Unter den Bischöfen der Mährischen Brüder und der Brüder-Unität finden sich allerdings mehrere, welche nicht allein das Innere der Gemeinschaft mit bleibendem Segen ihres Wortes, Liedes, und persönlichen Ganges erfüllt, sondern auch über deren Grenzen hinaus die evangelische Christenheit erbauet haben; von keinem aber gilt es in größerm Maße als vom Bischofe, August Gottlieb Spangenberg, der mit seinem Bruder Georg, einem gleichfalls in der Kirchengeschichte bedeutenden Manne, da er zu der katholischen Kirche übergegangen noch Evangelischer wurde als er gewesen, nicht zu verwechseln ist. Dem Grafen Zinzendorf steht der demüthige Student, Helfer, Aelteste, Ordinarius und Bischof Spangenberg in jeder Beziehung so unzertrennlich nahe, daß man kaum anders kann als bei dem Elisa an den Elias, bei diesem mit an jenen zu denken. Dabei sind sie demungeachtet nach Herkommen, Gabe, Wirkungsweise und Zeitalter noch verschieden genug, so daß sie wie Luther und Melanchthon oder Calvin und de Beze in ihrer Art auch verschiedne und jeder eine selbstständige Beschreibung erfordern.
Mit Spangenberg ist es auch von früher Jugend der und ehe noch die Anziehungskräfte der Brüderkirche auf ihn wirken, auf Aussonderung und Zurüstung eines vorzüglichen Werkzeuges des Herrn und der Gemeine in der Gemeine abgesehn. Klettenberg in der Grafschaft Hohenstein wird 1704 die Stätte seiner Geburt, Ilefeld 1714 seine Schule, Jena unter Buddeus 1722 seine hohe Schule. Von der Mutter, Elisabeth geb. Nesen, die er schon im vierten Jahre verlor, erzählt man, daß sie sich darüber gewundert, wie wenig von der Versöhnung in Christus gepredigt werde, über eine Wahrheit, auf welcher doch unsre Seligkeit beruhe. Der Vater, ein lutherischer Prediger, der gegen überhandnehmende Irrlehren und ein ihnen verwandtes neues Gesangbuch treulich ankämpfte, nahm die vier mütterlich verwaisten Söhne mit sich in die Oberstube, knieete in ihrer Mitte und empfahl sie mit inbrünstigem Gebete in die höhere Mutterpflege. Noch spät feiert Spangenberg in Briefen an den Bruder Georg das Andenken an diese Eltern und den in ihnen enthaltenen Ruf des Herrn. Zehnjährig schon ganz verwaist, und als Schüler zu Ilefeld durch eine Feuersbrunst all seines Vermögens beraubt, so daß die Mittel zur Fortsetzung der Studien ganz zu fehlen schienen, trat er, obgleich mit Thränen, doch mit Gelehrigkeit in die Zuchtschule der Entbehrung ein, welcher er zeit seines Lebens auf allen Stufen und in jeder Lage Ehre gemacht. Es ist zum Erstaunen, mit wie Wenigem er ausgekommen, und wie weit er es in der Nachfolge des Apostels (Phil. 4,12-13) gebracht; denn sorgenfreie Genügsamkeit bei großer Sorgfalt für alle Erfordernisse der Gemeine stand ihm wie eine natürliche kampflose Tugend an. Im Uebrigen sah Spangenberg in der Folge seine Schüler- und erste Studentenzeit nur als Irrfahrt, als ausbrechendes Verderben und erfolgloses Schwanken zwischen hohen Vorsätzen und vielen Rückfällen an. Der gerade Weg zum Heilande hin sollte ihm erst noch gewiesen werden. Drei Jahre hatte er bereits ohne allen Beistand von Außen und ohne andern Trost als aus dem berühmten Buche, Joh. Gerhards Meditationen, zu schöpfen war, um Frieden der Seele gerungen, als er die Universität bezog, um sich dem Studium der Rechte zu widmen. Das damalige Jena war vor allen Hochschulen geeignet, die innern Kämpfe des Jünglings zum Abschluß zu führen, und unbeschadet seiner großen Eigenthümlichkeit ihm die Bestimmungen alle zu eröffnen, welche er als Gehülfe Zinzendorfs, als Stütze der Brüdergemeine und besonders als ihr Theolog zu erfüllen hatte. Dort einigte sich in gesunder und fruchtbarer Weise, was zwischen Halle und Wittenberg streitig war, kirchliche Rechtgläubigkeit und die Richtung auf inneres Leben, Gelehrsamkeit und praktisches Christenthum; Buddeus und Walch entzogen sich der Pflege der Erweckungen nicht, deren Werkzeuge sie theilweise selbst gewesen waren; zwischen einem hier sich bildenden Studenten- und Magister-Vereine zu eigner gegenseitiger Erbauung und zu gemeinsamer Ausübung innerer Mission für die zahlreichen Volksclassen und den Brüdern zu Herrnhut, deren Gemeinschaft 1727 zu Stand und Wesen gekommen war, konnte es, wenn die Vorsehung des Herrn Anlässe herbeiführte, an freundlichen und innigen Anziehungen nicht fehlen. Spangenberg, bei dem die durchreisenden Herrnhuter einzukehren pflegten, wurde für dies Alles die leitende Persönlichkeit. Seine Jenaer Geschichte eröffnet sich mit Gemüthserfahrungen, deren seligen Ausgang er nachmals so bezeichnet, für ein ihm vor dem Herrn gestattetes Zährlein würde er allen Königreichen der Welt mit tausend Freuden entsagt haben. Einst hörte er als Gast eine Vorlesung des Buddeus an; der Professor hielt den Studenten auf Anlaß von Ap. Gesch. 26,29. die unvermeidliche Aussicht eines rechten Theologen auf Schmach und Trübsal vor, und gerade dieser Gesichtspunkt entschied über den juristischen Hospitanten, daß er Theologie studieren mußte. Wie fing er dies nun an? Er hörte, wie er es später beschrieb, ein Privatissimum bei dem Herrn. D. h. er nahm den Katechismus vor, prüfte Punct für Punct, erstlich ob es sich in der h. Schrift so verhalte, zweitens ob er daran glaube, und versuchte drittens oft unter heißen Thränen, ob er darnach innerlich und äußerlich leben könne. Sein unablässiges Studium der Schrift heilte ihn gar bald wieder von der Neigung zu mystischen Schriften, welcher er sich ergeben hatte. Dem Absonderungswesen hing er viel längere Zeit nach. Wenn er nun aber ebenso sehr und noch mehr sich durch christliche Toleranz ausgezeichnet, und zu Jena sich dereinst gerade von den frommen Leuten darum entschieden zurückzieht, weil sie etwas aus ihm machen und an seinen Reden ihre Eitelkeit weiden wollen, wodurch seine Seele gefährdet wird, so wird man wohl Bedenken tragen müssen, Spangenbergs Separatismus schnell zu beurtheilen. Was daran unechtes war, verstand er nachmals selbst zu richten, und nachdem er. es in Halle, wie sich bald zeigen wird, gleichsam gebüßt, wurde er doch der christlichen Gemeinschaft, wie sie ihm Bedürfniß war, erst in der Brüdergemeine recht theilhaftig und froh. Was der Kirche Wesen sei, darüber hatte er schon zu Jena dieselbe Meinung gefaßt und mit seinem Denken und Sein verwebt, welche er nachmals in Schriften und Liedern herzhaft ausdrückte, auch für biblisch, überdies für lutherisch erklärte. Die Kirchen, wie sie heißen, gelten ihm nur als – Religionen; sie sind gleichsam Elemente, aus denen sich der Herr seine Kirche d. h. die Gemeine der Kinder Gottes sammelt. Solch ein Kind Gottes kann in jeder Religion oder Secte geboren werden und möglicher Weise ganz einsam existieren. Wo aber zwei oder frei oder mehrere sich in dem Herrn vereinigt finden und sich einander zur Nachfolge des Herrn ermahnen und helfen, da entstehen Kirchlein, Gemeinen des Lammes, welche wie viele oder wo sie sein mögen immer nur Eine Kirche Christi ausmachen.
Schon hatte Spangenberg in Folge der Besuche Zinzendorfs in Jena und seines eignen in Herrnhut einen Zug dorthin im Herzen als er noch mit Freudigkeit und Segen dem Dienste des Herrn in Jena oblag; die Sorge für die Freischulen in der Vorstadt führte die andre herbei, daß Präceptoren rechten Sinnes genug da sein möchten, die das Netz ziehen hälfen. Um deren Ausbildung auf sich nehmen zu dürfen, suchte er und erhielt den Magistergrad. Hiedurch ward seine Laufbahn auf eine Zeit lang eine ungewisse, nämlich ob sie nach Ordnung und Verfassung der Kirche oder in der außerordentlichen Weise und Brüdergemeindlich gehen sollte. An ungesuchten Empfehlungen fehlte es nicht; eine kurze Probe aber, welche Halle mit ihm, er mit der für ihn wie es scheinen konnte geeignetsten Facultät machte, führte den Beweis einer jetzt bestehenden Unverträglichkeit zwischen seiner religiösen Richtung und der landeskirchlichen Theologie herbei. Eine erste Berufung nach Halle hatte Spangenberg schon aus dem Grunde abgelehnt, weil er sich vor dem ansehnlichen Gehalte und Stande eines Professors scheuete, so daß auch der jüngere Franke (August Gotthilf) ihn mit dem Wunsche losließ, der Herr schenke Ihnen so viele Seelen als Sie Groschen, ja wohl Pfennige um seines Namens willen verläugnen.“ Endlich willigte er doch ein als Adjunct der theologischen Facultät und Aufseher des Waisenhauses nach Halle zu geben. Länger als vom Herbst 1732 bis Sonnabend vor Ostern 1733 ist seines Bleibens daselbst nicht gewesen. Schon im Briefwechsel von Jena der hatte Spangenberg gefragt: Wie? Ihr könntet in Halle den N. N. nicht tragen, ob er gleich mit Jesu Geist getauft und ein Kind Gottes in euren Augen wäre, weil er einen Irrthum, die Wiederbringung, mitbrächte? In der That, den Spangenberg mit seinen Kenntnissen und Gaben, mit seiner bedeutenden Persönlichkeit hätte man sich auf dem Lehrstuhle und im Waisenhause gar zu gern gefallen lassen, nur den Spangenberg mit seiner Intoleranz gegen das gewöhnliche Kirchenwesen und mit seiner Toleranz gegen allerlei Heterodoxie, mit seinem Anspruch an absonderliches Abendmahl, mit seinen separatistischen Freunden in der Vorstadt Glaucha, mit seiner Anhänglichkeit an Zinzendorf wollte man nicht tragen. Schuld und Unschuld war auf beiden Seiten; und beide Seiten haben hinterher bereuet. Aber so sehr war der Weg des Herrn in dem Ausgang zu erkennen, der auf Scheidung von Halle zur Vereinigung mit Herrnhut ging, daß gegen Wunsch und Voraussicht der Beschwerdeführer ein plötzlicher Befehl militärischer Ausweisung des Separatisten von Berlin eintraf. Unter vieler Theilnahme und Begleitung zog er aus der Stadt, zunächst nach Jena, wo ihm alte nicht geringere Anhänglichkeit erwiesen wurde. Aber schon längst hatte ihn Zinzendorf sich zum Mitarbeiter ersehn. So unlieb es den Vorstehern von Herrnhut war, einen gerade von Halle vertriebenen sich zuzueignen, so lieb mußte ihnen der Mann selbst sein, der auf ihren Gemeindedienst mit seinem ganzen Herzen und Wesen einging, der ihnen hohe Gaben, schon reiche Erfahrung zubrachte und wenn er manches zu bereuen hatte, was er zu Halle gethan, doch darin den Herrn pries, daß derselbe ihm einen Wirkungskreis vorbehalten, wo er in Armuth und Niedrigkeit, in Freiheit von weltförmigen Verhältnissen als in seinem Lebenselemente bleiben und doch Frucht bringen konnte.
Durch die sechzig Jahre, die er der Brüdergemeine gelebt, drückt er es auf allen Stufen der Wallfahrt mit noch innigerem Nachdruck und fast unbewußt seines Dienstes und Verdienstes um dieselbe aus, wie unaussprechlich selig ihn schon auf Erden diese Unität in dem Herrn gemacht. Von 1733 an ist ihr inneres Gedeihen, ihre Anfechtung, Schmach und Noth, ihre Verpflanzung und Verbreitung, besonders nach Niederland, England und Pennsilvanien mit Spangenbergs Wirken, Leid und Freude unlösbar verwebt. Bis zum Heimgange Zinzendorfs 1760 bleibt er dessen vertrautester Gehülfe, der ihm an allen Orten und in allen Sachen vor und nach arbeitet, von da an reift er mehr und mehr zum Erzvater der Gemeinen und der Direction selbst, und wirkt auch in den letzten Jahren und Tagen bis zur Sterbestunde, auf das Ganze beseelend ein. Bis zum Theologen und Apologeten, bis zum Staatsmann und allgemeinen Agenten der Unität hinauf, und bis zum Haushalter, bis zum Handwerker und Ackersmann hinab gibt es keine amtliche oder brüderliche Dienstart dieser Gemeinschaft, welcher sich Spangenberg nicht mit erfolgreicher Hingebung wie es noth war oder sein Auftrag lautete unterzogen hätte. Zuerst trat er als Helfer, als Diakon ein, ein Stand, den er nicht nur mit einem schönen Liede sondern auch durch Leben und Wandel vorzugsweise verherrlicht hat, so entschieden er auch zum Regieren im Dienen berufen war. Schon 1733 erscheint er als Führer eines Brüderhäufleins, welches er nach Stettin und bald darauf nach Kopenhagen zu bringen hat, von wo aus es nach St. Croix in Westindien abgehen soll. Seit 1735-64 hat er bald die sogenannte pilgernde Gemeine in Deutschland und anderswo, bald die Seegemeinen, welche zwischen England und Amerika auf dem Wege sich befanden, persönlich geleitet, bald den neuen Ansiedelungen der Brüder sowohl in Holland und England als in Pennsilvanien und andern Staaten zu Stand und Wesen verholfen, bald Missionen der mannichfaltigsten Art und Richtung vorgestanden, vornehmlich von Bethlehem dem ältesten und wichtigsten amerikanischen Pflanzorte der Unität aus unternommen und gepflegt, endlich als Ordinarius sämmtliche Angelegenheiten in jenem Welttheile geleitet. Einmal ist er dreizehn Jahre von Herrnhut entfernt. Nach Zinzendorfs Heimgange tritt er desto ersehnter dort wieder auf, nimmt von da an an der allgemeinen Direction beständigen Antheil, insonderheit visitiert er die lausitzer und schlesischen Orte, hält sich des Seminars wegen zu Barby fleißig auf, begleitet und berathet die Conferenzen und Synoden da und dort hin, bis ihn Alter und Kränklichkeit in immer engere Kreise bannt. Zwei Male hat sich Spangenberg mit einer schon im Dienste der weiblichen Gemeine bewährten Witwe verheirathet, einmal mit der Witwe Immig, die der Gemeine schon seit 1727 mit dem Segen ihrer Gabe und Treue zugehörte, und an deren Grabe Zinzendorf bezeugte, es sei keine Aussicht, eine Arbeiterin ihres Gleichen wieder zu bekommen, nach deren Heimgang 1754 mit der Witwe Micksch, welche Spangenberg seine Martha zu nennen pflegte, und von der er sagte, wird mir von ihrer Herzlichkeit, ihr von meinem stouren (unbiegsamen) Wesen ein wenig zu Theil, so wird uns beiden geholfen. Er überlebte auch diese. Bis zu seinem Ende war es dann anderer Geschwister ganz besondere Freude ihn häuslich zu pflegen.
Es ist hier nicht der Ort den großen reichen Zusammenhang seiner Fahrten, Thaten und Leiden zu verfolgen; wer davon zu wissen begehrt, bat an den allgemeinen Geschichten der Unität ergiebige Quellen, auch an dem von ihm selbst aufgesetzten Lebenslaufe und an den Auszügen aus seinen Briefen, welche sich in Rislers Leben Spangenbergs 1794 finden. Hier genügt es diejenigen Züge seines Sinnes und Wandels hervorzuheben, in denen sich der ganze Herrnhuter in der edelsten Bedeutung des Namens, ein rechtes Exempel von Unitätsliebe und demnach auch ein ausgeprägtes Christenthum deutlicher erkennen läßt, dessen Name sich ohne Widerspruch in den evangelischen Kalender reihet.
Vieles davon tritt schon in seinem Verhalten gegen den Grafen von Zinzendorf hervor. Sie waren in der Erscheinung sich ähnlich, an stattlicher Gestalt, an Haltung und Gang, ein Umstand, der mehrmals sowohl zu Herrnhut als bei dem Eindruck, den sie auf die Rothhäute Nordamerikas machten, angemerkt worden. Auf jeden Fall kann man in dem Angesichte Spangenbergs, den Geist seines Lebens, diese kräftige innige Brüderlichkeit, diese in tiefer Demuth und Einfalt gegründete Geradheit und Wahrhaftigkeit gegen jedermann wieder erkennen, die er in seinem wichtigsten einzelpersönlichen Verhältnisse auch ganz besonders bewährt hat. Der Mann, der eine sprechende Freude daran hatte, jedermann in dem Herrn unterthan zu sein, sah Zeit seines Lebens schon zu den Gaben eines Cammerhof, eines Johannes von Wattewille, wieviel lieber zu der dem Grafen verliehenen Gnade hinauf. Es ist ihm volle Wahrheit, wenn er von Kopenhagen aus ihm schreibt, wie solltest du deinen Fuß hassen. Spangenberg war minder originell und tiefsinnig als Z., und wie sogleich an den vorliegenden Vorträgen und Gedichten wahrzunehmen ist, wenn auch ähnlich doch anders begabt. Bis zur Nüchternheit klar und durchsichtig, kaum den Theologen zu spüren gebend, geschweige daß er sich in Theosophie versuchen sollte, lebt und webt er doch so sehr im Vorstellungskreise der h. Schrift und im Brüdergemeingefühle, daß es nicht anders kommen kann, er überzeugt, greift in die Herzen ein und die Einfachheit wird zur Erhabenheit. Ein Redetalent aus England bekannte zu Newyork nach einer von Spangenberg gehaltenen Charfreitagspredigt, ach wie übertrifft dieser plane Vortrag meine großen Worte und Weisheit! Eine so anspruchslose Größe war denn auch würdig, die Einfalt so zu rühmen wie es in dem Liede Spangenbergs geschehen ist:
Heil‘ge Einfalt, Gnadenwunder!
Tiefste Weisheit, größte Kraft!
Schönste Zierde, Liebeszunder,
Werk, das Gott alleine schafft!
Wenn wir in der Einfalt stehen,
Ist es in der Seele Licht;
Aber wenn wir doppelt sehen,
So vergeht uns das Gesicht.
Einfalt denkt nur an das Eine,
In dem alles andre steht;
Einfalt hängt sich ganz alleine
An den ewigen Magnet.
Die Allgewalt, mit welcher dieser Magnet, Christi Blut, sämmtliche Gemeindeglieder an sich zog und festhielt, ließ auch die Irrungen, welche menschlicher Weise unter ihnen, zumal zwischen den am meisten leitenden Werkzeugen vorfallen konnten, nicht lange bestehen. Diese herzinnige Freundschaft Zinzendorfs und Spangenbergs hatte ihre Proben zu bestehen, und bewährte sich mehrmals in der rührendsten Weise. Der letztre macht irgendwo die Anmerkung, daß die Arbeiter der Brüdergemeine in der ersten Zeit, einander sehr scharf waren. Später straft er sich der Krittelei wegen, wie er es nennt, viele Male selbst. Befremdet ward er zu Kopenhagen darüber, daß man ihm zu Herrnhut die Neigung zutraute, mit den andern Brüdern, die er dorthin geleitet, wider Willen der Gemeine nach Westindien zu geben. Aber in welche gelinde Rede hüllt er dies Befremden: „wie herzlich gern will ich zu euch kommen, wie gern will ich noch lernen! Ich bitte dich, laß mich nicht in solchem Verdacht bei dir stehen, traue mir doch soviel geänderten Sinn zu, daß ich mir selbst nicht zu leben gedenke.“ „Ich bin in Kopenhagen zu gar nichts nütze gewesen als daß ich einige confus gemacht, die sich ihres Zustandes schmeichelten.“ Da er in Württemberg, in England und sonst in den Augen des Grafen so manches versehn hatte, nahm er die Rügen jedesmal ganz kindlich auf und schrieb gewiß in völligem Ernst: „Ich merke wohl, daß ich nichts nütze bin, wenn mich die Brüder nicht in genauer Zucht halten. Darum bitte ich dich auch herzlich, gebt mir einen gesetzten tiefgebenden Bruder mit nach Georgien, dem ich könne unterthan sein, und unter seiner Disciplin Accuratesse lernen.“ Desto anerkannter war Spangenbergs Unentbehrlichkeit und Unersetzlichkeit auf Seiten Zinzendorfs und der Direction. „Weder Ich noch Johannes (v. Wattewille), schreibt der Graf, haben erachtet Manns genug zu sein das auszurichten, was Spangenberg, der amerikanische Original – Mann prästieren kann, der doch unter uns dreien die wenigste Zeit hat.“ Einmal aber, um das Jahr 1750 war Spangenberg, den, wie er wiederholt selbst bezeugt, die Vergangenheit mehr als Zukunft und Gegenwart betrübte, weil man nicht anfangs, sondern je später je mehr das eigne Verderben tiefer erkenne, einmal also – war Spangenberg so sehr an sich selbst sowohl als dadurch, was von England und Deutschland her verlautete, an dem Grafen und der Gemeine irre geworden, daß er entweder sich ganz in die Stille zurückzuziehen oder nach Jamaica zu geben gedachte, um zu sehen, ob ihn der Herr zur Bekehrung einiger Neger brauchen würde. In der That bedurfte es nur des Wiedersehns und des nahen persönlichen Umgangs, und der Schade war nicht nur geteilt, sondern hatte nun eine desto reichere Innigkeit und Anhänglichkeit zur Folge. Nach der Zeit geschah es, daß Zinzendorf schrieb:
Wir ziehn mit dir an Einem Joch,
Sind dir nicht erst von heut und gestern
Getreue Brüder, liebe Schwestern,
Nur heute mehr als jemals noch;
Spangenberg aber sich wieder mit dem Namen der zärtlichen Bruderliebe ihren armen Joseph nannte, und auf der Seereise, da er sich neuerdings nach Pennsilvanien eingeschifft, an den Ordinarius schrieb: „Ich weiß nicht anders als daß Sie mich lieb haben, ich habe wohl etliche Jahre daran gezweifelt – ich danke nochmals für Ihr halten, da ich lassen wollte – Adieu du lieber Mann, ich küsse dich recht brünstig im Geist und drücke mich dir ans Herz, möchte mich lieber an Deinen Hals hängen und satt weinen als schreiben; will also schließen.“ Und als er in Amerika die Botschaft von des Grafen Heimgang empfangen hatte: „der Jünger des Herrn kommt mir keinen Tag aus dem Gemüthe, Er war das größte Kleinod unsrer Zeiten, ein schöner Diamant in dem Ringe an der Hand unsers Herrn; ein Diener Jesu ohne Gleichen, eine Säule im Hause des Herrn, der Mund des Herrn an sein Volk. – Der Herr lasse uns nun halten über dem was wir durch ihn empfangen haben, daß man uns ehe in Stücken risse, ehe wir von diesem Grunde weichen.“
Als Spangenberg in Briefen und Gedichten diese Trauer feierte, war der leuchtendste Theil seiner arbeitsvollen Laufbahn, seine nordamerikanische Mission dem Abschlusse nahe. Der Grundgedanke der Brüder, der sie dorthin von England aus geleitet hat, war, überhaupt die Gemeine des Gekreuzigten auszubreiten, den Unzufriednen, den Ausgewanderten der Europäischen Kirchen liebend nachzugehen, von Sectirerei sie zu heilen, und wo sich die Thür aufthun würde, Heiden durch das Evangelium selig zu machen. Dies Unternehmen mußte schon deshalb gelingen, weil es durch herrschender Grundsatz war, nichts zu suchen als Seelen, sich durch Arbeit das Brodt zu verdienen, die Schmach für Segen zu achten, und ganz darauf sich zu fassen, daß es schon wie überschwenglich reicher Lohn gelten müsse, wenn hie und da kleine Anfänge mit einzelnen Bekehrten erlangt werden könnten. Heute noch blühet die reinliche, fleißige Brüderstadt, Bethlehem in Pennsilvanien, wer kann sie nennen, ohne Spangenbergs zu gedenken, der die dorthin gelangte Pilgergemeine geleitet und als ihr Hausvater, Bauherr, Prediger, Seelsorger sie gegründet und Jahrzehnde hindurch anwesend oder abwesend gehütet hat bis sie zum festen weithin leuchtenden Gemeinde-Orte mit so zahlreichen Fortpflanzungsgemeinen wurde. Und durchwandern wir die ganze Gnaden-, Segens- und Märtyrer-Geschichte der Brüdermission für die Indianer Nord-Amerikas in allen ihren namhaftesten Stationen bis in die letzten Tage ihres Patriarchen David Zeisberger und bis nach Fairfield hinauf, oder die einzelnen lieblichen Pflanzstätten christianisierten Heidenthums zu Schekomeko, in der Wachau, in Gnaden- und Friedenshütten u. a. alles weiset uns auf den amerikanischen Original-Mann, auf Spangenberg zurück. So wie er am meisten aufs Ganze gewirkt hat, womit er auch betraut war, so gern und hingebungsvoll aufs einzelne Persönliche. Er erscheint da wie ein Feldhauptmann, der überall wo es möglich ist auch den Dienst des Gemeinen thut; er besitzt Talent und Muth für das Eine, und doch neigt sich das Herz mehr dem Andern zu. Im J. 1753 äußert er sich brieflich also: „Wenn ich mich anders recht kenne, so sind zwei Dinge vorzüglich bei mir. Das eine ist: ich bliebe lieber still und brachte die mir übrige Zeit des Lebens im seligen Umgange mit meinem Schmerzensmanne zu, ohne von Geschäften, die den Kopf occupieren, behindert zu werden – das habe ich in Jena etliche Jahre genossen; das andere: ich ginge gern zu den Heiden, die von ihrem Gott und Schöpfer, der für sie sein Blut vergossen, nichts wissen. Da lebt mir mein Herz, und ich könnte mich freuen, über dem Geschäfte zu verhungern, zu verschmachten oder zu Tode gemartert zu werden.“ Besonders sehnte er sich – vorzüglich wohl seit er die westindische Mission als Aufseher besucht – nach einer Sendung zu den Negern. Durfte er nun auch die eigentlichen Wege der persönlichen Heidenmission nicht so wie seine Brüder Rauch, Büttner, Mack u. a. begeben, so hat ihn doch an Willigkeit und Treue die Beschwerden und Gefahren der bahnbrechenden Reisen durch wirthlose Gegenden auf hunderte von deutschen Meilen zu ertragen, an väterlicher Pflege der christlichen Indianer, an Theilnahme an ihren Leiden von den Weißen und an jeder Art von Schmach, welche auf dem Werke ruhte, niemand übertroffen; konnte er nicht den heidnischen Sprachen so obliegen, daß er wie Mack oder Zeisberger hätte darin predigen und dichten mögen, denn er bediente sich der englischen Sprache, so scheint ihm doch in dem, daß er in Gedanken und Gefühlen den Heiden um des Herrn willen Heide zu werden begabt und getrieben war, nicht so leicht ein Andrer es gleich gethan zu haben. In Wahrheit war es ihm sammt der von ihm geleiteten Gemeine gegeben, nachdem sie durch viel Trübsal, durch böse und gute Gerüchte gegangen, alle ihre Feinde zu ermüden und zu überwinden.“
Spangenberg wurde 1762 nach Europa zurückgerufen. Kaum zu Herrnhut angekommen besuchte er die Grabstätte Zinzendorfs. Obgleich er auch von da an mit seinem Leben in den Dienst der Unität ganz aufging, und dem was unter Gebet vor dem Herrn zu Schluß und Spruch gekommen war, sich jederzeit mit Freuden unterwarf, so ist doch gewiß, daß soweit der Graf einen Nachfolger haben konnte und sollte Spangenberg es war. Die Brüder nahmen ihn, so oft er als Mahner und Rather in seiner vollen Freimüthigkeit auftrat, dankbar auf, und auf dem von ihm am wenigsten überschaften Gebiete der Gelehrsamkeit, war er ihnen als Geschichts- und Lebensbeschreiber, als Glaubenslehrer und Vertheidiger ohnehin nicht ersetzlich. Die Declaration über die Beschuldigungen gegen die Brüder, die Lebensbeschreibung des Grafen (v. 1764 an, 8 Theile) und das Vorbild der Glaubenslehre (Idea fidei fratrum) sind die bleibendsten Denkmale seines großen Fleißes und seiner verständigen treuen Hingebung für alles, was dem Brudervolke nah zu gehen schien. Unbestochne Wahrheitsliebe spricht aus allen diesen Schriften. Früher hatte Spangenberg, wenn die Gemeine Widerspruch und Unglimpf erfuhr, den Grundsatz gelten lassen, nicht alles beantworten, sondern nur „stille fortmachen.“ Als er aber in Folge eigner Beunruhigung über so manches, das vorgefallen war, ans Prüfen ging, und fand wie die Sachen wirklich standen, gab er sich mit großem Erfolge daran, im Großen und vollständig der Welt Erklärung zu geben. Seine Schriften von dieser Art haben bei den Brüdern selbst sowie außerhalb wesentlich dazu beigetragen den Frieden und das gute Gewissen zu stärken. Man kann von seiner Abbildung der Bruderlehre kaum sagen, daß sie ein gelehrtes Werk sei, die Gelehrsamkeit, die er besitzt, bleibt ganz im Hintergrund, an der damals unter den Gläubigen Allen herrschenden Enthaltung von Schulausdrücken und zugespitzten Bestimmungen nimmt er auch Theil, ein Lehrgebäude ist, was er gibt, fast nur im katechetischen Sinne, nur daß er sich durchaus nicht erlaubt, was die Theologen der Zeit fast alle, den Bestand der Lehre und Geschichte der h. Schrift zu sichten. Hat er irgend einen Anlaß durch Reden und Briefe in die weitere Kirche herein als Zeuge zu wirken, so fühlt man ihm den Zorn und Unwillen über die zunehmende Zweifelei und Vernünftelei an; denn in ihm wird der Beruf der Brüdergemeine, die Leuchte der Gnaden- und Versöhnungswahrheit mitten unter den Dämmerungen, ja Finsternissen der Aufklärungszeit durchscheinen zu lassen und für das reine sanfte Feuer der Heilandsliebe einen Heerd auf bessere Zeiten zu bewahren, ein ganz persönlicher. Wie oft hat er mit freimüthiger Herzensberedtsamkeit auch Professoren und Pastoren über ihre Halbheit und Untreue gestraft, und in dieser Hinsicht verständigt sich sein katholischer Bruder ganz mit ihm, der gehofft hatte, als Spangenberg Neuwied besichtigen sollte, noch einmal ihn zu sehen und zu umarmen, aber darüber starb. Nur in immer engern Kreisen konnte er als Mahner und Lehr-Vater auftreten. Mit rührender Zärtlichkeit und Vorliebe wendet er sich je später je mehr an die Kinderschaar der Gemeine. Spangenberg wußte und fühlte wie Zinzendorf lebhaft und tief, welche eigenthümliche und schwere Aufgabe der Bruder-Kirche in Ansehung der Erziehung zugefallen war. Besonders Eine schöne Kinderpredigt ist im Gedächtniß geblieben, wo er über den Segensspruch, dein Alter sei wie deine Jugend redet und ihn besonders dahin wendet, daß sie Kinder bleiben und dadurch es immerhin werden sollen. Das mit er recht als Patriarch endigen möchte, trieb ihn als schon längst Leiden der Entkräftung ihn ins Krankenzimmer einschränkten, von wo aus der Vielbesuchte nicht aufhörte die Conferenz zu berathen, ein Verlangen noch einmal zu seinen Brüdern, auch den geringsten zu sprechen. Man fuhr ihn auf seinem Alters-Stuhle auf ein Erntefeld unter die Schnitter und die Garben; er sprach zu ihnen von der Feldarbeit, die er in Amerika selbst gerne mit gethan, ermunterte sie zum Lobe, stimmte an Nun danket Alle Gott, und ertheilte ihnen den Segen. Bald darauf schlief er in die Ewigkeit hinüber; er starb d. 18. September 1792 im 88. Jahre. Spangenberg ruht auf dem Hutberge. Man sang dem auserwählten Knechte ein sehr feierliches Schlaflied.“
C. J. Nitsch in Berlin.