Georg Wagner

Als das helle Licht des Evangeliums von Wittenberg aus ganz Deutschland erfüllte, ward auch Baiern davon berührt. Wie anderwärts die Fürsten dem Evangelium Raum boten, so auch im Anfang die Herzöge von Baiern. Das Brüderpaar Wilhelm und Ludwig, von denen jeder ein Gebiet beherrschte, verwandelten jedoch bald ihre Neigung für das Wort Gottes in Feindschaft. Schon im Juli 1523 wurde in München ein Bäcker auf Befehl des Herzogs Wilhelm enthauptet. Ihm folgten um des Evangeliums willen noch manche andere Zeugen der Wahrheit. Viele flohen nach Augsburg, welches Herzog Wilhelm „die Grube aller lutherischen und andern verdammten Ketzereien“ nannte. Wer aber in seine Hände fiel, mußte bluten. In Landsberg starben neun Männer den Feuertod, in München wurden 29 Männer ersäuft, drei andre Männer mußten mit ihren Frauen auf den Scheiterhaufen steigen, weil sie nicht zum Glauben der römischen Kirche zurückkehren wollten. Am 16. August 1527 starb der edle Märtyrer Leonhard Käser den Feuertod

In demselben Jahre mußte ein andrer Prediger des Evangeliums sein Leben endigen, weil er nicht widerrufen wollte. Er war von Emmeringen in Baiern und hieß Georg Wagner, in der lateinischen Sprache Carpentarius genannt. Sein Lebensgang ist uns nicht näher bekannt. Kurz, er kennt, liebt und verkündigt das Evangelium. Manche haben behauptet, er sei ein Wiedertäufer gewesen, aber so weit wir die Untersuchung kennen, finden wir nichts von der Wiedertäuferei, wohl aber die mehr reformirte Auffassung der heiligen Schrift. Er war ein Mann, dessen Herz ruhte in Christo. Seine letzten Reden bewiesen das. Er saß im Falkenthurm in München. Als das Schlußurtheil über ihn gefällt war, holten ihn am 8. Februar 1527 zwei Henker ab, um ihn zum Richtplatz zu führen. Auch Barfüßermönche erschienen, um den Blutzeugen zu geleiten und auf ihre Weise zu trösten. Wagner bat sie, ihn zu verschonen und lieber in ihre Klöster zurückzukehren. Was sie ihn lehren und womit sie ihn trösten wollten, das könne er nicht brauchen.

In Begleitung der Schergen kam er vor das Rathhaus. Hier wurden ihm noch alle Artikel, die er bekannt und vertheidigt hatte, vorgelesen. Es waren ihrer hauptsächlich vier. Der erste verwarf die Behauptung der römischen Kirche, als könne ein Priester einem Menschen in der Ohrenbeichte seine Sünden vergeben. Zweitens hatte er die Lehre, nach welcher der Meßpriester das Brod in den Sohn Gottes verwandelte, verworfen, und damit zusammenhängend sprach er aus, er könne nicht glauben, daß ein Mensch unsern Herrn Gott vom Himmel zu holen vermöge. Nach dem vierten Punkte, der ihm vorgehalten wurde, läugnete er, daß die Wassertaufe den Menschen ohne weiters selig machen könne. Man gab sich noch alle Mühe, ihn zum Widerrufe und Abfalle zu bewegen, und scheute sich nicht, ihn zu plagen. Er aber blieb fest und unerschütterlich. Unter andern fragte ihn Einer: „Mein Freund Georg, fürchtest du dich denn nicht vor dem Tod, den du leiden sollst? Willst du nicht lieber frei sein und zu deinem Weib und deinen Kindern gehen?“ Zarte Bande waren mit diesen Fragen angeregt, Wagner verleugnete sie nicht, aber er kannte ein höheres Ziel, das ihm jetzt so nahe stand. In diesem Sinne erwiderte er: „Wenn mich der Richter freigeben wollte, wohin sollte ich lieber eilen, als zu meinem herzlieben Weib und Kindern?“ „Widerrufe nur,“ sagte Jener, „so kannst du wieder frei werden.“ „Nein,“ sagte Carpentarius, „es sind mir zwar mein Weib und Kinder so lieb und werth, daß ich sie dem Herzog von Baiern um all‘ sein Land und Leute, Geld und Gut nicht geben wollte, aber doch habe ich Gott noch viel lieber, um welches willen ich sie auch gerne verlasse.“

Bei der Hinführung zum Richtplatze machte sich der eben angeführte Gelehrte abermals an Wagner mitten auf dem Markte, um ihn zum Widerrufe zu bewegen. „Mein Freund Georg,“ sagte er, „ich glaube das Sakrament des Altars, und nicht bloss das Zeichen.“ Wir verstehen ihn, er meinte die Verwandlung des Brodes und Weines in den Leib und das Blut Christi. Deshalb antwortete ihm Wagner: „ich halte das Sakrament des Altars, wie ihr es nennt, für ein Zeichen des Leibes und Blutes Jesu Christi, der für uns in den Tod des Kreuzes gegeben worden ist.“ Da wandte sich auch ein Prediger am Dom zu München, Namens Schritter, an den Zeugen mit einem scheinbar unverfänglichen Vorschlage: „Georg,“ sagte er, „willst du nicht glauben an das Sakrament, so setze doch zum wenigsten deine Hoffnung auf Gott, und sprich: Ich bin meiner Sache gewiß. Gleichwohl will ich, wenn ich mich geirrt habe, es mir lassen leid sein und mich bekehren.“ Diese Versuchung abweisend antwortete Wagner: „Gott läßt mich nicht also irren.“ Der schon mehrmals genannte Schulmeister, wie ihn der alte Bericht tituliert, zeigte ihm jetzt einen Ausweg, indem er sagte: „Lieber, übereile dich nicht, erwähle dir einen frommen Christen, es sei Schritter oder ein Andrer, welchem du dein Herz eröffnest, zwar nicht beichtweise, sondern allein rathsweise.“ „Das werde ich nicht thun,“ erwiderte Georg, „denn ich habe es nicht nöthig.“

Nach diesem Gespräche fing der genannte Domprediger an, das Vater Unser dem zum Tode Verurtheilten vorzubeten. Als er den Anfang sprach: „Vater unser, der du bist in dem Himmel,“ fiel ihm Georg in die Rede mit den Worten: „Fürwahr mein Gott, du bist unser Vater, und kein andrer. Heute an diesem Tage begehre ich, bei dir zu sein.“ Der Vorbeter fuhr mit der ersten Bitte fort: „Geheiliget werde dein Name.“ Georg fügte hinzu: „Ach mein Gott, daß dein Name recht geheiligt würde!“ Der Domprediger: „Dein Reich komme.“ Georg: „Heute darf ich hineinkommen.“ Bei der dritten Bitte: „Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel,“ sagte Georg: „Hie bin ich, Vater, dein Wille geschehe, und nicht der meine!“ Schritter: „Unser täglich Brod gib uns heute.“ Georg: „Der Herr Jesus Christus, das rechte Brod, sei heute meine Speise.“ Schritter: „Vergib uns unsre Schulden, als wir vergeben unsern Schuldigern.“ Da wandte sich Georg an die Umstehenden: „Lieben Freunde, ich will Allen gerne vergeben, sowohl meinen Freunden, als auch meinen Feinden.“ Und als der Domprediger mit den zwei letzten Bitten schloß: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Uebel,“ schloß auch Georg mit dem sehnlichen Seufzer: „O mein Gott und Herr, du wirst mich ohne allen Zweifel erlösen, denn auf dich allein habe ich gehofft.“ Nun ging Schritter an den christlichen Glauben, indem er sagte: „Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde.“ Georg fügte bei: „Ach mein Gott, auf dich allein hoffe ich, an dich allein glaube ich und an keine Kreatur. Aber sie haben mich von dir abwenden wollen. Stärke mich, o Herr!“ Aehnliches setzte er den beiden andern Artikeln des Glaubens bei.

Nach solchen Gebeten fragte ihn der Schulmeister: „Georg, glaubst du so stark an Gott deinen Herrn, als du es mit dem Munde bekennst?“ „Es würde mir schwer fallen,“ antwortete der Gefragte, „ja es würde unmöglich sein, den Tod zu leiden, wenn ich nicht von Herzen glaubte, was ich mit dem Munde bekenne. Denn ich habe wohl gewußt, daß ich um Christi willen leiden müßte, wenn ich ihn bekennen und ihm nachfolgen würde. Ach mein Gott, wo des Menschen Schatz ist, da ist auch sein Herz.“ Darauf fragte ihn der Domprediger: „Georg, hältst du es für nöthig, daß man für dich nach deinem Tode bete, so will ich für die Erlösung deiner Seele eine Messe halten.“ Georg gab zur Antwort: „So lange die Seele in diesem meinem Leib sein wird, so lange bittet Gottes Sohn für mich, daß er mir wahre Geduld, Demuth und einen christlichen Glauben verleihen wolle, auf daß ich diese Marter desto standhafter ertragen könne. Wenn aber Leib und Seele von einander geschieden sein werden, alsdann habe ich keines Betens mehr vonnöthen.“

Unter solchen Reden kam man auf dem Richtplatz an. Der Henker band den edlen Märtyrer auf die Leiter. Da that Georg seinen Mund auf und erklärte dem Volke etliche Punkte des christlichen Glaubens. Einige fromme Christen traten zu ihm mit der Bitte, ein Zeichen von sich zu geben, wenn er in’s Feuer geworfen würde, woran sie seinen Glauben zu erkennen vermöchten: „Das soll das Zeichen sein, antwortete er, daß, so lange ich meinen Mund aufthun kann, ich den Namen Jesu Christi bekennen will.“ So fest stand dieser Mann. Eben richteten ihn die beiden Henker mit der Leiter auf, da sagte er zu einem christlichen Freunde, der zugegen war: „Gute Nacht!“ und bat ihn mit fröhlichem Angesichte um Verzeihung. Sobald ihn aber der Henker in’s Feuer stieß, rief er mit lauter Stimme: „Jesu, Jesu!“ Und als der Scherge abermals mit dem Haken auf ihn stieß, hörte man noch etliche Male den süßen Jesusnamen aus seinem Munde, und dann verschied er.

Das geschah am 8. Februar 1527 in der Stadt München.

Karl Friedrich Ledderhose in Neckarau.

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862