Ganz Frankreich hat die Augen auf ihn gerichtet als auf daß größte Beispiel des Mutes, der Frömmigkeit und des empfindsamen Gewissens , das unser Jahrhundert gesehen hat.
Piette Jurieu
Im Pastoralbrief vom 1. September 1686
Als König Ludwig XIV. von Frankreich den Einflüsterungen seiner geistlichen Ratgeber Gehör schenkte und im Herbst 1685 mit dem Rückruf des Edikts von Nantes zum Schlage gegen die Reformierten seines Reiches ausholte, stand Louis de Marolles auf der Höhe seiner bürgerlichen Ämter und Ehren. Er war als Abkömmling einer alten vornehmen Familie aus der Champagne ums Jahr 1629 in Heiltz-le-Maurupt, einem Kantonshauptort des heutigen Departements der Marne, unweit von Vitry – Le Francois, geboren. Durch seine Heirat mit Marie De Gometet, der Tochter eines Magistraten von Sedan, war er mit einer zweiten angesehenen Familie verbunden. Als „Receveur des consignations du roi“ hatte er Gelder zu treuen Händen entgegenzunehmen und zu verwalten, durch die sich Schuldner in gewissen Fällen gegenüber ihren Gläubigern befreien konnten. Das hohe Ansehen, das Louis de Marolles genoß, verdankte er indessen sicher weniger dem Ehrentitel eines „königlichen Rates“, den er führen durfte, als seinen hohen sittlichen Qualitäten. Seine tiefste Befriedigung scheint er in der Hingabe an seine wissenschaftlichen Studien gefunden zu haben, für die er durch zwei große Zeitgenossen, den Philosophen Descartes und den Physiker Cassendi entscheidende Anregungen empfangen hatte. Nachdem de Marolles von einem nahen Verwandten, Claude de Marolles, in die Elemente der Algebra eingeführt worden, trat er mit den ersten Mathematikern seines Landes in Verkehr, u. a. mit dem gelehrten Jesuitenpater de Billy, dem Verfasser des „ Diophantus redivivus“. Wäre de Marolles‘ Ehrgeiz so groß gewesen wie sein Wissen, er würde es in dieser Wissenschaft zu großem Ruhm gebracht haben. In seinem Nachlaß fand sich eine Handschrift mit der Lösung von besonders schwierigen und merkwürdigen mathematischen Problemen. Auch der Physik und der Medizin wandte er sein Interesse zu. Seinen Kindern hinterließ er eine Sammlung medizinischer Rezepte, die er mit eigener Hand niedergeschrieben hatte. In der Musik suchte und fand er oft Trost und Erhebung. Vor allem aber war Louis de Marolles wohl unterrichtet in den Grundlagen und Fragen des christlichen Glaubens, in der Heiligen Schrift so gut wie in der Geschichte der christlichen Kirche. Er war bewandert in den Schriften der Begründer der reformierten Kirche wie in den Schriften derer, die Sie befehdeten. Sein Glaube ruhte auf gutem Fundament und war ihm schon in den Tagen des Wohlergehens Quelle aller Kraft und Freude. So lebte Louis de Marolles in glücklichen Verhältnissen, im Kreise seiner Familie, als gewissenhafter Erzieher seiner Söhne und Töchter, in anregendem Verkehr mit gelehrten und frommen Männern, von jedermann um seines lauteren und friedfertigen Gemütes willen geachtet und geliebt, als die Wolken, die sich immer unheildrohender über der reformierte Kirche Frankreichs zusammenballten, auch ihn mit banger Sorge weniger für sein persönliches als für das Geschick seiner Familie erfüllten. Würde er nur diese retten können, dann würde er für sich selber nichts fürchten. Wie so viele der Besten seines Glaubens faßte er die Flucht in die Fremde ins Auge und zog, ungewiß über die Wahl des Ziels, den Pfarrer seiner Geburtsstadt, Pierre Verchant von Montpellier, ins Vertrauen. Dessen Gedanken waren auf die Schweiz gerichtet, wohin er sich in der Folgezeit auch wirklich flüchtete und wo er von 1692 bis 1693 als Pfarrer der französischen Gemeinde zu Basel wirkte. Anfänglich schien auch Louis de Marolles einer Flucht in die Schweiz geneigt, bis er sich auf einer Reise nach Vitry-le-François von einem Freunde überreden ließ, sich mit einer uns nicht näher genannten Persönlichkeit zu verbinden, die leicht Mittel und Wege wisse, sich überall gut zurechtzufinden. Noch während Louis de Marolles und seine Freunde über ihren Plänen saßen, kündeten die ersten Donner den nahen Ausbruch des Gewitters. Der reformierten Gemeinde wurde die Ausübung des Gottesdienstes untersagt. Seinen Freund de Marolles sah Pfarrer Verchart zum letztenmal in einer vertrauten Zusammenkunft in Heiltz-le-Maurupt. Hier vernahm er, warum sein Freund nicht mehr, wie er, an eine Flucht in die Schweiz, sondern nach Deutschland sann. Einige Glaubensbrüder aus der Champagne hatten sich bereits nach Champagne geflüchtet, das an das Herzogtum von Deux-Ports, an die Grafschaft Saarbrücken und an das Elsaß grenzte. Sich dort anzusiedeln waren sie durch den Intendanten de La Goup-Pilliere ermuntert worden. Dieser hatte ihnen unter Eiden versichert, niemand würde sie daselbst beunruhigen und ihnen die freie Ausübung ihres Gottesdienstes verwehren, denn der König wolle jenes verödete und verstörte Land wieder aufbauen und bevölkern. Diesen Versicherungen gegenüber verhielt sich Pfarrer Verchart mißtrauisch: Man dürfe dieses Land ansehen nur wie einen Baum auf freiem Felde, wenn man von einem Sturm überrascht werde: man flüchte sich für kurze Stunden in seinen Schutz. Nachher erleichtere die nahe Grenze die Flucht. Das war am Ostertag des Jahres 1685. Bald genug erwiesen sich die Beteuerungen des Intendanten als Trug. Als Ludwig XIV. am 18. Oktober 1685 das Edikt von Nantes zurückzog und die Reformierten seines Landes dadurch aller Rechte beraubte, brach das Verhängnis auch über die Reformierten in Lothringen herein. Mit bewaffneter Hand wurden sie genötigt, in ihre Heimat zurückzukehren. Louis de Marolles hatte inzwischen mit den Seinen das Land verlassen und sich in Lothringen, im Städtchen Lixheim bei Saarburg, niedergelassen. Das Wort seines Freundes mag sich ihm eingeprägt haben, man dürfe ein solches Grenzland nur betrachten wie der Wanderer den Baum, unter dem er während eines Gewitters flüchtigen Schutz sucht. Als der Sturm losbrach, hatte Louis de Marolles die Entscheidung, vor die er und Tausende seiner Glaubensgenossen gestellt wurden: „Glaube oder Heimat“, schon getroffen. Es gab für ihn nur eines: Die Flucht über die nächste Grenze, im vollen Bewußtsein, gegen des Königs Willen handeln zu müssen, um den Glauben zu retten und Gott gehorsam zu bleiben. Am 2. Dezember 1685, einem Sonntag, wurde Louis de Marolles mit seiner ganzen Familie zwei Meilen diesseits des Rheins, also noch auf Lothringischem Boden, verhaftet und von einem Majorsadjutanten Namens Bourbon und zwei Reitersknechten nach Straßburg in einen Turm geführt, der mitten im Flüßchen Ill steht, 26 Fuß breit und 106 Stufen hoch. Doch lassen wir den Verhafteten selber erzählen, was er und die Seinen dort erlebt haben: „Bald nach unserer Ankunft kamen der Herr Marquis de Chamilly, Gouverneur, Herr de La orange, Intendant, mit dem Herrn Major und seinem Adjutanten Bourbon, mich zu verhören. Ich sagte ihnen ohne Verstellung den wahren Sachverhalt. Darauf bogen sie sich zurück. Am andern Morgen nahm sich die Frau des Gouverneurs die Mühe, uns zu besuchen. Nachdem sie uns ihre Teilnahme an unserem Mißgeschick bezeugt, sagte sie, es gebe nur ein Mittel, uns zu helfen; es liege an uns, wir müßten den Weisungen des Königs gehorchen und uns ‚unterrichten‘ lassen; sie schicke uns zu diesem Zwecke Väter der Gesellschaft Jesu. Ich erwiderte ihr, daß ich mich sattsam unterrichtet fühle, aber mich nicht weigern würde, die anzuhören, die mir die Ehre eines Besuches erweisen würden. Am Nachmittag dieses Tages besuchte uns Pater Dec, Rektor, begleitet von einem andern Jesuiten. Doch dies waren bloße Höflichkeiten. Er machte mir tausend Angebote seiner Dienste und bat mich, es freimütig zu sagen, wenn ich etwas aus seinem Hause oder von Ihren Büchern bedürfte. Da ich kein anderes Buch als unsere Psalmen bei mir trug und da ich mir vorgenommen hatte, mich so gut als möglich in seinen Geist zu versetzen, bat ich ihn, mir Thomas a Kempis‘ Buch Von der Nachfolge Christi zu schicken, was er tat, mit einigen andern Büchern, besonders der Auslegung des katholischen Glaubens von Herrn de Condom (dem berühmten Bossuet, damals Bischof von Meaux). -. Er besuchte mich wieder und fragte mich, welche Zweifel ich meiner Religion wegen haben könnte. Ich erwiderte, daß ich ihretwegen keine Zweifel hätte, vielmehr fest davon überzeugt sei daß sie die gute und wahre Religion sei. Er entgegnete, mein Gespräch zeige, daß ich voreingenommen sei.“ Wir sehen, Louis de Marolles stand von allem Anfang an unbeirrt zu seinem reformierten Glauben. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, sich der weiteren Verfolgung zu entziehen. Er hätte einfach, wie man es ihm nahegelegt zu haben scheint, erklären müssen, er befinde sich auf der Reise nach Straßburg – und nichts und niemand hätte ihn Lügen strafen können. Man würde ihn keineswegs weiter behelligt haben. Man wäre es zufrieden gewesen, ihn in die Champagne zurückzuschicken. Allein de Marolles verschmäht jeden Weg, der nicht grad, und jedes Wort, das nicht aus der Wahrheit ist. „Ich sagte ihnen ohne Verstellung den wahren Sachverhalt“ oder wie er es in einem andern Brief sagt: er erklärte aufrichtig, er beabsichtige, das Land zu verlassen, um in der Fremde die Freiheit zu suchen, Gott nach der Stimme seines Gewissens zu dienen. Diesem Gespräch folgte ein zweites mit einem Pater Robin über die Vollmacht der Kirche zur Auslegung der Heiligen Schrift. Louis de Marolles legte dar, daß sich die Heilige Schrift aus sich selber und durch die Grundsätze des gesunden Menschenverstandes erkläre. Man sprach weiterhin über die Konzilien und ihre angebliche Unfehlbarkeit. Man prüfte, was unter dem Wort Kirche zu verstehen sei, und stellte fest, die wahre Kirche, der Jesus Christus seine Gnade mitteilt, könne nicht aus Heuchlern und Gottlosen bestehen. Bei einem zweiten Besuch kam derselbe Pater auf das Schisma, die Kirchenspaltung, zu sprechen, das der Protestantismus verschuldet habe, und forderte, daß man eher alles leiden als der Kirche dies Ärgernis geben dürfe. Worauf Louis de Marolles erwiderte, wenn man zu einem Gottesdienst, von dem man nicht glauben könne, er sei Gott angenehm, gezwungen würde, dürfe man die Gemeinschaft mit denen, die einen zu diesem Gottesdienste nötigten, nicht mehr halten, und endlich seien sie, die Reformierten, durch Exkommunikationen durch Qualen und grausamen Tod aus der Gemeinschaft der Kirche verjagt worden. Ob der Pater glaube, daß die Siebentausend, die ihre Kniee vor Baal nicht gebeugt, sich von der wahren Kirche getrennt hätten, als sie sich auf die Seite des Propheten Elia gestellt? (1. Kön. 19, 18). Worauf Pater Robin sich in Schweigen hüllte und sich bald empfahl. Nicht minder unfruchtbar verlief ein späteres Gespräch in Gegenwart des Gouverneurs und seiner Gattin mit dem Pater Rektor und einem reformierten Pfarrer, der seinen Glauben abgeschworen hatte oder im Begriffe war, es zu tun (um seinen Abfall freilich zu beweinen, sobald er Frankreich verlassen hatte). Als Louis de Marolles Argumente aus der Werkstatt katholischer Theologen des frühen Mittelalters ins Feld führt, wird ihm kurzweg das Wort mit der Behauptung abgeschnitten, seine Aussagen seien nichts als Fabeln von Jean Claude (dem bestgehaßten Verteidiger des reformierten Glaubens im 17. Jahrhundert). „Als ich mich so behandelt sah“, fährt Louis de Marolles in der Erzählung dieses Gesprächs fort, „da wahrte ich strenge das Schweigen, das man mir auferlegte, und der Pater Rektor begann in den Büchern zu lesen, die er mitgebracht hatte. Und nach einer Vorlesung, die sehr lange dauerte, baten Herr und Frau Marquis de Chamilly Herrn S., den sie begleitenden reformierten Pfarrer, mir zu sagen, was er fühle. Aber er erwiderte weiter nichts, als daß er an unserm Unglück Anteil nehme. Darnach gingen sie alle weg, und seitdem hat mich der Pater Rektor nicht mehr besucht. Aber Pater Godinot ist, begleitet von einem andern, etliche Male gekommen. Als er mir in der ersten Unterredung einen Teil der Dinge sagte, die mir Pater Dez schon gesagt, gab ich ihm dieselben Antworten.“ Am 17. Januar 1686 wurde Louis de Marolles mit seiner Familie von Straßburg nach Chalons-sur-Marne übergeführt, wo er am 28. Januar in einem Karren ins Stadtgefängnis geführt wurde. Begleiter waren der Adjutant des Majors, Herr Bourbon, der sie sechs Wochen zuvor arretiert hatte, und ein weiterer Offizier mit fünf Reitern. Den ersten Besuch im Kerker von Chalons empfing Louis de Marolles vom Erbbischof von Chalons, Louis-Antoine de Noailles, dem späteren Erzbischof von Paris und Kardinal. Sobald er von seiner Gefangenschaft in Straßburg erfahren, hatte er sich beim Gouverneur von Straßburg zugunsten des Verhafteten verwendet, und jetzt, da er ihn im Gefängnis zu Chalons besuchte, versicherte er ihn, er würde, wenn er könnte, ihn unter seinem Mantel bergen. Louis-Antoine de Noailles war einer der wenigen Prälaten der römischen Kirche Frankreichs, die vom Verfolgungsgeist und Fanatismus freier waren als die Großzahl ihrer Amtsbrüder. Während der ersten vier Wochen seiner Kerkerhaft in Chalons genoß Louis de Marolles noch gewisse Freiheiten. Als man aber seine unerschütterliche Standhaftigkeit erkannt hatte, schloß man ihn wieder in einen Kerker ein und gestattete ihm fünfzehn Tage lang nicht mehr, irgend jemanden zu sehen. Am 9. März saßen die Richter von Chalons über Louis de Marolles zu Gericht in Befolgung eines Befehls vor, 4. Dezember 1685, den der Minister Marquis de Louvois zu Paris an den Intendanten der Champagne, Herrn von Mitomen, geschickt, worin letzterem von Seiner Majestät geboten war, dem Angeklagten nach der ganzen Strenge der königlichen Erlasse den Prozeß zu machen. Zugrunde lagen dem Prozeß das Verhör und die Aussagen der Zeugen vom 28. und 29. Januar 1686. „Wir erklären“, heißt es in der Abschrift des Urteils, „daß der besagte de Marolles angezeigt, betroffen und überführt worden ist, verhaftet worden zu sein im Augenblick, da er mit seiner Familie das Königreich verlassen wollte zum Nachteil der Erlasse und Erklärungen Seiner Majestät. Zur Sühne dessen haben wir verurteilt und verurteilen wir den besagten de Marolles, daß er dem König lebenslänglich auf seinen Galeeren als Sträfling diene und daß ihm seine Güter genommen und für den König eingezogen werden durch unser Urteil und unsere Entscheidung und von Rechts wegen, gefällt in der Kammer des Gerichts am 9. März 1686.“ Von diesem Urteil, das die Unterschrift von neun Richtern oder Ratsherren trägt, die alle zur Landvogtei von Chalons gehörten, wurde auch dem Verurteilten eine Abschrift übergeben, damit er über das Urteil nicht im ungewissen sei. – Es scheint, daß der Sergeant vergessen hatte, die Appellation des Angeklagten an das Parlament zu Paris bekanntzugeben, und daß er diesen Fehler erst nachträglich gutmachte, d. h. mit der Übersendung des Urteils auch die Appellation des Verurteilten nach Paris sandte. Es war an einem Samstag, daß man de Marolles in aller Feierlichkeit dies Urteil eröffnete. Am Montag darauf führte man den Verurteilten in einem Karren in Begleitung von drei Bogenschützen nach Paris. Außerhalb der Stadt stellte sich der jüngere seiner Söhne – der ältere war zurzeit nicht anwesend – an die Straße, um seinem Vater das Geleit in die Hauptstadt zu geben. Die Wächter des Zugs, denen man gewiß keine übertriebene Sentimentalität zutrauen wird zeigten doch so viel menschliches Mitgefühl, daß sie dem Jüngling erlaubten sich zu seinem Vater in den Karren zu setzen. Auch sonst erwiesen sie dem Gefangenen, vor dem sie Ehrfurcht empfanden, gewisse Nachsicht. So erklärten sie ihm, sie würden ihn nicht hart und streng bewachen; sie seien überzeugt, daß er keine Fluchtgedanken hege.
Nach viertägiger Fahrt übergaben am Donnerstag, dem 14. März, die drei Bogenschützen den Gefangenen der Conciergerie, wo er in eine Art Sammellager geführt wurde, wohin die Gefangenen gebracht wurden, ehe man über ihr Urteil im klaren war. Dem Sohn ward versprochen, daß er am nächsten Morgen bei seinem Vater wieder Zutritt finden werde. Allein als er sich meldete, ward ihm jede Verbindung mit dem Vater abgeschlagen. Dieser begann nun den ganzen Ernst des gegen ihn gefällten Spruchs zu kosten. Er erzählt davon in einem Briefe an einen ungenannten Freund, am 16. Mai 1686, zwei Tage nach der Bestätigung seines Urteils durch das Parlament von Paris: „Ich wurde in ein finsteres Loch der Conciergerie gelegt, in dem ich zwei Monate lang begraben lag. Seit dem Tage meiner Ankunft wurde ich zweimal vor den Herrn Generalprokurator geführt. Ich gab auf alles Antwort, was er mich fragte, was mir Jesus Christus nach seinen Verheißungen zu antworten eingab. Er besuchte mich noch einmal und gab mir das Zeugnis: es sei etwas Seltenes, mich für den Irrtum tun zu sehen, was vielleicht nicht einer von ihnen für die Wahrheit tun würde. Kurz darauf ließ mich der Erste Herr Präsident (des Parlaments von Paris) auf die ehrenvollste Art aus dem Gefängnis holen. Als ich in dem Zimmer war, in dem er mich erwartete, ließ er sein ganzes Gefolge, das aus sechs oder sieben Personen von Rang bestand, abtreten und ehrte mich durch eine zweistündige Unterredung unter vier Augen. Er bezeugte mir viel Güte und Zuneigung, mir zu dienen, und sobald er hinausgegangen war, sagte er zu seiner Begleitung (was mir einer meiner Freunde, der dabei gewesen war, erzählte): ‚Ich habe mich soeben mit einem redlichen Mann unterhalten!‘ Das sind ja freilich nur Worte; aber auch sie trösten noch. Ich empfing auch von Herrn de Meines, dem Präsidenten der Tourenelle, der Justizkammer, wo ich verurteilt wurde, viele Zeichen von Güte. Er sprach mit mir beim Eintritt in den Kerker und sagte nach einiger Unterhaltung, es schmerze ihn, mich hier zu sehen; er wünsche mir eine leichte Krankheit, damit er die Möglichkeit hätte, mich von hier wegzunehmen und ins Spital einzuweisen. Sooft ich ihn sprechen möchte, brauche ich es nur dem Gefängniswärter zu sagen, der ihn davon benachrichtigen würde, und er würde nicht säumen, in die Conciergerie zu kommen, um mich zu sehen. Alle diese Ehrerbietungen hatten ihre Absicht; aber sie waren, Gott sei Dank, nutzlos. Gott hatte mir ins Herz gegeben, ihm, wenn es nötig würde, bis zum Tode treu zu bleiben.“
Vom folgenden Tag, dem 17. Mai ist der nachfolgende Brief an seine Schwägerin datiert, der den vorigen ergänzt: „Ich bin zwei volle Monate mit sieben andern Unglücklichen, die zu den Galeeren oder zum Galgen oder Rad verurteilt waren, in einem so finsteren Loch gewesen, daß ich deren Angesicht nicht zu erkennen vermochte. Sie alle waren von Schnupfen und Entzündungen geplagt, und mich hat Gott vor all dem bewahrt, wiewohl ich alt bin und jene alle jung waren. Am elften dieses Monats wurde ich wider Erwarten (denn ich erwartete, daß man mich hier verfaulen ließe) aus meinem Kerker geholt und vor die Kriminalkammer geführt, um verurteilt zu werden. Der Präsident des Gerichtshofes, der an der Spitze meiner Richter saß, befahl mir, mich auf den Schemel zu setzen, und nahm mir den Eid ab, daß ich die Wahrheit sage. Ich gab auf alles, was er von mir zu wissen wünschte, Bescheid. Darauf ermahnte er mich und sagte zu mir, ich möchte ernsthaft an mich denken; nicht sie seien es, die mich richteten; die Weisung des Königs verfüge ausdrücklich meine Verurteilung. Ich dankte ihm für die Güte, die er mir bezeugte, und erklärte ihm, die Entscheidung bereite mir keine Mühe; mein Entschluß sei schon lange gefaßt; ich säße zu den Füßen des Gerichtshofes, bereit, die Leiden zu erdulden, zu denen zu verurteilen es ihm gefalle; wie sie auch sein würden, so würden sie doch weniger hart sein, als gegen die Erleuchtungen meines Gewissens zu handeln und als Heuchler zu leben. Man befahl mir darauf, mich zurückzuziehen, und ich wurde in die Finsternis meines Kerkers zurückgeführt. Ich erwartete nach dem Mittagessen, in die Tourenelle geführt zu werden; aber man verschob mein Urteil bis zum folgenden Dienstag, dem 14. Mai und drei oder vier Stunden nachher kam man, mich herauszuholen; man legte mir die Ketten an die Hände und führte mich in einer Karosse nach der Tourenelle. Der Gouverneur der Tourenelle, der wußte, wer ich war, und der auch über mein Vergehen unterrichtet war, ließ mich so milde behandeln, wie man an diesem Ort behandelt werden kann. Man begnügte sich, mir nur an einen Fuß eine Kette anzulegen. Aber am andern Morgen kam er, um mir zu sagen, er habe soeben Befehle erhalten, die ihn betrübten; der König erwarte, daß man mir die Kette um den Hals lege. Ich dankte ihm für die Güte, die er mir erwies, und erklärte ihm, ich sei bereit, die Befehle Seiner Majestät mit ehrfürchtigem Gehorsam zu befolgen. Ich legte meinen Hut ab, und man legte mir die Kette, die ich am Fuß trug, ab und legte mir eine andere an den Hals, deren Gewicht ich nicht geringer als 30 Pfund schätze. Das, liebe Schwester, ist der Stand und die Lage, welche die weise Vorsehung Gottes mit unter tausend andern, in die sie mich versetzen könnte, ausgewählt hat. Ich erwarte von seinem Erbarmen die Kraft und Standhaftigkeit, alles zu seinem Ruhme und für mein Heil zu leiden. Sorgt Euch nicht um mein Los, liebe Schwester, es ist glücklicher, als Ihr denkt. Weinet nicht über mich: weinet über so viel Unglückliche, die nicht so zufrieden leben wie ich. Gewährt mir die Hilfe Eurer Bitten: ich versichere Euch, daß ich Euch in den meinigen nicht vergesse.“
Den Grund der ungewöhnlichen Vertagung der Bestätigung des Urteils über de Marolles enthüllt uns ein Empfehlungsbrief, der von Paris aus an den Gouverneur von Toulon geschrieben wurde: das Urteil, das de Marolles zu den Galeeren verurteilte, sei vom Parlament von Paris bestätigt worden, aber so, daß es allen Richtern Mühe bereitet habe; der Erste Präsident und der Generalprokurator wollten dem König alle Umstände des Falles vorlegen und das Verdienst des Verurteilten; doch der König wollte keine Ausnahme bewilligen. Als 26. Galeerensträfling lag nun Louis de Marolles in der Tourenelle und harrte der Abreise der „Kette“ nach Marseille. Aber noch jetzt, da über ihm der Stab gebrochen war, fehlte es nicht an Versuchen, ihn in seiner Treue zu erschüttern. Personen von höchstem Rang bemühten sich in den höflichsten Formen einer sicher nicht nur erheuchelten Ehrerbietung vor dem Adel dieses wahrhaft adeligen Mannes um eine Wandlung seines Sinnes. Louis de Marolles erzählt davon in Briefen vom 24. und 27. Mai. Da trat z.B. der Generalprokonsul unter die zu den Galeeren Verurteilten und richtete das Wort besonders an ihn, mit Wendungen, die tiefes Mitempfinden mit seinem Geschicke ausdrückten, aber auch die Meinung, daß es nur Vorurteile seien, die de Marolles und seine Familie in diese Not geführt. Gewiß wäre er zu bedauern, erwiderte ihm der Gefangene, wenn die Voraussetzungen des Besuchers richtig wären: allein, wo es um das Heil der Seele gehe, müsse man alles, was nur das äußere Leben berühre, mißachten. Dieser Gedanke gebe ihm die Kraft, sein Leiden in Geduld zu tragen. Drei Tage später widerfuhr Louis de Marolles abermals die Ehre, daß ihn einer seiner Richter besuchte und ihn seiner Sympathie versicherte. Es war Herr Reynaud, einer der Räte der Tourenelle, der zur Rechten des Präsidenten saß. Nach seinem Besuche ließ er de Marolles in das Ratszimmer führen und empfing ihn, der die Kette am Hals trug, mit diesen Worten: „Unsere ganze Gesellschaft ist vom Elend, in das sie Sie gestoßen weiß, schmerzlich bewegt, und ich komme, Sie zu bitten, daß Sie sich selber daraus befreien. Wir wissen, Sie haben als Ehrenmann gelebt und sind von edler Geburt. Denken Sie an sich selber! Prüfen Sie sich sowohl nach den Gesetzen der Politik wie nach denen des Gewissens. Denn schließlich, ehe sieben oder acht Jahre um sind, wird von Ihrer Religion in Frankreich nicht mehr gesprochen werden. Von jetzt an gibt es strenge Gesetze gegen die Neubekehrten, die ihre Pflicht versäumen, und übrigens bestand Ihre Religion vor 130 Jahren noch nicht. Doch ich bin nicht da, um mit Ihnen hierüber zu disputieren. Sie wissen, daß sie im Reiche nur durch Duldung Bestand hatte und durch die Notwendigkeit, die Unruhen zu stillen. Es hängt nur von Ihnen ab, daß Sie höher steigen, als Sie je gewesen sind, und Ihrer Familie die Ruhe verschaffen können.“ -“Ich erwiderte, ich sei ihrer vornehmen Gesellschaft sehr erkenntlich, daß sie so gnädig über mich urteile, und für die Güte, die sie mir bezeuge, und ihm ganz besonders für die Beweise, die er mir von seinem Wohlwollen gebe; ich danke ihm für alles tausendfach, aber nichts werde je imstande sein, mich dahin zu bringen, etwas gegen mein Gewissen zu tun; ich hätte wenig Neigung zu den Annehmlichkeiten dieses Lebens; wenn ich wirklich irre und es Gott gefalle, mich daraus durch neue Erleuchtungen zu befreien werde ich nicht ermangeln, ihnen mit viel Eifer und Freude zu folgen mit dem einen Ziel der Ehre Gottes und Meines Heils.
Ich fügte noch bei, das Edikt von Nantes sei mehr zur Belohnung der guten Dienste gewährt worden, die König Heinrich IV. von den Reformierten empfangen habe, als zur Stillung der Unruhen, die damals aufgehört hatten, als die Waffen niedergelegt waren und der König friedlicher Besitzer der Krone geworden war. Über die Religion sagte ich nichts, da er mir gesagt hatte, er sei nicht gekommen, mit mir hierüber zu disputieren. Dieser vornehme Ratsherr ging bald nachher weg, indem er mich bat, ernstlich über das nachzudenken, was er mir gesagt hatte. Herr Roi sagte mir, als er mich wieder zurückführte, dieser Ratsherr sei als abgeordneter Kommissar der Kammer der Tourenelle gekommen, die noch keinen gesehen habe, der ihr so viel Mühe und Mitleiden verursacht wie ich.“
Aus dieser Zeit des Harrens gibt uns ein Brief von Louis de Marolles, datiert vom 2. Juli 1686, an Pierre Jurieu in Rotterdam Kunde. Pierre Jurieu war 1633 in Met, in der Diözese Blois, als Sohn eines reformierten Predigers geboren worden ; nach theologischen und philosophischen Studien in Sedan, Holland und England wirkte er als Pfarrer in Met, hernach in Vitry, wo ihn Louis de Marolles kennengelernt, dann als Professor in Sedan bis zur Aufhebung dieser Hochschule, von 1681 an als Pfarrer und später als Professor in Rotterdam, als streitbarer Verfechter der calvinischen Orthodoxie und Bekämpfer sowohl des Katholizismus wie der freigeistigen Philosophen. Die „Lettres pastorales“, die er zur Stärkung der Verfolgten und in ihrem Glauben unsicheren reformierten Brüder nach Frankreich schrieb, bilden eine Fundgrube für die Geschichte der Kirche unter dem Kreuz. „Die Art, wie ich leide“, schreibt de Marolles an Jurieu, „und der Umstand, daß mich Gott alle meine Nöte von der guten Seite aus sehen läßt, gibt mir die Gewißheit, daß er mir die Gnade schenken wird, ihm bis zum Tode treu zu sein. Ich richte meinen Blick nicht auf meine gegenwärtige Lage, die all denen, die sie sehen, mehr Mühe bereitet als mir selber. Ich richte mein Auge allein auf den Lohn, den Gott denen verheißt, die seinen Namen fürchten. Ich bin gewiß, daß die leichten Anfechtungen, mit denen er mich heimsuchen will, nach seinen göttlichen Verheißungen in mir ein ewiges Gewicht einer unvergänglichen Herrlichkeit schaffen werden (2. Kor. 4, 17). Ich tröste mich damit, daß die Leiden dieser Zeit der künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll, nicht wert sind (Röm. 8, 18). Ich vertraue auf das, was der heilige Jakobus sagt, daß der Mann, der die Anfechtung erduldet, selig ist, denn nachdem er bewährt worden, wird er die unzerstörbare Krone der Herrlichkeit und Unsterblichkeit empfangen, die Gott seinen Auserwählten aufbewahrt (Jak. 1, 12). Ich freue mich über das, was unser Heiland erklärt: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen leiden (Mt. 5, 10). So suche ich all meine Ehre und mein ganzes Glück darin, daß mich mein Erlöser nicht für unwürdig hält, für seinen Namen zu leiden. Ich baue auf den ewigen Felsen; auf ihn setze ich mein ganzes Vertrauen; nur von ihm erwarte ich Hilfe und Trost. Auf diesem sicheren Grunde, hoffe ich, werde nichts imstande sein mich zu erschüttern. Dies ist also meine gewöhnliche Beschäftigung, soweit sie der schändliche Ort, in dem ich eingeschlossen bin, erlaubt. Ich nenne ihn schändlich, weil man da kein ehrbares Wort hört: alles widerhallt hier von Zoten und verruchten Flüchen. Man macht hier so viel Lärm, des Tags und fast die ganze Nacht, daß ich früher kaum einen glücklichen Augenblick fand, um mein Herz zu Gott zu erheben. ich war so schlaftrunken, daß ich öfters einschlief, ehe ich mein Gebet vollendet hatte; wenn ich um drei oder vier Uhr morgens erwachte, gab ich mir Mühe, nicht wieder einzuschlafen, damit ich, während man noch im Schlafe lag, mit einiger Aufmerksamkeit Gott mein Lob darbringen konnte. Seit zehn oder zwölf Tagen habe ich dazu keine Freiheit mehr, denn wenn es schön ist, nimmt man die Kette (d. h. die Gesamtheit aller durch die selbe Kette verbundenen Galeerensträflinge) heraus und läßt sie während des Tages in einem Hof, ausgenommen unser sechs, die eingeschlossen bleiben. Einen Teil dieser Zeit widme ich der Lektüre, der stillen Betrachtung und dem Gebete, und ich nehme mir sogar die Freiheit, einige Psalmen zu singen, wie ich es an allen Orten meiner Gefangenschaft getan habe, ohne daß man sich darüber beklagt hätte. Hier einen Abriß unseres Elends. Wir schlafen 53 Mann in einem Raume, der nicht fünf Klafter lang und nicht breiter als anderthalb Klafter ist. Zu meiner Rechten liegt ein kranker Bauer, der sein Haupt gegen meine Füße hält und seine Füße gegen mein Haupt. So ist es auch bei den andern. Vielleicht gibt es keinen unter ihnen, der nicht manche Hunde und Pferde um ihr Los beneidet. Deshalb wünschen wir alle, daß die Kette bald abreise; man macht daraus uns gegenüber ein Geheimnis; doch wird sie, soweit wir es zu beurteilen vermögen, nächste Woche abreisen. Wir waren gestern unser 95 Verurteilte; aber an diesem Tag starben ihrer zwei und heute starb wieder einer. Wir haben noch fünfzehn oder sechzehn Kranke, und es sind wenige, die daran vorbeikommen. Ich hatte fünf Anfälle von dreitägigen Fiebern, doch habe ich mich, Gott sei Dank, wieder sehr gut erholt und bin gut imstande, die Fahrt nach Marseille zu machen. Wir werden in Burgund Brüder aufnehmen, die aus derselben Ursache gefesselt sind wie ich, der die Ehre hat, der erste zu sein, der vom Parlament zu Paris verurteilt wurde.“
Dieselbe zuversichtliche Ruhe, die dieser Brief atmet, spricht auch aus dem Briefe, mit dem Louis de Marolles lateinische Trostbriefe eines deutschen Pfarrers beantwortet: „Wenn ich der Barmherzigkeit Gottes gegen mich nachdenke, bin ich voll Bewunderung und erkenne klar die Geheimnisse der Vorsehung, die mich seit meiner Jugendzeit so gebildet hat, wie ich werden mußte, um zu leiden, was ich leide. Ich habe immer wenig Liebe zu den Dingen empfunden, welche die Kinder der Welt schätzen, und mehr Sorge um das, was die Seele, als was den Leib schmückt. Dennoch gestehe ich zu meiner Beschämung, daß ich Gott auch nicht so treu gedient habe, wie ich es hätte tun, und nicht so dankbar gewesen bin, wie ich es für so viele Gnaden und Guttaten, mit denen er mich überschüttet hat, hätte sein sollen. Ich habe wohl immer nach seiner Ehre und Wahrheit getrachtet, und diese heiligen Saaten, die in meinem Herzen zu bewahren er die Güte hatte, sind es, die in diesen Zeiten der Betrübnis angefangen haben, in mir die herrlichen Früchte zu reifen, deren Süße ich mit einer Freude auskoste, die ich Ihnen nicht sagen kann. Dieser gegenwärtige glückliche Zustand gibt mir die Gewißheit, daß Gott das Werk, das er in mir begonnen hat, vollenden wird, und ich glaube mit seinem treuen Apostel sagen zu dürfen: ich bin gewiß, daß weder Engel noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendein anderes Geschöpf mich zu scheiden vermag von der Liebe, die Gott mir in Jesus Christus, seinem Sohne, geoffenbart hat (Römer 8, 38 -39). Ich darf Ihnen, mein lieber Herr, aufrichtig sagen, daß die Kerker und dunkeln Löcher, die ich seit mehr als sechs Monaten erduldet, und die Kette, die ich gegenwärtig am Halse trage, fern davon, den heiligen Entschluß, den mir Gott ins Herz gelegt, zu erschüttern, mich nur darin bestärkt haben. Ich habe Gott in meinen Leiden ganz anders wieder gesucht, als ich es im irdischen Glück getan habe, und ich darf sagen: er hat sich finden lassen; er hat sich mir freundlich verbunden durch seinen süßen Trost. Mitten in den vergänglichen Anfechtungen, die ich nach seinem Willen leide, hat er mich die sicheren und wahren Güter kosten lassen. Die Leiden, die mir drohen, schrecken mich gar nicht; sind sie heftig, dann bin ich gar nicht imstande, ihnen lang zu widerstehen, und ein christlicher Tod wird mich darin zu einem seligen Ende führen; sind sie erträglich, dann hab‘ ich Grund, unseren Gott zu loben, der seine Milde und Güte mir weiterhin zuwendet. Diese Überlegungen bewirken, daß ich der Zukunft getrost und zuversichtlich entgegenschaue.“
Die hohen Würdenträger der römischen Kirche haben wohl empfunden, was die Standhaftigkeit dieses einen Gelehrten von Ruf für die Reformierten bedeutete, aber auch welch einen niederschmetternden Eindruck es auf seine Glaubensgenossen machen würde, wenn es gelänge, de Marolles in seiner Treue zu erschüttern. So ließen sie auch kein Mittel unversucht, dies Ziel zu erreichen. Noch in den Tagen des Juli 1686, wenige Wochen vor der Abfahrt der „Kette“, kam man auf ein Anerbieten zurück, das man ihm schon früher gemacht hatte, acht oder zehn Monate beim Bischof von Meaux zu verbringen, um sich in aller Stille und Ruhe „unterrichten“ zu lassen, wie man die Vorbereitungen zum Glaubenswechsel schonend zu nennen liebte, und die Folgen zu bedenken, die sein Schritt für seine Familie haben würde: Louis de Marolles lag in Ketten; ein Leben, das für einen feinfühligen Menschen wie Marolles einer irdischen Hölle gleichkam, stand als Gewißheit vor ihm. Die Freiheit und die Hingabe an seine ernsten wissenschaftlichen Studien waren verloren, Weib und Kinder einem ungewissen Schicksal voll Armut, Not und Leiden ausgeliefert! Wer konnte es ihm verargen, wenn er die Hand, die ihm das Tor zur Rückkehr in die Freiheit auftun wollte, nicht zurückwies? Doch Louis de Marolles bedarf keiner Bedenkzeit. Er hat die Hand an den Pflug gelegt und schaut nicht zurück. Lassen wir unseren Märtyrer selber erzählen, was für Versuchungen er standzuhalten hatte: „In der Tournelle, Mittwoch, 17. Juli 1686. Zehn oder zwölf Tage vor unserer Abreise aus der Tournelle besuchte mich ein Advokat des Gerichtshofs des Parlaments, begleitet von einer mir unbekannten Dame und Frau von Lemblin, die mir schon im Gefängnis an Chalons die Ehre des Besuchs erwiesen hatte. Sie versicherte mir unter Tränen, sie sei tief ergriffen über den Zustand, in dem sie mich erblicke, und wünsche von ganzem Herben, mich aus dem Elend, das ich leide, befreien zu können. Die Unterhaltung fiel auf das Anerbieten, Das mir einige Tage vorher gemacht worden war, zum Bischof von Meaux zu gehen, um mich ,unterweisen‘ zu lassen (so redet man heute). Der Advokat ergriff zuerst das Wort über diese Angelegenheit und wandte seine ganze Beredsamkeit auf, um zu beweisen, daß ich dies Anerbieten annehmen müsse, und sagte, er glaube nicht, daß ich beweiskräftige Gründe vorbringen könnte, mich davon zu entbinden. Als er seine Rede beendet und mir Gelegenheit gegeben, zu reden, erwiderte ich, daß ich mich durch die Gründe, die folgen, sehr wohl gegründet schätze, diese Partei zu ergreifen. Ich sagte, daß in den Zusammenkünften, die ich zu Straßburg mit den ehrwürdigen Vätern Jesuiten gehabt, diese mich in keiner Weise über das, was ich ihnen vorgehalten, befriedigt hätten, daß mir dieselben oder sehr ähnliche Antworten zu Chalons gegeben worden seien, daß dies mich zur Überzeugung bringe, überall dieselben Dinge zu hören, und daß, wie sie mich in diesem Autor nicht befriedigt hätten, sie mich auch anderswo nicht befriedigen würden, daß ich von der Wahrheit meines Glaubens, über die ich keine Zweifel hege, sehr stark überzeugt sei und fürchte, die Partei zu ergreifen, die man mir anerbiete, heiße Gott versuchen; daß ich anderseits in der Zeit von fast acht Monaten, die meine Gefangenschaft währe, mich an das Leiden gewöhnt habe; daß Gott mich dadurch habe Erkennen lassen, wie eitel dies Leben und alles Irdische sei; daß er dadurch die meisten Bande, die mich an die Welt fesselten, zerrissen und in mein Herz viel Abscheu vor der Welt und eine glühende Sehnsucht nach dem Himmel gelegt habe; daß ich das Gefühl habe, dieser Zustand sei glücklich genug, um ernstlich an seine Erhaltung zu denken… daß ich deshalb entschlossen sei meiner Berufung zu folgen und meine Tage im Leiden zu vollenden, wenn es Gottes Wille sei; daß Ich Übrigens die Erweise, die er mir von seiner Zuneigung und Güte gebe, mit vielem Dank annehme. – Seitdem hat er mich wiederholt besucht und immer kräftig betont, daß er vermöge, was er in die Wege leite. Das letztemal, da er mich sah, es war Montag, den 15. Juli 1686, sagte er zu Herrn Rou dem ersten unserer Wächter, er komme hierher auf Befehl des Herrn Generalprokurators. Und am andern Tage, dem 16. Juli erwies mir der Herr Generalprokurator die Ehre seines Besuchs und erklärte, er komme, einen Versuch zu machen, ob es vor unserer Abreise nach Marseille eine Möglichkeit gebe, mich von der, Kette‘ und aus dem Elend zu lösen, und fragte mich, ob ich meinen Sinn nicht Geändert habe. Und als ich ihm nach dem schuldigen Dank für seine Ehrerbietung erklärte, daß all meine Nöte die Haltung meines Herzens, geschweige meines Geistes, in keiner Weise gewandelt hätten, zog er sich zurück. -Die ,Kette‘ soll am nächsten Samstag, am 20. dieses Monats, aufbrechen.“
In den Wochen dieser Wartezeit wußte sich Louis de Marolles auch durch die Nähe seiner Gattin gestärkt. So oft sie konnte, kam sie vor die Tournelle und streckte ihre Hände durch das Gitterwerk seines Kerkers und wusch ihm die Wunden seiner Ketten mit Eau d’arbusquade cordiale. Eines Tages vernahm sie, die Kleriker hätten das Gerücht in Umlauf gesetzt, ihr Gatte habe den Verstand verloren. Ihre Absicht war ja einleuchtend genug; der Eindruck, den seine Standhaftigkeit im Volke bewirkte, sollte zerstört werden. Ohne Säumen tat sie diesen schmählichen Angriff ihrem Gatten kund. Und wie setzte sich der Verleumdete zur Wehr? Er stellte sogleich ein mathematisches Problem auf und ließ es den Gelehrten zur Lösung vorlegen, als einen kaum anzuzweifelnden Beweis seines noch ungetrübten Geistes. Endlich brach der Morgen an, der allen Bekehrungsversuchen der römischen Freunde und Feinde Louis de Marolles‘ ein Ende setzte, aber den edlen Dulder auch für immer von seiner Gattin und seinen Kindern schied. Es war an einem Samstag, dem 20. Juli da sich die Tore der Tourenelle auftaten. Je zu zweien durch eine Querkette verbunden, traten die Glieder der „Kette“ ins Licht des jungen Tages: durch einen Ring der Querkette lief eine zweite lange Kette, die alle Gefangenen zu einer unauflösbaren Schicksals- und Leidensgemeinschaft verband. Der Weg vom Kerker zum Boot auf der Seine war kurz. Um so erschütternder war der Abschied des Vaters von den Seinen. Zwar die Gattin war durch Krankheit und Kummer derart niedergeschlagen, daß sie diesem Abschied nicht beizuwohnen vermochte. Nur die Kinder waren zugegen und küßten den Vater in einer letzten Umarmung. Viel Volks stand am Wege, und es war mehr als gewöhnliche Neugierde, was ihrer viele bewegte. Da geschah es, daß ein Katholik, seines Berufes Kaufmann, sich einen Weg durch die Menge bahnte und Louis de Marolles, der aus besonderer Gunst am Ende des traurigen Zuges schritt, umarmte und ihm als Zeichen seiner Verehrung und Hilfsbereitschaft seine Börse zuschob. Dieser unbekannte Soldat aus dem Heere der mutigen Bekenner soll sich später mit seiner Frau nach London zurückgezogen und dort der Wahrheit die Ehre gegeben haben.
Von den Leiden der ersten Etappe seiner Fahrt erzählt Louis de Marolles in einem Brief vom 30. Juli 1686 an seinen Freund: „Unser Auszug ging nicht ab ohne unglaubliche Mühsal für mich. Ich verbarg den Zustand, in dem ich mich bei der Abreise befand, so gut als möglich. Donnerstag, den 18. July hatte ich Fieber gehabt, und am Freitag hielten sie noch an und wurden am Samstag noch heftiger. Ich brach in diesem Zustand auf, nachdem ich mich in den Willen Gottes ergeben hatte. Ich bin diese Fieber, die unablässig anhielten, noch nicht ganz los, und ich kann Ihnen sagen, daß sie mich bis an die Pforten des Todes geführt haben, aber der Herr hat mich durch seine Gnade daraus befreit, und heute bin ich außer Gefahr. Unser Herr Hauptmann hatte Mitleiden mit mir; am zweiten Tage ließ er mich aus der ,Kette‘ nehmen und hat mich immer in seinem Gemach gehalten oder bei sich in seinem Boote. Ich bekenne Ihnen, daß ich auf dieser Reise mir alles Guten bewußt geworden bin, das ich habe. Wie dem auch sei lieber Herr, preisen Sie mit mir Gott dafür, daß es ihm gefiel, mir eine so rasche Befreiung zu gewähren… Ich fühle meine Kräfte wiederkehren und hoffe, ich sei vor der Ankunft in Marseille vollkommen hergestellt.“ Einem zweiten, unmittelbar nach der Ankunft in Marseille geschriebenen Briefe vom 25. August entnehmen wir die nachfolgende Erwählung seiner Leiden: „Wie ich von Paris mit Fiebern abgereist bin, so haben sie mich bisher keineswegs losgelassen. Ich habe unvorstellbare Mühsale erduldet; zweimal stand ich vor dem Sterben. In diesem Zustand lag ich auf den Schiffsplanken, ohne Stroh unter mir und nur meinen Hut zum Kopfkissen. Als wir das Schiff verlassen hatten, war es noch viel schlimmer. Bis vierzehn Stunden im Tag wurden wir in einem Karren geschüttelt und durch das Stoßen des Karrens zermürbt, denn alle Wege hier sind nur Kieselsteine. Endlich, mein lieber und vollkommener Freund, nachdem mich Gott auf diese Weise geprüft und mir die notwendigste Hilfe verschafft, hat er mich mit wenig Fiebern, aber mit einer großen Schwäche hierher gebracht. Es ist ein Jammer, meine Magerkeit zu sehen, und was bei der Ankunft schrecklich war: man schickte mich, ohne meinen Zustand recht zu prüfen, auf die Galeere. Von zweien unserer Wächter, die mich stützten, wurde ich hingeführt, und wie ich da war, wurde ich wie die andern Sträflinge angekettet. Doch empfanden einige Offiziere, die unsere ,Kette‘ (d. h. den eben angekommenen Zug von neuen Sträflingen) sich anschauten, Mitleiden mit mir. Sie sprachen mit dem Herrn Major, der mich durch einen Chirurgen untersuchen ließ, auf dessen Bericht ich losgelöst und ins Spital geführt wurde, wo ich noch weile. Das ist ein schöner Ort, wunderbar gut geordnet. Ich lebe hier fast ganz auf meine Kosten. Man ist hier sehr gut bedient, und ich bin damit sehr zufrieden. Ich beginne wieder zu essen und meine Kräfte ganz sachte wieder zurückzugewinnen, und es besteht Hoffnung, daß ich mich mit Gottes Hilfe nach und nach wieder erholen werde. Ich weiß nicht, hat es Gott gefallen, die heißen Bitten, die ich im Hinblick auf den Erfolg der Reise von Versailles an ihn gerichtet habe, zu erfüllen, und ich warte voll Ungeduld auf neue Nachrichten.“ Louis de Marolles denkt dabei ohne Zweifel an die Flucht der Seinen aus Frankreich nach England. Aber noch in einem Briefe vom 30. September zittert die Sorge um die Seinen, über deren Schicksal er noch immer im ungewissen schwebte. Ungefähr drei Wochen lang war es ihm vergönnt, im Spital zu Marseille einer gewissen Ruhe und Stille zu genießen. Diese Tage waren besonders köstlich durch die Gegenwart eines Glaubensgenossen, Isaac Le Febvre, eines einstigen Advokaten des Pariser Parlaments. Auch Le Febvre war im Augenblick verhaftet worden, als er um seines Glaubens willen das Land verlassen und nach der Schweiz fliehen wollte. Mit der gleichen „Ketten“ wie Louis de Marolles wurde er nach Marseille geführt und später im Kerker St-Jean gefangengehalten, wo er in unerschütterter Glaubenstreue im Jahre 1702 starb. „Wir sind immer zusammen“, schreibt Louis de Marolles seiner Gattin am 15. September, „unsere Betten berühren sich, wir essen aus einem Topf. Man anerbietet uns täglich neue Hilfe, Herrn Febvre und mir. Ein gewisser Herr M…, Bankier, hat uns Geld angeboten, wenn wir solches nötig hätten. Herr Le F… hat auch zweimal geschrieben, um mir anzubieten; doch Gott sei Dank, wir brauchen noch keines. Herr P. verwaltet meinen kleinen Schatz. Er hat mir einen Verwalter gegeben im Spital, der alles, was ich brauche, einkauft und mit Herrn P… abrechnet. So siehst du, mein liebes Herz, daß ich keine andere Sorge habe, als Gott zu bitten und gut zu essen und zu trinken. Möge dies Dich freuen und Grund bilden, Dich über meinen Zustand nicht zu grämen; denn er ist süß durch Gottes Gnade. Ich muß Dir auch noch sagen, daß ich, auf Grund eines Besuchs, der kurz nach unserer Ankunft hier gemacht wurde, für krank erklärt wurde wegen der Beschwerden, denen ich, wie Du weißt, unterworfen bin. Herr de Seignelai hat vor acht oder zehn Tagen 300 Begnadigungen für die Galeerensträflinge geschickt.“
Diese Tage erquickender Stille und Gemeinschaft mit dem Glaubensgenossen waren jedoch von kurzer Dauer. Ende September holte man die beiden Freunde aus dem Spital und trennte sie, indem man Louis de Marolles auf die Galeere „La vidle St-Je an“, Le Febvre aber auf die Galeere „La Reale“ später auf die „ Magnifique“ überführte. Das bedeutete indessen keineswegs, daß sie schon zum harten Rudererdienst verwendet worden wären. Die Galeere, auf die Louis De Marolles gebracht wurde, mochte vorerst die Rolle eines Sammel- und Siebungslagers spielen. Die Kerker und Galeeren waren derart mit den Opfern der Verfolgung überfüllt, daß sich die Regierung genötigt sah, kranke und schwache, zum Ruderdienst unfähige Leute durch Deportation nach der Neuen Welt abzuschieben, wobei man über den allfälligen Verlust solcher Menschenfracht durch Schiffbruch und Unwetter keineswegs untröstlich war. Von solchem Geschicke war auch Louis de Marolles bedroht. Er berichtet in Briefen vom 23. und 30. September 1686: „Nächste Woche werden 150 kranke Sträflinge nach Amerika eingeschifft. Ich war unter ihre Zahl gesetzt. Doch einer meiner Freunde hat dem Herrn Intendanten dargelegt, daß ich von drei tödlichen Krankheiten, die ich seit meiner Abreise von der Tourenelle durchgemacht, noch nicht genesen sei. So sagt er seinem Sohn… Die Gnade, die man mir gewährt, besteht darin, daß man mich für eine zweite Einschiffung aufspart, die gegen Ende des Novembers vorgenommen wird. Der Vorteil dieser Verzögerung liegt für mich darin, daß der, welcher für mich Fürsprache eingelegt, beim Intendanten über das Ziel des Schiffes sprach, In dem ich die Reise machen soll. Fürchten Sie mein Herr, nicht, daß dies meine Festigkeit erschüttern könnte Gott hat sie durch seine Gnade zu fest gegründet; ich darf Sie ernsthaft versichern, daß ich diese Nachrichten mir ebenso ruhig anhören werde, wie ich sie jetzt empfinde. Was liegt daran, ob ich auf dem Festland oder auf dem Meer sterbe, ob in Europa oder in Amerika? Ich bin gewiß, daß jedes Sterben der Kinder Gottes vor seinen Augen köstlich ist. Es scheint mir sogar, daß mein Ende ruhmvoller und erbaulicher ist, wenn es während meiner Gefangenschaft eintritt. Ich bin vollkommen in den Willen Gottes ergeben. Ich bin gewiß, daß alle Lagen, in die es ihm mich zu führen gefällt, von ihm bestimmt sind und in denen ich nach seinem Urteil ihn besser ehren werde als in unendlich vielen andern, die er mir schicken könnte.“ Von seinem Tun und Lassen, seinen kleinen Freuden und großen Leiden in diesen Wochen, da er auf der Galeere das Los abwartet, das ihm bestimmt war, geben uns die Briefe an seine Gattin ein anschauliches Bild. In einem Briefe vom 23. September unterhält und tröstet er sie mit der Schilderung der kleinen Dinge seines Alltags: „Zur Zeit bin ich ganz allein. Das Essen bringt man mir von auswärts, Fleisch und Brot für neun Sos im Tag. Der Wein wird mir in der Galeere umsonst geliefert mit dem Brot des Königs. Der mir den Wein besorgt, ißt mit mir; es ist ein sehr ehrbarer Mann. Jedermann auf der Galeere erweist mir Freundlichkeit, weil sie sehen, daß mich die Offiziere besuchen. Ich lasse mir heute ein Schultertuch machen. Ich werde Tuch kaufen und es so machen lassen, daß ich mich wohl fühle. Du sagst vielleicht, ich sei wenig haushälterisch; aber es war mühsam, auf dem Harten zu liegen seit letzten Dienstag bis heute. Wenn Du mich In meinen hübschen Sträflingskleidern sehen würdest, Du wärest entzückt. Ich habe ein schönes rotes Überhemd, wie die Blusen, welche die Fahrleute in den Ardennen tragen. Man trägt es wie ein Hemd, denn es ist nur vorn halb offen. Dann habe ich noch eine schöne rote Mütze, zwei Hosen und zwei Hemden aus fingerdickem Leinen und tuchene Strümpfe. Die Kleider aus der Zeit meiner Freiheit sind keineswegs verloren, und gefällt es dem König, mich zu begnadigen, dann werde ich sie wieder erhalten. Wir haben von allen Galeeren den nettesten Patron. Er behandelt mich mit jeder Art von Höflichkeit. Er stellt mich an den Platz der Galeere, wo ich will, und hat mir versprochen, wenn es kalt wird, mich in seine Kammer zu legen. Mögen all diese Hilfen, die mir Gott schickt, Dich trösten und erfreuen! Ich bin hier schon so eingewöhnt, wie wenn ich meiner Lebtag hier geweilt hatte… Ich hab’s hier besser als im Spital. Man atmet eine gute Luft, weil es hier keine Kranken und keine üblen Gerüche gibt.“ In dieser Art fährt er fort in einem zweiten Brief an seine Gattin vom 6. Oktober: „Ich würde sehr ungehalten sein, müßte ich länger im Spital bleiben. Die verdorbene Luft, die man da einatmet, würde mich vielleicht wieder heruntergebracht haben, und hier bin ich in einer sehr gesunden Luft. Ich bin ungleich stärker als bei meinem Eintritt. Ich schreibe Dir das im Ernst und verberge Dir nichts. Um Dir Beweise dafür zu geben, will ich Dir sagen, was Dir Kummer statt Freude bereiten wird, denn die Erinnerung an überstandene Übel ist lieblich. Ich sage Dir aufrichtig, das Eisen, das ich am Fuß trage, wiewohl es nur drei Pfund schwer ist, hat mich anfänglich weit mehr gehindert als die Kette, die Du in der Tourenelle an meinem Halse sahst. Das kam nur von der großen Magerkeit, in der ich mich befand; aber jetzt habe ich meine Wohlbeleibtheit beinahe wieder gewonnen, jetzt ist s nicht mehr so (nämlich die Hinderung durch die Fesseln), denn man lernt täglich, sie in die Lage zu bringen, die am wenigsten belästigt.“ Was aus ihm würde, lag freilich immer noch dunkel vor ihm; aber er verzichtete in seiner getrosten Gelassenheit darauf, das Geheimnis seines künftigen Geschicks ergründen zu wollen. Sorge bereitet ihm nur der Gedanke an seine Gattin, der er das ihm vielleicht drohende Geschick gern verschwiegen hätte.
„Hüten Sie sich“, mahnt er in einem Briefe seinen Sohn, „Ihrer Mutter etwas von der Einschiffung nach Amerika zu sagen.“ Hingegen bittet er ihn dringend um Nachrichten über die Auswanderung der Seinen aus Frankreich. „Ich bitte Gott aus tiefstem Herzen, daß er Euch ein glückliches Ende dieser Sache schenke.“ Der nächste Brief an die Gattin, vom 24. Oktober, erzählt von einer ernsten Wendung in seinem eigenen und in des Freundes Geschicke: „Du darfst Dich über mich gar nicht beunruhigen; ich befinde mich gegenwärtig in voller Gesundheit. Um Dich völlig zu überzeugen, daß ich Dir nichts von meiner Lage verhehle, teile ich Dir mit, daß Herr Le Febvre und ich nicht mehr los gekettet sind, am Tage weniger als des Nachts, und daß wir nicht mehr ans Land gehen dürfen, daß wir keine Briefe mehr empfangen und keine mehr schreiben, die nicht gelesen werden. Deswegen findest Du in den meinen keine Kleinigkeiten mehr, mit denen ich Deinen Kummer zu zerstreuen suchte; ängstige Dich darüber nicht und miß dem nichts bei. Herr Le Febvre hatte die Ehre, vor dem Herrn Bischof von Marseille zu erscheinen, und eben zu dieser Zeit sagte man uns, Es seien vom Hofe Weisungen gekommen, uns einzuschränken, wie ich es Dir eben erwähnt habe. Ich hatte in kurzer Zeit verschiedene Stadien durchgemacht. In einer einzigen Woche habe ich dreimal die Galeere gewechselt, aus der, Grande St -Jean‘ bin ich in die ,Kleine‘ gekommen, aus der, Kleinen in die, Große Königliche‘, da die Krankheit, die man im Spital an mir fand, sich gehoben hat, wiewohl ich zunächst noch recht schwach bin. Hier bin ich zwei oder drei Tage geblieben; von da wurde ich mit einigen Sträflingen in den Park geführt, den Ort, wo man die Zuteilung vornimmt. Schließlich bin ich in eine bewaffnete Galeere eingetreten, welche die ,Fiere‘, die ,Kühne‘, heißt. Der Herr Intendant hat mir gesagt, ich müsse mich bereit halten für eine zweite Einschiffung nach Amerika, die gegen Mitte des nächsten Wintermonats vollzogen werde. Wenn ich zu diesen wähle, laß es Dich nicht betrüben, mein liebes Kind. Wir wollen auf die Vorsehung Gottes vertrauen, der alle Dinge für seine Kinder mit einer unendlichen Weisheit und großen Güte lenkt. Wir sind nicht imstande, eine gute Wahl zu treffen, denn wir wissen nicht, was für uns besser ist. Wir wollen darum den walten lassen, der da weiß das Licht aus der Finsternis aufleuchten zu lassen und die Dinge, die nicht sind, zu rufen, als wären sie. Wir wollen gewiß sein: er tut alles zu seiner Ehre und für unser Heil. Wir wollen uns seinem Willen nicht mit Ungeduld und eitlen Tränen widersetzen. Wir können ihn nicht kennen, diesen göttlichen Willen, aber er erscheint uns klar in seinen Wirkungen. Unsere Trennung, mag sie im Blick auf sie selber die grausamste Sache der Welt sein, sie ist es nicht im Blick auf den Willen Gottes… Diese Gedanken, meine liebe Frau, halten mich aufrecht und helfen mir, alles Elend ohne großen Kummer zu ertragen. Glaube, was ich Dir sage, und übe es. Ängstige Dich nicht um mich; alle Wendungen meines Geschicks führen immer vom Schlimmen zum Besseren. Ich beteure Dir, ich habe mich noch nie so wohl gefühlt wie jetzt. Es gibt auf der Proue zwei kleine Kämmerchen, von denen ich das eine bewohne. Ein junger Offizier, den ich in der Algebra unterrichte, hat mir diesen Vorteil verschafft. Vor vier oder fünf Tagen erwies mir ein Chef der Einheit, namens Herr de J . . ., die Ehre seines Besuchs. Vielleicht würde ich dieselbe Ehre vom ersten Chef erfahren haben, wäre er nicht abwesend. Dies verschafft mir Ansehen bei den Unteroffizieren unserer Galeere. Möge Dir dies ein Trost sein!“
Seine Gattin hatte nach ihrer Verhaftung in Straßburg in menschlicher Schwachheit ihren Glauben abgeschworen. Von Paris aus gelang es ihr, mit drei Kindern nach Holland zu fliehen. Am 13. Oktober 1686 wurde sie von der reformierten Gemeinde im Haag wieder in den Frieden der Kirche Gottes aufgenommen, nachdem sie unter Tränen ein Bekenntnis ihres Abfalls abgelegt und gelobt, künftig in der Furcht Gottes zu leben. Louis de Marolles aber, als ihn nach Jahr und Tag die Kunde erreicht, daß die Seinen in der Fremde ein schützendes Asyl gefunden, wo sie frei ihres Glaubens leben durften, schrieb einem seiner Freunde, dem Leidensgefährten Pierre Butand de Lensonniere in diesem Augenblick habe er weder Ketten noch Schmerzen mehr gefühlt. Ich fand mich in dem Zustande, da ich glaubte, ich hätte von Gott nichts mehr zu erbitten, und wenn ich unter dem Kreuz sterbe, so werde ich getrost und zufrieden aus dieser Welt gehen.“ In einem Briefe vom 26. November, an Bord der Galeere „La Fiere“, schreibt de Marolles an seine Gattin: „Durch Gottes Güte bin ich immer noch aufrecht und hoffe, auszuharren und ihm bis zum Tode treu zu bleiben und von ihm als Lohn die Krone des Lebens zu empfangen. Ob Dir zu schreiben auch einige Gefahr in sich schließt, will ich doch nicht davon ablassen, es zu tun, soweit mir Gott Gelegenheit gibt. Das ist ja das einzige Gut, das uns in unserer traurigen Trennung bleibt, daß wir uns miteinander unterhalten können und daß eines das andere trösten darf. – Wenn die Briefe, die ich Dir schreibe, entdeckt werden und man sie mir als Verbrechen anrechnet, dann ist das ein Verbrechen, das ich mit Freude und Ehre vor allen denen gestehen werde, die mich deswegen zur Rede stellen. Ich kann mir nicht denken, daß ein gerecht empfindender Geist einen Gatten für schlecht halten und tadeln kann, der seine Frau in Lagen zu trösten versucht, die ebenso traurig sind wie die, in die es Gott gefallen hat, ihn selber zu führen. – Indessen wollen wir das eine wie das andere alles mit christlicher Weisheit tun, so daß wir denen, die nur nach Gelegenheiten ausschauen, keine Beute geben und uns im übrigen auf die Vorsehung Gottes verlassen, deren besondere Güte wir täglich erfahren. – Ich kann Dir in Wahrheit sagen, daß wenig Nächte dahingehen, da ich mein Lager nicht mit Tränen netze. Ich sage Dir dies nicht, um Dich zu betrüben; im Gegenteil, ich behaupte, daß diese Mitteilung für Dich ein Grund der Freude und eine heilige Gelegenheit ist, Gott mit mir dafür zu preisen. Denn diese Tränen werden nicht durch die Traurigkeit der Welt geschaffen, die nur den Tod wirkt, sondern durch die Gnade Gottes. – Ich sehe auch mit einer unendlichen Freude das Opfer, das Du Gott mit den Gütern gebracht hast, die er Dir und mir gab. Du hättest Dich ihrer freuen können, wenn Du das Herz nach dieser Seite gewandt hättest. Doch Du hast Dir damit einen Schatz im Himmel erworben, wo der Rost und die Motten nichts verderben. Dieser Schatz wird Dir und unseren Kindern künftig zu einem festen Grund des ewigen Lebens dienen. Die köstliche Freiheit, Gott zu dienen, erschien Dir als größerer Preis denn alle Reichtümer dieser Welt. Du hast wie Maria das gute Teil erwählt, und das wird nicht von Dir genommen werden. Ich gestehe Dir, meine Liebste, Du hättest keine Wahl treffen können, die mir besser gefallen hätte. Ich lobe Gott mit allen Kräften meiner Seele, daß er mich mit einer wahrhaft christlichen Frau verbunden hat, die in meiner Abwesenheit alles tut, um meine Kinder zu lehren, Christen zu sein.“
Im Laufe des Dezembers widerfuhr unserm Märtyrer zu wiederholten Malen die Ehre, daß der Bischof von Marseille und andere hohe Geistliche sich mit ihm besprachen. Louis de Marolles selber wie seine Freunde konnten sich von dieser Gunst wenig Gutes versprechen, wußten sie doch, daß sie oft genug nur eine Verschärfung der Bewachung und noch peinlichere Strafen zeitigte, wie es Isaac Le Febvre schmerzlich erfahren hatte. Louis de Marolles erwählt seiner Gattin in einem Briefe vom 20. Januar 1687 von diesen Folgen für seinen Freund und im weiteren von seinem eigenen, bis jetzt erträglichen Leben: „All das (was gerüchteweise über ihn erwählt wird) ist falsch, ausgenommen zwei Dinge, die Du mich fragst, nämlich daß ich seit mehr als drei Monaten Tag und Nacht an die Kette gebunden und daß ich ihrer nur entledigt worden bin, wenn ich zum Bischof von Marseille geführt wurde. Ich versichere Dir, daß noch niemand befohlen hat, mich zur Arbeit des Ruderns zu verwenden. Preise darum Gott mit mir, daß er mich so gütig behandelt; Bitt ihn, daß sich, solang es ihm gefällt, daß ich leiden soll, meine Lage nicht verschlimmere. Ich versichere Dir, ich bin nicht so tief zu beklagen, wie Du Dir einbildest, und die Zeit wird mir recht wenig lang; kaum hat die Woche begonnen, so stehe ich schon wieder an ihrem Ende. Wenn ich aufgestanden bin, lese ich nach meinem Morgengebete sechs, sieben oder acht Kapitel der Heiligen Schrift und stelle Betrachtungen an, soweit ich fähig bin, es zu tun. Ich schöpfe aus dieser göttlichen Quelle allen Trost, den ich nötig habe.“
„Der gute Herr Le Febvre, der liebe Gefährte meiner Fesseln, ist seit einem Monat aus der ,Magnifique‘ weggeholt, auf der er drei Monate gewesen, und auf die ,Grande Royale‘ gebracht worden, wo man ihm Handschellen und zwei Fußketten angelegt hat. Dieser traurige Zustand hat indessen nicht lange angedauert. Ein Sträfling von unserer Galeere war vorgestern auf jener, auf der er weilt, und hat mir bei seiner Rückkehr berichtet, daß er nur noch des Nachts Ketten und keine Handschellen mehr trage. Es würde schwer sein, das Geheimnis all dieser Wechsel zu ergründen.“ „Ich gestehe Dir offen, mein liebes Kind, ich fürchtete, das Ende der Aussprachen, die ich beim Herrn Bischof von Marseille gehabt habe, bringe mich in dieselbe Lage (wie Le Febvre). Doch meine Furcht ist verschwunden, und sie (d. h. die Aussprachen) haben so glücklich geendet, wie ich es nur wünschen konnte. Ich habe den Rat des heiligen Petrus befolgt: ich habe in Sanftmut und Ehrerbietung Rechenschaft von der Hoffnung gegeben, die in mir ist (1. Petri 3, 15. 16). Ich hatte die Ehren mehr als einmal mit diesem angesehenen Prälaten zu sprechen. Aber das gewichtigste (Gespräch) war zwischen einem Theologen, der aus Paris gekommen war, und mir. Vergangenen Dienstag, den 7. dieses Monats, war ich zum letztenmal dort (beim Bischof). Nachdem ich diesem Feldgeistlichen bezeugt, ich könne mich mit den Antworten nicht zufrieden geben, die er auf das, was ich vorbringe, gebe, schieden wir als gute Freunde. Als ich unten war, begehrte ich, dem Herrn Bischof meine Ehrerbietung zu bezeigen. Man sagte mir, er wäre in der Messe; wenn Ich warten wolle, würde er nicht säumen, zurückzukommen. Ich bat einen unserer Patrons, die mich begleiteten, um Erlaubnis, die er mir gewährte. Ich hatte die Ehre, mit ihm (dem Bischof) zu sprechen. Er ließ mich in seine Zimmer hinaufsteigen; es kamen mehrere Geistliche mit uns, und nachdem ich ihm gesagt, sein Herr Feldprediger und ich hätten unsere Unterhaltungen beendigt, dank ich ihm für die Güte und Liebe, die er mir mit dieser Zusammenkunft bezeugt, und versicherte ihn, daß ich dafür immer dankbar bleiben werde. Er antwortete mir auf die verbindlichste Weise der Welt: es sei ihm leid, daß er mich nicht habe katholisch machen können; was man für mich noch tun könne, sei Gott für mich zu bitten. Als ich ihn verließ, sagte er noch, er werde mir gern dienen, wenn sich die Gelegenheit biete. Ich glaube, Du wirst zufrieden sein, diese kleine Einzelheit zu erfahren.“ „Mein Papier wird voll und ich sehe, daß Ich Dir noch eine große Rechenschaft zu geben habe. Ich bin in einem Ende der der Galeere untergebracht, das man die Proue nennt, in einem Kämmerchen, das sieben oder acht Fuß im Quadrat mißt. Sein Geschoß ist so niedrig, daß ich darin nicht aufrecht stehen kann. Wir schlafen hier gewöhnlich unser vier, zwei Sträflinge und zwei Sklaven. Gewöhnlich stelle ich zwei oder dreimal in der Woche den Kochtopf aufs Feuer. Er (d. h. sein Inhalt) besteht aus fünf Carterons Schaffleisch. Das macht nicht ganz fünf Pfund unseres Landes. Man sieht hier wenig Rind und fast kein Kalbfleisch. Wir essen den Topf gemeinsam, der Sträfling und ich, wiewohl ich ihn allein bezahle; aber er leistet mir dafür sonst genügsam Dienste. Das Brot ist hier teuer; manchmal habe ich dasjenige des Königs gegessen (d. h, die Ration, die den Sträflingen auf Weisung des Königs zugeteilt wird). Von der andern Kost, die der König den Sträflingen gibt, die für die ganze Zeit und für jeden Tag in einem guten halben Napf in Öl gekochten Bohnen besteht, esse ich nichts. So besteht meine Mahlzeit meistens aus Brot, zu dem ich seit einiger Zeit getrocknete Trauben füge, von denen mich das Pfund 18 Deniers kostet, und dies reicht mir für drei oder vier Mahlseiten. Seit zehn Tagen trinke ich nur Wasser und fühle mich wohl dabei. Die hiesigen Weine sind so stark, daß ich finde, sie bilden viel Harngrieß. Ich schlafe auf einer Galeerenmatratze, die man Strapontin nennt. Sie besteht aus drei oder vier Regenmänteln wie man sie hier trägt. Ich habe sie von einem Sträfling von unserer Ruderbank, der mit der ersten Überfahrt nach Amerika verreiste; sie hat mich vier und einen halben Sos gekostet. Seit einem Monat habe ich angefangen, ohne die Kleider in den Bettüchern zu schlafen. Wenn die Kälte, die wir sehr empfindlich spüren, stärker wird, werde ich wieder in meinen Kleidern schlafen. Man hat mir eine Decke gegeben, die mir mit meinem Mantel zusammen als Bettdecke dient. Ich habe auch Kohlen gekauft, die sehr teuer sind, und mache in meinem Gemach etwas Feuer an. Unsere Offiziere kommen, sich zu wärmen und mit mir an meinem Feuer zu plaudern. Ich höre die, welche das Kommando über die Sträflinge haben, und erfahre täglich Ehrenbezeugungen von ihnen. Man hat den Offizieren anderer Galeeren, die mich besuchen wollten, den Zugang zu unserer Galeere verweigert.“
„Die zweite Einschiffung für Amerika ist fertig; doch liegt das Schiff noch im Hafen. Offenbar denkt man nicht mehr daran, mich zu verschicken. Hier langte zu Anfang des letzten Monats eine ,Kette‘ an von 150 Mann , ohne die dreiunddreißig, die unterwegs starben.“ „Ich zerstreue mich nach meiner Andacht am Morgen und Nachmittag bald mit Algebra, bald mit Geometrie. Man hat mir gesagt, es sei in dieser Stadt ein Mann, der seinen Ehrgeiz an die Algebra setze; wenn dies stimmt, könnten wir uns gegenseitig ein wenig unterrichten; doch seit fünf oder sechs Wochen ist er nach Paris verreist.“
„Zeige diesen Brief nicht jedem ersten besten, der vielen Nichtigkeiten wegen, die er enthält, mit denen ich Dich zufriedenstellen mußte.“ Die gefürchteten schlimmen Folgen dieser Gespräche, die über die wahre Gesinnung des Dulders keine Zweifel offen lassen konnten, ließen nicht allzu lange auf sich warten. Nach etwa sechs Wochen wurde Louis de Marolles aus der Galeere in eine Art Kerker, den man eigens für ihn in der Zitadelle von Marseille eingerichtet hatte, übergeführt. Alle diese Weisungen kamen vom Hof, wo man sich keine Mühe verdrießen ließ, diesen unbequemen Zeugen des reformierten Glaubens, auf den so viele blickten, in Bewunderung die einen, voll Haß die andern, durch immer neue Listen und Machenschaften in seiner Standhaftigkeit zu erschüttern. So streng war die Kerkerhaft, in der Louis de Marolles gehalten wurde, so scharf die Bewachung und Trennung von der Umwelt, daß es dem Eingekerkerten nicht gelingen wollte, seiner Gattin ein neues Lebenszeichen und eine Andeutung seiner neuen Leiden zu geben, ehe sieben Monate vergangen waren. Und auch dann noch mußte er sehr vorsichtig zu Werke gehen. Der Brief vom 25. Oktober, in dem es ihm gelang, seiner Gefährtin Kunde von sich zu geben, steht unter der Verfasserschaft einer dritten Person, die Frau de Marolles vom Leiden ihres Gatten berichtet. Der erste Biograph Louis de Marolles‘ aber versichert uns daß dieser Brief von dessen eigener Hand geschrieben sei.
„Sie wünschen, Nachrichten über Ihren Gatten zu erfahren. Hier das, was das Gerücht der Stadt uns meldet. Am letzten 12. Februar wurde er aus der Galeere geholt und in die Zitadelle gelegt. Er ist in einem kleinen Gemache untergebracht, das einem Soldaten als Wohnung gedient hat. Aber man hat darin so viel geändert, daß jetzt das stärkste Licht, das es hat, durch den Kamin kommt. Der König gibt ihm täglich fünf Sous Unterhalt. Davon lebt er. Der Herr Major ist mit seiner Bewachung betraut; um seiner sicher zu sein, stellt er Tag und Nacht eine Wache vor die erste Türe des Gemachs und eine zweite oben beim Kamin. Es heißt, er langweile sich nicht und dulde sein Schicksal sehr geduldig.“
Wir wissen nicht, ob ein auch noch so leises Echo auf diesen Brief in die Tiefe seines Kerkers drang. Seinem ersten Biographen, der alles, wessen er an Äußerungen und Briefen von Louis de Marolles habhaft werden konnte, mit rührender Sorgfalt aufbewahrt hat, ist aus den Jahren 1687 bis 1691 nur ein einziges, undatiertes Blatt bekannt, mit dem der lebendig Begrabene mit zitternder Hand einem andern tapferen Bekenner für ein Zeichen seiner Sympathie dankt: „Ich vermag Ihnen, mein lieber und verehrter Freund, nicht auszudrücken, wie angenehm mir die Dinge waren, die Sie mir sagten und noch sagen. Sie haben meine Wünsche völlig gestillt. Ich lobe den Herrn dafür, daß er meine Bitten erhört hat die ich Ihm für Ihre Wiederherstellung vorgebracht habe. Nur mit schmerzlichem Empfinden habe ich die Nachricht von allem, was Sie leiden, vernommen, und unsere Brüder mit uns. Trösten wir uns alle über diesen Grund unserer Leiden. Halten wir die Belohnungen, die uns Gott bewahrt, immer vor Augen. Bleiben wir gewiß, daß alles, was wir leiden, ein sicheres Zeichen dafür ist, daß unsere Namen im Buche des Lebens eingeschrieben sind… Ich habe nicht Zeit, mehr darüber zu sagen. Ich bin unzufrieden darüber, daß man sich bemühte, mir eine Pension zuzuwenden. Schreiben Sie, daß man sich nicht mehr dafür einsetzt. Ich bin es zufrieden, von Brot und Wasser zu leben.“ Wie wir aus diesen Zeilen sehen, bemühten sich die Freunde, wenn auch sehr gegen den Willen des stillen Dulders, der mit der Welt abgeschlossen hatte, wenigstens seine äußere Lage zu erleichtern. Umsonst. Ihre Bemühungen scheiterten an der Hartherzigkeit seiner Peiniger. Louis de Marolles, der von diesen Anstrengungen hörte, dankt in einem Billet vom 31. August 1691. Fast nur nebenhin enthüllt er das Elend, in dem er lebt. Voran steht sein tiefer Dank für den Trost der Fürbitte der Freunde: „Ich bekenne mit Ihnen, daß Herr Le Febvre ein ausgezeichneter Mann ist. Er schreibt als vollendeter Theologe, was um so höher zu schätzen ist, als er das, was er sagt, auch übt. Möge der Herr ihn segnen, bewahren und stärken! Und Sie und er, Sie sind mir ein kostbarer Trost! Ich danke Ihnen, jedem einzelnen, für die Ermutigungen, die Sie mir geben. Möge der Herr mir die Gnade schenken, daraus Meinen Gewinn zu ziehen. Möge der Ewige alle frommen Seelen, die sich um mich kümmern, erhalten und mit seiner Gnade überschütten. Wenn ich noch die Freiheit habe, Ihnen zu antworten, werde ich es ausführlicher tun als diesmal, wo ich nur rasch schreibe und ohne zu wissen, worauf ich antworten soll. Meine Lampe gibt wenig hell; meine Augen werden schwach; ich bediene mich einer zerbrochenen Brille; all das hilft nicht , die Geschäfte zu beschleunigen.“
Endlich drang ein Gruß der fernen Gattin wie ein Lichtstrahl in das Dunkel seines Grabes, doch nicht ohne ihn mit Sorge zu erfüllen, weil aus den Zeilen der Gefährtin der Kummer um den einsamen Mann nur zu schmerzhaft sprach . Er beeilte sich, ihren Gram zu zerstreuen. Zum erstenmal enthüllt er die Leiden und Entbehrungen dieser vier langen Jahre fast völliger Abgeschiedenheit von Welt und Menschen: An die Gattin, 6./16. Dezember 1691: „Es sind nicht mehr als zwei Stunden, daß ich, mein liebes Herz, ein Billet erhalten habe, das mir mehr Traurigkeit als Freude bereitet hat. Ich empfing es, als ich Gott das Abendopfer des Ruhetags darbrachte. Du glaubst, ich habe Dir sowohl den Zustand als den Ort, wo ich bin, verhehlt. Ich habe aber mehr Grund, zu glauben, daß Du mir den Deinen verbirgst. Mein Geist, mein Herz ist zu innig an Dich gebunden, als daß ich das Übel das Du leidest, nicht lebhaft fühlte. Beunruhige Dich nicht durch das neue Kreuz, das Gott mir durch Dich auferlegt; fürchte nicht, daß es an meine Gesundheit rühre; ich trage es als Christ und immer in dem Gehorsam, den ich den Befehlen meines Gottes und eines Vaters, der voll Liebe gegen mich ist, schulde. Ahme mich hierin nach, meine Liebe und, geliebte Witwe, und nicht in so vielen Fehlern, die Du an mir kennengelernt least. Liebe mich Immer zärtlich, wie Du es getan; doch daß diese Liebe, um die ich Dich bitte, nie ohne die göttliche Liebe sei wie die, die ich zu Dir habe, nie davon getrennt ist.“
„Ich muß augenblicklich Deine Neugierde stillen. Aber ich bitte Dich zum voraus, daß Du daraus keinen Grund zur Betrübnis machst, sondern daraus Gelegenheit ziehst, den Herrn zu preisen. Der Ort, wo ich bin, hat früher den Soldaten als Wohnung gedient: aber seitdem man daraus einen Kerker gemacht, hat man so viel verändert, daß die Helligkeit zu dieser Stunde nur so stark eindringt, als nötig ist, damit ich mich tagsüber nicht an die Mauern anstoße. Nachdem ich drei Wochen hier gewesen, fand ich mich von so viel Unzukömmlichkeiten bedrängt, daß ich nicht glaubte, hier vier Monate zu leben, und am nächsten zwölften Februar werden es fünf Jahre her sein, daß Gott mich hier bewahrt. Etwa am 15. Oktober des ersten Jahrs suchte mich Gott, der mir die Übel nur zu meinem Guten schickt, mit einem schmerzhaften Fluß heim, der mir in das rechte Schultergelenk fiel. Ich vermochte mich nicht mehr auszuziehen. Ich verbrachte die Nächte teils auf meinem Bett, teils mit auf- und ab-Schreiten in meinen gewohnten Finsternissen. Ich suchte nach den Ursachen meines Übels: ich kam zum Schluß, es sei der Winter, der sich durch die Kälte und Feuchtigkeit fühlbar machte, und daß ich zur Heilung meinen reinen Wein trinken sollte, was ich zwei Tage nacheinander tat. Dann, als ich die Schmerzen stärker werden fühlte, tat ich das Gegenteil; ich trank Wasser; und da ich mich dabei wohl fühlte, bin ich damit fortgefahren. Der Fluß, von dem ich spreche, war so schlimm, daß ich ihn fast ein Jahr lang spürte. Der Herr hat mich noch mit viel andern Unzukömmlichkeiten geprüft, aber er hat mich aus allen gerettet. Ich vergaß, um Dir eine vollständige Schilderung meines kleinen Heiligtums zu geben, Dir zu sagen, daß es zwölf meiner Füße in der Länge und Zehn in der Breite mißt. Als einziges Möbel habe ich ein Spitalbett, das fünf oder sechs Monate vor meinem Eintritt hierhergebracht wurde. Ich schlafe auf einer Spitalmatratze, unter der ein Strohsack liegt, und so bin ich viel besser gebettet als auf der Galeere. Nun habe ich hier schon den vierten Winter fast ohne Feuer verbracht. Im ersten dieser vier hatte ich gar keines. Im zweiten fing man am 28. Januar an, mir welches zu geben, und entzog es mir wieder vor Ende Februar. Im dritten gab man mir welches ungefähr vierzehn oder fünfzehn Tage lang. In diesem Winter habe ich noch keines gesehen und werde keines heischen. Der Major könnte mir welches geben, wenn er wollte, denn er hat Geld für mich; doch er will mir davon nicht eine Dublone geben. Ich habe die Kälte, die Blöße und den Hunger lebhaft gefühlt: doch all das ist vorüber, Gott sei Dank! Ich habe mit fünf Sous im Tag gelebt; das ist der Unterhalt, den der König mir verordnet hat. Zuerst wurde ich durch einen Gastwirt, der mich für meine fünf Sous sehr gut behandelte, beköstigt. Aber ein anderer, der ihm nachfolgte, hat mich während fünf Monaten beköstigt und alle Tage zwei Sous und sechs Weißkreuzer oder drei Sous auf meine Kost zurückbehalten. Schließlich unternahm es der Major, mich zu beköstigen. Zuerst tat er es ziemlich gut; aber zuletzt verleidete es ihm, es gut zu machen. Er öffnete meinen Kerker nur einmal im Tag und ließ mir mein Essen mehrere Male erst abends um neun, zehn oder elf Uhr bringen. Einmal habe ich drei Tage verbracht, ohne Brot von ihm zu erhalten, und ein andermal zweimal vierundzwanzig Stunden. Daß so viel Elend Dich nicht betrübe, meine Liebe! Denke, wie ich es getan: diese Lebensweise sei mir vom höchsten Arzt meines Leibes und meiner Seele, dem ich mich ergeben habe, verordnet worden, und er hätte sie nicht verordnet, wenn er es nicht für notwendig erachtet hätte. Dadurch und durch die elende Weise, auf die ich dies ganze Jahr hindurch gelebt habe, hat er mir das Leben und die Gesundheit erhalten. Hüte Dich darum, ins Klagen zu fallen, wo Du Grund hast, ihn für Seine Barmherzigkeit gegen mich zu preisen.“
„Ich habe Dir gesagt, ich hätte unter der Blöße gelitten. Ich war fast ein Jahr lang ohne Hemd; meine Kleider waren verrissen wie nur die der ärmsten Bettler, die man an den Pforten der Kirche sieht. Ich war barfuß bis zum 15. Dezember. Ich sage: barfuß, denn ich hatte Strümpfe, die keine Füße hatten, und als Schuhe Schlapfen, auf beiden Seiten aufgerissen und unten zerlöchert. Ein Intendant, der vor drei Jahren in diese Stadt kam, sah mich in diesem großartigen Aufzug, und wiewohl er mir viel versprochen, ließ er mich noch zehn Monate im Stich, an deren Ende mir Gott eine unerwartete Hilfe erweckte. Er gab einer frommen und barmherzigen Persönlichkeit, dem Herrn Feldprediger der Festung, ins Herz, mich zu besuchen: Das gab sich ohne Zweifel mit Zustimmung des Herrn Leutnants des Königs, der auch sehr gütig ist, und da er mich in meinem elenden Zustande sah, ging er vorerst wieder weg, um mir von seiner Wäsche zu bringen; aber ich hinderte ihn daran. Zuletzt hielt er so gut für mich an, daß man mir die volle Ausrüstung eines Galeerenruderers gab und den Major zwang, mir aus meinem Geld ein Paar Schuhe und eine Hose zu kaufen. So bin ich durch die Sorge dieses guten Mannes besser ausgerüstet als je während meiner ganzen Gefangenschaft. Er verschaffte mir auch noch einen ausgezeichneten Vorteil: seit mehr als einem und einem halben Jahre gibt mir der Herr Leutnant des Königs alle Tage eine Lampe voll Öl, die mir sechs, sieben und acht Stunden Licht gibt. Das verschafft mir Gelegenheit, die Heilige Schrift zu lesen, mehr als ich es je zuvor getan habe. Man gab mir (vorher) nur eine kleine Kerze von einem Kreuzer. – Das, glaube ich, genügt nun, um Deine Neugierde zu befriedigen. Gleichwohl muß ich noch beifügen, daß Ich vor vier oder fünf Monaten durch einen Druck der Lungen, der mich fast um den Atem gebracht hätte, sehr belästigt war; ich hatte auch Schwindel und bin gefallen und habe mir den Kopf zerschlagen. Diese Schwindelanfälle waren nach meiner Meinung durch den Mangel an Nahrung verursacht. Jetzt aber bin ich durch Gottes besondere Gnade gesünder als je seit vierzig Jahren. Ich sage es Dir, meine Liebe, im Ernst vor Gott. Seit zwei oder drei Monaten gibt man mir regelmäßig drei Brötchen und bisweilen Suppe. Seither füllt sich auch mein Haupt wieder (mit Blut), und fühle fast nichts mehr von meinem Schwindel. Nach diesen tröstlichen Nachrichten, die Du von mir erfährst, denke nur noch, Dich ihrer zu freuen, Gott dafür zu preisen und an Deiner Gesundheit, die immer auch meine sein wird, zu arbeiten. Ich beschwöre Dich darum im Namen Gottes und daß Deine Befürchtungen die Freude und Ruhe, die ich im Besitze meines Gottes empfinde, nicht mehr zu stören kommen!“
Wie scharf kontrastieren in diesem Briefe de Marolles‘ das äußere physische Elend und die Schikanen, die er vom Major der Zitadelle zu erleiden hat, mit der vornehmen inneren Haltung, der sicheren getrosten Zuversicht, dem größten König eigen zu sein, dem er unbedingten Gehorsam bewahrt, den er seinem irdischen König verweigern mußte. Das spricht auch aus einem Billet, das Louis de Marolles am Neujahrstag 1692 an einen seiner Leidensgefährten richtet, wie aus dem letzten uns bekannten Briefe an die Gattin vom 24. März 1692. Aus dem Briefe vom Neujahrstag 1692: „Ich bitte Sie in meiner gewohnten Dreistigkeit, mir, wenn Sie können, für drei und einen halben Sous Faden zu kaufen, der nicht gefärbt sein soll und stark genug, um meine Leibwäsche wieder zu flicken, und für ebensoviel Geld braunen Faden für meine Hosen und übrigen Lumpen und alles in zwei Knäuel zu fassen. Das wird für den Rest meiner Tage genügen. Seit sechs Wochen bittet der Sergeant täglich den Major für mich darum, ohne sie erhalten zu können. So bin ich in allen Dingen mit ihm bestellt. Seit wohl drei Monaten läßt er meine Bettücher nicht mehr waschen. Muß man nicht ein Barbar und milder sein, um so zu handeln? – Sie haben, lieber Bruder, nach meiner Meinung sehr recht, wenn Sie sagen, wir seien die einzigen, die der König die Wirkungen seiner Gnade nicht spüren läßt. Wir sind auf das Schafott gestellt, das den Schrecken durch das ganze Reich tragen und auf dem die Rache laut werden soll, die der König die, welche seinen Befehlen nicht zustimmen, fühlen läßt. Doch wenn wir das Mißgeschick hatten, unserem großen Fürsten nicht zu gehorchen, wollen wir uns trösten, daß wir es nur durch die unumgängliche Notwendigkeit getan haben, in die man uns hineingeführt hat, ihm nicht zu gehorchen. Wir haben den Gehorsam, den wir der göttlichen Majestät schulden, höher geachtet als den Gehorsam, den wir der menschlichen Majestät schulden. Für dieses löbliche Verbrechen leiden wir so viel Übel. Wir wollen den Blick immer auf den herrlichen Lohn richten, den uns Gott im Himmel aufbewahrt für dies Verbrechen, das der Gott der Erde uns vielleicht niemals verzeihen wird. Wir wollen auf den Willen des Herrn warten und ihm stets treu bleiben.“
Aus dem letzten uns bekannten Briefe an seine Gattin vom 24. März 1692: „. . . Die christliche Weise, mit der Sie die Erzählung meiner Leiden aufgenommen haben, veranlaßt mich, Ihnen davon nichts zu verbergen. All das, was Sie wissen, ist gering, verglichen mit dem, was ich Ihnen jetzt davon sage. Ich weiß wohl, daß ich, was ich mir vornehme, nicht tun kann, ohne ein lautes Bekenntnis meiner Schwächen und der Kleinheit meines Geistes abzulegen: aber ich bin immer aufrichtig gewesen und will es bis zum Ende bleiben. Niemals möchte ich vor den Leuten den Anspruch erheben, als wäre ich mehr als ein ganz gewöhnlicher Alltagsmensch. Als ich aus der Galeere geholt und hierhergebracht wurde, empfand ich in diesem Wechsel zunächst viel Annehmlichkeit. Meine Ohren wurden nicht mehr von den Greueln, die täglich an diesen Orten ertönen, besudelt. Ich war frei zu jeder Stunde das Lob meines Gottes zu singen. Ich konnte mich in seiner Gegenwart niederwerfen, sooft ich wollte. Dazu war ich dieser schmerzhaften Kette ledig, die mich unvergleichlich mehr drückte als die dreißigpfündige, die Sie mich tragen sahen. Aber all dieser Annehmlichkeiten ungeachtet ließ mich der Herr, der mich seine Hilfe auf eine besondere Art erfahren lassen wollte, in eine schreckliche Prüfung fallen. Die Einsamkeit und die immerwährende Finsternis, in der ich meine Tage verbrachte, stellten sich meinem schwachen Geiste unter einen so furchtbaren Gedanken, daß sie darin sehr düstere Vorstellungen erzeugten. Er füllte sich mit tausend leeren und eitlen Einbildungen, die ihn sehr oft in stundenlanges Brüten versinken ließen. Meine Gebete heilten dieses Übel nicht. Gott wollte, daß es mehrere Monate anhalte. Ich war in tiefe Trübsal eingetaucht. Als ich mit diesem traurigen Zustand das bißchen Ruhe, das mein Leib fand, vereinigte, zog ich daraus den Schluß, daß dies der offene Weg zum Wahnsinn sei und daß ich es niemals verhüten könnte, dareinzufallen. Ohne Unterlaß flehte ich um die Hilfe meines Gottes. Ich bat ihn, er möge meinen Feinden den Triumph über mich und meine Leiden durch einen solch traurigen Ort wie diesen da nicht gestatten. Endlich, nachdem ich lange gebetet, geseufzt und Tränen vergossen, erhörte der Gott meiner Befreiung meine Bitten und ließ auf so viele Stürme eine völlige Klarheit folgen. Er zerstreute alle Täuschungen, die mir so viel Kummer geschaffen hatten, und gab meinem Geist wieder Ruhe. Nachdem mich Gott aus einer so herben Prüfung gerettet, zweifeln Sie, meine Teuerste, nicht mehr daran, daß mich Gott überhaupt aus allen andern erretten wird. Machen Sie sich meinetwegen keine Sorge mehr. Hoffen Sie immer auf die Güte Gottes, und Ihre Hoffnung wird niemals zuschanden werden.“
Immer völliger ward die Abschnürung unseres Dulders von Welt und Menschen. Zuletzt blieb ihm auch der Trost der seltenen Grüße der Briefe der fernen Nächsten und Freunde versagt. Alter, Krankheit, Blöße, Entbehrung zermürbten seinen armen Leib. Die Augen versagten den Dienst. Wie sein Biograph aus Zeugnissen eines treuen Bekenners aus den Galeeren erfahren, vermochte Louis de Marolles während der letzten beiden Monate vor seinem Ende vor Schwäche der Augen nicht mehr zu schreiben noch zu lesen. Am 17. Juni 1692 trat da Tod als Freund an das Lager des Dulders, der bis zum letzten Atemzug allen Bekehrungsversuchen tapfer widerstanden hatte. Wir schließen mit Auszügen aus zwei Briefen, beide datiert vom 20. Juni dem Tage nach der Bestattung des Verschiedenen, beide von unbekannter Hand, von Freunden, die dem Märtyrer nahegestanden und trotz der strengen Bewachung ihn mit Grüßen hatten erreichen und von seinem Befinden Kunde erhalten können. Der erste ist an einen ungenannten Empfänger gerichtet: „Grund dieses ist, Ihnen Kunde zu geben vom Hinschied des Herrn de Marolles, dieses Berühmten Bekenners Christi der so lange in einer Höhle der großen Zitadelle eingeschlossen war, wo man ihn viel leiden ließ. Bis zum Ende war er bedrängt worden, seinen Glauben zu wechseln. Doch er hat immer in dem seinen verharrt. Er ist vorgestern gestorben und durch Türken unter Türken begraben worden. Man mußte beenden, wie man begonnen hatte. Nun ist er jenseits des Elends und mit Ehre gekrönt in Abrahams Schoß. Wir müssen uns wünschen, unsere Tage ebenso heilsam zu beschließen wie er, der als wahrer Märtyrer mit großer Ergebung und Zuversicht gestorben ist. Auch eines ewigen Lohnes wird er sich erfreuen, wo seine Verfolger dem allmächtigen Richter große Rechenschaft ablegen müssen. Andere Umstände übergehe ich aus Furcht, den Urheber dieses Briefes zu verraten, der vielleicht ein Römisch-Katholischer ist, der von den Leiden unseres Zeugen getroffen wurde. Wenn Sie die Verwandten des Herrn von Marolles nicht kennen, übermitteln Sie gütigst, was ich berichte, an Herrn Bernard, der mich stets um Nachrichten gebeten hat. Möge Gott die Heimgesuchten trösten, die froh sein sollen, ihn in die Ruhe eingegangen zu wissen. Er hatte nichts zu hoffen in dieser Welt als Leiden.“
Der zweite Brief, wohl von jenem Glaubensgenossen auf einer nahen Galeere verfaßt, der Sich vielfach um Louis de Marolles bemüht hat, erzählt der Gattin von ihres Gatten letzten Leiden und von seinem Sterben: „Ich vermag Ihnen keine genaue Schilderung zu geben weder von seinen letzten Stunden noch von seinen letzten Worten; aber ich erzähle Ihnen in kurzen Worten, was bekannt wurde. Sie haben aus den Briefen dieses lieben Zeugen schon erfahren, daß, nachdem er einige Zeitlang in den Ketten gelitten hatte, man ihn in einen Kerker brachte, der schrecklich war durch die Finsternis und noch schrecklicher durch seinen Gestank. Sie wissen, daß man ihn hier schlecht nährte und daß der Hunger ihn oft plagte, da er weder für einen Sou Brot noch Wasser hatte, die seine gewöhnliche Nahrung waren. Diese große Strenge hatte ihn krank gemacht und ihm seit einiger Zeit große Schwindelanfälle verursacht. Dies ging so weit, daß er vor zwei Monaten vor Schwäche fiel und den Kopf gegen die Mauer wund schlug. Seit diesem Augenblick befand er sich in einer andauernden Schwäche, und sein Leben war nur noch ein lebender Tod. Die, welche die Macht hatten, blieben gegenüber allen seinen Schmerzen unempfindlich, wenn man davon absieht, daß man ihm seit sechs Wochen etwas kräftigere Speisen und in größeren Mengen brachte. Aber sein Leib war entkräftet und die Natur so erschöpft, daß sie sich nicht wieder erholen konnte. Dieser treue Diener des Herrn hatte seit einem Monat das Gesicht beinahe verloren, und obschon ich ihm Ihre letzten Briefe zugestellt, vermochte er sie weder zu lesen noch zu beantworten. Er hat mir auch die zurückgeschickt, die ich ihm von Zeit zu Zeit geschrieben. Man mußte sich damit begnügen, mit ihm von mir zu reden, und er ließ mir antworten, daß er sich den Fürbittern seines guten Freundes empfehle und daß er nur noch an das Sterben denke. Endlich hat es Gott so gerordnet, und er kehrt nicht mehr zu uns zurück. Er ist durch die grausamsten Qualen gegangen, die man einen in der ganzen Größe der Unmenschlichkeit erdulden lassen kann; doch hat es Gott nie gelitten, daß man über seine Unschuld triumphierte. Ich muß Ihnen zu Ihrem Troste sagen, daß, während man diesen teuren Zeugen schwach werden sah, er von Doktoren der feindlichen Gesellschaft öfters besucht wurde, aber dieser feste und unerschütterliche Diener wurde von ihren Besuchen nicht überrascht. In aller Ruhe hat er zugehört, was sie ihm vorwarfen, und hat Beleidigung nicht mit Beleidigung vergolten. Bis zum Ende hat er seine Feinde gesegnet: nie wird sein Ruhm erlöschen weder auf Erden noch im Himmel.“