Am 21. Januar 1842 zog ein Alexander als erster evangelischer Bischof in Jerusalem ein, an demselben Tage, wo der König von Preußen, dessen Glaube dieses Bisthum gegründet hat, Friedrich Wilhelm IV., in London ankam, um Zeuge bei der Taufe des Prinzen von Wales zu sein. Dieser erste Bischof evangelischen Bekenntnisses, an den sich die Hoffnung eines neuen christlichen Lebens für Jerusalem und Palästina knüpft, ist im Jahre 1845 gestorben und hat den trefflichen Samuel Gobat zum Nachfolger gehabt, unter den die junge Saat des evangelischen Glaubens im Morgenlande schon zu keimen beginnt. Bei der Ueberschrift: Alexander, Bischof von Jerusalem: möchten unsre Leser wohl zunächst an diesen ersten Verwalter eines neuen Bisthums in der Heiligen Stadt sich erinnern und wir gedenken mit ihnen gern in Liebe und Gebet dieses Saatkorns. Aber der 18. März weist uns auf einen andern Alexander zurück, der in viel früherer Zeit (von 212 – 251 n. Ch. G.) den bischöflichen Stuhl von Jerusalem zierte und endlich mit dem Märtyrertod im Gefängnis seinen Glauben besiegelte.
Die Kirche Jerusalems hat von Anfang an bis auf diesen Bischof Alexander ebenso, wie späterhin, die wunderbarsten Schicksale gehabt. Hier wurde nach der Auferstehung des Herrn durch Ausgießung des heiligen Geistes die erste christliche Gemeinde gegründet, die Mutter der ganzen Christenheit, die unter der gemeinschaftlichen Leitung aller Apostel stand und an Herrlichkeit und Heiligkeit so einzig war, daß sie nur in der letzten Siegeszeit der christlichen Kirche, auf welche die Verheißung der Apostel uns hoffen läßt, ihres Gleichen haben wird. Diese heilige Muttergemeinde zerstreute sich nach der Steinigung des Stephanus und ihre Mitglieder wurden, wie ein guter Same, in nahe und ferne Länder ausgesäet. Die Gemeinde, die unter Verfolgungen in Jerusalem zurückblieb und viele Juden, auch Priester und Pharisäer, als Neubekehrte in sich aufnahm, war der ersten Muttergemeinde nicht mehr gleich, und während bald die meisten Apostel ihrem Berufe gemäß in fremde Länder das Evangelium trugen, wurde Jakobus, der Bruder des Herrn, der erste Leiter der Ortsgemeinde der heiligen Stadt und wird als erster Bischof Jerusalems gezählt. Während des jüdischen Krieges, der mit der Zerstörung Jerusalems endigte (70 n. Ch. G.), wurde er getödtet und sein Nachfolger war Symeon. Die christliche Gemeinde aber wanderte vor der Belagerung der Stadt, eingedenk der Gebote des Herrn, aus und begab sich jenseits des Jordans nach der kleinen Stadt Pella, wo sie blieb, bis der Sturm vorüber war. Die Bischöfe wechselten nach Symeons Tode schnell und in 80 Jahren etwa, von 65 bis 135 n. Ch. G. werden 14 Bischöfe von Jerusalem aufgezählt, sämtlich von Israelitischer Abkunft, und, wie ihre Gemeinde, um dieser Abstammung willen, durch ihr Gewissen und durch Rücksicht auf die Umgebung der Juden noch ganz an die Sitten und Gebräuche des Judenthums gebunden. Nachdem aber der römische Kaiser Hadrian in Folge einer neuen Empörung der Juden Jerusalem in eine heidnische Colonie umgewandelt und allen Juden den Zutritt zu dieser Stadt streng untersagt hatte, entstand daselbst eine ganz neue Gemeinde von Christen, die entweder früher Heiden gewesen oder wenigstens alle Reste früherer jüdischer Sitten aufgegeben hatten.
Der erste Bischof dieser neuen Gemeinde (138 n. Ch. G.) hieß Marcus: der zwölfte unter dessen Nachfolger hieß Narcissus, ein durch Frömmigkeit und Sanftmuth ausgezeichneter Mann (um das Jahr 200 n. Ch. G. erwählt). Dieser wurde durch falsche Anklagen bewogen sein Amt niederzulegen und sich in eine Wüste zurückzuziehen, um als Einsiedler seinem Gott zu dienen. In kurzer Zeit folgten ihm drei Bischöfe, Dius, Germanion und Gordius. Drei Männer aber, die mit falschen Eidschwüren die lügenhaften Anklagen gegen Narcissus beschworen hatten, wurden von Gottes Strafgericht heimgesucht, und Einer von ihnen bekannte und beweinte seine schwere Schuld. Dies bewog die Gemeinde den unschuldig angeklagten Narcissus in seiner Einsamkeit aufzusuchen und in sein Amt wieder einzusetzen, obgleich er schon hochbetagt und für die schwere Aufgabe des bischöflichen Amtes zu schwach war: denn er war schon an 100 Jahre alt. Deshalb beschloß man, um das zweite Jahr des Kaisers Caracalla (um 212 n. Ch. G.), ihm einen andern Bischof als Gehülfen an die Seite zu setzen, und dieser war Alexander, dessen Geschichte wir jetzt, so weit die vorhandenen Nachrichten reichen, kurz erzählen wollen.
Alexanders Geburtsjahr ist ebenso wenig bekannt, als sein Vaterland. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich vermuthen, daß er zwischen 170 und 180 n. Ch. G. in Kleinasien geboren ist, vielleicht in Cappadocien, wo schon zu des Apostel Petrus Zeiten (1 Petr. 1, 1.) christliche Gemeinden waren. Kleinasien, die Heimath eines Irenäus, war um diese Zeit noch der Mittelpunkt, von welchem durch den Samen, den der Evangelist Johannes dort ausgestreut hatte, ganz besonders frommer christlicher Eifer, mit reiner klarer Erkenntnis verbunden, ausging, und Alexander sog früh den Geist der alten Blutzeugen ein. Aber damals erhob sich in Alexandrien eine Schule christlicher Lehre, die der treffliche Pantänus mit dem Geiste lauterer Frömmigkeit und zugleich mit dem Triebe nach christlicher Wissenschaft erfüllte. Und einzelne Bruchstücke aus einem Briefe Alexanders, die Eusebius in seiner Kirchengeschichte aufbewahrt hat, machen es wahrscheinlich, daß Alexander eine Zeitlang mit dem berühmten Origenes Zuhörer und Schüler des Nachfolgers von Pantänus, des berühmten Clemens von Alexandrien, gewesen ist. In dieser Schule mag er die christliche Freundschaft mit vielen gleichgesinnten Zeugen der Wahrheit, auch mit den nachmaligen Bischöfen von Cäsarea in Palästina und von Antiochien, der Hauptstadt Syriens, mit Theoktistus und Asklepiades geschlossen haben, auch mit Origenes selbst, an den er schreibt: Dies ist, wie du weißt, Gottes Wille, daß die Freundschaft, die unsre Altvordern gegründet haben, fest und unverbrüchlich unter uns bleibe, ja von Tage zu Tage inniger und unzertrennlicher werde. Denn wir haben ja jene seligen Väter gekannt, die vor uns in den Wegen der Tugend gewandelt sind, zu denen auch wir bald hingehen werden: den wahrhaft seligen Pantanus, meinen Meister, und den heiligen Clemens, der auch mein Meister war und dem ich viel Gutes verdanke, und so manchen Andern dieser Art. Und durch diese bin ich mit dir vertraut geworden, der du mir der wertheste Meister und Bruder bist.“
In einer Christenverfolgung unter dem Kaiser Severus (um das Jahr 204) wurde Alexander ins Gefängnis geworfen und schrieb mit Beziehung darauf an die Antiochenische Gemeinde, die eben damals den Asklepiades zu ihrem Bischof erwählt hatte: „Zur Zeit meiner Gefangenschaft machte mir Gott meine Ketten leicht, als ich erfuhr, daß Asklepiades, der durch seinen Glauben dazu so vollkommen geeignet ist, durch Gottes Vorsehung das Bischofamt in eurer Kirche überkommen habe.“
Alexander ward bald nach jener Verfolgung Bischof in Cappadocien. Er übernahm aber in Folge eines Gelübdes und um die heiligen Orte zu sehen, eine Wallfahrt nach Jerusalem, nicht ohne zu ahnen, daß der Herr etwas Besonderes mit ihm vorhabe. Als er nach der heiligen Stadt kam, erweckten göttliche Stimmen die dortigen Frommen, ihn als den von Gott ihnen bestimmten Bischof, als Gehülfen des greisen Narcissus, aufzunehmen: die benachbarten Bischöfe Palästina’s willigten ein und man hielt ihn in Jerusalem fest (um das Jahr 212).
Hier verwaltete er gegen vierzig Jahre lang treulich sein Amt, während Narcissus, der ein Alter von mehr als 116 Jahren erreichte, ihm noch lange zur Seite stand und, wenn auch zu andern Diensten unfähig, doch im Gebet für seine Herde mit ihm vereint war. Alexander aber suchte für die christliche Erkenntnis seiner jüngern Amtsgenossen zu sorgen, sammelte nicht nur Bücher, sondern gründete auch ein Bibliothek – Gebäude, in dem ein reicher Bücherschatz nach und nach aufgehäuft wurde. Als Origenes durch den feindseligen Geist seines Bischof Demetrius genöthigt war, Alexandrien zu verlassen, nahm ihn (im J. 228) Alexander im Verein mit dem Bischof Theoktistus von Cäsarea mit offenen Armen auf und ließ ihn in seiner Gemeinde das Wort Gottes verkündigen, ohne den böswilligen Einspruch des Demetrius zu fürchten.
Er war schon ein Greis, als Decius (249 n. Ch. G.) den Kaiserthron bestieg, der erste Kaiser, der es inne wurde, daß der christliche Glaube eine Macht sei, die dem heidnischen Rom den Untergang drohte. Er faßte den verzweifelten Gedanken, das Christenthum, das die Herzen je mehr und mehr durch heilige Siege eroberte, durch eine blutige allgemeine Verfolgung auszurotten. Hatten frühere Kaiser die Christen als eine schwache Secte behandelt und nach den heidnischen Staatsgesetzen dann und wann den Gerichten übergeben, Decius verfolgte den christlichen Glauben als den gefährlichsten Feind des Reichs und verbreitete nach langer Ruhe desto größern Schrecken, indem er die Christen haufenweise und besonders die Bischöfe und Presbytern ins Gefängnis werfen, martern und tödten ließ. So fielen die Bischöfe zu Rom und Antiochien, und auch Alexander ward in den Kerker geworfen. Er wurde mehrmals verhört und mußte unter den rohen Händen der Kriegsknechte im Gefängnis schmachten. Der ehrwürdige Greis blieb standhaft, wie er in jüngern Jahren sich unter ähnlichen Leiden erwiesen hatte. Aber hochbejahrt, wie er war, unterlag er den täglichen Peinigungen und starb im Gefängnis als treuer Zeuge Christi (vermuthlich im Jahre 251). Die abendländische Kirche feiert sein Gedächtnis am 18. März, als an dem Tage, wo er das irdische Jerusalem mit dem himmlischen vertauscht hat.
H. E. Schmieder in Wittenberg.