Ansgar

Anscharius, der Apostel des skandinavischen Nordens auf dem dänischen Festlande und in Schweden, so wie auch der erste Inhaber des nördlichsten deutschen Erzstuhls im Lande der holsteinischen und der bremischen Sachsen, ist geboren im Jahre 801. Seinen Geburtstag legt man auf den 9. September. Er wird der Sohn angesehener fränkischer Eltern gewesen sein. Den Geburtsort Anschars dürfen wir im nördlichen Frankreich, in der Gegend des zum Bischofssprengel von Amiens gehörigen, in der späteren Picardie belegenen Klosters Corbie vermuthen. Der Name Anschar oder Anskar bedeutet entweder so viel als: Amthor, oder auch als: Asker, Asgeir, Gotthold. Schon in seinem fünften Lebensjahre, 806, verlor Anschar seine ausgezeichnet fromme und treffliche Mutter. Darnach ließ ihn sein Vater in jenem berühmten Kloster Corbie erziehen, welches in der Regel nur Adelige aufnahm und dieselben für die höheren Kirchen- und Staatsämter vorbereitete. Ernste Frömmigkeit, gründliche Kenntnisse nach dem Maß der Zeit, eine Uebersicht der weltlichen Wissenschaft und die Theologie im Anschluß an die Heilige Schrift, Augustin, Gregor den Großen, so wie Eleganz der Darstellung theilten die Benedictinerkloster damals in ihren Schulen mit. Der berühmte Paschastus Radbertus, der Urheber der römisch-katholischen Brotverwandelungslehre, dem man auch Kunde des Griechischen und Hebräischen beilegt, Scholasticus oder Schulrector und späterhin Abt zu Corbie, hat vielleicht, wie den Warinus, seit 826 Abt zu Corvey in Westphalen, auch den Anscharius schon mit unter seine Schüler gezählt. Vornehmlich aber leitete wohl Abt Adalhard, Karls des Großen Vaterbruderssohn, der mit seinem Bruder Walo oder Wala dem Kloster Corbie vorstand, die Erziehung des Anschar. Wunderbar früh entwickelte sich in dem Knaben Anschar plötzlich ein ernster, dem Göttlichen zugewendeter Sinn, mit dem phantastischen Zuge frommer Innigkeit, der in jenen Zeiten nicht selten war, praktische Besonnenheit aber keinesweges ausschloß. Den Anschar träumte, daß er sich auf einem morastigen, schlüpfrigen Platze befand, den zu verlassen schwierig war. Daneben lief ein wohlgebahnter, anmuthiger Weg. Hier wandelten, geführt von der Hehren Gestalt der Jungfrau Maria, weißgekleidete Frauen, unter denselben auch Anschars verstorbene Mutter. Anschars Wunsch zu seiner Mutter zu gelangen, sollte nach der Erklärung der Maria nur dann in Erfüllung gehen, wenn er von der Eitelkeit und den Kinderpossen ablassen würde. Seit dieser Traumvision zog sich der Knabe von den Spielen seiner Genossen zurück, lebte nur dem Lernen und der Frömmigkeit, war entschlossen, sich dem geistlichen Stande zu widmen. Gegen sein dreizehntes Jahr hin legte er das Ordensgelübde ab.

Tief erschütterte ihn 814 zu neuer Stärkung seiner ernsten Geistesrichtung der Tod seines gefeierten Kaisers, Karl, als nachdrückliche Mahnung an die Eitelkeit alles Irdischen. In einem Traum schmeckte er damals die Qual des Fegefeuers und die Seligkeit des Anschauens Gottes und empfing darnach mitten in der Versammlung der himmlischen Heiligen von Gott selber das Versprechen der Märtyrerkrone, wenn er sich bis an’s Ende treu würde erfinden lassen. 20 Jahr alt ward Anschar Lehrer an der Klosterschule zu Corbie, indem er wissenschaftlich nicht weniger, als durch Frömmigkeit ausgezeichnet erschien. Den eifrig für seine Schüler besorgten Anschar tröstete eine Traumvision über den Tod eines derselben, der durch den Schlag eines anderen herbeigeführt war, damit, daß sie ihm jenen im Paradiese zeigte; Christus selber erforderte in einem Traum Anschars die Beichte desselben und ertheilte dem Anschar Vergebung der Sünden; endlich gebot dem Anschar eine Stimme Gottes im Traum, hinzugehen und das Evangelium den Heiden zu verkündigen. 1822 begründeten die Brüder Adalhard und Wala, als Colonie von Altcorbie, das Kloster Neucorvey in Westphalen. Mit anderen Mönchen von Corbie ward 823 auch Anschar nach dem westphälischen Corvey versetzt. Und zwar vertraute man ihm die Schule des neuen Klosters als Scholasticus derselben an, so wie um der Achtung willen, welche er sich in diesem Amte erwarb, kurz nachher auch den Beruf des Volkspredigers in der Klosterkirche.

Die der römisch-katholischen Kirche eigenthümliche Gestaltung des Christenthums zu einer hierarchischen Gesetzes- und Sühnanstalt begann eben um die Zeit des Anschar, besonders durch die den römischen Bischöfen der ersten christlichen Jahrhunderte in diesem Sinne untergeschobenen, sogenannten pseudoisidorischen Decretalen und durch die aufkommende Brotverwandelungslehre, welche eine stets sich erneuernde Opferung Christi durch den Priester begründet, ihren Aufschwung. Zugleich machte sich indes auch damals das geistige Wesen des Christenthums und ein unmittelbares Verhältnis zwischen Gott und den Gläubigen besonders im Zusammenhange mit dem Ansehen geltend, dessen Augustinus genoß. Im gewaltsam bekehrten Sachsenvolk wird schon unter Ludwig dem Frommen das Epos des Heliand (Heiland) gedichtet, das in national eigenthümlicher Weise Christum und die Christenheit, als mit Huld und Dank nach Art des Gefolgsherrn und der Vasallen einander zugethan, feiert. Die für das Missionswerk eifrige christliche Liebe der damaligen Kirche aber wendete sich dem stammverwandten nunmehrigen Grenznachbar des Frankenreichs, dem skandinavischen Norden, auch deswegen mit besonderem Nachdruck zu, um den Raubeinfällen der heidnischen Normannen ein Ende zu machen.

Die Skandinavier und die Deutschen sind beide Verzweigungen desselben großen germanischen Völkerstammes. Im neunten Jahrhundert, zur Zeit des Anschar, unterschieden sich die Skandinavier und die Deutschen zur Erleichterung der Mission auch in Betracht der Sprache viel weniger als späterhin von einander. Die Richtung auf die Geltung der Persönlichkeit ist beiden Völkerkreisen eigenthümlich. Beide verehrten in ihrer vorchristlichen Zeit dieselben Gottheiten, die wider das alte Chaos kämpfenden Mächte physischer und sittlicher Ordnung, in idealer Menschheit erfaßt. Die rauhere Natur des Nordens aber war geeignet, der vorwaltenden Idee des Kampfes eine besonders schroffe Gestalt zu verleihen. Zugleich tritt im Norden vornehmlich die übrigens auch dein deutschen Heidenthum wohl nicht fremde Erwartung eines dereinstigen Untergangs und verklärten Wiederauflebens der Götter hervor, welche sich besonders in der späteren vorchristlichen Zeit der Deutschen und Skandinavier wird ausgebildet haben. Die todesfreudige Kampf- und Abentheuerlust, die Unabhängigkeit des freien Besitzers, die Treue des Gefolge gegen den Gefolgsherrn, die Frauenachtung findet sich gleichmäßig bey den skandinavischen und den deutschen Germanen. Auch im Einzelnen des Cultus ist beiden schon zur Zeit ihres Heidenthums die Verehrung des Kreuzeszeichens, als des Zeichens für den Hammer des Thor, eine Kindertaufe, als Orbale über die eheliche Geburt des Kindes, eigen. Besonders im Norden aber wollten manche schon von keiner andern Gottheit etwas wissen, als von ihrer eigenen Heldenkraft; hier besonders würde rohes gewaltsames Abentheurerwesen das ganze Leben eingenommen haben, wenn das Christenthum nicht diese schöne Empfänglichkeit für sich gewonnen hätte.

Die älteste Kirche Holsteins, die zu Meldorf in Dithmarschen, hat um 780 Willehad, der erste Bischof von Bremen, erbaut. Nachdem Karl der Große 804 die nordalbingischen Sachsen vollständig unterworfen hatte, ward ferner um 809 zu Essesfeld oder Essehoe, dem jetzigen Itzehoe, im eigentlichen Holstein eine Garnisonscapelle eingerichtet; um 811 aber ließ der Kaiser durch Bischof Amalhar von Trier die Kirche zu Hamburg, in Stormarn, weihen und in dieser späteren Metropole Holsteins den ausgezeichneten Priester Heridak, als Geistlichen des Orts, einsetzen. Nach Rimbert, dem Lebensbeschreiber und Nachfolger Anschars, hatte dabei schon Karl die jedenfalls von  ihm noch nicht ausgeführte Absucht, Hamburg zu einem Erzbisthum für den gesamten Norden und dessen Bekehrung zu erheben.

Wegen der Herrschaft auf dem dänischen Festlande, damals einem  von Seeland und Schonen getrennten Reiche, bekriegten einander um die  Zeit, da Karl starb, die Söhne des Dänenkönigs Göttrik oder Gottfried, der wider Karl gestritten hatte, und Harald aus dem Stamme Halfdans, den man mit dem Harald Klak zu verwechseln pflegt. 814 zuerst suchte Harald als Flüchtling im Frankenreiche bei Ludwig dem Frommen Hülft. Nach 819 zeigten sich auch die Göttrikssöhne zum Frieden und Bündnis ernstlich geneigt. Nun entschloß sich einer der vornehmsten Prälaten des fränkischen Reichs, der Sachse Ebo oder Ebbo, Erzbischof von Rheims, Ludwigs des Frommen Milchbruder, als Missionar zu den Dänen zu gehen. Um 823 führte er dieses, mit päpstlicher Vollmacht, so wie zugleich als kaiserlicher Gesandter, wirklich aus. Viele Dänen sollen von ihm getauft worden sein. Als festen Mittelpunkt seiner Wirksamkeit hatte Ebo  durch Schenkung Ludwigs des Frommen einen Ort, Welanav oder Welnau,  jetzt Münsterdorf, in der Nähe von Itzehoe, inne, woselbst er ein Kloster errichtete. Ebo verblieb in dieser Missionsthätigkeit bis gegen 826 hin. Im Sommer dieses Jahres ward der fortgehend fränkischer Hülfsleistung bedürftige König Harald aus Halfdans Stamm mit seiner Gemahlin, seinem Sohn und zahlreichem Gefolge, in der Nähe des Schlosses Ingelheim, der damaligen Residenz des Kaisers, in der St. Albanskirche zu Mainz feierlich und prachtvoll getauft. Der Kaiser, die schöne Kaiserin  Judith, Prinz Lothar und andere fränkische Große waren die Taufpathen. Da nun den Ebo die Sorge für sein Erzbisthum und andere Angelegenheiten im Frankenreich zurückhielten, erschien es dringend nothwendig, dem Harald einen anderen dem schweren Werk der nordischen Mission gewachsenen Geistlichen mitzugeben. Abt Graf Wala empfahl dazu den Anschar.

Sofort entschied sich Anschar für die Annahme des an ihn nunmehr ergehenden Rufs, obwohl dieselbe vollkommen seinem freien Willen anheim gegeben ward, und blieb standhaft ungeachtet der lebhaften Gegenvorstellungen seiner Freunde. Mönch Autbert von Corbie, aus edlem fränkischen Stamm, gleich Anschar dem Wala besonders werth, schloß sich unaufgefordert dem Anschar für das nordische Missionswerk an. Der Kaiser stattete beide Missionare mit den Sachen aus, welche für den Gottesdienst und die Reise nothwendig erschienen. Auf der Fahrt den Rhein hinab sahen sich Anschar und Autbert anfangs von ihren rohen dänischen Reisegefährten vernachlässigt, bis zu Cöln der Bischof Hadebald daselbst den Missionaren ein bequemes Schiff schenkte. Indem der König dieses nehmlich für die weitere Reise mit bezog, befreundete er sich seitdem mit dem Anschar und Autbert. Der an der damaligen sächsisch-dänischen Grenze gelegene Handelsort Schleswig, Sliaswich nach der deutschen, Haddebye, Heithaby nach der altnordischen Benennung, wo auch Harald vorzugsweise sich wird aufgehalten haben, war wohl der Mittelpunkt der beginnenden Missionswirksamkeit des Anschar seit 827. Daß schon um diese Zeit eine Kirche zu Schleswig erbaut worden sei, Harald eine Heidenverfolgung unternommen habe, sind unglaubwürdige Angaben des Saro Grammaticus im zwölften Jahrhundert. Eine Missionsschule richtete Anschar ein, in welcher er ungefähr zwölf landeseingeborne Knaben, die er theils gekauft, theils vom König anvertraut erhalten hatte, christlich und für den geistlichen Stand erzog. Zahlreiche Bekehrungen sollen dem Anschar und Autbert gelungen sein, unerachtet der Krieg zwischen den Göttrikssöhnen und dem mit den Franken verbündeten Harald mehrmals sich erneuerte. Autbert zog sich, nach dem er mindestens zwei Jahre mit dem Anschar gewirkt hatte, wegen körperlicher Schwäche nach Corvey zurück, wo er bald nachher starb. König Harald ward später, nach 841, als Parteigänger des Kaisers Lothar, zum Heidenthum rückfällig.

Gesandte des Königs Björn von Schweden an Ludwig den Frommen berichteten diesem um die Zeit, da Autbert starb, über die in Schweden durch Kaufleute und Gefangene angeregte Neigung für das Christenthum, so wie über die Geneigtheit des Björn, Missionare in seinem Lande zuzulassen, und ersuchten den Kaiser, diese zu senden. Wiederum auf Vorschlag des Wala trug Ludwig auch die schwedische Mission dem Anschar an und fand denselben auch für dieses Unternehmen vollkommen bereit.

In der dänischen Mission blieb ein Mönch Gislemar von Corbie zurück. Anschar begab sich mit dem Witmar, früher seinem Collegen an der Klosterschule von Corbie, in Begleitung von Kaufleuten, wohl im Jahr 829, zu Schiff nach Schweden. Unterweges, schon in der Nähe der schwedischen Küste wurden sie von Seeräubern überfallen und an’s Land zu flüchten genöthigt. Anschar sah sich der vom Kaiser für den schwedischen König ihm mitgegebenen Geschenke, sowie seiner Bücher beraubt. Doch folgte er dem Vorschlag, nun unverrichteter Sache zurückzukehren, nicht, sondern drang vielmehr mit dem Witmar und dessen treuen Begleitern unter den äußersten Beschwerden großentheils zu Fuß bis nach Virka Sigtuna, der Hauptstadt des Björn, am Mälarsee, vor. Der König empfing den Anschar freundlich und erlaubte demselben, das Evangelium zu verkündigen. Mehrere ließen sich taufen, und unter diesen einer der ersten Großen des Reichs, der Jarl Herigar oder Hergeir von Sigtuna, des Königs vertrautester Rath, dem Christenthum und dem Anschar seit dieser Zeit von Herzen ergeben. Eine Kirche ließ Herigar bald nachher auf seinem Erbgut erbauen. Nach anderthalbjährigem Aufenthalt in Schweden kehrte Anschar zurück nach Deutschland.

Inzwischen hatte Ludwig der Fromme den Plan auszuführen unternommen, welcher schon seinem Vater Karl beigelegt wird, daß nämlich ein Erzbisthum Hamburg, als Metropole des gesamten Nordens und der nordischen Mission, eingerichtet werden sollte. Schon vor Anschars Rückkehr war die Sache 831 auf einem Reichstage zu Aachen beschlossen worden. Die Bischöfe von Bremen und Verden, unter welche das nordalbingische Sachsen 817 war vertheilt worden, willigten darein, dasselbe dem neuen Erzstuhl, als dessen Bischofsdiöcese, abzutreten. Wohl nach 831, auf einem Reichstage zu Ingelheim ward Anschar darnach zum ersten Erzbischof von Hamburg geweiht. Zugleich verlieh der Kaiser wegen der Mittellosigkeit und bedrohten Stellung des neuen, den Heiden unmittelbar benachbarten erzbischöflichen Sitzes demselben das reiche Kloster Turholt oder Thorout bei Brügge in Flandern. In Begleitung kaiserlicher Gesandten begab sich Anschar selbst sodann nach Rom, um das erzbischöfliche Pallium und die päpstliche Bestätigung von Gregor IV. zu empfangen. Dieser übertrug dem neuen Erzbischof zugleich die Würde eines päpstlichen Legaten für den Norden, mit Einschluß auch der nördlich von der Elbe wohnenden Slaven. Ebo von Rheims, der dieselbe  Würde schon von früher her inne hatte, ließ in seinen Antheil an der nordischen Mission damals seinen Verwandten Gauzbert anstatt seiner eintreten, den Ebo und Anschar, zum Bischof für Schweden weihten. Dem Gauzbert ward nun Welanao bei Itzehoe, als Stützpunkt für seine Mission, zugetheilt. Ebo aber verstrickte sich um diese Zeit in den Aufstand der Söhne Ludwigs des Frommen wider ihren Vater und vergaß die nordische Mission.

Anschar war eine der Zierden des mittelalterlichen Priesterthums. Für das Ansehen der kirchlichen Hierarchie war er eifrig, dem Papstthum durchaus ergeben, weil in diesen Institutionen das Reich Gottes ihm sich darstellte; vor Allem aber stand ihm die Kirche in ihrer jenseitigen Vollendung vor Augen. Alle gemäßigter, praktischer Augustiner predigte er Buße und Demuth, Vertrauen auf die in Christo erschienene Gnade der Sündenvergebung und Heiligung; die Heilige Schrift kannte er und benutzte dieselbe fleißig; im Anschluß an die Psalmen von ihm entworfene kurze Gebete sind uns noch erhalten. In stille fromme Sammlung zog er sich zurück, so oft sein Beruf es verstattete; die Wissenschaft blieb ihm auch unter seiner ausgedehnten Amts- und Missionswirksamkeit werth. Auf dem erzbischöflichen Stuhl war er nach wie vor der strenge, weltentsagende Mönch und Missionar; am bloßen Leibe trug er bei Tag und Nacht ein härenes Bußkleid, auf der Brust nach der Weise der Zeit eine goldene Kapsel mit Reliquien; auch der unter den Mönchen gewöhnlichen Handarbeit entzog er sich nicht; er wog und maß sich oftmals das Brot und Wasser zu, das er genoß, und legte sich auf seinen Visitationsreisen nicht eher zu Tische, bevor er daneben den Armen Speise und Trank in eigener Person dargereicht hatte, so wie er überhaupt auch der Armen, Kranken und Gefangenen väterlich sich annahm. Selbstüberhebung wegen seiner Entsatzung bekämpfte er aufs Ernstlichste in sich. Obwohl er an fortgehend in der Kirche geschehende Wunder sonst sehr bereitwillig glaubte, wich er doch der Anerkennung der ihm selber beigelegten Wunder noch am Abend seines Lebens mit der Erklärung aus, nur das eine Wunder möchte er sich wünschen, daß Gottes Gnade ihn zu einem guten Menschen machte. Sein besonderes Vorbild war der ritterliche Heilige Martin von Tours, die Märtyrerkrone seine Sehnsucht und Hoffnung.

In Hamburg vollendete Anschar nunmehr den schon um 811 begonnenen Bau seiner Bischofskirche, richtete daselbst ferner ein Benedictinerkloster ein. Eben so sorgte er für die kirchlichen Anstalten in den anderen Theilen Holsteins, das zu seiner Zeit nur noch vier Taufkirchen enthielt, mit der Hamburger und der Meldorfer wohl die zu Schenefeld und die zu Heiligenstedten, die letztere bei Itzehoe, beide im eigentlichen Holstein. Auch in Hamburg, besonders aber in Turholt legte Anschar eine Missionsschule an. In Turholt zog um 832 der flandrische Knabe Rimbert Anschars besondere Aufmerksamkeit auf sich, der darnach seit 836 Anschars beständiger vertrauter Begleiter gewesen ist, endlich aber nach Anschars Tode dem erzbischöflichen Amt seines Hochverehrten Meisters sich unterzogen und das Leben desselben beschrieben hat. –

Nach 840 traf den Anschar eine Reihe schwerer Unglücksfälle. Zuerst verlor er durch die Reichstheilung von Verdun 843 Turholt, das Karl dem Kahlen von Frankreich zufiel. 845 überraschte der Göttrikssohn Horich oder Erich I., König des dänischen Westreichs, mit 600 Schiffen und einer Bemannung von 18.000 Mann, den in seiner Nähe drohenden deutschen Missions- und Waffenplatz Hamburg. Die Stadt und deren Umgebung waren furchtbar verheert. Nur mit Mühe rettete Anschar selber das nackte Leben durch die Flucht. Seine Reliquien nahm er mit sich. Seine Kirche aber, sein Kloster, seine Bücher, namentlich auch das von Ludwig dem Frommen ihm geschenkte Exemplar der heiligen Schrift, gingen in den Flammen auf. Anschar suchte eine Zuflucht bei seinem Nachbar, dem Bischof Leuderich von Bremen. Dieser aber, eifersüchtig wegen des seinem Sprengel entzogenen nordalbingischen Landes, wegen des erzbischöflichen Ansehns und der persönlichen Auszeichnung des Anschar, wies denselben schmählich zurück. In Schweden endlich erhob sich ebenfalls 845 gegen den anfangs sehr freundlich daselbst empfangenen Bischof Gauzbert ein heftiger Volksaufstand, durch welchen Gauzbert mit allen seinen Begleitern aus Schweden vertrieben ward.

Anschars freudiges Gottvertrauen unter all diesem Unglück sah sich bald wiederum bewährt. Zuerst nehmlich schenkte eine fromme Matrone, Ikia oder Ida, dem Anschar das Gut Ramsola oder Ramelslo im Lüneburgischen, drei Meilen südlich von Hamburg und der Elbe. Hier errichtete Anschar alsbald wieder ein Kloster, als Sammelplatz und Zufluchtsstätte für sich und seine Gehülfen. Nachdem aber Bischof Leuderich von Bremen um diese Zeit gestorben war, beschloß König Ludwig der Deutsche das schwache, bedrängte Erzbisthum Hamburg mit der ungleich mehr befestigten und gesicherten bischöflichen Diöcese von Bremen zu einem Erzbisthum Hamburg-Bremen zu vereinigen. Gegen mancherlei Schwierigkeiten ward die Sache 848 auf einer Reichsversammlung zu Mainz durchgesetzt; nach 858 erfolgte auch die päpstliche Bestätigung Nicolaus I., des Großen, in welcher wir zum ersten Mal die Gelobung vollständigen Gehorsams gegen alle und jede Decrete der Päpste von den Erzbischöfen erfordert finden. Schon Anschar hielt sich seit der Vereinigung von Hamburg und Bremen vorzugsweise am letzteren Orte auf. Später ging der Vorrang allmälig immer mehr, formell und definitiv aber am Anfange des dreizehnten Jahrhunderts von Hamburg auf Bremen über.

Seit der Zeit gegen 850 konnte Anschar auch nördlich der Eider, im dänischen Gebiete, wieder eine bedeutendere Wirksamkeit üben, indem er am Hofe des nun schon bejahrten Königs Horich oder Erich I. großen Einfluß gewann. Namentlich erschien Anschar auch als politischer Gesandter Ludwigs des Deutschen beim Horich zur Verhandlung des Friedens zwischen beiden Fürsten. Horich wendete dem Anschar bald solches Vertrauen zu, daß er denselben zu seinen geheimsten politischen Berathungen mit zuzog, nur durch Anschar mit den Deutschen verhandeln wollte und in Anschars Wort die sicherste Bürgschaft der geschlossenen Verträge sah. Natürlich benutzte Anschar diese Gunst des Königs auf’s Eifrigste für seine Mission. Damals, um das Jahr 850, errichtete Anschar die erste Kirche nördlich der Eider, nach der gewöhnlichen Annahme da, wo jetzt die Dorfkirche von Haddebye bei Schleswig steht, nach anderer Meinung an der Stelle des Doms der Stadt Schleswig. Einen Priester stellte Anschar an dieser Kirche an. Viele zu Hamburg und anderswo Getaufte fanden sich schon in Schleswig vor, andere ließen sich nunmehr taufen, noch andere ließen sich wenigstens durch die prima signatio oder primsigaing, primsigne, das über ihnen geschlagene Kreuzeszeichen, unter die Katechumenen der Kirche aufnehmen. Im Norden nehmlich verschob man damals, wie schon in der alten Kirche, die Taufe oft bis gegen das Ende des Lebens hin, um die Sühne derselben frisch und unverkürzt in’s Jenseits mit hinüberzunehmen.

Schweden war nach Gauzberts Vertreibung 7 Jahre lang ohne christliche Priester. Jarl Herigar hatte freilich auch während dieser Zeit standhaft für das Christenthum gezeugt unter Berufung auf Gebetserhörung und Schutz von Christo her in mancherlei einzelnen Fällen. Aud Andere, gottesfürchtige Frauen namentlich, blieben während dieser Zeit dem Christenthum in Schweden treu ergeben. Die Verfolger des Gauzbert wurden von schweren Unglücksfällen betroffen, die als göttliche Strafgerichte erschienen. 851 bewog Anschar den Priester Ardgar oder Ardgeir, einen Einsiedler, als Missionar nach Schweden zu gehen. Herigar und die anderen schwedischen Christen waren über Ardgars Ankunft hoch erfreut; schon 852 aber starb Herigar, und Ardgar widerstand nun dem Verlangen, in sein Eremitenleben zurückzukehren, nicht länger. Gauzbert glaubte nach dem von ihm in Schweden hinterlassenen Eindruck daselbst nichts ausrichten zu können. So entschloß sich denn Ansgar selbst, um 852 zum zweiten Mal, als Gesandter Ludwigs des Deutschen, die Reise nach Schweden zu unternehmen, wozu er sich auch in einer Traumvision von seinem längst verstorbenen Erzieher, Abt Adalhard, ermuntert fand. An Gauzberts Stelle begleitete dessen Neffe Erimbert den Anschar. König Horich, der Göttrikssohn, gab dem Anschar die nachdrücklichsten Empfehlungen an den schwedischen König Olaf mit. Horich erklärte, daß er noch nie einen so guten und treuen Mann gefunden habe, wie den Anschar. Darum habe er demselben für die Verbreitung des Christenthums in seinen Landen freie Hand gegeben. Olaf möge dasselbe thun. Denn Anschar unternehme nichts, als was gut und recht sei.

Wider die damals in Schweden zunehmende Hinneigung zur Verehrung Christ war eben um die Zeit, als Anschar ankam, ein Prophet der alten Götter aufgetreten, mit der Aufforderung, zum Eifer im Dienste dieser zurückzukehren, wenn man aber die Anzahl der Götter zu vermehren Verlangen trüge, einen König früherer Zeit, Namens Erich, unter dieselben zu erheben. Kräftige Zustimmung fand dieser Aufruf unter dem Volk. Dennoch ließ Anschar sein Vorhaben nicht fahren, für das Christenthum thätig zu sein. König Olaf, den Anschar zu einem Gastmahl lud und beschenkte, erklärte sich, darüber erfreut, für seine Person geneigt, die Verkündigung des Christenthums zu gestatten, konnte jedoch für sich allein nicht darüber entscheiden. In der Versammlung der Großen aber fiel das Los, durch welches man die Götter befragte, für die Zulassung des Christenthums aus. In der Volksversammlung ferner berief sich ein Greis zu Gunsten des Christenthums auf die Hülfe, welche manche in Gefahr zur See und anderer Noth von Christo empfangen hätten. Das Christenthum erhielt freie Zulassung; eine Kirche ward zu Birka Sigtuna erbaut und Erimbert als Priester bei derselben angestellt. Besonders dadurch stieg späterhin Erimberts ansehen, daß die Schweden sich auf einem Kriegszug nach Curland von Christo unterstützt glaubten.

Im Jahre 854, kurz ehe Anschar noch in demselben Jahre nach zweijährigem Aufenthalt in Schweden in sein Erzbisthum zurückkehrte, geschah es, daß König Horich I., Anschars alter Gönner, von einem Verwandten, dem Guttorm, mit großer Macht überfallen ward. In einer dreitägigen Schlacht fiel damals sowohl Horich als Guttorm, mit ihnen der größte Theil des Adels und namentlich auch die alten Freunde Anschars unter den Großen des Landes, so wie alle Prinzen, mit alleiniger Ausnahme eines noch minderjährigen Horich oder Erich, der nun als Horich II. König ward. Diejenigen Großen, welche nunmehr an der Spitze standen, waren dem Christenthum entgegen, indem sie die Ursache des Landesunglücks in dem Zorn der alten Götter über die Aufnahme des neuen, fremden Gottes suchten. Vornehmlich der Graf oder Jarl von Schleswig, Hovi, war Gegner des Christenthums. Derselbe ließ die Kirche zu Schleswig verschließen und verbot die Uebung des christlichen Gottesdienstes daselbst; der in Schleswig angestellte Priester verließ das Land. Bald indes änderte sich die Stimmung am Hofe des jungen Horich wieder. Jarl Hovi fiel in Ungnade und ward aus Schleswig entfernt. Der König suchte Anschars Freundschaft, rief den Priester nach Schleswig zurück; selbst eine Glocke in der Kirche zu Schleswig ward erlaubt, wogegen die Heiden bisher aus Furcht vor Zauberei gewesen waren. Noch eine zweite Kirche darf nun auf der dänischen Halbinsel erbaut werden, zu Ripen, woselbst Anschar seinen Rimbert aus Turholt als Priester anstellt.

Seit 856 etwa, in den letzten 8 bis 9 Jahren seines Lebens, beschränkte Anschar seinen unmittelbaren Wirkungskreis auf das nordalbingische Sachsen und die Bremer Gegend. Seine Sorge und Aufsicht erstreckte sich indes fortgehend über den gesamten Norden. – Nach Schweden schickte zuerst Gauzbert, nun Bischof von Osnabrück, mit Zustimmung des Anschar, an die Stelle des zurückkehrenden Erimbert einen Dänen Ansfried, als Missionar; später, nach dem Tode des Gauzbert, Anschar selber ebenfalls einen Dänen, Namens Rimbert, der in Schweden mit besonderem Erfolge wirksam war. Die Missionare, welche Anschar aussendete, wies er an, selbst, ähnlich dem Paulus, sich mit ihrer Hände Arbeit zu ernähren, anstatt den von ihnen Bekehrten lästig zu fallen. – In Holstein erlaubten sich damals Große des Landes, die für Christen gelten wollten, von den benachbarten Helden geraubte Christen, die ihren Herren entkommen waren, für sich selbst als Sklaven zu behalten, oder dieselben auch an Christen und Heiden zu verkaufen. Ermuthigt durch Christum in einem Traumgesicht brachte Anschar es in einer Versammlung des Holsteinischen Adels durch die Kraft seiner Beredtsamkeit dahin, daß die widerrechtlich zu Sklaven gemachten frei gelassen wurden und keiner einen solchen Frevel in Zukunft sich sollte gestatten dürfen, ferner auch nicht durch Eid oder Zeugenbeweis, sondern durch das Urtheil des allmächtigen Gottes, das Ordale, in dieser Angelegenheit entschieden werden sollte. Auch im Bremischen wird Anschar bei den regelmäßigen Visitationen seines Sprengels noch viel heidnisches Wesen zu bekämpfen gehabt haben. Klöster, Hospitäler richtete er ein, besonders ein großes Hospital in Bremen, in welchem er täglich sich einfand und in eigner Person der Krankenpflege sich unterzog. Um 861 verfaßte er seine noch erhaltene Lebensbeschreibung des Willehad, des ersten Bischofs von Bremen, seines Vorgängers, mit ausführlicher Angabe der Wunder, welche am Grabe desselben geschehen sein sollten. Andere Schriften des Anschar sind verloren gegangen.

Die eingetretene Schwäche des Alters veranlaßte den Anschar, die Strenge seiner Askese etwas zu ermäßigen, indem er z. B. ein wenig Wein unter das Wasser mischte, das er trank. Immer häufiger zerfloß er in Thränen frommer Rührung während seiner letzten Lebenszeit. In den vier Monaten unmittelbar vor seinem Tode hatte er ein schweres körperliches Leiden zu ertragen. Hiobs Wort: „Wenn wir Gutes von der Hand des Herrn empfangen haben, wie sollten wir da nicht auch dem Uebeln uns willig unterziehen“, wiederholte Anschar damals oft. Während einer Messe tröstete ihn eine göttliche Stimme, die er nun zum ersten Mal wachend zu vernehmen meinte, darüber, daß die ihm in seiner Jugend gegebene Verheißung des Märtyrerthums nicht in Erfüllung gegangen war. Unter Anderem in einem uns erhaltenen kurzen Brief an die übrigen deutschen Bischöfe legte er diesen, so wie Ludwig dem Deutschen die nordische Mission und sein Erzbisthum, als den Mittelpunkt derselben, noch einmal nachdrücklich an’s Herz. – Unter Ermahnungen, die er an seinen Lieblingsschüler und Nachfolger, den flandrischen Rimbert, und die anderen ihn umgebenden Freunde richtete, gestärkt durch Gesang und Gebet der Freunde, so wie durch eigenes Gebet und durch Kernsprüche der heiligen Schrift, starb Anschar am 3ten Februar 865, im 64sten Jahr seines Lebens, zu Bremen und ward noch an demselben Tage daselbst begraben.

Ebo von Rheims hat in der letzten Zeit seines unruhigen Lebens, da er Bischof von Hildesheim war, dem Anschar die feste Ueberzeugung ausgesprochen, das von ihnen zur Ehre des Namens Christi begonnene Werk werde nicht untergeben, sondern Frucht bringen und gedeihen, bis des Herrn Name an die Grenzen der Erde gelangt sei. Während der nächsten drei Jahrhunderte nach dem Anschar erfüllte sich diese Weissagung für den Norden.

Nicol. Thomsen in Kiel.