Anselm von Havelberg.

In dem Stammlande der preußischen Monarchie hat die Kirche des Mittelalters nur wenig Bedeutendes, des allgemeinen Andenkens Würdiges hervorgebracht. – Als der kirchliche Geist der mittleren Zeiten in dem inneren, namentlich in dem rheinischen Deutschland schon eine Fülle von Blüthen getrieben hatte, zu einer mit Erschöpfung drohenden Überreife gelangt war, wurden diese Marken erst dem slavischen Heidenthum abgerungen. In den wenigen Jahrhunderten, die dann der römischen Kirche hier noch beschieden waren, gedieh man zu keiner eigenthümlichen Ernte. Diese Lande sind, wie wir vertrauen, vom Herrn zu Pflanzstätten eines höheren Lebens, zu jenen Kämpfen erwählt, in denen die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit dem Menschengeschlecht unverlierbar erworben werden soll.

Um so mehr fordert uns wahre Gerechtigkeit auf, den wenigen Männern, die auf diesem Boden in der Anschauungsweise und in den Formen des Mittelalters von Dem Zeugnis gegeben haben, was alle Kirchen in Ewigkeit gemeinsam bekennen – eifrig nachzugeben und ihr Bild auch in dem unscheinbaren Rahmen vor unseren Augen zu erneuen. Ohne Frage gehört Anselm von Havelberg zu ihnen; das Bisthum der alten Kirche hat in der Mark Brandenburg keinen größeren Mann aufzuweisen. Schon das allein macht ihn wichtig, daß sein Leben und Wirken hier in den Moment des endlichen, nun nicht wieder in Frage gestellten Sieges des Christenthums, in die Zeit der dauernden, nunmehr unantastbaren Gründung des deutschen Staates in diesen Landen fällt. Die Leser des Kalenders sind bereits bei dem Namen Otto’s des Großen an den Ursprung unserer märkischen Bisthümer, Brandenburg und Havelberg erinnert worden. Aber diese erste Saat zertrat der Aufstand des Jahres 983. Die Kirchen im Wendenlande waren wieder zerstört oder zu Stätten des Götzendienstes geworden; die Bischöfe, die für beide Diöcesen durch das ganze elfte Jahrhundert regelmäßig ernannt werden, essen am Hofe des Kaisers oder bei befreundeten Amtsgenossen im Reiche das Gnadenbrod; in ihren eigenen Sprengeln ist ihnen weder Macht noch Gut und Zins geblieben; es kommen Momente, in denen selbst die heutige Altmark, der sächsischen Kaiser erste und sicherste Eroberung, der heidnischen Barbarei anheimzufallen droht. Erst mit dem Anfang des 12ten Jahrhunderts schreitet man wieder vor; die beiden Bischofsstädte werden, wenn auch nicht unmittelbar in Deutsche Hand, doch zu einem gewissen Grad von Botmäßigkeit zu den Reichsgewalten gebracht. Doch wie langsam baut sich die Kirche wieder auf; um das Jahr 1114 wagt ein Bischof von Brandenburg zum ersten Male wieder jenseits aber noch sehr nahe der Elbe, zu Leikkau, im heutigen Kreise Ziesar, seine Residenz zu nehmen, an der Stätte, wo er dort unzählige Götzenbilder gefällt hatte, St. Peter eine Kirche zu gründen; im Mai 1128 findet der Apostel der Pommern, der heil. Otto auf seiner zweiten Missionsreise Havelberg mit allem Prunk des Götzendienstes angethan; die Stadt ist rings von Fahnen umstellt; man feiert das Fest des Kriegsgottes Gerovit; der vorsichtige Mann wagt, den „Wohnsitz der Ungerechtigkeit“ nicht einmal zu betreten.

So war der Zustand, als Anselm 1129 zum Bisthum gelangte; er hat es bis 1155 verwaltet. Er ist seit anderthalb Jahrhunderten der Erste, der wieder in Havelberg hat Platz nehmen können; er weiß eigene und fremde Mittel zur Gründung des Prämonstratenserstifts zu Jericho zu vereinigen (1144); in stattlichen Bauten, da der ihm zuerst angewiesene Raum zu klein geworden, erhebt sich noch während Anselms Lebenszeit das Stift vor dem Thore des Orts. Einige Jahre darauf wird das Domkapitel, das bis in unsere Tage bestanden, gegründet. Das Leben gewinnt eine christliche Gestalt. 1149 kann in Havelberg bereits eine Zusammenkunft stattfinden, auf der ein Pommernfürst vor den brandenburgischen Markgrafen und andern sächsischen Fürsten seinen Glauben an Christum, und seinen Entschluß, denselben zu vertheidigen und auszubreiten, bekundet. 1150 ist der Bischof so weit gediehen, sich durch Kaiser Conrad III. die Privilegien Otto’s des Großen und Heinrichs II. für sein Bisthum erneuern, den alten Sprengel wieder herstellen zu lassen; 1151 gewähren ihm die Markgrafen die Rückgabe Alles Dessen, was dem Stift durch ihre Vorgänger zu Unrecht entzogen worden; mit der unschätzbaren Erlaubnis, die er sich in jenem kaiserlichen Privilegium erwirbt, Colonen jedes Landes und Stammes in die verödeten Stiftsländereien zu rufen, wird er so viel an ihm der Urheber der Deutschen Ansiedelung, die unseren Landen eigentlich ihr geschichtliches Dasein gegeben hat.

An der großen Verwandlung freilich – die sich so innerhalb zwanzig Jahren vollzieht – hat das Schwert und die Regierungskunst unseres Albrecht des Bären, der bald nach des Bischofs Antritt – 1134 – zur Mark gelangte, großen Antheil. Mit den Kriegszügen der Jahre 1137 und 1138 hat Albrecht die letzte Empörung der Heiden im Havelbergischen, die 1136 noch einmal zur Verwüstung der Stadt geführt hatte, gerächt, und die Priegnitz, den Kern des Sprengels, dauernd der neuen Ordnung unterworfen; von ihm stammt der Erfolg des Kreuzzuges von 1147, der die letzten Gefahren von diesen Grenzen verscheuchte.

Aber Anselm steht daneben mit dem geistlichen Schwert an den Pforten unserer Geschichte. Dieser merkwürdige Mann gehört uns nicht durch Geburt an; er stammt sehr wahrscheinlich aus dem überrheinischen Deutschland, aus dem Süden des damaligen Herzogthums Niederlothringen – Gebieten, die beute zwischen Rheinpreußen, den Königreichen Niederland und Belgien getheilt sind. Dann war der große Norbert, mit dem er ohne Zweifel früh in Verbindung kam, sein Landsmann. Die Kräfte zu wecken, die für die völlige Erfüllung der abendländischen Völker mit dem dreieinigen Gott, für ihren Kampf mit dem Islam nöthig waren – dahin zielten alle jene großen Regungen, die seit der Mitte des eilften Jahrhunderts in den erhöhten Ansprüchen des päpstlichen Stuhls, in der kirchlichen Literatur, in der Stiftung neuer Orden und wie sonst sich zeigen. Als Gründer des Prämonstratenserordens ist Norbert einer der vornehmsten Repräsentanten dieses neuen Geistes. Es hing ohne Frage mit der veränderten Richtung, die das deutsche Königthum nach dem Ausgang des jenen neuen kirchlichen Kräften abholden salischen Hauses in König Lothars Hand nehmen sollte, zusammen, daß dieser 1126 den Norbert aus so weiter Ferne zum Erzbisthum Magdeburg berief. Wir haben den letzteren dort nach der Größe, wie nach der Gefahr seiner Stellung, kennen gelernt. Er hat, wie sich leicht nachweisen läßt, eine Anzahl jüngerer Genossen, Landes- und Sinnesverwandte in die neue Heimath mitgebracht, unter ihnen unsern Anselm. Bei jenem denkwürdigen Fest, der neuen Weihung der Magdeburger Domkirche, da der Erzbischof dem gezückten Schwert der Aufrührer, im Herrn gefaßt, entgegentrat, war Anselm an seiner Seite. Norberts Plan mußte sein, die Jünger in die wichtigsten Ämter des Metropolitansprengels zu bringen, auf sie die Fortsetzung seines Werks zu gründen. Der Burggraf von Havelberg, wohl nur mit halbem Herzen Christ, hatte 1128 vor Bischof Otto den Abfall seiner Stadt mit der Strenge Norberts rechtfertigen wollen; um jeden anderen Hirten würde sich leicht die Herde sammeln. Gerade Norberts Jünger, Anselm ers hielt 1129 den zuletzt vier Jahre erledigten Havelberger Sitz. Sieht man hernach alle diese dem slavischen Heidenthum abgewonnenen Lande, die Marken, Pommern, Schlesien, Polnisch-Preußen mit den Stiftungen der Prämonstratenser und der ihnen dem innersten Impulse nach verwandten Cistercienser überdeckt, die Bekehrung und Cultur hier fast ausschließlich auf diese Orden gegründet – so erkennt man, wie sich Norberts Werk bewährt hat. Hier, bei Anselm’s Erhebung, stehen wir vor dem ersten der gesegneten Entschlüsse, die zu dem großen Ziel geführt haben.

Wunderbar freilich auf den ersten Blick, daß sich Anselm so selten zu Hause, bei seiner Kirche antreffen läßt. Schon im Jahre 1133 begleitet er Lothar auf den Römerzug; unter den Bischöfen, denen der Kaiser dort die letzte rechtliche Entscheidung zwischen Innocenz II. und seinem Gegenpapst Anaclet anvertraut, ist Anselm. Zu noch größeren Dingen wird er in den nächsten Jahren bestimmt. Lothar ist in dem Fall, eine wichtige Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers, die ihn zu einem Bunde gegen die – Beiden unbequem genug – in Unteritalien und Sicilien erwachsene Normannische Macht aufgefordert hat, zu erwidern. Einer wahren Einigung der beiden Kaiserkronen mußte der Friede der beiden Kirchen, deren Schirmherrschaft für Jede der höchste Beruf, vorhergehen; es war beinahe ein Jahrhundert, seit 1053 ein Versuch dazu von der päpstlichen Curie gemacht, und zu heftigerer Feindschaft ausgeschlagen war; noch nie hatte die weltliche Gewalt des Abendlandes sich daran versucht: als es jetzt geschah, ward gerade Anselm dazu erwählt. Während sein Havelberg eben von den Heiden heimgesucht wird, hat er sich getrost auf den Weg gemacht. Am 10. April 1136 vor der Kirche der heiligen Irene im Pisanerquartier von Constantinopel begonnen, ward das merkwürdige Religionsgespräch zwischen ihm und dem Erzbischof Nicetas von Nicomedien in der folgenden Woche in der Sophienkirche fortgesetzt auch schon die Wahl dieses Orts ein Zeichen, welchen Werth man auf die Mäßigung und den Friedenseifer des Vertreters der abendländischen Kirche legte. Zurückgekehrt muß er sogleich Lothar auf den zweiten italienischen Zug folgen. Auch hier erfreut er sich wieder hoher Ehren; an Mariä Geburt ruft ihn Innocenz II., der eben selbst die Messe celebriert hat, zur Predigt auf. Auch der Wechsel, der mit dem Eintritt der entgegengesetzten Partei in die höchste Gewalt, mit der Thronbesteigung Conrads III., des ersten Hohenstaufen (1137) über den Kaiserhof gekommen, berührt Anselms einflußreiche Stellung nicht. Wir sehen ihn viele Jahre hindurch im höchsten Vertrauen des neuen Königs; 1147 sendet ihn Conrad III. nach Rom, die wichtigen Nachrichten von dem eben beendeten Frankfurter Reichstag – die Wahl seines Sohnes Heinrich zum Nachfolger, und den Entschluß des Kreuzzuges zu überbringen. Hierauf hat ihn Eugenius III., so recht seinem bischöflichen Amte gemäß, zum geistlichen Reiter und Berather des Kreuzzuges ernannt, der auf eben jenem Frankfurter Tage unter der Führung des Markgrafen Albrecht gegen die Liutizen beschlossen worden war. Daß er für Ruhe und Frieden sorge, die Eintracht unter Euch erhalte, Euch zur Förderung der christlichen Religion ermahne“, lautet des Papstes Auftrag, „daß Ihr ihn liebet und in Ehren haltet, seinen heilsamen Rathschlägen, Ermahnungen und Befehlen in Demuth gehorchet,“ des Papstes Forderung an die Kreuzfahrer. 1149 finden wir Anselm wieder unter des Papstes Gesandten, die bestimmt sind, Conrad bei seiner Rückkehr von dem verunglückten Kreuzzuge zu trösten. –

Eine kurze Zeit der Ungnade bei König Conrad ruft ihn in die Einsamkeit seiner eben erst im Werden begriffenen Schöpfungen; aber schon mit der Thronbesteigung Friedrichs Barbarossa ist er wieder am Hof; noch einmal erscheint er 1154 – mit königlicher Botschaft, wohl der Brautwerbung, in Constantinopel: an demselben Tag – 1155, da Friedrich aus der Hand Papst Adrians I. die Kaiserkrone empfängt, ward Anselm zum Dank für so lange Dienste an Reich und Kirche zum Erzbisthum Ravenna, damals nach der öffentlichen Schätzung dem zweiten geistlichen Sitze der Christenheit, erhoben. In jenen berühmten Lagern Friedrichs vor Mailand begegnet er uns zum letzten Male; dem Gedanken an Vergleich mit den Mailändern soll er entschiedenen Widerstand geleistet haben, „bei glattem Worte auf der Zunge tragen sie ein schwarzes Herz in der Brust. Es werde ihnen gemessen mit dem Maße, womit sie gemessen haben. Kirchen und Städte hat Mailand verwüstet, und werde nun selber verwüstet.“ Den großen Erfolg dieser Mahnung hat er nicht erlebt; noch während der Belagerung den 12. August 1158 ward er abgerufen.

So vielfach und wechselnd war die Bühne dieses Lebens. Wer wollte deshalb leugnen, daß es nicht vorzugsweise unserm engeren Vaterlande gegolten habe! Kaiser und Papst waren in jenem Jahrhunderte die Mittelpunkte aller christlichen Geschichte; wer in ihrer Nähe lebte, hatte gerade Gelegenheit, das sonst vielleicht in die Ferne Verlorene zum Nächsten und Wichtigsten zu machen. Des großen Meisters Herrmann von Salza Verdienste um die Gründung des christlichen und Deutschen Staats an der Ostsee wird Niemand bestreiten. Dennoch hat er nie das Preußenland betreten; indem er in den schwierigsten Unterhandlungen zwischen Friedrich II. und seinen gewaltigen Feinden hin und her ging, mit Papst und Kaiser in der Kammer saß, zu Drei geheimsten Rathes zu pflegen sorgte er am besten für sein fernes Ordensgebiet.

Unser Anselm hat wenigstens einige Jahre, wie es scheint, ununterbrochen von der Mitte des Jahres 1149 bis 1152 in der Mark gelebt. Wie bezeichnend, daß ihm die Pflichten, denen er hier obliegt, erst den ganzen Ernst seines Lebens zu enthalten scheinen, daß er alles Frühere, wie ein Spiel, dessen nun genug sei, zurückweist.

In einem Briefe an den Abt Wibald von Corvey, einen höchst ausgezeichneten, für die Zeit sehr bedeutenden Mann, vergleicht er sein Havelberg der Krippe, den Stand am Hofe, den er eben verlassen, dem Richthause. Da, wo Christus in der Krippe liegt, singen ihm die Engel einen Lobegesang, wo er aber an der Gerichtsstätte vor den Fürsten steht, rufen die Juden: Ans Kreuz mit ihm! Dort gehet ein neuer Stern leuchtend auf, die Engel verkünden die Ehre Gottes: Könige bringen Gaben und Geschenke, hier verspotten Kriegsknechte den Herrn, geißeln und schlagen ihn, speien ihm ins Angesicht, fallen ihn mit dem Faustschlag spitzer Rede, den Dorn, in dem der Saft des ewigen Lebens verdorrt ist, drücken sie in sein Haupt. „Ich bin hier“ – berichtet er den Freunden „mit meinen armen Brüdern nicht müßig. Einige bauen an dem Thurme der Befestigung vor dem Angesicht des Feindes, andere halten Wache zur Vertheidigung gegen einen Überfall der Heiden; Einige, ganz hingegeben an das Göttliche, warten täglich des Märtyrertodes, unterdes andere durch Gebet und Fasten ihre Seele reinigen zur Rückgabe an Gott, und andere beschäftigt mit dem Lesen der heiligen Schrift, über heilige Gegenstände nachdenken und dem Leben und Vorbilde der Heiligen nacheifern: wir Alle aber, nackt und arm, sind bewußt, unserem nackten und armen Heilande nachzufolgen.“ Ein ander Mal ängstigt es ihn wohl, daß seine Freunde ihn hier vergessen könnten; halb scherzend wirft er dem Wibald Untreue vor.

„Glaube mir Bischof“ antwortet ihm Jener, zugleich zum besten Zeugnis für die Nachwelt wenn ich die ganze Welt besäße und nicht Dich und die wenigen seltenen Männer, die Dir gleichen, zu Freunden hatte, ich sehr sehr arm wäre; ihr seid wahrhaftig mein Schatz, an dem ich immer zehre, ohne daß er abnimmt, den kein Dieb mir rauben, weder Motte noch Rost mir verderben kann.“ Es sind die ersten Worte gebildeten, wahrhaft menschlichen Verkehrs, die sich auf diesem Boden vernehmen lassen, die ersten Zeichen, daß jener in Christo wurzelnde Verband, der das gesamte Geschlecht in eine Gemeinde versammeln soll, seine Fäden auch hierher erstreckt hat.

Und in dieser Abgeschiedenheit zu Havelberg sind auch Anselms Werke entstanden. Zwei seiner Schriften betreffen den Streit der Mönche und Kanoniker diese alte Fehde, die seit der Einführung jener zu gemeinsamem evangelischen Leben verbundenen Convente durch den heiligen Augustinus, sich in mancherlei Gestalten fortgezogen hatte, und nun, da ja auch Norbert ein Kanoniker, da seine Prämonstratenser die „Armen Christi“ regulierte Chorherrn sein sollten, mit neuer Gewalt losbrach. In Anselms Nähe ward der Brodneid der Mönche namentlich in einer heftigen Schrift des Abt Egbert von Huisburg fühlbar. Diesem begegnete er in seiner ersten Schrift, die zweite entwickelt die Frage vom kanonischen Leben gleichsam positiv. Von der Gehässigkeit, die bei dem Gegner waltet, hält er sich nicht ganz frei, doch versichert uns die Bewunderung, die er dem großen Mönche seiner Tage, dem heiligen Bernhard von Clairvaux zollt, daß es ein wahrhaft geistlicher Zorn ist, mit dem er das in Habsucht und Völlerei versunkene Mönchthum ergreift. Mit Genugthuung bemerken wir, daß er das Lehramt in der Kirche vor dem Dunkel, der mit den mönchischen Gelübden alle Gaben des heiligen Geistes erworben glaubt, zu bewahren weiß. Kaum daß ein vollkommener Mönch einen guten Kleriker mache – an dies Wort des heiligen Augustinus erinnert er dabei.

Unser evangelischer Sinn geht freilich höher, als daß wir Anselm gestatten sollten, um des Friedens willen den Platz an Gottes Thron gleich wie unter Seraphim und Cherubim unter Mönche und Kanoniker zu vertheilen; doch hat auch die Schriftauslegung noch ihren Reiz und Werth, die in des Herrn Wandel auf Erden die vollkommene Harmonie des beschaulichen und des zugleich in Predigt und Seelsorge thätigen Lebens erkennt, und ihn so als den Fürsten und Führer aller wahren Kanoniker preist.

Auch Anselms Hauptwerk, die drei Bücher der Controversen, die den Bericht über sein Gespräch zu Constantinopel enthalten, haben von jenem römischen, der zeitlichen Kirche dienenden Charakter und zugleich von dem unverfälschten Zeugnis von Christo und Seinem Evangelium. Die Sprecher führen ein Gefecht darüber, ob nach der Lehre der römischen Kirche das Abendmahl mit ungesäuertem, oder nach griechischer Gewohnheit mit gesäuertem Brode zu halten sei, ob diese Kirche besser thue, zu dem geweihten Weine das ungeweihte Wasser hinzuzugießen, oder jene, an dem mit Wasser gemischten Wein die Weihe zu vollziehen. Der Leser, der es begleitet, wird bald inne, daß es Anselm nicht sowohl um die Entscheidung dieser Fragen selbst, vielmehr darum zu thun ist, für Rom das Recht zu behaupten, allein durch seine Autorität kirchliche Sitten der Art, sofern sie nicht dem Evangelium widersprechen, einzuführen. Ja, wo er das Hauptthema der Disputation, daß der heilige Geist vom Vater und vom Sohne zugleich ausgehe, durchführt, erkennen wir mit ihm, daß in die entgegengesetzte Lehre, an der der Gegner festhält, sich gleichsam der letzte Rest der arianischen Lehre geflüchtet habe. Wir sind mit ihm darin einig, daß der dürftige Einwurf der Gegner: „daß die Lehre vom Ausgeben des heiligen Geistes vom Vater und vom Sohne zu der Annahme zweier Principien und damit zu der Vielherrschaft führen würde“ lediglich von dem alten Unvermögen herrührt, die unauflösliche und untheilbare Einheit des Wesens in der Dreiheit der Personen zu denken. Aber freilich kann es uns nicht entgehen, daß er die vom Vater und vom Sohne ausgehende Gottheit des heiligen Geistes, die er so dem Irrthum abgerungen, alsbald selber gebraucht, auf sie den ganzen Apparat der römischen Kirche, gerade diese Form des heiligen Mahles, die hier eingeführt worden, gerade diese Hierarchie, mittelst der hier die Christenheit regiert werde, zurückzuführen; hier allein soll die ewige Wahrheit des Trösters sein, „welchen mein Vater senden wird in meinem Namen.“

Doch unbefangen genug läßt er den Gegner sein rückhaltloses Urtheil über die römische Kirche aussprechen, die je nach ihrem Gutdünken wählt und verwirft, lobt und tadelt, feststellt und verändert, niederschreibt und ausstreicht, befiehlt und verbietet, Alles ohne andere Richtschnur, als ihre eigene Autorität.“ Wenn der Römische Bischof auf dem erhabenen Throne seiner Herrlichkeit sitzend, auf uns losdonnern und von seiner Höhe herab seine Gebote uns hinwerfen, ohne uns zuzuziehen eigenmächtig nach seinem Wohlgefallen über uns und unsere Kirche richten, ja befehlen wollte – wie könnte denn da eine Brüderschaft oder eine Vaterschaft noch bestehen? Wir würden dann nicht Söhne, sondern Knechte der Kirche heißen und sein ….. Was nützte uns dann die Kenntnis der Heiligen Schrift, was die Gelehrsamkeit und der Unterricht der Lehrer? Welchen Werth hätten dann noch die trefflichsten Köpfe der weisen Griechen? Das einzige Ansehn des römischen Bischofs, das nach Deiner Behauptung Alles überbietet, macht ja das Alles überflüssig. Er mag der einzige Bischof, der einzige Lehrer sein, mag über Alles ihm allein Anvertraute, wie ein guter Hirt, allein Rechenschaft ablegen. Wenn er im Weinberge des Herrn Mitarbeiter haben will, so rühme er sich mit Vorbehalt seiner Oberherrlichkeit in aller Demuth, aber er verachte nicht seine Brüder, welche die Wahrheit Christi nicht zur Knechtschaft, sondern zur Freiheit im mütterlichen Schoße der Kirche erzeugt hat.“

Erkläre Niemand das Wagnis, dergleichen Äußerungen unter die Augen Papst Eugenius III. in eine auf sein Geheiß abgefaßte Schrift zu bringen, mit jener Objectivität, die auch den Gegner das Seine wenn immer in den Wind sprechen zu lassen beliebt, oder mit der feinen Ironie, die bei dieser Gelegenheit das sonst Verpönte anbringen will. – Recht angesehen, weiß unser Anselm bei aller seiner Hingebung an Rom doch von einer Kirche, auf die des Papstes-Scepter keinen ewigen Anspruch erworben hat von der Kirche, die mit Abel dem Gerechten begonnen, und mit dem letzten Erwählten vollendet sein wird, die als diese ewige Mutter Eines bei sich, je nach der Schwäche und Veränderlichkeit ihrer Kinder sich allem Wechsel der Formen unterwirft, die unter dem Donner und Posaunenschall am Sinai, und unter dem Erdbeben von Golgatha ihre großen Wandelungen vollbracht, das Geschlecht, wie verstohlen von dem Götzendienst zum Gesetz gebracht, mit erziehender und heilender Hand vom Gesetz zum Evangelium geleitet habe. In den sieben Siegeln der Offenbarung Johannis sieht er die Zeitalter dieser Kirche; das weiße Pferd kündet die bell leuchtenden Tage der Apostel an; das zweite ist roth von dem Blute der Märtyrer; in dem schwarzen droht das Zeitalter der Ketzereien; das fahle spiegelt den täuschenden, vor des Herrn Wahrheit verbleichenden Glanz der falschen Christen ab, gegen die sich eben die heiligen Männer, wie Augustin, Benedict, Norbert und Bernhard bewaffnen mußten. Während die letzten Zeitalter dem Kampfe mit dem Antichrist und dem seligen Triumphe bestimmt sind, nimmt Anselm für seine Zeit das Geheimnis des fünften Siegels in Anspruch – da die Heiligen ruhn von ihrem Märtyrerthum, aber Angesichts der unendlichen Leiden der streitenden Kirche zum Herrn schreien, warum er im Gericht verziehe, zu rächen ihr Blut an Denen, die auf der Erde wohnen! – So sieht auch er auf eine größere, in schwerem Kampf zu gewinnende Zukunft hinaus. Dem Nicetas, der für die Beilegung der Streitigkeiten zwischen Griechen und Lateinern ein allgemeines Concil gewünscht hat, freudig beifallend ruft er: „daß ich dies erlebte und bei einem so heiligen Concilium gegenwärtig sein dürfte, wo Petrus das Haupt der Apostel in der Person seines Stellvertreters, des römischen Papstes, mit der ganzen versammelten Kirche, die Gott ihm anvertraut hat, sitzet und der heilige Geist, von dem wir gehandelt, über Alle herabsteigt und alle Wahrheit bis ans Ende der Welt lehrt, und alle Eins macht in Christo mit Petrus und im Glauben Petri. Rom also möchte er hinübernehmen in die neue Zeit, aber nur ein solches Rom, das mit Christo eins geworden, an dem die Wahrheit des Heiligen Geistes lauter und voll sich bewährt hat! – Könnte das Mittelalter unserer Lande einen besseren Vertreter in der allgemeinen Kirche haben?!

Siegfried Hirsch in Berlin.