Die Reihe derer, welche um ihres evangelischen Bekenntnisses willen Noth und Pein erduldet haben, verdient durch den oben genannten Mann erweitert zu werden. Sein Zeugenmuth gemahnt an die Märtyrer der alten Kirche, seine Lebensführung an die mächtige Hut Gottes, seine Glaubenstreue an jene Standhaftigkeit, welche die Kirche Christi stets auszeichnete, so oft sie unter das Kreuz gestellt ward.
Odontius war evangelischer Prediger im Schloß Waldstein bei Gratz in Steiermark. Die Darstellung seines Lebens kennzeichnet uns die allerbängste Zeit, welche der Rathschluß Gottes über die blühende evangelische Kirche der Steiermark hereinbrechen ließ. Dieselben Ursachen, welche in Deutschland eine durchgreifende Reformation herbeiführten, bewirkten auch hier, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit das Evangelium sich ausbreitete. Als Erzherzog Ferdinand 1522 die Regierung antrat, fand er bereits zahlreiche Anhänger Luthers in Steiermark vor – wie und durch wen sie es geworden, ist bis heute nicht ganz aufgeklärt.
Die Versuche Ferdinands zur Durchführung des Wormser Edicts blieben ohne Erfolg. Der Strom der Glaubenserneuerung schwoll immer mächtiger an, der Adel berief evangelische Prediger auf seine Schlösser, dem Volke wurde das reine Gotteswort ohne menschliche Zurichtung verkündigt, das Schulwesen kam zu herrlicher Blüthe, die einflußreichsten Aemter gelangten in die Hände der Protestanten und die größtentheils lutherischen Stände errangen dem evangelischen Bekenntniß von Jahr zu Jahr mehr Boden. Aber sie hatten auch einen heißen Kampf zu kämpfen, der immer schwerer wurde, seit Erzherzog Karl (1564) das Scepter trug. Es war nur der Drang der höchsten Noth, daß dieser Fürst auf dem berühmten Landtage zu Bruck a. d. Mur (1578) größere Glaubensfreiheit versprach. Er hatte bereits 1573 die Jesuiten nach Steiermark berufen, die gegen den Protestantismus Wall und Schanze sein sollten; bald offen, bald heimlich untergruben sie den Bestand der evangelischen Kirche. Was Erzherzog Karl vorbereitet hatte, das sollte unter Ferdinand, als Kaiser dem Zweiten dieses Namens, vollendet werden – in Loretto vor dem Madonnenbilde hatte er dies Gelübde gethan. 1596 trat er die Regierung an; den 12. December huldigten ihm die Stände Steiermarks. Von Religionsfreiheit war keine Rede. Nachdem alles gehörig vorbereitet war, erschienen Schlag auf Schlag die berühmten Mandate vom 13, 23. und 28. September 1598; durch sie wurden alle evangelischen Kirchen und Schulen in Gratz und in den königlichen Städten und Märkten geschlossen, Prediger und Lehrer sollten bei Todesstrafe binnen acht Tagen das Land räumen; als diese Vorstellungen machten, wurde ihnen aufgetragen, bei scheinender Sonne die Stadt Gratz und binnen acht Tagen das Land zu räumen. Von 1599 bis 1604 durchzog eine Religions-Commission das ganze Land, um sämmtliche Bewohner katholisch zu machen. An ihrer Spitze stand Martin Brenner, Bischof zu Seckau, Stobäus, Bischof von Lavant, Jakob Rasolenz, Probst zu Stainz, die Erzpriester Peyrer und Sunabendter von Gratz und die Jesuiten Hauer und Neukirch nebst anderen weltlichen Commissarien; ihnen war ein Fähnlein Kriegsknechte beigegeben. An den Straßen wurden Galgen errichtet, die Kirchen in den Dörfern wurden mit Pulver gesprengt oder mit Böcken eingestoßen, in den Städten und Märkten der katholischen Geistlichkeit übergeben, die Friedhöfe verwüstet, die evangelischen Bücher verbrannt, die Prediger vertrieben; die Einwohner mußten schwören, der katholischen Kirche und dem Landesfürsten treu zu bleiben; wer sich deß weigerte, wurde außer Landes gejagt. So verließen viele Tausende gewerbsfleißiger Menschen die schöne Steiermark. Auch an den protestantischen Adel kam die Reihe; derselbe wurde durch das kaiserliche Mandat vom 1. August 1628 gezwungen, binnen Jahresfrist seine Güter zu verkaufen und auszuwandern. Ganze Familien, den edelsten Geschlechtern des Landes angehörig, verließen die Heimath, viele sind im Exil ausgestorben, manche, wie die Galler, Gleispach, Herberstein, Räknitz, Saurau, Trautmannsdorff, Windischgrätz u. A. bestehen noch heute theils in Oesterreich, theils in Deutschland, gehören aber, bis auf die Räknitze, der katholischen Kirche an.
Mitten in diese Schreckenszeit fällt die Wirksamkeit unseres Odontius. Die einzige, bisher bekannte Quelle für eine Darstellung seines kurzen vielbewegten Lebens ist die von ihm selbst verfaßte Lebensbeschreibung, die zuerst in Dresden bei Hieron. Schütz 1603 gedruckt wurde. Sein eigentlicher Name war Paul Zahn, nach der Sitte seiner Zeit aber nannte er sich Odontius. Er war im Jahre 1570 zu Werda im Meißnischen geboren; von seinen Eltern, Jugendverhältnissen, Erziehung und Bildungsgange wissen wir nichts. Im März 1595 kam er nach Gratz und wurde als „Alumnus“ in die zu jener Zeit hochberühmte Stiftschule daselbst aufgenommen. „Einer Ersamen Landtschafft Pastor“ Dr. Will). Zimmermann übertrug ihm die Erziehung der jungen Freiherren Maximilian und Johann Andreas von Trautmannsdorff und des Johann Nicolaus Popel von Lobkowitz. Fast drei Jahre brachte er in dieser Stellung zu. Während dieser Zeit erhielt Odontius auf vielfältiges Bitten von dem geistlichen Ministerium in Gratz die Erlaubniß, in der Stiftskirche predigen zu dürfen. Hier hörte ihn einst die Freiin Hippolita von Windischgrätz, welcher das Schloß Waldstein in der Nähe von Gratz gehörte. Die Predigt machte einen so tiefen Eindruck auf sie, daß sie Odontius als ihren Schloßprediger nach Waldstein berief. Im März 1598 trat er sein Amt an, und im Sommer desselben Jahres begleitete er seine Herrin nach Schloß Trautmannsdorff in Oesterreich, wo letztere im October starb.
Das war eben jene Zeit, in welcher in Steiermark der Ingrimm gegen das Evangelium zu wüthen begann. Die Prediger waren zumeist auf der Flucht, viele Kirchen gesperrt und schwere Bangigkeit lag auf dem ganzen Lande. Odontius glaubte, er würde seine Kanzel in Waldstein nicht mehr betreten können; da kam aber von den Vormündern der jungen Herren von Windischgrätz der Auftrag, er sollte nur wieder kommen und seines Amtes walten wie früher, denn nur aus den landesfürstlichen Städten und Märkten seien die evangelischen Prediger vertrieben worden.
Odontius eilte zurück und war nur noch ernster und freudiger zu seinem Amte; er hielt an mit Predigen, Strafen, Vermahnen in aller Geduld, beides zur Zeit und Unzeit, widerlegte die Irrlehren des Papstthums mit dem klaren Wort der h. Schrift und schärfte seinen Zuhörern Treue gegen die erkannte Wahrheit ein. Er fühlte sich sicher und geborgen auf der festen Burg, bis plötzlich der Befehl kam, er müsse entlassen werden. Alle Weigerungen und Proteste waren umsonst, und am 20. April 1602 erschien ein Trupp Soldaten vor Waldstein, stürmte das Schloß und Odontius wurde gefangen nach Gratz geschleppt und in der Burg daselbst zehn Wochen lang in einem Verließ festgehalten. Damit begann seine Leidenszeit – sein Verbrechen war die Predigt des Evangeliums.
Am 23. April erhielt er den ersten Besuch; drei Jesuiten kamen und hielten ihm die Geschichte von dem gefangenen Apostel Paulus vor und verlangten Widerruf. Ihre Reden hatten den Erfolg, daß Odontius es fühlte, wie er jetzt erst recht treu und fest an der Lehre halten müsse, die er bisher gepredigt hatte. Er begehrte eine Bibel. Die Jesuiten richteten nichts mit ihm aus, obgleich sie durch tausenderlei Fragen, durch Vorbereitungen zur Tortur, durch Disputiren, ja sogar durch Faustschläge den armen Gefangenen an Leib und Seele arg quälten. Eines Tages, mährend draußen auf der Straße eben eine Prozession veranstaltet wurde, kamen abermals drei Patres zu ihm und begehrten, er solle die katholische Litanei mitbeten. Odontius verstand sich nicht dazu. Als sie ihm aber versprachen, sie wollten die Namen der Heiligen auslassen, da willigte er endlich ein. Nun fing ein Jesuit an, das Kyrie zu beten, die- beiden andern und Odontius antworteten knieend das Eleyson. Als aber der Vorbeter rief: „Heilige Maria!“ da schwieg Odontius und stand auf. Sie aber ermahnten und baten, es handle sich ja um die Mutter Gottes; er aber erwiderte: kein Prophet und kein Apostel hätte jemals einen Heiligen oder die Mutter Jesu angerufen; nun faßten sie ihn bei der Schulter, warfen ihn zu Boden, schlugen ihn mit den Fäusten – allein Odontius beharrte bei seinem Schweigen.
Als alle Bekehrungsversuche gescheitert waren, wurde Odontius dem Stadtgericht übergeben und weil er auch hier standhaft blieb und nicht abschwören wollte, zum Tode verurtheilt, jedoch durch erzherzogliches Decret vom 29. IM 1002 zur Galeere begnadigt. Aus den Gesprächen mit den Jesuiten hatte er gemerkt, daß er irgendwo in Italien als Ketzer verbrannt werde n sollte und die Galeere nur das Fahrzeug sein würde, das ihn zum Scheiterhaufen brächte. Mit rührenden Worten nahm er von der ihn umgebenden Volksmenge Abschied; seine früheren Kirchkinder drängten sich an ihn heran, reichten ihm unter Weinen und Klagen die Hände und empfingen seinen Segen. Die rohen Kriegsknechte ließen das geschehen. Und nun wurden ihm die Eisen angelegt, er auf einen Wagen gehoben und unter Begleitung von acht Soldaten ging’s aus Gratz fort. Als man unterhalb Ober-Laybach in die Gebirge kam, wurde der Weg eng und schlecht; dem Gefangenen mußten die Fesseln abgenommen werden, damit er zu Roß weiter konnte. Am 5. August 1602 kam der Zug in das wohlbefestigte Städtchen Senofetsch, wo Odontius dem Bischof übergeben und auf die Galeere gebracht werden sollte. Bei dem Richter des Städtchens nahm man Herberge. Odontius wurde streng bewacht. Vor dem Abendessen begehrte er in den Hof hinabgelassen zu werden; ein Soldat ging mit ihm und wies ihn in einen offen stehenden Stall. Aber hinten im Stall war noch eine andere Thür, die stand offen; Odontius trat in’s Freie und erblickte ein kleines Mäuerlein und dachte, wenn das die Stadtmauer wäre, so könnte er mit Gottes Hülfe wohl der Macht der Feinde entrinnen. Er ging näher hinzu und fand eine kleine Thür in der Mauer; sie war ohne Schloß. Er that sie auf und ward jetzt erst die hohe Stadtmauer gewahr. In derselben war eine Pforte angebracht, ganz mit Eisen beschlagen, auch mit einem schweren Riegel und einem Schloß an Ketten verwahrt. Die Pforte – stand offen. Odontius tritt hinaus, watet durch den vorbeifließenden Bach und eilt in den naheliegenden Wald. Er war frei! Kaum war die gelungene Flucht bekannt geworden, so jagten ihm in der Nacht noch die Soldaten mit Fackeln nach. Des Morgens wurden Bauern mit ihren Hunden aufgeboten; oft waren ihm die Häscher nahe, aber der Herr behütete ihn, daß er nicht in die Hände der grimmigen Feinde fiel. Da geschah es, daß er im Walde in eine Felsenkluft stürzte, wo er zwei Tage und zwei Nächte liegen blieb, mit dem Schatten der Flügel des Allmächtigen bedeckt. Am dritten Tage gegen Abend verließ Odontius sein Versteck, wanderte die ganze Nacht und den folgenden Tag, bis er endlich am 10. August den Saum des Waldes erreichte, in’s Freie trat und in der Ferne die Stadt Laybach liegen sah. Er ging den Savestrom entlang, noch an 5 bis 6 Meilen weit, bis ihm ein Bauer einen Fischer brachte, der ihn für etliche Kreuzer an’s andere Ufer setzte. Den folgenden Tag traf Odontius einen Wandersmann; diesem entdeckte er sich und erforschte von ihm den Weg, um unerkannt durch die österreichischen Lande in seine Heimath gelangen zu können. Der Fremde, voll Freude, daß er einem vertriebenen evangelischen Prediger einen Liebesdienst erweisen könne, zeigte ihm den Weg über das Gebirge, und nach vielen Entbehrungen und Beschwerden kam Odontius über Ungarn und Mähren wohlbehalten in seinem Geburtslande an.
Odontius hatte aber auch Ursache, vor seinen Verfolgern auf der Hut zu sein. Denn durch ein Mandat des Erzherzogs Ferdinand (vom 16. August 1602) war ein Preis von 500 Thalern auf seinen Kopf gesetzt. Odontius meinte später, die steirische Inquisition werde sich schuldig erkennen müssen, solch‘ hohes Prämium ihm selbsten nach Oederan in das Land zu Meißen zu senden, mit seinem Buche wolle er sich angezeigt haben.
Im April 1603 wurde Odontius Pfarrer zu Oederan in Sachsen, starb aber schon am 7. December 1605. Es geht dort noch heute die Sage, er sei durch gedungene Meuchelmörder am alten Markt der Stadt ermordet worden. Das Kirchenbuch von Oederan erwähnt nichts von einem gewaltsamen Tode, spricht aber wohl von dem „seligen Absterben und Abschied“ des Odontius. Aber gewiß scheint es, daß der frühzeitige Tod des treuen und bewährten Zeugen durch die vielen Körper- und Seelenqualen, durch die lange Todesangst, durch die aufreibenden Mühseligkeiten und Entbehrungen während der Flucht herbeigeführt wurde. War Odontius auch nicht unmittelbar ein Märtyrer für das Evangelium, so ist er doch ein muthiger Bekenner, ein treuer Zeuge des Evangeliums, ein tapferer Glaubensheld gewesen, wie bis heute kein zweiter in der evangelischen Kirche Steiermarks bekannt geworden ist. Darum soll sein Andenken den kommenden Geschlechtern aufbewahrt werden.
Die Sprache, die er in seiner Selbstbiographie führt, ist derb und kräftig, wo er von menschlichen Zuständen und von den Urhebern der traurigen Glaubensverfolgung spricht; glühend und feurig und wie ein breiter Strom rauscht sie dahin, wo er von der Herrlichkeit des Glaubens an das Evangelium und von dem göttlichen Auftrag an die christlichen Prediger redet; lieblich und süß weiß er sich und die Seinen zu trösten aus dem Born des Wortes Gottes. Immer nennt er die Sache beim rechten Namen und daß er das freie Wort auszusprechen wagte auch in den Tagen, wo es die höchste Gefahr mit sich brachte, das zeigt eben sein Schicksal. Wo aber das freie Wort sich bei jedem Gedanken auf den Grund des Evangeliums stellt, wo es sich Christum zum Vorbilde nimmt, ja wo Alles in Christo Quell und Ursprung und Mittelpunkt hat, und das Verdienst und die Erlösung des Heilandes die Sonne ist, von der Alles Licht und Leben empfängt: da ist das Feuer nicht zu dämpfen, der Strom nicht aufzuhalten, dem freien Worte nicht zu wehren. Aber man muß des Odontius eigene Schrift gelesen haben, dann wird das Wort des Heilands lichter und heller, das er zu dem Weib am Jakobsbrunnen sprach: Joh. 4, 14. – Odontius liegt in der Kirche zu Oederan begraben; hinter dem Altar ist sein Leichenstein.
B. Czerwenka zu Ramsau in Steiermark, jetzt in Frankfurt a. M.