Beata Sturmin, genannt die württembergische Tabea.

Beata Sturmin, genannt die württembergische Tabea.
Aus dem reichen Leben einer christlichen Fürstin treten wir in das stille Kämmerlein einer einfältigen Magd des Herrn, deren Leben der edle Glaubenszeuge Konrad Rieger als einen lebendigen Beweis hat darstellen wollen, dass auch aus dem Schoße der evangelischen Kirche auf Grund des lautern Bibelglaubens geistliche Helden und Heldinnen hervorgehen können, wie die katholische Kirche sich deren berühmt um sie auf Grund selbsterwählter Geistlichkeit in den auserwählten Chor ihrer „Heiligen“ zu stellen. Ohne Zweifel würde Beata Sturmin, in der römischen Lehre erzogen, sich als Ordensschwester, wo nicht Ordensstifterin ausgezeichnet haben und auch unter den Trübungen dieses Standes und Bekenntnisses ein leuchtendes Vorbild dessen geworden sein, was die Gnade in einer ihr übergebenen Natur vermag. Wir freuen uns nun um so mehr, in dieser Jungfrau ein von äußerer Werkheiligkeit unverschleiertes Bild eines tiefen innern Lebens schauen zu dürfen, das selbst bis an die schmale Linie, welche sie von wirklichen Verirrungen des geistlichen Wesens und Wirkens trennt und über welche sie vielleicht mit einem Fuße hin und wieder zu treten den Anschein hat, im innersten Sinne des Wortes innere Mission zu treiben im Stande ist. Nur in dem Maße, in dem es uns gelingt durch den Geist der Heiligung am innern Menschen zuzunehmen, werden von unserem Leibe auch nach außen jene Ströme fließen können, die ins ewige Leben quellen – das bestätigt uns der Lebenslauf dieser Seligen. An demselben werden zwar nicht Alle volle Freude finden; aber es gibt angefochtene und heilsbegierige, versuchte und trostbedürftige Seelen, die für ihre freudvollen und leidvollen Erfahrungen darin viel Bestätigung, für ihren Glaubensgang und ihr Heiligungsgeschäft viel lichtvolle Winke finden und das Leben der tiefgegründeten und vielbewährten Jungfrau dankbar für den gewährten Einblick in die Werkstätte des heiligen Geistes segnen werden.

Durch das Gericht des Spottes und der schmählichsten Verhöhnung ist sie bereits in vollem Maße gegangen, namentlich in einer zu Halle 1789 erschienenen freigeistigen Spottschrift auf die württembergische Tabea. Der evangelischen Prüfung, die das Geistliche geistlich richtet, kann sie sich nie und nirgends entziehen wollen. Beata selbst hat in Demut ihre Mitwirkung zu Aufzeichnung ihres Lebens verweigert, ja mehreres Schriftliche von ihr vor ihrem Tode dem Feuer übergeben. Was sie damals sagte: es werde viel gesammelt und geschrieben von dem Leben christlicher Seelen, sie sorge aber, dass solches Manchen, die es lesen, zum Aufenthalt und Hindernis, zu selbstgemachten Einbildungen und falschen Nachahmungen ohne eigene Erfahrung und Übung gereichen dürfte – das sei auch hier an die Spitze gestellt als ernste Mahnung für die Leser und zugleich als Zeugnis der Weisheit und Demut, welche das Wesen dieser christlichen Jungfrau schmückte.

Beata Sturm wurde am 17. Dez. 1682 geboren. Ihr Vater war der um Württemberg hochverdiente fromme Doktor Joh. Heinr. Sturm, Oberjustizrat und Landschaftskonsulent; ihre Mutter war Brigitte Beate, eine Tochter des Generalsuperintendenten und Abts zu Bebenhausen Joh. Conr. Zeller. In ihrer Jugend wurde sie im Lernen bald durch Schwäche der Augen gehindert; ein Star brachte sie bis in ihr elftes Jahr fast um alle Sehkraft; kaum zuvor war ihr Vater von den Franzosen als Geisel fortgeführt worden und bald darauf starb ihre Mutter. Nach fünfmaliger ärztlicher Behandlung wurde sie vom Stare so weit befreit, dass sie unter Leitung ihres glücklich zurückgekehrten Vaters das Lesen vollkommen, das Schreiben zur Notdurft sich aneignen konnte. Der Gebrauch von Gesundbrunnen besserte immer wieder ihre von Zeit zu Zeit aufs neue abnehmenden Augen. Von 1709 an, nach dem Tode ihres Vaters führte sie mit ihrem jüngeren Bruder bis 1711 die Haushaltung fort, dann ging sie zu dem Prälaten Esenwein in Blaubeuren, ihres Vaters Herzensfreund, in die Kost bis 1713, worauf sie bei ihrem älteren Bruder, der Advokat und Sekretär der Landschaft war, in Stuttgart bis zu ihrem Tode blieb. In diesen wenigen Zügen ist ihr ganzer äußerer Lebensgang beschlossen. Je einfacher ihr äußeres war, desto reicher wurde ihr inneres Leben.

In ihrem eigenhändigen ganz kurzen Lebensabrisse sagt sie, wie ihr Taufnahme Beata (die Selige) ihr stets eine rechte Aufmunterung zum heiligen Wandel gewesen sei. Sie habe, obwohl von trefflichen Eltern geboren und erzogen, doch von Natur gar ein trotzig und verzagt Herz gehabt, aber erst nach Entziehung der Gnade Gottes habe sie dasselbe erkennen gelernt. Ihr Vater war ein durchaus bibelfester Mann, der sich sein hebräisches altes und griechisches neues Testament nach der Versezahl zu einer täglichen Bibellesung von 73 Versen abgeteilt hatte. Diese Ordnung nahm auch sie an, so dass sie die Bibel jährlich ganz und in ihrem Leben etlich und dreißigmal auslas, trotz ihrem blöden Gesichte. Dadurch wurde sie denn auch so mit derselben bekannt, dass sie nur den Anfang zu sehen brauchte und dann auswendig fortfahren konnte. Außer der Bibel las sie kaum ein Buch, aber welcher Schatz des manchfaltigsten Wissens und der tiefsten und breitesten Erkenntnis ruht in diesem „Lagerbuche der Welt“, welche umfassende Bildung gewährt die anhaltende Beschäftigung damit und wie herrlich ist eine solche gründliche Bibelkenntnis, von der selbst ein Goethe, der „Meister der heutigen Bildung“ das schöne Wort zum Lobe der vorzüglichen Würde der Bibelfestigkeit zu sagen wusste: „Wer mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht hat, dass er als lebendiges Register von allen Sprüchen wo und in welchem Zusammenhang sie sich finden, Rechenschaft zu geben sich geübt hat, die Hauptstellen aber auswendig weiß und solche zu irgend einer Anwendung immerfort bereit hält, dem muss eine große Bildung daraus erwachsen, weil das Gedächtnis immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt dem Gefühl, dem Urteil reinen Stoff zu Genuss und Behandlung aufbewahrt.“

Ihre Eltern ließen ihre Kinder keine Sprüche noch Psalmen auswendig lernen, sie brachten ihnen dieselben durch den Gebrauch bei, überhaupt ermahnten sie nicht durch Worte, sondern durchs Beispiel. Nicht einmal gebetet hat ihr gottseliger Vater mit und vor seinen Kindern, sondern nur in seinem Kämmerlein, was Beata mit Recht nicht billigt, dagegen habe ihre Mutter fleißig auf den Knien gebetet, was einen unauslöschlichen Eindruck auf Kinder und Gesinde gemacht habe und von einer Magd noch nach vielen Jahren dankbar erkannt worden sei. Zur Kennzeichnung ihres Vaters gehört, wie er sich hat freiwillig von den Franzosen als Geisel abführen, dann nach vierjähriger harter Gefangenschaft heimgekehrt, ein Bad zurichten lassen mit den Worten: nun wolle er alle böse Reden und erlittene Schmähungen abwaschen. Als er später eine Zeitlang um seinen Dienst gekommen, habe er kein Wörtlein Klage geführt und fröhlich vor und nach Lesung der Bibel sein Lied „Jesu deine tiefe Wunden“ fortgesungen. Eine fröhliche Erinnerung für die Tochter war es immer, wie ihr Vater auf Grund täglicher Buße und Erneuerung im Geiste so eine große Gewissheit der Seligkeit gehabt.

So blieb denn auch sie wie wenige Seelen in ihrer Taufgnade fest durch die Kraft des Geistes Jesu Christi, den sie täglich anrief und dem sie sich wiederholt schriftlich angelobte. „Vergess ich Dein, o Jesu, so werde meiner Rechten vergessen. Meine Zunge müsse an meinem Gaumen kleben, wo ich nicht Dein gedenke, wo ich nicht lasse Jesum meine einzige Lust und Freude sein. Amen. Beata Sturmin“ so schließt ein Gelübde von ihr. Dennoch sah sie in ihrem späteren Alter ihre Jugend an als fast ganz fruchtlos zugebracht. Sie hatte auch zu kämpfen mit den Unarten des jugendlichen Herzens, sonderlich mit einer natürlichen Neigung zum Spötteln, auch mit mancher Lust zu Pracht und Eitelkeit der Welt in Kleidern und andern Ehrendingen äußeren Standes. Als sie es merkte, suchte sie dieser Neigung zu entsagen, aber auch da fand sie, dass sie es nicht sowohl aus Liebe zu Gott als vielmehr aus Eigenliebe, um das sie verklagende Gewissen zu stillen tue, erst später vermochte sie die noch anklebende Lust vollends hinwegzuschaffen und sich selbst zu verleugnen.

Als sie schon im zehnten Jahre das Gesicht verloren und nach Tilgung des Stars noch einen Sauerbrunnen brauchen sollte, musste sie sich alle Gewalt dazu antun, denn sie dachte, sie könnte mit so weit wiederhergestelltem Gesichte schon zufrieden sein. Da sei ihr das Wort 1 Kor. 7,21 eingefallen: „Kannst du frei werden, so gebrauche das so viel lieber,“ und sie habe gefunden, es sei Gott nicht zuwider, ein noch besseres Gesicht zu suchen, wenn sie es nur nicht nach ihrem, sondern nach Gottes Willen geschehen lassen wolle. So habe sie denn drei Wochen den Brunnen gebraucht unbekümmert um den scheinbar fehlenden Erfolg, dann aber nach endlich eingetretener Besserung herzlich gedankt, dass sie wieder ein Blümlein sehen konnte, ja auch dafür, dass sie blind gewesen und nun um so mehr die Herrlichkeit der Schöpfung bewundern könne, an welcher sie sonst vielleicht wie Tausende mit sehenden Augen blind vorübergegangen wäre.

Von ihrer Kindheit auf hatte sie eine gar widrige Person um sich gehabt, von der sie viel und unbillig hart angelassen, ja angeschwärzt wurde. Doch hat sie nie bei ihrem Vater darüber geklagt, sondern weil jene Person demselben diente, was sie bei ihrer Blindheit nicht konnte, hat sie aus Liebe zu ihrem Vater, dieses Leiden still getragen. Nach ihres Vaters Tod kam die Person in ein fremdes Haus und sie waren geschieden. Beata aber hatte keine Ruhe in ihrem Gewissen, dass sie jenes Alles nicht mit mehr Liebe und Sanftmut auf sich genommen habe und bat die Person um Verzeihung deswegen. Diese, welche das Wort des Apostels nicht kannte: „seufzt nicht wider einander und seid niemand nichts schuldig, denn dass ihr euch unter einander liebt,“ lachte über die heilige Einfalt solcher Abbitte, da ja sie selbst sich als die Beleidigende wusste. Aber ihr Herz wurde dennoch dadurch untergraben und zur Liebe gelenkt, dass sie fortan der Jungfrau mit aller Freundlichkeit begegnete. Als nun nach Jahren die Person in eine ekelvolle Krankheit verfiel, dass Niemand um sie bleiben mochte, so besuchte Beata sie fleißig, arbeitete treulich an ihrer Seele und gewann dermaßen die Kranke, dass sie freiwillig ihre Wohltäterin um Verzeihung der früheren Beleidigungen bat, und nun war Beata die Selige, dass sie durch jene sich selbst verleugnende Abbitte einen solchen Zugang zu diesem verschlossenen Herzen erlangte. Sie fuhr nun um so eifriger fort in brünstiger Fürbitte für die Arme, die ihr zwanzig Jahre lang so viel Leid getan, dass der Herr Barmherzigkeit an ihr erzeigen wolle und nach seinem Worte ihr vergebe, wie sie ihr längst vergeben habe.

Von Kindheit auf ans Wort gewöhnt lernte sie übrigens erst in den Predigten des Diakonus Unkauf das Wort verstehen, das man, wie ein erleuchteter Christ sich ausdrückte, „hundertmal lesen und erklärt haben kann, bis erst spät, und wenn man ins Gedränge kommt, das ganze Licht aufgeht, das in einem Spruche ist und die schwierigsten Fragen so hell und klar macht, dass man sich nur wundern und fragen muss: warum hast du das nicht früher gemerkt?“ Ohne zu wissen, was in diesen Predigten sie besonders ergreife, spürte sie dabei etwas ganz anderes als bisher, sie sei, sagte sie, gleichsam umzingelt und gefangen worden und sei gewesen, als ob sie mit Allem ganz allein gemeint wäre. Aus dieser Erfahrung heraus tröstete sie auch oft Eltern und Prediger: sie sollten nur getrost zum Herrn ermahnen, scheine es lange vergeblich zu sein, so wachen doch endlich die gehörten Wahrheiten auf, zumal unter Leiden. So fei ihr namentlich das Wort eines Predigers über die Pflicht der Waisen, sich als zu solchen Leiden berufen zu achten wie ein Blitz eingeschossen, als ihr Vater gestorben, nachdem sie lange die Predigt als eine für sie vergebliche gehalten und vergessen hatte, weil ihr Vater noch lebte.

Der Tod ihres Vaters lehrte sie die Wahrheit des Wortes erfahren, dass das Weizenkorn ersterben müsse, damit es viel Frucht schaffe. Wie nach Abrahams Tod Gott seinen Sohn Isaak segnete, so fühlte sie nach ihres Vaters Tod neu angehenden Gottes-Segen. Sie zog ins stille evangelische Kloster Blaubeuren zu ihrem väterlichen Freunde Esenwein unter lauter Beten, und um so eifrigerem, je mehr der rohe Kutscher, der sie führte, auf seine Mähren hineinfluchte. In Blaubeuren warteten ihrer die stärksten innerlichen Kämpfe. Schon früher fand sie sich in ihrer Schwermut von entsetzlichen Gedanken an Selbstmord gequält, so dass sie bisweilen nicht wagen durfte, nahe an ein Fenster zu gehen. Damals und in ihrer zweijährigen Einsamkeit daheim nach ihres Vaters Tode waren solche Versuchungen noch mäßig, denn wie ihr Lebensbeschreiber mit Geistesblicken in die Tiefen der Schrift und des Satans, von denen der Apostel Paulus spricht, bemerkt, solche Versuchungen in der Wüste und Einsamkeit sind nur für einen Jesus, der Gottes Sohn ist; erst nachdem Beata unter Aufsicht und Führung des gottseligen Mannes in Blaubeuren gekommen war, wurden die stärkeren Anfechtungen zugelassen.

Vor Allem war der geübten Beterin oft das Beten so schwer, dass sie Gott keinen Vater mehr nennen konnte, bis sie aus Psalm 68,6 „Gott ist ein Vater der Waisen“ wieder Licht und durch eine einfache fromme Magd, die selber Waise war und dafür dankte, dass sie sich gewiss aller der Waisen geschehenen Verheißungen getrösten dürfe, Trost bekam. Ein anderes Mal erachtete sie sich unfähig zur Beichte im vollen Gefühle ihrer Unwürdigkeit, bis ihr das Wort in den Spr. Salomos 9,4.5 „kommt ihr Alberne und esst von meinem Bissen,“ und in dem Worte Joh. 6,37 „wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“ wieder Freudigkeit gab. In unsägliche Angst kam sie dadurch, dass einst, während sie den Klosterschülern heimlich zugehört hatte Chor halten, der versucherische Gedanke in ihr aufstieg, sie solle sich jetzt erstechen, da es niemand sehe, sie lasse ja doch nicht nach zu sündigen und es sei besser ihrem Leben ein Ende zu machen, als so fort Sünden zu häufen. In dieser fürchterlichen Finsternis blitzte ihr das Wort ins Gemüt, „du sollst nicht töten,“ da lief sie mit Zittern in ihr Kämmerlein, flehte zum Herrn, er wolle ihr tun, was er nach Jer. 18,4 könne und stand wieder guten Mutes auf. Doch erfuhr sie, dass „wenn man einen Kampf ausficht, das macht’s noch nicht.“ Ihre ärgste Anfechtung war später, dass sie selbst an Gottes Wort zweifelte und den ganzen Grund ihres Glaubens umgerissen sah. Da lebte das Wort aus Psalm 119,38, das lange in ihr geschlafen, frisch auf: „Lass Deinen Knecht dein Gebot fest für Dein Wort halten, dass ich Dich fürchte“ und der Feind wurde abgeschlagen, ihr Herz mit Freude erfüllt.

Je fester ein Christ im Worte wird und in der Gnade, desto weiter wird sein Herz, desto enger sein Gewissen. Einst wollte Beata ihrer Gevatterin ein Huhn in das Wochenbett verehren und weil sie meinte sparen zu müssen, dem armen Verkäufer an der kleinen Forderung abbrechen. Kaum war derselbe nicht ohne sich darüber zu beschweren fort, so fiel’s ihr heiß aufs Gewissen, dass sie den armen Mann so hart gehalten. Sie ließ ihn aufsuchen, konnte ihn aber nicht mehr finden, und je mehr sie sich nun bekümmerte, desto mehr bewog sie es, den Armen ein Mehreres zu geben. Das ist ein Punkt, den auch eine der bewährtesten Armenfreundinnen unserer Tage, Amalie Sieveking ihren Schwestern mit gutem Grunde vorhielt, da von Bemittelten so oft unrechterweise Sparsamkeit geübt wird an armen Verkäufern und Arbeitern, denen der abgebrochene Kreuzer gerade so wehe tut, als so mancher flugs für Putz und Vergnügen ausgegebene Taler schwer in die Waage des ewigen Richters fällt. Spare am rechten Orte, und du kannst ein Übriges geben den Dürftigen!

In den Nöten ihres Gewissens war Beata trefflich beraten von dem würdigen Prälaten, dessen erbauliches Leben sie täglich mitansehen durfte. Der tat täglich Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung auf den Knien für alle Menschen und für die Obrigkeit, versäumte keinen Sonntags-Gottesdienst und heiligte die übrige Zeit des Sonntags mit Beten, Singen, Lesen und erbaulichem Gespräche; um dem Feiertage sein Recht nicht zu verkürzen, machte er zur Regel, dass nur selten am Sonntag gekocht und am Samstag so viel vorgesehen wurde, damit für den Sonntag gesorgt war. Endlich las er nach dem Morgen- und Abendsegen aus der Schrift vor und erläuterte das Gelesene kurz, durch welches wiederholte Lesen die Schrift auch seinen Hausgenossen, namentlich seiner Frau so bekannt wurde, dass wenn etwa eine Magd im Lesen bei einem unbekannten Worte oder Namen angestanden, sie derselben an der Kunkel1]Spinnrocken, Spindel sitzend alsbald auswendig forthelfen konnte.

Nachdem dieser Mann Stiftsprediger und Konsistorialrat in Stuttgart geworden war, kehrte sie mit ihm in ihre Vaterstadt zurück und leuchtete dort, obschon „als eine geistliche Biene ihr vornehmstes Geschäft im Verborgenen treibend,“ als ein heller Stern durch ihren ungefärbten Glauben, ihre lebendige Hoffnung, ihre brünstige Liebe gegen Gott und alle Menschen, ihr Anhalten am Gebet und am Worte Gottes, durch ihre seltene Klugheit und Erfahrung, ihren lieblichen Umgang, ihr christliches Leiden und seliges Sterben.

Neben der Schrift, in der sie allein Jesum suchte und fand, (Matth. 17,8.) dienten zur Förderung ihres Glaubens wesentlich Luthers Schriften, an denen sie sich nicht satt lesen konnte und die sie allen andern Büchern vorzog, weil ihr Niemand außer ihrem Luther Christum so köstlich zu predigen und groß zu machen verstand. Selber auf diesen Eckstein erbaut, wusste sie müde Seelen auch auf ihn hinzuweisen; sie konnte ein Wort von Sünde und Gnade mitreden, weil sie, wie sie sich gerne ausdrückte, selber auch hinter dem Ofen gesessen. Hunderten wies die Vielerfahrene den rechten Weg zum Frieden. Aus ihrer Erfahrung heraus gab sie solchen, die um Heiligung bekümmert waren, aber vor lauter Vorsatz nicht zur Erfüllung kamen, unter anderem folgenden Fingerzeig: Sie habe sich ehedessen viel Unruhe gemacht mit so viel angeloben, wenn sie in einer Predigt recht warm geworden sei, da habe sie sich weiß nicht was zu ihrem Christentum vorgenommen. Ehe sie sichs aber versehen, so sei wieder ein Fehler vorgekommen und habe sie beunruhigt, dass sie immer von neuem anfangen musste. Nun habe sie sich nicht mehr mit so viel geloben gebunden, sei ihr ein Fehler offenbar geworden, so habe sie den kurzen Weg genommen, sei zu Christo gelaufen und habe ihm den ganzen Handel heraus gesagt, wobei sie in der Tat weiter gekommen sei und sich besser befunden habe. Auf solche Weise habe sie auch erfahren: Wer fromm leben wolle, müsse vorher selig sein, d. h. durch Glauben die von Christo erworbene Seligkeit angenommen haben; weil sie denn das Annehmen, nicht das Angeloben bewährt fand, war sie froh, dass Gott ihr einen ganz kindlichen Geist gegeben habe; „so ihr nicht werdet wie die Kinder,“ … das heiße wie die kleinen Kinder, die größeren Kinder nämlich sind immer scheuer und ängstiger etwas zu begehren und anzunehmen, weil sie schon mehr Überlegung machen. Von ihrem „lieben Luther“ namentlich hatte sie gelernt, nur auf Gottes Wort hin anzunehmen. ohne auf eigene Geschicklichkeit, Würdigkeit oder Unwürdigkeit zu sehen oder auch an Empfindungen der göttlichen Gnade sich zu binden.

Beata ist zur innern Mission eben darin ein hohes Vorbild, dass sie nicht bloß durch ihr Beispiel zeigt, sondern aus ihrer Erfahrung heraus mit so klarem einfältigem Worte Winke zu geben versteht, wie ein Herz sich vorher selbst gründen und vollbereiten müsse, ehe es aus der Fülle ihres Glaubens Andern darreichen kann brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe. Bei ihr selbst ist der Quell göttlicher Liebe, die in sie ausgegossen war, immer völliger geworden in dem Maße als ihr Glaube kindlicher und stärker wurde. Je mehr sie dann selbst von ihrem freundlichen Herrn sich erfreut fühlte, desto mehr tat sie Fleiß, dass Niemand betrübt von ihr gehe; sie hatte es erfahren, wie weh es dem Herzen tut, dem um Trost bange ist, ohne Tröstung wieder heimgehen zu müssen.

Das volle Genüge, das sie in ihrem Innern hatte, seit der Geist der Freuden sie erquickte, die innere Seelenwaide war fast im eigentlichen Sinne ihr tägliches Brot. Sie war wohl zu hart gegen sich in Entbehrung von Genüssen und leiblicher Nahrung, aber was konnten ihre Freunde ihr entgegenhalten, wenn sie antwortete, sie erfahre was der Psalm 94,3 sage: Mein Leib und Seel freuen sich in dem lebendigen Gott; bei ihrem kränklichen Leibe sei es ihr durch und durch wohl, wenn sie bete, in der Bibel lese oder eine Predigt höre; selbst die Winterkälte der Kirche fürchte sie nicht, das von der Freude und Lust im heiligen Geist entzündete Herz ergieße seine belebende Wärme in alle Adern. Ganz gewiss, der Mensch lebt nicht vom Brote allein, sondern von Jeglichem, das aus dem Munde Gottes geht; die Seele erhält den Leib; das Wort „Erquickung,“ „Nahrung,“ „Sättigung“ im Geistlichen ist nicht ein bloßes Wort, und das fast Nahrungslose Leben eines Niklaus von der Flüe war kein unnatürliches Wunder.

Kraft dieser Einfachheit und Bedürfnislosigkeit war Beata auch fähig, eine unerschöpfliche Quelle des Wohltuns für Andere mit geringen Mitteln zu werden, dass ihr Lebensbeschreiber mit Umsetzung der Buchstaben ihres Namens Beata sie nach jener edlen Jüngerin in der Apostelgeschichte die württembergische Tabea nennen konnte. Sie war dieses Namens würdig nicht bloß durch das, was sie tat, sondern namentlich wie sie es tat. Trotz ihrer blöden Augen leuchtete aus ihr ein Licht freundlich und lieblich, wie wir unter unsern Zeitgenossen es zumal am seligen, auch fast blinden Neander als eine wahre Verklärung bewundern durften. Sie hatte in ihrem Äußern nichts Unangenehmes, geschweige Widriges, Ungebärdiges, Mürrisches und Sauertöpfisches, sie hatte die Geistesfrucht der Freundlichkeit und Fröhlichkeit in hohem Grade. Wer sie ansah, der musste mit Johann Arnd um einen „gleichen Strahl der Gottesliebe“ bitten. Von ihrer zarten Liebe gegen ihre Geschwister und Angehörigen, von ihrer treuen Dienstfertigkeit und Unermüdlichkeit in gesunden und kranken Tagen leiblich und geistlich soll nicht weitläufig gesprochen werden. Neben ihren Verwandten genossen ihre Liebe besonders die, welche der Liebe am bedürftigsten waren, die Verborgenen, die sich sauer Nährenden, die Verschuldeten, die Angefochtenen, die Witwen und Waisen, die Armen überhaupt, ferner die Kranken, die in Spitälern, Lazaretten und andern Löchern und Kammern Liegenden, zu welchen sonst nicht leicht Jemand einzukehren pflegt. Mit diesen machte sie sich bekannt, für sie sorgte sie nach eigenem Vermögen und durch Fürsprache bei andern, sie besuchte, tröstete sie, brachte ihnen Essen und Trinken und was ihre Hand fand; ihnen suchte sie mit leiblicher Erquickung die geistlichen Güter nahe zu bringen, so dass sie eine allgemeine Zuflucht der Betrübten und Verlassenen wurde und wie jene apostolische „Rehe“ bei ihrem Tode aufs schmerzlichste beweint wurde.

Ihr väterliches Erbteil an Kleidern, Schmuck usw. hatte sie sogleich zu Geld gemacht, und an die Armen gewandt. Nur für die äußerste Notdurft behielt sie übrig. Sie selbst kleidete sich unter ihrem Stande, um desto besser Nackte kleiden zu können. Als sie einst einem armen Weibe Essen gebracht hatte und dasselbe von ungefähr äußerte, wenn sie jetzt nur Jemand wüsste, der ihr ein altes Kleidlein zukommen ließe, in dem sie etwa auch nach einem Stückchen Brot sich umtun könnte, so tat Beata sofort ihren Rock ab und ging in ihrem langen Schlafrocke heim um buchstäblich das Wort zu erfüllen, Luk. 3, 11: Wer zwei Röcke hat, gebe dem, der keinen hat. Es war ihr sonst ein Gläschen Wein bei Tisch verordnet, sie meinte hernach: dass sie an einem halben genug habe und den anderen Teil zur Labung von Kranken anwenden könne.

Als ihr einmal so viele Bedürftige bekannt wurden, dass sie mit ihrem Einkommen nicht ausreichte, aber doch gerne geholfen hätte, so ruhte sie nicht, bis ihr erlaubt ward, einige hundert Gulden ihres eben nicht überflüssigen Vermögens aufzukündigen, und als sie nun mit vollen Händen austeilen konnte, war sie glückselig. Wollten Arme Geld von ihr leihen, so schenkte sie ihnen lieber etwas, denn sie wusste, dass Schuldner in der Regel ihr Herz gegen Gläubiger verschließen. Freilich konnte sie dann einige Mal den vom Arzte ihr angeratenen Sauerbrunnen nicht brauchen, da sie sich zu sehr vergeben hatte; – es kann und soll das keine Regel für Andere oder gar Alle sein, aber wer will ihr gram werden ob solcher allzu großen Selbstverleugnung, wenn sie nachher zu merken glaubte, ihre Augen wären dennoch den Winter über so gestärkt worden, als wenn sie am Brunnen gewesen wäre! Wie klug wusste sie dann, wo ihre Kräfte nicht ausreichten, Andere in die Mitarbeit der tätigen Liebe zu ziehen und ihre Leute am rechten Orte zu fassen. In einem Freundeskreise erwähnte sie einmal der großen Not mancher ihr bekannter Armen und der Versuchung , in welche dieselben durch das Elend kämen, weil sie keine Mittel habe, ihnen zu helfen, möchte sie lieber sterben, um aus ihrer Verlassenschaft ihnen eine erkleckliche Hilfe zukommen lassen zu können, denn wenn sie durch ihr Sterben den Unglücklichen nützen könnte, wie gerne wollte sie ihr Leben hingeben. Das tat bei einem reichen Anwesenden glücklichste Wirkung. In einer wirklich gefährlichen Krankheit dagegen wünschte und bat sie noch länger leben zu dürfen, bis sie die fünfzig Gulden heimgezahlt hätte, welche sie unbekannterweise bei Jemand für die Armen aufgenommen hatte. Weil sie, der’s eine Lust war, das Wort des Herrn zu erfahren: geben ist seliger denn nehmen, zu ihrem größten Leide so mancher Notdurft nicht abhelfen konnte, bat sie wie Moses (4 Buch Mos. 11,12) „ich kann’s nicht Alles tragen, schaffe mir vermögliche und willige Herzen, die mir tragen helfen.“ Und während sie für Andere sorgte, war sie fast allzu bedenklich, selber jemand für sich beschwerlich zu fallen. Freute sie sich, wenn sie mit ihren dunkeln Augen jemand eine Türe oder Haus zeigen, einer Magd eine Last aufheben, für sie die Kinder hüten, ja auch das Holz gelegentlich in die Küche tragen konnte, so hielt sie sich um so weniger dafür da, sich dienen zu lassen. Ängstlich bemühte sie sich ihren beschäftigten Freunden nicht mit Besuchen überlästig zu werden. Litt sie Mangel, so nahm sie durchaus kein Geschenk an. Wurde ihr besseres Essen geschickt, so brachte sie es den Armen und Kranken. Um nicht besser zu leben als so viel Tausende ihrer armen Mitmenschen, entzog sie sich dem bessern Tisch ihres Bruders und kochte sich ganz einfach. Einmal kam sie selber so in die Not, dass sie zwei Tage keinen Bissen zu essen hatte und erfuhr, „dass es etwas Entsetzliches um das Hungerleiden sei.“ Wir werden auch dieses Übermaß der Entsagung nicht als Muster aufstellen, aber das anmerken dürfen, dass die Wohlhabenden ganz anders mit den Armen umgehen würden, wenn auch sie einmal im sauren Schweiße ihr Brot verdienen und mit Tränen essen oder erfahren müssten, was Hunger ist!

K. Rieger, ihr Lebensbeschreiber sagt übrigens ausdrücklich von unserer Beata, dass ihre Liebe und Mildigkeit anfangs größer gewesen sei als ihre Klugheit und Vorsicht. Sie maß nach ihrem zarten Gewissen alle anderen Menschen und musste erst lernen wie viel Bosheit unter der Armut stecke. Glücklicherweise waren die Ihrigen vorsichtiger, sie hätte sich um Alles bringen lassen von den sie oft missbrauchenden Armen, unter denen ihr nur eine einzige Frau vorgekommen ist, welche wirklich nur so lange Almosen annahm, als sie nicht arbeiten konnte. Durch die Erfahrung lernte sie die hohe Pflicht der Weisheit in der Liebe, und nach dem Vorbilde der klugen Jungfrauen zu handeln: „nicht also, auf dass nicht uns und euch gebreche“, da man durch unzeitige und unbedachtsame Liebe den andern sogar schädlich sein, also sich an ihnen versündigen könne. Da tat sie herzlich Abbitte für die frühere unweise Verwaltung ja Verschwendung der Güter Gottes über die sie zur Haushalterin gesetzt war und die ihr nun zum Gutestun fehlten; sie betete fleißig um Weisheit in Austeilung und Gebrauch des Möglichen und Nötigen: „Du hast mir’s gegeben, Du wirst auch Rechenschaft von mir fordern. Darum führe mich auch hierin nach Deinem Wohlgefallen auf ebener Bahn, dass ich nicht zu viel und nicht zu wenig tue. Verleihe aber auch, dass dieser mein guter Wille ein gutes Herz bei den Armen finde und sie zum Vertrauen auf Dich, zum Gebet und zur Frömmigkeit hinweise.“ (Röm. 15,30.31.) Bei viel traurigen Erfahrungen hatte sie auch manche liebliche Erfahrung zu machen. Als ihr z. B. einst Geld unter die Hände kam, überreichte sie einem guten Freunde fünfundzwanzig Gulden davon, solche an einen frommen Prediger auf dem Lande ohne ihren Namen zu übermachen. Dem Prediger war gerade ein Kind gestorben, von dem sie nichts wusste; er hatte nicht, wovon es anständig beerdigt werden konnte, ging mit seiner Frau ins Kämmerlein, trug Gott seine Not vor und bat um Hilfe. Da klopfte noch während ihres Betens der Bote an das Haus und überbrachte das Geld, wodurch sie unaussprechlich erfreut und im Vertrauen auf die gnädige Vorsehung Gottes herrlich gestärkt worden sind. Beata aber, als sie nachher den Zusammenhang erfuhr, war voll fröhlichen Lobes ihres Gottes, der also die Gabe zu rechter Zeit an den rechten Ort hat kommen lassen.

Schon aus diesem ergibt sich, dass Beata eine so selige Geberin sein konnte, weil sie eine fröhliche Beterin war. In der Tat bestand, wie sich K. Rieger ausdrückt, ihr ganzes Leben in dem geistlichen Atemholen des Gebetes und in nützlichen Verrichtungen. Sie hat entweder gebetet oder ein gutes Werk getan. Ja sie hat nichts getan, als gebetet, denn in Allem war ihr Herz auf Gott gerichtet und in seinem Umgange. Bisweilen brachte sie halbe Nächte, ja eine ganze Nacht in anhaltendem Gebete zu. Eine Zeitlang war sie sich darin zu hart mit Frühaufstehen, sie ließ sich aber christliche Einsprache gefallen, um ihrem Leibe nicht zu schaden. Wollte sie in der Bibel lesen, in eine öffentliche Betstunde oder gemeinsame Erbauungsstunde gehen, wurde sie um Rat gefragt, so betete sie vorher und nachher. Hörte sie in ihrem Hause in die Ratsversammlung läuten, so beugte sie ihre Knie für die zu Rat gehenden Landstände mit Fürbitten und Flehen für sie und das ganze Vaterland. Trat sie in ein Haus ein, so sprach sie still: „Friede sei mit diesem Hause“ nach dem Befehle Christi. Luk. 10,5.

Obwohl sie vorzüglich aus dem Herzen zu beten pflegte, so hielt sie doch auch viel auf feststehende Gebetsformeln, namentlich beim Hausgottesdienste um der Kinder und des Gesindes willen. Vollkommen schätzte sie in seinem unbeschreiblichen Werte das Gebet des Herrn, das auf alle Zeiten und Zustände, besonders wenn der Quell des eigenen Gebetes nicht fließen wolle, passe. Wenn gute Freunde, sagte sie, von einander scheiden müssen, so kommen sie doch bald wieder im Vaterunser zusammen, denn das reiche über die kleine und große Gemeinschaft, ja in das Reich der Seligen im Himmel hinüber. Beim Tische sprach sie einfach das kern- und herzvolle „Aller Augen usw.“ Doktor Luthers. Die ihr nahestehenden Seelen brachte sie mit Namen in alle ihre Gebete. Dagegen hielt sie nicht viel von gemeinschaftlichen Gebetsübungen zwischen bestimmten Personen an gewissen Orten und bestimmten Stunden, weil dadurch bei den verschiedenen Seelenzuständen der Einzelnen leicht mehr verderbt als gebessert – gewiss auch geistliche Eitelkeit genährt – werde. Freunde sollen für einander im Kämmerlein oder im öffentlichen Gottesdienste beten.

Wie für alle Menschen so betete sie insbesondere täglich für das Vaterland, gewiss die herrlichste politische Tätigkeit einer christlichen Frau oder Jungfrau. Indem sie so Fürst und Volk auf dem Herzen trug, gewann sie zugleich eine seltene Einsicht in die öffentlichen Zustände. Die zunehmende Armut, die Fehler in allen Ständen, der hereinbrechende Abfall von der evangelischen Wahrheit lag ihr tief an und angelegentlich klagte und fragte sie darum bei ihrem Gott…. Es ist hier nicht der Ort, von den vielen Gebetserhörungen zu sprechen, deren sich Beata zum Lobe Gottes erfreute. Es genüge zu sagen, dass sie aus Erfahrung wusste, was Amen heißt. Nicht jedermanns Ding freilich ist solches Glauben, Beten, Ringen und Singen, wie Israel es tat, wie ein Luther es durfte, als er für Melanchthon bat: Du musst Philippum retten! Aber alle will der Geist der Gnade und des Gebetes lehren anzuhalten im Gebet, trotz Furcht und Widerstand und ob auch mit verdrossener Mühe begonnen wird, doch in fröhlicher Stimmung zu enden.

Dazu gehört nun freilich vor allem die feste Gründung in der Schrift und das treue Schöpfen aus diesem Heilsbrunnen. Unterstützt durch treffliche Naturgaben brachte Beata es durch unermüdlichen Fleiß und unersättliche Begierde, tägliche Übung und göttliche Erleuchtung zu einer seltenen Erkenntnis in geistlichen Dingen, zu einem gründlichen Zusammenklang der Heilslehren; durch treue Wiederholung des Gehörten und Gelernten, sowohl nach jeder Predigt als namentlich am Ende jeder Woche verstand sie fortwährend aus dem Ganzen ins Ganze zu wachsen. Da sie alle Jahre ihre Bibel zu Ende brachte, ward sie eine lebendige Vorratskammer und selbst eine aus der Tiefe schöpfende Auslegerin der Schrift, dass mancher erfahrene Prediger des Wortes mit Lust ihr zu Füßen saß und bekannte, nicht leicht Besseres über das gottselige Geheimnis hören zu können, als Beata mit einfältigen Worten zu geben pflegte. Ihr Lebensbeschreiber bringt solche Gedankenblitze und aus der Tiefe geholte Perlen der Erkenntnis und Auslegung aus ihrem Munde zum Beleg für die Fülle von Geist, die aus ihrem Herzen über die Lippen strömte. Ganz besonders zeigt sich die Gründlichkeit und Allseitigkeit ihrer Bibelkenntnis in der genauen Bekanntschaft mit dem alten Testamente, ohne welches in der Tat niemand im neuen Testamente recht zu Hause sein kann.

Beata, die so sehr in der Schrift zu forschen verstand und von der Gelehrte gern lernten, war damit weit entfernt von selbsterwählter Geistlichkeit, von vornehmer Absonderung, von Hinwegsetzung über die kirchliche Ordnung und den Gebrauch der kirchlichen Gnadenmittel. Sie war die fleißigste Kirchengängerin und versäumte ohne die größte Not auch nicht einen Wochengottesdienst. Das heilige Abendmahl genoss sie je nachdem sie hungerte oder dürstete, bisweilen alle drei Wochen. In demütiger Liebe hing sie ihren Geistlichen an und erklärte, es könne keine Predigt sein, woraus sie sich nicht erbaute und wenn’s nur der Kanzelgruß wäre, so halte sie ihn für eine hohe Gabe für sie elende und unwürdige Magd. Mit aller Gewalt widerstand sie den Verleitungen zur Aussonderung aus der gewöhnlichen kirchlichen Gemeinschaft, was gewiss sehr von ihrem gesunden Sinne und ihrer lautern Demut zeugt. Eben ihre Bibelkenntnis gab ihr geschärfte Sinne, nüchternes Urteil und klaren Einblick ins Herz und Leben. Damit war sie zu Beratung irrender und trauernder Gewissen, zu Tröstung der Verzagten, zu Befestigung der Zweifelnden, zu Aufbauung der Niedergeschlagenen, zu Ermunterung der Zurückbleibenden, zu Ernüchterung der Übergeistlichen und zum Schwärmen Geneigten trefflich geeignet. Einst erwiderte eine vom Lande gekommene Freundin auf ihre Frage: wie lange sie in der Stadt bleiben werde: „Sie wisse nicht, wie es ihr der Herr noch zeigen werde;“ da sagte Beata: „Ei, meinst du denn, Gott werde dir ein besonderes Wort geben, wann du wieder wegreisen sollst? Er hat dir Sinne und Vernunft gegeben, mit diesen kannst du messen und rechnen, was du hier zu tun hast und wie viel Zeit du bedürfest. Warum auf ein besonderes Zeichen warten? Es liegt ein geistliches Stölzlein darunter, da man dafür angesehen sein will, als stünde man so gar unter besonderer Leitung Gottes.“

In Demut und Liebe übte Beata vielen Hunderten zu gewiss ewigem Danke das geistliche Priestertum, das uns als ein unveräußerliches Erbstück der evangelischen Kirche Luther wieder gegeben hat, indem er jedem Christen Beruf und Sendung zuspricht, Angefochtene zu trösten und Vergebung der Sünden zuzusprechen. „Gott gibt einem jeglichen den Mund voll, dass er sprechen kann zu dem andern: Dir sollen deine Sünden vergeben sein. Darum soll sich ein jeder Christ gewöhnen, wenn ihn der Teufel anficht, dass er sich nicht lang mit ihm beiße und allein bleibe, sondern lasse zu sich fordern seinen Seelsorger oder sonst einen guten Freund, begehre Rat und Trost von ihm und gründe sich darauf: dass Jesus spricht, Welchen ihr die Sünde erlasst, denen sind sie erlassen.“ In solcher Seelenführung hatte Beata einen seltenen Takt, eine meisterhafte Klugheit und Weisheit; die Beispiele oder Aussprüche, die ihr Lebensbeschreiber von ihr anführt, geben selbst dem geübten Seelsorger die trefflichsten Winke. Wie wandte sie nur einst den Spruch Matth. 18,11. „Ich bin gekommen zu suchen und selig zu machen was verloren ist,“ bei einer ängstlichen in hartem Kampfe arbeitenden Seele an! „Setzt euch nur selbst herab wie Ihr wollt und glaubt das Ärgste von euerm Zustande,“ sprach sie, „Ihr könnt Euch nicht ärger machen, als dass Ihr Euch für verloren haltet.“ Als nun die angefochtene Person dieses bejahend noch ärger seufzte: das sei aber ihr Jammer, dass sie verdammt und verloren sei, antwortete Beata: „Eben da Ihr am weitesten draußen seid und Euch für verloren anseht und die Hoffnung sinken lassen wollt, so bedenkt doch, dass gerade hie wo Ihr aufhören wollt, das Amt Jesu Christi anfange, der gekommen ist zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Wo Alles für verloren aufgegeben wird, da fängt Er an zu suchen. Seine Hirtentreue ist auch gar nicht ermüdet, bis an Euch die Reihe kommt, dass Ihr vielmehr das Erste seid, woran er sie beweist.“ Und dieser Zuspruch geriet wohl, setzt Rieger hinzu, der von ihr bezeugt: sie habe Viele zur Seligkeit gewiesen.

Sie kam in die manichfaltigste Berührung mit Menschen, armen und reichen, gläubigen und noch nicht gläubigen. Ausdrücklich bekannte sie, es sei nicht gut, allein zu sein. Man werde dadurch selbstgefällig, selbstzufrieden, unlittig, lieblos, eigensinnig, und wolle Alles nach sich regeln und richten. Man müsse sich, wenn man fromm sein wolle, nicht in den Winkel einschließen, denn wenn man je daraus hervorkomme, so sei man wie ein verwöhnt Kind mit nichts zufrieden, ärgere und plage sich und Andere. Als nun ein Prediger ihr aber das Zerstreutwerden im Umgange mit zeitlichen und weltlichen Menschen klagte, antwortete Beata, die im Innern gesammelt, keine Zerstreuung zu fürchten hatte und weil sie der innern Heimat gewiss war, auch draußen daheim war, sie wisse nicht, was dieses Zerstreutwerden doch heißen solle. Sie habe sich jederzeit Alles zu Nutzen gemacht, was ihr vorgekommen und mitten im Getümmel, des Marktes habe sie innerlich gesammelt. Wenn sie nur mit ihren Augen recht unter den Menschen fortkommen könnte, sie habe sich oft gewünscht, lieber eine Magd im unruhigsten Wirtshause zu sein, als in der Einsamkeit für sich zu leben. Sie habe die besten Gedanken über den verachtetsten Arbeiten und wäre es auch, dass sie für eine kranke Magd selber die Schuhe reinige; sie spüre dass der Höchste etwas besonderes in das tätige Leben gelegt habe, und wenn man einmal Barmherzigkeit von Gott empfangen habe, soll man im Umgange ein Werkzeug der Gnade auch an Andern werden. Was Gott zusammengefügt, solle der Mensch nicht trennen.

Hiernach hat dieses lebendige Gefäß der Barmherzigkeit, statt sich klösterlich abzuschließen, viele tausende Gänge der Liebe getan oft ungesucht, nie ungebetet, oft aus Gehorsam, nie ungesegnet, oft ohne Dank und nie ohne Frucht – für sie oder die Andern. Da sie täglich dem Herrn ihre Wege befohlen, war sie ruhig, es mochte ihr begegnen was ihr wollte. Wer sie aber nur einmal näher kannte, der hörte ihr zu und wartete auf ihren Rat wie auf erquickenden Abendregen. (Hiob 29,21.) Auch in ihren Briefen, deren etliche in ihrer Lebensbeschreibung abgedruckt sind, zeigt sie sich als unerschöpfliche Quelle des Trostes, der Ermunterung und Freude, sie konnte nicht anders als ihre Lindigkeit allen Menschen, denen sie nahe kam, kund werden lassen, nachdem ihre Freude im Herrn war allerwege.

Bei solcher Freudigkeit nimmt es uns nicht Wunder, von ihr zu hören, sie sei schon über vierzig Jahre alt gewesen, als sie einst eine Predigt vom Ärgernis des Kreuzes hörte und da sie kein Kreuz zu haben glaubte, habe sie die Predigt sich eben etwa auf künftiges eigenes oder fremdes Bedürfnis aufbewahren wollen. Die Blödigkeit ihrer Augen erkannte sie nämlich nur als eine Wohltat Gottes mit fröhlichem Danke. Das wenige ihr übrig gebliebene Augenlicht, wenn sie damit zur Not etwas auflesen, oder jemand ein Haus zeigen konnte, half ihr zu dem Kindessinn, den auch das Geringste erfreut, und so dankte sie Gott für das Wenige viel mehr als sie gewiss für volles Augenlicht getan hätte. Auch zur Übung der Sanftmut erhielt sie manche Gelegenheit, wenn sie unversehens einem rohen Menschen in den Weg lief und seinen Fluch und Schimpf mit liebender Abbitte und Fürbitte zu sühnen fand. Ihr Kreuz war allein die ihr noch anklebende Sünde, diese brachte sie in die Gemeinschaft des Leidens Christi. Der in diesem Leben fortgehende Wechsel des Lichtes und der Finsternis im Innern war ihr eigentliches Leiden, bis sie gelernt hatte: „Am guten Tag hab‘ guten Mut, den bösen nehme auch für gut,“ und es zu machen wusste, wie jenes Weib, das sie einst sagen hörte: „Wenn ich gleich bisweilen ein Paar Tage lang kein Brot im Haus habe, so trage ich darum den lieben Gott nicht gleich aus bei andern Leuten.“ Ihr größtes Leiden aber waren jene geistlichen Anfechtungen, wenn Satan der alte Verkläger sich gegen sie legte im Gewissen, wenn der Lügner vom Anfang mit Zweifeln an dem Grunde ihres Glaubens und Hoffens sie bestürmte, wenn der unsaubere Geist vom Abgrunde lästerliche und hässliche Gedanken in den Stunden der Weihe in ihr aufsteigen ließ, wie jeder Christ solche Augenblicke als seine traurigsten und demütigendsten erfährt. Aber da gewann sie ihre Freudigkeit im Anschauen des versuchten, verlästerten und mit Speichel bedeckten Erlösers oder auch in der Erfahrung, wie zanksüchtige Personen durch das Widersprechen nur desto mehr aufgebracht werden, weswegen sie sich übte, bei solchem innern Aufruhr nur still an ihren erbarmenden Hirten sich zu halten und „die Hunde bellen zu lassen,“ endlich auch besonders in genauer Untersuchung ob diese Anklagen im Innern richtig oder mit Unrecht seien, (Joh. 18,23.) wo sie denn im letzteren Falle dieselben verachtete, in erstem Falle in Demut ihre Schuld erkannte, abbat und „es hernach gut sein ließ.“ Die Anfechtung selbst war ihr dann immer wieder ein Dank, denn sie lehrte sie immer tiefer aufs Wort merken.

Beata hatte ihre Sterbekleider längst gerüstet und ihr Haus bestellt, ihren Brüdern und den fünf Armenhäusern ihrer Vaterstadt je die Hälfte ihres Vermögens vermacht und ihre Lampe mit Öl gefüllt. Ihrer Seligkeit im Geiste versichert, hatte sie zu ihrem Leichentext das Wort erwählt: „Der Herr aber wird mich erlösen von allem Übel und mir aushelfen zu seinem himmlischen Reich. Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ (2 Tim. 4,18). Ob auch ihr äußerer Mensch durch Beten und Wachen, geringe Nahrung und zu große Strenge verweste, so ward doch ihr innerer von Tag zu Tag erneuert; immer evangelischer, herzlicher, zuversichtlicher, freundlicher, stärker im Geiste werdend, erhielt sie auch für ihren schwachen Leib die Kraft, dass er sich in dem Dienste der Liebe opfern konnte, gleich der Kerze, welche anderen leuchtend sich selbst verzehrt. Noch war sie in ihren letzten Wochen eine doppelte Krankenwärterin, und besuchte am vierten Januar 1730 gewohnterweise die Kirche; in der Nacht vor dem Erscheinungsfeste empfand sie einen Frost, dass sie zu Bette bleiben musste; der Friesel trat zurück, am elften ward ihr die Zunge gelähmt und an demselben Tage gab sie nach wenigen Zuckungen unter Gebet und Zuspruch ihres Beichtvaters Nachmittags um drei Uhr ihre Seele in die Hand ihres Heilandes, nachdem sie siebenundvierzig Jahre und drei Wochen demselben gelebt und gelitten. Wenige wussten, dass sie nur krank sei; denen, die sie im Bette trafen, antwortete sie: „Des Herrn Wille geschehe, das ist mein Ruhekissen.“ Ihrem aus Regensburg herbeigeholten Bruder klagte sie wohl die Bangigkeit ihres Herzens, aber „was meine Seele betrifft, da hat’s keine Not. In meinem Gemüte ficht mich nichts mehr an.“ Nur in der letzten Nacht nahm Gott sie nochmals ernstlich in sein prüfendes Gericht; sie kämpfte bis die Morgenröte anbrach, hat aber auch wie Israel den Segen davongetragen durch Jesum Christ. Ein Segensgruß an alle mit ihr in demselben Verbundenen war ihr letztes Wort, ehe die gelähmte Zunge es völlig dem Geiste überlassen musste, sie zu vertreten mit unaussprechlichen Seufzern. Drei Tage vor ihrem Ende hatte sie sich zum Letztenmal ihr Lieblingslied, das Karfreitagslied „Reißt ihr Felsen, Erde bebe! usw.“ vorsingen lassen, dessen letzter Vers so lieblich in ihr letztes Stündlein klingt:

„Still ihr Felsen! Erde stille!
Wecket meine Liebe nicht,
Sonne, dich so lang verhülle
Bis sie Höll‘ und Grab durchbricht.
Ich will auch die Seufzer zwingen
Unter ihr so sanftes Joch:
Doch nach dreien Tagen singen:
Meine Liebe lebet noch.“

Beata Sturm

Beata Sturm, gewöhnlich die württembergische Tabea (Apostelg. 9,36) genannt, ist geboren am 17. Dezember 1682 zu Stuttgart. Schon in ihrem zehnten Jahre bekam sie an beiden Augen den Star und erlangte durch eine fünfmalige Operation nur ein notdürftiges Augenlicht. Ihr Vater, Joh. Heinr. Sturm, Oberjustizrat, war ein äußerst frommer Mann; er wurde Jahre lang als Geisel in französischer Gefangenschaft festgehalten. Ihre Mutter starb während seiner Abwesenheit, so dass eine alte herrschsüchtige, lieblose Magd dem jungen Mädchen das Leben verbittern konnte. Als ihr Vater 1709 gestorben war, führte Beata mit ihrem jüngeren Bruder die Haushaltung fort; hierauf fand sie bei einem Herzensfreunde ihres Vaters, dem Prälaten Esenwein zu Blaubeuren, ebenfalls zwei Jahre lang eine gastliche Aufnahme. Von 1713 bis zu ihrem Ende blieb sie bei ihrem älteren Bruder, Advokat und Sekretär der Landschaft in Stuttgart. Von Zeit zu Zeit musste sie zur Stärkung ihrer schwachen Augen eine Badekur brauchen. In ihrem, von ihr selbst verfassten kurzen Lebensabrisse sagte sie, wie ihr Taufname Beata, d. h. die Selige, ihr stets eine Aufmunterung zu einem frommen Wandel gewesen sei. Sie habe, obwohl von vortrefflichen Eltern geboren und erzogen, doch von Natur ein trotziges und verzagtes Herz gehabt, aber erst nach und nach durch die Gnade Gottes solches erkannt. Ihr Vater war ein Verehrer der heiligen Schrift, der sich sein hebräisches altes und sein griechisches neues Testament in bestimmte Abschnitte eingeteilt hatte, dass er die ganze Bibel in einem festgesetzten Zeitraume durchlas. Auch Beata befolgte diese Ordnung, so dass sie etliche dreißig Mal diese erbauliche Lektüre vollendete. Sie wurde auf diese Weise mit der ganzen Bibel so bekannt, dass sie nur den Anfang eines Abschnittes zu hören brauchte, und dann auswendig fortfahren konnte. Auch fehlte ihr nie ein passender Bibelspruch, wenn sie eines solchen zu ihrem Troste, zur Stärkung ihres Glaubens oder zum Kampfe wider die Versuchung bedurfte. Außer der Bibel las sie kein einziges Buch; sie meinte, bei ihren schwachen Augen, die sie nicht anstrengen dürfte, müsse sie ihre Lektüre auf das Notwendigste und Nützlichste beschränken. Nur später, als ihr Luthers Schriften geschenkt wurden, beschäftigte sie sich auch mit diesen und bekannte öfters, welche köstliche und kräftige Geistesnahrung sie aus denselben geschöpft habe. Dass sie eine eifrige Beterin war, versteht sich wohl nach dem Erwähnten von selbst. Das Abendmahl genoss sie, so oft ihr Herz Verlangen danach hatte, bisweilen alle Vierteljahr. Bei ihrer ängstlichen Gewissenhaftigkeit und bei ihrem ernsten Ringen nach Heiligung hatte sie oft innere Anfechtungen, dass sie sich einmal sogar für unwürdig hielt, das heilige Abendmahl zu genießen. Da fielen ihr die Worte ein aus Spr. Sal. 9,4.5: „Kommt, ihr Albernen, und esst von meinem Bissen“ und Joh. 6,37: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinaus stoßen.“ So gewann sie wieder die verlorene Freudigkeit. Einige Male hatte sie selbst Anfechtungen zum Selbstmord, aber auch in solchen bösen Stunden gedachte sie an das Wort des Herrn: „Du sollst nicht töten“ und so wurde sie vor einer so schweren Sünde bewahrt.

Dass ihre Frömmigkeit nicht in einer kraftlosen Gefühlsschwelgerei und Schwärmerei bestand, zeigte ihr rastloser Wandel in der Liebe. Wir haben schon gehört, wie sie durch eine Magd ihres Vaters in ihrer Kindheit Viel zu leiden hatte. Niemals beklagte sie sich hierüber bei ihrem Vater, weil jene Magd diesem diente, was sie bei ihren blöden Augen nicht konnte. Nach ihres Vaters Tode kam die Person in ein anderes Haus. Beata machte sich Vorwürfe, dass sie die Kränkungen von Seiten derselben nicht mit mehr Liebe und Sanftmut ertragen habe. Sie fühlte sich durch ihr Herz getrieben, die Magd deshalb um Verzeihung zu bitten. Anfangs lachte diese über die vermeintliche Einfalt; denn sie musste sich sagen, dass sie nicht die Beleidigte, sondern die Beleidigerin gewesen sei. Doch bald darauf wurde auch ihr Herz von solcher Sanftmut und Demut ergriffen und sie tat alles Mögliche, um Beaten ihre Liebe zu beweisen. Als sie von einer ekelhaften Krankheit befallen wurde, dass Niemand um sie bleiben mochte, stand ihr Beata tröstend und helfend zur Seite, besuchte sie fleißig und vollendete ihre Bekehrung.

Überhaupt widmete Beata, so weit sie konnte, ihr ganzes Leben dem Dienste christlicher Samariterliebe. Sie ging umher, die Mühseligen und Beladenen aufzusuchen und zu erquicken. Sie besuchte die Hütten der Armen, das Lager der Kranken, insbesondere die Spitäler, um Trost und Hilfe zu bringen, geistliche und leibliche Speise, je nachdem die Leute derselben bedurften. Ihr väterliches Erbe an Kleidern und Schmuck verkaufte sie, damit sie Mittel erlange, Gutes zu tun. Sie selbst kleidete sich unter ihrem Stande, um desto besser Nackende kleiden zu können. Als sie einstens einer armen Frau Essen brachte und diese äußerte, wenn sie jetzt nur Jemand wüsste, der ihr ein altes Kleid zukommen ließe, in welchem sie sich auch nach einem Stück Brot umsehen könne, zog Beata alsbald ihr Oberkleid aus und schämte sich nicht, in dem Untergewand nach Hause zu gehen. Es war ihr vom Arzte verordnet worden, bei Tisch ein Glas Wein zu trinken; sie meinte, an einem halben habe sie auch genug, die andere Hälfte könne sie zur Labung von Kranken verwenden. Einstens wurden ihr so viele Unterstützungsbedürftige bekannt, dass ihr geringes Einkommen nicht hinreichte, Allen zu geben, wie sie wünschte; da ruhte sie nicht eher, bis ihr gestattet wurde, einige hundert Gulden ihres eben nicht großen Vermögens aufzukündigen und das Geld für die Armen zu verwenden. Wollten Leute Geld von ihr leihen, so schenkte sie ihnen lieber Etwas, weil sie wusste, dass die Schuldner leicht ihr Herz gegen die Gläubiger verschließen. An sich selbst dachte sie so wenig, dass sie öfters aus Mangel an Geld die Badekur für ihre Augen unterlassen musste; sie behauptete in solchem Falle, ihre Augen wären den Winter über so gestärkt worden, als wenn sie im Bade gewesen wäre. Wo sie nicht selbst helfen und geben konnte, da wusste sie die Herzen Anderer zu erwärmen.

Sie wollte ihren Mitmenschen dienen, aber Niemandem lästig werden; darum nahm sie für sich selbst, auch wenn sie in Not war, keine Geschenke an. Um nicht besser zu leben als so viele Tausende ihrer armen Mitmenschen, entzog sie sich dem Tische ihres Bruders und kochte für sich ganz einfach. Wurde ihr von irgend einer Seite besseres Essen geschickt, so brachte sie es den Armen und Kranken. Einmal kam sie selbst so in Not, dass sie zwei Tage lang Nichts zu essen hatte; sie klagte nicht, sondern freute sich, dass sie an sich selber erfahren habe, wie entsetzlich es sei, Hunger leiden zu müssen.

Erst nach und nach lernte sie, dass auch bei der Mildtätigkeit Vorsicht notwendig sei, um nicht selbst in Not zu geraten und um nicht durch die Freigiebigkeit an unwürdige und schlechte Personen mehr zu schaden als zu nützen. Manche schmerzliche Erfahrung diente dazu, ihr die Augen zu öffnen. Doch ihr Sinnen und Streben wurde dadurch nicht geändert. Von Herzen freute sie sich, wenn sich durch ihre Hilfe das Sprichwort bewährte: „Wo die Not am größten, da ist Gott am nächsten.“ Als ihr einstens Geld in die Hände kam, übergab sie einem Bekannten 25 Gulden, damit er solche einem frommen, aber in Armut lebenden Pfarrer einhändigen möge. Dem Pfarrer war gerade ein Kind gestorben und er war in der größten Verlegenheit, da er kein Geld hatte, dasselbe anständig beerdigen zu können. Während der Pfarrer also in doppelter Traurigkeit betete, kam der Bote und überbrachte das Geschenk. Das Jahr 1720 endete ihr gesegnetes, gottseliges Leben.