Vetius Epagathus, Blandina, Sanctus, Biblia, Pontius, Atthalus, Maturus und andere

Brief aus Vienne und Lyon (Südfrankreich) nach Phrygien (um 177)

Die Knechte Christi, die in Vienna und Lugdunum in Gallien (in Vienne und Lyon) als Ausländer wohnen, an die Brüder in Kleinasien und Phrygien: Der Feind schlug mit Macht auf uns ein. Er zeigte im Vorspiel seiner Schmach, wie seine Zukunft hereinbrechen wird.

Einer unserer Brüder hieß Vetius Epagathus. Eine Fülle der Liebe zu Gott und zum Nächsten wohnte in ihm. Er zögerte nie, dem Nächsten einen Dienst zu tun. Reichen Eifer für Gott trug er in sich. Er brannte im Feuer des Geistes. Auch er wurde als ein Vertreter und Anwalt der Christen in den erlesenen Kreis der Märtyrer aufgenommen, er, der den vertretenden Anwalt, den Geist des Zacharias in sich trug. Er war und ist ein Jünger Christi im vollen Sinne des Wortes. Er folgte dem Lamme, wohin es zog. Der Statthalter hatte in Gegenwart des Volkes den Befehl gegeben, daß wir mit allen Hausgenossen inquiriert werden sollten. Auf Betreiben des Satans, aus Furcht vor den Qualen, die sie die Heiligen erleben sahen, auf das Drängen der Soldaten, die gerade daraufhin ihnen zuredeten, brachten heidnische Sklaven, die bei den Unseren in Dienst standen, gegen uns Lügen auf. Es waren die bekannten Beschuldigungen der Menschenfresserei und der Verbindungen unnatürlicher Unzucht sowie ähnliche gräßliche Dinge, die man weder aussprechen noch ausdenken soll, von denen man kaum glauben darf, daß sie jemals unter Menschen vorgekommen wären. Als das unter den Heiden bekannt wurde, gerieten alle gegen uns in eine wahrhaft tierische Wut. An der Sklavin Blandina offenbarte Christus, daß das, was vor Menschen ärmlich, unscheinbar und unansehnlich gilt, bei Gott großer Herrlichkeit wert geachtet wird, auf die Tatsache hin, daß sich die Liebe zu ihm in Kraft erweist und sich nicht etwa um des Ansehens willen hervortut. Ihre Aufrichtung, ihr Aufatmen, ihre Erquickung, ihr schmerzstillendes Mittel gegen alles, was sie litt, waren die Worte: „Ich bin Christin, und bei uns geschieht nichts Schlechtes.“ Auch Sanctus, ein dienender Bruder, duldete über alles Maß und über Menschenkraft hinaus standhaft alle Qualen, die Menschen antun können. Die Gesetzlosen hofften, durch die Fortdauer und die Furchtbarkeit der Marter von ihm etwas für die Christen Nachteiliges erpressen zu können. Er aber widerstand mit unerschütterlicher Festigkeit. Nicht einmal seinen Namen gab er an, nicht sein Geschlecht, nicht seinen Heimatort, nicht, ob er Sklave oder Freier wäre. Auf alle Fragen hatte er nur die eine Antwort in lateinischer Sprache: „Ich bin Christ.“ Das war sein Ruhm, statt der Angabe des Namens, der Heimat und der Familie, ja für alles und jedes. Keinen anderen Laut bekommen von ihm die Heiden zu hören. Darüber wurden der Statthalter und seine Henker sehr erbittert. Als sie nichts anderes mehr wußten, legten sie zuerst auf die empfindlichsten Körperteile glühende Metallblättchen. Diese erloschen, er aber blieb bei seinem Bekenntnis. Biblia war eine von denen, die verleugnet hatten. Allein sie kam gerade unter den Folterqualen zur Besinnung; sie erwachte, wenn man so sagen darf, wie aus einem tiefen Schlaf; unter den Martern der Zeit gedachte sie der Strafen der Ewigkeit und widerlegte die Verleumder. Auch der glückselige Potinus, der Vorsteher der Gemeinde in Lugdunum, der das hohe Alter von mehr als neunzig Jahren erreicht hatte, wurde vor den Richterstuhl geschleppt. Er war körperlich so schwach, daß er vor Schwäche kaum noch atmete. Aber er war stark an innerer Freudigkeit, voll Sehnsucht nach der Märtyrerkrone. Sein Körper war todmüde vor Alter und Kränklichkeit. Aber seine Seele war ihm so stark erhalten, daß Christus in ihm triumphieren sollte. Soldaten führten ihn vor den Richter. Städtische Behörden begleiteten sie. Eine große Menge schrie wild durcheinander. Es ging her wie bei der Verurteilung Christi. Er legte ein schönes Bekenntnis ab. Der Statthalter fragte ihn: „Wer ist der Gott der Christen?“ Er antwortete: „Wenn du dessen würdig sein würdest, würdest du es erkennen.“ Darauf wurde er auf das Schonungsloseste mißhandelt. Die ihm nahe waren, bearbeiteten ihn von allen Seiten mit Händen und Füßen ohne jede Rücksicht auf das Alter. Die weiter entfernt waren, warfen nach ihm, was jeder unter seine Hände bekam. Potinus atmete kaum noch und wurde so ins Gefängnis geworfen, und gab nach zwei Tagen seinen Geist auf. Maturus, Sanctus, Blandina und Atthalus wurden vor aller Augen zu den wilden Tieren geführt, zum gemeinsamen unmenschlichen Schauspiel für die versammelte heidnische Menge. Sie liefen unter Geißelhieben Spießruten. Sie waren das schon gewohnt. Sie ließen sich von den Bestien hin- und herreißen. Sie ertrugen alles, was die rasende, schreiende Menge hier und dort haben wollte. Sie saßen auf dem eisernen Stuhl, auf dem ihr Körper geröstet wurde, daß der Rauch aufstieg. Und dennoch bekam man von Sanctus nichts zu hören als das Bekenntnis, das er schon anfänglich stets aufs neue abgelegt hatte. Als trotz aller schwerer Martern in ihnen immer noch Leben war, wurden sie zuletzt getötet. Blandina wurde an einem Holz aufgehängt. So wurde sie als Fraß den wilden Tieren vorgeworfen. Und als sie nun, in der Stellung des Kreuzes aufgehängt, so weithin zu sehen war, flößte sie durch ihr anhaltendes Gebet den Kämpfenden verstärkte Bereitschaft ein; sahen sie doch in dem Kampf und mit ihren eigenen Augen durch die Schwester hindurch den, der für sie gekreuzigt war, da er denen, die an ihn glaubten, bezeugen wollte, daß jeder, der um der Herrlichkeit Christi willen leidet, immer Gemeinschaft hat mit dem lebendigen Gott. Als keins von den Tieren Blandina anrührte, wurde sie vom Holz herabgenommen und von neuem ins Gefängnis geworfen und für einen neuen Kampf bereitgehalten. Die meisten von denen, die verleugnet hatten, wurden in den Schoß der Gemeinde wieder aufgenommen. Das Feuer ihres Lebens wurde aufs neue wieder helle angefacht. Sie lernten bekennen, und lebendig und stark traten sie wieder vor den Richterstuhl, um nochmals von dem Statthalter geplagt zu werden. Indessen war die Entscheidung des Kaisers eingetroffen, daß die, welche verleugneten, freizugeben seien, die anderen aber hingerichtet werden sollten. Es hatte gerade der Markt begonnen. Viele Menschen waren aus weiter Ferne zusammengeströmt. Der Statthalter ließ vor den Augen des Volkes die Glückseligen alle in feierlichem Aufzug vor dem Richterstuhl erscheinen. Er nahm die Untersuchung wieder auf. Allen, die offenbar das römische Bürgerrecht besaßen, wurden die Köpfe abgeschlagen. Die übrigen schickte man zu den wilden Tieren. An denen, die vorher verleugnet hatten, verherrlichte sich jetzt Christus in großartiger Weise. Die Heiden konnten es nicht begreifen. Sie bekannten. Attalus saß auf dem eisernen Stuhl. Sein Leib verbrannte. Der Rauch stieg empor. Auf die Frage: „Welche Namen hat Gott?“ gab er zur Antwort: „Gott führt keinen Namen wie ein Mensch.“ Die verklärte Blandina hatte bereits Geißelhiebe, wilde Tiere. glühenden Rost kennengelernt. Zuletzt legte man sie in ein Fischernetz und warf sie einem Stier vor. Sie wurde lange von dem Tier umhergeschleudert und so getötet. Sie war bereits empfindungslos für das, was mit ihr geschah, nur noch lebend in der Hoffnung und Erwartung dessen, was ihr zugesichert war, in der Gemeinschaft mit Christus. Selbst die Heiden gestanden, nie hatte eine ihrer Frauen so viele und so schwere Qualen erlebt; aber auch damit war ihre Wut und Grausamkeit gegen die Heiligen noch nicht gesättigt. Die Leiber der im Gefängnis Umgekommenen warfen sie den Hunden vor und hielten Tag und Nacht sorgfältig Wache, daß keiner von uns begraben würde. Die von den wilden Tieren zerfleischten und im Feuer verkohlten Überreste stellten sie aus, wie sie waren. Die Köpfe und Rümpfe der anderen ließen sie ebenfalls unbeerdigt, viele Tage sorgfältig durch Soldaten bewachen. Die einen waren voll zähneknirschender Wut und suchten nach immer weitergehender Rache an ihnen. Andere verlachten und verhöhnten sie und priesen ihre Götzen. Sie schrieben diesen die Bestrafung der Märtyrer zu. Die Mildesten, von denen man glauben konnte, daß sie bis zu einem gewissen Grade Mitleid kannten, stießen Lästerungen aus: „Wo ist euer Gott? Was hat ihnen ihr Glaube geholfen, den sie mehr geliebt haben als ihr Leben?“ Sechs Tage lang waren die Leichname der Märtyrer, auf jede Art verhöhnt, der freien Luft ausgesetzt. Dann wurden sie von den Gesetzlosen verbrannt, zu Asche gemacht und in die nahe vorbeifließende Rhone geschüttet. Kein Rest von ihnen sollte mehr auf der Erde zu finden sein. Dies taten sie, als ob sie Gott überwinden und ihnen ihre Wiederherstellung rauben könnten. Sie sagten, daß sie keine Hoffnung der Auferstehung haben dürften. Denn im Vertrauen auf sie hätten sie eine fremde und neue Religion eingeführt. „Nun laßt uns sehen, ob sie auferstehen werden, ob ihnen ihr Gott helfen kann, ob er sie unseren Händen entreißen kann.“