Die Schriften Dr. M. Luthers, welche weit über den Rhein und Bodensee bis in die einsame Zelle des Schweizer Ulrich Zwingli mit der Botschaft des Lebens drangen, hatten auch am „schwäbischen Meer“ und besonders wo aus seinem Becken der mächtige Alpenstrom die gereinigten Fluthen hell und heiter weiterwälzt, mächtigen Eingang gefunden. Die alte Bischofsstadt Constanz neigte sich bereits 1518 dem Evangelium zu und 1526 mußte der Bischof nach der Meersburg hinüber weichen, sein Domcapitel und sein geistliches Gericht aber in Radolfszell und in Ueberlingen ein Obdach suchen. In letzterer Reichsstadt war Johannes Schlüpf ein Eiferer um das väterliche Gesetz des Pabstes und ein Todfeind der Reformation. Den edlen Reformator von Constanz A. Blaarer hätte er schier einmal böslich gefangen genommen. Den Rath von Ueberlingen hielt er gefangen in den geistlichen Fesseln, daß die Stadt streng papistisch blieb und ein ehrsamer Rath den Unterthanen in Stadt und Land die „neue Lehre“, die auch hier zu rumoren anfieng, bei schwerer Strafe verbot. Es war freilich Noth, daß die Obrigkeit ein ernstes Aufsehen hatte, denn mit dem guten Samen des göttlichen Wortes hat der Feind dort sogleich böses Unkraut gesäet. Der unsaubere Schwarmgeist Thomas Münzers hat jene Gegenden durchzogen und besonders in der Stadt Waldshut am Rhein seit 1521 eine Stätte gefunden durch Balthasar Hubmeier aus Friedberg in Bayern. Dieser unruhige Mann hatte sich auch im Klettgau und Hegau umgetrieben und dem Landvolk die evangelische Freiheit als einen Deckmantel der Bosheit zur Empörung wider die rechtmäßige Obrigkeit vorgespiegelt. So rotteten sich 1524 die Unterthanen des Grafen von Lupfen zusammen, um die „schriftwidrigen“ Abgaben und Frohnden mit Gewalt abzuwerfen. Anlaß zum Ausbruch der Unzufriedenheit gab, daß ihnen aufgetragen worden, in der Hafererndte Schneckenhäuschen in der Frohnde zu sammeln, damit das Hofgesinde Garn darauf winden könnte. Dieser Aufruhr war der Anfang des Bauernkrieges in Süddeutschland und im März 1525 war auch in dem kleinen Gebiete der Reichsstadt Ueberlingen am Bodensee kaum ein Ort mehr seiner Herrschaft treu. Die Aufrührer zwangen auch ihre Pfarrer mit in ihre böse Sache; wer nicht zu den Bauern stand, mußte fliehen. Dazumal diente an der Kirche zu Sernatingen (dem heutigen Ludwigshafen am Ende des „Ueberlinger“ See’s) als Frühmesser ein frommer, einfältiger Pfarrherr Namens Johann Heuglin (oder Huglin), eines Tuchscheerers Sohn aus dem unfernen Lindau. Der war mit Fleiß in der väterlichen Religion erzogen und lehrte recht und schlecht den papistischen Glauben, bis der Herr ihm ein neues deutsches Testament in die Hände fallen ließ. Dazu mußte ihm der benachbarte Pfarrer von Bodenau die Büchlein geben, welche Dr. Luther damals ausgehen ließ von der babylonischen Gefangenschaft des Pabstes und über die Psalmen, auch Etliches von Pomeranus (Bugenhagen) sammt den Schutzschriften der Constanzer Prediger gegen ihren Verfolger, den Stadtpfarrer Schlüpf von Ueberlingen. Die las er seit 1522 mit allem Bedacht, hörte auch fleißig lutherische und widerlutherische Predigten, auf daß er Alles wohl prüfen und das Beste behalten möchte. Wie er nun die neue Botschaft vernommen und in der Schrift geforscht, ob sich’s also verhielte – da fielen auch ihm die Schuppen von den Augen und er konnte es nicht lassen, er mußte auch zeugen von dem, deß er überzeugt worden war.
Obwohl er nun ein schüchterner und friedsamer Mann war, und ferne von weltlichen Händeln, so haben ihn doch 1525 die aufständischen Bauern, wie manchen Biedermann mehr zu ihnen genöthigt, daß er ihnen rathen und helfen solle. Als nun das Volk versammelt war, kam vom Rathe zu Ueberlingen Botschaft des Inhalts: „Wenn die von Sernatingen nicht zu den andern Bauern stehen würden, so solle ihnen Alles nachgelassen werden, was auch den Uebrigen. Und wenn sie eine besondere Beschwerde hätten, so möchten sie’s anzeigen.“ Da haben die Sernatinger Bauern ihren Pfarrherrn überkommen, daß er ihnen ihre Artikel in eine Schrift fassete und stellete. Das hat er in der Noth und aus Liebe gethan glimpflich und zum Frieden, aber nichts wider der Stadt Bestes gerathen oder geschrieben, und war der Meinung, er thäte seinen Herren zu Ueberlingen ein Wohlgefallen. Die aber wurden ihm feind, als einem, der falsche Lehre gepflanzet und Aufruhr gefördert und als 1526 die Bauern blutig darniedergeschlagen waren, sollte es auch an sein Urtheil und Gericht gehen.
Johann Hüglin ward (mit 3 andern Priestern, die aber wieder frei wurden) vor das geistliche Gericht des Bischofs von Constanz geliefert und zu Meersburg in den Thurm geworfen. Allda hat man ihn übel gepeinigt und gemartert, aber alle Schmerzen der Folter und alle Einreden des Predigermönches Pirata und des General-Vikar Dr. Faber vermochten ihn nicht, daß er sich des Aufruhrs schuldig bekannt, oder das Evangelium verleugnet hätte. Dennoch wurde er des Gerichts für schuldig erklärt und am 10. Mai 1527 ward in der Frühe auf dem Marktplatze zu Meersburg ein Gerüste aufgeschlagen, da nahm der Weihbischof in seinem Meßgewande den Stuhl ein, rechts und links setzten sich die Aebte von Petershausen und Kreuzungen, weiterhin der General-Vikar, auch etliche Doktoren und Richter. Vor dies Gericht ließen sie führen und stellen Johann Hüglin und der Notarius beklagte ihn der neuen Lehr und Ketzerei. Er aber gab einfältige und beständige Antwort: „er glaube der heiligen göttlichen Schrift und den Artikeln des uralten, wahren christlichen Glaubens. Und dawider habe er nicht gelehrt, sei deshalb kein Ketzer, sondern ein Christenmann. Ob man im göttlichen Wort anzeigen und beweisen könnte, daß er etwa in geirret und nicht recht gelehret hätte, da wolle er sich gern berichten lassen und sich nimmer wider Gott und sein wahrhaftig Wort setzen.“ Darauf sagten ihm die Doktoren und Richter, daß er seine Lehr schlechthin als irrig solle widerrufen, daß er sich aller lutherischen Lehr solle entschlagen und sie verdammen und verschwören, daß er sich allerdinge zu der römischen Kirche bekehren und sich derselben überall begeben solle ohne Einred. Der fromme Mann befahl nun seine Sache mit lauter Stimme Gott, hernach wurde ihm seine Urgicht verlesen, welche in 21 Artikeln ihn schuldigte, er habe gelehrt, man solle keine Obrigkeit haben; alle Christen seien frei und nicht schuldig, Fall noch Abgabe zu geben; es gebe nur 2 Sakramente; die guten Werke seien zur Seligkeit nicht nöthig noch nützlich; er verachte die Kirchengebräuche und Fasten; halte keine Feiertage als den Sonntag und die Marientage; verwerfe das Meßopfer, Jahrtage und Kirchenbilder; verlange für die Laien den Kelch und für die Priester die Ehe; läugne das Fegfeuer; habe lutherische Bücher gelesen und lutherische Predigten lieber gehört als andere, auch das verfälschte neue Testament besessen; den Bauern ihre Artikeln und Briefe geschrieben; habe die Concilien verachtet; nicht auf die Satzungen der Kirche gehalten und wenn er den Abgestorbenen die Messe gelesen, nicht an deren Nutzen geglaubt.
Darauf verantwortete sich Hüglin mannlich seines Gehorsams gegen weltliche Obrigkeit und wie er eines Christenmenschen inwendige Freiheit im Gewissen gelehrt und den Bauern zum Guten, nicht zum Bösen berathen oder bestärkt; daß auch nur 2 Sakramente zur Seligkeit nöthig seien; wie denn Viel seliglich sterben, die weder Oelung noch Weihe erhalten. – Diese Antwort gefiel dem Vikarius mit nichten und er hieß den Johann Heuglin schweigen und anstatt Disputirens bloß zu jedem Artikel erklären: ich glaube, oder glaube nicht. Dagegen bat der Verklagte: „Lieber Herr, übereilet mich nicht; es stehet geschrieben: ihr Menschenkinder, richtet recht. Ihr greift Gott in’s Urtheil. Fragt wie doch auch die schnöden Juden den Herrn Christum fragten: nicht was er glaube, sondern was er gelehrt. Ihr seid, als man mich marterte, zu mir gekommen und habt mir gesprochen: Luther schreibe, es seien nur 2 Sakramente und probire das aus der Schrift. Da antwortete ich auch: „was die Schrift sagt, bei dem will ich bleiben, ob auch Luther Nichts davon schreibt.“ Ferner rechtfertigte er sich von wegen der guten Werke, daß sie nichts werth seien, wenn sie nicht aus rechtem Glauben geschehen. Von Feiertagen sagte er: es wäre viel besser arbeiten, als tanzen, springen, trinken und dergleichen, habe aber keinen Feiertag abgethan, lasse das der Obrigkeit und sei nur wider die Mißbräuche. Fleisch habe er gegessen am Fasttage aus Noth, nicht auf Frevel und halte dafür, es solle das Gewissen nicht beschweren. Die lutherischen Bücher hab‘ er in guter Meinung gelesen, ihm sei Gottes Wort nicht lutherisch. „Luther ist ein gelehrter Mann, ich aber bin ein armer Mensch und kann weder Luthers, noch eines Andern Lehre beschirmen, will auch nur das verantworten, womit ich mein Gewissen vor Gott frei halte. Wahr ist, ich habe ein neu Testament gehabt, aber keine Fälschung in der Dolmetschung wahrgenommen, noch selber gemacht. Nach Paulus, des Auserwählten Wort weiß ich nicht anders, denn daß Christus unser Herr im Nachtmahl Brod und Wein genommen und gesprochen: das ist mein Leib, das ist mein Blut u. s. w. Bei dem will ich bleiben und will’s halten, wie Christus das Sakrament eingesetzt und der Apostel gehalten hat.“ Wegen der Priesterehe war er der Anklage geständig, daß er dafür halte, die Priester dürfen, ohne erst um Erlaubniß zu fragen, heirathen und er würde es selbst so gemacht haben, hätte er sich nicht vor geistlicher und weltlicher Obrigkeit mehr fürchten müssen, als vor Gott. „Von dem Fegfeuer aber habe ich nie viel gelesen und bin darüber noch nicht in mir einig. Ihr wisset, die Schrift sagt nichts davon, sondern nur von 2 Wegen, nämlich in de n Himmel oder die Hölle. Als man mich während der Gefängniß übel peinigte, da kamt ihr zu mir und sagtet: die Schrift sage nichts vom Fegfeuer und ich antwortete: lieber Gott, ich hab Fegfeuers genug durch die großen Schmerzen, die ich erdulden mußte. O ihr liebe Christen, wenn das nicht Fegfeuer genug ist, das ich erlitten, so sei es Gott geklagt!“ Bei diesen Worten fieng er an, heftig zu weinen und manchem Biedermann brach das Herz, daß er mußte mit ihm weinen. Aber des Bischofs Vikar saß und lachte, als der arme Mann also den Umstehenden sein Leid klagte, worauf dieser anhob: „Lieber Herr! warum lachet ihr mein? Ich bin ein verlassener elender Mensch und nicht des Lachens werth. Lachet über euch selbst! Gott verzeih euch, ihr wisset nicht, was ihr thut!“ Da wurde der Vikar roth, das Volk aber jammerte des armen Hüglin. Dieser ermahnte nochmals seine geistlichen Richter, daß sie sollten ihr Gewissen bedenken und ihr Urtheil nicht übereilen; befahl auch sich und seine Sache in Gottes Willen, der sei all‘ seine Zuversicht und Hoffnung.
Nun wurden Zeugen vorgefordert. Bloß 2 standen wider ihn auf und als der Notar ihnen den Eid abnehmen wollte, wehrte es Heuglin und sagte: er traue ihnen die Wahrheit zu auch ohne Eid. Die Beiden sagten aus, daß sie dies und das, weß er angeklagt sei, von ihm selbsten gehört hätten. Alsbald stand der Vikar auf und sprach in lateinischer Rede das Urtheil: „Aus Vollmacht des hochwürdigsten Bischof Hugo von Constanz verurtheilen wir, verwerfen und zertreten wir diesen Mann als einen Ketzer und Feind unserer heiligen Mutter, der Kirche und Stürmer des katholischen Glaubens und verordnen, daß er als Unwürdiger der heiligen Weihen beraubt und seines Standes entsetzt werde.“ Hierauf ward er zur Stund dem Doktor Melchior Vattli, dem Weihbischof übergeben, der ließ ihm die Priesterkleider an-, darauf mit Verfluchung wieder ausziehen, das Haupt scheeren und die Finger schaben. Sodann ward er vor das weltlich Gericht gestellt und dem Vogt zu Meersburg Herrn Kilian Reichlin zu Meldegg überantwortet; der klagte ihn an als einen Ketzer und that den Spruch: „Auf Hansen Hüglin’s von Lindau, des armen Mannes Verhandlung, Vergicht und Bekenntniß, Klag und Widerredung erkennen die Herrn, meine Richter auf ihr Eid zu Recht, daß der arme Mann Hans Hüglin weger (besser) todt dann lebendig sei, und solle demnach dem Nachrichter zu Handen befohlen und an die End da man sich der Enden pfligt (auf den Schindanger) geführt, mit dem Feuer vom Leben zum Tod gebracht und sein Gebein und Fleisch zu Pulver und Aeschen verbrennt werden und so das geschehen, sei den kaiserlichen Rechten genug beschehen.“ –
Deß entsatzt sich Hans Hüglin nicht, ruft Gott ernstlich an um beständigen Glauben und Gottes Gnade, dankt denen, die in seiner Gefängniß und sonst ihm hatten Guts gethan. Er bat auch ernstlich für seine Feind und Verfolger, daß ihnen Gott verzeihen und Erkenntniß der Wahrheit geben wolle. Und als man ihn hinauf führte, sprach er etliche Gebet, insonders: „Meine Seele erhebe den Herrn“ und „Herr Gott, dich loben wir.“ Wie nun das Feuer ward angezündet, ruft er treulich an den Namen Jesu und gab im Feuer seinen Geist auf, des obgemeldten Tages im Maien. Viel und Mancherlei ward von des unschuldigen Mannes Tod geredet; es ward auch das gemeldt, „das wäre ein Muster der (eine Woche nachher zu haltenden) Disputation in Baden, so der Zwingli sie besuchen würde. Denn die diese That zu Meersburg an Hans Hüglin dem Märtyrer und Zeugen der Wahrheit begangen haben, sind die obersten Bickelmeister und Rädelsführer auf der Disputation.“ – Dieselben haben ihn noch nach dem Tode verunehrt und ausgesagt, er sei als bekehrter, katholischer Christ mit aufrichtiger Reue gestorben – also reuig in den Schoß der „Mutter“-Kirche zurückgekehrt und dennoch so schrecklichem Tode übergeben!! Weil aber das Volk, das dabei war, mit Weinen und viel Klagen und Unwillen heimgegangen, so haben die Feinde ihn noch desto mehr verlästert und die schändliche Lüge ausgestreut, Heuglin habe mit seiner eigenen Mutter wider das sechste Gebot und sonst viel Schanden gethan, von dem doch in dem peinlichen Verhör nicht die geringste Erwähnung geschehen ist! – Doch „wie ein Vogel dahin fähret und eine Schwalbe fleugt, also ein unverdienter Fluch trifft nicht.“ Jener Balthasar Hubmeier freilich mußte folgenden Jahres zu Wien den Lohn seiner Ungerechtigkeit am 10. März 1528 auch auf dem Scheiterhaufen bezahlen. Das Gedächtniß dieses gerechten Heuglin aber ist bewährt durch’s Feuer und bleibet im Segen. Und wie aus dem Blut der Märtyrer die Saat der Kirche immer desto fröhlicher wuchs, so „trug ohne Zweifel Heuglins Tod nicht wenig dazu bei, daß sofort in seiner Vaterstadt Lindau die Reformation so schnell und ohne Widerspruch erfolgte.“ –
Heinrich v. Merz in Schwäbisch Hall, jetzt in Stuttgart.