Adelheid

Das Leben mancher Menschen ist vor Andern reich an wunderbaren Fügungen und vielfachem Wechsel der Geschicke, und so bunt gewirkt aus Freud‘ und Leid, aus heller Lust und hoffnungslosem Schmerz, aus tödtlicher Gefahr und unvermutheter Rettung, daß man wohl meinen könnte, es sei ein Mährchen zur Kurzweil ersonnen und leicht vorübergehenden Täuschung. Und doch ist Alles wahr und wirklich so geschehen, wie es erzählt wird. Wessen Sinn aber mit Ernst verweilet bei den räthselhaften Schicksalen der Menschen, wie der Eine gestürzt wird, eben als er fest zu stehen wähnte im Besitze der Macht, und wie ein Anderer, der glaubte verderben zu müssen, errettet wurde aus der Hand des Todes, der wird erkennen, daß Gottes Rathschluß unerforschlich und seine Plane wunderbar seien. Wie oft führt er den Menschen zu seinem Heile eine dunkle Straße, wo das irdische Auge keinen Ausweg und keine Rettung sieht, bis der zagende Wanderer unerwartet hinaustritt in das freie sonnenhelle Land, und er beschämt gestehen muß, Gottes Wege seien nicht der Menschen Wege. Das aber wird auch recht offenbar an dem Leben der Kaiserin Adelheid, die nach schweren Drangsalen die Gemahlin ward des deutschen Kaisers Otto des Ersten. Ihre Geschichte ist reich an Gefahren und Prüfungen und nicht minder an Beweisen frommen und standhaften Sinnes. Darum verdient sie wohl, wieder erzählt zu werden.

Adelheid war die Tochter des Königs Rudolph von Burgund, und wurde, da sie noch in zarter Jugend stand, verheirathet in Italien an den jungen König Lothar. Und sie war in allen Landen berühmt wegen ihrer hohen Schönheit und nicht weniger wegen ihrer Tugend, und Jedermann pries sie wegen der vielen Gaben, mit denen Gott sie ausgestattet hatte und meinte, sie sei berufen zu großen Dingen ans Erden und müsse dereinst eine mächtige Fürstin werden. Aber Niemand ahnte, daß ihr vorher noch viele und schwere Prüfungen bevorständen. König Lothar war mild und gütig von Natur, aber seine Kraft war nur gering und er vermochte nicht den trotzigen Sinn der Großen seines Reiches zu bändigen. Und nach einer kurzen Regierung und wenigen Jahren der Ehe starb er und hinterließ Adelheid als eine kinderlose Wittwe. Es gab aber Manche, die glaubten, er sei vergiftet worden, und klagten dessen den Markgrafen Berengar an, einen stolzen und habsüchtigen Mann, voll tiefer Pläne, der schon lange in der Stille darnach getrachtet hatte, wie er selber sich zum Könige machen könne. Böser noch als dieser war seine Gemahlin Willa, die war ein rachgieriges, hinterlistiges und grausames Weib. Als nun Lothar gestorben war, wähnten Beide, sie hätten ihr falsches Spiel gewonnen, und scheuten kein Unrecht und keine Gewalt, denn sie raubten den königlichen Schatz, und ergriffen Adelheid und warfen sie in einen dunkeln und tiefen Kerker, und ließen ihr von allem Gefolge nur eine einzige Dienerin. Willa selbst riß ihr voller Wuth die königlichen Kleider mit eigner Hand vom Leibe, und raufte ihre langen schönen Haare, und schlug sie mit Fäusten, daß sie wund und blutig wurde. Denn am Liebsten wäre es Beiden gewesen, wenn die Königin unter den Händen ihrer Peiniger um das Leben gekommen wäre, alsdann wären sie mit einem Male aller Furcht vor Strafe ledig gewesen. Denn Berengar hatte sich auch vor dem letzten Schritte nicht gescheut, und hatte sich öffentlich die Krone aufsetzen lassen, die er mit räuberischer Hand an sich gebracht hatte, und er schrieb sich König von Italien. Da rief Adelheid aus der Tiefe ihres Kerkers Gott an, er möge ihr einen Helfer erwecken in der Noth, und sie nicht ihrem Verderben überantworten. Und Gott rührte das Herz eines frommen Bischofs Namens Adelhard, der hörte von den Leiden der Königin und sann nach, wie er sie befreien könnte. Er schickte einen seiner Geistlichen zu ihr ab, der hieß Martin, daß er ihr Trost und Hülfe bringe. Dieser fand Eingang in ihren Kerker, und da er sah, wie Alles wohl verwahrt und scharf bewacht wurde, beschloß er Adelheid mit List aus dem Gefängniß zu führen. Er grub in der Mitte ein Loch in die Erde, dann durchbrach er die Mauer und als er nach langer gefahrvoller Arbeit eine Oeffnung gemacht hatte, die hinausführte in das Freie, geleitete er durch diese die Königin und ihre Dienerin. Und es war Nacht, da sie nach langen Qualen zuerst wieder unter Gottes Sternenhimmel trat, und des Dankes voll aufathmete aus der Tiefe ihres Herzens. Doch noch lange nicht waren sie am Ziele und vor allen Gefahren gesichert.

Als nun die drei Flüchtlinge unbemerkt aus der Rahe des Schlosses entkommen waren, eilten sie in das Land hinein, und gelangten zu einem See, dessen Ufer waren dicht bewachsen mit Schilf und dunkelm Weidengebüsche. Hier fanden sie eine Zufluchtsstätte, da der Tag graute, und verbargen sich im Moore, wo die Sumpfvögel hausen zwischen Rohr und Schilf und deckten sich, so gut sie es vermochten. An dieser unwirthbaren Stelle blieben sie, bis wieder die Nacht anbrach. Sie zitterten vor Frost und Hunger, und schreckten voll Angst empor bei jedem Geräusche des Windes, und fürchteten, es seien die Verfolger da, sie zurückzuführen in das Gefängniß. Martin aber war zu seinem Bischofe vorausgeeilt, um dessen bewaffnete Mannen zum Schutze der Königin herbei zu holen. Da fand sie in der Nacht ein Fischer, der auf den See hinausgefahren war auf den Fischfang, der erbarmte sich ihrer Noth. Er zündete ihnen ein Feuer an, daß sie sich wärmen konnten, und theilte ihnen mit, was er an Speise und Trank bei sich führte. Dann flohen sie weiter, und am Tage, wenn die Sonne hoch am Himmel stand, suchten sie eine Zuflucht in den dichten Kornfeldern, wo die Aehren am Höchsten standen, und über ihren Häuptern zusammenschlugen. Unterdessen aber war ihre Flucht Berengar bekannt geworden, und er ließ die Hörner blasen, und Reiter und Fußknechte durchstreiften das Land, denn er wollte die Königin um Alles wieder in seine Gewalt bringen. Da kamen die Verfolger auch in das Kornfeld, und sie beugten mit ihren langen Speeren die dichten Halmen rückwärts und vorwärts, um zu sehen, ob Adelheid hier verborgen sei. Und obgleich sie ihr ganz nahe kamen, so sahen die Verfolger sie dennoch nicht, denn Gott deckte die Königin mit dem Schilde seiner Gnade, und verblendete ihre Feinde. Alsbald kehrte auch Martin zurück mit den Mannen seines Bischofes, und geleitete Adelheid sicher nach dem festen Schlosse von Canossa, und so wurde sie gerettet.

Unterdessen aber hatte der mächtige und tapfere König der Deutschen Otto von allen diesen Freveln und wunderbaren Begebenheiten gehört, und er beschloß, das Recht der verfolgten Königin zu schirmen und den Uebelthaten des Berengar ein Ende zu machen. Er zog mit seinem reisigen Heere über die Alpen und nahm die festen Burgen ein; auch die Hauptstadt Pavia fiel in seine Hand. Berengar aber wagte nicht zu widerstehen. Denn die Großen verließen ihn, und das Volk haßte ihn wegen seiner Habgier und Grausamkeit. Alsdann ließ Otto die Königin nach Pavia führen, und warb um ihre Liebe; sie aber verband sich gern mit ihrem Erretter und Befreier. Darauf hielten sie feierlich Hochzeit zu Pavia, und Adelheid übergab ihrem Gemahl ihr Anrecht auf die Italische Krone.

Adelheid aber lebte von nun an zwei und zwanzig Jahre lang mit dem Könige Otto in einer glücklichen und gesegneten Ehe, und es trübte sich ihr Friede nicht, wenn ihnen auch manche schwere Prüfung in ihrem eigenen Hause beschieden war. Adelheid gebar ihm Söhne und Töchter und trug neben Otto die Kaiserkrone und stand ihm in Allem, was er im Unglück gelitten und im Glücke ausgeführt hatte, getreulich zur Seite. Zu allen Zeiten war sie mild und liebevoll, und lenkte Otto’s strengen Sinn oft zum Guten.

Als nun der Kaiser im J. 973 gestorben war, war Adelheids Herz voll tiefer Betrübniß, denn sie hatte in ihm ihren Erretter, ihren Gemahl und zweiten Vater verloren, und sie ging darauf in das stille Nonnenkloster zu Quedlinburg. Sie wußte, was immer auch kommen möchte, sie werde nimmer so glücklich sein, wie sie gewesen war. Von der Zeit lebte sie dem Gebete, den Werken der Milde und Barmherzigkeit, und trachtete allein nach dem, was keinen Anfang hat und kein Ende, nach der Gnade Gottes, die da bleibet in Ewigkeit, und allein wollte sie ruhen in der Liebe dessen, der da gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Darum legte sie allen äußerlichen Prunk und Glanz ab zugleich mit dem kaiserlichen Gewande, ging schlicht und einfach einher im Wittwenschleier, und spendete Almosen mit vollen Händen. Oft wankten ihre Knie und es schwanden ihre Kräfte, so lange war sie helfend und tröstend zwischen den dichten Schaaren der Armen und Bedürftigen auf und nieder geschritten. Obgleich sie nur Werke der Liebe in der Stille that, so blieb sie doch nicht verschont von dem giftigen Zahn des Neides und der Verläumdung. Denn ihre Feinde hinterbrachten ihrem Sohne, dem jungen Kaiser Otto, wie sie das Gut der Familie und des Reiches verschleudere und nur Schaden stifte mit ihrer Mildthätigkeit. Ihre Schwiegertochter Theophania aber war eine herrschsüchtige und weltliche Frau, die gönnte der Kaiserin nichts Gutes und entfremdete ihr auch den Sinn ihres Sohnes, daß er den falschen Reden glaubte und kalt und lieblos wurde gegen seine Mutter. Darüber wurde ihr Herz mit schwerem Gram erfüllt, Sie trennte sich von ihren Kindern und ging nach Italien, dann zu ihrem Bruder Konrad nach Burgund. Fromme Männer aber ermahnten Otto, daß er in sich gehe und erkenne, wie übel er an seiner Mutter gehandelt habe. Da rührte ihn sein Gewissen und er eilte zu ihr, siel ihr zu Füßen und weinte vor ihr heiße Thränen der Reue. Das Mutterherz aber verzieh ihm gern allen Kummer, den er ihm bereitet hatte. Doch Adelheid ahnte nicht, daß der Wiedergefundene so bald sollte ihren Armen entrissen werden, denn Otto’s Tage waren gezählt, und er starb nach manchem harten Kampfe und manchem verwegenen Kriegszuge mitten in der Fülle der Jugend und Kraft im Jahre 983. Das ober war eine neue schwere Prüfung, die Gott der frommen Kaiserin auferlegte. Denn in dieser Zeit standen auch alle Feinde des kaiserlichen Hauses auf, weil sie wußten, es sei Niemand da, der ihnen hatte wehren mögen. Zwar hinterließ Otto einen Sohn, der war aber erst drei Jahr alt, und er hieß ebenfalls Otto nach seinem Vater und Großvater. Unter den Gegnern des jungen Königs war der mächtigste sein Oheim, der Herzog von Baiern, der dachte dem Kinde die Krone zu rauben und sich an seiner Statt zum Könige zu machen. Auch die Mutter des Königs war nach Italien gezogen und die stolze Frau demüthigte sich nun vor der Kaiserin Adelheid, die sie oft gekränkt hatte. Da baten alle Freunde die alte Kaiserin, sie möge nach Deutschland zurückkehren und mit ihrem Ansehen sich ihres Enkels annehmen. Obwohl nun Adelheid gedacht hatte, in der Stille ihre Tage zu beschließen, so ging sie doch noch einmal in die Welt hinaus. Darauf sammelte sie die treu Gebliebenen, half überall mit Rath und That, und befreite ihren Enkel aus den Händen der Feinde. Sie zeigte in allen Dingen, wie sie nicht nur eine fromme und gute, sondern auch kluge und standhafte Frau sei, die wohl verdiene eine Kaiserin zu heißen und über Land und Leute zu herrschen. Dann wachte sie über die Erziehung ihres Enkels, bis er ein Jüngling geworden war und konnte, wie sein Vater und Großvater gethan, nach Rom ziehen mit dem deutschen Heere, und sich dort zum Kaiser krönen lassen.

Nach alle dem aber kehrte Adelheid in ihr stilles und beschauliches Leben wieder zurück, und lebte der geistlichen Betrachtung und dem frommen Andenken ihres Gemahles und Sohnes und aller Freunde, die vor ihr hingeschieden waren. Sie besuchte noch einmal alle heilige Stellen, die ihr lieb waren, und bedachte Kirchen und Klöster mit reichen Geschenken. Dann aber kam eine Krankheit über sie, und sie fühlte ihr nahes Ende. Und auf ihrem Sterbebette betete sie mit frommen Geistlichen und Frauen, und seufzte mit dem Apostel: „Ich wünsche nun abzuscheiden und bei Christus zu sein.“ Ihre Stunde schlug am 16. Dezember des Jahres 999 und sie starb fromm, wie sie gelebt hatte. Darauf wurde sie bestattet im Kloster zu Seltz.

Also war das Leben der Kaiserin Adelheid. Sie hatte allen seinen Wechsel erfahren und seine Herrlichkeit gesehen, und allen Schmerz und Kummer, den es bringt, gekostet bis auf den Grund. Verfolgung und Drangsal hatte sie ausgehalten, und zu sterben gemeint in ihren jungen Jahren. Gott aber hatte sie aufbewahrt zu hohen Dingen, denn mit drei Kaisern hatte sie gelebt und geherrscht, und war die Gemahlin des Einen, die Mutter des Andern, die Großmutter des Dritten gewesen. Und in allen Prüfungen und Anfechtungen wurde sie bewährt erfunden, und harrte aus bis an’s Ende; und wie sie einging zu einem seeligen Leben, so soll, wie bis auf die gegenwärtige Stunde, auch ferner ihres Namens gedacht werden.

.R. Köpke in Berlin.

Kaiserin Adelheid

(gest. 16. December 999.)

„Und die Könige sollen deine Pfleger, und ihre Fürstinnen deine Säugammen seyn.“ (Jes. 49, 23.)

Die Adelheid, von welcher hier erzählt wird, ist, wie ihr Name klingt, edel und von Adel an Geburt und Gestalt, an Herz und Geist, und an Bewährung des Lebens, eine Rose in deutschem Garten.

Sie war die Tochter des Königs Rudolph von Burgund. Da Adelheid zur Jungfrau aufgeblüht war, wurde ihre Schönheit und die glänzende Begabung ihres Geistes gepriesen. Aber das Preiswürdigste muß Schild und Wehr mitbringen, da eben ihm die härtesten Gefahren drohen. – Die holdselige Königstochter ward dem König Lothar von Italien zum Weib gegeben. – Dieser Fürst war gütigen Herzens, doch nicht ritterlicher Art, und vielfach angefochten vom Trotz der Gewaltigen seines Reichs. Vor Allen neidete ihm Markgraf Berengar seine Krone. So war’s nun diesem eine unverhehlte Freude, als nach wenigen Jahren sein König Lothar starb. Aber Adelheid stand ohne mütterlichen Trotz am Sarg des Gemahls; weinend ahnte sie schwere Tage. Denn so plötzlich und eigenthümlich hatte den König der Tod ereilt, daß man sich in‘s Ohr raunte, er sei am Gift Berengars gestorben, welcher des Thrones und des Scepters heftig begehre. Und ohne Zaudern setzte er sich gewaltsam in Besitz aller Ehren und Schätze des Königs.

Die Königinn Adelheid aber, daß sie nicht etwa entfliehe, mit Roß und Reisigen wiederkehre, und wider ihn Panier aufwerfe, ließ der Kronräuber ergreifen, und von ihren Pagen und Edelfrauen getrennt, nur mit einer Dienerinn in ein tiefes, düsteres Verließ bringen. Auf ihrem Gang zum Kerker letzte sich Witta, Berengars Weib, an dem bleichen, betrübten Angesicht der Gefangenen. Ja, es überkam die Tückische eine dämonische Wollust der Rache und Schadenfreude, daß sie wie wahnsinnig ihre Hände an die edle Adelheid legte, die königlichen Kleider ihr vom Leibe riß, ihr das lange blonde Haar raufte, und sie schlug, bis sie wund und blutig ward. Wie weh war da der geschändeten Königinn im einsamen Kerker!

Aber dennoch war Gott ihr Trost. Und der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Dieweil Berengar triumphierenden Stolzes sich als König von Italien ausrufen ließ, war’s der treue Bischof Adelhard, der, unterrichtet von Adelheids Geschick, auf Hülfe sann. Einem eben so frommen als rüstigen und klugen Mann aus seinen Geistlichen, Martin genannt, übertrug er, Trost und Rettung der Gefangenen zu bringen. Diesem gelang es, auf heimlichen Wegen bis in den Kerker der Königinn vorzudringen. mit unsäglicher Mühe brachte er von der Mitte des Gefängnisses aus einen unterirdischen Gang durch die Burgmauer in’s Freie zu Stande. Da sie nun endlich nächtlicher Weile heraustraten, geführt von dem treuen, beständigen Martin, gedachten die frohen Frauen des Wortes, das geschrieben steht: „Aber der Engel des Herrn that in der Nacht die Thür des Gefängnisses auf, und führete sie heraus;“ und erlabten sich der frischen, würzigen Luft, und die Königinn schaute zu den funkelnden Sternen auf, und pries die Barmherzigkeit Gottes.

Aber eilenden Fußes entfernten sich die Entronnenen aus der Nähe des Schlosses, daß nicht die Häscher Berengars sie ergriffen. Nach etlichen Stunden gelangten sie an einen See, der war dicht von Schilf und Weidengebüsch umstanden. Weil nun die Nacht verdämmerte, und die helle Morgenröthe anbrach, verbargen sie sich dahinter im Moor und Riethgras, bis zum sinkenden Abend. Sie zitterte vor Frost und Angst; denn so ist ein Sumpfvogel aufrauschte, meinen sie schon, die Hand des Verfolgers strecke sich nach ihnen aus. Auch stellte sich der Hunger ein. Da gewahrte sie ein Fischer, welcher des Nachts an seinem Netze arbeitete; ihn jammerte der Schmachtenden und Erschrockenen. Er hieß sie getrost herzu kommen, und an seinem brennenden Feuer sich wärmen, und erquickte sie auch mit Speise und Trank. Also gestärkt flohen sie weiter in die Nacht hinaus. Bei scheinendem Tageslicht bargen sie sich heut in Wäldern, morgen in hohen Kornfeldern. Berengar, als ihm die Flucht angesagt wurde, ward bleich vor Zorn und Schreck, ließ seine Reiter aufsitzen, und den Flüchtigen auf der entdeckten Spur nachjagen. Diese waren nun wie gehetzte Rehe ohne Ruhe und Athem vor ihren Verfolgern. Einstmals sauste die gewappnete Schaar neben dem Feld vorüber, da die Frauen wieder in hohem Korn ihr Versteck hatten. Weh! einige der Reiter halten an, und biegen, Verdacht schöpfend, mit ihren langen Speeren weithin die Halme zurück. Schon sehen die Geängsteten die blinkenden Lanzenspitzen wie Schlangen, durch die Aehren nach ihnen hin stechen; schon will der Schrei des Entsetzens verrätherisch laut werden: da werden die Speere zurück gezogen. Die Reiter, meinend, sie hätten sich getäuscht, werfen sich auf’s Roß, und jagen ihren Gesellen nach. Denn der Engel des Herrn war um die Flüchtlinge gelagert. Auch war nun das Ende ihrer traurigen Flucht vorhanden. Martin nämlich, der voraus geeilt, und seinem Bischof gemeldet, was geschehen, war von diesem mit einer großen Schaar Gewappneter der Königinn entgegen geschickt worden. Sie wurde bald gefunden, und in Mitten der bischöflichen Mannen sicher zur Burg Canossa geleitet. Sie sollte bald noch glücklichere Tage erleben. Der deutsche König Otto hatte die Kunde von der Frevelthat Berengars vernommen. Ritterlich und rasch, wie er war, eilte er mit mächtigem Heer und fliegendem Banner über die Alpen nach Italien hinab. Im Fluge nahm er die Burgen und Städte des Feindes, und zog triumphirend in Pavia ein. Mit glänzendem Geleit ließ er Adelheid herbei führen, und bot ihr ihren mit deutschem Schwert wieder gewonnenen Thron dar und zugleich seine Hand. Gern ward die junge königliche Wittwe ihres Erretters Gemahlinn, und schenkte ihm ihr Recht auf die italienische Königskrone.

Nachher theilte Adelheid mit Otto den hohen Glanz der deutschen Kaiserwürde. Ihre Milde hielt seine oft stürmische Kraft in Schranken, ihr kluger Rath ist ihm nicht selten ein Licht in Verlegenheit gewesen. Die fromme, glückliche, mit Kindern gesegnete Ehe dauerte 22 Jahre. und als Otto im Jahr 973 starb, verbarg sie ihren Wittwenschmerz in der Einsamkeit eines Klosters zu Quedlinburg. da ward sie eine Mutter der Armen und Elenden. Aber der Trost, den sie mit fürstlicher Freigebigkeit spendete, war ihr Ursache bittern Leides.

Ihr Sohn, Kaiser Otto II., war mit Theophania vermählt, einer stolzen Frau griechischen Herkommens, welche die deutsche Art nicht verstand. Sie neidete drum die rührende Liebe des Volkes zu ihrer alten Kaiserinn Adelheid, und suchte Ursache, ihr zu schaden. Das Herz ihres Gemahls wandte sie ränkesüchtig von de Mutter ab, durch die Beschuldigung, sie verschleudere die Güter, und hemme den Einfluß des Kaiser.

Gekränkt und tief betrübt, daß ihr die Liebe des Sohnes geraubt, und die Freude des Wohlthuns mißgönnt war, ging sie der unholdigen Schwiegertochter aus dem Weg. Sie nahm ihren Aufenthalt in Italien, und darnach bei ihrem Bruder Conrad im heimischen Burgund. Doch konnte Otto der verehrten Mutter nicht entbehren; die Kindesliebe brach durch alle Ränke hell hindurch. Er eilte zu ihr, und weinte heiße Thränen an dem treuen, selig bewegten Mutterherzen. Aber nur zu kurz war dies theure Glück. Der junge, ritterliche Kaiser wurde mitten aus weiten Plänen und großen Kämpfen durch den Tod 983 hinweggerafft.

Es kam eine verhängnisvolle Zeit. Des Kaisers Sohn, Otto III., war erst 3 Jahre alt beim Tode seines Vaters. Die Feinde gedachten sich diese rathlose Unmündigkeit zu Nutz zu machen; der gefährlichste war der Baiern-Herzog, des jungen Otto Oheim; er hatte Lust zur deutschen Königskrone.

Theophania, der Dinge nicht mächtig, war, ungeliebt vom Volk, nach Italien entwichen. Der Drang der Umstände beugte ihren Stolz, so daß sie bei ihrer Schwiegermutter Schutz suchte. Diese, wiewohl sie Sehnsucht nach klösterlicher Stille und verborgenen Liebesdiensten, gab nach, als sie auch von den Treuesten und Edelsten des Volkes dringend gebeten wurde, sich ihres Enkels und des hart bedrohten Reiches anzunehmen. Sie kehrte nach Deutschland zurück. Bald zeigte die glückliche Wendung der öffentlichen Angelegenheiten, wie viel ihr scharfer Blick und ihre muthige Entschlossenheit vermochte. unter dem Schirm der alten Kaiserinn gedieh das Reich und der Enkel, bis dieser, zum Jüngling herangewachsen, gleich seinem Vater und Großvater, an der Spitze eines stattlichen Heeres, nach Italien zog, um in Rom die deutsche Kaiserkrone auf sein Haupt zu setzen.

Da ging Adelheid, froh, daß sie es konnte, nach so hartem Tagewerk, in die Stille zurück. Das Reich, welches nicht von dieser Welt ist, war ihr Begehr. Dankbar ihrem Heiland für den Frieden dieser Hoffnung, wandte sie Kirchen und Klöstern reiche Schenkungen zu. In den letzten Tagen des Jahrhunderts ward ihr zu Theil, was sie geglaubt hatte. Am 16. Dezember 999 ging sie heim, und wurde im Kloster zu Selz bestattet. – Diese Adelheid war eine große Kaiserin, und, was noch größer ist, eine treue Magd des Herrn. –

Dr. Theodor Fliedner, Buch der Märtyrer, Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth, 1859