Veit Dieterich

Veit Dieterich, der Sohn eines Schuhmachers zu Nürnberg, war daselbst am 8. Decbr. 1506 geboren. Schon im frühen Jünglingsalter kam er nach Wittenberg, wo er, vom Nürnberger Rathe unterstützt, viele Jahre lang philologische und theologische Studien trieb. Seine Gelehrsamkeit und noch mehr die Lauterkeit und Liebenswürdigkeit seines Gemüths brachten ihn in die innigste Berührung mit den Reformatoren, vorzüglich mit Luther und Melanchthon. Es wird berichtet, er sei kaum von ihrer Seite gewichen und über dreizehn Jahre lang Luther’s Tischgenosse gewesen.

Im J. 1530 begleitete er letzteren nach Coburg, wo er dem durch Krankheit, geistliche Anfechtung und den Tod des Vaters gebeugten Freunde tröstend zur Seite stand. Auch correspondirte er mit Melanchthon und schrieb an Katharina über Luther’s dortigen inneren Zustand. Melanchthon hatte ihn brieflich dringend gebeten. Luther aufzuheitern und Sorge zu tragen, dass er nicht mit schweren Gedanken zu Bette gehe, – „wiewohl er wisse, dass Das, was Luther auf dem Herzen liege, nicht von der Art sei, dass es sich auf menschliche Weise aus dem Sinne schlagen liesse; es müsse daher von ihnen zur Fürbitte die Zuflucht genommen werden.“ Daran liess es der theilnehmende Freund nicht fehlen, wiewohl er auch die menschlichen Hausmittel zu Luther’s Aufheiterung nicht verschmähete. Dahin gehört, dass er einst in einer leidlicheren Stunde mit ihm nach der Scheibe schoss. Es war Veit Dieterich vergönnt, den Heldenmuth Luther’s in seiner ganzen Herrlichkeit wiederkehren zu sehen und einen tiefen Blick in das Herz des gewaltigen Betes zu thun. Mit Frohlocken giebt er davon Nachricht in einem Briefe an Melanchthon nach Augsburg. „Ich kann mich nicht sattsam verwundern“ – schreibt er – „über dieses Mannes treffliche Beständigkeit, heitern Muth, Glauben und Hoffnung in so trauriger Zeit. Er nährt dieselbe aber auch ohne Unterlass durch eine sorgfältige Betrachtung des göttlichen Wortes. Es vergeht kein Tag, dass er nicht zum Wenigsten drei Stunden, so zum Studiren am bequemsten, auf’s Gebet verwendet. Einmal glückte es mir, dass ich ihn beten hörte. Hilf Gott, welch ein Geist, welch ein Glaube ist in seinen Worten. Er betete mit solcher Ehrfurcht, dass man sah, er redete mit Gott, und doch wieder mit solchem Glauben und solcher Hoffnung als Einer, der mit seinem Vater redet. Ich weiss, sagte er, dass du unser lieber Gott und Vater bist; derhalben bin ich gewiss, du wirst die Verfolger deiner Kirche vertilgen. Thust du es aber nicht, so ist die Gefahr dein so wohl als unser. Die ganze Sache ist dein; wir sind nur gezwungen dazu getreten. darum magst du sie beschützen! So hörte ich ihn mit heller Stimme beten. Auch in mir brannte das Herz mit grossem Eifer, als er so vertraulich, so ernst und andächtig mit Gott redete und unter’m Gebet also auf die Verheissungen in den Psalmen drang, als der gewiss war, dass es geschehen werde, was er bat. Darum zweifle ich nicht, es werde sein Gebet eine grosse Hilfe thun in der verzweifelt bösen Sache dieses Reichstages.“ An Katharina, welche ihrem Gatten zum Tost das Bild ihrer Magdalena geschickt hatte, schrieb Veit Dieterich Folgendes: „Gnade und Friede von Gott, freundliche, günstige, liebe Frau Doctorin. Wisset, dass der Herr und wir mit ihm noch frisch und gesund von Gottes Gnaden sind. Gott gebe euch auch alles Gute mit euern Kindern. Ihr habt ein sehr gut Werk gethan, dass ihr dem Herrn Doctori die Contrafactur geschickt habt, denn er über die Maassen viel Gedanken mit dem Bilde vergisset; er hat’s gegen den Tisch über an die Wand geklebet, da wir essen in des Fürsten Gemach. Da er’s am Ersten ansah, konnte er sie lange nicht kennen. Ei, sprach er, die Lene ist ja so schwarz; aber jetzund gefällt sie ihm wohl, und dünkt ihn je länger, je mehr, es sei Lenchen. Sie sieht dem Hänschen über die Maassen gleich mit dem Mund, Augen und Nase, in Summa mit dem ganzen Angesicht und wird ihm noch gleich werden. Das habe ich euch auf dies Mal schreiben wollen. Liebe Frau Doctorinn, ich bitte, ihr wollet euch um den Herrn Doctor nicht härmen; er ist Gott Lob frisch und gesund, hat des Vaters in den ersten zweien Tagen vergessen, wiewohl es ihm sehr sauer ward. Alsbald er Hans Reinkens Brief ansiehet, sagt er zu mir: Wohlan, mein Vater ist auch todt! Darnach flugs drauf nimmt er seinen Psalter, geht in die Kammer und weint ihm genug, dass ihm der Kopf des anderen Tages ungeschickt war. Seitdem hat er sich Nichts lassen merken. Der Sonnabend vor Exaudi war der Kastner bei uns auf den Abend zu Gaste, da der Doctor unter Anderm sagte, wie ihm ein grosser Zahn wäre ausgefallen, so gross, dass er sich nicht genug hätte können verwundern. Am Sonntag darnach war der Vater todt. Das hab‘ ich euch nicht unangezeigt wollen lassen. Bitte, wollet meinen Dienst im Besten aufnehmen. Damit seid Gott mit Hänschen und Lenchen und dem ganzen Hausgesinde befohlen. Mein Georg wird euch drei Gulden geben. Die nehmt dieweil, bis dass wir mehr kriegen. Am Sonntage S. Veiten, zu Koburg, M. Veit Diedrich von Nürnberg.“ (Mayeri dissertatio de Catharina p. 53)

Nach seiner Rückkehr von Coburg wurde Dieterich zuerst Privatlehrer, bald aber Mitglied und 1533 Dekan der philosophischen Facultät zu Wittenberg. 1536 folgte er einem Rufe zum Pastor an der Sebalduskirche seiner Vaterstadt. Nürnberg’s erster lutherscher Prediger war Andreas Osiander, seit 1522 Pastor an der Laurentiuskirche. Beide wirkten eine Reihe von Jahren nebeneinander; aber während Osiander’s Predigten wegen ihrer Höhe („propter grandiloquentiam“) von Wenigen verstanden wurden, predigte Dieterich ganz einfältig, und die Folge war, dass die Kirche kaum seine Zuhörer fassen konnte. Doch besuchten viele Magistratsmitglieder die Kirche nur selten, was ihn 1541 zu einer scharfen Strafpredigt veranlasste. Häufige Beleidigungen von Seiten A. Osianders, die er freilich mit grosser Sanftmuth trug, mehr noch das 1547 vom Rathe erlassene Verbot, streitige Lehrpunkte zu berühren, am meisten aber das Interim, gegen welches er eifrig predigte, trübten seinen Lebensabend. Eine Zeit lang blieb ihm sogar wegen Übertretung des gedachten Verbotes die Kanzel verschlossen. Veit Dieterich starb den 25. April 1549.

Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters, in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1856