Elisabeth von Thüringen

Elisabetha von Ungarn, Landgräfin von Thüringen und Hessen.

geb. 1207. gest. 1231.

Gertrud von Meranien, fromm und männlich wie ihr Gemahl, König Andreas von Ungarn, gebar demselben im Jahre 1207 zu Preßburg eine Tochter, die bestimmt war, eine der berühmtesten und gottseligsten Frauen der deutschen Vorzeit zu werden. Elisabetha war der Taufname des Kindes. Schon in ihrer zartesten Kindheit, als dreijähriges Mädchen, zeichnete sie sich durch Züge des Mitleidens gegen Arme aus, während in ihr junges Herz die vorgesprochenen Gebete, die Unterweisung im Glauben als lebendige Samenkörner fielen. Sage und Dichtung verherrlichten wetteifernd schon die ersten Jahre der frühreifen Elisabeth als eines Wunderkindes.

Landgraf Hermann von Thüringen, ein mächtiger und trefflicher Fürst, ließ für seinen Sohn Ludwig um das Königskind werben, und der Sänger Klingsohr versäumte nicht, nach eigener Anschauung die Reichtümer des Grafen, die Fruchtbarkeit seiner Lande und das Glück seines Volkes zu schildern, das viel Bier trinke und schönes Weißbrot esse. Die kleine, nicht mehr als vier Jahre alte Elisabeth wurde denn auch dem jungen Ludwig versprochen, in ein gold- und silbergesticktes seidenes Gewand eingehüllt, in eine Wiege von gediegenem Silber gelegt und von der weinenden Mutter den Thüringern übergeben. Mit Geschenken und Kostbarkeiten beladen, brachten die Brautwerber die Verlobte glücklich nach Eisenach. Der Landgraf mit seiner Gemahlin eilte von der Wartburg herab, und am folgenden Tage wurde vor Hof und Bürgerschaft die vierjährige Prinzessin feierlich mit dem elfjährigen Prinzen Ludwig verlobt, den sie von da an nie mehr verließ und den sie fortan ihren Bruder nannte.

Einen tief ernsten Eindruck machte auf sie die grausame Ermordung ihrer jungen Mutter durch die eigenen Untertanen, denen sie ihr Leben preisgab, um ihren Gemahl vor den Verschwörern zu retten. Gewiss bildete dieses schreckliche Ereignis den dunklen Grund ihres ganzen Lebens und ihrer absonderlichen Frömmigkeit. So oft sie nur konnte, ging sie in die Schlosskapelle, legte sich am Fuße des Altars hin, und obwohl des Lesens noch nicht kundig, ließ sie sich ein großes Psalmbuch öffnen, faltete die Hände, blickte zum Himmel auf, um nach Kinder Weise gar eifrig zu beten. Gewann sie etwas im Spiele mit andern Kindern, so gab sie es armen Mädchen mit der Auflage, dafür eine Anzahl Vaterunser zu beten. Selbst die Streiche, die sie ihren Gespielinnen spielte, hatten eine religiöse Beziehung. Alles Geld, das sie von ihren Schwiegereltern erhielt oder ihnen ablocken konnte, teilte sie den Armen aus, alle Überbleibsel von Speisen, die sie in den Küchen und Gewölben habhaft werden konnte, brachte sie armen Hungrigen, zum großen Verdruss der landgräflichen Hausbeamten. Zu ihrem Lieblingsheiligen erkor sie den jungfräulich zarten und reinen Johannes.

Früh übte sie sich in freiwilligen Entbehrungen. An Sonn- und Festtagen ließ sie einen Teil ihres fürstlichen Putzes zur Seite. Mitten im Spiele, wo sie am glücklichsten war, konnte sie aufhören. Obwohl eine große Freundin des Tanzes, begnügte sie sich doch stets mit einer einmaligen Runde.

In ihrem neunten Jahre starb der Vater ihres Verlobten. Nun kam sie unter den Einfluss seiner Mutter, der Landgräfin Sophie, einer Tochter des Bayernherzogs Otto von Wittelsbach, welche diesen frühzeitigen Übungen absonderlicher Frömmigkeit des Kindes gram war und sie dem Spotte des Hofes um so mehr aussetzte, als sie eine Vorliebe für den Umgang mit schlichten Eisenacher Bürgerskindern, ja mit den Töchtern von Dienstfrauen und armen Leuten zeigte. Es sei nichts Fürstliches an ihr, sie tauge nur zu einer Kammerfrau oder Magd, hieß es.

Unerträglich war es der Landgräfin, dass an einem hohen Feste Elisabeth, neben ihr vor dem Bilde des Gekreuzigten in der Kirche kniend, die Krone vom Haupte nahm, auf den Betstuhl legte und sich ohne allen Kopfschmuck zur Erde niederwarf. Bittere Scheltworte erpressten wohl bittere Tränen, aber vermochten Elisabeth nicht, von ihrer Weise zu lassen. Nun wurde sie Gegenstand förmlicher Verfolgung am Hofe, man riet, sie nach Hause zu senden, eine solche Begine (Betschwester) tauge nicht zur Fürstin; die Landgräfin wollte sie in ein Frauenkloster zwingen; Agnes, die in allen Reizen weltlicher Schönheit strahlende Tochter der Landgräfin, meinte, eine Dienstmagd wäre an ihr verdorben.

Elisabeth hatte Niemand an dem fremden Hofe, dem sie ihr Leid klagen konnte, als ihren Gott, und nur zu den Füßen des Gekreuzigten durfte sie ihren Schmerz ausweinen; ihre einzige Gesellschaft blieben die Kammerfrauen und armen Mädchen, gegen die sie ihre Freundlichkeiten verdoppelte.

Gegen alle Erwartung blieb der junge Landgraf seiner Verlobten in der Stille treu. Ihre Bescheidenheit, ihre Geduld, ihre Mildtätigkeit war sein geheimes Glück. Er verfehlte nicht, in einsamen Stunden sie mit freundlichen Worten aufzurichten, von jeder Reise ihr einen Beweis seiner herzlichen Zuneigung mitzubringen. Am St. Kilianstage des Jahres 1218, als er sein achtzehntes Jahr zurückgelegt, ließ er sich in der St. Georgskirche zu Eisenach zum Ritter schlagen, das folgende Jahr führte er Krieg gegen den Erzbischof von Mainz, und im Jahre 1220 feierte er in fürstlicher Pracht seine Vermählung auf der Wartburg. Ludwig zählte zwanzig, Elisabeth dreizehn Jahre. Nach allen Nachrichten war er ein nach Körper und Geist gleich ausgezeichneter Jüngling.

Er wusste als Landgraf Zucht, Sitte und Religion zu üben und zu schützen, sein liebster Gang war in die Benediktinerabtei zu Reinhardsbrunn, wo er sich seine Grabstätte ausersehen. Dort besuchte er regelmäßig zuerst das Kranken- und Pilgerhaus, tröstete die Siechen und spendete reichliches Almosen. Aus Enthaltsamkeit aß er nie gesalzene oder gewürzte Gerichte, ganz gegen damalige Fürstenfitte tranf er niemals Bier, und nur wenn er krank war, Wein. Er war einer der stärksten und ritterlichsten Männer seiner Zeit: einen losgewordenen Löwen bändigte er durch bloßes Drohen mit Faust und Stimme. Zudem war er voll guter Sitte gegen die Frauen, voll Leutseligkeit gegen Untergebene, und gegen Jedermann bewies er jene edle Höflichkeit, welche sein Zeitgenosse, Franz von Assisi, so schön die Schwester der Liebe nennt. Nur eine Leidenschaft hatte er, die Gerechtigkeitsliebe. Unerbittlich war er gegen die, welche Recht und Wahrheit beugten, die Armen bedrückten, Ungebührliches taten oder sprachen; persönliche Beleidigung gegen ihn selbst vergab und vergaß er. Neben dieser Milde und Schlichtheit war er aber ein weiser und staatskluger Herr, trotz seiner Jugend. Thüringen blühte unter diesem Fürsten, dessen Wahlspruch war: „Fromm, keusch, gerecht,“ und der hiermit auf seltene Weise den ritterlichen Sinn mit dem priesterlichen verband.

Für einen solchen Mann war Elisabeth, „die fromme, die keusche und die liebe,“ wie sie in den Chroniken genannt wird, das von Gott erwählte Weib. Sie wird als eine vollkommene Schönheit geschildert, das rundliche Angesicht bräunlich und hold, ihr Haar schwarz, ihr Wuchs unvergleichlich schlank und voll Anmut, ihr Gang ernst und voll Adel, ihre Augen ein Sitz der Zärtlichkeit, der Spiegel ihrer schönen Seele. So steht sie noch jetzt in Holz gebildet hoch an einer Säule der Elisabethenkirche zu Marburg, in der Linken das Modell ihrer Kirche haltend, rechts einem Armen zu ihren Füßen Almosen spendend.

Mit ihrer feurigen Liebe zu ihrem jungen Gemahl verband sie eine kindliche Ergebung und eine zärtlich-gehorsame Aufmerksamkeit auf jeden Wink. Dafür ließ Ludwig sie in ihren milden Werken gewähren, munterte sie auf und half dazu; nur wenn ihr Eifer zu weit gehen wollte, warnte er die Folgsame mit liebender Vorsicht.

Mit schonender Liebe trug er ihre selbsterwählten klösterlichen Übungen, die sie sich nach damaliger katholischer Weise auflegte. Jede Nacht nämlich verließ sie, während ihr Gemahl schlief oder zu schlafen schien, ihr Lager, um neben demselben niederzuknien. Oft bat sie der erwachende Gatte, ihrer zu schonen, ja er nahm sie an der Hand und hielt sie, bis sie sich wieder niedergelegt hatte. Ein heiterer Zug ist, wie sie, um ihre Gebetsstunde nicht zu verschlafen und ihren Mann nicht zu stören, ihrer vertrautesten Kammerfrau befahl, sie zur Zeit durch ein Zupfen am Fuße zu wecken, die Dienerin aber einmal sich irrend den Landgrafen an der Zehe fasst, dieser plötzlich erwacht, aber, die Ursache der Störung merkend, sich wieder geduldig zur Ruhe legt.

Auch in der Ehe fuhren die beiden, von frühester Jugend an einander gewöhnten Gatten fort, sich Bruder und Schwester zu nennen. Sie begleitete ihn fast auf allen Reisen. Ging er zu weit fort, als dass sie hätte mitgehen können, so legte sie ihren fürstlichen Schmuck ab, zog Witwenkleider an, verhüllte sich das Haupt und erwartete seine Heimkunft in Gebet, Wachen und nonnenhaft strengen Bußübungen. Mit kindlicher Freude ging sie dem Heimkehrenden in fürstlichem Schmucke entgegen, Alles aufbietend, ihm wohlzugefallen um Gottes willen. Es stieß schon damals gegen die Sitte der Vornehmen an, dass bei Tische die Gemahlin zur Seite ihres Herrn sitze, sie aber ließ sich das Vorrecht der Liebe schlechterdings nicht nehmen, und wusste durch ihre Anwesenheit dem leichtfertigen Tone der Hof- und Weltleute einen Zügel anzulegen.

So war sie auf dem Gipfel des irdischen Glückes. Aber als ob sie dem Kreuze zuvorkommen wollte, das der Herr seinen Lieblingen aufzulegen nicht vergisst, „weil sie ohne dasselbe sind wie eine Braut ohne Kranz,“ suchte sie in selbsterwählter Geistlichkeit über Gebot und Not sich Opfer aufzulegen, und das wirft uns über dieses herrliche Frauenbild einen sehr trüben Schatten, den wir freilich mit der Sitte ihrer Zeit und der Lehre ihrer Kirche entschuldigen müssen. Sie strebte ihr Fleisch abzutöten durch Nachtwachen, durch stetiges Tragen eines härenen Hemdes auf bloßem Körper, durch Geißelhiebe auf den bloßen Rücken jeden Freitag und die ganze Fastenzeit hindurch, später sogar in jeder Nacht, um „damit dem Heilande, der ebenfalls gegeißelt wurde, einige Vergeltung anzubieten!!“ Dabei übte sie sich übrigens, nicht sauer zu sehen, immer heiter und freundlich zu sein, allen Hoffesten und Bräuchen abzuwarten. Auf den Rat ihres Beichtvaters aß sie bei Tafel nichts von solchen Gerichten, welche durch den Schweiß der Untertanen und nicht durch den Ertrag ihrer eigenen Güter bestritten wurden, so dass sie oft hungrig und durstig von dem reichbesetzten Fürstenmahle aufstand und sich mit einem Stück Schwarzbrot begnügte! Fand sie in den Küchen und Speisegewölben nur solche Speisen, die sie für erlaubt hielt, so konnte sie kindlich froh in die Hände klatschen und rufen: „Heute geht’s gut, heute dürfen wir essen und trinken!“ Sie war damals noch nicht sechzehn Jahre alt. Einst ging sie an einem großen Festtag in Edelsteinen strahlend, das Haupt mit der landgräflichen Krone geschmückt, von ihrer Schwiegermutter und zahlreichem Gefolge begleitet, von der Wartburg nach Eisenach hinab in die Kirche. „Da hängt dein Gott nackt am Kreuze, und du, unnütze Kreatur, bist mit kostbaren Gewändern bedeckt; Sein Haupt durchstechen Dornen, und das deine schmückt eine goldene Krone!“ so sprach sie, sank ohnmächtig zusammen und gelobte von Stund‘ an, auf allen Schmuck zu verzichten, außer wo ihr Rang oder ihr Gemahl es gebot, dann aber unter dem fürstlichen Gewande das wollene Kleid und das härene Bußgewand zu tragen.

Während sie also gegen sich hart war, floss ihr Herz über von Liebe und Barmherzigkeit gegen die Unglücklichen. Allen ihren Überfluss, alle Ersparnis widmete sie den Armen, manchmal ihre eigenen Kleider. Wichtiger noch als dieses war die persönliche Hingabe, die sie mit kindlicher Einfalt und Heiterkeit übte. Kamen Kranke mit Bitten, so erkundigte sie sich nach ihrer Wohnung, um sie besuchen zu können. Kein Weg war ihr zu weit, keine Hütte zu schmutzig und dumpf. Erquickung und Aushilfe brachte sie selber mit, mehr als ihre Gaben galt ihr sanftes, liebreich tröstendes Wort. Schulden tilgte sie aus ihrer eigenen Kasse. Die neugebornen Kinder armer Wöchnerinnen nahm sie mütterlich auf, die Armen hüllte sie in selbstverfertigte Kleider, hob sie aus der Taufe, um ein Recht zu haben, ihnen stets die Mitmutter zu sein. Starb einer ihrer Armen, so kam sie, wenn es irgend möglich war, und wachte bei der Leiche, hüllte sie eigenhändig (oft in die eigenen) Betttücher ein, war beim Begräbnis zugegen und folgte demütig dem dürftigen Sarge des Letzten ihrer Untertanen.

War sie auf ihrem Schlosse, so verwandte sie ihre Stunden auf mühsame und nützliche Arbeiten. Sie spann mit ihren Ehrenfräulein Wolle und verarbeitete sie selbst zu Kleidern für Arme. Um zu erfahren, wie Armenkost schmecke, ließ sie ihre Mahlzeit aus einfach ohne Salz und Würze gekochtem Gemüse bestehen, das sie dann mit großer Freudigkeit aß.

Entdeckte sie die Spur irgend einer Gewalttätigkeit oder eines Unrechts gegen die armen Landleute, so zeigte sie es alsbald ihrem Gemahle an, oder suchte selber das Unrecht wieder gut zu machen, so weit es ihre Mittel erlaubten. Sie überbrachte ihnen Geld, Lebensmittel und Kleidungsstücke. Einst stieg sie so belastet in Begleitung einer ihrer vertrauten Frauen einen kleinen, sehr rauen Weg, den man noch heute zeigt, hinunter und trug unter ihrem Mantel Brot, Fleisch, Eier für die Armen. Plötzlich stand ihr Mann, von der Jagd heimziehend, vor ihr und fragte die gebückt Einhergehende: „Lass sehen, was du trägst.“

„Rosen,“ antwortete sie, „um mir einen Kranz zu machen.“ Er aber zog mit den Worten: „Lass sehen die Rosen,“ den Mantel der sich Sträubenden zurück und sah lächelnd und erstaunt die Bescherung, die ihm schöner als der schönste Rosenstrauch am Busen seiner Getreuen dünken musste. Die Sage ließ auch wirklich die sieben Sachen wunderbarer Weise vor seinen Augen in Rosen verwandelt werden! Die Maler und Bildhauer bildeten sie daher vielfach mit Rosen in ihrem Mantel ab, noch heute sieht man Rosen in großer Zahl um ihre Kirche zu Marburg und auf der Wartburg selbst.

Die erste Stelle an ihrem Herzen nahmen die Aussätzigen ein. Es war eine so furchtbare Krankheit des Mittelalters, man hielt diese Kranken als von Gott gezeichnet und schied sie von der christlichen Gesellschaft aus. Elisabeth aber ging, wo sie einen sah, zu ihm hin, tröstete ihn, sprach heitern Mut zu, hieß ihn den Segen dieses Kreuzes erkennen und beschenkte ihn. Einst traf sie einen dieser Unglücklichen, der noch dazu an einer ekelhaften Kopfkrankheit litt. Sie ließ ihn, dessen kein Mensch sich annahm, in einen abgelegenen Teil ihres Baumgartens bringen, schnitt ihm selbst die Haare ab, wusch und verband ihm den Kopf auf ihrem Schoße. An einem grünen Donnerstage wusch sie einer großen Anzahl Aussätziger Füße und Hände und küsste kniend ihnen Wunden und Geschwüre. Einmal nahm sie einen entsetzlich kranken Aussätzigen, dem Niemand zu nahen wagte, zu sich, badete ihn, salbte ihn mit heilsamen Ölen und legte ihn in ihr eigenes Bett, zum Entsetzen der Schwiegermutter und des heimkehrenden Gemahls, der sich aber besänftigte, als er begriff, „wie der Herr in seinen kranken Gliedern aufgenommen und gepflegt werde.“ Den tiefen Eindruck, den dieser Auftritt auf den Landgrafen gemacht, benützte Elisabeth, um von ihm die Erlaubnis zu erbitten, dass sie ein Krankenhaus am Abhange der Wartburg bauen dürfe. Hier verpflegte sie denn achtundzwanzig Kranke oder Altersschwache, welche nicht bis zum Schlosse emporsteigen konnten. Jeden Tag besuchte, speiste und tränkte sie die armen Pfleglinge, denen zu lieb sie gerne selber die Ärmste werden wollte.

Bezeichnend für ihre kindliche Einfalt ist das Gespräch, das sie in einer schlaflosen Stunde mit ihrem Gemahle hatte. „Ich wünschte,“ sprach sie, „dass wir nur für einen Pflug Ackerland hätten, wovon wir lebten, und etwa zweihundert Schafe, dann könntet Ihr ackern, während ich die Schafe hütete.“ Laut über den kindischen Einfall lachend, erwiderte der Landgraf: „Ei, liebe Schwester, wenn wir so viel Land und Schafe hätten, so wären wir, wie mich dünkt, nicht gerade sehr arm, gar viele Leute würden da uns noch viel zu reich finden.“

In vertraulichen Stunden im Frauen-Zimmer legte sie wohl auch ihre schönen Kleider ab, hüllte sich in einen elenden Mantel und zerrissenen Schleier und spielte wie ein Kind vor ihren Frauen die arme, um Brot bittende Bettlerin. „So werde ich umhergehen,“ sprach sie mit prophetischem Wort, „wenn ich durch Gottes Willen arm und elend sein werde.“

Ihre ganze Art zu sein hing, wie bereits bemerkt, mit der menschlichen und kirchlichen Sitte ihrer Zeit zusammen, und darf daher nicht mit unserem Maßstabe gemessen werden. Wenn man in den alten Jahrbüchern liest, wie das damalige Geschlecht ein gott-inniges, natürliches, von jeder gemachten Rührsamkeit freies Gemütsleben hatte, dass selbst die eisernen Männer, die unüberwindlichen Helden, Herzen in ihrem Busen trugen weich und ungekünstelt wie die Kinder, dass Fürsten und Ritter, ja ganze Heere tiefgerührt in Tränen zerschmolzen, wie die Recken des Nibelungenliedes, wie Gottfried von Bouillon mit den ersten Kreuzfahrern am eroberten heiligen Grabe, wie Richard Löwenherz beim Anblicke Jerusalems so kann es nicht Wunder nehmen, wenn ein Wesen wie Elisabeth der einfachen, starken Empfindung sich kindlich hingab und die Lebensbeschreiber dieses zarten, liebeseligen Gemütes ganz besonders die ihr zu Teil gewordene himmlische „Gabe der Tränen“ rühmen. Kam noch die einseitige, auf leibliche Abtötung und irdische Heiligkeit gerichtete Lehre und Zucht der mittelalterlichen Kirche hinzu, so wird auch die in unsern Augen offenbare Übertreibung und Überspannung dieser kindlich frommen Seele begreiflich und bedeutungsvoll.

Elisabeth gab sich willenlos willig allen diesen Geboten ihrer Kirche und Gefühlen ihrer Zeit hin. Sie flog zur Kirche, sagt eine alte Handschrift von ihr, wenn man die Glocken anzog; sie legte, vor dem Altare kniend, allen Schmuck von sich; die Fastenzeit, die Passionszeit war ihr die Zeit der tiefsten Demütigung, nur im Bettelrock und in dürftigen Sohlen oder barfuß wallte sie zum Grab des Erlösers, nachdem sie die Nacht durchwacht hatte; ihr Platz war dann mitten unter dem ärmsten Volke, dem sie in Demut ihre Almosen verteilte. Sie ging in der Nachfolge des armen Lebens Christi an der Hand ihres Freundes, des heiligen Franz von Assisi, des reichen italischen Kaufmannssohnes, der vom Vater verstoßen, von seinen Mitbürgern mit Hohn und Kot bedeckt, sein letztes Gewand ablegte, um in seiner vollendeten Armut Dem, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege, die Welt zu erobern. Wie derselbe Alles, Mann und Frau, jenseits und diesseits der Alpen, in die Bahnen der freiwilligen Armut zog, so war Elisabeth, eine der Ersten, Stifterin eines Franziskanerklosters in Eisenach, und ein Franziskanerbruder musste ihr Beichtvater sein. Sie war die Erste, welche sich dem von Franziskus gestifteten „dritten Orden“ anschloss, der den Gliedern das Bleiben in ihrem weltlichen Stande und bürgerlichen Berufe erlaubte und daher die damalige halbe Welt in sich schloss. Zum Dank für die dem Orden geleisteten Dienste, zur Anerkennung ihrer selbstgewählten Demut und freiwilligen Armut musste der Heilige „seiner deutschen Tochter“ den armen, alten Mantel von seinen Schultern übersenden, der ihr köstlichster Juwel blieb, nachdem sie Alles, Alles hergegeben.

Ihr zweiter vom Papste ihr zugewiesener Beichtvater war der Dominikaner Konrad von Marburg, der ihr folgende Verhaltungsregeln vorzeichnete: 1. Ertrage geduldig Verachtung in freiwilliger Armut. 2. Lass dir die Demut am Herzen liegen. 3. Lass fahren menschlichen Trost und die Lüfte des Fleisches. 4. Sei barmherzig gegen den Nächsten. 5. Habe Gott stets in deinem Herzen und in deinen Gedanken. 6. Danke Gott dafür, dass Er dich durch seinen Tod von Hölle und Tod erlöst hat. 7. Weil Gott so viel für dich erlitten, so trage auch du dein Kreuz geduldig. 8. Weihe dich nach Leib und Seele ganz deinem Gotte. 9. Erinnere dich oft, dass du das Werk der Hände Gottes bist, und bestrebe dich daher, dass du auf ewig mit Gott vereinigt werden könnest. 10. Was du willst, dass dir die Menschen tun, das tue ihnen auch. 11. Denke immer daran, wie kurz das Leben ist, darum strebe immer nach dem himmlischen Leben. 12. Bereue stets deine Sünden und flehe zu Gott um Vergebung derselben. – Elisabeth fügte für sich das Gelübde immerwährender Enthaltsamkeit hinzu für den Fall, dass sie Witwe würde.

Jeder Christ wird den evangelischen Kern dieser Vorschriften erkennen und in seiner Weise sich dieselben anzueignen trachten. Elisabeth hatte ihrem Konrad von Marburg das Gelübde des unbedingten Gehorsams abgelegt. Streng und unbeugsam erleichterte er ihr nicht im Geringsten das Joch. Einst ließ er sie zu einer Predigt rufen; da aber eben ihre Schwägerin auf Besuch bei ihr war, ging sie nicht hin. Unwillig über diesen Ungehorsam ließ er ihr sagen, er wolle sich ferner mit ihrer Seelsorge nicht mehr befassen. Elisabeth eilte zu ihm, beschwor ihn, er möchte ihr verzeihen. Er schlug es ihr ab. Sie warf sich ihm zu Füßen, aber nur nach langem Zögern und unter Auflegung herber Buße erhielt sie Verzeihung.

Im Jahre 1223, als sie sechzehn Jahre alt war, wurde Elisabeth zum ersten Male Mutter auf dem Schlosse Kreuzburg. Der Landgraf erhielt zu Marburg die Kunde von seinem Erstgebornen, eilte nach Kreuzburg und ließ zum Andenken daran die steinerne Brücke bei Kreuzburg bauen, die noch heute steht. Das Jahr darauf genas sie einer Tochter. Zwei weitere Töchter, von denen die eine, Gertrud, nach dem Tode des Vaters geboren wurde, nahmen, von ihrer Wiege an Gott geweiht, den klösterlichen Schleier. Gleich nach jedem Wochenbette ging Elisabeth mit dem Kinde auf den Armen, barfuß in wollenem Kleide, den rauen Pfad hinab zur Katharinenkirche, um es dem Herrn darzubringen.

Während nun Ludwig mit der Kraft seines Armes über dem Rechte seiner Untertanen waltete und ritterlich den Bedrückten zu Hilfe eilte, fand Elisabeth in einer schrecklichen Hungersnot, die über Deutschland und Thüringen hereinbrach, ein reiches Feld der barmherzigen Liebe. Das hungernde Volk aß wilde Früchte und Wurzeln, das Aas von toten Pferden und Eseln, ja der schmutzigsten Tiere, und doch verhungerte eine Unzahl. Jetzt wurde die Wartburg zum Spital. Elisabeth ließ alles bare Geld verteilen, alle Vorratskammern öffnen zu sorgfältiger Austeilung für die tägliche Notdurft; in allen Öfen des Schlosses wurde Brot gebacken, täglich labte sie neunhundert Unglückliche. Zu den Gebrechlichsten trug sie die Überbleibsel der Tafel selber hinab. Zwei neue Hospitäler wurden gegründet und täglich ging die Fürstin Morgens und Abends den langen rauen Weg hinunter, um die Kranken von Bett zu Bett zu besuchen und ihnen selber die widerlichsten Dienste zu leisten. Sie reichte den abstoßendsten Kranken mit eigener Hand die Nahrung, machte ihnen das Bette, trocknete sie mit ihrem Schleier ab in unverwüstlicher Heiterkeit. Bei allem natürlichen Widerwillen gegen Krankenluft blieb sie in der Hitze des Sommers ohne Ekel in den verpesteten Krankensälen, während ihre Frauen murrten oder ohnmächtig wurden.

In einem dieser Pflegehäuser hatte Elisabeth eine besondere Anstalt für arme, verlassene und verwaiste Kinder gestiftet, denen sie ihre besondere Zärtlichkeit zuwandte. So oft sie erschien, hiengen sich Alle an ihre Kleider und riefen: „Mutter! Mutter!“ Dann mussten sie sich um die Fürstin hersetzen, die ihnen kleine Geschenke austeilte und ihren Zustand untersuchte. Die elendesten und ekelhaftesten Kranken pflegte sie auf ihrem Schoße.

Die übrige Zeit des Tages durchzog sie die Umgebung der Wartburg, um Almosen und Lebensmittel zu bringen, die ärmlichsten Hütten mit eigenen Augen zu durchforschen und die geringsten Dienste zu tun. Eines Tages bat ein Kranker, der zu schwach war seine Kuh zu melken, kläglich um etwas Milch. Alsbald eilte die Fürstin in den Stall, wo ihr freilich das an eine stärkere Faust gewöhnte Tier auch gar nicht gehorchen wollte.

Besonders gern trat sie an das Bette der Sterbenden, um tröstend und betend ihren Kampf zu lindern und den letzten Seufzer mit schwesterlicher Liebe wegzuküssen. Wo immer möglich, begleitete sie die Hingeschiedenen zu Grabe, nachdem sie mit selbstgewobener oder aus ihrem Vorrate genommener Leinwand sie umhüllt hatte. Einmal gab sie ihren eigenen Schleier dazu her. Sie litt es nicht, dass man die Reichen in kostbare Stoffe einwickelte, man sollte alte Stoffe nehmen und den Wert der neuen an die Armen verteilen.

Nicht minder wandte sie den armen Gefangenen ihre Liebe zu. Sie besuchte dieselben, kaufte die in der Schuldhaft befindlichen frei, verband die von den eisernen Fesseln verursachten Wunden, betete auf den Knien für ihr Heil.

Ihr einziger Ersatz für die ruhelose Tätigkeit war der Friede Gottes in ihrem Herzen, ihre einzige Erholung war das Dankgebet zu ihrem Gott, der ihr verstattete, diese armen Mitmenschen, seine liebsten Freunde, aufzunehmen und zu verpflegen.

Und nicht bloß der nächsten Nähe, dem ganzen Lande galt ihre mütterliche Sorgfalt. Alle Einkünfte des Landes mussten ausschließlich zur Linderung der Hungersnot verwendet werden, alle ihre Edelsteine und Kleinodien verkaufte sie zum Besten der Unglücklichen. Ihr Gemahl war abwesend; so war in ihrer Person die barmherzige Liebe Regentin des Landes.

Diese Vorkehrungen dauerten bis zur Ernte des Jahres 1226. Nun versammelte Elisabeth alle arbeitsfähigen Armen, gab ihnen Sicheln, neue Hemden und Schuhe zur Arbeit. Denen, die zu schwach dazu waren, teilte sie eigenhändig Kleider aus. Jedem Armen gab sie eine kleine Summe Geldes mit nach Hause, fehlte es ihr daran, so teilte sie ihre Gewänder aus mit dem Befehle, sie zu verkaufen, aber dann auch nach Kräften zu arbeiten; denn „wer nicht arbeite, solle auch nicht essen.“

Mit dankbarer Liebe hielt solche Tätigkeit der Mund des Volkes fest, der noch bis in die neuere Zeit der Orte ihrer stillen Großtaten, des Elisabethenbrunnens, des Elisabethengartens, des Liliengrundes, der Armenruhe und des Elisabethentales gedachte. Mit herzlichster Liebe aber erkannte ihr vom kaiserlichen Kriegszuge heimkehrender Gemahl die treue Pflegerin seines Landes an und beschwichtigte die über ihre Verschwendung klagenden Beamten. „Wenn sie mir nur Wartburg, Eisenach und Naumburg bewahrt, das Übrige wird uns Gott wieder erstatten.“ Er wusste: „Almosen geben armet nicht.“

Im Jahre 1227 schloss sich der Landgraf als Feldoberster des mittleren Deutschlands dem Kreuzzuge Kaiser Friedrichs II. an. Es war ein herzzerreißender Abschied von Land und Weib. Sie konnte ihn nicht verlassen, mit Gewalt riss er sich endlich los und sie kehrte, in Tränen zerfließend, halb tot in die Wartburg zurück. Ihr ahnte, er werde nimmer wiederkommen; sie legte sogleich Witwenkleider an.

An der südöstlichen Spitze Italiens sammelte sich das mächtige Heer gegen Ende August, nachdem es wohlgemut die Alpen überstiegen. In Brundusium ging Ludwig mit dem Kaiser zu Schiffe, kaum aber an Bord angekommen wurde er von einem kalten Fieber befallen. Er fühlte bald die Nähe des Todes, ließ seinen letzten Willen niederschreiben, beichtete, nahm die Sterbsakramente und sah freudig der letzten Stunde entgegen. Ohne Seufzer und Tränen schied seine fromme Seele von hinnen. Ein ungeheurer Schmerz aber ergriff die Seinigen, als sie ihm ins verklärte Antlitz schauten. Wehklagen erfüllten die Lüfte: „das Licht unserer Augen, den Führer unseres Zuges haben wir verloren. Wehe, wehe uns!“

Indessen hatte Elisabeth ihr viertes Kind geboren, man konnte die langsam zur Heimat ziehende Hiobspost der verwitweten Mutter nicht ansagen, bis endlich die alte Landgräfin Sophie, die bei diesem Anlasse wieder mütterlich zu der Gemahlin ihres Sohnes sich neigte, es übernahm, sie darauf vorzubereiten. Erst meinte Elisabeth, der Landgraf sei gefangen, und hoffte auf seine Befreiung durch ihren Vater. „Sei geduldig, liebe Tochter, er ist leider gestorben!“ „Ach, Herr Gott, nun ist Alles, Alles für mich tot!“ rief die Unglückliche mit krampfhaft gefalteten Händen und erstickter Stimme. Leichenblass, halb von Sinnen lief sie durch die Hallen und schrie: „Gestorben, gestorben, gestorben!“ Sie war wie von Sinnen, lief wider eine Mauer und hielt sich an ihr, in Tränen zerfließend. „Nun hab‘ ich Alles verloren! Ach, ich trostlose Witwe, nun tröste mich Der, der Witwen und Waisen nicht verlässt, Gott, mein Gott, tröste mich!“ flehte sie in unsäglichem Schmerze. Ihre ganze Umgebung, das ganze Land teilte ihn mit der zwanzigjährigen Witwe.

Aber die Teilnahme für die junge Witwe dauerte nicht lange. Ihrem Harme lebend vergaß sie der Regierungssorgen und der Feind lauerte. Der ältere Bruder des verstorbenen Landgrafen, Heinrich mit seinem Bruder Raspe, ließen sich gegen die „überfromme, verschwenderische“ Elisabeth und ihren minderjährigen Sohn verhetzen. Weil sie „den Schatz verschleudert, das Land arm gemacht, ihren Mann betrogen und entehrt“ habe, wurde sie ihrer Güter beraubt und aus dem Schlosse verjagt. Nur bis zum äußern Tore durfte ihre Schwiegermutter sie begleiten, im Hofe fand sie, ledig jeder Habe, ihre Kinder und zwei Frauen. Beide Brüder hielten sich, bis sie fort war, versteckt. Allein, in Tränen, zu Fuß im strengen Winter, stieg die Königstochter den Felsenpfad zur Stadt hinab. Sie trug das jüngste Kind, die drei andern wurden von den Frauen geführt. Den Einwohnern von Eisenach, die sie mit Wohltaten überschwemmt hatte, hatte Landgraf Heinrich die Aufnahme der Fürstin verboten und sie gehorchten. In einer elenden Schenke fand sie in einem verfallenen Stalle eine Unterkunft, nachdem die darin befindlichen Schweine vom Wirte hinausgetrieben waren.

Jetzt in dieser tiefsten Erniedrigung kehrte plötzlich die Ruhe ihrer Seele wieder, ihre Tränen stockten und ein göttlicher Friede durchdrang ihr Herz. Um Mitternacht hörte sie das Glöcklein im nahen Franziskanerkloster zur Mette läuten, sie stand auf, ging zur Kirche und bat die Mönche um ein „Herr Gott Dich loben wir“ zur Danksagung für die Trübsale, die der Herr über sie verhängt. Gänzliche Unterwerfung unter Gottes Willen, völlige Hingabe in die jetzt über sie gekommene Armut erfüllte von nun an ihr Gemüt bis zum Tode.

Die scharfe Kälte und der Hunger ihrer Kinder zwangen sie, gegen Morgen die Kirche zu verlassen und um Obdach und Nahrung zu betteln. In der Stadt, wo sie Hunderte genährt und gepflegt, klopfte sie lange vergebens an die Türen. Ein armer Priester erbarmte sich ihrer, richtete Strohlager hin und suchte gegen Verpfändung einiger Habseligkeiten, die sie bei sich hatte, nach Lebensmitteln für die Mutter und ihre Kinder. Als aber ihre Verfolger erfuhren, dass sie eine Zuflucht gefunden, ließen sie ihr den Befehl zukommen, sie solle zu einem der Hofleute gehen, der ihr am feindseligsten gewesen und in Eisenach ein geräumiges Haus mit großen Nebengebäuden besaß. So groß indessen seine Wohnung war, so wies der Elende ihr doch nur ein dunkles Zimmer an, wo er sie einschloss, Nahrung und Heizung versagend. An diesem Orte brachte Elisabeth unter ihren weinenden Kindern die Nacht zu. Bei Tagesanbruch eilte sie fort, den Mauern für den Schutz gegen Wind und Wetter dankend, und herzlich gerne auch deren Herren dankend, „wenn sie nur wüsste warum.“ Sie kehrte in die Schenke zurück, um hier die Nacht, und in den Kirchen, woraus sie Niemand vertreiben konnte, den Tag zuzubringen. Um aber ihre Kinder vor Hunger und Kälte zu retten, musste sie sich auch noch zum härtesten Opfer entschließen. Zuverlässige Personen übernahmen die Kleinen und verbargen sie einzeln an entfernten Orten.

Jetzt ertrug sie, über das Los ihrer Liebsten beruhigt, ihr eigenes um so ergebener. Nachdem sie das Letzte verpfändet, suchte sie Verdienst durch Spinnen, um ihr eigen Brot zu essen und noch einen Bissen zu haben, den sie den Dürftigen teilen könnte. Nicht ein Zug der Teilnahme und des Mitgefühls regte sich in Eisenach, nach einmal bewiesenem Undank machte das verklagende Gewissen nur um so trotziger. Eine arme Bettlerin, der sie früher so lange wohlgetan, stieß sie sogar einmal beim Hinüberschreiten über einen unreinen Bach hohnlachend in das kotige Wasser: „Du wolltest keine Landgräfin sein, als du es warst, so liege nun arm im Kote; ich helfe dir nimmer auf!“ Elisabeth aber stand lächelnd auf, hieß auch dies, wie alles ihr Unglück, nicht unverdient, wusch ruhig und ergeben ihre Kleider in einem benachbarten Wasser ab und – fügt ein altes Buch hinzu – ihre geduldige Seele in dem Blute des Lammes.

Der Herr, dem sie in Gebet und Andacht ohne Murren und Klagen sich hingab, trocknete ihre Tränen, dass sie erfuhr: „Abendlang währt das Weinen, des Morgens die Freude.“

Indessen hatte Elisabeths Muhme, die Äbtin Mathilde von Kitzingen, durch ihre Schwiegermutter die Not erfahren und ließ sie mit den Kindern nach Kitzingen holen, wo sie ihr eine würdige Wohnung anwies. Von da zog Elisabeth zu ihrem Oheim, dem Fürstbischofe Egbert von Bamberg, der ihr das Schloss Botenstein zu freier Verfügung gab. Auf den Gedanken einer Wiedervermählung mit Kaiser Friederich II. ging sie, ihrem seligen Gemahle, seinen Kindern und ihrem Gelübde getreu, nicht ein. Sie lebte der Andacht und frommen Wallfahrten. Unendliche Trauer und unendliche Freude bereiteten ihr die Gefährten ihres Gemahls, welche die Leiche desselben von Otranto auf ihrer Rückfahrt von Jerusalem mit zurückbrachten. In der Abtei Reinhardsbrunn setzte sie ihn, begleitet von den treuen Rittern bei, unter dem Zusammenströmen von Reichen und Armen, Vornehmen und Geringen, unter dem Wehklagen des Volkes, das ihn drei Jahrhunderte lang als einen Heiligen verehrte.

Nun fehlte es nicht, dass die thüringischen Ritter den Landgrafen Heinrich zur Reue über seine Niederträchtigkeit brachten und der Verstoßenen zu ihrem Rechte verhalfen. Sie verzichtete auf Land und Leute, nur ihre Mitgift und das Leibgedinge ihres seligen Mannes sprach sie an. Der Landgraf, der einstweilen Vormünder über den rechtmäßigen Erben des Landes, den jungen Hermann, bleiben sollte, ging ihr, von seiner Mutter und seinem Bruder begleitet, entgegen und bat sie um Gotteswillen um Verzeihung. Statt zu antworten, warf sich Elisabeth weinend in die Arme ihres Schwagers. Auch die tapferen Recken umher konnten sich der Zähren nicht enthalten.

So war Elisabeth (zu Anfang des Jahres 1229) mit ihren Kindern und ihrer Schwiegermutter wieder auf ihrer Wartburg in allen gebührenden Ehren, und von ihrem Schwager mit aller Aufmerksamkeit behandelt. Sie hatte volle Freiheit zu den Übungen ihrer Andacht und ihrer Liebeswerke. Als Witwe von den Pflichten des Hofes entbunden, mied sie die Gesellschaften und Vergnügungen desselben, von denen sie wohl wusste, wie sie nur zu oft vom sauren Schweiße der Untertanen bestritten werden. Die Verächterin des Reichtums, die Liebhaberin der Armut wurde natürlich wieder als Närrin von den Dienern des Mammon verachtet, selbst die alte Landgräfin Sophie wurde wieder gegen sie eingenommen. Sie aber duldete und wirkte in aller Freudigkeit, der innere Friede strahlte von dem schönen Antlitze der jungen Witwe wieder. Papst Gregor IX. nahm sich ihrer freundlichst an, gewährte ihr das Recht zu einer Kirche und zu einem Kirchhof für ihren Magdalenenhospital, den sie in Gotha gründete, und empfahl ihre geistliche Leitung wieder dem Konrad von Marburg, seinem apostolischen Bevollmächtigten in Deutschland.

Gespornt von diesem, ermuntert vom Papste überließ sie sich nun einer selbsterwählten Geistlichkeit, wie nie zuvor. Das Wort des Erlösers missverstehend wie ihr Franz von Assisi gab sie alle Besitztümer hin und beschloss, sich von Türe zu Türe ihren Lebensunterhalt zu erbetteln. Nicht um der evangelischen Wahrheit willen, sondern weil ihr Geschlecht und ihre Schwäche ihr eine solche Lebensart untersagten, verwies ihr Beichtvater strenge den Gedanken. So ließ sie sich von ihrem Schwager die Stadt Marburg in Hessen samt ihrem Gebiete und Einkommen zum Eigentum abtreten, um dort sich ganz Gott und ihren Werken überlassen zu können, und zog sich, eigentlich wider Konrads Willen, aber von ihm begleitet, von der Welt zurück. In Marburg ward ihr zu viel Ehre erwiesen; daher bewohnte sie eine arme, verlassene Hütte im kleinen Dorfe Wehrda an den reizenden Ufern der Lahn, um Niemand zur Last zu fallen. Vor Wetter und Sonne musste sie sich unter eine Treppe verkriechen, mit Baumzweigen die Öffnungen verstopfen; ihre Augen litten vom Rauche, ihr Körper hatte nicht Schutz vor Hitze und Kälte, sie kochte sich die kümmerlichste Nahrung, bis in Marburg ihr neben dem Franziskanerkloster ein hölzernes Häuschen, mit Lehm verstrichen, nach ihrem Willen zur Witwenwohnung erbaut war. Am liebsten wäre sie ganz in die strenge Ordensregel des Franziskus getreten, da aber Konrad es nicht zugab, so wollte sie wenigstens öffentlich die Gelübde der Keuschheit, des Gehorsams und der gänzlichen Armut erneuern. Ihre Hände auf den nackten Altarstein der Minoritenkirche legend, schwur sie, ihren Willen, ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Verwandten und Freunde, alle Freude und Pracht dieser Welt aufzugeben. Sie ließ sich ihre Haare abschneiden, legte das graue Kleid an, umgürtete sich mit dem Stricke der Franziskaner und ging fürder immer barfuß. Ihre zwei älteren Kinder wurden auf Schloss Kreuzburg erzogen, die zwei jüngeren Töchter in Frauenklöster gebracht. So war sie der Welt gestorben und die Welt ihr in der Art ihrer Kirche, aber nicht im Sinne des Apostels Paulus, der die Pflichten des Lebens und Arbeitens neben und in die Pflicht des Betens und Sterbens stellte, nicht im Geiste Jesu Christi, der allerdings gesprochen hat: „So Jemand zu mir kommt und hasst nicht Vater, Mutter, Weib, Kinder, Bruder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein,“ der aber dieses Wort in dem entsprechenden: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht wert,“ deutlich genug dahin erklärt, dass es sich lediglich um eine Austilgung der fleischlichen, bloß natürlichen, selbstsüchtigen und also sündlichen Zuneigung zu den Banden des Blutes, die von der ächten, geistig beherrschten und gottmenschlich verklärten Liebe abziehen, handelt. Wie konnte Der, welcher die Liebe selber war, das Gebot der Liebe als erstes gab, und in den letzten Augenblicken die geliebte Mutter Maria dem geliebten Sohne Johannes zur Liebe empfahl, einer Elisabeth es zumuten, ja nur erlauben, also ihre Kinder und alles Leben aus ihrem Herzen zu reißen; wie konnte Er ihr erlauben, die Pflichten des Weibes, der Mutter, der Fürstin wegzuwerfen, und statt das ihr darin verordnete Kreuz auf sich zu nehmen, lieber sich selbst ein Kreuz zu machen und darin mehr Gott zu versuchen, als Gott zu dienen?

Aber freilich, sie teilte den Missverstand ihrer Kirche. Und kann sie in dieser Überspannung und Verkennung des lauteren Gotteswortes, in dieser selbsterwählten Geistlichkeit und Werkheiligkeit uns kein Vorbild sein, so wird kein ernstes Gemüt, keine Gott verwandte Seele die Fülle der Anregung an sich vorübergehen lassen, welche sich in dieser selbstlosen Hingabe an das Unglück, an die Armut, an Alles, was nur von der Liebe gepflegt werden kann, in der lieben, heiligen Elisabeth“ liegt. Wer dem Evangelium hold ist, wer den Herrn Christum liebt, muss in dem Leben dieser Heiligen“ Antriebe zum Erwachen aus der Selbstsucht des Puzes, des Geldes, des Fleisches empfangen.

Alle Einkünfte, die Meister Konrad sie genötigt hatte, wenigstens dem Namen nach zu behalten, verwandte sie ohne Ausnahme auf Unterstützung der Armen und milden Anstalten. Da Konrad ihr nicht erlaubte, ihr Brot zu erbetteln, so beschloss sie, es durch ihrer Hände Arbeit zu verdienen. Sie verstand nur Wolle zu spinnen und spann für das Kloster trotz der Ärmsten. Konnte sie vor Schwäche oder Krankheit die Spindel nicht mehr rühren, so zupfte sie die Wolle zur nächsten Arbeit. Sie aß die gröbste Speise, ihr Gemüse ohne Salz in bloßem Wasser gekocht; sie trug einen ärmlichen Rock von ungefärbtem Tuche, der viel geflickt und mit einem Stricke gegürtet war. Selbst diese Kleider verschenkte sie noch an Arme und behielt kaum etwas zur eigenen Bedeckung. Die liebliche Anmut ihres Wesens, ihre Güte und Freundlichkeit blieb dabei unverändert dieselbe. Sie wollte nur dienen. Umhergehen und wohltun, das Elend in ihr Haus aufnehmen oder es im Hause des Elends besuchen, war ihre Lust. Unter Andern nahm sie einen kleinen, elternlosen, von Geburt lahmen und blinden Knaben zu sich, der noch dazu einen immerwährenden Blutausfluss hatte. Dessen pflegte sie wie eine Mutter Tag und Nacht. Nach seinem Tode nahm sie ein aussätziges Mädchen ins Haus, das entsetzlich entstellt war; wusch, verband und besorgte es, dass es sich bald mit ihm besserte. So unterzog sie sich noch viel mehr als früher jeder ekelhaftesten Krankenpflege und fand darin ihr Glück. Ihrer Frauen eine sagte dann freilich einmal: „Euch mag wohl sein dabei, ich aber weiß nicht, ob’s Andern ebenso ist!“ Aber auch Meister Konrad musste ihrem Wesen mit strengem Gebote Schranken setzen und ihr verbieten, die Geschwüre der Aussätzigen zu berühren und zu küssen, damit sie nicht selbst angesteckt würde.

Übrigens brachte sie den Leidenden nicht bloß leibliche Hilfe, mit sanftem Eifer suchte sie das Heil ihrer Seelen zu fördern und sie zur Kirche und den Sakramenten anzuhalten.

Unterdessen hörte ihr Vater, König Andreas, von der Lage unserer armen Armenpflegerin, und ließ sie zur Heimkehr nach Ungarn einladen. Sie schlug es aus und blieb bei ihrem Rocken sitzen. Als der Landgraf ihr Heiratsgut ihr anheimstellte, teilte sie es völlig unter die Armen aus gegen Konrads Wissen und Willen. Nun aber beschloss auch dieser, sie zur vollkommenen Heiligen zu machen. Selbst die von all‘ dieser unevangelischen Werkheiligkeit begeistertsten Lobredner der Elisabeth getrauen sich nicht, das Verfahren Konrads zu rechtfertigen, der sich von der natürlichen Heftigkeit seines Charakters – im Jahre 1233 wurde er von einigen Rittern erschlagen, die er unschuldigerweise als Ketzer behandelt hatte – über die Grenzen christlicher Mäßigung weit hinausreißen ließ. Erst verbot er ihr, einem Armen mehr als einen Pfennig zu geben. Da ließ sie silberne Pfennige – noch jetzt sind in Münzsammlungen solche „Elisabethen Pfennige“ zu sehen – schlagen. Und als die Armen über diese Kargheit klagten, ließ sie dieselben nach einiger Zeit zurückkehren, wo sie wieder erhalten sollten. Das ließen sich die Bettler nicht zweimal sagen; gingen ein- oder zweimal ums Hospital und kamen wieder, und so fort ohne Ende. Wir führen auch diese Ausartung ihrer Wohltätigkeit mit gutem Zuge an als altes Beispiel, was eine nicht wohlgeordnete, nicht weise Almosenspende Übles richte.

Konrad von Marburg aber in seiner Entrüstung über ihren Ungehorsam holte weit aus mit seiner Hand zu einer Ohrfeige für die törichte Fürstin. Er verbot ihr weiterhin jede Gattung von Almosen, und ließ ihr nur die Pflege der Kranken und Gebrechlichen. Geflissentlich suchte er ihr hierbei jeden Weg dornig zu machen, und sie folgte willenlos. Einst betrat sie gegen die Satzung das Kloster zum Besuche ihrer Tochter – zur Strafe ließ er ihr und ihrer Dienerin Stockstreiche geben, über deren Spuren letztere nach drei Wochen noch klagte. Ein anderes Mal kam die Fürstin wegen zweier Kranken nicht zur Predigt. Konrad ließ sie nachher zu sich holen und ohne ihre Antwort zu hören, schlug er sie heftig, mit den Worten: „Ein andermal komme, wenn ich dir rufe, das hast du dafür.“ Demütig nahm sie’s hin und lächelnd wollte sie sich nun entschuldigen. Konrad aber schlug sie aufs Neue, dass sie blutete. Da hob Elisabeth ihre Augen zum Himmel und sagte: „Herr, ich danke Dir, dass Du mich hierzu auserwählt hast.“ Als sie ihren klagenden Frauen antwortete, sie habe unter dieser Misshandlung, bis in den dritten Himmel entzückt, Christum und seine Engel sehen dürfen, entgegnete Konrad, dem’s hinterbracht wurde: „So reut es mich, dass ich sie nicht schlug bis in den neunten Himmel.“ Wenigstens wird so erzählt, und dass es nur erzählt werden konnte, ist bedeutsam genug. Auch das letzte Band der Liebe beschloss Konrad ihr zu zerreißen. Ihre letzten beiden getreuen Dienerinnen Ysentrude und Guda, die Gefährtinnen ihrer Kindheit seit dem fünften Jahre, musste sie weinend entlassen. Dafür gab er ihr eine rohe, hässliche Magd und eine alte, taube, zänkische, tückische, zornige Witwe bei. Sie ergab sich darein, und kehrte und reinigte für sie das Haus. Ganz hatte sie sich bis dahin nicht von ihren geliebten Kindern trennen können, von Zeit zu Zeit ließ sie eines zu sich kommen; auf Konrads Antrieb ließ sie auch diesen allerletzten Rest ihres irdischen Glückes für immer von sich entfernen.

So eilte sie ihrem Ende entgegen. Ihre letzten Tage verkehrte sie ganz allein mit Gott. Sie beichtete, erklärte als ihren letzten Willen, in der Kirche ihres Hospitals ohne alles Gepränge begraben zu werden, nahm die Sterbsakramente, sprach zu ihrer Umgebung von der Auferweckung des Lazarus und dem Besuch des Heilandes bei Maria und Martha, dass den Zuhörenden die Tränen überströmten, dann lag sie die Nacht über in einer Art stiller Verklärung, in ihrer Seele selige Lieder ohne Worte singend, bis sie beim ersten Hahnenschrei den Bräutigam kommen fühlte, der die Braut zur Hochzeit holte. „Stille, stille!“ sagte sie endlich leise, und neigte ihr Haupt zum letzten Schlummer. Es war in der ersten Morgenfrühe des 19. Novembers 1231; Elisabeth hatte eben ihr vierundzwanzigstes Jahr vollendet.

Nun umrankte die fromme Sage ihr Leben und Leiden, ihren Tod und ihren Sarg mit Wundern über Wunder, dass der Papst Gregor IX. sie 1235 heilig sprechen musste, nachdem im Jahr 1233 die Aussagen über dieselben von Konrad gesammelt und nach dessen Ermordung gen Rom berichtet worden waren. Im Dominikanerkloster zu Perugia ertönte zum ersten Mal die kirchliche Stimme: „Bitte für uns, heilige Elisabeth!“ dort wurde, nachdem Wachslichter, Brot und Wein als Zeichen des beschaulichen, zurückgezogenen Lebens, zwei Tauben als Zeichen des reinen, tätigen Lebens dargebracht, und aus einem Käfig eine Anzahl kleiner Vögel in die Luft geflogen war als Zeichen des Auffluges heiliger Seelen zu Gott, der neuen „Heiligen“ zu Ehren der erste Altar geweiht. Bald verbreitete sich ihre Verehrung durch die ganze Christenheit; über vierzig Kirchen, Klöster und fromme Stiftungen sind nach ihr benannt. Ihr schönstes Denkmal aber steht in dem schönen Marburg, wo ihr zu Ehren die herrliche Elisabethenkirche an den Ufern der Lahn, am Fuße des Schlossberges, vom Landgrafen Konrad im Jahre 1235 grundgelegt wurde. Im Mai des Jahres 1236 wurde unter allgemeinem Zusammenströmen des Volkes der Leichnam aus seiner Gruft erhoben und in die begonnene Kirche nach Marburg versetzt. Kaiser Friedrich III. setzte eine goldene Krone auf das besonders aufbewahrte Haupt der „heiligen“ Königstochter. Zwanzig Jahre baute man nun an den Grundmauern, achtundzwanzig am Hauptbau der Elisabethenkirche, bis zum Jahre 1283, fast hundert und fünfzig Jahre am Ganzen. Sie ist mit ihren zwei herrlichen vorderen Spitztürmen und ihren drei gleichhohen gewölbten Schiffen von seltenem Ebenmaße ein vollendetes Denkmal der deutschen Baukunst, ein prachtvolles Gegenbild zu dem Gemüte der Elisabeth: demütig und kühn, anmutig und streng, lockend und ehrfurchtgebietend, jungfräulich rein und voll Einfalt, wie eine eben sich öffnende Knospe. Alle jene unnatürlichen Auswüchse, die wir am Leben der Elisabeth bedauern, und welche die gothische Kunst bald sehr liebte, hat hier die Kunst mit keuscher Hand abgewehrt. Auf vier Altären stellen Bildhauereien Leben und Taten der heiligen Elisabeth dar. In einer Seitenkapelle wurden ihre Gebeine beigesetzt. Noch ist jetzt in halberhabener Arbeit darin aus Stein gehauen, wie die tote Elisabeth als Nonne im offenen Sarge ruht, dahinter Christus und Maria mit Aposteln und Heiligen; an der Vorderseite des Sarges knien, sitzen und kriechen auf Krücken vier Unglückliche. In der Sakristei befindet sich noch der eichene, mit vergoldetem Kupferbleche überzogene, in Form eines Hauses mit hohem Dach gebildete, mit silbernen und vergoldeten Figuren und Abbildungen der Liebeswerke der Elisabeth, einst auch mit Juwelen reichgeschmückte Sarg, in dem ihre Gebeine ruhten, bis Landgraf Philipp im Beginn der Reformation, bei seiner hohen Ahnfrau nach Schätzen suchend, den Anfang mit der Entweihung und Verschleppung der Heiligtümer machte, über die nicht bloß die katholische Kirche trauern muss.

Elisabeth von Thüringen

Bekannter noch ist die Tochter der oben erwähnten Maria von der Pfalz, Elisabeth, die Gemahlin Johann Friedrich II., oder des Mittleren, von Sachsen; sie ist geboren am 30. Juni 1540 zu Birkenfeld. Von Kindheit an in Gottesfurcht und Frömmigkeit erzogen, blieb sie ihr Leben lang, auch im größten Leiden, das Muster einer gottseligen Fürstin. Sie war, da sie in ihrem achtzehnten Jahre ihrem Gemahl nach Weimar folgte, gar bald eine Landesmutter im wahrsten Sinne des Wortes, welche durch ihre Freundlichkeit und Leutseligkeit die Herzen Aller, die mit ihr in Berührung kamen, zu gewinnen wusste. Leider konnte sie ihren Gemahl nicht abhalten, dass sich derselbe mit dem unruhigen Ritter Wilhelm von Grumbach verband. Es wurde deshalb die Reichsacht über die Verbündeten ausgesprochen und der Kurfürst August von Sachsen mit der Vollstreckung des Urteils beauftragt. Gotha, die Residenz des Herzogs, wurde erobert, und der Herzog als Gefangener nach Wienerisch-Neustadt abgeführt, während Grumbach mit einigen Genossen unter großen Martern gevierteilt wurde. Elisabeth konnte nur mit Gewalt aus den Armen des fest umschlungenen Gatten weggerissen werden. Sie befand sich von nun an in einer höchst traurigen Lage; zur Bezahlung der Kriegsschulden musste sie alle ihre Kleinode hergeben, und sah, fast von allen Mitteln entblößt, mit ihren drei unmündigen Kindern einer traurigen Zukunft entgegen. Sie nahm ihre Zuflucht zu ihrer Schwiegermutter Sibylla, welche in ähnlicher Lage wie sie gewesen war. Sie wendete alle ihre Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Kinder, welche sie durch Wort und Beispiel zur Gottesfurcht anhielt. Täglich versammelte sie dieselben, so wie die übrigen Hausgenossen, zum Gebet und Hausgottesdienst. Aber die Geldnot blieb nach wie vor. Elisabeth konnte manchmal den Bringerlohn für die erhaltenen Briefe nicht bezahlen. 1568 zog sie nach Eisenach in den ihr zugesprochenen Zollhof, hatte aber immer noch mit Mangel und Not zu kämpfen. Wohl hätte sie unter solchen Umständen selbst eines Trösters bedurft; aber sie unterließ es nicht, in zahlreichen Briefen fort und fort ihrem Gemahl Mut und Trost einzusprechen. Beispielsweise: „Herzlich gerne wollte ich bei Ew. Liebden sein und dieselben in schwerem Kreuz und Leid trösten, wenn es Gottes Wille wäre. Ich habe die Zeit nicht viel trockene Augen gehabt. Ich will zu Gott flehen, seine göttliche Allmacht soll Ew. Liebden ferner in Geduld erhalten, und es mit uns schicken nach seinem väterlichen Willen, wie es uns gut und nützlich ist. Ich will Alles für Ew. Liebden hergeben, was ich habe, und sollt‘ ich betteln gehen, da ich wohl erfahren habe, wie es einer Frau geht, die ihren Herrn nicht bei sich hat.“

Dabei überschickte sie ihrem Gemahl, so oft sie konnte, ein Labsal, bald ein Trostbüchlein, das ihr selbst tröstlich gewesen, bald Tücher und Hemden, die sie genäht, bald Quittensaft, den sie selbst bereitet hatte, bald Coburger Bier usw.

Unermüdlich war auch das treue Weib, beim Kaiser, beim Kurfürsten August und bei anderen Fürsten, wo sie konnte, Fürbitte für die Begnadigung ihres Gemahls einzulegen. Alles umsonst, wiewohl sie dabei von ihrem Vater und ihrer Mutter unterstützt wurde. Nicht einmal die Erlaubnis, den Gefangenen zu besuchen, konnte sie sich erwirken. Nur das erreichte sie durch einen Reichstagsbeschluss, dass ihre Söhne wieder in das väterliche Erbe eingesetzt werden sollten. Endlich, 1572, wurde ihr auf ihr persönliches Bitten in Wien gestattet, zu ihrem Gemahl zu gehen; sie fand diesen in engem Gewahrsam und brachte es mit Mühe dahin, dass demselben einige Erleichterung gewährt wurde. Bald überzeugte sie sich, dass ihre Gegenwart für den Gefangenen fast unentbehrlich wäre. Darum hielt sie an mit Bitten und Flehen, bis der Kaiser es gestattete, dass sie die Gefangenschaft ihres Gemahls als treue Lebens- und Leidensgefährtin teile, und so blich sie 22 Jahre lang, bis an ihren Tod, im Kerker, ohne jemals ihre hingebende Selbstverleugnung zu bereuen. Nichts versäumte sie, was dazu dienen konnte, den Gefangenen ruhiger zu stimmen. Sie las demselben aus der Bibel, besonders aus den Psalmen, vor, und bewog ihn, den ersten Psalm aus dem Hebräischen, das er verstand, in die deutsche Sprache zu übersetzen. Dabei ließ sie ihre Kinder nicht aus dem Auge; sie korrespondierte häufig mit denselben, ermahnte sie, Gott vor Augen und im Herzen zu haben, sich das Lernen angelegen sein zu lassen, und unermüdlich um die Befreiung ihres Vaters zu bitten. Ihr ältester Sohn starb während ihrer Abwesenheit als neunjähriger Knabe.

Wenn sie einmal ihren Gemahl für kurze Zeit verließ, so geschah es in dessen Interesse, meistens, um wiederholt Fürbitte für denselben vorzubringen. Aber weder der Tod des Kaisers Maximilian II. 1576, noch die Verlobung ihres Sohnes Johann Kasimir mit der jüngsten Tochter des Kurfürsten August, des heftigsten Gegners von Johann Friedrich, verwirklichten ihre Hoffnungen. Nicht einmal der Tod von August selbst führte zu diesem erstrebten Ziele.

Dessen ungeachtet verließ Elisabeth ihren Gatten nicht. Nur zwei Mal, nämlich 1578 und 1583, besuchte sie ihre heißgeliebten Kinder. Noch wurden ihre Leiden dadurch vergrößert, dass ihr Sohn Kasimir, da er in den Besitz des väterlichen Erbes gekommen war, die auf ihn gestellte Hoffnung nicht erfüllte; er gewährte den Eltern die Unterstützung nicht, welche dieselben so sehr bedurften. Doch suchte Elisabeth das gute Vernehmen zwischen Vater und Sohn zu erhalten und jeden weiteren Zwiespalt zu verhüten. Ihr Gottvertrauen blieb unerschütterlich, wie ihr tägliches Gebet beweist: „Ich weiß, mein Gott, du wirst mich nicht verlassen, und sollte deine Hilfe erst angehen in der Stunde des Todes.“ Wie sich der Herzog die fünf Buchstaben: A. E. I. O. V. („allein Evangelium ist ohne Verlust“) zum Wahlspruche erwählt hatte, so erwählte sich Elisabeth vier H. („Hilf Herr, himmlischer Hort.“)

Ihre Leiden nahmen erst mit ihrem Tode ein Ende. Schmerzlich war ihr der Tod ihrer treuen Schwester, Dorothea Susanna, Witwe des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen, ihr ähnlich in liebevoller Tätigkeit für ihre Untertanen, besonders die Armen. Noch mehr wurde sie betrübt über die unglückliche Ehe ihres Sohnes Kasimir mit Anna von Sachsen, die wegen wiederholter Untreue von ihrem Gemahl musste verstoßen werden. Elisabeth forderte ihren Sohn auf, er solle sich durch das Hauskreuz zu Gott und seinen Eltern zurückführen lassen. 1594 mehrten sich bei der edlen Frau die Zeichen des nahenden Todes; sie beschwor ihre Diener, sie möchten ihre Sorgfalt bei dem Herzog verdoppeln, und ihm das zu werden suchen, was sie ihm zu sein bemüht gewesen wäre. Sie starb am 8. Oktober 1594 in einem Alter von 54 Jahren. Ihre Leiche sollte zu Coburg bestattet werden, wozu auch der Kaiser die Erlaubnis gab, aber die Gläubiger konnten erst durch das wiederholte Versprechen, bald Zahlung zu empfangen, zur Freigebung der Leiche bewogen werden. Ihr Gemahl folgte ihr am 9. Mai 1595 nach 28jähriger Gefangenschaft in die Ewigkeit.

Elisabeth wurde in der Moritzkirche zu Gotha beigesetzt. Der Leichenpredigt lag ihr Lieblingsspruch zu Grunde((Ps. 73,24)): „Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an.“ Über ihrem Grabe findet sich eine einfache Tafel mit der Aufschrift: „Sie war ein sonderliches Exempel ehelicher Liebe und Treue gegen ihren Gemahl, welchem sie ins Elend folgte, und half ihm tragen und lindern.“

Elisabeth von Thüringen

Elisabeth, Tochter des Königs Andreas von Ungarn und seiner Gemahlin Gertrud, geb. 1207, war auf den Antrag des Landgrafen Hermann von Thüringen von ihren Eltern schon als vierjähriges Kind nach der Wartburg entlassen, wo sie heranreifen und dann die Gemahlin Ludwigs, des künftigen Nachfolgers auf dem landgräflichen Thron werden sollte.

Schon früh that sich in ihr ein entschiedener Zug geistlicher Lebensanschauung kund. Ihrer Seele ursprünglich eigen, mochte er durch das Innewerden ihrer Stellung in der Fremde und die Kunde von dem räthselhaften gewaltsamen Tode ihrer Mutter, die ihr dann in ihren Träumen vorkam und das Kind um Fürbitte anging, gekräftigt werden. Als zartes Kind sehen wir sie in der Kirche den Altar aufsuchen und auf ihren Knien liegen; mitten in ihren Spielen springt sie nach der Kapelle zu und küßt ihre Mauern; auf dem Kirchhofe, zwischen den Gräbern durch schreitend, gedenkt sie des Wechsels von Leben und Tod, der auch für sie eintreten werde. Wie gesund dieser Trieb war, erhellt aus seinem Verbundensein mit herzlicher Zuneigung zu Armen und Leidenden: armen Kindern steckt sie ihre kleinen Gewinnste, Bettlern am Thor Brod und Speise zu, die sie aus der Küche für sie holt. Am höchsten wird die Demuth zu preisen sein, die sich in all‘ ihrem Thun und Reden ausprägt, die anspruchslose Ergebenheit, mit der sie harte Urtheile der Landgräfin Mutter über ihr unscheinbares, unfürstliches Wesen, die spöttischen Bemerkungen der ihr fast gleichaltrigen Prinzessin Agnes und die Reden einer Hofpartei erträgt, welche darauf dringt, daß man sie zu ihrem Vater wieder zurückschicken solle, weil sie eher zu einer Magd als zu einer Fürstin tauge. Mit dem vierzehnten Jahre hörte dieser Zustand des Gedrücktseins auf: Landgraf Ludwig, der nach dem Tode seines Vaters Hermann im Jahre 1216 und seitdem in Friedens- und Kriegsgeschäften sich als trefflicher Fürst bewährt hatte, reichte in seinem 22. Jahre der Frühentwickelten seine Hand zum Ehebunde. Sie war nun im Genuß selbständigen fürstlichen Ansehens, und eine Reihe von glaubwürdig überlieferten Zügen erweist den kindlich liebenden Sinn, mit dem sie ihrem Gatten zur Seite stand, den Eifer, womit sie ihre fürstliche Stellung zum Wohlthun der Bedrängten benutzte und den tiefen Ernst ihres Ringens um das Seelenheil.

Von der Zeit her, wo sie Verlobte waren, hatten die fürstlichen Ehegatten die freundliche Gewohnheit, sich Bruder und Schwester zu nennen, und schön ist’s zu lesen, wie die Schwester an dem Bruder hing, wie sie bei Tische zu seiner Seite saß, wie ungern sie sich von ihm trennte; wo immer es möglich war, begleitete sie ihn auf seinen vielfachen Reisen: sie ritt dann zu Pferd neben ihm und ertrug mit ihm Wind, Regen und Schnee. Waren die Reisen zu weit, oder zog Ludwig, was während ihrer Ehe fast jedes Jahr nöthig war, in Krieg oder Fehde, so betrachtete sie die Zeit seiner Abwesenheit als eine Trauerzeit: sie legte ihre fürstlichen Kleider ab und harrte in einfachem Witwenkleid seiner Wiederkehr: kam er dann wieder, so holte sie zum Zeichen ihrer Freude und wohl wissend, daß sie als Gattin ihrem Eheherrn auch äußerlich gefallen müsse, die glänzenden Gewänder wieder hervor und bewillkommte ihn in ihrem Schmuck. Als unumschränkte, nur ihrem Gatten verantwortliche Fürstin konnte sie nun der tiefsten Neigung ihrer Seele, den Armen und Leidenden Linderung ihrer Noth zu verschaffen, auf’s Reichlichste nachleben: Hülfesuchende und Bettler fanden bei ihr ein stets offenes Ohr: arme Kranke und Wöchnerinnen suchte sie persönlich in ihren Wohnungen auf: sie griff dann in die Pflege selbstthätig ein; als es einmal an Milch gebrach, verschmähte sie es nicht, in den Stall zu gehen und sich am Euter einer Kuh zu versuchen, was ihr denn freilich beinahe übel bekommen wäre. Bei neugeborenen Kindern armer Leute übernahm sie Pathenstelle, erfreut über die ihr also gebotene Gelegenheit, ihnen nun um so mehr Wohlthaten erzeigen zu können. So war beständig ihr Thun. Kein Zeitraum aber sah mehr Beweise ihrer Liebe, als die Jahre 1225 und 1226, wo eine Theuerung und in ihrem Gefolge schwere Seuchen ganz Deutschland in steigendem Druck bedrängten. Unzählige nahmen damals zu der Burg ihre Zuflucht, wo sie sich eine freundliche Fürsorgerin wußten, und Keinen wies sie von ihrer Schwelle. Den Hungernden ließ sie Brod backen, die Schwachen speiste sie von ihrer eigenen Tafel und brach sich ab, damit sie ihnen desto behülflicher sein könnte. Von dem Sommer, den ihr Gemahl, vom Kaiser nach Cremona gerufen, in Italien zubrachte, wird berichtet, daß sie täglich 300 Arme persönlich versorgte. Für die Kranken, die den steilen Berg nicht ersteigen konnten, richtete sie in Eisenach ein Spital ein, in welchem 28 Kranke Lager und Pflege fanden, die sie dann täglich besuchte und mit gottseligen Worten erquickte. Ein anderes Haus hatte sie für arme und kranke Kinder bestimmt: auch diese besuchte sie fleißig, brachte ihnen zur Erheiterung Spielsachen, Töpfchen, glänzende Ringe und Anderes mit und bewies ihnen, wie sie denn von Allen als Mutter begrüßt wurde, die mütterlichste Treue; gerade mit den elendesten und entstelltesten befaßte sie sich und drückte sie an ihren Busen. Nicht, als wäre das ihrem äußerlichen Menschen leicht geworden: dumpfe, verdorbene Luft war sonst ihr Abscheu; aber den Dunst der Krankenstuben, in denen es ihre Hoffräulein bei der heißen Jahreszeit kaum aushalten konnten, ertrug sie mit aller Geduld und Heiterkeit. Als der Herbst nahte und es nun galt, den Armen für die bevorstehende Erntearbeit Schuhe und Sicheln anzuschaffen, und da die Vorräthe in Folge der beständigen Ausgaben auf die Neige gingen, griff sie nach ihren seidenen Kleidern und verschenkte sie mit den Worten: nicht zum Putz, sondern verkauft sie für eure Nothdurft und arbeitet! denn es steht geschrieben: du sollst dich von deiner Hände Arbeit nähren, und wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen! Und glücklich war sie zu preisen: ihr Wohlthun, von den Amtsschössern freilich als Verschwendung gescholten, war ganz im Sinne ihres Gemahls: als er zurückkehrte, bedeutete er die Klagenden mit den Worten: lasset sie um Gottes willen geben und armen Leuten gütlich thun, so viel sie will, wenn uns nur Wartburg und Naumburg zu unserer Herrschaft verbleiben!

Diese Erweisungen thätiger christlicher Liebe werden uns erst dann in ihrer vollen Bedeutung erscheinen, wenn wir uns erinnern, daß es die Thaten einer Siebzehn- oder Achtzehnjährigen sind, die sich vor unsern Augen erheben. So früh einem Leben der aufmerksamsten Liebe zu ihrem Gemahl, und der unermüdlichsten Barmherzigkeit gegen Nothleidende ergeben! Diese Elisabeth wird ohne Aufhören in der Erinnerung des deutschen Volks, in der Christenheit fortleben, ein Vorbild für die christlichen Frauen jedes Standes und Alters, erhoben von den empfänglichen Herzen, geliebt von den Gleichgesinnten, und denen zur Scham genannt, die, wie weit auch an Jahren voraus, noch nicht vermocht haben, sich über den Genuß hinaus zum Bewußtsein eines christlichen Berufs für die Welt emporzuschwingen.

Das folgenschwerste Ereigniß in Elisabeths Leben ist nun, daß sie sich unter die Führung eines Beichtigers begab, der unter dem besondern Einfluß des Papstes stand. Conrad von Marburg erschien nach dem, was der treue Biograph Ludwigs erzählt, als ein Mann, der durchaus Vertrauen verdiente. Er war gelehrt, von reinen Sitten, die heilige Schrift floß ihm zu; durch seine Thätigkeit als päpstlicher Legat in Deutschland, wobei er sich den guten Christen gnädig und geneigt, den ungläubigen hart und gestreng gezeigt hatte, hatte er sich einen Ruhm erworben, der den Bruder Berthold in die Worte ausbrechen läßt, daß sein tugendlich Leben in deutschen Landen als ein lichter Stern leuchtete. Dadurch wird begreiflich, wie ihm Landgraf Ludwig vor dem Antritt seines Kreuzzugs im Jahre 1227 die Besetzung aller der seinem Patronat untergebenen Kirchenstellen übertragen konnte; begreiflich, wie er, wahrscheinlich ein Jahr vorher, bereitwillig seine Genehmigung dazu ertheilte, daß sich seine Elisabeth in den Gehorsam Conrads begäbe. Feierlich, in einer Kirche, ward Elisabeths Versprechen zugleich mit dem Gelübde, im Fall des Todes ihres Gatten unverheirathet zu bleiben, gegeben und angenommen: Ludwig ließ ihm freie Bestimmung in der Führung seiner Gattin: nur seine Rechte als Gatte behielt er sich vor. Was etwa noch jugendlich Schwankendes, Unfertiges, Willkürliches in Elisabeth war, konnte so am Sichersten von ihr abgestreift und der unvergleichliche Grund von Gottesfurcht und Liebe, der in ihr lag, auch für ihre Stellung als Fürstin herausgebildet werden. – Aber je mächtiger Conrads Persönlichkeit, je gefügiger Elisabeths Wille war, desto gewisser war andererseits die Möglichkeit gegeben, daß er sich nicht darauf beschränkte, das Ueberwuchernde ihrer Liebesthätigkeit wegzuschneiden, wie wir denn lesen, daß er ihr die Liebkosung der Aussätzigen in der That verboten hat, sondern die beichtväterliche Leitung zur geistlichen Knechtung werden ließ.

Es ist nicht ausgemacht, ob Conrad Weltpriester oder Dominicaner oder Franciscaner gewesen. War er, wie man neuerdings vermuthet hat, Mitglied der weitern Genossenschaft des heiligen Franciscus, so wurden unmittelbar durch ihn die franciscanischen Anschauungen und Grundsätze der heiligen Elisabeth nahe gebracht. War er’s nicht, so läßt sich darthun, daß diese jenseits der Berge aufgekommene Geistesrichtung ihren anderweitigen Einfluß zeitig auf sie geübt hat. Zwar werden wir gerechtes Bedenken tragen, der Angabe der Franciscaner-Annalen, wonach Elisabeth mit dem Heiligen von Assisi in brieflichem Verkehr gestanden und von ihm seinen eigenen Rock zum Geschenk erhalten habe, Glauben zu schenken, da die unzweifelhaften Quellen davon Nichts erwähnen. Aber wenn doch eine ihrer Dienerinnen, Eisentrud von Hörselgau, erzählt, daß ihre Herrin eigenhändig Wolle zu Kleidern für die Mennebrüder gesponnen, und wenn Conrad selbst in einem Briefe an den Papst mittheilt, daß sie solchen eine Capelle in Eisenach verschafft habe, so ist eine Beziehung zu ihnen schon in dieser Zeit ihres Lebens unzweifelhaft, und selbst die Nachricht der Annalen ist nicht unglaublich, daß schon der erste Beichtvater Elisabeths, Namens Roding, ein Franciscaner gewesen.

So sehen wir die junge deutsche Fürstin von Einflüssen umgarnt, welche in Italien ihre Quelle hatten und durch eignen Willen unter eine Hand gebeugt, die stark genug war, den anerbotenen Gehorsam bis auf’s Aeußerste zu erwirken.

Und was waren nun die Folgen dieser Erziehung Conrads?

Die Denksprüche, welche er wahrscheinlich in dieser Zeit Elisabeth gab, haben zwar ihrem größten Theil nach einen rein biblischen Inhalt: „Habe Gott immerdar im Herzen und gedenke sein“, „Sei barmherzig gegen den Nächsten“, „Weil Gott für dich gelitten hat, so trage auch du geduldig das Kreuz“, wir dürfen hinzufügen, einen solchen, den Elisabeth von jeher an sich wahr zu machen sich befleißigt hatte, sind aber allesammt unter die Richtschnur jenes von Dominicus wie von Franciscus ergriffenen und neu proclamirten Grundsatzes von der freiwilligen Armuth gestellt „in ihr trage Verachtung mit Geduld“; und schließen damit Ziele ein, die von einer Fürstin nicht zu erreichen waren, oder, wurden sie erreicht, ihrem Fürstenthum ein Ende machen mußten.

Jedenfalls kam Alles auf die Art ihrer Geltendmachung an, und hier zeigt sich unverkennbar ein Fortschritt vom Aeußern zum Innern, vom Geringern zum Größern. Eine eigenthümliche Lebenserschwerung verursachte ihr Conrad zunächst durch das Verbot aller Speisen, über deren Herkunft sie kein vollkommen ruhiges Gewissen habe. Zwar von dem Fürsten, der einst fränkische Ritter mit blutiger Fehde gestraft, weil sie einem armen Krämer Waare und Esel weggenommen hatten, läßt sich nicht annehmen, daß er seine Tafel mit Geraubtem habe besetzen lassen. Nur von dem Ertrag der Domanialgüter, das wird Conrads Wille gewesen sein, nicht von dem der unter Umständen mit Gewalt eingetriebenen Steuern sollte Elisabeth leben. Da geschah es denn, daß sie bisweilen auf der Tafel nichts fand, was sie genießen konnte; aber willig und heiler unterwarf sie sich, sie zerbröckelte dann ihr Brod und that, als äße sie; als sich einmal unter vielen Gerichten nur eine Schüssel kleiner Vögel befand, die für sie eßbar erschien, nahm sie sich ein wenig davon und vertheilte das Uebrige unter ihre gleichgesinnten Dienerinnen, deren Hungern ihr viel drückender war, als das eigne. – Je nachdem die Tafel besetzt war, sagte sie zu ihnen: „Heute giebts nur zu essen“ oder „heute giebts nur zu trinken“; fand sich beiderlei, so klatschte sie in die Hände und rief: „Wohl uns! heut laßt uns essen und trinken!“ So überwand sie, auch von ihrem Gemahl unterstützt, der einmal zu den enthaltsamen Dienerinnen sagte, er würde sich, wenn er nicht den Widerspruch seiner Dienstmannen scheute, gern selbst der Regel unterwerfen, mit liebenswürdiger Heiterkeit die darin für sie liegende Versuchung; und nur dadurch wird es ihr wahrhaft schwer gemacht worden sein, dem Gebote nachzukommen, daß es Conrad in seiner Härte auch auf die Fälle ausdehnte, wenn sie bei Andern zu Gaste war.

Gleichfalls auf dem Gebiet des Aeußern liegt eine andre Beweisung seines Einflusses auf Elisabeth. Schon früher hatte sie die Gewohnheit gehabt, sich Nachts zuweilen von der Seite ihres Gatten zu erheben und am Bette kniend zu beten: sie ließ sich dazu von ihren Dienerinnen wecken. Dies, früher namentlich in der Fastenzeit und an den Freitagen geübt, that sie nun, nachdem sie sich in Conrads Gehorsam begeben, nach dem Bericht Eisentruds oftmals; gerade von dieser Zeit wird es zu verstehen sein, was sie weiter mittheilt, daß Elisabeth, wenn ihr Gemahl abwesend war, viele Nächte unter Kniebeugungen, Geißelungen und Gebeten hinbrachte.

Nur berühren können wir hier den plötzlichen Wechsel der Dinge auf der Wartburg, den Sturz und das weitere Leben Elisabeths, worin gleichfalls weitere Spuren von geistlicher Einwirkung auf sie fühlbar sind; wie Elisabeth nicht lange nach der Rückkehr von jener Heerfahrt ihres Gemahls nach Cremona einst zufällig in dem Rocke desselben das Kreuz entdeckte, das er, dem Aufruf des Kaisers zu einem Zug wider die Sarazenen folgend, vom Bischof von Hildesheim erhalten, aber aus Liebe zu ihr bisher verborgen; wie sie in Ahnung deß, was da kommen sollte, in tödtlichen Schrecken gerieth und nur durch seine Liebesworte getröstet wurde; wie die Beiden vor ihrer Trennung übereinkamen, das Kind, das sie unter dem Herzen trug, einst dem Dienst des Herrn zu weihen; wie er, um Johanni 1227 zum Heereszug aufbrach, wie sie, nachdem er von den Kindern, seinem fünfjährigen Heinrich und der etwas jüngeren Sophie, den rührendsten Abschied genommen, nicht auf der Wartburg von ihm scheiden wollte, sondern ihn weit, bis zur Landesgrenze begleitete – und wie dann im Herbst die Trauerkunde kam, und wie sie bei ihrem Empfange außer sich vor Schmerz in die Worte ausbrach: Todt, todt ist mir nun die Welt und all‘ ihre Freude! Alsbald nach diesem Leid kam Schmach und Vertreibung über sie, indem der eigene Bruder ihres Gemahls, begierig nach der Landgrafenkrone, sie, die kaum von dem Wochenbett Genesene, schmählich von der Wartburg verjagte, und sie fand in Eisenach Niemand, der sich ihrer annahm, bis sie endlich in dem stallähnlichen Gelass einer Herberge Unterkunft erhielt, in welchem sie zuerst mit ihren drei kleinen Kindern, die man ihr Tags darauf unbarmherzig in’s Elend nachschickte, und dann, nachdem für diese irgendwo eine bessere Pflege gefunden war, mit einigen ihrer Hofdienerinnen den ganzen Winter hindurch verweilte.

Wie ein überirdisches Licht, unvergänglich schön, glänzte in diesem Dunkel ihre Demuth, Gottesfurcht und Gottinnigkeit. Wenige Stunden, nachdem das Unglaubliche geschehen, raffte sie sich aus der Kammer ihrer Schmerzen auf, ging in die Kapelle ihrer Barfüßer und bat sie, ihr ein Tedeum zu singen um der Trübsal willen, die der Herr ihr sendet. Und als sie an einem Tage der vorösterlichen Fasten vor einem Altar auf ihren Knien liegend lange gebetet hatte, und dann zu Haus in einen Zustand der Beschauung gerieth, worin sie bisweilen weinte, bisweilen freundlich lächelte und endlich in die Worte ausbrach: „ja, Herr, du willst sein mit mir, und ich will sein mit dir, und niemals will ich von dir geschieden sein,“ da antwortete sie auf die Frage ihrer Eisentrud, mit wem sie denn geredet habe: „Ich sah den Himmel offen und meinen süßen Herrn Jesus sich zu mir neigen und mich trösten über meine vielen Aengste und Nöthe, und so lange ich ihn sah, war ich froh und lachte, und wenn er sein Angesicht zum Fortgehn wandte, weinte ich; und erbarmungsvoll wandte er sein lichtes Angesicht mir wieder zu und sprach: wenn du mit mir sein willst, will ich mit dir sein! und ich antwortete, was du gehört.“

Wer hat je so geredet? Hat sich hier nicht wirklich eine Seele dem Himmel aufgethan?

Und doch, das ist nicht zu läugnen, steht neben diesem Lichtblick ein dunkles Räthsel. Als Elisabeth in so heißer Liebe zu ihrem Gott und Heiland stand, wo war die fürsorgende Liebe zu ihren Kindern, deren erstes der geborene Fürst des Landes war? wenn sie zur Zeit ihrer Macht Tausenden das dargebracht, was sie zur Stillung des Hungers bedurften und auch jetzt in ihrer Noth Sorge trug, daß ihre Kinder irgendwelcher leiblicher Pflege theilhaftig wurden, wo war der doch auch heilige Liebestrotz der Mutter, die das ihrem fürstlichen Sohne gebrochene Recht wieder herzustellen suchte? Dafür hatte die geistliche Zucht, der sie sich ergeben, ihr den Sinn geraubt. Conrad, der das Verdienst hat, sich später mit Andern Elisabeths in der Art gegen ihren Bedränger angenommen zu haben, daß er der Beraubten das landgräfliche Witthum zu verschaffen suchte, hat hievon Nichts geltend gemacht. Das ideal zu verstehende, vom h. Franciscus als Regel des gemeinen Lebens für die Seinen hingestellte Wort des Evangeliums: „dem Bösen nicht zu widerstehen“, wird von Conrad und Elisabeth als ausreichende Richtschnur für ihr äußeres Verhalten angesehen und der Gedanke an die Vertheidigung der Rechte des Prinzen nicht in ihre Seele gekommen sein.

Eine etwas bessere Zeit brach für sie an, als die Schwester ihrer Mutter, Aebtissin Mathilde in Kitzingen, sie mit ihren Kindern und Hofdienerinnen in ihr Kloster, und einige Zeit darauf ihr mütterlicher Oheim Bischof Eckbert von Bamberg auf sein Schloß Pottenstein einlud. Hier lebte sie in einer ihr gebührenden Umgebung etwa ein Jahr lang, die ihr gemachten Anerbietungen zu einer neuen Verheirathung mit Entrüstung von sich weisend, bis die thüringischen Genossen ihres Gemahls, Schenk Rudolf von Vargila an der Spitze, nach Vollendung des Kreuzzugs mit den Gebeinen Ludwigs in Bamberg anlangten. Noch einmal offenbart sich die Innigkeit ihrer Gattenliebe zugleich mit ihrer Gottergebenheit auf ergreifende Weise. Als die Truhe vor ihr geöffnet wurde, sprach sie: „ich danke dir, daß du mein Flehen erhört hast, die Gebeine meines Geliebten zu sehen, daß ich an ihnen weinen kann. Ich hätte alle Herrlichkeit der Welt für ihn hingegeben! Nun möchte ich ihn aber nicht mit einem Haare meines Hauptes gegen deinen Rathschluß zurückrufen“. Nach dem Willen des Bischofs zog sie mit dem Sarge nach Reinhardsbrunn zur Beisetzung. Hier gelang es der kühnen Beredsamkeit Rudolfs, den Landgrafen Heinrich zur Anerkennung der Rechte Elisabeths und ihrer Kinder zu bringen: so sehr es auch in Bezug auf den Prinzen an der vollen Geltendmachung gefehlt hat; er versöhnte sich mit ihr, gestand ihr 500 Mark jährliches Leibgedinge und den ihr schon bei ihrer Verheirathung bestimmten Besitz von Marburg zu und ließ sie auf der Wartburg und der Kreuzburg wohnen.

Aber trotzdem, daß sie auch hier in früherer Aermlichkeit lebte, standen ihres Herzens Gedanken doch nach andern Dingen. Nicht auf Schlössern, noch in der Umgebung des Ueberflusses, sondern als Klausnerin oder sonst in einem Gott wohlgefälligen Stande gedachte sie das Heil ihrer Seele zu schaffen. Es kam nur darauf an, was Conrad, der ohne Zweifel in Folge von Mittheilungen über sie, nun vom Papste den Befehl erhalten hatte, sie in besondere Obhut zu nehmen, dazu sagen würde. Mit vielen Thränen, berichtet Conrad, bat sie mich, daß ich ihr erlauben möchte, als Bettlerin von Thür zu Thür zu gehen. Als ich ihr das schlechthin verweigerte, sagte sie: Das thue ich, das thue ich, was Ihr mir nicht wehren könnt! Am Charfreitag des Jahres 1229 legte sie in der erwähnten Barfüßerkapelle zu Eisenach in Gegenwart einiger Klosterbrüder die Hände auf den entblößten Altar und sprach ein feierliches Gelübde aus: sie entsagte allem Gegenwärtigen und Vergangenen, dem eigenen Willen, aller Pracht der Welt und dem, was der Welterlöser im Evangelium zu verlassen gebeut. Als sie ihren Besitzungen entsagen wollte, sagt Conrad weiter, ließ ich es nicht zu, theils um die Gebühr ihres Mannes – das Wort wird nicht von Schulden, sondern von Seelenmessen zu verstehen sein – zu entrichten, theils der Unterstützung der Armen wegen.

Dieser Act, der letzte, den sie von der Wartburg aus vollzog, der Abschluß ihres bisherigen Lebens und die allmählich gereifte Frucht ihrer innern Entwickelung bildete den fruchtbaren Keim einer neuen Epoche ihrer Wirksamkeit. Sie zog, um der darin für sie gestellten Aufgabe zu genügen, wie Eisentrud berichtete auf das Geheiß Conrads, wie er selbst sagt wider seinen Willen (wahrscheinlich beziehen sich diese verschiedenen Aussagen auf verschiedene Zeiten), ihm auf ihr Witwengut Marburg nach, dem äußersten Grenzort der Landgrafschaft, welcher damals, abgesehn von der landgräflichen Burg, die ihm den Namen gegeben, ein geringer, dem Dorf Oberweimar eingepfarrter Flecken war.

Hier, in der Ferne vom Leben des Hofs und der Welt, suchte sie nun, zuerst noch von ihren Kindern und Hofdienerinnen umgeben, unter Conrads Aufsicht die geistliche Vollkommenheit zu erringen, die ihr als Ziel vorstand. Den Aufenthalt auf der Burg verschmähend und wie Eisentrud hervorhebt, auch hier von den Ihrigen verfolgt, nahm sie ihre Zuflucht zu dem nahe gelegenen Dorfe Wehrda. Noch zeigt man da ein Haus, wo sie gewohnt habe, und erzählt, wie sie von da aus in die in der Nähe auf einem Hügel gelegene Kirche gegangen sei. Das Richtige ist, daß damals dort ein Burgsitz mit einer Kemenade war, unter deren Treppe sie wohnte, indem sie sich mit Zweigen gegen die Strahlen der Sonne zu schützen suchte. Sie bereitete hier für ihre kleine Haushaltung, was sie an Speisen erhalten konnte, und trug die Beschwerden der Sonnengluth, des Rauchs und des Windes mit aller Freudigkeit. Inzwischen war in der Nähe Marburgs, vermuthlich in der Gegend des Platzes westlich von der Elisabethkirche, ein niedriges Häuschen von jener Bauart, die noch heute hier in Anwendung kommt, von Holz und Lehm fertig geworden, welches sie nunmehr bezog. Hier lebte sie im grauen Kleid der Schwestern des h. Franciscus, unterzog sich den geringsten häuslichen Arbeiten und übte vor Allem die Pflege armer Kranker, in denen sie Christum vor sich sah, mit einer Ergebenheit und Fröhlichkeit, welche ihren feindseligen Verwandten das Wort in den Mund gab, daß sie ihres Gemahls ja bald vergessen habe. Aber nicht vorübergehend sollten ihre Wohlthaten sein. Indem sie allen Schmuck, den sie aus früherer Zeit noch besaß, und ihr gesammtes Einkommen zusammenthat, und sich selbst an der täglichen Speise abbrach, gelang es ihr, die Mittel zur Gründung eines Spitals für Kranke zu gewinnen, welches zu der noch bestehenden Anstalt des Landkrankenhauses den Grund gelegt hat und von ihr, da sie fürchtete, daß es von den Ihrigen später wieder aufgehoben werden möchte, in die Hand des Deutschherrnordens gegeben wurde, eine That, wodurch sie die eine der beiden großen Grundsäulen der spätern Existenz Marburgs gestiftet hat, während die andere auf dem lebendigen Andenken an das, was sie selbst war, auf jener geistigen Nachwirkung beruht, welche in der herrlichen über ihrem Grab gewölbten Kirche nur einen Theil ihres sichtbaren Ausdruckes hat.

Denn wenn sich schon das äußere Schalten und Walten der in treuer Meinung um Gottes willen arm gewordenen Königstochter der Erinnerung des Volks tief einprägen mußte, wenn man es nicht vergessen konnte, wie sie in dem Spital selbst pflegend und reinigend Hand angelegt – noch zeigt man den Brunnen, an dem sie gewaschen haben soll -, wie viel tiefer mußte doch die Kunde von der sauern Arbeit gehen, die sie im Ringen um die Seligkeit auf sich nahm! Conrad war in Folge des vom Papst erhaltenen Auftrags nicht gelinder, sondern strenger in seiner Behandlung Elisabeths geworden: nachdem sie ihrem eignen Willen entsagt hatte, galt es, diese Entsagung auf’s Bestimmteste durchzuführen. Wie berührt, hatte er ihr verboten, Aussätzige zu berühren. Als er erfuhr, daß sie ein junges mit Aussatz behaftetes Mädchen in ihr Haus aufgenommen, ihr das Bett mache, sie speise und wasche, griff er mit eigner Hand ein. „Gott vergebe mirs, schreibt er darüber, ich habe sie auf’s heftigste gestraft.“ Für geringere Abweichungen von seinem Willen erfolgten Backenstreiche, für größere Geißelung; und alles dies nahm sie willig hin: sie dachte an Christus, der auch Beides erduldet, und sagte einmal nach erhaltener Geißelung: wie das im Flusse stehende Schilf bald niedergetrieben werde, bald wieder aufstehe, so sei es dem Menschen nöthig, bald gedemüthigt, bald wieder froh aufgerichtet zu werden. Ueberaus lieblich ist der Bericht ihrer Dienerin Irmengard, daß das Weinen ihr Angesicht nicht entstellte: ihre Thränen seien wie aus einem lautern und fröhlichen Quell entsprungen; sie habe von denen, welche ihr Gesicht im Weinen entstellen, gesagt: „es scheint, als wollten sie Gott abschrecken; mögen sie doch das, was sie haben, Gott mit Heiterkeit und Fröhlichkeit geben!“

Aber nicht läugnen läßt sich, daß sie von Conrad auch ihrerseits gelernt hat, gegen Andre streng zu sein. Einem jungen durch sein schönes Haar ausgezeichneten Mädchen, welches bei einer Armenspeisung das Gebot, den angewiesenen Ort nicht zu verlassen, bei Strafe geschoren zu werden, noch dazu ohne Wissen übertreten hatte, läßt sie ohne weiteres das Haar abschneiden; freilich muß sie auch dies mit der reinsten Anmuth befohlen haben, da wir sehen, daß sich die Gestrafte sofort in ihre Umgebung begiebt. Eine Frau, von der sie gehört, daß sie nicht zur Beichte gehe, ließ sie eigenhändig die Geißel fühlen, ohne daß uns von einem gleich glücklichen inneren Erfolg berichtet wäre.

Mehr aber als Schläge haben andre Maßnahmen Conrads in Elisabeths Herz einschneiden müssen. Ihre Kinder hatte sie schon früher abgegeben; jetzt mußte sie ihre Dienerinnen entlassen, und Conrad ersetzte sie durch eine häßliche Nonne und eine taube Witwe von Adel, die ihr das Leben erschwerten, indem sie sich freundlich gegen sie stellten, aber hinter ihrem Rücken ihre kleinen Vergehen, wenn sie etwa einem Armen mehr geschenkt als sie gesollt, bei Conrad anbrachten: Alles, damit sie es in der Ueberwindung der Ungeduld weiter und weiter bringe.

Und Geduld war ja in ihr, und mit der Geduld noch vieles andre Große und Erstaunliche. Wenn sie betete, da funkelten ihre Augen; für eines Jünglings Heil betete sie einmal mit dessen Zustimmung in seiner Anwesenheit so herzlich und so feurig, daß er ausrief: o endet, ich halte es vor Gluth nicht mehr aus! und ihre Liebe zu Gott war so innig, daß sie darüber alle Güter der Erde vergaß. Sie sagte selbst einst zu ihren Dienerinnen: „Der Herr hat mein Gebet erhört, ich erachte alle meine weltlichen Besitzungen, die ich einst geliebt, für Staub. Gott sei mein Zeuge, meine Kinder sind mir jetzt wie jeder andre Nächste: ich habe sie Gott übergeben, er mache mit ihnen, was ihm wohlgefällt; Schmähung, Verläumdung, Verachtung bringt mir Lust, ich liebe nichts, als Gott allein.“

So war, was der in ihre Seele gepflanzte geistliche Drang ersehnte, was Conrad erwirken wollte, und woran der Papst Gregorius durch briefliche Ansprachen an sie mitarbeitete, wirklich erreicht: die graue Schwester Elisabeth, die, Fürstin und mit gesticktem Rock, an Krankenbetten stand oder Schüsseln wusch, hatte der Welt entsagt, und ihr Geist sich zu himmlischen Regionen aufgeschwungen. Aber die Kraft zum Leben war auch dahin: in den Novemberwochen des Jahres 1231 lag die 24jährige Witwe Ludwigs auf ihrem Sterbelager. Nachdem sie von der Wand her einen süßen Gesang, wie eines Vögleins Stimme vernommen, dem sie nachsummte, ging sie, gestärkt vom Sacrament des Altars, wie in sanftem Schlummer, hinüber.

Eine Erscheinung vielleicht ohne Gleichen: innig fromm, demüthig, geistig belebt, voll Liebe Gottes und der Menschen. Aber auch so an ihrem Sterbebette muß es bekannt werden: ein Opfer der geistlichen Mächte ihrer Zeit, entrissen den Ihrigen, vor Allen ihrem Erstgebornen, der eines trefflichen Fürsten Sohn berufen war, ihm nachzufolgen, und mit verkümmertem Recht thatenlos verkommen ist, entrissen dem Vaterlande, das in schwerster Zeit eines blühenden Thüringens bedurfte und ein zerstückeltes fand. Wir haben eine Heilige mehr, eine rechte Fürstin und Mutter weniger.

E. Ranke in Marburg.

Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862