Elisabeth, Tochter des Königs Andreas von Ungarn und seiner Gemahlin Gertrud, geb. 1207, war auf den Antrag des Landgrafen Hermann von Thüringen von ihren Eltern schon als vierjähriges Kind nach der Wartburg entlassen, wo sie heranreifen und dann die Gemahlin Ludwigs, des künftigen Nachfolgers auf dem landgräflichen Thron werden sollte.
Schon früh that sich in ihr ein entschiedener Zug geistlicher Lebensanschauung kund. Ihrer Seele ursprünglich eigen, mochte er durch das Innewerden ihrer Stellung in der Fremde und die Kunde von dem räthselhaften gewaltsamen Tode ihrer Mutter, die ihr dann in ihren Träumen vorkam und das Kind um Fürbitte anging, gekräftigt werden. Als zartes Kind sehen wir sie in der Kirche den Altar aufsuchen und auf ihren Knien liegen; mitten in ihren Spielen springt sie nach der Kapelle zu und küßt ihre Mauern; auf dem Kirchhofe, zwischen den Gräbern durch schreitend, gedenkt sie des Wechsels von Leben und Tod, der auch für sie eintreten werde. Wie gesund dieser Trieb war, erhellt aus seinem Verbundensein mit herzlicher Zuneigung zu Armen und Leidenden: armen Kindern steckt sie ihre kleinen Gewinnste, Bettlern am Thor Brod und Speise zu, die sie aus der Küche für sie holt. Am höchsten wird die Demuth zu preisen sein, die sich in all‘ ihrem Thun und Reden ausprägt, die anspruchslose Ergebenheit, mit der sie harte Urtheile der Landgräfin Mutter über ihr unscheinbares, unfürstliches Wesen, die spöttischen Bemerkungen der ihr fast gleichaltrigen Prinzessin Agnes und die Reden einer Hofpartei erträgt, welche darauf dringt, daß man sie zu ihrem Vater wieder zurückschicken solle, weil sie eher zu einer Magd als zu einer Fürstin tauge. Mit dem vierzehnten Jahre hörte dieser Zustand des Gedrücktseins auf: Landgraf Ludwig, der nach dem Tode seines Vaters Hermann im Jahre 1216 und seitdem in Friedens- und Kriegsgeschäften sich als trefflicher Fürst bewährt hatte, reichte in seinem 22. Jahre der Frühentwickelten seine Hand zum Ehebunde. Sie war nun im Genuß selbständigen fürstlichen Ansehens, und eine Reihe von glaubwürdig überlieferten Zügen erweist den kindlich liebenden Sinn, mit dem sie ihrem Gatten zur Seite stand, den Eifer, womit sie ihre fürstliche Stellung zum Wohlthun der Bedrängten benutzte und den tiefen Ernst ihres Ringens um das Seelenheil.
Von der Zeit her, wo sie Verlobte waren, hatten die fürstlichen Ehegatten die freundliche Gewohnheit, sich Bruder und Schwester zu nennen, und schön ist’s zu lesen, wie die Schwester an dem Bruder hing, wie sie bei Tische zu seiner Seite saß, wie ungern sie sich von ihm trennte; wo immer es möglich war, begleitete sie ihn auf seinen vielfachen Reisen: sie ritt dann zu Pferd neben ihm und ertrug mit ihm Wind, Regen und Schnee. Waren die Reisen zu weit, oder zog Ludwig, was während ihrer Ehe fast jedes Jahr nöthig war, in Krieg oder Fehde, so betrachtete sie die Zeit seiner Abwesenheit als eine Trauerzeit: sie legte ihre fürstlichen Kleider ab und harrte in einfachem Witwenkleid seiner Wiederkehr: kam er dann wieder, so holte sie zum Zeichen ihrer Freude und wohl wissend, daß sie als Gattin ihrem Eheherrn auch äußerlich gefallen müsse, die glänzenden Gewänder wieder hervor und bewillkommte ihn in ihrem Schmuck. Als unumschränkte, nur ihrem Gatten verantwortliche Fürstin konnte sie nun der tiefsten Neigung ihrer Seele, den Armen und Leidenden Linderung ihrer Noth zu verschaffen, auf’s Reichlichste nachleben: Hülfesuchende und Bettler fanden bei ihr ein stets offenes Ohr: arme Kranke und Wöchnerinnen suchte sie persönlich in ihren Wohnungen auf: sie griff dann in die Pflege selbstthätig ein; als es einmal an Milch gebrach, verschmähte sie es nicht, in den Stall zu gehen und sich am Euter einer Kuh zu versuchen, was ihr denn freilich beinahe übel bekommen wäre. Bei neugeborenen Kindern armer Leute übernahm sie Pathenstelle, erfreut über die ihr also gebotene Gelegenheit, ihnen nun um so mehr Wohlthaten erzeigen zu können. So war beständig ihr Thun. Kein Zeitraum aber sah mehr Beweise ihrer Liebe, als die Jahre 1225 und 1226, wo eine Theuerung und in ihrem Gefolge schwere Seuchen ganz Deutschland in steigendem Druck bedrängten. Unzählige nahmen damals zu der Burg ihre Zuflucht, wo sie sich eine freundliche Fürsorgerin wußten, und Keinen wies sie von ihrer Schwelle. Den Hungernden ließ sie Brod backen, die Schwachen speiste sie von ihrer eigenen Tafel und brach sich ab, damit sie ihnen desto behülflicher sein könnte. Von dem Sommer, den ihr Gemahl, vom Kaiser nach Cremona gerufen, in Italien zubrachte, wird berichtet, daß sie täglich 300 Arme persönlich versorgte. Für die Kranken, die den steilen Berg nicht ersteigen konnten, richtete sie in Eisenach ein Spital ein, in welchem 28 Kranke Lager und Pflege fanden, die sie dann täglich besuchte und mit gottseligen Worten erquickte. Ein anderes Haus hatte sie für arme und kranke Kinder bestimmt: auch diese besuchte sie fleißig, brachte ihnen zur Erheiterung Spielsachen, Töpfchen, glänzende Ringe und Anderes mit und bewies ihnen, wie sie denn von Allen als Mutter begrüßt wurde, die mütterlichste Treue; gerade mit den elendesten und entstelltesten befaßte sie sich und drückte sie an ihren Busen. Nicht, als wäre das ihrem äußerlichen Menschen leicht geworden: dumpfe, verdorbene Luft war sonst ihr Abscheu; aber den Dunst der Krankenstuben, in denen es ihre Hoffräulein bei der heißen Jahreszeit kaum aushalten konnten, ertrug sie mit aller Geduld und Heiterkeit. Als der Herbst nahte und es nun galt, den Armen für die bevorstehende Erntearbeit Schuhe und Sicheln anzuschaffen, und da die Vorräthe in Folge der beständigen Ausgaben auf die Neige gingen, griff sie nach ihren seidenen Kleidern und verschenkte sie mit den Worten: nicht zum Putz, sondern verkauft sie für eure Nothdurft und arbeitet! denn es steht geschrieben: du sollst dich von deiner Hände Arbeit nähren, und wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen! Und glücklich war sie zu preisen: ihr Wohlthun, von den Amtsschössern freilich als Verschwendung gescholten, war ganz im Sinne ihres Gemahls: als er zurückkehrte, bedeutete er die Klagenden mit den Worten: lasset sie um Gottes willen geben und armen Leuten gütlich thun, so viel sie will, wenn uns nur Wartburg und Naumburg zu unserer Herrschaft verbleiben!
Diese Erweisungen thätiger christlicher Liebe werden uns erst dann in ihrer vollen Bedeutung erscheinen, wenn wir uns erinnern, daß es die Thaten einer Siebzehn- oder Achtzehnjährigen sind, die sich vor unsern Augen erheben. So früh einem Leben der aufmerksamsten Liebe zu ihrem Gemahl, und der unermüdlichsten Barmherzigkeit gegen Nothleidende ergeben! Diese Elisabeth wird ohne Aufhören in der Erinnerung des deutschen Volks, in der Christenheit fortleben, ein Vorbild für die christlichen Frauen jedes Standes und Alters, erhoben von den empfänglichen Herzen, geliebt von den Gleichgesinnten, und denen zur Scham genannt, die, wie weit auch an Jahren voraus, noch nicht vermocht haben, sich über den Genuß hinaus zum Bewußtsein eines christlichen Berufs für die Welt emporzuschwingen.
Das folgenschwerste Ereigniß in Elisabeths Leben ist nun, daß sie sich unter die Führung eines Beichtigers begab, der unter dem besondern Einfluß des Papstes stand. Conrad von Marburg erschien nach dem, was der treue Biograph Ludwigs erzählt, als ein Mann, der durchaus Vertrauen verdiente. Er war gelehrt, von reinen Sitten, die heilige Schrift floß ihm zu; durch seine Thätigkeit als päpstlicher Legat in Deutschland, wobei er sich den guten Christen gnädig und geneigt, den ungläubigen hart und gestreng gezeigt hatte, hatte er sich einen Ruhm erworben, der den Bruder Berthold in die Worte ausbrechen läßt, daß sein tugendlich Leben in deutschen Landen als ein lichter Stern leuchtete. Dadurch wird begreiflich, wie ihm Landgraf Ludwig vor dem Antritt seines Kreuzzugs im Jahre 1227 die Besetzung aller der seinem Patronat untergebenen Kirchenstellen übertragen konnte; begreiflich, wie er, wahrscheinlich ein Jahr vorher, bereitwillig seine Genehmigung dazu ertheilte, daß sich seine Elisabeth in den Gehorsam Conrads begäbe. Feierlich, in einer Kirche, ward Elisabeths Versprechen zugleich mit dem Gelübde, im Fall des Todes ihres Gatten unverheirathet zu bleiben, gegeben und angenommen: Ludwig ließ ihm freie Bestimmung in der Führung seiner Gattin: nur seine Rechte als Gatte behielt er sich vor. Was etwa noch jugendlich Schwankendes, Unfertiges, Willkürliches in Elisabeth war, konnte so am Sichersten von ihr abgestreift und der unvergleichliche Grund von Gottesfurcht und Liebe, der in ihr lag, auch für ihre Stellung als Fürstin herausgebildet werden. – Aber je mächtiger Conrads Persönlichkeit, je gefügiger Elisabeths Wille war, desto gewisser war andererseits die Möglichkeit gegeben, daß er sich nicht darauf beschränkte, das Ueberwuchernde ihrer Liebesthätigkeit wegzuschneiden, wie wir denn lesen, daß er ihr die Liebkosung der Aussätzigen in der That verboten hat, sondern die beichtväterliche Leitung zur geistlichen Knechtung werden ließ.
Es ist nicht ausgemacht, ob Conrad Weltpriester oder Dominicaner oder Franciscaner gewesen. War er, wie man neuerdings vermuthet hat, Mitglied der weitern Genossenschaft des heiligen Franciscus, so wurden unmittelbar durch ihn die franciscanischen Anschauungen und Grundsätze der heiligen Elisabeth nahe gebracht. War er’s nicht, so läßt sich darthun, daß diese jenseits der Berge aufgekommene Geistesrichtung ihren anderweitigen Einfluß zeitig auf sie geübt hat. Zwar werden wir gerechtes Bedenken tragen, der Angabe der Franciscaner-Annalen, wonach Elisabeth mit dem Heiligen von Assisi in brieflichem Verkehr gestanden und von ihm seinen eigenen Rock zum Geschenk erhalten habe, Glauben zu schenken, da die unzweifelhaften Quellen davon Nichts erwähnen. Aber wenn doch eine ihrer Dienerinnen, Eisentrud von Hörselgau, erzählt, daß ihre Herrin eigenhändig Wolle zu Kleidern für die Mennebrüder gesponnen, und wenn Conrad selbst in einem Briefe an den Papst mittheilt, daß sie solchen eine Capelle in Eisenach verschafft habe, so ist eine Beziehung zu ihnen schon in dieser Zeit ihres Lebens unzweifelhaft, und selbst die Nachricht der Annalen ist nicht unglaublich, daß schon der erste Beichtvater Elisabeths, Namens Roding, ein Franciscaner gewesen.
So sehen wir die junge deutsche Fürstin von Einflüssen umgarnt, welche in Italien ihre Quelle hatten und durch eignen Willen unter eine Hand gebeugt, die stark genug war, den anerbotenen Gehorsam bis auf’s Aeußerste zu erwirken.
Und was waren nun die Folgen dieser Erziehung Conrads?
Die Denksprüche, welche er wahrscheinlich in dieser Zeit Elisabeth gab, haben zwar ihrem größten Theil nach einen rein biblischen Inhalt: „Habe Gott immerdar im Herzen und gedenke sein“, „Sei barmherzig gegen den Nächsten“, „Weil Gott für dich gelitten hat, so trage auch du geduldig das Kreuz“, wir dürfen hinzufügen, einen solchen, den Elisabeth von jeher an sich wahr zu machen sich befleißigt hatte, sind aber allesammt unter die Richtschnur jenes von Dominicus wie von Franciscus ergriffenen und neu proclamirten Grundsatzes von der freiwilligen Armuth gestellt „in ihr trage Verachtung mit Geduld“; und schließen damit Ziele ein, die von einer Fürstin nicht zu erreichen waren, oder, wurden sie erreicht, ihrem Fürstenthum ein Ende machen mußten.
Jedenfalls kam Alles auf die Art ihrer Geltendmachung an, und hier zeigt sich unverkennbar ein Fortschritt vom Aeußern zum Innern, vom Geringern zum Größern. Eine eigenthümliche Lebenserschwerung verursachte ihr Conrad zunächst durch das Verbot aller Speisen, über deren Herkunft sie kein vollkommen ruhiges Gewissen habe. Zwar von dem Fürsten, der einst fränkische Ritter mit blutiger Fehde gestraft, weil sie einem armen Krämer Waare und Esel weggenommen hatten, läßt sich nicht annehmen, daß er seine Tafel mit Geraubtem habe besetzen lassen. Nur von dem Ertrag der Domanialgüter, das wird Conrads Wille gewesen sein, nicht von dem der unter Umständen mit Gewalt eingetriebenen Steuern sollte Elisabeth leben. Da geschah es denn, daß sie bisweilen auf der Tafel nichts fand, was sie genießen konnte; aber willig und heiler unterwarf sie sich, sie zerbröckelte dann ihr Brod und that, als äße sie; als sich einmal unter vielen Gerichten nur eine Schüssel kleiner Vögel befand, die für sie eßbar erschien, nahm sie sich ein wenig davon und vertheilte das Uebrige unter ihre gleichgesinnten Dienerinnen, deren Hungern ihr viel drückender war, als das eigne. – Je nachdem die Tafel besetzt war, sagte sie zu ihnen: „Heute giebts nur zu essen“ oder „heute giebts nur zu trinken“; fand sich beiderlei, so klatschte sie in die Hände und rief: „Wohl uns! heut laßt uns essen und trinken!“ So überwand sie, auch von ihrem Gemahl unterstützt, der einmal zu den enthaltsamen Dienerinnen sagte, er würde sich, wenn er nicht den Widerspruch seiner Dienstmannen scheute, gern selbst der Regel unterwerfen, mit liebenswürdiger Heiterkeit die darin für sie liegende Versuchung; und nur dadurch wird es ihr wahrhaft schwer gemacht worden sein, dem Gebote nachzukommen, daß es Conrad in seiner Härte auch auf die Fälle ausdehnte, wenn sie bei Andern zu Gaste war.
Gleichfalls auf dem Gebiet des Aeußern liegt eine andre Beweisung seines Einflusses auf Elisabeth. Schon früher hatte sie die Gewohnheit gehabt, sich Nachts zuweilen von der Seite ihres Gatten zu erheben und am Bette kniend zu beten: sie ließ sich dazu von ihren Dienerinnen wecken. Dies, früher namentlich in der Fastenzeit und an den Freitagen geübt, that sie nun, nachdem sie sich in Conrads Gehorsam begeben, nach dem Bericht Eisentruds oftmals; gerade von dieser Zeit wird es zu verstehen sein, was sie weiter mittheilt, daß Elisabeth, wenn ihr Gemahl abwesend war, viele Nächte unter Kniebeugungen, Geißelungen und Gebeten hinbrachte.
Nur berühren können wir hier den plötzlichen Wechsel der Dinge auf der Wartburg, den Sturz und das weitere Leben Elisabeths, worin gleichfalls weitere Spuren von geistlicher Einwirkung auf sie fühlbar sind; wie Elisabeth nicht lange nach der Rückkehr von jener Heerfahrt ihres Gemahls nach Cremona einst zufällig in dem Rocke desselben das Kreuz entdeckte, das er, dem Aufruf des Kaisers zu einem Zug wider die Sarazenen folgend, vom Bischof von Hildesheim erhalten, aber aus Liebe zu ihr bisher verborgen; wie sie in Ahnung deß, was da kommen sollte, in tödtlichen Schrecken gerieth und nur durch seine Liebesworte getröstet wurde; wie die Beiden vor ihrer Trennung übereinkamen, das Kind, das sie unter dem Herzen trug, einst dem Dienst des Herrn zu weihen; wie er, um Johanni 1227 zum Heereszug aufbrach, wie sie, nachdem er von den Kindern, seinem fünfjährigen Heinrich und der etwas jüngeren Sophie, den rührendsten Abschied genommen, nicht auf der Wartburg von ihm scheiden wollte, sondern ihn weit, bis zur Landesgrenze begleitete – und wie dann im Herbst die Trauerkunde kam, und wie sie bei ihrem Empfange außer sich vor Schmerz in die Worte ausbrach: Todt, todt ist mir nun die Welt und all‘ ihre Freude! Alsbald nach diesem Leid kam Schmach und Vertreibung über sie, indem der eigene Bruder ihres Gemahls, begierig nach der Landgrafenkrone, sie, die kaum von dem Wochenbett Genesene, schmählich von der Wartburg verjagte, und sie fand in Eisenach Niemand, der sich ihrer annahm, bis sie endlich in dem stallähnlichen Gelass einer Herberge Unterkunft erhielt, in welchem sie zuerst mit ihren drei kleinen Kindern, die man ihr Tags darauf unbarmherzig in’s Elend nachschickte, und dann, nachdem für diese irgendwo eine bessere Pflege gefunden war, mit einigen ihrer Hofdienerinnen den ganzen Winter hindurch verweilte.
Wie ein überirdisches Licht, unvergänglich schön, glänzte in diesem Dunkel ihre Demuth, Gottesfurcht und Gottinnigkeit. Wenige Stunden, nachdem das Unglaubliche geschehen, raffte sie sich aus der Kammer ihrer Schmerzen auf, ging in die Kapelle ihrer Barfüßer und bat sie, ihr ein Tedeum zu singen um der Trübsal willen, die der Herr ihr sendet. Und als sie an einem Tage der vorösterlichen Fasten vor einem Altar auf ihren Knien liegend lange gebetet hatte, und dann zu Haus in einen Zustand der Beschauung gerieth, worin sie bisweilen weinte, bisweilen freundlich lächelte und endlich in die Worte ausbrach: „ja, Herr, du willst sein mit mir, und ich will sein mit dir, und niemals will ich von dir geschieden sein,“ da antwortete sie auf die Frage ihrer Eisentrud, mit wem sie denn geredet habe: „Ich sah den Himmel offen und meinen süßen Herrn Jesus sich zu mir neigen und mich trösten über meine vielen Aengste und Nöthe, und so lange ich ihn sah, war ich froh und lachte, und wenn er sein Angesicht zum Fortgehn wandte, weinte ich; und erbarmungsvoll wandte er sein lichtes Angesicht mir wieder zu und sprach: wenn du mit mir sein willst, will ich mit dir sein! und ich antwortete, was du gehört.“
Wer hat je so geredet? Hat sich hier nicht wirklich eine Seele dem Himmel aufgethan?
Und doch, das ist nicht zu läugnen, steht neben diesem Lichtblick ein dunkles Räthsel. Als Elisabeth in so heißer Liebe zu ihrem Gott und Heiland stand, wo war die fürsorgende Liebe zu ihren Kindern, deren erstes der geborene Fürst des Landes war? wenn sie zur Zeit ihrer Macht Tausenden das dargebracht, was sie zur Stillung des Hungers bedurften und auch jetzt in ihrer Noth Sorge trug, daß ihre Kinder irgendwelcher leiblicher Pflege theilhaftig wurden, wo war der doch auch heilige Liebestrotz der Mutter, die das ihrem fürstlichen Sohne gebrochene Recht wieder herzustellen suchte? Dafür hatte die geistliche Zucht, der sie sich ergeben, ihr den Sinn geraubt. Conrad, der das Verdienst hat, sich später mit Andern Elisabeths in der Art gegen ihren Bedränger angenommen zu haben, daß er der Beraubten das landgräfliche Witthum zu verschaffen suchte, hat hievon Nichts geltend gemacht. Das ideal zu verstehende, vom h. Franciscus als Regel des gemeinen Lebens für die Seinen hingestellte Wort des Evangeliums: „dem Bösen nicht zu widerstehen“, wird von Conrad und Elisabeth als ausreichende Richtschnur für ihr äußeres Verhalten angesehen und der Gedanke an die Vertheidigung der Rechte des Prinzen nicht in ihre Seele gekommen sein.
Eine etwas bessere Zeit brach für sie an, als die Schwester ihrer Mutter, Aebtissin Mathilde in Kitzingen, sie mit ihren Kindern und Hofdienerinnen in ihr Kloster, und einige Zeit darauf ihr mütterlicher Oheim Bischof Eckbert von Bamberg auf sein Schloß Pottenstein einlud. Hier lebte sie in einer ihr gebührenden Umgebung etwa ein Jahr lang, die ihr gemachten Anerbietungen zu einer neuen Verheirathung mit Entrüstung von sich weisend, bis die thüringischen Genossen ihres Gemahls, Schenk Rudolf von Vargila an der Spitze, nach Vollendung des Kreuzzugs mit den Gebeinen Ludwigs in Bamberg anlangten. Noch einmal offenbart sich die Innigkeit ihrer Gattenliebe zugleich mit ihrer Gottergebenheit auf ergreifende Weise. Als die Truhe vor ihr geöffnet wurde, sprach sie: „ich danke dir, daß du mein Flehen erhört hast, die Gebeine meines Geliebten zu sehen, daß ich an ihnen weinen kann. Ich hätte alle Herrlichkeit der Welt für ihn hingegeben! Nun möchte ich ihn aber nicht mit einem Haare meines Hauptes gegen deinen Rathschluß zurückrufen“. Nach dem Willen des Bischofs zog sie mit dem Sarge nach Reinhardsbrunn zur Beisetzung. Hier gelang es der kühnen Beredsamkeit Rudolfs, den Landgrafen Heinrich zur Anerkennung der Rechte Elisabeths und ihrer Kinder zu bringen: so sehr es auch in Bezug auf den Prinzen an der vollen Geltendmachung gefehlt hat; er versöhnte sich mit ihr, gestand ihr 500 Mark jährliches Leibgedinge und den ihr schon bei ihrer Verheirathung bestimmten Besitz von Marburg zu und ließ sie auf der Wartburg und der Kreuzburg wohnen.
Aber trotzdem, daß sie auch hier in früherer Aermlichkeit lebte, standen ihres Herzens Gedanken doch nach andern Dingen. Nicht auf Schlössern, noch in der Umgebung des Ueberflusses, sondern als Klausnerin oder sonst in einem Gott wohlgefälligen Stande gedachte sie das Heil ihrer Seele zu schaffen. Es kam nur darauf an, was Conrad, der ohne Zweifel in Folge von Mittheilungen über sie, nun vom Papste den Befehl erhalten hatte, sie in besondere Obhut zu nehmen, dazu sagen würde. Mit vielen Thränen, berichtet Conrad, bat sie mich, daß ich ihr erlauben möchte, als Bettlerin von Thür zu Thür zu gehen. Als ich ihr das schlechthin verweigerte, sagte sie: Das thue ich, das thue ich, was Ihr mir nicht wehren könnt! Am Charfreitag des Jahres 1229 legte sie in der erwähnten Barfüßerkapelle zu Eisenach in Gegenwart einiger Klosterbrüder die Hände auf den entblößten Altar und sprach ein feierliches Gelübde aus: sie entsagte allem Gegenwärtigen und Vergangenen, dem eigenen Willen, aller Pracht der Welt und dem, was der Welterlöser im Evangelium zu verlassen gebeut. Als sie ihren Besitzungen entsagen wollte, sagt Conrad weiter, ließ ich es nicht zu, theils um die Gebühr ihres Mannes – das Wort wird nicht von Schulden, sondern von Seelenmessen zu verstehen sein – zu entrichten, theils der Unterstützung der Armen wegen.
Dieser Act, der letzte, den sie von der Wartburg aus vollzog, der Abschluß ihres bisherigen Lebens und die allmählich gereifte Frucht ihrer innern Entwickelung bildete den fruchtbaren Keim einer neuen Epoche ihrer Wirksamkeit. Sie zog, um der darin für sie gestellten Aufgabe zu genügen, wie Eisentrud berichtete auf das Geheiß Conrads, wie er selbst sagt wider seinen Willen (wahrscheinlich beziehen sich diese verschiedenen Aussagen auf verschiedene Zeiten), ihm auf ihr Witwengut Marburg nach, dem äußersten Grenzort der Landgrafschaft, welcher damals, abgesehn von der landgräflichen Burg, die ihm den Namen gegeben, ein geringer, dem Dorf Oberweimar eingepfarrter Flecken war.
Hier, in der Ferne vom Leben des Hofs und der Welt, suchte sie nun, zuerst noch von ihren Kindern und Hofdienerinnen umgeben, unter Conrads Aufsicht die geistliche Vollkommenheit zu erringen, die ihr als Ziel vorstand. Den Aufenthalt auf der Burg verschmähend und wie Eisentrud hervorhebt, auch hier von den Ihrigen verfolgt, nahm sie ihre Zuflucht zu dem nahe gelegenen Dorfe Wehrda. Noch zeigt man da ein Haus, wo sie gewohnt habe, und erzählt, wie sie von da aus in die in der Nähe auf einem Hügel gelegene Kirche gegangen sei. Das Richtige ist, daß damals dort ein Burgsitz mit einer Kemenade war, unter deren Treppe sie wohnte, indem sie sich mit Zweigen gegen die Strahlen der Sonne zu schützen suchte. Sie bereitete hier für ihre kleine Haushaltung, was sie an Speisen erhalten konnte, und trug die Beschwerden der Sonnengluth, des Rauchs und des Windes mit aller Freudigkeit. Inzwischen war in der Nähe Marburgs, vermuthlich in der Gegend des Platzes westlich von der Elisabethkirche, ein niedriges Häuschen von jener Bauart, die noch heute hier in Anwendung kommt, von Holz und Lehm fertig geworden, welches sie nunmehr bezog. Hier lebte sie im grauen Kleid der Schwestern des h. Franciscus, unterzog sich den geringsten häuslichen Arbeiten und übte vor Allem die Pflege armer Kranker, in denen sie Christum vor sich sah, mit einer Ergebenheit und Fröhlichkeit, welche ihren feindseligen Verwandten das Wort in den Mund gab, daß sie ihres Gemahls ja bald vergessen habe. Aber nicht vorübergehend sollten ihre Wohlthaten sein. Indem sie allen Schmuck, den sie aus früherer Zeit noch besaß, und ihr gesammtes Einkommen zusammenthat, und sich selbst an der täglichen Speise abbrach, gelang es ihr, die Mittel zur Gründung eines Spitals für Kranke zu gewinnen, welches zu der noch bestehenden Anstalt des Landkrankenhauses den Grund gelegt hat und von ihr, da sie fürchtete, daß es von den Ihrigen später wieder aufgehoben werden möchte, in die Hand des Deutschherrnordens gegeben wurde, eine That, wodurch sie die eine der beiden großen Grundsäulen der spätern Existenz Marburgs gestiftet hat, während die andere auf dem lebendigen Andenken an das, was sie selbst war, auf jener geistigen Nachwirkung beruht, welche in der herrlichen über ihrem Grab gewölbten Kirche nur einen Theil ihres sichtbaren Ausdruckes hat.
Denn wenn sich schon das äußere Schalten und Walten der in treuer Meinung um Gottes willen arm gewordenen Königstochter der Erinnerung des Volks tief einprägen mußte, wenn man es nicht vergessen konnte, wie sie in dem Spital selbst pflegend und reinigend Hand angelegt – noch zeigt man den Brunnen, an dem sie gewaschen haben soll -, wie viel tiefer mußte doch die Kunde von der sauern Arbeit gehen, die sie im Ringen um die Seligkeit auf sich nahm! Conrad war in Folge des vom Papst erhaltenen Auftrags nicht gelinder, sondern strenger in seiner Behandlung Elisabeths geworden: nachdem sie ihrem eignen Willen entsagt hatte, galt es, diese Entsagung auf’s Bestimmteste durchzuführen. Wie berührt, hatte er ihr verboten, Aussätzige zu berühren. Als er erfuhr, daß sie ein junges mit Aussatz behaftetes Mädchen in ihr Haus aufgenommen, ihr das Bett mache, sie speise und wasche, griff er mit eigner Hand ein. „Gott vergebe mirs, schreibt er darüber, ich habe sie auf’s heftigste gestraft.“ Für geringere Abweichungen von seinem Willen erfolgten Backenstreiche, für größere Geißelung; und alles dies nahm sie willig hin: sie dachte an Christus, der auch Beides erduldet, und sagte einmal nach erhaltener Geißelung: wie das im Flusse stehende Schilf bald niedergetrieben werde, bald wieder aufstehe, so sei es dem Menschen nöthig, bald gedemüthigt, bald wieder froh aufgerichtet zu werden. Ueberaus lieblich ist der Bericht ihrer Dienerin Irmengard, daß das Weinen ihr Angesicht nicht entstellte: ihre Thränen seien wie aus einem lautern und fröhlichen Quell entsprungen; sie habe von denen, welche ihr Gesicht im Weinen entstellen, gesagt: „es scheint, als wollten sie Gott abschrecken; mögen sie doch das, was sie haben, Gott mit Heiterkeit und Fröhlichkeit geben!“
Aber nicht läugnen läßt sich, daß sie von Conrad auch ihrerseits gelernt hat, gegen Andre streng zu sein. Einem jungen durch sein schönes Haar ausgezeichneten Mädchen, welches bei einer Armenspeisung das Gebot, den angewiesenen Ort nicht zu verlassen, bei Strafe geschoren zu werden, noch dazu ohne Wissen übertreten hatte, läßt sie ohne weiteres das Haar abschneiden; freilich muß sie auch dies mit der reinsten Anmuth befohlen haben, da wir sehen, daß sich die Gestrafte sofort in ihre Umgebung begiebt. Eine Frau, von der sie gehört, daß sie nicht zur Beichte gehe, ließ sie eigenhändig die Geißel fühlen, ohne daß uns von einem gleich glücklichen inneren Erfolg berichtet wäre.
Mehr aber als Schläge haben andre Maßnahmen Conrads in Elisabeths Herz einschneiden müssen. Ihre Kinder hatte sie schon früher abgegeben; jetzt mußte sie ihre Dienerinnen entlassen, und Conrad ersetzte sie durch eine häßliche Nonne und eine taube Witwe von Adel, die ihr das Leben erschwerten, indem sie sich freundlich gegen sie stellten, aber hinter ihrem Rücken ihre kleinen Vergehen, wenn sie etwa einem Armen mehr geschenkt als sie gesollt, bei Conrad anbrachten: Alles, damit sie es in der Ueberwindung der Ungeduld weiter und weiter bringe.
Und Geduld war ja in ihr, und mit der Geduld noch vieles andre Große und Erstaunliche. Wenn sie betete, da funkelten ihre Augen; für eines Jünglings Heil betete sie einmal mit dessen Zustimmung in seiner Anwesenheit so herzlich und so feurig, daß er ausrief: o endet, ich halte es vor Gluth nicht mehr aus! und ihre Liebe zu Gott war so innig, daß sie darüber alle Güter der Erde vergaß. Sie sagte selbst einst zu ihren Dienerinnen: „Der Herr hat mein Gebet erhört, ich erachte alle meine weltlichen Besitzungen, die ich einst geliebt, für Staub. Gott sei mein Zeuge, meine Kinder sind mir jetzt wie jeder andre Nächste: ich habe sie Gott übergeben, er mache mit ihnen, was ihm wohlgefällt; Schmähung, Verläumdung, Verachtung bringt mir Lust, ich liebe nichts, als Gott allein.“
So war, was der in ihre Seele gepflanzte geistliche Drang ersehnte, was Conrad erwirken wollte, und woran der Papst Gregorius durch briefliche Ansprachen an sie mitarbeitete, wirklich erreicht: die graue Schwester Elisabeth, die, Fürstin und mit gesticktem Rock, an Krankenbetten stand oder Schüsseln wusch, hatte der Welt entsagt, und ihr Geist sich zu himmlischen Regionen aufgeschwungen. Aber die Kraft zum Leben war auch dahin: in den Novemberwochen des Jahres 1231 lag die 24jährige Witwe Ludwigs auf ihrem Sterbelager. Nachdem sie von der Wand her einen süßen Gesang, wie eines Vögleins Stimme vernommen, dem sie nachsummte, ging sie, gestärkt vom Sacrament des Altars, wie in sanftem Schlummer, hinüber.
Eine Erscheinung vielleicht ohne Gleichen: innig fromm, demüthig, geistig belebt, voll Liebe Gottes und der Menschen. Aber auch so an ihrem Sterbebette muß es bekannt werden: ein Opfer der geistlichen Mächte ihrer Zeit, entrissen den Ihrigen, vor Allen ihrem Erstgebornen, der eines trefflichen Fürsten Sohn berufen war, ihm nachzufolgen, und mit verkümmertem Recht thatenlos verkommen ist, entrissen dem Vaterlande, das in schwerster Zeit eines blühenden Thüringens bedurfte und ein zerstückeltes fand. Wir haben eine Heilige mehr, eine rechte Fürstin und Mutter weniger.
E. Ranke in Marburg.
Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862