Um den Apostel Paulus bildete sich allmählich während seiner treuen Arbeit für die Ausbreitung des Evangeliums ein Kreis von befreundeten jüngeren Männern, welche mit ihm an dem segensreichen Werke der Berufung der Heiden zum Reiche Gottes lebendigen und von Erfolg gekrönten Antheil nahmen. Viele von ihnen hatte er selbst durch seine Predigt dem Herrn gewonnen, und weil er in apostolischer Weisheit die Gabe der Gemeindeleitung und die Lehrgabe in ihnen bemerkte, zu umfassenderer Wirksamkeit bestimmt. Nur durch christliche Gemeinschaft mehrerer gleichgesinnter Männer konnte das große Werk gelingen: es bedurfte vieler Kräfte; aus der Zahl der Heiden selbst mußten Boten an die Heiden gesendet werden, Männer, welche von jüdischen Vorurtheilen frei und den eigenthümlichen Fehlern dieser Nation fremd in reiner, freudiger Begeisterung für die beseligende Botschaft dem Herrn ihr Leben zum Opfer zu bringen bereit waren. Mit den Bedürfnissen und der Denkweise der heidnischen Welt aus eigner Erfahrung bekannt und durch das Beispiel des Paulus, dem sie in Liebe und Dankbarkeit angehörten, mit dem rechten Wege, auf dem etwas gewirkt werden konnte, vollkommen vertraut, konnten sie leichter als andere im vollsten Bewußtsein der Einheit mit dem Apostel die Heiden auf die neue Bahn führen und die Herzen derselben mit dem ächt christlichen Geiste erfüllen.
Einer der frühesten Freunde dieser Art, der schon in Antiochien dem Apostel Paulus zur Seite stand, als dieser eben erst seine Missionsthätigkeit begann, war Titus, von Geburt ein Heide, aber durch die Weihe des heiligen Geistes ein treues Rüstzeug in der Hand Gottes für die ersten Zeiten und als Paulus ächter Sohn durch das Band kindlicher Liebe mit seinem Lehrer verknüpft, s. Br. an die Galater 2, 3., an Titus 1, 3. Die näheren Umstände seines früheren Leben, seine Herkunft und seine sonstigen Verhältnisse sind uns gänzlich unbekannt; nur was er im Auftrage des Paulus unternommen und gewirkt hat, kann einigermaßen aus den Briefen des Apostels erkannt werben, genügt aber auch so, uns ein erfreuliches Lebensbild zur Nacheiferung vorzuhalten.
Als Paulus (etwa um das Jahr 51 der christlichen Zeitrechnung) Antiochien verließ, um mit den übrigen Aposteln in Jerusalem zusammenzutreffen und ihnen über die eigenthümliche Art seiner Thätigkeit für die Heiden Bericht zu erstatten: nahm er als lebendigen Zeugen derselben auch Titus mit dorthin, der zwar nicht, wie einige Eiferer für das mosaische Ceremonialgesetz forderten, durch die Beschneidung zuerst in das Judenthum aufgenommen worden war, aber des ungeachtet von den Aposteln als Christ anerkannt wurde und keinen Anstoß erregte, P. Gal. 2, 1 ff
Später treffen wir Titus zu Ephesus in Kleinasien bei dem Apostel (im Jahre 57) in einer Zeit, als die Gemeinde zu Korinth, jene dem Herzen des Apostels so theure Schmerzenstochter, in welcher manche unerfreuliche Erscheinungen hervorgetreten waren, seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Da wählte er ihn, um daselbst den Eindruck, welchen sein erster Brief an die Gemeinde gemacht hatte, theils zu erforschen, theils wenn es nothwendig wäre zu verstärken und im Geiste des Apostels weiter zu wirken. Titus entledigte sich dieses Auftrags mit der größten Treue. In Troas hatten sie wieder zusammentreffen wollen. Da Paulus ihn aber dort nicht fand, ging er ihm voll Eifer nach Macedonien entgegen und vernahm dort erwünschte Nachrichten, die ihn – aber nicht vollständig beruhigten. Eben in jenen Gegenden schrieb er daher jenen zweiten herrlichen Brief in Gemeinschaft mit Timotheus, der mit ihm in Korinth gearbeitet hatte, und ließ ihn der Gemeinde durch Titus überbringen, s. 2. Br. an die Korinther 1,19. 2,12 ff. 7,7. Ausdrücklich bezeugt er hier, 7,13 ff. wie das Herz des Titus durch seine erste Aufnahme bei ihnen erquickt worden sei und dieser es darum gern und freiwillig übernommen habe, zu ihnen zurückzukehren.
Zu einer andern Zeit, welche sich nicht mit Genauigkeit bestimmen läßt, begleitete er den Apostel nach der Insel Kreta, wo durch Paulus gesegnete Wirksamkeit überall christliche Gemeinden entstanden und die weitere Einrichtung derselben betrieben werden mußte. Als der Apostel aber den Grund gelegt hatte und sich wieder entfernte, ließ er Titus zurück, um als sein Genosse und Mitarbeiter das begonnene Wert zu Ende zu führen, Aelteste einzusetzen, die Gläubigen in der Treue zu befestigen, die Irrlehrer aber zu überwinden. Bald darauf schrieb er ihm jenen Brief, von dem unser Luther sagt: „Dies ist eine kurze Epistel, aber ein Ausbund christlicher Lehre, darinnen allerlei so meisterhaft verfasset ist, das einem Christen Noth ist zu wissen und darnach zu leben.“ Dem mündlichen Unterrichte, wie er seinem Berufe am Besten genügen könne, fügt er hier zugleich einen schriftlichen bei, welcher einerseits ihm selbst ein beglückendes Zeichen des großen Vertrauens und der herzlichen Liebe, welche der Apostel gegen ihn hegte, geben mußte, andererseits aber ihn von neuem bei den Gemeinden beglaubigte. Große Schwierigkeiten waren zu bestehen, welche durch den Charakter der Eingeborenen, 1,12. und die Bösartigkeit jüdischer Verführer, 1,10. bedeutend erhöht wurden. Dringend ermahnt er in daher, 2,7. ein Vorbild guter Werke zu sein, mit unverfälschter Lehre, mit Ehrbarkeit und mit heilsamem und untadeligem Wort; und heißt ihn mit ganzem Ernst reden und strafen. Die heilsame Gnade, die Freundlichkeit und Leutseligkeit seines Gottes und Erlösers legt er ihm und den Gemeinden von neuem in den ergreifendsten Worten an und in das Herz. Nach beendigtem Geschäft aber soll er rasch zu dem Apostel nach Nikopolis kommen, wo dieser den Winter zuzubringen gedachte.
Ueber sein späteres Leben und sein Ende ist keine zuverlässige Nachricht auf uns gekommen. Sicher ist, daß er im Auftrag des Apostels eine Reise nach Dalmatien unternommen, 2 Tim. 4,10. Daß er aber das Amt eines Bischofs in Kreta verwaltet habe, wie einige erzählen, bleibt ungewiß. So ist die ganze, der Kirche heilige Erinnerung an ihn mit der an den Apostel Paulus verknüpft. Wir sind dem Manne innig dankbar, der seinen Meister, der ihn zuerst in die Tiefen des Christenthums eingeführt hatte, stets mit Treue geehrt und in dem schweren leidensvollen Beruf der Heidenbekehrung kräftig und erfolgreich unterstützt hat.
Friedrich Ranke in Berlin.