Jean Fayan

„Möchte es Gott gefallen, daß alle, die im Schoße der Kirche geboren sind ebensoviel Liebe zu ihr und zur Wahrheit hätten“ (wie Jean Fayan).
Pierre Serres

über Jean Faya am 5.Oktober 1712.

Es war im Jahre 1687, daß ein französischer Soldat, Jean Fayan aus Bordeaux, aus dem Heer entwich. Trieb ihn das Heimweh fort aus den Reihen seiner Kameraden? Wollte er dem Drucke eines harten Dienstes entfliehen? Wir wissen es nicht. Doch er wurde verraten, wieder eingefangen, vor Kriegsgericht gestellt und zu den Galeeren verurteilt. Auf einem der vielen Schiffe der französischen Kriegsflotte, auf der „Guerrière“, wurde der Unglückselige in schwere Ketten auf die Ruderbank geschmiedet. Seine Leidensgenossen waren Deserteure, wie er einer war, Sträflinge, schuldig und unschuldig Verurteilte, gefangene Türken und Berber und etliche Reformierte, Hugenotten, die um ihres Glaubens willen ihre Heimat hatten verlassen wollen und auf der Flucht ergriffen worden waren. In und mit dieser bunt gemischten Schar trug er nun das furchtbare, hoffnungslose Schicksal des Galeerensträflings: um den Hals eine Kette, die ihn mit den vor und hinter ihm Sitzenden verband, an den Füßen schwere Eisen, das Haupt kahlgeschoren, mit einem Käpplein bedeckt, als einzige Bekleidung eine kurze rauhe Zwilchhose, den nackten Leib allem Sonnenbrand und Frost ausgesetzt, ständig die Fuchtel des Aufsehers über sich. Schon ins achte oder neunte Jahr hinein trug Jean Fayan seine Ketten. Da geschah eines Tages etwas Unerhörtes. Der Deserteur, der im Schoße der römischen Kirche geboren und aufgewachsen war und auch auf der Galeere bis jetzt bei der Messe sein Käpplein in anerzogener Ehrfürchtigkeit abgelegt hatte, er trat eines Morgens vor den katholischen Schiffspater und erklärte ihm so ruhig wie bestimmt, daß er von heut ab im Glauben seiner reformierten Leidensgenossen leben und dereinst in diesem Glauben sterben wolle! Darob helle Entrüstung. Wer mag ihn zu diesem sinnlosen Schritt verführt haben ? Daß hin und wieder ein Reformierter den furchtbaren Qualen und Drohungen erlag und seinen Glauben abschwor, das hatte man schon erlebt, freilich, selten genug, zum großen Ärger der missionierenden Mönche und ihrer Oberhirten. Aber daß einer den umgekehrten Weg ging, das war unerhört! Wer hatte ihm das verfluchte Gift der neuen Lehre eingeimpft? Man fahndete doch streng nach verbotenen Bibeln und Büchern. Man verbot jede Unterhaltung. Man steckte die Reformierten mit Vorliebe zwischen Türken und Berber. Und nun doch der Abfall dieses Tollkühnen?

Im März 1700 – nachdem Jean Fayan durch drei, vier Jahre allen Drohungen und Qualen standgehalten – kam eines Tages der Schreiber des Intendanten auf die „Guerriere“. Er holte den Standhaften über seinen Glauben aus und ging, als dieser aufs neue auf seiner Erklärung verharrte, von ihm mit den Worten, daß er sein Los beklage. Was konnte das anderes bedeuten, als daß man ihm nächstens den Prozeß machen würde? Man würde ihn aufhängen, wenn er seinen Sinn nicht ändere – gab ihm auch der Pater zu verstehen.

Aufs neue setzt man ihm zu. Man führt ihn gar vor den Bischof. Wer ihm den Rat gegeben, seinen Glauben zu wechseln? – „Das Wort Gottes. Um seinetwillen glaube ich, in der römischen Kirche nicht selig werden zu können!“ – Was ihn daran hindere?-„Beinahe alles!“-Ja, was denn?- „Das Fegefeuer, die Fürbitte der Heiligen, die Verehrung der Bilder, die Behauptung, daß Jesus im Brot leibhaftig gegenwärtig sei.“-Das hätte ja Jesus selber gesagt: Das ist mein Leib.-„Dann muß man also auch glauben, daß er ein Weinstock sei, denn er hat auch gesagt: Ich bin der Weinstock.“

Im Ärger über solche Hartnäckigkeit ging der hohe geistliche Herr unter Drohungen von ihm: der Herr Intendant hätte eine große Dummheit begangen, daß er ihn nicht längst gehängt hätte . . . Und über die armen Galeerenmissionare gießt sich der bischöfliche Zornesausbruch . . .

Dann wird Jean Fayan wieder auf die Galeere zurückgeführt. Neue Drohungen mit Gericht und Prozeß. Und so geht es noch einige Zeit mit Drohen und Schnauben. Umsonst – Jean ist fest entschlossen, wenn’s sein muß, für seinen Herrn zu sterben!

Wie so manchem dieser armen Menschen muß es auch Jean Fayan gelungen sein, im Hafen von Marseille, wo die Galeeren bisweilen anlegten, einen Brief zu schreiben, der trotz der Aufmerksamkeit der Offiziere den Weg zu seinem Adressate fand. Was wir bisher erzählt haben, verdanken wir einen ersten Briefe von 23. Juni 1700.

In einem zweiten vom 20. September desselben Jahres erzählt Jean Fayan seine Überführung auf die Galeere „Magnanime“ in die Hände des Schiffspaters, der ihn sogleich auf die sogenannte Bank der Zwölf führen ließ, die für die schlimmsten Verbrecher bestimmt war, wenn sie rückfällig geworden Aber alle die namenlosen Quälereien wirkten nur wie Luft streiche. Sie vermochten den Mut und die Standhaftigkeit dieses schlichten Alltagshelden in keiner Weise zu erschüttern. Jetzt griff die Rachsucht seiner Peiniger zu einem letzten Mittel: Man hoffte, ihn lebendig zu begraben, und führte ihn am 28. September ins Schloß von Yf.

Am selben Abend noch erschien der Generalprofos in höchst eigener Person auf der Galeere und unterzog Jean Fayan einem Verhör: Warum er den Glauben gewechselt? –„Um meine Seele zu retten!“-„Man wird Euch an einen Ort bringen, wo Ihr Eure Seele wohl retten könnt!“ Dann stieg Jean in den Kahn, der ihn in seinen Kerker bringen sollte. Als einzige Habe trug er noch sein Psalmenbuch auf sich. Das hatte er retten können. Das Neue Testament und etliche Erbauungsbücher hatte man ihm weggenommen. Mit dem Psalter aber sang er das Lob des Vaters aller Barmherzigkeit. Im Schloß von Yf wird Jean Fayan dem Sergeanten der Wache übergeben. Der führt ihn mit zwei Musketieren in den großen Turm. Endlos geht es in die Tiefe, Türe um Türe öffnet und schließt sich wieder hinter ihm. Schon haben sie die achte passiert. Jetzt wird Jean durchsucht: Messer, Schere Nadeln nehmen sie ihm weg. Nach dem zehnten Tore begegnet ihm einer seiner Brüder in Christus, Jean Mognier, ein treuer Bekenner; aber furchterregend ist sein Anblick: tief in den Höhlen liegen die Augen, abgemagert ist das Antlitz, mit langem Barte. „Er hat mich mächtig getröstet und gestärkt, darum daß ich noch zwei Türen unter ihn käme. Dahin also haben mich meine Feinde geführt, die sich für mein Heil verschworen haben, weil ich ihre Götzen nicht anbeten wollte! Ich bitte den großen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, daß es ihm in seiner unendlichen Güte gefalle, unsere Feinde mit seinem Erbarmen heimzusuchen, und daß er ihnen den Haß, den sie gegen dieses edle Zion hegen, vergebe! Ich bitte ihn auch von ganzem Herzen, daß er allen denen vergebe, die uns verraten und beleidigt haben, und daß er ihre Leidenschaft in wahre christliche Milde wandle, daß er ihr Herz mit aufrichtiger Liebe erfülle, daß sie uns mit dem festen Bande einer geistlichen Freundschaft verbinde, und daß er sie teilhaben lasse an seiner Weisheit und Reinheit!“

So schreibt dieser einstige Soldat, der durch eine wahre Hölle von Grausamkeit und Leiden gegangen ist, im Augenblick, da er in eine noch furchtbarere Hölle hinabgeworfen worden ist, in jenes Schloß von Yf, das der Bündner Paul Ragatz, der seine Schrecken erlebt hat, mit dem Lebendigbegrabensein im letzten Abgrund vergleicht. Nun verstehen, wir den Eingang seines Briefes: „Ich will euch sagen, wie die Vorsehung meines Herrn und meines Gottes, die ich verehre mich an diesen Ort .gebracht hat, der ein Ort der Finsternis ist wenn man ihn mit den leiblichen Augen ansieht, aber wenn man ihn mit den Augen des Geistes ansieht, ein Tempel des lebendigen Gottes, in dem ich zu ihm bete und ihn preise und ihm unendliches Lob und unendlichen Dank abstatte für alle Wohltaten die er an mir getan hat daß er mich zur Erkenntniss seines geliebten Sohnes Jesus Christus geführt hat, auf den ich hoffe, dem es gefallen hat, durch eine Tat seiner Allmacht mich zu begnadigen, vor einem verkehrten Geschlechte für die Wahrheit des christlichen Glaubens Zeugnis abzulegen. Wie sich dieser göttliche Herr zu seinem himmlischen Vater bekannt hat vor den Feinden seiner Herrlichkeit, so will er, das auch wir uns zu ihm bekennen in dieser harten Zeit, damit wir ihm nachfolgen so treu wir nur können.“ Acht oder neun Jahre lang scheint Jean Fayan in diese dunklen Kerker geschmachtet zu haben! Dann wurde er in eine hellere Zelle gebracht. Und nach achtzehn oder zwanzig Monaten kam er mit einigen Brüdern aus dem Schloß von Yf in das Spital der Sträflinge. Von hier wurde er entlassen mit der einzigen Bedingung, als Soldat in der Armee zu dienen. Zwei Jahre scheint er auf der Garnison von Villefranche unter dem Hauptmann Rainaud von Nimes gedient zu haben. Und nun gelang es seinen Freunden, den Urlaub und die endlich Freiheit des treuen Dulders und tapferen Kämpfers zu erwirken. Pierre Serres empfiehlt in einem Briefe vom 3. Oktober 1712 den aus dem Dienst Entlassenen, der im Schloß von Yf und im Spital der Sträflinge sein Gefährte gewesen einem ungenannten Freunde zur freundlichen Aufnahme Zwar werde der fremde Bruder sie nicht stark belasten, denn er hätte ein gutes Handwerk und sei sehr fleißig. Er sei kein Mensch von großem Ansehen, noch großem Geist, aber von gütigem, aufrichtigem Herzen! Und möchten nur alle, die im Schoß der Kirche geboren sind, so viel Liebe zu ihr haben und so viel Liebe zur Wahrheit wie dieser schlichte, einfache Mann. „Ich hoffe, daß sein Beispiel, wenn er wenigstens in Euren Vierteln bleibt, Euch ein sprechender Beweis dessen sei, was wir Euch von ihm sagen.“

Eine Notiz unserer Quelle bemerkt: „Der obengenannte Bekenner weilt gegenwärtig mitten unter uns, nachdem er schon am letzten 20. November (1712) in diese Stadt gelangt ist.“

Ist Genf, das gastliche Refugium so vieler Hugenotten, diese Stadt, die diesem „unbekannten Soldaten“ Asyl gewährt hat. Und ist der Freund, dem er von Pierre Serres empfohlen worden, vielleicht Benedikt Calandrini, der einstige Pfarrer der Lyoner Kirche, der spätere Rektor der Genfer Akademie, der sich unermüdlich der evangelischen Flüchtlinge wie der Evangelischen auf den Galeeren angenommen hat ? Auf der Genfer Bibliothek liegen noch heute die Briefe, die uns Kunde geben vom Leiden und Kämpfen des wackeren Soldaten Christi, gesammelt von Antoine Court, der 1729 aus seiner Heimat nach Lausanne flüchtete, wo er jenes französische Seminar gründete, in dem junge Hugenotten zum Dienst der verfolgten reformierten Kirche Frankreichs ausgebildet wurden.