Mauritius und die thebäische Legion.

22. September.

In der Zahl der Märtyrer, welche die christlich-germanischen Völker von der älteren christlich-römischen Welt als Helden aufgenommen und ihnen in weitesten Preisen ihre Verehrung erwiesen haben, ragt neben Martinus von Tours besonders Mauritius mit seinen thebäischen Genossen hervor. Es war jenen Völkern nach ihrer Bekehrung zum Christenthum anfangs Bedürfniß an Stelle der alten Göttergestalten und Helden der Vorzeit neue zu erhalten, in denen sich die alte Tapferkeit und der alte Freiheitssinn christlich verklärte, aber zugleich auch die neue Treue und Hingebung gegen den mächtigen Christengott glänzend bewährte.

So tritt unter den christlichen Burgundern Mauritius mit seinen Helden hervor, der ehemals ein tapferer römischer Feldoberster war und dabei auch ein Gottesdienstmann, ein rechter Streiter Christi, der dem römischen Tyrannen mit dem größten sittlichen Heldenmuthe entgegentritt und doch die Treue dem Kaiser bewahrend mit aller Hingebung an seinen Herrn Christum den Märtyrertod standhaft erduldet.

Die älteste aus mündlichen Berichten stammende Fassung der Legende, die wir dem Bischof Eucherius von Lyon aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts verdanken, versetzt uns in die Zeit der Verfolgung der Christen unter Maximian, der mit seinem Mitregenten Diocletian im Anfang des vierten Jahrhunderts fast in allen Provinzen des römischen Reichs die furchtbarsten Gewaltmaßregeln ergriff, um wo möglich den christlichen Namen auszutilgen. Zu dem Zweck waren überall hin Abtheilungen von Soldaten vertheilt worden, welche die Christen zu Strafen oder zum Tode ergreifen sollten. In dieser Zeit befand sich in dem Heere eine Legion von Soldaten, welche man „Thebäer“ nannte; eine Legion zählte aber damals 6600 Mann unter den Waffen. Diese Thebäer waren als Hülfstruppen dem Maximian aus dem Orient zugesandt worden, Männer die durch ihre Tapferkeit im Dienste des Kaisers ausgezeichnet, aber nicht minder in ihrer Hingebung gegen Christum musterhaft waren. Auch unter den Waffen waren sie eingedenk der evangelischen Vorschrift: Gotte zu geben, was Gottes sei und dem Kaiser, was des Kaisers sei. Daher wagten sie allein unter allen andern Soldaten die Bestimmung, die Menge der Christen zur Strafe zu führen, als einen Dienst der Grausamkeit von sich zu weisen. Maximianus, der von der Reise ermüdet sich in der Nähe bei Octodurum, dem heutigen Martigny, an der oberen Rhone aufhielt, erfuhr durch Boten die Weigerung der Legion, die in den agaunischen Engpässen dem heutigen St. Maurice sich gelagert hatte. Von Wuth entbrannt, schickte der Kaiser den Befehl, daß die ganze Legion decimiert, also der 10. Mann niedergehauen werde, damit die Uebriggebliebenen durch Furcht erschreckt um so eher zur Ausführung seiner Befehle der Christenverfolgung gezwungen würden. Die Thebäer beschlossen indeß das Aeußerste zu dulden, ehe denn sie etwas gegen den christlichen Glauben thun sollten. Der Kaiser ließ zur Strafe dafür die Legion zum zweitenmal decimieren und an die überlebenden Soldaten zum drittenmale die frühere Aufforderung ergehen, gegen die Christen einzuschreiten. Sie beharrten nach gegenseitiger Verabredung in ihrem Widerstande und vor allen traten nun die Führer auf: Mauritius, der Oberste der Legion, Eruperius, der campi doctor d. h. der in der Kriegskunst Unterweisung ertheilte und Sandidus, ein Rathgeber der Soldaten. Sie ermahnten ihre Mitstreiter zu unverbrüchlicher Treue gegen Christum bis in den Tod und zur Nachfolge ihrer bereits triumphierenden Brüder. Auf’s neue ermuthigt schickten sie Abgesandte an Maximian, die ihm in allen Stücken, welche nicht dem Gehorsam gegen Gott widerstritten, ihren Gehorsam gelobten und feierlich erklärten, tapfer gegen Gottlose und Feinde streiten zu wollen, aber nicht gegen Fromme und Bürger. Den Tod ihrer Brüder beklagten sie nicht, sondern freuten sich vielmehr, daß sie für würdig gehalten seien für den Herrn ihren Gott zu leiden. Was der Kaiser auch ferner über sie beschließen werde, sie seien bereit Feuer und Schwert und alle Qualen zu erdulden. Sie seien Christen und könnten die Christen nicht verfolgen. – Als der Kaiser sah, daß ihre Standhaftigkeit unerschütterlich war, befahl er, daß alle niedergemetzelt werden sollten. Ohne allen Widerstand boten die Thebäer nach Niederlegung der Waffen dem Schwert ihrer Verfolger den Nacken dar, um so den zu bekennen, der auch seinen Mund nicht aufthat, da er wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt wurde.

Dieser ältesten Fassung der Legende liegt jedenfalls ein historischer Kern zu Grunde. Gerade unter der Regierung des Diocletian und Maximian hatten sich mehrere thebäische Legionen gebildet, unter denen sich eine befand, welcher in Friedenszeiten die Bewachung des kaiserlichen Palastes übertragen war. Daß sich in diesen Legionen Christen befanden und wahrscheinlich die Mehrzahl ausmachten, wird durch die Nachrichten des Kirchengeschichtschreibers Eusebius über die diocletianische Verfolgung in der Thebais bestätigt, in der nicht bloß eine fast unendliche Anzahl Christen den Märtyrertod starben, sondern auch dabei eine Glaubensfreudigkeit und Standhaftigkeit zeigten, wie sonst nirgendwo. Die Verfolgung begann zuerst bei dem Heere, indem diejenigen, welche bei ihrem Glauben beharrten, ihres Ranges entkleidet oder mit dem Verlust ihres Lebens bestraft wurden. Der Kaiser Maximian befand sich nachweislich um die Zeit, wo das Märtyrerthum der Thebäer stattgefunden haben soll (22. Sept.), und zwar beim Beginn der Verfolgung im Jahre 302 in der Nähe von Agaunum. Er hatte sich im August dieses Jahres zum Ersatz des nach Brittanien abgegangenen Constantius in Cöln aufgehalten, war aber bald darauf durch einen Aufstand in Afrika abberufen und über den Summus Penninus, also durch das Walliserland, nach Italien geeilt, wo er zu Brundusium am 1. November 302 ein Gesetz unterzeichnet hat. Die Möglichkeit also besteht, daß eine größtentheils aus Christen bestehende thebäische Legion in den agaunischen Pässen von Wallis durch den Kaiser Maximian wegen ihres Widerstandes gegen seine Verfolgungsbefehle beim Beginn der diocletianischen Verfolgung bestraft worden ist. Wir werden aber die Fassung der Legende nicht einmal in ihrem schon von Eucherius im 5. Jahrhundert erweiterten Umfang aufrecht erhalten, noch weniger die späteren Erweiterungen und Verzweigungen unter den Franken als historische Züge annehmen können, vielmehr an der einfachen Thatsache festhalten müssen, daß einzelne christliche Thebäer, die im römischen Heere dienten, wegen ihres bekannten christlichen Eifers beim Beginn der diocletianischen Verfolgung den Märtyrertod erlitten. Ein Ereigniß von solcher Bedeutung, wie die Abschlachtung einer ganzen Legion von 6600 römischen Soldaten, ist unter den damaligen Zeitverhältnissen, wo man ihrer so dringend bedurfte, undenkbar, mag man auch die Maßregel als die eines im leidenschaftlichen Zorn ganz verblendeten Tyrannen darzustellen versuchen. Die Vorstellung ferner von einer bis auf den letzten Mann christlichen Legion neben einer ihr gegenüberstehenden ganz heidnischen und Christo feindselig gesinnten Armee, von der gänzlichen Vertilgung der einen durch die andre erscheint zu sehr als ein späteres Phantasiegebilde, als daß man derselben Glauben beimessen dürfte. Dazu kommt, daß sämmtliche gleichzeitigen und die späteren christlichen Schriftsteller, welche von den Christenverfolgungen unter Diocletian und Maximian zum Theil ausführlich berichten, von diesem Vorgang nichts wissen.

Eucherius selbst berichtet, daß erst viele Jahre nach dem Ereigniß dem Bischof von Wallis, Theodorus, von dem er die Sache erfahren, durch eine Offenbarung die Körper der agaunensischen Märtyrer entdeckt worden seien, zu deren Verehrung dann eine Basilica erbaut worden sei. Wenn nun Theodorus nach der Zahl der entdeckten Körper seine Angaben an Eucherius bemaß, so konnte er durch eine frühere Begräbnißstätte leicht irregeführt werden, wie dies bei dem Acker der heil. Ursula und ihrer 11000 Begleiterinnen zu Cöln später Andren geschehen ist. – Eucherius weiß auch nur drei Namen zu nennen: Mauritius, Exuperius und Candidus; denn Victor ist ein nicht zur Legion gehöriger Veterane, der in ihre Geschicke verflochten wird. Von Ursus und Victor, welche zu Solothurn den Märtyrertod erlitten haben, sagt Eucherius selbst, daß die Legende sie zu Thebäern gemacht habe. In späterer Zeit tauchen allmählich immer mehr Namen der Thebäer auch anderwärts auf, so daß die Legende in Namen und Zahlen fortgearbeitet hat. Sie liegt aber auch bei Eucherius im 5. Jahrhundert, also hundert bis hundertfünfzig Jahre nach den Ereigniß gleich anfangs in einer so ausgeprägten Gestalt vor, daß man mit Grund schon seit längerer Zeit nach einer Erklärung ihrer Entstehung geforscht hat.

Die Verfasser der Magdeburger Centurien und später Andre haben auf die Aehnlichkeit unsrer Legende mit einer orientalischen aufmerksam gemacht, in der ebenfalls ein römischer Heerführer Mauritius mit 70 Soldaten figuriert, und die Rolle des Verfolgers derselbe Kaiser Maximian zu Apamea in Syrien spielt. Wenngleich die Ausführung des Märtyrerthums des Mauritius und seiner Genossen, wie sie Simeon Metaphrastes in seinen „Leben der Heiligen“ gegeben hat, im Einzelnen sehr verschieden von dem der Thebäer ist, so steigert sich doch dort wie hier mit dem immer entschlosseneren Widerstand der Soldaten gegen die Zumuthungen des Kaisers die Wuth desselben bis zu dem endlichen Hinrichtungsbefehl, der dann ohne Murren und Widerstand, ja unter loben und Danken gegen Gott, ausgeführt wird. Der Name des Mauritius, der an der Spitze der orientalischen Krieger- und Märtyrerschar steht, wird, von dem griechischen Kirchenhistoriker Theodoret (c. 427) neben andren eminenten Helden der diocletianischen Verfolgung genannt, ja so verherrlicht, daß er mit denen der Apostelfürsten Petrus und Paulus zusammengestellt wird. Mauritius muß also schon bald nach der diocletianischen Verfolgung in der orientalisch-griechischen Kirche als Märtyrer mit seinen Genossen verehrt und dann zu hohen Ansehn gelangt sein. Eucherius oder schon vor ihm seine Berichterstatter nahmen den Namen des Helden Mauritius vom Osten herüber, aber die Zehner, die ihm im Kampfe zur Seite gestanden, sprangen im Occident in Tausende, die Einer in Zehner über.

Schon zur Zeit als Eucherius die Legende aufzeichnete hatte sich über der Marterstätte und den Gebeinen der Heiligen ein förmlicher Cult der Thebäer entwickelt. Ihre intercessorische Thätigkeit, um die sich der Bischof Silvius (dem die Legende mitgetheilt wird) verwenden soll, hatte sich bereits in eine unmittelbar eingreifende verwandelt. So waren sie z. B. einem noch heidnischen Schmidt, der bei’m Bau der Basilica beschäftigt am Tage des Herrn selbst gearbeitet hatte, erschienen und dieser wurde in Folge der Erscheinung bekehrt. Sie wirkten mancherlei Wunder, wie Heilungen von Krankheiten, Austreibungen von Dämonen. Nicht bloß sie selbst, sondern auch ihr Blut und ihre Gebeine übten bald ähnliche Wunderwirkungen aus. Daher schon in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts Wallfahrten von allen Seiten her nach diesem geweihten Ort unternommen wurden, wie z. B. von Romanus, dem Abt eines Klosters im Jura, dessen Lebensbeschreibung, die bald nach seinem Tode (460) verfaßt ist, darüber berichtet. Viele wollten wie er die Basilica der Heiligen sehen und das blutgetränkte Blachfeld betreten. Einzelne dieser frommen Waller blieben an der Stätte zurück, wo sich christlicher Heldenmuth mit der Treue so schön bewährt hatten und höhere segnende Kräfte fortwirken sollten. So bildete sich das Kloster Agaunum, das uns recht ein Bild des im Abendlande ganz charakteristisch sich gestaltenden Klosterlebens gibt und das in engem Zusammenhange mit dem religiösen Leben in der Schweiz längere Zeit hindurch dessen Mittelpunkt blieb.

Wir erfahren aus der alten Biographie des Abtes Romanus, daß schon damals der Bericht über die Passion der Thebäer schriftlich abgefaßt war. Damit ist ohne Zweifel der des Eucherius gemeint und dessen Alter bestätigt. Die weitere Angabe im Leben des Romanus, daß die Basilica und das agaunensische Lager die Gebeine der ganzen Legion, 6600 Mann, nicht habe umfassen können, konnte als Anhaltepunkt der späteren Verzweigungen der Legende dienen, welche zahlreiche Reliquien der Thebäer an den verschiedensten Orten vorhanden weiß.

Eine neue Hebung erfuhr der Thebäer-Cult für Burgund im Anfang des 6. Jahrhunderts, als König Sigismund aus Reue über die von ihm vollführte Ermordung seines Sohnes Sigerich die Basilica und das Kloster herstellen ließ und reich dotierte. Die Gräber der Heiligen, des Mauritius, Eruperius, Candidus und Victor wurden gerichtet und ein immerwährender Psalmengesang angeordnet. Bei Gelegenheit der Einweihung der wohl prächtiger hergestellten Basilica (im J. 515) hielt Avitus, der Bischof von Vienna, eine Lobrede auf die Heiligen, von der nur noch der Anfang erhalten ist.

Unterdes hatte sich schon die Verehrung der heiligen Märtyrer unter den Franken allgemeiner verbreitet. Chlodwig der Frankenkönig wandte sich zehn Jahre nach seiner Bekehrung (im J. 506) an den verehrten Abt Severin nach Agaunum, um durch ihn von seinem leidenden Zustande befreit zu werden. Von der Verbreitung heilkräftiger Thebäerreliquien, namentlich ihres Blutes, lassen sich noch früher im 4. Jahrhundert bei den Franken Spuren entdecken. Man begnügte sich aber nicht bloß mit den Reliquien, sondern man erhob auch Anspruch auf den Ruhm der thebäischen Legion selbst: und schon Gregor von Tours, der Kirchengeschichtschreiber der Franken, berichtet gegen Ende des 6. Jahrhunderts von einer prächtigen Basilica zu Cöln, in welcher 50 Mann von der heil. thebäischen Legion gemartert sein sollten. Sie war von ausgezeichneter musivischer Arbeit und glänzte von Gold, sodaß das Volk sie „zu den goldenen Heiligen“ nannte. Auch hier erwiesen sich die Gebeine wunderthätig. Diese Kirche ist ohne Zweifel die des heil. Gereon, der mit einer Abtheilung Thebäer durch die Legende Köln überwiesen worden. Um dies möglich zu machen, wurde der Bericht über die Thebäer dahin erweitert, daß die Legion zur Dämpfung eines Aufstandes der Bagauden d. h. der Bauern in Gallien abgesandt worden sei und im Rhonethale sich zu dem Feldzuge durch Opfer habe vorbereiten sollen; als sie sich ihres christlichen Bekenntnisses halber wiederholt geweigert hatte, wurde sie niedergehauen.

Diese erweiterte Fassung wurde dann dahin abgeändert, daß die Vernichtung der Legion erst auf ihrem Rückmarsch aus Gallien stattgefunden habe. Es blieb aber nach der Dämpfung des Aufstandes in Gallien noch die Züchtigung des Usurpators Carausius in Brittanien übrig. Dazu wurden Abtheilungen der thebäischen Legion unter Anführung des Gereon, Victor, Cassius und Florentius abgesandt, während das übrige Heer sich nach Italien zurückzog. – Als im oberen Rhonethale die Niedermetzelung der Legion erfolgte, sandte Maximian Truppen mit demselben Blutbefehl auch gegen jene am Nieder-Rheine befindlichen Abtheilungen ab. So wurden zu Bonn (Verona) Cassius und Florentius mit sieben Genossen, zu Cöln Gereon mit 318 Gefährten, zu Xanten Victor mit 330 Soldaten niedergemetzelt. In Köln wurden die Leichname in einen Brunnen geworfen, und bald darauf erbaute Helena, die Mutter Constantins, über den Gebeinen der Märtyrer die Gereonskirche, die wegen ihrer Pracht und wunderthätigen Reliquien Gregor von Tours ohne nähere Namenangabe zuerst erwähnt.

Die weiteren Verzweigungen der Legende nach Trier und andren Orten, die Verlegung derselben nach Pavia in Italien, beweisen, daß, nachdem sie einmal aufgetaucht war, bei den christlich-germanischen Völkern ein förmlicher Wetteifer sich geltend machte, solche christliche Helden wie Mauritius und die thebäische Legion als Vorbilder sich nahe zu rücken und als Localheilige selbst ganz zu besitzen.

W. Krafft in Bonn.