Georg Mylius (Müller), der Sohn eines Zimmermanns, war 1548 zu Augsburg geboren. Sein Grossvater, Johann Gering, hatte von seinem Gewerbe den Namen Müller erhalten, sich aber auch als Kriegsmann unter Kaiser Karl V., dem er besonders lieb war, ausgezeichnet. Georg’s Geistesgaben erregten schon früh grosses Aufsehn. Er schien, sagte Hutterus, das, was er lernte, weniger von seinen Lehrern zu empfangen, als aus sich selbst hervorzubringen. Schon im siebenten Lebensjahr konnte er über die Artikel der lutherschen Religion Rede und Antwort geben. Dabei waren seine Sitten streng, ernst und anmuthig. Seit 1566 besuchte er die Universitäten zu Strassburg, Tübingen und Marburg. Von hier wurde er, mit vortrefflichen akademischen Zeugnissen und der Magisterwürde geschmückt, 1572 von seiner Vaterstadt zum Diakonus bei’m heiligen Kreuz berufen. Bald darauf verheirathete er sich mit Barbara Grundler. Nach siebenjähriger treuer, tiefeindringender Amtsführung sandten ihn die lutherschen Augsburger nach Tübingen, wo er unter Heerbrand’s Vorsitze über die Gräuel der katholischen Messe disputirte und zum Doctor der Theologie promovirt wurde. Nach seiner Rückkehr, im December 1579, erhielt er die Predigerstelle zu St. Annä und acht Monate darauf die Generalsuperintendentur. Mit brennendem Eifer und unerschütterlicher Kraft vertrat er in diesen Ämtern die luthersche Kirche gegen Papismus und Calvinismus; in’s Besondere schärfte er die Kirchenzucht und reformirte er die Schulen. Sein entschiedener Widerwille gegen Alles, was von der katholischen Kirche ausging, machte ihn zu einem heftigen Widersacher des Gregorianischen Calenders, dessen Einführung vom Augsburger Senate, der grösstentheils aus Papisten bestand, beschlossen wurde. An der Spitze der gleichgesinnten Lutheraner, die selbst durch ein verschriebenes Heer roher, räuberischer Soldaten in ihrem Widerstande nicht gehemmt werden konnten, war er dem Hasse der Jesuiten am meisten ausgesetzt. Sein Bildniss soll damals in Rom aufgehängt und beschimpft worden sein. Indessen erlangte die starke luthersche Bevölkerung Augsburg’s bei dem Kammergerichte zu Speier eine Resolution, nach der sie bei dem alten Calender bleiben durften. Doch protestirte der Rath mit Anführung folgender Gründe: „Diese Sache ist nicht mere spiritualis, sondern hat auch ihre vernünftigen Ursachen und ist nicht allein zur Erhaltung guter Polizei, Ruhe, Friedens und Vertraulichkeit zwischen den Einwohner einer Stadt, darinnen beide im heiligen römischen Reich zugelassene Religionen in Übung sind, sondern auch zur Fortsetzung der Hanthierungen, bürgerlichen Nahrung und Commereien (ohne welche kein bürgerliches Wesen in die Harr bestehen mag) fast dienstlich, mit den Benachbarten der Zufuhr täglicher Victualien, Haltung und Besuchung der Jahrmärkte, so auf gewisse Zeit und Feste gerichtet, Gleichheit zu halten, auch das Gewissen eben daran nicht gebunden, ob 10 Tage früher oder später Ostern und andere gewöhnliche Feste gefeiert und begangen, darin als ein Mittelding die weltliche Obrigkeit nach Gelegenheit der Zeit, Ort und Personen wohl Maass und Ordnung zu geben, auch Änderung fürzunehmen hat, deren die Unterthanen mit reinem, gutem, unverletztem Gewissen wohl geleben mögen, ja mit Nichten sich widersetzen sollen; dieweil einmal die Lehre des heiligen Evangelii im weltlichen Stand und politischen Sachen Nichts ändert, und die Unterthanen ihrer Obrigkeit in allen Dem, so nicht wider Gottes Gebot ist, auch Gewissens halber zu gehorsamen schuldig; wie denn auch fremde nationes, so dem Papstthum nicht anhangen, gleichwohl aus jetzt erzählten und anderen mehr politischen Ursachen sich des neuen Calenders ohne Verwirrung der Gewissen gebrauchen.“ Hierauf cassirte die Kammer ihre erste Resolution und decretirte die Einführung des neuen Calenders (Mai 1584). Nachdem der Kaiser diesen Beschluss bekannt gemacht hatte, erklärte Mylius mit dem geistlichen Ministerium dem Augsburger Rathe, „dass sie in allen politischen Dingen dem Decrete Folge leisten würden, aber in kirchlichen Angelegenheiten, ins Besondere in der Feier der Festtage und in evangelischen Religionsübungen, dem Papste nicht gehorchen könnten.“ Auch proclamirte er sammt seinen Collegen am 24. Mai von der Kanzel, dass sie erst am 28. das Fest der Himmelfahrt feiern würden, welches von den Katholiken bereits begangen war. Schon am andern Morgen kündigte ihm der Rath schriftlich seine Entlassung an, und um die Mittagsstunde liess er eine Kutsche vor M.’s Haus fahren, welche dieser sofort besteigen musste. Man hörte ihn drinnen mit lauter Stimme singen: In dich hab’ ich gehoffet, Herr! Katholische Stimmen aber sollen gerufen haben, dass der Kessel mit Öl, in dem er sieden solle, in Rom schon über’s Feuer gesetzt sei. Der ganze Auftritt, welcher sich bei dieser Gelegenheit entwickelte, ist auf einem alten Kupferstich abgebildet, der folgende Unterschrift enthält: „Wahrhaftige Fürstellung der Begebenheit, so sich A. 1584, d. 25. Maji, mit Herrn D. Georg Müller, hernach Mylius genannt, gewesenem Pfarrer bei St. Anna, auch Superintendens u. Rector des evangelischen Collegii, zugetragen, wie er von unseren Gegner aus seiner Behausung mit einer bedeckten Gutsche zu Mittag, als Jedermann beim Essen war, an der Mauer hinten am Garten abgeholt und dem Gegginger Thor zugeeilt, um ihn zu verführen; weil es aber vom Geschrei der Schüler lautbar worden, ist viel Volks zugelaufen, da haben sich etliche Handwerksgesellen zur Wehre gestellt und den Fuhrmann vom Pferde heruntergeschlagen, auch die Stränge an den Pferden abgeschnitten, auch haben sich die Soldaten zur Gegenwehr stellen müssen, und ein Knabe von sieben Jahren schlug das halbe Thor zu, eine Magd aber riss den Herrn Müller aus der Gutsche und brachte ihn in ein Beckenhaus. Auch wurde zur selben Zeit ein schöner Regenbogen um die Sonne gesehen. Also ist Hrn. D. Müller durch Schickung Gottes aus der Hand seiner Feinde errettet worden.“ (Man findet diese Abbildung und Unterschrift in der Historia Myliana von Joh. Christ. Mylius, Bd. 1, S. 37.) Am Abende jenes leidvollen Tages war es ihm noch vergönnt, einige Stunden heimlich bei seiner hochschwangeren Gattinn und bei seinen Kindern zu verweilen.
Am folgenden Tage entkam er in Weiberkleidern nach Ulm, wo er gute Aufnahme fand und ein Jahr lang lebte. Der Tod seiner Gattinn, den er dort erfuhr, erschütterte ihn aufs tiefste. Dennoch trat er während seines Aufenthaltes in Ulm mit Veronica Weisse, einer angesehenen Patricierstochter aus Augsburg, in eine zweite Ehe. Von allen Seiten empfing er in seinem Pathmos, wie er Ulm nannte, die glänzendsten Beweise der Verehrung und Liebe. Dahin gehörten die Vocationen zum Superintendenten nach Braunschweig und Strassburg, sowie zum Professor, Canzler und Prediger nach Wittenberg. Er folgte der letzten im Juni 1585. Aber die nach dem Tode des Churfürsten August (1586) eintretende Herrschaft des Kryptocalvinismus verleidete ihm seine Wirksamkeit in Wittenberg. Auch wurde er, da er die Unterschrift des Corpus doctrinae Philippicum verweigerte, der Canzlerwürde sofort beraubt. Sehr erwünscht kam ihm daher ein Ruf zum Professor nach Jena, den er im Februar 1589 annahm. Zwei Jahre darauf wurde er dort auch Prediger und Superintendent. Als nach dem Tode des calvinisch gesinnten Churfürsten Christian I. (1591) sein Landesfürst Friedrich Wilhelm die vormundschaftliche Regierung Chursachsens führte, wurde Mylius mit Hunnius, Mirus und Lonnerus zur Abfassung der sächsischen Visitationsartikel herangezogen, und er gewann dadurch, sowie durch seine Mitarbeit an der praktischen Durchführung derselben in der meissnischen Visitation, einen bedeutenden Einfluss auf die Befestigung der lutherschen Kirche.
Nach Hunnius’ Tode wurde M. von dem Churfürsten Christian II. zum Professor und Superintendenten nach Wittenberg berufen (1603). Bald starben dort auch Rungius (1604) und Gesner (1605), und Mylius trug nun, nach Hutter’s Ausdruck, wie ein zweiter Atlas, nach fast zusammen gefallener Kirche, deren Grundveste auf seinen Schultern. Doch nicht lange ertrug er diese schwere Bürde. Am Himmelfahrtsfeste 1607 hielt er noch einmal eine gewaltige Predigt und zwei Tage darauf die gewöhnliche akademische Vorlesung. Aber er sah sich schon genöthigt, seine Zuhörer um einige Ferientage zu ersuchen, die er zu einer kleinen Erholungsreise benutzen wolle. Doch dazu kam er nicht; denn in der folgenden Nacht wurde er von den heftigsten Steinschmerzen ergriffen, zu denen sich ein bösartiges Fieber gesellte. Ruhig lag er auf seinem Schmerzensbette, des Todes harrend, unter häufigem Gebrauch der Worte: Nur Der will nicht sterben, der nicht zu Christo gehen will. Am dritten Pfingsttage lebte er noch. Nach der Predigt berief er seine Gattinn, Kinder, Freunde und Collegen, bekannte den Glauben der Kirche, bat um Vergebung der Sünden, dankte für alle Beweise der göttlichen Gnade, nahm das heilige Abendmahl, ermahnte seine Collegen zur Eintracht, legte die Kirche Gott an’s Herz und sagte den Einzelnen Lebewohl. Zwei Tage darauf, am 28. Mai 1607, entschlief er. Die Leichenpredigt hielt ihm Balduin (Sie findet sich in der Schrift: Bericht vom christl. Abschied D. Martini Lutheri, sammt sechs Leichenpredigten bei dem Begräbniss Lutherii, Hunnii, Rungii, Gesneri, Mylii, Lyseri. Wittenb. 1610. 4.), die akademische Leichenrede Hutterus. Letzterer vertheidigte ihn noch nach seinem Tode in einer Schutzschrift gegen die Angriffe der Papisten, in’s Besondere eines Georg Pomerius. Mylius galt unter den drei bedeutendsten gleichzeitigen Wittenberger Theologen, die auch als Prediger berühmt waren, als der beredtste. „D. Aegidius Hunnius (so lautet ein Sprüchwort) doctissimus, D. Georgius Mylius eloquentissimus, D. Polycarpus Lyserus formosissismus.“ (Rehtmeyer, Kirchenhistorie der Stadt Braunschweig, Bd. 3 S. 144.). Jedenfalls ist er an Schwung und Blüthe des Ausdruckes ihnen überlegen. Aber auch an Sachgehalt steht er kaum hinter ihnen. Seine Methode ist bald synthetisch, bald paraphrastisch und bald local.
Von seinen Schriften sind besonders wichtig: Doctrina sancta de Justificatione. Jen. 1591. 4. Disputationes II. pro Articulis visitationis Misnice. Jenae 1593. Theses et Anththeses de coena Domini. Jenae 1593. 4. Positiones de vero Deo uno et trino. Jenae 1598. 4. Explicatio in 1 epist. ad Corinthios. Jenae 1600. 8. Commentarius in evang. Joannis. Francof. 1624. Explicatio Augustanae confessionis. Jenae 1604. Harmonia Patrum et Lutheri cum SS. Leipz. 1595. 8. Seelenschatz, d.i. Bericht aus Gottes Wort, christlich zu leben und selig zu sterben. Lauingen 1595. 8. Sieben unterschiedliche christliche Predigten. Lauingen 1584. 4. Drei christl. Predigten, zwo von dem heiligen Pfingstfeste, eine auf den Sonntag der heil. Dreifaltigkeit. Wittenb. 1586. 4. XI Predigten unterschiedlicher Materien. Erfurt 1590. 8. VII Predigten wider die Calvinisten. Wittenb. 1592. 4. Predigt vom Osterlamm im alten Testamente. Jena 1592. 4. X Türkenpredigten. Jena 1598. 4. Predigt von der Person Christi. Wittenb. 1602. 4. III Weihnachtspredigten. 1610. 4. Papstpredigten. Einzeln erschienen; die dritte unter dem Titel: Vom alten und neuen Babel. Wittenb. 1585. 4. Leichenpredigten.
Se. Oratio parentalis de vita cet. Georgii Mylii, autore Leonhardo Huttero. Witeb. 1607. 4. (Auszugsweise bei Adamus.) Ejusdem Gründliche Abfertigung zweierlei unterschiedlicher Bedenken, so von dem Leben, Sitten und Lehre Herrn Georgii Mylii Seligen durch einen päpstlichen Sycophanten, der sich Georgium Pomerium nennet, verfertigt worden. Wittenb. 1607. 4. Balthasaris Mencii historica narratio de septem electoribus Saxoniae. Witeb. 1611. 8. p. 227. Zeumeri vitae professorum Jenensium p. 98. Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie. Th. 2. B. 16. C. 26. §. 14-18. Joh. Christoph Mylius, Historia Myliana. Jenae. 1751. T. 1. S. 35.
Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856