Philippina Graveron geb. von Lüns.

Philippina von Lüns war aus Gafe im Perigueux (Gascogne) gebürtig. Von der Jugendzeit dieser edlen Christin wissen wir nur, daß, früh verheirathet mit einem Herrn von Graveron, sie mit ihm nach Paris ging, um sich dort der Kirche des Herrn, die sich im Geheimen gebildet hatte, anzuschließen. Sie war Allen ein Muster der Heiligkeit im Leben, ihr Gatte bekleidete das Amt eines Kirchenältesten in der Gemeine. Die Huguenotten versammelten sich in ihrem Hause und die Nachbarn hatten oft Psalmengesange daraus ertönen hören. Diese glückliche Ehe wurde bald durch den Tod getrennt. Als der Frühling des Jahres 1557 gekommen, nahm im Maimonat ein hitziges Fieber den Gatten hinweg und die Wittwe, erst 23 Jahre alt, zog die Kleider der Freude aus und legte Trauergewänder an; nach der Sitte ihres Landes waren dies aber weiße Kleider, welche auf die Freude des Wiedersehens in den hellen Wohnungen des Friedens hindeuteten, und es entfaltete sich bald in dem verwaisten Herzen eine andere bräutliche Liebe. Oft mag sie mit Sulamith im hohen Liede gebetet haben: „O nimm mich hin! Laß sterben mich zu Deinen Füßen den heil’gen Tod in sel’gem Büßen, zu ewig herrlichem Gewinn!“

In einer Herbstnacht (es war der 4. Sept. desselben Jahres) hatten sich die Reformirten, 400 an der Zahl aus allen Ständen, in einem Saale in der Straße St. Jaques hinter der Universität versammelt. Sie hatten das Mahl des Herrn gefeiert und der Geistliche über die Worte 1. Kor. 11 gepredigt. Um 12 Uhr, als sie sich zurückziehen wollten, hörte man auf einmal draußen gräßliches Geschrei; das Volk wollte die Thüren sprengen. Aufgeregt durch die verlorene Schlacht bei St. Quentin, schrien sie: „das Unglück des Landes sei der Huguenotten Frevel.“ Massen von Steinen hatten sie draußen gesammelt, um die Herausgehenden anzugreifen. „Es sind Mörder, Diebe, Feinde des Vaterlandes!“ schrien sie; „es sind Lutheraner!“ Alles läuft zu den Waffen. Die Wuth wächst im Volke, Furcht und Schrecken im Innern des Hauses. Die Kirchenältesten aber ermahnen zur Ruhe und besprechen die Frage: Ob sie bis zur Tageshelle sich dort halten wollen oder versuchen durch die Massen zu dringen? Mehrere Männer ziehen ihre Degen und wollen den Andern einen Weg öffnen. Dies gelingt – Viele entkommen. Nur einer wird durch Steinwürfe so entstellt, daß er kein menschliches Ansehen mehr hatte. Viele Andere, mit ihnen Philippina, mußten zurückbleiben, und da der Tag anbrach, wurden sie gefangen und durch das Volk geführt, welches über sie herfällt. Mit zerrissenen Kleidern, mit Koth beworfen, werden sie in scheußliche Kerker geworfen. Philippina von Lüns schmachtete ein Jahr in diesem Gefängnisse, in welchem man sie oft Psalmen singen hörte. „Herr, wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und elend. Die Angst meines Herzens ist groß. Bewahre meine Seele und errette mich. Laß mich nicht zu Schanden werden, denn ich traue auf dich!“ (Ps. 95.) „Meine Seele durstet nach dir, wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue.“ (Ps. 42.) Am meisten hatte sie von den Priestern zu dulden, welche sie zur päpstlichen Irrlehre zurückführen wollten. Sie blieb aber Siegerin in allen ihren Kämpfen. Eines Tages kamen die Verführer und fragten: „Glauben Sie nicht, daß die Hostie der wahre Gott ist?“ Da antwortete sie mit Freudigkeit: „Ob es denn ihr wahrhafter Glaube sei, daß ein solches Oblat der wahre Leib sei dessen, der Himmel und Erde in sich schließt, ein Brod, welches verwese, von Mäusen und Spinnen zerstört würde?“ Ja sie erzählte ihnen, obgleich mit Thränen im Auge, hierüber Thatsachen mit einer solchen Heiterkeit, daß man wohl sah, sie sei gar nicht durch Furcht und Leiden gebeugt. Bis jetzt hatte man ihr erlaubt, ihre Schwester zu sehen; da sie nun allein eingesperrt wurde, sagte sie: „Ich sehe wohl, daß mein Tod herannaht, und bitte flehentlich, daß man mir eine Bibel gebe zum Trost.“ Ihr Prozeß wurde rasch geführt, da die Richter sich ihrer Güter bemächtigen wollten. Calvin feuerte damals mit großem Eifer die deutschen Fürsten an, sich der bedrängten Glaubensgenossen anzunehmen. Die Vorstellungen der Fürsten aber kamen zu spät und waren fruchtlos. Aus dem Verhör der Märtyrerin erfährt man Folgendes: Die Nachbarleute, obgleich sie ihre Güte und christliche Liebe lobten, erzählten viel von den häuslichen Versammlungen, sagten, daß ihr Gatte keinen Priester bei seinem Sterben gehabt, es wisse Keiner wo er begraben sei, ob ihr Kind die Taufe erhalten, wisse man auch nicht. Nun mußte sie selbst im Gerichtssaal erscheinen. Die Richter fragten: „Glauben Sie an die päpstliche Messe?“ Sie: „Ich will nur glauben, was in dem Alten und Neuen Testament steht, an die Sakramente, welche der Herr eingesetzt: nicht habe ich gefunden, daß die Messe von ihm sei.“ Frage: „Wollen Sie das Sakrament der Hostie empfangen?“ Antw.: „Nur das will ich, was Christus befiehlt.“ Frage: „Wie lange ist es her, daß Sie nicht gebeichtet?“ Antw.: „Ich weiß es nicht mehr, täglich aber beichte ich meinem Gotte, wie er es geboten; eine andere Beichte ist nicht von Christo eingesetzt, da Er allein die Macht hat, die Sünde zu vergeben.“ Frage: „Was denken Sie von den Gebeten, welche an die Jungfrau und an die Heiligen gerichtet werden?“ Antw.: „Ich kenne kein anderes Gebet als das, welches Gott mich gelehrt; an ihn müssen wir uns wenden, an keinen Andern. Die Heiligen im Paradiese sind selig, das weiß ich wohl; aber zu ihnen beten, das will ich nicht.“ Frage: „Was glauben Sie von den Bildern?“ Antw.: „Ich will sie durchaus nicht verehren.“ Frage: „Von wem haben Sie diese Lehre?“ Antw,: „Ich habe das Neue Testament emsig gelesen.“ Frage: „Genießen Sie die Fleischspeisen am Freitag und Sonntag ohne Unterschied?“ Antw.: „Ich mag an diesen Tagen kein Fleisch essen, wenn ich den Schwachen ein Aergerniß bereite; das Wort Gottes stellt aber nichts fest und man kann jede Speise genießen, wenn man es mit Danksagung thut.“ Hierauf bemerkte man ihr, daß die Kirche dies Verbot gegeben, und was nicht an sich Sünde sei, würde es durch das Verbot der Kirche. „Ich glaube,“ antwortete Philippina mit Festigkeit und Umsicht, „an keine anderen Gebote und Verbote, als die Christus gegeben, und habe nichts im Neuen Testament gefunden von jener Gewalt, welche der Papst sich zuschreibt, Gebote zu geben.“ Hierauf bemerkte man wiederum: „die geistlichen und weltlichen Gewalten seien von Gott bestimmt, sein Volk zu regieren.“ Frau von Graveron antwortete: „sie glaube dies von den weltlichen Gewalten, die Kirche habe aber keine andere Gewalt, wie sie gelesen, als die Gewalt Christi.“ Frage: „Wer ist aber der oder die, welche Ihnen dies gelehrt?“ Antw.: „der Text des Neuen Testaments ist meine einzige Belehrung gewesen.“ An einem andern Tage wurde sie verhört über den Tod ihres Gatten und gefragt: „Ob sie ihn in ihrem Garten beerdigt habe?“ „Nein,“ sagte sie, „er ist nach dem Spital gebracht worden, um mit den Armen beerdigt zu werden (wie sie es durch einen Schein beweisen könne), doch ohne abergläubige Ceremonien.“ Darauf fragte man: „Ist es erlaubt, Gebete zu halten für das Heil des Verstorbenen?“ Antw.: „Ich glaube, daß der, welcher in dem Herrn entschlafen ist, durch sein Blut gereiniget ist und er keiner anderen Reinigung bedarf; es ist nach der Lehre des Neuen Testaments nicht nöthig, für die Verstorbenen zu beten.“ Man fragte weiter: „Ist’s nicht der Gebrauch in jenen Versammlungen, die Sie gehalten, nach der Predigt die Lichter auszulöschen?“ „Nein,“ gab sie zur Antwort, „sie sei nie in dem Fall gewesen, Aehnliches zu sehen.“ Alle diese Worte sind genau aus den Acten genommen.

Laßt uns nun einen Blick thun auf das glückselige Ende dieser Frau, die wir als unsre Schwester in Christo begrüßen und uns freuen, einst in der Herrlichkeit zu sehen. Am 27. Septbr. des Jahres 1558 wurden mehrere heilige Märtyrer verurtheilt. Nicht allein sollte sie sterben. Ein Greis, Nicolas Clivet, und ein junger Mann, Taurin Gravelle, welche beide Kirchenälteste waren und in jener Nacht gefangen wurden, sollten mit dieser Frau sterben. Alle drei wurden gefoltert und in eine Capelle des Gerichtshauses geführt, wo sie den glücklichen Augenblick ihrer Erlösung erwarteten. Wie gewöhnlich, kamen dorthin Priester, um die Verurtheilten in ihrem Glauben unsicher und irre zu machen. Ihre Mühen waren eitel. Da sie fest und entschieden blieben bis an das Ende, wurden sie ein jeder auf einen Karren gesetzt, um zur Richtstätte geschleppt zu werden. Der Greis Clivet, der ein Schullehrer in der Provinz gewesen und dort schon im Bilde verbrannt worden war, rief ohne Unterlaß den Versuchern zu: „er habe nichts Anderes als Gottes Wahrheit vertheidigt und könne Alles durch das Ansehen des heiligen Augustinus vertheidigen.“ Die heldenmüthige Frau, da ein Priester zu ihr kam mit dem Verlangen, sie solle beichten, antwortete: „Ich beichte beständig im Herzen meinem Gott und bin der Vergebung meiner Sünden gewiß. Er allein kann mir Absolution geben.“ Einige Räthe des Gerichtshofes baten, sie möchte ein hölzernes Kreuz in die Hand nehmen, wie es die Verurtheilten zu thun pflegten, der Herr wolle ja, daß wir alle unser Kreuz tragen. „O meine Herren,“ antwortete sie, „Sie haben mir ja schon ein Kreuz aufgelegt, indem Sie mich ungerecht verurtheilt haben und mich in den Tod schicken für den guten Streit unsers Herrn Jesu Christi, der nie von jenem äußerlichen Kreuz gesprochen hat.“ Der junge Gravelle, ein Jurist und Advocat in Paris, und, obgleich jugendlich, Kirchenältester wegen seines ausgezeichneten Wandels, hatte ein fröhliches Aussehen mit frischer Farbe und erklärte, daß seine Verurtheilung ihm gar sehr recht sei. Ein Freund trat heran und fragte ihn: „Zu welcher Todesart bist du durch den Spruch der Richter verurtheilt?“ Da sprach er: „Daß ich sterbe, weiß ich wohl; wie ich sterbe, ist mir gleich, denn ich weiß wohl, daß Gott mir in jeder Qual beistehen wird.“ Als er aus der Capelle getreten war, hatte er gesagt: „Herr, mein Gott, sei meine Hülfe!“ Da er erfuhr, daß der Gerichtshof verlange, man solle ihnen die Zunge ausschneiden, reichte er die seine rasch dem Henker dar. „Ich bitte euch, betet zu Gott für mich!“ waren seine letzten Worte. Als man nun die junge Frau aufforderte ihre Zunge darzureichen, that sie es freudig mit den Worten: „Ich trauere nicht um meinen Leib, wie sollte ich es meiner Zunge wegen thun! Nein, nimmermehr!“ Also angethan, verließen sie nun alle drei das Richthaus. Die feste Beharrlichkeit des Gravelle war wunderbar schön zu sehen; seine beständigen Seufzer und seine Blicke waren gen Himmel gerichtet und zeigten die Gluth seiner Liebe. Der Alte hatte auch stets den Blick nach Oben, aber schien trauriger als die Andern, denn er war schon durch das Alter gebeugt und von Natur blaß und schwächlich; die junge Märtyrerin aber schien sie alle an Kraft zu übertreffen, denn ihr äußeres Ansehen war gar nicht verändert; sie saß auf ihrem Karren und ihr Angesicht glänzte in wunderbarer Schöne. Die Trauerkleider hatte sie für diesen Tag abgelegt und ein sammtnes Baret auf dem Haupte, mit dem andern Schmuck der vergangenen Zeit angethan, um ihren Triumph zu bezeichnen und die Freude, mit ihrem Bräutigam Jesus Christus vereinigt zu werden. Auf dem Platze Maubert angekommen, wurden alle drei verbrannt. Die beiden Männer lebendig, die junge Frau erdrosselt, nachdem man ihr das Gesicht und die Füße mit Fackeln angebrannt hatte. Noch größer scheint uns ihr Sieg, wenn man erwägt, daß sie sich von ihrem kleinen Kinde trennen mußte. Und ein Geschichtschreiber jener Zeit bemerkt mit Recht, daß der heilige Geist an diesem Tage seine Kraft bewies in der Jugend, dem Alter und dem schwachen Weibe. Er besiegte die Lebenslust des jungen Mannes, die Hinfälligkeit des Alten und die natürliche Schüchternheit des Weibes.

O nimm mich hin!
Laß, ob die Feinde mich umringen,
Mich deine Siegeskraft durchdringen,
Du König und ich Streiterin.

Nicht fruchtlos war dies Beispiel der Treue und des Heldensinnes: es wurde dieses Blut für die Wahrheit der Same der reformirten Kirche zu Paris, die im kommenden Jahre (1559) ihr herrliches Glaubensbekenntniß aufsetzte, welches 1561 öffentlich in Frankreich anerkannt wurde.

Wir blicken gewöhnlich in der Reformationszeit auf die Großen hin, die einen Namen in der Geschichte haben. Die Königin Margaretha von Navarra und ihre heldenmüthige Tochter Johanna von Albret, Mutter Heinrichs IV., sind bekannt, Coligny und viele Andre: aber diese edle Blutzeugin für Jesus Christus war bis jetzt unter uns vergessen. So wie am Abhange hoher Felsen manche schöne Alpenpflanze blüht, von keinem Auge je gesehen; so glänzt viel Edles und Gutes im Stillen, nur von Gott und den heiligen Engeln erkannt, aber in einer anderen Zeit wird Alles offenbar und das Unbekannte und Kleine wird glänzen wie das Große. Darum spricht der Herr: „Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!“

P. Henry in Berlin