Johann Amos Comenius

Leben und Schriften des Johann Amos Comenius, letzten Bischofs der böhmischen Brüder

Männer, welche mit einem gründlichen Wissen zugleich den redlichsten Eifer, dem verfallenen Christenthum durch allerlei heilsame Vorschläge wieder aufzuhelfen verbanden, sind zu allen Zeiten selten gewesen; daher die Beispiele, welche uns die Kirchengeschichte aufweisen kann, um so höher zu achten sind. In diese Klasse verdient Johannes Amos Comenius, ein Mann, den Gott nebst seiner großen Gelehrsamkeit mit ungemeinem Eifer für das Gute begabt hatte, mit allem Rechte gesetzt zu werden.

Derselbe ward in dem Städtchen Niewitz, im Markgrafenthum Mähren, den 28. März 1592, geboren, und, nachdem er auf verschiedenen Schulen den Grund zu seinem Studium gelegt, zog er auf das Fürstliche Gymnasium nach Herborn, wo er seinem Lehrer, dem berühmten J. H. Alstedius, seine Liebe zur Gelehrsamkeit und seinen Trieb, die Prophezeiungen zu erklären, zu verdanken hat. Im Jahre 1614 von einer Reise nach England und Holland zurückgekehrt, ward er bei der Schule zu Prerau oder Prezau zum Rectorat, und bald darauf zum Pastor in Fulneck berufen. Hier schrieb er schon sein Buch: „Pauperum Oppressorum clamores in coelum“, d. h. „ himmelschreiende Klagen armer Unterdrückter“, welches 1617 zu Olmütz erschien. Schon damals war er bei seinem Schulamte darauf bedacht gewesen, eine nützliche Methode zu erfinden, wie man der studirenden Jugend die Erlernung der Sprachen erleichtern könnte. Ueber diesen Gegenstand gab er einige Schriften heraus, die aber im Jahre 1621 nebst seiner Bibliothek verloren gingen, als die Stadt Fulneck von den Spanischen Truppen geplündert wurde.

Allein noch Härteres war ihm vorbehalten, und wir werden hinsichtlich seiner wunderbaren Führungen den Voetius beistimmen, der ihn wegen seines hohen Alters nicht bloß den „ehrwürdigen Greis“, sondern seines Leidens wegen, „den im Kreuz der Leiden bewährten Theologen“ nennt. Dem im Jahre 1624 erschienenen Kaiserlichen Edikte zufolge ward auch er, sammt den übrigen evangelischen Predigern in Böhmen und Mähren, seiner Stelle entsetzt. Er floh zu seinem Mäcenaten, dem Baron Sadowsky, in’s böhmische Gebirge, wo er unter ändern Schriften sein „Centrum securitatis“, d. h. „der Sicherheit Mittelpunkt“, verfaßte. Hierauf wandte sich Comenius nach Lissa in Polen, wo er eben zur Erleichterung des lateinischen Sprachunterichts seine „Janua linguarum reserata“ 1631 herausgab, welches Buch so vielen Beifall fand, daß es fast in alle abendländischen und viele asiatischen Sprachen, die persische, mongolische u. s. w. übertragen wurde. Diesem Werke hatte er auch den ihm von den schwedischen Reichsständen zugehenden Ruf zu verdanken, welchem er auch, nach kurzem Aufenthalte in dem vom Bürgerkriege ergriffenen England, im Jahre 1641 Folge leistete, und an dem Kanzler Oxenstierna einen Gönner fand. Auch dieser wurde gewahr, daß Comenius die Köpfe der Kinder nicht mit leerem Wissen bloß füllte, sondern ihre zarten Herzen vornehmlich mit ungefärbter Gottesfurcht zu erfüllen bemüht war. Um den Schulen eine bessere Form zu geben, arbeitete er im Auftrage der schwedischen Staatsbehörde zu Elbing binnen vier Jahren sein „Opus pansophicum“ aus. Auf Einladung des Fürsten von Siebenbürgen, Ragotzky, begab er sich nach Patack, wo er seinen „Orbis Pictus“, d. h. „die sichtbare Welt“, das erste Bilderbuch für Kinder, (Nürnberg 1658) schrieb. Nach kurzem, abermaligem Aufenthalt in Lissa, sodann in Frankfurt a. O. und Hamburg, ließ er sich in Amsterdam nieder, und starb im J. 1671 am 15. Oct. zu Naarden.

Sowohl in Lissa als in Holland unter nahm er es, die Socinianer, namentlich in seiner deutschen Schrift „ob Christus aus eigener göttlicher Kraft von den Todten auferstanden sei?“ zu bekämpfen. Wider die Papisten schrieb er sein „Echo der Widersinnigkeiten“. Wir thäten Unrecht, wenn wir seine „Geschichte der böhmischen Brüder“ unerwähnt lassen wollten, welche namentlich die eifrige Kirchenzucht der böhmischen Brüder darthut, und welche D. Buddeus in Halle im Jahre 1702, mit einer weitläuftigen Vorrede versehen, herausgab. Daß Comenius unter dem Titel „Unum necessarium etc“ sein letztes Werk, das uns vorliegende, herausgab, haben wir bereits erwähnt.

Johann Amos Comenius

Johann Amos Comenius

Comenius: Johann Amos C. ist zwar weder deutschen Stammes, noch ist er auf deutschem Boden geboren oder gestorben, aber er hat auf deutschen Hochschulen den Grund zu seiner wissenschaftlichen Bildung gelegt, hat in deutschen Städten längere oder kürzere Zeit gelebt und gewirkt und ohne Frage in Deutschland bis heute den empfänglichsten Boden für die Aussaat seiner pädagogischen Ideen gefunden, so daß die Aufnahme seiner Lebensbeschreibung in die A. D. Biographie nicht blos auf Entschuldigung rechnen kann, sondern das Gegentheil als eine ungerechtfertigte Unterlassung gerügt werden dürfte.

C. war der Sohn eines Müllers, welcher der Gemeinschaft der böhmischen Brüder angehörte, und am 28. März 1592 zu Nivnitz bei Ungarisch-Brod in Mähren geboren: in die Matrikel der Universität Heidelberg ist er als Nivanus Moravus eingetragen, in einer späteren Schrift (Opp. didactica III, p. 72) nennt er sich Hunno-Brodensis Moravus. Den Beinamen Kommensky, welcher dann in Comenius latinisirt wurde, und durch welchen sein wirklicher Familienname völlig in Vergessenheit gerathen und unbekannt geworden ist, hat jedenfalls sein Vater schon geführt nach seinem, vielleicht schon seiner Vorfahren Wohnort, dem ebenfalls in der Nähe von Ungarisch-Brod gelegenen Comnia (eigentlich Komnē). C. verlor seine Eltern früh. In Folge davon wurde seine erste Erziehung vernachlässigt. Erst im 16. Lebensjahre kam er in die lateinische Schule und bezog dann 1612 das Gymnasium zu Herborn in Nassau (1651 zur Universität erhoben), wo vor allen der geistvolle und gelehrte Alstedt, insbesondere auch durch seine encyklopädische Tendenz in der Wissenschaft und seine chiliastischen Erwartungen auf Comenius’ Geistesrichtung einen bleibenden Einfluß geübt zu haben scheint. Nachdem er noch die Universität Heidelberg besucht, auch eine Zeit lang in den Niederlanden sich aufgehalten hatte, kehrte er 1614 in sein Vaterland zurück und wurde zunächst Lehrer der Brüderschule zu Prerau. Sobald er das canonische Alter erreicht hatte, wurde er ordinirt (1616), und zwei Jahre nachher als Prediger und Schulvorsteher in Fulnek angestellt. Es war das Anfangsjahr des dreißigjährigen Krieges, unter welchem in der ersten Zeit Böhmen und Mähren vorzugsweise zu leiden hatten. Bei der Plünderung Fulnek’s durch die Spanier im Jahre 1621 verlor C. fast seine ganze Habe, insbesondere seine Bücher und Manuscripte, bei der Vertreibung der protestantischen Prediger aus den österreichischen Landen 1624 auch sein Amt, während er selbst noch eine Zeit lang, zuerst bei dem Herrn von Zerotin in Mähren, dann bei Georg Sadovsky von Slaupna, in der Verborgenheit als Erzieher sich nützlich machen, seine bedrängten Glaubensgenossen trösten und stärken und zugleich seine wissenschaftlichen und pädagogischen Ideen ausbilden konnte. Eine Frucht dieser unfreiwilligen Muße ist die merkwürdige Schrift, welche unter dem Titel „Labyrinth des Lebens und Paradies des Herzens“ zuerst 1631 in böhmischer Sprache erschien und dem Baron v. Zerotin gewidmet ist (ins Deutsche übersetzt unter dem Titel: „Comenii philosophisch-satyrische Reise durch alle Stände der menschlichen Handlungen“. Berlin und Potsdam, 1787; Auszüge daraus in den unten anzuführenden Schriften von Pappenheim und Lion). Hier tritt schon am Anfange seines Wirkens die Haupteigenthümlichkeit des Wesens und Strebens deutlich hervor, welche der treffliche Mann nach dem Zeugnisse seiner letzten Schrift, des „Unum necessarium“, bis ans Ende seines Lebens sich bewahrt hat: die lebhafte und liebevolle Empfänglichkeit für die Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt, stets verbunden mit der ernsten, tiefen und energischen Beziehung derselben auf das Eine und Ewige. Als 1627 auch der protestantische Adel aus Böhmen und Mähren verwiesen und das evangelische Volk mit neuen Bedrückungen heimgesucht wurde, in Folge wovon 30000 Familien, darunter 500 edle Geschlechter das Land verließen, da wanderte auch C. mit einem Theil seiner Gemeinde nach Polen aus, wo schon seit beinahe hundert Jahren die Brüder vor den ihnen drohenden Verfolgungen in so großer Zahl eine Zuflucht gesucht und gefunden hatten, daß dort, wie auch in Ungarn und Preußen, zahlreiche Brüdergemeinden bestanden, welche in Lissa ihren Mittelpunkt hatten. Hier nahm auch C. seinen Aufenthalt, und sein Austritt aus der Heimath wurde ihm zum Eintritt in eine fast europäische Berühmtheit und Wirksamkeit. Es erklärt sich dies aus der gewaltigen pädagogischen Bewegung, welche damals die europäische Welt weithin ergriffen hatte, etwa nur mit derjenigen vergleichbar, welche hauptsächlich von Rousseau angeregt und von Basedow fortgepflanzt und ausgebreitet, am Ende des vorigen Jahrhunderts in Deutschland entstanden ist. Der im Wesen des Protestantismus liegende Trieb nach Herstellung einer tüchtigen Volksbildung hatte in kurzer Zeit pädagogische Leistungen hervorgebracht, welche alles, was unter der Herrschaft der römischen Kirche für die Bildung des christlichen Volkes geschehen war, weit überholten. Dennoch entsprach dem Wollen das Vollbringen nur unvollständig, abgesehen von dem Mangel an materiellen Mitteln, welche darzureichen die Fürsten und Obrigkeiten nicht überall sich geneigt zeigten, hauptsächlich um deswillen nicht, weil der Unterricht nach Sprache und Inhalt in einseitige Abhängigkeit von den Erzeugnissen der classischen, insbesondere der lateinischen Litteratur gerieth, weil man ferner neben dem Unterricht nicht auch der eigentlichen Erziehung, zumal der leiblichen, die erforderliche Aufmerksamkeit schenkte, und weil man endlich auf eine der Entwicklung des kindlichen Geistes nachgebende wahrhaft bildende Methode sich wenig oder gar nicht besann. Dem allgemein empfundenen Bedürfniß nach Abstellung dieser Mängel kam bekanntlich Wolfgang Ratich mit seinen in mancher Beziehung richtigen, im ganzen aber doch an Einseitigkeit und Ueberschätzung der abstracten didaktischen Methode leidenden Reformvorschlägen entgegen. Ganz besonders kräftig aber mußte das pädagogische Interesse in einer Gemeinschaft wirken, welche wie die der böhmischen Brüder wesentlich aus der Erziehung des heranwachsenden Geschlechtes die zusammenhaltende Kraft des Widerstandes gegen die sie bedrohenden Gefahren schöpfen mußte. Und wenn C. nach seinem eigenen Geständniß die erste Anregung zu seiner pädagogischen Reformthätigkeit, während er in Deutschland studirte, durch das Gutachten empfing, welches Gießener und Jenenser Theologen 1613 u. 14 über Ratich’s Methode veröffentlicht hatten, so hatte er es eben dem Umstande zu danken, daß er ein lebendiges Glied einer auf evangelischem Grunde innig verbundenen religiösen Gemeinschaft war, wenn er, um den festen Grund einer ersprießlichen Erziehung zu finden, tiefer grub und vor Ratich’s anspruchsvoller Einseitigkeit bewahrt blieb. Schon als Rector in Prerau hatte er zur Empfehlung einer „milderen Methode Latein zu lehren“ eine kleine Grammatik geschrieben (Prag 1616), welcher dann eine mit Bezug auf den Unterricht der Kinder des Herrn Sadovsky verfaßte kurze Methodologie folgte (1627). Aber erst in Lissa, wo er auch das Gymnasium zu leiten hatte, konnte er sich ungetheilter seinen pädagogischen Bestrebungen hingeben, zu welchem Zwecke er auch von der Gemeinde der zerstreuten Brüder aus Böhmen und

[433] Mähren, als deren Bischof er 1632 consecrirt worden war, von einem Theile seiner geistlichen Amtsgeschäfte entbunden wurde. So erschien denn schon 1631 seine „Janua linguarum reserata“, von welcher Bayle urtheilt: „Quand Comenius n’aurait publié que ce livre-là, il serait immortalisé.“( frz.: „Wenn Comenius nichts als dieses Buch publiziert hätte, wäre er unsterblich geworden.“) Mehr und mehr gewann er in der Nähe und Ferne mit gleichstrebenden Männern Fühlung, und von allen Seiten suchte man bei ihm in pädagogischer Noth und Verlegenheit Hülfe, die er durch die Entsendung tüchtiger junger Gelehrter und Pädagogen aus der Brüdergemeinde zu leisten suchte. Aber nicht blos auf Verbesserung des Unterrichts, sondern auf Umgestaltung der gesammten Wissenschaftslehre war sein Absehen gerichtet, wie sein „tiefsinnigstes pädagogisches Werk“, die ebenfalls schon gleich nach der Uebersiedelung nach Lissa in Angriff genommene „Didactica magna s. Omnes omnia docendi artificium“( lat. „Große Didaktik oder die Kunst, alle alles zu lehren“) beweist (übersetzt und mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von Julius Beeger und Franz Zoubek. Leipzig 1872). Mit der Uebersendung dieses Werkes antwortete er dem Rufe, welcher 1638 von Schweden an ihn erging, damit er die Reform des dortigen Schulwesens übernehme, und welcher, wie ehrenvoll er war, doch seinen weiter aussehenden Plänen nicht entsprach.

Ein günstigerer Boden für diese schien England zu sein, wo Baco von Verulam („Magnus Verulamius“) ganz in seinem Sinne vorgearbeitet hatte und Samuel Hartlib, „ein nach England verschlagener Preuße“ (A. Stern in seiner Anzeige von Masson’s Life of J. Milton, Göttinger Gel. Anzeigen, 1874, S. 502 ff.), seine Begeisterung für ähnliche hochfliegende Ideen zu verbreiten verstanden hatte. Dieser setzte sich mit C. in Correspondenz, ließ dessen ihm übersandten „Prodromus pansophiae“, ohne des Verfassers Genehmigung abzuwarten, schon 1639 in London drucken und bewog ihn mit Zustimmung des Parlamentes, im Herbste 1641 nach London zu kommen. Die Geneigtheit Einzelner und der Behörden, des Comenius Bestrebungen zu fördern, ja für ihn in mehreren Collegien gewissermaßen Versuchsstationen zu gewähren, konnte inmitten der damaligen politischen Kämpfe zu keinem bleibenden praktischen Resultat führen. Aber den Gewinn einer Erweiterung seines Gesichtskreises und der werthvollen Bekanntschaft mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten nahm C. von England mit hinweg. Zu den letztern gehörte namentlich der bekannte Ireniker Dury (Duräus), vielleicht auch Milton; wenigstens trägt dessen Essay Of Education, welcher 1644 mit Widmung an Hartlib gedruckt wurde, deutliche Spuren von der Einwirkung der durch C. verbreiteten Reformgedanken an sich. Unterdessen hatte dieser auch an Ludwig van Geer, einem reichen niederländischen Kaufmann, einen begeisterten Verehrer und zugleich den freigebigsten Förderer zunächst wenigstens seiner schriftstellerischen Veröffentlichungen gefunden. Schon 1642 begab er sich, nachdem er vorher auch eine Berufung nach Frankreich erhalten, zu diesem seinem Gönner, der sich damals meist zu Norköping aufhielt, nach Schweden und wurde hier durch den Reichskanzler Axel Oxenstierna und den Kanzler der Universität Upsala Joh. Skyte bestimmt, vor allem seine didaktischen Arbeiten zum Abschluß zu bringen, was sich auch van Geer gefallen ließ, obwol sein Herz eigentlich an der Ausführung des von C. geplanten pansophischen Systems hing. Zu jenem Zwecke nahm C. im October 1642 seinen Wohnsitz in Elbing, und obwol er durch praktische pädagogische Thätigkeit, durch die in pädagogischen Angelegenheiten fortwährend von allen Seiten an ihn ergehenden Anfragen und Gesuche und ganz besonders durch die Fürsorge für seine Gemeinde, in deren Interesse er auch 1645 an dem Religionsgespräche zu Thorn theilnahm, sehr in Anspruch genommen war, so gelang es ihm doch schon 1646, seine Arbeiten seinem Freunde sowie einer zu ihrer Prüfung eigens niedergesetzten Commission persönlich in Schweden vorzulegen. Nachdem er deren Billigung erhalten, veröffentlichte er 1648 in Lissa seine „Novissima linguarum methodus“. Und indem er mit dieser Darlegung seiner Methode zugleich die Charakteristik der ihr entsprechenden theils bereits verfaßten, theils in Aussicht genommenen Lehrbücher, des „Vestibulum“, der „Janua“ und des „Atrium“ verband, so war damit seine Methodik, wenigstens soweit sie den Sprachunterricht betraf, eigentlich zum Abschluß gekommen.

Daß er nun mit der Darstellung seines pansophischen Systems, zu dem er jetzt hätte übergehen können, über den allerdings großartigen, durch Umsicht und Tiefe der Auffassung ausgezeichneten Grundriß kaum hinaus kam, das hatte seinen Hauptgrund in der Natur der Sache selbst: das allgemeine Schema konnte ein Mann von Geist und Kentnissen wol auf eine befriedigende Weise aufstellen, zur Ausführung des Fachwerks aber mußte dem Einzelnen das erforderliche Material fehlen, zumal in einer Zeit, wo das Bedürfniß nach einer umfassenden Darstellung der Wissenschaftslehre sich erst wieder neu zu regen anfing. Aber auch störende äußere Verhältnisse kamen hinzu. Als trotz des Vertrauens, welches C. auf den schwedischen Reichskanzler gesetzt hatte, der westfälische Friede seine Hoffnung vernichtet hatte, „daß unser Königreich (Böhmen) dem Evangelium wiedergegeben werde“, folgte er 1650 einem Rufe des Fürsten Rakoczy nach Saros-Patak in Ungarn. Hier arbeitete er das Atrium aus, aber die bedeutendste Frucht seines vierjährigen dortigen Aufenthaltes ist der so berühmt gewordene „Orbis pictus“, welcher zuerst 1657 zu Nürnberg, 1659 schon in zweiter Auflage erschien und die Art und Weise darlegte, wie der Verfasser mit dem sprachlichen Unterrichte den fachlichen verbunden wissen wollte. Im J. 1654 nach Lissa zurückgekehrt, blieb er daselbst bis zwei J. später die kurz vorher von den Schweden in Besitz genommene Stadt von den Polen erobert und zerstört wurde und er sich zum zweiten Male seiner Habe beraubt sah. Fast nackt, wie er selbst sagt, suchte er zunächst in Schlesien ein Unterkommen, kam dann nach Brandenburg, Stettin, Hamburg, wo er zwei Monate lang krank lag, und fand endlich im August 1656 in Amsterdam einen ruhigen Aufenthalt. Die allgemeine Verehrung, welche er genoß, führte ihm Zöglinge aus begüterten Familien und damit zugleich die Mittel einer sorgenfreien äußeren Subsistenz zu. Dabei hörte aber seine schriftstellerische Thätigkeit nicht auf. Schon 1657 gelang es ihm durch Unterstützung des Lorenz van Geer, des Sohnes von Ludwig, die Sammlung seiner „Opera didactica“( lat.: „didaktische Werke“) in 4 Foliobänden erscheinen zu lassen. Ein Schatten fällt über sein Bild und in sein Leben durch die in demselben Jahre unter dem Titel „Lux in tenebris“( lat.: „Licht in der Finsternis“) in einem starken Quartbande von ihm bewerkstelligte Herausgabe der schwärmerischen religiös-politischen Prophezeiungen des Kotter, der Ponatowska und namentlich seines mährischen Landsmannes Drabik, dem er jedoch erst 1650 persönlich nahe getreten war (2. Ausgabe 1663, 3. mit dem absichtlich veränderten Titel Lux ex tenebris,( lat.: „Licht aus der Finsternis“) 1665). Der Schmerz übrigens, zu vernehmen, daß diese seine Schrift im Juli 1671 zugleich mit dem Leichname des hingerichteten Drabik auf Befehl des Kaisers in Preßburg unter dem Galgen verbrannt worden sei, ist C. erspart worden. Denn nicht, wie bisher allgemein angenommen wurde, am 15. Nov. 1671, sondern schon 1670 ist er gestorben. Vor einigen Jahren nämlich ist zu Naarden bei Amsterdam in der jetzt als Caserne dienenden ehemaligen wallonischen Kirche nicht blos sein Grab wieder aufgefunden worden, sondern auch das Kirchenbuch, welches bezeugt: „Johannes Amos Comenius enterré le 22. novembre 1670“, und zwar mit dem Zusatze: „C’est apparement le fameux Autheur du Janua Linguarum“( frz.: „Das ist anscheinend der berühmte Autor des ‚Janua Linguarum‘“).Zwei Jahre vorher hatte er, um im Frieden mit seinem Gott von der Welt scheiden zu können, sein geistiges Testament niedergelegt in der rührend schönen Schrift, deren vielsagender Titel lautet: „Unum necessarium, scire, quid sibi sit necessarium in vita et morte et post mortem, quod non necessariis mundi fatigatus et ad unum necessarium sese recipiens, senex Jo. Amos Comenius, anno aetatis suae LXXVII. mundo expendendum offert. Editum Amstelodami A. 1668.“

Daß des C. pansophische Entwürfe nicht zur vollendeten Ausführung kamen, ist nach dem oben bemerkten erklärlich: immerhin hatten sie die Wirkung, daß auch bei seinen übrigen Bestrebungen sein Sinn auf das Große und Ganze gerichtet blieb. Seine schwärmerischen Hoffnungen wird man ihm verzeihen, wenn man den aufregenden Einfluß seiner furchtbar leidensvollen Zeit in billige Erwägung zieht, und wird den Glaubensmuth bewundern, welcher auch unter den trostlosesten Kämpfen die Hoffnung auf den Sieg der Wahrheit und endlichen Frieden nicht aufgab. Seine eigentliche Bedeutung liegt auf dem pädagogischen Gebiete, und von seinen auf dieses sich beziehenden Schriften sind in Obigem die wichtigsten namhaft gemacht worden. Als die drei Hauptstücke seiner didaktischen Methode bezeichnet er selbst in der Methodus linguarum novissima: den Parallelismus der Dinge und Worte, die lückenlose Stufenfolge des Unterrichts und das leichte, angenehme, schnell fördernde Verfahren bei seinem Unterrichten, da der Schüler in steter Thätigkeit sei. Dabei erkannte er, wie das Recht der Realien, so auch in höherem Grade, als es bisher geschehen war, das Recht der Muttersprache und die Bedeutung der körperlichen Erziehung an. Und nicht blos organisirte er auf dem Grunde jener methodischen Principien die gesammte Schuleinrichtung von der „Mutterschule“ bis zur Akademie, sondern selbst eine pädagogische Persönlichkeit im eminenten Sinne, verkannte er die gewaltige Bedeutung der realen Factoren nicht, welche neben den methodischen Grundsätzen und Künsten bei der Erziehung mitwirken und welche eben in der Persönlichkeit des Erziehers und sodann in der Zucht und Ordnung des häuslichen, des bürgerlichen und kirchlichen Lebens liegen. Dadurch wurde er von dem Aberglauben so vieler pädagogischer Reformer an die allein und gewiß selig machende Kraft ihrer abstracten didaktischen Methode bewahrt, und insbesondere nahm er zu seinem Vorgänger Ratich eine ähnliche Stellung ein, wie sie in neuerer Zeit Pestalozzi zu Basedow eingenommen hat. Wie Pestalozzi ist auch C. eine „ehrwürdige Leidensgestalt“, ein vir desiderii, wie er sich selbst nennt, der sich niemals selbst genug that, sondern immer strebend sich bemühte, aber auch niemals das Vertrauen auf das höhere Walten wegwarf, welches ein angefangenes gutes Werk auch gewiß vollführen werde. Mit C. ist zugleich der letzte eigentliche Bischof der böhmischen Brüder gestorben, die zur Zeit seines Todes als Gemeinschaft bereits zu bestehen aufgehört hatten und nur in zerstreuten Resten in der Verborgenheit noch fortlebten. Die bischöfliche Weihe aber hatte er auf seinen Schwiegersohn Peter Jablonsky übergetragen, von welchem sie auf dessen Sohn Daniel Ernst, den nachherigen Hofprediger in Berlin überging, der endlich im Jahre 1737 „das Depositum der bischöflichen Ordination“ (Cranz a. a. O. S. 90) an den Grafen Zinzendorf übergeben hat.

Als autobiographische Urkunden sind vor allem des C. Vorreden zu den vier Theilen seiner Opp. didactica zu berücksichtigen. – Ferner: Bayle, Dict. hist. et crit. unter Comenius, ein Artikel, welcher für die nachfolgenden Biographen in solchem Grade maßgebend geworden ist, daß eigentlich erst Gindely durch die von ihm erschlossenen neuen Quellen eine neue Periode für die Lebensbeschreibung des C. eröffnet hat. – D. Cranz, Alte und neue Brüderhistorie, 2. Aufl. Barby 1772, S. 80 ff. – Adelung, der die Geschmacklosigkeit hatte, C. eine Stelle in seiner Geschichte der menschlichen Narrheit anzuweisen, I. S. 196–241. – Müller, Bekenntnisse merkwürdiger Männer, II, S. 257 ff. – Pillet in der Biographie universelle, IX. Paris 1813, S. 340 ff. – Zipser in Ersch und Gruber’s Allgem. Encykl. XVIII, S. 344 ff. – Schwarz, Erziehungslehre, 2. Aufl. 1829, II, 2, S. 394 ff.

[436] – Palacky, Jahrb. des böhmischen Mus. 1829, Sept. S. 255 ff. 330 ff. – Raumer, Geschichte der Pädagogik, 2. Aufl. II, S. 49–99. – Schmidt, Geschichte der Pädagogik, 2. Aufl., III, S. 364–394. – Lautbecher, Joh. Amos Comenius’ Lehrkunst. Leipzig 1853. – Diekhoff in Herzog’s Realencykl. für prot. Theologie und Kirche. III, S. 1 f. und meinen ausführlicheren Artikel in Schmid’s Encykl. des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens, I. S. 821–829. – Gindely, Ueber des Joh. Amos Comenius Leben und Wirksamkeit in der Fremde. Sitzungsberichte der philosophisch-hist. Classe der Akademie der Wissensch. Wien 1855, S. 482–550. – Ziegler, Programm des Gymnasiums zu Lissa v. J. 1855. – Pappenheim, Amos Comenius, der Begründer der neueren Pädagogik. Berlin 1871. – Seyffarth, Johannes Amos Comenius. 2. Aufl. Leipzig 1872. – Th. Lion, Johannes Amos Comenius’ pädagogische Schriften. Erste Lieferung (die Biographie enthaltend). Langensalza 1875. – Vgl. auch Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität. Nr. 41. – Ein interessanter Bericht, welchen C. am 8./18. Oct. 1641 „an die Freunde zu Lissa in Polen“ von London aus über seine glückliche Ankunft und seine ersten Bekanntschaften und Eindrücke erstattet hat, ist ohne Titel als Flugblatt gedruckt und befindet sich auf der Leipziger Universitätsbibliothek in einem Sammelband von Schriften, welche sich auf die englische Revolution beziehen (Hist. Brit. 292). – Von den zahlreichen Schriften des C., deren schon Adelung über 90 aufzählt, gibt Palacky a. a. O. das vollständigste Verzeichniß.

G. Baur.