klein, wie häufig bei sehr thätigen, lebensvollen Menschen. Er hatte eine starke, wohltönende Stimme. Urban Rhegius nennt ihn 1524 „einen Mann groß an Geist, aber einen Zachäus an Körper“, und Lazarus Spengler von Nürnberg bezeugt, „daß er das Butzerlin schon lang für ein fast listigs Männlein erkannt habe.“ Butzer pflegte in den späteren Jahren eine jährliche Badereise zu unternehmen, besonders in das Wildbad; bei der Rückkehr kamen ihm seine Familie und Freunde bis an den Rhein entgegen. In Butzers Testamenten endlich, die vor wenig Jahren erst zur öffentlichen Kenntniß gebracht worden sind, erkennt man, wie aus seinen zahlreichen Schriften, den edlen, sich selbst verleugnenden, Christum von Herzen liebenden Mann, der um der Liebe willen über manche Nebensache hinwegblickte, die menschliche Weisheit als Trennungskluft ansah. Jeder Billige wird seinen Vereinigungsversuchen, seinem redlichen und unermüdlichen Eifer für Christi Reich Anerkennung zollen; statt des Abfalls, zog er den Tod in der Verbannung vor.

T W. Röhrich in Straßburg

Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874