Berthold von Regensburg

In der Zeit, da das mittelalterliche Papsthum bereits den Höhepunkt seiner Macht und Herrlichkeit erreicht, und durch eine Geistliches und Weltliches umfassenden Ansprüche auf unbedingte Machtvollkommenheit eine mannigfaltige kräftige Gegenwirkung hervorgerufen hatte, waren es besonders die Bettelmönchorden der Dominicaner oder Prediger und der Franziscaner oder Minoriten (mindere Brüder), welche das Ansehen der Hierarchie vornehmlich mit geistigen Waffen zu verfechten den Beruf hatten. Die alten Stützen derselben waren mehr oder weniger morsch geworden: die Geistlichkeit meist verweltlicht, theilweise ins fürstliche Interesse hineingezogen, die Mönchsorden abgelebt und ausgeartet, die kirchliche Wissenschaft keineswegs frei von Abweichungen, die den herkömmlichen Lehrbestand bedrohten und in ihrer rechtgläubigen Richtung dem Gegentheil oft kaum gewachsen. Dazu kamen die gewaltigen Regungen und Angriffe in den höheren und niederen Kreisen des Lebens: die in den Hohenstaufen sich concentrierenden Anfechtungen von Seiten der politischen Macht, welche auch in den verschiedenen Schichten des Volkes nachwirken mußten; sodann die theils aus lauterer biblischer Frömmigkeit, theils aus einer durch mancherlei fremdartige Elemente getrübten Sinnesart hervorgegangenen Bewegungen religiöser Opposition, welche man als ketzerisch zu bezeichnen pflegt, welche aber freilich nur theilweise einen der christlich-kirchlichen Grundwahrheit zu nahe tretenden und dieselbe untergrabenden oder umstoßenden Charakter an sich trugen, jedenfalls aber mit wohlgewählten Mitteln, mit unter Gefahr und Verfolgung zunehmender Klugheit oder auch Schlauheit in den Gemüthern des Volks, der Vornehmeren wie der Geringeren Eingang zu finden wußten, und in den vielfach aufgelockerten Boden den Samen der die kirchlichen Missbräuche und Aergernisse aufdeckenden und ein reineres Christenthum darbietenden Wahrheit, oder auch gröberer und feinerer, mehr oder minder gefährlicher Irrthümer einzustreuen beflissen waren. Da erwachte nun ein ursprünglich reineres, katholisch-kirchliches Streben, das von allen Seiten bedrohte Christenthum, dessen Bestand man in redlicher Gesinnung an die bestehende Verfassungsform gebunden achtete, mit den geeigneten Mitteln gegen die andringenden Gefahren sicher, und sein Recht und seine Wahrheit durch Wort und That ins Licht zu stellen. Das Aergerniß der in Reichthum und Ueppigkeit sich gehen lassenden Geistlichkeit und Mönchsorden mußte geheilt werden durch ein den Forderungen auch der edelsten Secten entsprechendes Leben einfacher armer Lebensweise nach dem Vorbild Christi und seiner Apostel; die hohen und gebildeten Geister mußten gewonnen werden durch eine, alles bisherige überbietende Wissenschaft und Gelehrsamkeit; allen insgemein mußte man zur Belebung des Glaubens, zur Erneuerung der kirchlichen Treue, zur Befreiung von widerkirchlichen Einflüssen Handreichung thun durch eine kräftige, frische, verständige Predigt, welche auch durch Eingehen in das ganze, von allerlei Aberglauben und Unsitte verunreinigte Volksleben sittlich reinigend wirken, und einer Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit, wie einer edleren und frommeren Sitte im häuslichen und bürgerlichen Leben Vorschub thun konnte.

 

Dieses Streben verkörperte sich in jenen beiden Orden, von denen der eine vom Predigen den Namen erhielt, aber auch durch gediegene Wissenschaft auf eine höchst bedeutende Weise eingewirkt hat, wie das Beispiel Alberts des Großen und des Thomas von Aquino zeigt, welche übrigens nicht blos tiefgelehrte und geistvolle Männer der Wissenschaft, sondern auch ausgezeichnete Prediger und durch ihren Wandel tröstende Persönlichkeiten waren; der andere aber, der Orden der Minoriten, gleichfalls in jeder Hinsicht Großes leistete: durch Männer der Wissenschaft, wie durch ausgezeichnete Prediger und Vorbilder des geistlichen Lebens, auch solche, welche Alles dieses in sich vereinigten, wie z. B. Bonaventura. Unter den Männern dieses Ordens aber nimmt als Prediger, als geistlicher Volksredner eine höchst bedeutende Stelle ein der Bruder Berthold oder Berchtolt; und ihm zur Seite ein Lehrer und Freund: Bruder David von Augsburg, in den Chroniken bezeichnet als der „der mit Bruoder Berchtolt gienc“. Ueber das Verhältniß dieser beiden Männer hat Fr. Pfeiffer neues Licht verbreitet, nachdem schon Jac. Grimm (in den Wiener Jahrbb. 1825. B. 32) darauf hingewiesen hatte. Beide scheinen Landsleute gewesen zu sein. Jedenfalls war Berthold aus Regensburg; aber auch David stammte wahrscheinlich eben daher, und führt den Beinamen „von Augsburg“ wegen seines 25jährigen Lebens und Wirkens daselbst bis an seinen Tod. Von Bertholds früherem Leben ist uns nichts bekannt, sein Familienname scheint Lechs gewesen zu sein; denn es wird eine Schwester von ihm, dieses Namens, erwähnt, die in Regensburg begraben sei. Seine Geburt fällt wohl in das dritte Jahrzehend dieses Jahrhunderts. Er trat in den Minoriten-Orden; und in dem Novizenhause in Regensburg, nicht in Augsburg, wie J. Grimm meint, kam er in die Unterweisung des Br. David, welcher damals Novizenmeister in dem dortigen Convent und Professor der Theologie war. Der Leitung dieses Lehrers, welcher zuerst in Regensburg, später in Augsburg während einer Reihe von Jahren durch Bildung der jungen, seiner Pflege anvertrauten Herzen aufs wohlthätigte gewirkt hat, hatte wohl Bertholds angeborenes großes Talent vorzugsweise die volle Entfaltung und Reife zu verdanken. Ein Band zärtlicher Freundschaft schlang sich um den älteren und jüngeren Bruder. Auch nachdem der Lehrer nach Augsburg übergesiedelt war, wurde die Gemeinschaft unterhalten. Br. David richtete ein inniges, Liebe athmendes Schreiben an den Bruder Berthold und an alle Novizen in Regensburg, mit herzlichen Wünschen für ihren guten Fortgang im Wege Gottes und ihr beständiges Wachsthum in den Tugenden und in der geistlichen Gnade, und zu einem Zeugniß, daß er, obwohl dem Leibe nach abwesend, mit dem Herzen oftmals bei ihnen, und in einen geringen Gebeten ihrer nicht uneingedenk sei. Auf Bertholds Bitte, ihm etwas zur Erbauung zu schreiben, widmete er ihm ein Büchlein: „Formula novitiatus.“ Auch die unter Bertholds Predigten gekommene Abhandlung: „der Spiegel der Tugenden,“ ist wahrscheinlich auf Bertholds besondere Veranlassung geschrieben, der überhaupt die geistvollen Arbeiten des älteren Freundes gern benutzte, und bei einem rascheren Gemüth und bewegteren Leben in dem still und tief sinnenden David eine wahre Ergänzung gefunden haben muß, wie hinwiederum dieser an dem mit mächtiger Beredsamkeit in alle Falten des Gemüths und in alle Verhältnisse des Volkslebens eindringenden Berthold, den er soviel als möglich auf seinen Wanderungen als Reiseprediger begleitete. – Beide arbeiteten vereint für den Bestand der Kirche gegen die an- und eindringenden ketzerischen Parteien. Denn es ist wenigstens höchst wahrscheinlich gemacht, daß die, einem sonst durchaus unbekannten Yvonetus zugeschriebene Schrift gegen die Ketzerei der Armen von Lyon ein Werk Davids ist, woraus Berthold in einer scharfen und energischen Bekämpfung der Ketzer geschöpft haben muß, was er von den Lehren und sonstigen Kennzeichen der Secten da und dort in seinen Predigten beibringt. Ueber David und Berthold und ihr Verhältniß zu einander wüßten wir nichts Besseres zu sagen, als was Fr. Pfeiffer in der genannten Schrift in folgenden Worten ausspricht: „Es ist eine wahrhaft edle Persönlichkeit, die uns in David entgegentritt, voll Tiefe des Gemüths, voll Hoheit der Gesinnung. Ueberall offenbart sich in ihm jener tiefsittliche Ernst und jener heilige Geist der Demuth, Sanftmuth und Liebe, der sich selbst aufs strengste beurtheilt, für die Fehler. Anderer aber ein Herz voll Schonung und Milde trägt. Ueberall zeigt er, daß der Geist der göttlichen Lehre in ihm lebendig geworden und daß er in Wahrheit ein Lehrjünger Christi sei. Er war einer jener Geister, die in der Stille und Zurückgezogenheit von der Welt leben, lehren und wirken; ohne äußern Glanz und Flimmer, langsam und bedächtig, aber darum, desto nachhaltiger und sicherer. Ein solcher Mann muß zum Lehrer und Bildner der Jugend für besonders befähigt erscheinen; und gewiß hat die fleckenlose Reinheit eines Lebens, die Milde, Klarheit und Tiefe seines Geistes, auf seine Schüler den mächtigsten Eindruck ausgeübt. Wir kennen zwar von diesen nur den einen Berchtold; aber dessen Wirksamkeit mag allein die von hundert andern aufgewogen haben. – Gewiß bilden diese beiden Männer, Lehrer und Schüler, ein schönes Paar ebenbürtiger Geister. David vor allem auf innere geistige Vollkommenheit des Herzens dringend, in engem Raume und kleinem Kreise lehrend, leitend, bildend, sanft, milde und voll Demuth. Berchtold dagegen, mit mächtigem Drange nach äußerer Wirksamkeit erfüllt, ergriffen von feuriger Begeisterung, den in einsamer Zelle gewonnenen Geist christlicher Lehre in die Welt hinauszutragen, und dem verlassenen nach Trost und Erbauung durstenden Volke wahres Christenthum zu verkünden; unablässig zur Tugend antreibend, die Fehler und Gebrechen nachsichtslos strafend; dabei praktisch, populär, mit den Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten der niederen wieder höheren Stände bis ins Kleinste vertraut, kurz ein christlicher Volksredner im vollsten Sinne des Worts. Wie konnte es fehlen, daß das in verborgener Stille gesäete, gehegte und gepflegte Samenkorn zu herrlicher Reife gedieh, und Berchtolds zum erstenmal in Deutschland deutsch gedachte und gesprochene Predigten vom staunenden Volke mit einem Beifall aufgenommen wurden, der beispiellos dasteht in der Geschichte, und vor oder nach nie einem Prediger in solchem Maße zu Theil geworden ist! Wenn, nach dem Ausdruck eines Chronisten, Berchtolds Wort wie eine Fackel in Deutschland leuchtete und gleich einem Schwerte in die Herzen der Zuhörer drang, so kann man Davids Rede einer ruhigen Flamme vergleichen, die in mildem Glanze strahlt, und deren stille tiefe Gluth das Herz und Gemüth des Lesers belebt, erwärmt und zur Liebe entzündet. Dabei weht in seinen Reden ein eigenthümlich warmer poetischer Hauch, dem man es wohl anfühlt, daß er einer Zeit zugehört, die von dichterischem Geiste noch ganz durchdrungen war. Man könnte sagen, daß etwas vom Geiste eines Ordensstifters, des h. Franciscus auf ihn übergegangen sei, dessen Liedern und Hymnen voll Wohllaut der Sprache und feuriger Begeisterung, wie die Sage meldet, sogar die Vögel des Feldes mit Entzücken lauschten.“

 

Das öffentliche Hervortreten Bertholds als Prediger fällt in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Um diese Zeit finden wir ihn in Augsburg, auf welche Stadt auch mehrere der gedruckten Predigten hinweisen; und die Vermuthung liegt nahe, daß der dorthin übergesiedelte Br. David ihn dazu veranlaßt habe, indem er seine vorzügliche Begabung dafür erkannte. Dieß wird nicht ausschließen, daß er schon vorher in „Alamannien“, namentlich in Graubünden (Pfeffers) aufgetreten sei, wo er noch zu Lebzeiten Kaiser Friedrich II. (vor 1250) gewesen sein und gegen Sünde und Unrecht aller Art gepredigt und Gottes Rache über Solche angekündigt haben soll. Weiterhin treffen wir ihn in Baiern, und zwar zu verschiedenen Zeiten in Regensburg, auch in Landshut, dann in Oestreich und in Mähren; in Böhmen, namentlich in Glatz (damals böhmisch), wo er auf einer Linde predigte, welche noch späterhin nach ihm genannt wurde; endlich in Thüringen, wo während er predigte „nach glaubwürdigen Zeugen“ mehrere strahlende Kronen über seinem Haupte fliegend erschienen sein sollen. – Wo er aber hinkam, da sammelte sich das Volk in großen Schaaren. Die Chroniken reden von 60.000, 100.000, ja 200.000 Zuhörern. Wie viel man auch hievon der vergrößernden Sage zuschreiben mag, jedenfalls muß er, wie J. Grimm sagt, einer der populärsten Männer gewesen sein, die vorher und nachher in Deutschland gewirkt haben, ein wahrer Mann des Volks, der das Volk mit einer ganzen geistlichen und leiblichen Noth auf dem Herzen trug, ein ächter Freund des Volks in allen seinen Ständen, der ihm ohne Schmuck die Wahrheit sagte, seine Gebrechen und Sünden aufdeckte, und ihm die Wege der Besserung und des Friedens zu weisen sich angelegen sein ließ. Bei ihm hieß es wohl: wessen das Herz voll ist, davon geht der Mund über; in hoher Einfalt, in ursprünglicher Kraft und Fülle strömte die Rede von seinen Lippen; was aber so von Herzen kam, das mußte auch wieder zu Herzen gehen. Seine Rede ist aber nicht allein kräftig und herzlich, sondern auch, als von Br. Davids ebenbürtigem Schüler, voll Anmuth und Schönheit, ausgezeichnet durch Ebenmaaß und Wohlklang. Sie ist bilderreich; aber die Bilder sind nicht gehäuft, immer an der rechten Stelle gebraucht und aus dem Leben gegriffen. Sie sind auch um so lebendiger, da er meist nicht in geschlossenem Raume, sondern unter freiem Himmel predigte und so von dem was ihn umgiebt, von dem Himmel über ihm und von der Erde zu seinen Füßen Bild und Gleichniß hernimmt, wodurch eine Lehre und Ermahnung viel anschaulicher und eindringlicher wird. Das Predigen unter freiem Himmel war den beiden Orden vom Papst ausdrücklich gestattet; und von Berthold wird an mehr als einer Stelle berichtet, wie denn auch die Predigten selbst hier und da es zu erkennen geben, daß er nicht in Kirchen gepredigt, sondern nach altchristlicher Weise auf Bergen und Wiesen. Ein Gerüste auf dem Gipfel eines Baumes bildete die Kanzel, von wo aus der Prediger die rings im Grün gelagerte Menge überschaute. „Berthold aber stand da, wie ein Prophet des Herrn, wie ein Elias: sein Wort brannte, wie eine Fackel; Gott machte seinen Mund wie ein scharfes Schwert.“ Geistliche und Volk – alles sah mit Bewunderung zu ihm auf; und reicher Segen verbreitete sich in Bekehrung von Sündern und Verführten, wie in Trost und Stärkung der Gläubigen. Hohe und Niedere, Fürsten und gemeines Volk hielten ihn hoch. Und wer möchte solches bezweifeln, wenn er mit freiem empfänglichem Gemüthe dem Eindrucke dieser Predigten sich hingiebt, von denen J. Grimm mit Recht sagt, daß nicht leicht eine darunter sei, die nicht noch heute das Herz rühren könnte! Wenn er den Christenglauben und die Herrlichkeit, Köstlichkeit und Segensfülle desselben preiset, wenn er die Gottesliebe, die Liebe Jesu, ihre Höhe, ihre Tiefe, ihre Zärtlichkeit und Inbrunst verkündiget, wenn er die Freude und Wonne des Himmelreichs schildert, die Seligkeit der Gottschauenden, die heiligende unauflöslich an Gott bindende Macht dieses Schauens: da geht einem das Herz weit auf und man fühlt es ihm an, wie er selbst mächtig bewegt, gehoben, durchdrungen, hingenommen ist von der großen und heiligen Sache. Wenn er die Würde und den Ernst der Tugend, der christlichen Gerechtigkeit des Lebens, wie sie eine wachsende und werdende, den ganzen Menschen in Anspruch nehmende, in allen ihren Verzweigungen. Eine und untheilbare ist, wenn er ihren Segen und ihr Glück anpreist, so hat man den Eindruck: das ist dem Manne selbst eine rechte Herzensangelegenheit: etwas Ganzes und Vollkommenes zu werden, zum Preise seines großen und liebreichen Schöpfers und Erlösers. Ja der kräftige und strebende Geist hat eine solche Lust zum Kämpfen und Ringen, eine solche Freudigkeit des Wachsens und Werdens, daß er spricht, wenn er sicher wäre auf diesem Erdreich, daß er das Himmelreich nie verlieren möchte, so wollte er lieber ein tugendhafter Mensch auf Erden sein, als ein Heiliger im Himmel; denn so wollte er von Tage zu Tage, von Jahr zu Jahr immer heiliger werden. – Und das Wort eines Solchen kann ja nicht anders als eine mächtig anregende Wirkung hervorbringen. – Wenn er aber die Sünde in ihren mancherlei Arten und in ihren gröberen wie feineren Ausbrüchen vor Augen malt, und ihre Greulichkeit und Häßlichkeit, wie ihre schrecklichen zeitlichen und ewigen Folgen zu bedenken giebt, da empfindet man den hohen Ernst eines Kämpfers für Gottes heilige Ordnung, der um Gottes Ehre eifert, und den das Elend jammert, in das der Sünder durch Beharren in der Sünde sich selbst hineinstürzt. Er redet aber nicht nur so ins Allgemeine hinein, sondern als ein Mann, der unter dem Volke lebt und wandelt, der es in seinen Sitten und Gewohnheiten aller Orten beobachtet, der überall hin horcht, der ihm in alle seine Verirrungen mit väterlicher Achtsamkeit nachgeht, und in mannigfaltigem Seelsorgerlichem und beichtväterlichem Verkehr vermöge des Vertrauens, das er zu gewinnen weiß, die geheimsten Regungen und Selbstbeschönigungen des menschlichen Herzens kennen gelernt hat, – als ein solcher dringt er mit treffender Rüge und Warnung wie Lockung und Ermunterung in die vielfache Besonderheit des inneren und äußeren Lebens ein, wozu er freilich den Schlüssel in dem eigenen durch Gottes Wort und Geist erleuchteten Gewissen hat, in der klaren Selbsterkenntniß eines lebendigen Christen, und in der eindringenden durch Wort und That der Heiligen vermittelten Erkenntniß der h. Schrift. So finden wir denn eine Ermahnung und Bestrafung als eine die Sünden und Verkehrtheiten aller Stände, Alter, Geschlechter umfassende, durch und durch praktische und oft in hohem Grade ergreifende. Und dieß wird noch gesteigert durch die Art seines Vortrags, indem er oft mitten in der Rede diesen und jenen, den Unkeuschen, den Geizigen oder auch den Leidenden, den Unterdrückten rc. anredet, und mit scharfer Mahnung, Rüge, Drohung, oder mit herzerquicklichem, tröstendem, ermunterndem Zuspruch ihm nahe tritt. Oder er läßt sich in einen Dialog mit den Zuhörern oder mit dieser und jener Klasse derselben ein, also daß er ihre Einreden, Entschuldigungen u. dgl. vorbringt und darauf antwortet. Besonders ernst und einerseits streng, andererseits weich und mild wird eine Rede, wenn er die Härte der Mächtigen und Reichen und die Bedrängniß der frommen Armen ins Auge faßt: man fühlt da die mächtige Bewegung eines menschenliebenden Gemüths. Menschenliebe aber und Gottes Liebe geben sich gleichermaßen kund in dem Eifer, womit er rügend und warnend allerlei Verführungen entgegentritt, sei es solchen wodurch Seele und Leib Schaden leidet wie die gewerbsmäßige Verführung zur Unzucht, oder solchen wodurch die Seele von der rechten Bahn des Heils abgelenket wird, wie das durch die im Finstern schleichende Wirksamkeit ketzerischer Menschen, oder durch ruchlose Reden frecher Spötter, oder durch die lügnerische Anpreisung des Ablasses mit Zurückstellung der Buße geschah. So oft und so nachdrücklich aber geht er gegen kein Laster an, wie gegen das Laster des Geizes. Auf den Geizigen kommt er immer wieder zu reden, wohl auch klagend, daß derselbe ihn so viel Zeit koste, die er zum Trost und zur Belehrung der Armen und Elenden besser verwenden könnte. Ihn schildert er als den aller verstocktesten Sünder, dem nimmermehr zu rathen sei, bei dem die Buße gar keinen Raum finde. Die Buße aber, die treibt er mit großem Eifer, zwar im kirchlichen Sinn, aber nicht so, daß er die geistliche Herrschaft dadurch zu heben beflissen wäre, sondern in der Richtung auf das Seelenheil und auf Abwendung des Seelenschadens, indem er einerseits die innere Seite der Sache, die Reue und den Abscheu vor der Sünde, andererseits die Bethätigung derselben im Wiedergutmachen, namentlich in Wiedererstattung des irgendwie mit Unrecht erworbenen und in Besitz genommenen, hervorhebt. Darauf dringt er unbedingt, und so daß keine Rücksicht auf herkömmliche Form der Erleichterung oder des Sichlosmachens von der ernsten Bußpflicht zugelassen wird. Weder Wallfahrten, noch Anrufung der Heiligen und der Mutter Gottes, nichts und Niemand, wie hoch er stehe im Reiche Gottes, keine Fürbitte, kein Mönchsgewand rc. kann die Seele dessen, der auch nur das Mindeste in dieser Hinsicht zurückläßt, aus der Verdammniß erretten. –

 

Mit solcher Lauterkeit hält B. über dem, worin er die göttliche Ordnung der Wiederherstellung des Sünders erkennt. Uebrigens ist er nicht so innerlich oder einseitig mystisch, daß er die Beobachtung der h. Gebräuche geringschätzig behandelte; ja er scheint eine ans Abergläubische streifende Empfehlung derselben, z. B. des Hersagens der Gebetsformeln, sich zu Schulden kommen zu lassen. Indes auch hierin kann er insofern gerechtfertigt werden, als er dabei die Schwachen im Auge hat, und deren Uebung und Gewöhnung, insbesondere Abhaltung von fremden Gedanken und Fixierung der Seele auf das was vorliegt. – Wir könnten noch Vieles erwähnen von der Vielseitigkeit der Rüge und Ermahnung dieser Predigten, worin alles frisch aus dem Leben gegriffen ist und in das Leben hineingreift, wie z. B. die Beschreibung der weiblichen Hoffart in Kleidern, der thörichten Verzärtelung der Kinder u.s.f. – Aber das Gesagte wird hinreichen, um von der Bedeutung und Größe dieses ächten, christlichen Volksredners eine Vorstellung zu bekommen, und wir fügen nur noch ein paar Proben aus den Predigten selbst bei. Gleich die erste der gedruckten Sammlung giebt uns in ihrem Eingang einen Blick in seine helle Erkenntniß des Zusammenhangs der heilsamen Wahrheit, die zur Gottseligkeit führt. Sein Text ist das Gleichniß vom Schatz im Acker. Der Acker ist die heilige Christenheit. Der Schatz, der darin verborgen liegt, das ist eines jeglichen reinen Christenmenschen Seele. Das ist Gott gar ein lieber Schatz, und ist ihm halt so lieb, daß er verkaufte alles ein Gut, damit ihm der Schatz werde. – Die Seele ist ein verborgener Schatz: sie sieht niemand; sie hört niemand; sie rührt niemand an. – Und darum verkaufte der allmächtige Gott alles ein Gut, und kaufte den Acker, die heilige Christenheit, daß ihm der Schatz werde. Ihr Herren, ihr kaufet eure Aecker nur mit Pfenniglein und mit Silberlein. Unser Herr Jesus Christus verkaufte seinen eigenen Leib und kaufte den Acker, daß ihm der Schatz werde, des reinen Christenmenschen Seele. O lieben Christenleute! nun habt den allmächtigen Gott lieb; denn er hat euch ohne Maaßen lieb gehabt. Und daß er den Acker kaufte mit einem eigenen Leib, das genügte ihm dennoch nicht, er wollte ihn auch selber bauen; so gar herzlich lieb war ihm der Acker wegen des Schatzes, der darin verborgen lag. So wollte er den Acker Niemandem vertrauen, der ihn bauete, denn ihm selber: weder Patriarchen, noch Propheten, noch einem der zwölf Boten, noch Engeln, noch Menschen, Niemand im Himmel noch auf der Erde, und überhaupt Niemand; sogar lieb war ihm der Acker rc. O ihr seligen Christenleute, wie herzlich lieb solltet ihr haben aller Engel Herrn und aller Welt Herrn, und Kaiser und König aller Könige; der hat den Pflug selber um euretwillen gehalten. Ihr Herrschaften, ihr lohnet dem Knechtlein, das den Acker bauet; dem gebet ihr ein wenig „Gütelins.“ Da war ihm der Acker so lieb, die heilige Christenheit, daß er ihn Niemand wollte lassen bauen, und er hat den Pflug selber gehalten, aller Engel Herr. Ein Pflug muß von Eisen und von Holz sein. Also war das heilige Kreuz von Holz und von Eisen die Nägel, die ihm da gingen durch Hände und durch Füße; und also hielt er den Pflug, bis er den Tod dran nahm. Nun seht, ihr liebe Christenheit, wie lieb euch Gott hat gehabt. Und daran genügte ihm nicht, daß er ihn kaufte mit seinem eigenen Leibe und ihn da selber bauete, und ihn, den Pflug, auch selber hielt; und hat ihn auch selber gedünget mit seinem eigenen Blute. Wo ward je ein Acker so übertheuer gekauft, und so theuer vergolten (bezahlt), und so zärtlich gebauet und so hart gebauet, und so lieblich gedünget und so minniglich gedünget! Denn er hat ihn gedünget mit einem edeln minniglichen Herzblut; denn damit ward die Erde begossen.  Nun seht, wie herzlich lieb euch Gott gehabt hat, und wie herzlich er euch geminnet hat. Und darum, wie er selber spricht und gebietet, so sollen wir ihn minnen von allem unserem Herzen und von aller unserer Kraft und von aller unserer Seele, und unsern Nächten wie uns selber. Da er uns so herzlich lieb hat gehabt, so will er auch, daß wir ihn lieb haben. Und die Liebe, die er von uns muthet (verlangt), ist um unserer Seele Seligkeit und unsers Leibes. Ist Jemand hier, der ihm Ehre und Seligkeit und Gutes wohl gönnet, der habe Gott lieb von allem einen Herzen rc. und seinen Nächsten, wie sich selber. Wer das thut, der gönnt ihm selber Gutes wohl und alle Seligkeit; denn das zerrinnt ihm halt nimmermehr. Ich will ein großes Wort sprechen: er hat halt alles, das Gott selber hat. Und wir sollen von (wegen) der selben Liebe, daß er uns so lieb hat, unsern. Nächsten lieb haben. Denn wen der Herr lieb hat, den soll das Hofgesinde auch lieb haben. Und also hat er uns alle lieb gehabt. Hat einer mehr denn der andere; er hat doch den Armen so lieb als den Reichen.

 

Wie arm er ist, wie ungestalt er ist, du weißt nicht, was Gott mit ihm im Sinn hat, mit des Armen Armuth, und mit des Reichen Reichthum. Und darum sollst du deinen Nächsten, das ist deinen Nebenchristen minnen wie dich selber; denn Gott selber hat ihn so lieb, daß er den Tod seinetwegen litt.“ Wie tief und innig er das Wesen der Liebe erfaßt hat, zeigt folgende Darstellung: die Minne ist recht (gerade) wie das Feuer. Was man in das Feuer legt, das wird auch Feuer. Legt man Eisen in das Feuer, es wird auch Feuer. Also ist die Minne. Alles was dem Menschen je geschehen mag, der die wahre Minne hat, das ist ihm alles eine Minne. Hat er große Arbeit, das ist ihm auch eine Minne; hat er große Armuth, es ist ihm eine Minne. In der Liebe unters Herrn leidet er Schmach und alle die Armuth, die über ihn kommt. Wie meine Frau St. Maria Magdalena: die minnete unsern Herrn so ernstlich, daß er ihr erschien. Und sie wollte wähnen, es wäre ein Gärtner. Da sprach sie: „Herr, hat du mir ihn genommen? Zeige mir ihn, ich will ihn hintragen.“ Hört ihr nicht, welch‘ eine wunderliche Rede. Seht so heiß und so recht war ihr zu unserem Herrn von rechter Liebe, daß sie wollte wähnen, es wüßten alle Leute, wie es um die Liebe stände, die sie gegen unsern Herrn trug. Und also war sie entzündet mit der wahren Minne und Liebe, daß sie so wunderlich sprach und daß sie nichts belästigte, was sie durch Gottes Liebe that. – Nun hat ihre Arbeit alle ein Ende, die sie in der Minne litt; aber ihre Freude gewinnt nimmermehr ein Ende.“ Wenig über ein Jahr hat Berthold seinen Lehrer und Freund David überlebt. Dieser starb den 16. Nov. 1271. Die Stunde seines Heimgangs soll B. geoffenbart worden sein, der gerade in Regensburg predigte, und in einem Verse ihn dem Volke pries als einen Mann, der fromm war und klug, demüthig und sittsam, nüchtern, keusch und stille, so lange er lebte:

 

„Qui pius, prudens, humilis, pudicus,\\

Sobrius, castus fuit et quietus,\\

Vita dum praesens vegetavit ejus corporis artus.“

 

Er selbst folgte ihm nach im Dec. 1272. Doch gehen die Angaben über den Tag auseinander: nach den Einen starb er den 24. oder nach einer andern Lesart den 14. Dec. (IX. und XIX. Cal. Jan.); womit aber nicht stimmt, daß er am Tage der h. Lucia 13. Dec. in Regensburg begraben worden. – Sein Gedächtniß ist werth, auch in der evangelischen Kirche im Segen zu bleiben. Denn ob er auch nach einer innern und äußern Stellung in der damaligen Kirche die ganze kirchliche Institution mit ihrer römischen Spitze in gutem Glauben festhielt und in der mittelalterlich-hierarchischen Anschauungsweise sich bewegte, daher auch die Opposition dagegen als ein gefährliches und verderbliches Treiben bekämpfte; so war er doch weit entfernt davon, widerchristlichen Ausartungen und Missbräuchen das Wort zu reden, und ein ganzes Streben ging dahin, die Seelen der Christenmenschen dem Reiche Gottes zuzuführen, die in die Gemeinschaft des Heils hineinzuleiten und darin zu befestigen, und alles widergöttliche Wesen, in welcher Gestalt es sich ihm darbieten mochte, alles was die Seelen verderbt und von der Gemeinschaft des heiligen und seligen Lebens in Christo abzieht, mit allem Ernte zu bekämpfen, auf daß der Zweck der Erlösung erfüllt werde, und der Herr Christus ein Volk des Eigenthums habe, das fleißig wäre zu guten Werken. So mag denn sein Name unbedenklich im evangelischen Kalender stehen. Ist ja doch die evangelische Kirche ihrem wahrhaftigsten Selbstbewußtsein nach nicht eine bloß glücklichere Fortsetzung früherer Sectengemeinschaften, jener unreifen Versuche einer antikatholischen Gesellschaftsbildung. Als die in Wahrheit apostolische und sonach katholische weiß sie sich in unzertrennlichem Zusammenhang mit den gesunden christlichen Elementen und Persönlichkeiten aller Zeiten und Gebiete der Einen Kirche, mit allem was die unsichtbare Kirche in den sichtbaren Kirchenanstalten bildet. Sie will ja nichts anderes als das ursprüngliche Zeugniß Christi und von Christo, gereinigt von den fremdartigen Zuthaten späterer Zeiten, erneuern und bewahren und nach dem Bedürfniß des Zeitalters darlegen und entfalten mit treuer Benutzung und Aneignung alles dessen, was von Zeit zu Zeit zur wahren Verherrlichung Christi und zum Ausbau eines Reichs in der Menschheit versucht und gearbeitet worden ist, somit auch der Personen, welche als treue Arbeiter in diesem Werke erfunden werden und deren Grundrichtung eine gesunde katholische ist, nicht gerichtet auf Stärkung und Erhöhung hierarchischer Gewalt, sondern auf Förderung des Reichs Gottes in der bestehenden Kirchenform, auf Erweckung und Belebung des christlichen Volks aus dem Worte und Werke Gottes. Hierdurch ist ja der wahrhaften Erneuerung der Kirche, wie dieselbe in der Reformation auf eine weit- und durchgreifende Weise geschehen ist, eben so vorgearbeitet worden, wie durch die dem römischen Wesen entschieden, ja schroff entgegentretenden Wahrheitszeugen. Denn haben. Diese dieß gethan theils durch ihren Protest gegen das Unevangelische, Unapostolische, Schriftwidrige des päpstlichen Regiments und der demselben dienenden Einrichtungen, theils durch Hervorhebung der apostolischen Wahrheitselemente, wenn auch noch einseitig und häufig nicht ohne Beimischung von Fremdartigem und Falschem; so haben Jene dafür gewirkt durch Bewahrung der Katholicität als solcher und Geltendmachung des wahrhaft Christlichen innerhalb derselben, wenn auch nicht ohne Beimischung von Falschem, wie es das Sein und Leben im Papsthum mit sich brachte. Als einen solchen die evangelische Erneuerung der Kirche in lauterem und tüchtigem Streben mit vorbereitenden Geist führen wir demnach den Br. Berthold im evangelischen Kalender mit auf; wir möchten noch zum Schluß hinzufügen, als einen Mann der innern Mission in einer Zeit, wie er denn nicht allein predigend und mit mächtigem Worte gegen die Sünde und für die Gerechtigkeit eifernd dem in den Massen verbreiteten heidnischen Verderben aller Art entgegengewirkt hat, sondern auch in liebreicher rettender That den Schaden zu bessern suchte, indem er z. B. Weiber von unkeuschen Sitten, die durch eine Predigten bekehrt wurden, verheirathete, nachdem er von der zahlreichen Zuhörerschaft so viel Almosen gesammelt, als zur Ausstattung für die erforderlich war.

 

Chr. Fr. Kling in Marbach.