Matthäus, der Evangelist

Der Verfasser der ersten Schrift des neuen Bundes ist durch die göttliche Gnade zu der zwiefachen Würde eines Apostels und eines Evangelisten im höheren Sinne (eines Evangelien-Schriftstellers) erhoben worden, obwohl er vor seiner Bekehrung dem von den Juden mißachteten, von den Pharisäern kirchlich geächteten Stande der Zöllner angehörte. Derselbe Stifter des freien Evangeliums, welcher die Maria Magdalena nach ihrer Bekehrung von den Wegen der großen Sünderin zur ersten Evangelistin der Auferstehung machte, berief auch den Matthäus nach seiner Bekehrung von den alten Wegen des Zolleinnehmers zum Ersten der vier Evangelisten. Seine Berufung vom Zollamt am See Genezareth (zu oder bei Kapernaum) zur Nachfolge Christi, welche er selber uns erzählt (Kap. 9, 9.), kann keine andere sein als die Berufung des Levi, von welcher uns Marcus (Kap. 2, 13.) und Lucas (Kap. 5, 27.) berichten, denn die Grundzüge beider Berufungsgeschichten sind dieselben. So ist also der Name Matthäus wohl der neue Name, welchen der Jünger Levi bei seiner Aufnahme in den Kreis der Apostel, eben so wie mehrere Andere oder gar Alle, überkam, wenn derselbe ihm auch nicht gerade so feierlich wie der Name Petrus dem Simon beigelegt wurde. Man muß ihn jedoch nicht mit: Matthias, Gottesgabe verwechseln((Der Name Matthäus könnte den Gottgeschenkten bezeichnen; indessen eben sowohl den Großgewachsenen, den im religiösen Sinne würdigen, freien Mann, und vielleicht bezeichnet es eben diesen im Gegensatz gegen den dem Tempel anhangenden unmündigen Levi; so wie Petrus den Felsen bedeutet im Gegensatz gegen den Simon des Jonas, den Sohn der Taube (die im Felsen horstet).)). Im Apostelverzeichnis, welches der erste Evangelist uns mittheilt (Kap. 10.), hat er sich selber in schöner Demuth den Beinamen der Zöllner gegeben; und wir finden ihn für die erste paarweise Aussendung dem Thomas zugesellt, vielleicht weil er die etwas schwermüthige Bedächtigkeit dieses Jüngers durch seine besondere Glaubensfreudigkeit, wie sie uns aus seinem Evangelium hinlänglich entgegentritt, ergänzen konnte.

Ueber seine apostolische Wirksamkeit werden uns im Neuen Testamente keine weiteren Mittheilungen gemacht. Der Kirchengeschichtschreiber Eusebius aber berichtet uns, Matthäus habe zuerst den Hebräern das Evangelium mündlich verkündigt, und ihnen dann dasselbe, da er im Begriff gewesen sei, zu andern Völkern zu gehen, schriftlich hinterlassen. Was nun seine spätere Wirksamkeit und Schicksale anlangt, so sind wir darüber im Ungewissen. Die mannigfachen Sagen aber, mit denen die alte Kirche sein Lebensende verherrlicht hat, sind ein Beweis dafür, wie sehr er bei den Christen jener Zeit in hohen Ehren gestanden. Nach Einigen soll er in Macedonien gewirkt haben, nach Anderen in Syrien am Euphrat und in Persien, wiederum nach Anderen in Parthien und Medien. Doch soll er nach der am Meisten anerkannten Sage in Aethiopien (Meroe) gelehrt, und den Märtyrertod erlitten haben.

Die Eigenthümlichkeit seiner Glaubensanschauung und Wirkungsweise tritt und in den Grundzügen seines Evangeliums klar entgegen. Dieses Evangelium hat er nach der alten Ueberlieferung ursprünglich in hebräischer Sprache abgefaßt. Pantanus, der Stifter der alexandrinischen Katechetenschule, fand nach Eusebius dieses hebräische Evangelium auf einer Missionsreise bei den Christen in Indien (vermuthlich dem südlichen Arabien). Doch besitzen wir sein Wert nur in griechischer Sprache, und wenn von verschiedenen Uebertragungen desselben nur Eine kirchlich geworden ist, so mag dies daraus zu erklären sein, daß dieselbe auf ihn selber zurückgeführt werden konnte. Ohne Zweifel entstand die Urschrift des Evangeliums in Palästina; wahrscheinlich in jenen Tagen, als die Christen anfingen, unter dem über Jerusalem sich sammelnden Gewitter, bei der bevorstehenden Belagerung und Zerstörung der Stadt, das in Raserei versunkene jüdische Gemeinwesen nach dem Befehl des Herrn zu verlassen (Ev. Matth. 24, 15.) und nach Pella, jenseits des Jordan zu flüchten. Auf dieselbe Zeit ungefähr zielt der Kirchenvater Irenäus, wenn er berichtet, Matthäus habe sein Evangelium geschrieben während Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündigten. Matthäus war ein amtlich gebildeter, ein freier und gläubiger Israelit, von feiner und großartiger Geistesanschauung: diese Grundzüge spiegeln sich in seinem Evangelium deutlich ab. Seiner israelitischen und amtlichen Bildung verdanken wir die sinnige und bedeutsame Sachordnung, in welcher er die Geschichte von der Wallfahrt des Herrn vorträgt: die Verknüpfung der einzelnen Geschichten aus der Kindheit Jesu, welche er uns mittheilt, die Gruppierung der Lehrreden, der Wunderwerke, der Gleichnisse des Herrn, wie wir sie bei ihm finden: ja die völlige Durchführung einer tiefsinnigen israelitisch-christlichen Glaubenslehre durch die Einzeltheile seiner evangelischen Geschichte. Als ein freier Israelit war er besonders berufen, das falsche, verderbte Judenthum, wie es sich in dem Pharisäerthum am bestimmtesten verkörpert hatte, und Christum als den Erben des wahren, geistigen Judenthums, den Sohn Davids und Messias, an’s Kreuz schlug, in seiner ganzen, zum Gerichte reif gewordenen Verblendung und Verderbniß hervorzuheben. Mit gleicher Kraft und Klarheit aber stellte er als ein gläubiger Israelit dieser Nachtgestalt das Lebensbild des ächten verklärten Judenthums in dem Lebensgange des Messias gegenüber. Matthäus ist daher vor allen Anderen der historische Evangelist. Nach seiner gemüthlichen und amtlichen Berufung führte er seine alttestamentlich-neutestamentlichen Glaubensgenossen auf die Höhe des geschichtlichen Glaubens, und zeigte ihnen in dem neuen Bunde die Erfüllung des Alten Bundes; in den kleinsten wie in den größesten Zügen des Lebens Jesu die Erfüllung der vorbildlichen und prophetischen alttestamentlichen Worte, wie sie bewußt und unbewußt, dem Geiste Gottes aber, unter dessen Leitung sie standen, immer wohl bewußt, hingezielt auf die herrliche Erscheinung des wahrhaften Königes des wahren Israel, des wesentlichen und ewigen Volkes Gottes. Daher hat auch in seinem Evangelium insbesondere am Anfange das Stammregister Jesu, und gegen das Ende desselben die Verkündigung der Zerstörung Jerusalems die höchste Bedeutung. Der Mittelpunkt seiner erleuchteten Anschauung der evangelischen Geschichte ist Christus, wie er in Folgeseines historischen Zusammenhangs mit den israelitischen Vätern im Grunde der berechtigte Erbe des Davidischen Throns ist, aber auf dem Wege des heiligen Leidens das Opferlamm zur Versöhnung seines Volkes und der ganzen Welt wird und durch seinen Kreuzestod das ewige Königreich gewinnt, das sich durch Himmel und Erde verbreitet.

Matthäus ist also der eigentliche Evangelist der Weltgeschichte. Er belehrt uns über die wahre und die falsche historische Folge oder Ueberlieferung (Tradition), über die wahre und die falsche historische Treue, über den Unterschied und Gegensatz zwischen dem bloß überlieferten sinnbildlichen und dem freien geisteswesentlichen Glauben. Sein Buch ist so zu sagen die Weltgeschichte des Evangeliums, und das Evangelium der Weltgeschichte; die Verklärung der allgemeinen Geschichte durch die Geschichte Jesu. Von ihm müssen wir es lernen, das tragische Leid zu begreifen in seiner Verklärung zum priesterlichen Leid; und die angeerbte Schuld auch in unsrem Leben zu erkennen, um die Versöhnung derselben in dem hohepriesterlichen Mittler aller Sünder zu finden. Damit erfahren wir es dann zugleich, wie wir die geschichtlichen Sünden unsres Volkes zu beklagen und zu meiden haben, um unser Volk selber in seinem Kern und in seiner geschichtlich – christlichen Bestimmung nun desto treuer und inniger zu lieben.

J. P. Lange in Zürich.

Matthäus, der heilige Evangelist

zu Nadavar unter dem König Hyrtacus an die Erde genagelt und enthauptet, ungefähr im Jahre Christi 70

Matthäus, sonst genannt Levi, ein Sohn Alphäi, ist ein Zöllner in Capernaum gewesen, welcher bei den Juden verachtet gewesen, die sich nicht für schuldig hielten, Zoll oder Schatzung an einen fremden Fürsten zu bezahlen.

Was den Zustand der Zöllner in derselben Zeit betrifft, so bestand derselbe darin, daß sie insgemein mehr von dem Volke nahmen, als gesetzlich erlaubt war, weßwegen sie von den Frommen gemieden wurden, also daß auch die offenbaren Sünder, welche von der Gemeine abgesondert waren, mit den Zöllnern verglichen wurden.

Da nun Matthäus (oder Levi) vor seiner Bekehrung sich auch mit solchem unrechtmäßigen Handel ernährte, so ist ihm doch Christus mit seiner Gnade zuvorgekommen, und hat demselben befohlen, ihm nachzufolgen als ein Jünger, welchem Befehle er aus innerlichem Antriebe nachkam, hat das Zollhaus verlassen, und als er eine große Mahlzeit zugerichtet zum Abschiede von seinen Mitgenossen, hat er seine Mit-Zöllner nebst dem Herrn Jesu dazu eingeladen, vermutlich damit sie durch die Reden Christi möchten Gelegenheit zu ihrer Bekehrung finden.

Hernach hat Matthäus alsobald alles verlassen, und ist seinem Herrn, der ihn berufen, eifrig nachgefolgt, der ihn auch nachgehends unterwiesen, und unter die Zahl der Apostel gesetzt, welches Amt er mit unter den Juden bis an den Tod Christi bediente.

Da er aber ausgesandt ward, um unter den Heiden zu lehren, ist im Aethiopien oder Mohrenland zum Teil zugefallen.

Ehe er das jüdische Land verließ, hat er durch Erleuchtung des heiligen Geistes sein Evangelium in hebräischer Sprache geschrieben und ihnen solches mitgeteilt.

In Aethiopien hat er große Frucht geschafft, sowohl mit Lehren als auch mit Wunderwerken, woselbst auch nach seinem Tode eine Abschrift seines Evangeliums für die Nachkömmlinge zurückgeblieben ist, aus welchem leicht zu ersehen ist, welchen Glauben er verteidigt, nämlich den Glauben an Jesum Christum, den Sohn Gottes, und daß er ein wahrhaftiger Mensch geworden durch die Kraft des heiligen Geistes in seiner Mutter Maria.

Es melden die Geschichtsschreiber, daß bald nach dem Tode des Königs Agilippi, welcher den Christen zugetan gewesen, dieser Apostel von seinem Nachfolger Hyrtacus, einem ungläubigen heidnischen Menschen verfolgt worden, welcher diesen frommen Apostel Christi zu einer gewissen Zeit, als er in der Gemeine Gottes lehrte, festnehmen, und ihn, wie einige schreiben, in der Hauptstadt von Aethiopien, Nadavar genannt, an die Erde festnageln und enthaupten ließ.

Woselbst er auch (wie Benantius Forturatus bezeugt) begraben ist.

Denn er meldet (schon lange vor tausend Jahren), die hohe Stadt Nadavar soll uns an dem jüngsten Tage diesen theuren Apostel Matthäus wiedergeben.

 

DER BLUTIGE SCHAUPLATZ ODER MARTYRER SPIEGEL DER TAUFFSGESINTEN ODER WEHRLOSEN-CHRISTEN die um des Zeugnisses Jesu, ihres Seligmachers, willen gelitten haben, und getödtet worden sind, von Christi an, bis auf das Jahr 1660