Gottfried von Hamelle

Es ist von jeher das Wohlgefallen Gottes gewesen, seine Geheimnisse den Klugen und Weisen dieser Welt zu verbergen, wohl aber den Unmündigen zu offenbaren, und aus dem, was nichts ist, Etwas zu machen zum Lobe seiner herrlichen Gnade. Erst in den Zeiten des Kreuzes glänzt solches Gold recht mächtig. Ueberhaupt sind die Verfolgungszeiten der Kirche für sie die gesegnetsten. Da scheidet sich der vollwichtige Waizen von der Spreu. Auch die Kirchengeschichte der Niederlande liefert Beweise dazu. Ein solch‘ schweres Korn war der Märtyrer Gottfried von Hamelle. Er war seines Handwerks ein Schneider und lebte ganz der Welt. Da fuhr der Funke der Wahrheit, die zur Zeit der Reformation auch die Niederlande durchdrang, in das Herz dieses Weltmenschen, und was er von der Zeit an im Reiche Gottes war, das war er recht und ganz. Allen wahren Christen gereichte er nur zur Erbauung. Er trieb einen kleinen Handel mit Leinwand: und obwohl darin Gefahren lagen, so hielt es ihn doch nicht ab, Ernst zu zeigen und überall als Bekenner Jesu zu erscheinen. Nicht blos war sein Herz ganz in die Liebe seines Heilandes getaucht, sondern auch seine Zunge zeugte mächtig davon. Er stärkte hin und her die Kinder Gottes, besonders nahm er sich der Jungfrauen an. Das witterte der Feind und stellte ihm nach. Es war im Jahr 1552, da fielen ihn die Häscher in der Stadt Torneck mit den Worten an: „Gieb dich gefangen.“ Nicht im Geringsten widersetzte er sich, sondern es war ihm so: „O Herr, ich bin bereit, nicht allein in den Kerker geworfen zu werden, sondern auch um deines Namena willen den Tod zu leiden, wenn es nur zu deinem Ruhme gereicht.“

Drei Mal mußte er vor Gericht erscheinen. Am 8. März 1552 Nachmittags drei Uhr stand er vor dem Dechant von Torneck, einem Officialen, zwei Ketzermeistern und einem Schreiber. Die erste Frage, die sie an ihn richteten, war, wann er das letzte Mal gebeichtet habe? Gottfried bat um das neue Testament, um daraus seine Antwort zu begründen. Sie schlugen ihm seine Bitte ab und fragten weiter, ob er glaube, daß ein römischer Meßpriester Macht habe, die Sünden zu vergeben? Er erwiederte: „Ich weiß von keiner Vergebung der Sünden, als die ich von der Barmherzigkeit Gottes durch die Gnade seines lieben Sohnes Jesu Christi erlange.“ Auf die Frage, ob er an die römische Kirche glaube, deren Haupt der Papst als der Nachfolger Petri die Schlüssel besitze? antwortete er muthig und entschieden: „Ich glaube eine heilige allgemeine christliche Kirche, die durch den heiligen Geist gesammelt und gegründet ist, die allein Christum als ihr Haupt erkennt, deren treue Diener die Propheten und Apostel gewesen sind. Die römische Kirche aber halte ich nicht für die wahre katholische Kirche, sondern vielmehr für eine Schule des Antichrists, in welcher die Schäflein Christi nicht allein mit der heilsamen Weide göttlichen Wortes nicht geweidet, sondern noch dazu von gräulichen Wölfen zerrissen und mit allerlei schädlichen Irrthümern und teuflischen Lehren gespeist werden.“ „Hört ihr das?“ rief der Dechant aus, „daß laßt uns aufzeichnen.“ Auf die Frage, was er von der Messe halte? erklärte er, er finde in der ganzen Schrift das Wort Messe nicht. „Da recht, recht,“ sagte der Dechant, „schreibet nur, er halte nichts von der Messe.“ Plötzlich fragte derselbe: „Glaubst du denn nicht, daß das Brod in den Leib Christi verwandelt werde?“ Gottfried entgegnete: „Was eure Messe anlangt, so glaube ich, daß sie von Menschen erfunden sei zu großer Schmach des Herrn Jesu Christi, indem man das Volk lehrt, ein Stücklein Brod anzubeten, so man ihn doch zur Rechten seines Vaters suchen und anbeten soll.“ Die Transsubstantiation oder Verwandlung erklärte er unter den stärksten Ausdrücken für eine Irrlehre. In einem Briefe an christliche Schwestern äußerte er in Beziehung auf die scharfen und rauhen Worte, die er gegen seine Widersacher gebraucht habe, daß er gewiß wisse, der heilige Geist habe ihn geheißen, also zu reden, wenn er bedenke, wie der Name unsers lieben Heilandes durch die Messe so gräulich verunehrt werde. Als er nach den sieben Sakramenten gefragt wurde, äußerte er, er kenne nur zwei, die Taufe und das Abendmahl, „die ihr Sakramente nennt.“ Ueber das Abendmahl sprach er sich ganz im Sinne der reformirten Kirche aus. Wer es im Glauben genieße, der empfange zugleich mit dem Brod und Wein den Leib und das Blut Christi. „Ich hänge nicht,“ sagte er, „mit meinen Augen an den verweslichen Elementen, sondern ich sehe mit meinen Glaubensaugen viel weiter, nemlich auf Jesum Christum, der einmal für meine Sünde gekreuzigt ist. So sehe ich die Wunde in der Seite Christi an, aus welcher das reine edle Blut Christi geflossen ist, durch welches ich von aller Unreinigkeit meiner Sünde gewaschen bin.“

Unter solchem Verhöre war es Abends sieben Uhr geworden. Hie Häscher ergriffen ihn jetzt und führten ihn in ein wahres Stankloch. Wie brannte aber dort sein Herz und wie brünstig wendete er sich zu dem Herrn, ihm doch Gelegenheit zu verschaffen, sein Bekenntniß zu vollenden! Sein Gebet wurde erhört, denn am 15. März Morgens nach acht Uhr rief ihm der Kerkermeister: „Gottfried, mach dich fertig, du sollst heute vorgestellt werden und mit den Herren reden.“ Das war seinem Herzen eine fröhliche Botschaft, so daß er auch in das Gebet ausbrach: „O Herr, vollende in mir, was du angefangen hast nach der Verheißung deiner Gnade, denn es ist deine Sache. Darum wollest du mir durch deinen heiligen Geist Beistand leisten.“ Das Verhör fand nun Statt. Es war sehr ausführlich, und lieferte den Beweis, wie tief der Märtyrer in der heilsamen Erkenntniß der Wahrheit gegründet war. Es scheint, daß ihn das Gericht für einen Wiedertäufer hielt. Weil er aber an seiner Kindertaufe festhielt, so drangen sie in ihn, dieselbe aus der Schrift zu beweisen. Da stützte er sich auf die Beschneidung. Wie diese den Knäblein am achten Tage zu Theil geworden, so verhalte es sich bei uns mit der Taufe. Ueber das Wort Sakrament wurde längere Zeit hin und her gestritten. Sie behaupteten, der Apostel Paulus nenne die Ehe im Briefe an die Epheser ein Sakrament. Als aber Gottfried näher darauf einging, stellte sich heraus, daß an der fraglichen Stelle das Wort „Geheimniß“ gebraucht sei. Die Mittagsstunde war inzwischen herbeigekommen, aber am folgenden Tage stand er Morgens acht Uhr wieder vor ihnen. Es wurden ihm über die Firmung, letzte Oelung, die Festtage, das Fasten und dergleichen Fragen vorgelegt. In evangelischem Geiste beantwortete er sie. Auf die Frage, ob er die Jungfrau Maria als Fürbitterin anbete? erwiederte er, daß er sie für hoch begnadigt halte, weil der Sohn Gottes von ihr Fleisch und Blut angenommen habe, aber daraus folge nicht, daß er sie als Fürbitterin anrufen solle, im Gegentheil habe sie auf der Hochzeit zu Cana auf ihren Sohn gewiesen und gesagt: „Was er euch heißet, das thut.“ Von dem Fegfeuer, wodurch nach der Lehre der römischen Kirche die Seelen der Verstorbenen gereinigt werden sollen, bezeugte er: „Ich weiß von keinem andern Fegfeuer, denn von dem Blute Jesu Christi, des Sohnes Gottes, und glaube festiglich, daß er durch sein einiges Opfer am Kreuz eine ewige Erlösung und Reinigung unsrer Sünden erworben hat. Auch glaube ich ungezweifelt, daß, wenn sich der Sünder von seinem gottlosen Wesen zu Gott dem Herrn bekehrt, ihm seine Sünden nicht halb, sondern ganz und gar vergeben seien.“ Sie kamen auch auf die Apokryphen, von denen er sagte, daß er seinen Glauben daraus nicht beweisen dürfe, obwohl manche schöne Exempel darin ständen.

So stand er drei Mal vor dem geistlichen Gerichte, ohne daß sie Etwas ausrichteten. Da machten sie noch einen andern Versuch, ihn zur römischen Kirche zurückzuführen. Sie schickten ihm einen gelehrten Domherrn Quintin, sonst Charlard genannt. Er war ein Meister in der Vertheidigung des Papstthums, wie Gottfried selber sagt. Er gab große Mängel und Gebrechen in der römischen Kirche zu, aber suchte dennoch den Gefangenen zur Anerkenntniß zu bewegen, daß nach Sprechung der Sakramentsworte im Brodt der wesentliche Leib Christi eingeschlossen sei, und daß man ihn darin anbeten solle. Freilich ist dies nicht die katholische Lehre, welche vielmehr eine Verwandlung der irdischen Elemente in den Leib und das Blut Christi lehrt. Ohne Zweifel wollte der Domherr die Messe annehmbarer machen, aber Gottfried widerstand von seinem reformirten Standpunkte wacker. Der Domherr kam einige Male, aber seine Besuche führten nicht zum Ziele.

Gottfried von Hamelle erließ aus seinem Gefängnisse etliche gesalbte Briefe, unter andern auch einen an die Obrigkeit von Torneck, um sich von dem Vorwurfe zu reinigen, als wäre er ein Ketzer oder Schwärmer, während er sich für einen armen Sünder, Christen oder Lutheraner halte, der am Glauben der Apostel festhalte. Sein Bekenntniß sprach er auf eine klare, herzbewegliche Weise ausführlich aus, und schloß: „Ich danke Gott durch Jesum Christum unsern Herrn, der mich mit den freundlichen Augen seiner Barmherzigkeit angesehen und mir diese Ehre angethan hat, daß ich um seines heiligen Namens willen gefangen bin und den Tod leiden soll.“ Auch an seine Eltern und Freunde erließ er ein Trostschreiben. „Ich habe euch vornemlich darum noch einmal schreiben wollen, daß eure Traurigkeit gemässigt und etlichermaßen mit Freude vermischt werde, also daß Freude und Schmerz einander umfangen und küssen. Lasset die Freude die Oberhand haben und die Traurigkeit überwinden, weil der Herr seinen armen Diener nicht verlassen, sondern Gnade gegeben hat, ihn unerschrocken zu bekennen vor den Menschen ohne Vertuschung der Wahrheit, ohne verborgene Tücke, sondern rund und unverholen nach dem geringen Maaß des Glaubens, den er mir aus Gnaden gegeben hat, und mir Beistand geleistet wider alle Schmerzen der Folter und Anfechtung des Fleisches. Der Herr hat mich aus aller Anfechtung errettet und mich durchaus in Allem gestärkt. Wie ich denn das Vertrauen zu ihm habe, er werde mich ferner stärken und seinen armen Diener nicht verlassen.“ In diesem Schreiben theilte er seinen Lieben eine Scene des Verhörs mit, die ihn uns in hellem Lichte darstellt. Hören wir seinen Bericht: „Wenn ich abfallen und glauben wollte an ihren gebackenen Gott, so könnte ich wohl loskommen, wie sie denn gestern Abends um acht Uhr ausdrücklich zu mir sagten, wenn ich widerrufen wolle, so solle ich nicht sterben. Ich habe ihnen aber geantwortet: Wenn ich das thun sollte, so würde allein mein Mund reden, aber nicht mein Herz, und würde ich allein dem zeitlichen Tod des Schwerts oder Feuers entgehen, dagegen Gott meinen Herrn auf’s höchste erzürnen und wider mein Gewissen handeln, ja wider den heiligen Geist sündigen. Darum so will ich lieber tausend Mal sterben, wenn es möglich wäre, als meinen Herrn Jesum einmal verläugnen. Ja, sagte ich, ich will lieber von Menschen gehaßt und verworfen, als vom Herrn Jesu Christo vor seinem himmlischen Vater und allen auserwählten Engeln verläugnet und verstoßen werden. Darüber verstummten sie dermaßen, daß sie mir weiter kein Wort zusprachen, sondern liessen mich alsbald wieder in’s Gefängniß abführen.“

Gottfried hatte das Gefühl von seinen Richtern, daß sie Mitleid mit ihm hatten, weil sie doch einsehen mußten, daß sie im Begriff ständen, unschuldig Blut zu vergießen; aber das kaiserliche Mandat drang im Allgemeinen auf energisches Durchgreifen. Der um Christi willen Gefangene war getrost, obwohl ihm der Cantor sagte, er müsse sterben, weil er seine Meinung in Betreff einiger Punkte der Messe nicht ändern wolle. Als er vor die Obrigkeit gestellt wurde, sagten ihm Etliche, er solle es für eine Gnade erkennen, daß ihm neun oder zehn Tage Frist gewährt worden wären. Im Briefe an seine Verwandten äusserte er: „Ich will mich im Herrn freuen und fröhlich sein bis zum letzten Athem meines Lebens, weil ich versichert bin, daß Christus mein Gewinn ist im Leben und auch im Sterben. Freuet euch auch deßhalb mit mir und laßt uns mit dem Apostel sagen: Gott fei Dank, der uns allzeit den Sieg giebt durch Jesum Christum, unsern Herrn.“ Diesen köstlichen Brief schloß er mit den glaubensfreudigen Worten: „Deßwegen erwarte ich alle Tage und Stunden meinen Tod, wiewohl es nicht eigentlich ein Tod, sondern vielmehr ein Leben zu nennen ist.“

Dieser Tod rückte herbei. Es geschah an einem Samstage im Jahre 1552, am 23. Juli, daß Gottfried sein Urtheil gesprochen, und er als ein Ketzer zum Feuertode verurtheilt worden ist. Als er das Wort Ketzer hörte, rief er: „Ach nicht ein Ketzer, sondern ein unnützer Knecht Gottes.“ Hierauf sank er auf seine Kniee nieder und betete mit lauter Stimme: „Herr, du erkennst und weißt allein die Ursache, warum ich verurtheilt worden bin.“ Nun wurde er zum Richtplatze geführt. Hier konnte er es nicht lassen, noch einmal ein Zeugniß seines Glaubens an das versammelte Volk abzulegen. Dringlich ermahnte er Jedermann, an Jesum Christum zu glauben und das Vertrauen des Herzens allein auf ihn zu setzen. Er sprach mit einem solchen Eifer, daß es Vielen zu Herzen ging und Manche sagten: „Warum bringt man doch einen solchen Mann um’s Leben, der so herrlich von unserm Herrn Jesu Christo reden kann?“ Dann knieete er nieder und wiederholte die Artikel des christlichen, apostolischen Glaubens. Als er die Worte: „Ich glaube eine heilige, allgemeine, christliche Kirche“ gesprochen hatte, sagte der Domherr Charlard, den wir schon kennen gelernt haben, er solle noch das Wort „römische“ hinzufügen. „Mit nichten,“ antwortete der Märtyrer, „sondern ich glaube nur eine allgemeine christliche Kirche.“ Hierauf schritt er zu dem Pfahle. Als ihn der Henker an denselben band, betete Gottfried: „O ewiger Vater, erhöre das Seufzen deines armen Knechtes.“ Da sagte Charlard abermals: „Befiehl dich auch der Jungfrau Maria, damit sie bei ihrem Sohne deine Fürbitterin sei;“ aber Gottfried erwiederte: „Nein, denn mein einiger Anwalt, der mich bei meinem himmlischen Vater vertritt, ist Jesus Christus, welchem allein ich mich befehle.“ Als ihm der Henker die Gnade erweisen wollte, ihn vor Anzündung des Feuers mit einem Stricke zu erwürgen, sagte er: „Laß das bleiben, mein Freund, laß das bleiben.“ Gleich darauf rief er mit lauter Stimme: „Ewiger Vater, nimm meinen Geist in deine Hände!“ Mit aufgehobenem Angesichte verschied er sanft und stille, während die Feuerflammen um ihn schlugen. Schauet sein Ende an und folget seinem Glauben nach.

Karl Fr. Ledderhose in Brombach, jetzt in Neckarau.