Das Christenthum verlangt Geister, die sich in seine Wahrheiten und Heilsgüter tief und innig versenken und sie für die Erkenntniß durcharbeiten; es verlangt andre, die sie mit durchdringender Kraft ins Leben einführen; es verlangt auch solche, die im Stande sind, beides zu verbinden und das, was sie aus den Lebenstiefen des Evangeliums mit aller Schärfe des Denkens herausgearbeitet, mit derselben Stärke des Willens gegen alle widerstreitende Mächte nach außen durchzufechten. Alle diese Geister sind ihm nothwendig und recht, wenn sie nur auf dem einen Grunde bauen, außer dem kein anderer gelegt werden kann, und wenn sie dieß thun in dem einen Geiste, der da wirket alles in allen.
Mit dem großen Kirchenlehrer, den wir hier betrachten wollen, Gregorius von Nazianz, verhielt es sich in dieser Beziehung so. In der Tiefe seiner Seele lag ein entschiedener Trieb zur stillen Versenkung in sich selbst, zur abgezogenen Betrachtung göttlicher Dinge; dieser Trieb wurde durch die Erziehung, insbesondere durch den Einfluß der Mutter verstärkt, und der sittliche Zustand des Jahrhunderts, die Lage der Kirche war auch so beschaffen, daß fromme Gemüther dadurch weit eher in die Einsamkeit gedrängt, als zum Wirken in der Gemeinschaft gelockt werden konnten. Aber doch erkannte er auch die volle Bedeutung des thätigen Lebens an, wie er dieß in dem schönen Worte ausspricht: „das Thun ist die Vorstufe des Erkennens“; und in den mancherlei Anregungen, ja Nöthigungen, die ihn ins kirchliche Wirken hineinzogen, übersah er nie den göttlichen Fingerzeig. So strebte er beides zu vereinigen; aber, wie es, auch bei treuer Hingebung, vermöge menschlicher Beschränktheit zu geschehen pflegt, diese Vereinigung gelang ihm nicht so vollkommen, wie wir es nach dem Vorbilde des Apostel Paulus bei einigen andern noch größeren Kirchenlehrern z. B. bei dem h. Augustin und bei unserm Luther finden; es kam dadurch selbst eine gewisse Getheiltheit in sein Leben, indem ihn die Pflicht aus der Einsamkeit ins thätige Leben rief, die Neigung aber ihn immer wieder in die Einsamkeit trieb, bis zuletzt die Bedürfnisse des Herzens und die Eindrücke der Jugend siegten und er sich für immer in die Stille eines beschaulichen Lebens zurückzog. Doch brachte auch in diesem Widerstreite, weil er sich aufrichtig dem Dienste Christi und der Kirche weihte, sein Leben eine herrliche Frucht: in seinem öffentlichen Wirken konnte er reiche Schätze der Erkenntniß bieten, welche ihm seine Betrachtung und seine Arbeit im Denken und in der Rede eingetragen hatte, und auch nachdem er den öffentlichen Schauplatz verlassen, schloß er sich nicht selbstsüchtig in sich ab, sondern bethätigte sich fortwährend als lebendiges Glied der Gemeinschaft durch Theilnahme der Liebe und durch geistige Schöpfungen, welche noch heute den Kundigen Erhebung und Genuß gewähren.
Gregorius war ungefähr ums J. 330 entweder in der kappadocischen Stadt Nazianzus, wo sein Vater Bischof war, oder auf dem benachbarten Landgute der Familie, Arianzus, geboren. Mitten in einem verwilderten Volke und einem verdorbenen Zeitalter wuchs er im Schooße einer Familie auf, welche die Pflegestätte eines ebenso ernsten als liebevollen christlichen Geistes war. Insbesondre übte die fromme Mutter Nonna, die wir sammt den übrigen Familiengliedern bereits früher geschildert haben, einen tiefdringenden Einfluß auf sein empfängliches Gemüth aus. Sie hatte ihn schon vor der Geburt dem Dienste Gottes geweiht und erzog ihn von den ersten Lebenstagen an ganz in diesem Sinne. Als es darauf ankam, sich die für den künftigen Beruf erforderliche höhere Bildung zu erwerben, wendete sich Gregor den Anstalten zu, welche damals am stärksten auf die allgemeine Denkart einwirkten. Er besuchte außer andern Schulen vornehmlich die gelehrte Weltstadt Alexandrien, wo schon vor längerer Zeit die christliche Theologie in Verbindung mit tiefsinniger, dem Christenthume verwandter Weltweisheit und reicher Gelehrsamkeit ein eigenthümliches Leben in schöner Blüthe entfaltet hatte, und den altberühmten Sitz der Wissenschaft in Griechenland, das für Kunst und jegliche edlere Bildung gleichsam geweihte Athen, wo sich damals noch strebende Jünglinge aus allen umliegenden Ländern zahlreich zusammenfanden. Der Aufenthalt in der letzteren Stadt hätte dem christlichen Geiste Gregors gefährlich werden können: denn Athen war, wie kein anderer Ort in Griechenland, zu dieser Zeit noch ein Mittelpunct des Heidenthums, reizend durch die Erinnerungen, die hier lebten, und durch den unmittelbaren Eindruck all der Schönheit, von welcher der Götterdienst umgeben war; auch hatte Gregor lauter Lehrer, welche als gewichtvolle und einflußreiche Lobredner eifrig für die alte Religion wirkten. Aber während andere christliche Jünglinge wankten, blieb Gregor standhaft. Kein poetischer und rednerischer Schimmer konnte die tiefen Eindrücke streng christlicher Erziehung verwischen; es war sein Stolz in dem heidnischen Athen Christ zu sein und zu heißen und sein Glaube erhielt sich nicht bloß unangetastet, sondern befestigte sich vielmehr in den Versuchungen,
Zur innern Stärkung Gregors trug die Freundschaft mit einem gleichgesinnten Jünglinge bei, welche, schon früher im gemeinsamen Vaterlande geschlossen, in Athen sich zu einem dauernden Lebensbunde befestigte. Basilius – so hieß der Freund, der in späterer Zeit auch zu einer hohen Stellung in der Kirche gelangte und sich durch seine einflußreiche Thätigkeit den Beinamen des „Großen“ erwarb – war, wie Gregor mit reichen Gaben ausgestattet, und von derselben ernstchristlichen Gesinnung beseelt, aber, feuriger und mehr zum Wirken im Leben geneigt, ergänzte er in wohlthuender Weise den mehr ruhigen und beschaulichen Gregorius. Wie rein und neidlos die Freundschaft der beiden gleichstrebenden Jünglinge war, sagt uns Gregor in folgenden Worten: „Es war ein freundschaftlicher Kampf unter uns, nicht wer den ersten Preis davon trüge, sondern, wer ihn dem andern zuerkennen dürfe; denn jeder achtete den Ruhm des Freundes für seinen eigenen. Wir schienen in der That nur eine Seele, zu sein, die zwei Körper belebte.“ Als eine menschliche Verbindung konnte diese Freundschaft später wohl gestört werden; aber zerstört wurde sie nicht, weil sie auf göttlichem Grunde ruhte, und noch als Greis nach dem Tode seines Basilius spricht Gregor davon mit jugendlicher Begeisterung. Ein Gegenstück zu diesem Freundschaftsverhältniß bildet die Bekanntschaft, welche Gregor gleichfalls in Athen mit einem andern hervorragenden Jüngling machte, dem er nachmals als scharf bekämpfender Widersacher gegenüber stand. Es war der kaiserliche Prinz Julian, der später, nachdem er auf den Thron gelangt, in tiefer Verkennung freilich dessen, was der Rathschluß Gottes war, aber mit großer menschlicher Energie und Klugheit den Versuch machte, das Christenthum auszurotten und den abgestorbenen heidnischen Götterdienst wieder herzustellen. Schon damals wollte Gregor etwas von der Art voraussehen und er beruft sich auf die, welche zu gleicher Zeit in Athen waren, daß er über Julian die Worte ausgesprochen habe: „Welches Uebel erzieht sich hier das römische Reich!“
Wohlbewahrt im Glauben und wohlausgerüstet mit Wissenschaft kehrte Gregor ins elterliche Haus zurück. Zunächst setzte er hier unter selbstauferlegter strenger Lebensregel seine Studien fort; dann zog er sich auf einige Zeit ganz in eine einsame Gegend des Pontus zurück, wohin Basilius ihn eingeladen hatte. Hier in wilder, aber zugleich großartiger und lieblicher Berg- und Waldumhegung lebten die Freunde unter Gebeten, geistlichen Betrachtungen und Handarbeiten. Ein Theil des Tages war der Pflege des Gartens und der Besorgung des Hauswesens, der andere dem Studium der h. Schrift und frommen Uebungen gewidmet. Eine wohlthuende Seelenharmonie vereinigte nicht bloß die beiden längst Befreundeten, sondern auch noch andre Genossen, die sich ihnen zu gleicher Lebensweise angeschlossen hatten und Gregor gedenkt später dieser Tage mit lebhafter Sehnsucht. „Wer wird mir – sagt er unter andern – jene Lobgesänge und Nachtwachen, wer jene Erhebungen zu Gott im Gebete wiedergeben? Wer das eifrige Eindringen in die h. Schriften und das Licht, das wir darin unter der Leitung des Geistes fanden?“
Vielleicht um in der Gemeinde seines Vaters, des Bischofs von Nazianz, als Friedensstifter zu wirken, vielleicht aus einer andern uns nicht bekannten Ursache kehrte Gregor alsbald zu den Seinigen zurück. Während dieses Aufenthaltes in der Vaterstadt trat für Gregor ein Ereigniß ein, welches für uns etwas Auffallendes hat, in damaliger Zeit aber nicht selten vorkam: er ward mit einer gewissen Gewaltsamkeit in das geistliche Amt, vor dessen Größe seine fromme Demuth zurückscheute, eingeführt. Sein Vater überraschte ihn an einem hohen Festtage vor versammelter Gemeinde, die damit einverstanden sein mochte, mit der Presbyterweihe und, obwohl Gregor davon keine Ahnung gehabt, so wagte er doch auch nicht, dem väterlichen und bischöflichen Ansehen zu widerstreben. Es geschah dieß wahrscheinlich um Weihnachten 361, in demselben Jahre, in welchem Julian, der vor Kurzem von den Legionen in Paris zum Augustus ausgerufen worden war, als erklärter Feind des Christenthums den kaiserlichen Thron bestieg.
Wie sehr dem Sinne Gregors damals die Uebernahme eines geistlichen Amtes widerstrebte, beweist der Umstand, daß er sich dem wohlgemeinten Andrang durch die Flucht zu seinem Basilius entzog. Aber bald empfand er auch das Allzurasche dieses Schrittes; er kehrte zurück und hielt am Osterfeste 362 die erste Predigt in seiner neuen geistlichen Würde, indem er erklärte: „Es hat sein Gutes, sich vor dem Rufe Gottes ein wenig zurückzuziehen, wie vor Alters jener Moses und später Jeremias; es hat aber auch sein Gutes, bereitwillig hervorzutreten, wenn Gott ruft, wie Aaron und Jesaias: nur muß beides mit frommem Sinn geschehen, jenes wegen einwohnender Schwachheit, dieses im Vertrauen auf die Kraft dessen, der da ruft.“
Von da an wirkte Gregor nach verschiedenen Seiten und in verschiedenen Stellungen in der Kirche seines Vaterlandes Kappadocien. Er schloß sich seinem Vater im Kampfe gegen die Bestrebungen des Verfolgers Julian an, und suchte dagegen im Innern der Kirche Friede herzustellen und einträchtiges Zusammenwirken zu erhalten; er trug dazu bei, daß sein für das Kirchenregiment in so schwieriger Zeit wohl ausgestatteter Freund Basilius zum Bischof von Cäsarea, der Hauptstadt des Landes, erwählt wurde, und ward selbst auch, obwohl abermals widerstrebend, zur Verwaltung eines untergeordneten Bisthums in der kleinen Stadt Sasima bestimmt; vornehmlich aber unterstützte er als Gehülfe seinen greisen Vater in der bischöflichen Amtsführung zu Nazianz und stand diesem, der nicht bloß als Christ gegen Julian, sondern nach dessen Tod auch als rechtgläubiger Bischof gegen den arianischen Kaiser Valens zu streiten hatte, kräftig zur Seite. Indeß trafen Gregor in dieser Zeit auch die schmerzlichsten häuslichen Verluste: seine beiden Geschwister, der geliebte Bruder Cäsarius und die fromme Schwester Gorgonia wurden ihm durch den Tod entrissen; nicht lange nachher folgte auch der würdige Vater Gregorius, nachdem er 45 Jahre das Priesteramt verwaltet, und zuletzt die über alles verehrte Mutter Nonna. Der nun allein stehende Gregor, im Gemüth tief ergriffen und zugleich von körperlichen Leiden niedergedrückt, bedurfte wieder eine Zeit der Sammlung und Stärkung und zog sich zu diesem Zweck im J. 375 nach Seleucia in Isaurien zurück, wo er, wahrscheinlich bis z. J. 375 der Betrachtung lebend, auch noch den Schmerz hatte, die Nachricht vom Tode seines theuersten Freundes Basilius zu empfangen. Wie gebeugt er damals war, geht aus einem Briefe hervor, in welchem er nach Erwähnung der eben berührten Verluste folgendes sagt: „Mein Körper ist kränklich, das Alter kommt über mein Haupt, die Sorgen werden immer verwickelter, Geschäfte überhäufen mich, Freunde werden untreu, die Kirche ist ohne tüchtige Hirten; das Gute vergeht, das Böse stellt sich nackt dar. Die Fahrt geht bei Nacht, nirgends eine leuchtende Fackel, Christus schläft. Was ist zu thun? O es giebt für mich nur eine Erlösung von diesen Uebeln, den Tod.“
Aber nicht diese Erlösung war für Gregor bestimmt, sondern gerade jetzt sollte er erst recht mitten in die Oeffentlichkeit hineingeführt werden. Der Wunsch einer nicht sehr zahlreichen Christengemeinschaft, welche unter allen Bedrängnissen von Seiten der Arianer dem kirchlichen Glauben an den dreieinigen Gott treu geblieben war, rief ihn aus der Einsamkeit zu Seleucia auf einen für die Entwickelung der ganzen Kirche entscheidenden Punct, in die damalige Hauptstadt des römischen Weltreiches, nach Constantinopel. Er folgt, obwohl die Verhältnisse nicht gerade einladend waren, weil der Geist ihn trieb, von welchem er bei einer ähnlichen Gelegenheit sagt: „der Geist will mich mitten ins Leben führen, um dem Gemeinwohl zu dienen und andre fördernd mich selbst zu fördern, um Licht zu verbreiten und Gott zuzuführen ein Volk des Eigenthums, ein heiliges Volk, ein königliches Priesterthum und sein in vielen wieder gereinigtes Ebenbild.“
Etwas über zwei Jahre wirkte nun Gregor in Constantinopel vom J. 379 bis zum Beginn des Sommers 381, zuerst unter einem noch kleinen und von verschiedenen feindseligen Parteien umdrängten Häuflein von Rechtgläubigen, dann in immer sich erweiterndem Kreise und mit immer durchdringenderem Erfolge, bis er zuletzt, nachdem Kaiser Theodosius sich für die orthodoxe Lehre erklärt hatte, auch äußerlich als vollständiger Sieger dastand und aus der kleinen Anastasienkirche, in der er anfänglich gepredigt hatte, von dem Kaiser selbst geleitet, feierlich in die von den Arianern geräumte Hauptkirche der Residenz einziehen konnte. Die reiche Thätigkeit, die er in diesem Zeitraum entfaltete, anfänglich unter Verfolgungen, denen er eine hohe Milde und Geduld entgegensetzte, dann unter Triumphen, bei denen er nicht übermüthig wurde, sondern seine ganze Schlichtheit und Einfalt bewahrte, kann hier nicht vollständig geschildert, aber es müssen daraus doch zwei Hauptpuncte als die Grundzüge im Wirken Gregors hervorgehoben werden. Es war dem christlich ernsten und kirchlich gesinnten Prediger, wie es Gregor war, durch die Bedürfnisse der Zeit und des Ortes vornehmlich eine zwiefache Aufgabe gestellt. Zuerst hatte er dafür zu sorgen – und das war ja auch eigentlich der Zweck, um deßwillen Gregor nach Constantinopel berufen war- daß die Grundlehren des Christenthums, insbesondere die Lehre von dem dreieinigen Gott und von der Gottheit Christi, so wie die Kirche sie in einem bestimmten Begriffe entwickelt und als ihr Bekenntnis; aufgestellt hatte, in den Gemüthern gepflanzt und gegen alle Angriffe des Un- oder Irrglaubens befestigt werde: denn nur auf der Grundlage eines festen Bekenntnisses konnte das jetzt siegreich gewordene Christenthum als Reichskirche zusammengehalten und vor inneren Zersplitterungen so wie vor den noch drohenden Anlaufen von außen bewahrt werden. Dann aber hatte er ebenso ernstlich dahin zu wirken, daß nicht die Liebe zur schriftmäßigen und kirchlich bewährten Lehre ausarte in bloßes Verstandesinteresse für dogmatische Formeln, in gehässigen orthodoxen Eifergeist und in leere Disputirsucht, sondern daß überall das christliche Leben in der Fülle seiner Glaubenskraft und werkthätigen Liebe gepflegt und alles Uebrige auf diesem innerlichen Lebensgrunde aufgebaut werde. Diese zwiefache Aufgabe, die eigentlich nur eine ist aber in doppelter Richtung, löste Gregor in der damaligen Hauptstadt der Christenheit auf ausgezeichnete Weise. Er hatte – dazu war ihm eben sein wiederholtes beschauliches Stillleben sehr förderlich gewesen – die kirchlichen Grundlehren mit eindringendem Scharfsinn durchforscht und sich selbst die Einwendungen, die ihnen von den verschiedenen außerchristlichen oder außerkirchlichen Parteien entgegengestellt wurden, genügend beantwortet; er konnte nun auch der Gemeinde eine gründliche Belehrung darüber geben, und that dieß bei den schwierigsten Gegenständen nicht nur mit einer Klarheit, Bestimmtheit und Sicherheit, die ihn zum Vorbild eines richtig Lehrenden in seiner Zeit machte und ihm auch mit besonderer Beziehung auf seine siegreiche Vertheidigung des Glaubens an die Gottheit Christi den Ehrennamen des Theologen erwarb, sondern zugleich mit einer Beredtsamkeit, welche uns zwar bisweilen zu kunstvoll scheinen mag, aber von der Bildung und dem Geiste jener Zeit gefordert wurde, und nothwendig war, um gerade an einem Orte, wie Constantinopel, einen starken und allgemeinen Einfluß zu üben. Nicht minder aber war es von Ansang an das innerste Anliegen Gregors, die seiner Pflege Befohlenen in den Lebensgeist des Christenthums einzuführen und dafür zu sorgen, daß ihr Glaube sich thätig bewähre. Immer wieder kommt er darauf zurück, daß es doch nur einen Weg der wahren Christlichkeit gebe, die Thatfrömmigkeit in der Erfüllung der Gebote Gottes, in Aufopferung und Selbstverleugnung, in Wartung der Kranken, Unterstützung der Armen, in ächter Gastfreundschaft, anhaltendem Gebet, Geduld, Mäßigkeit und Ueberwindung aller Leidenschaften. „Ueber Gott zu philosophiren – sagt er – ist nicht jedermanns Sache; und wenn der Glaube nur für die Gelehrten wäre, dann wäre niemand ärmer unter uns als Gott.“ Aber jenen Weg des Lebens kann auch der Einfältigste gehen, und zugleich gilt es für alle, daß jeder nur durch ein göttliches Leben sich zum Anschauen Gottes erhebt und nur in dem Maaße, als er sich von der Sünde reinigt, in der Erkenntniß Gottes und seiner Offenbarungen fortschreitet. Insbesondere dringt Gregor gegenüber der dogmatischen Streitsucht und Richterlichkeit vieler Zeitgenossen auch auf die Duldung, welche aus wahrer Selbsterkenntniß und Demuth entspringt. „Das Verdammen und Verachten, sagt er, ist nichts anderes, als den Bruder von Christo und der einzigen Hoffnung ausschließen und die verborgene Frucht, die vielleicht mehr werth ist als Du, mit dem Unkraut ausreißen. Richte Du ihn vielmehr auf, sanft und liebevoll, nicht wie ein Arzt, der von nichts weiß, als von Brennen und Schneiden; erkenne vielmehr in Demuth Dich selbst und Deine‘ eigene Schwäche. Es ist wahrlich nicht einerlei, eine Pflanze, eine flüchtige Blume ausreißen und einen Menschen. Du bist ein Bild Gottes und hast es zu thun mit einem Bilde Gottes, und Du, der Du richtest, wirst selbst gerichtet werden. So prüfe Deinen Bruder als einer, dem nach demselben Maaße gemessen wird.“
Wie Gregorius in Constantinopel, so hatten gleichgesinnt? Männer an andern wichtigen Orten der Christenheit den Sieg der kirchlichen Lehre durch die Kraft ihres Geistes und Wortes von innen heraus angebahnt. Indem nun Theodosius zugleich die kaiserliche Macht, die früher für den Arianismus gewirkt hatte, zu Gunsten dieses Glaubens in die Wagschale legte, vollendete sich auch der äußere Sieg der Rechtgläubigen ohne Schwierigkeit. Um das Ganze zum Abschluß zu bringen, berief Theodosius im Frühling 381 eine zweite allgemeine Synode nach Constantinopel, welche das Bekenntniß der ersten im J. 325 zu Nicäa gehaltenen erneuernd befestigen und, wo es nöthig wäre, vollenden sollte. Auch wünschte der Kaiser über das Bisthum seiner Hauptstadt, das bisher von Gregor nur als Stellvertreter verwaltet worden, feste Anordnungen getroffen zu sehen. Wie diese Synode auf dem Grunde der nicänischen fortbaute und durch Bestimmungen über das Wesen des heil. Geistes der Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit ihre kirchliche Vollendung gab, ist hier nicht näher zu erörtern. Wir berühren nur in der Kürze die Stellung Gregors zu dieser Bischofsversammlung. Als es sich um die ordnungsmäßige Besetzung des Bisthums von Constantinopel handelte, konnte kaum von einer Wahl die Rede sein. Ganz natürlich wurde Gregor, der muthvolle und jetzt siegreiche Vertheidiger des kirchlichen Glaubens, bei dem Kaiser beliebt, vom Volke verehrt, von den Geistlichen geachtet oder doch gefürchtet, von der Synode als der Würdigste bezeichnet. Gregor bezeugt, daß ihm auch jetzt die Annahme dieses hohen Amtes unangenehm gewesen, daß er aber doch dazu bestimmt worden sei durch die Hoffnung, als rechtmäßiger Bischof der Hauptstadt wesentlich zur Schlichtung der Streitigkeiten beitragen zu können, welche aus verschiedenen Ursachen die Versammlung zu spalten drohten. Allein diese Hoffnung erwies sich als voreilig. Gregor machte bittere Erfahrungen und sah sich zuletzt, indem er gedachte durch seine Selbstaufopferung noch einen Eindruck auf die Versammelten zu machen, innerlich gedrungen, die Entlassung von seiner Würde sowohl von Seiten der Synode als von Seiten des Kaisers feierlich und nachdrücklich zu begehren. Sein Wunsch ward erfüllt und, nachdem er noch eine ergreifende Abschiedsrede vor der Gemeinde gehalten, verließ er den Schauplatz seiner einflußreichsten Thätigkeit vermuthlich zu Anfang des Juni 381.
Gregor hatte durch sein Wirken in der Hauptstadt einen entschiedenen Umschwung hervorgebracht; er hatte viele im Glauben der Kirche befestigt und nicht wenige Andersdenkende dafür gewonnen. Das erste Mittel dazu waren freilich seine schönen, mit ebenso viel Schärfe und Gewandtheit des Verstandes durchgeführten, als von kräftiger Ueberzeugung getragenen, von feuriger Begeisterung durchwehten Reden. Nicht minder aber wirkte er durch sein Leben, So hoch er als Redner gefeiert war, so gab er sich doch nicht dem eiteln Unwesen hin, welches damals schon vielfach mit den berühmten Predigern in großen Städten getrieben wurde, sondern trat allem dem, was die Kirche in ein Theater zu verwandeln drohte, offen entgegen. Und so scharf er die Gegner in seinen Beweisführungen angriff, so mild, duldsam, nach allen Seiten hülfreich zeigte er sich wieder im Leben und nicht selten gelange es ihm auch auf diesem Wege, seine zum Theil erbitterten Widersacher nicht sowohl sich als vielmehr dem Glauben, von dem seine ganze Seele erfüllt war, zu gewinnen. Besonders war auch das Privatleben Gregors geeignet, Achtung und Ehrerbietung einzuflößen. Ohne menschenfeindlich und zurückstoßend zu sein, lebte er in würdiger, durch Gebet und Betrachtung geweihter, Zurückgezogenheit und war weit entfernt sich in die Gesellschaft der Großen oder des Hofes zu drängen. Sein Tisch war so einfach, seine Kleidung so auf das Nothwendige beschränkt, sein ganzes Wesen so ungeschminkt, daß man ihm daraus in der glänzenden Hauptstadt, die leider schon an ganz andre Erscheinungen hoher Prälaten gewöhnt war, einen Vorwurf machte; man fand ihn ungebildet und bäurisch und es ist höchst charakteristisch, wie er sich dagegen in seiner Abschiedsrede vertheidigt, „Freilich wußte ich nicht – sagt er – daß ich mit den ersten Staatsbeamten und vornehmsten Generalen, die nicht wissen, wie sie ihr Geld verschleudern sollen, wetteifern, und daß ich meinen Leib abquälen müßte, um die Güter, die den Armen gehören, zu verschwelgen; ich wußte nicht, daß ich eigentlich von glänzenden Pferden gezogen in prachtvollem Wagen einherfahren und von einer Schaar von Schmeichlern umgeben sein müßte, damit alle schon von Weitem meine Ankunft bemerkten und zurückwichen, wie vor einem wilden Thiere. War das unrecht von mir, so ist es nun einmal geschehen und ihr mögt es mir nachsehen. Wählt einen andern Vorsteher, der der Menge gefällt; laßt mir meine Einsamkeit, mein bäurisches Wesen, meinen Gott, dem ich allein auch mit meiner dürftigen Einfalt gefallen will.“
In sein Heimathland zurückgekehrt, war Gregor noch einige Zeit für seine geliebte Gemeinde zu Nazianz als Hirte thätig. Doch war er entschieden abgeneigt, noch einmal auf einen größeren Schauplatz zu treten und sich auf ein Zusammenwirken mit andern Bischöfen einzulassen. Eine Einladung, die er im Sommer 382 zu einer Synode nach Constantinopel erhielt, schlug er entschieden mit der Aeußerung ab: „daß er jede Versammlung von Bischöfen fliehe, weil er noch nie gesehen, daß eine Synode ein gutes Ende genommen oder daß die Uebel durch sie entfernt worden seien.“ Ja als es ihm gelang der Gemeinde zu Nazianz in der Person des Presbyter Eulalius einen würdigen Vorsteher zu geben, zog er sich endlich vollständig in die erwünschte ländliche Einsamkeit zurück, um die Ruhe zu finden, deren er für Leib und Seele bedurfte, und sich auf die letzte Wanderung vorzubereiten. Doch nahm er auch in dieser Zurückgezogenheit an den kirchlichen Ereignissen und am Wohle seines Vaterlandes noch lebendigen Antheil und bethätigte einzelnen Personen so wie befreundeten Familien seine hülfreiche Liebe durch Wort und Schrift. Von den zahlreichen, trefflich geschriebenen Briefen, die Gregor hinterlassen hat, fallen nicht wenige in diese Zeit. Außerdem beschäftigte ihn in der Einsamkeit die Abfassung vieler Gedichte und, wenn diese freilich oft mehr durch eine reine und zierliche Form sich empfehlen, als durch eine wirkliche Fülle dichterischen Geistes, so ermangeln sie doch auch dieses Geistes nicht gänzlich und gerade der Umstand, daß Gregor seine meisten Poesien im höhern Alter abfaßte, beweist, daß in ihm eine nachhaltige Dichterader lag.
Vielfach wurde Gregor in dieser Zeit von körperlichen Leiden heimgesucht; aber er faßte diese wie alle anderen Prüfungen als gottgeordnete Mittel der Heiligung und Verklärung auf. „Was kann uns furchtbar sein? – sagt er in einem Briefe aus dieser Zeit – Nichts als von Gott und dem Göttlichen abzuweichen. Alles Uebrige möge so gehen, wie es Gott anordnet, führe er uns durch die milden Werkzeuge seiner Gerechtigkeit in seiner Rechten oder durch die strengen in seiner Linken. Er, der Ordner unseres Lebens weiß, warum er es thut. Wir haben Arme gespeist, Bruderliebe geübt, mit Lust heilige Lieder gesungen, so lange es vergönnt war. Es ist uns jetzt nicht gestattet; so wollen wir auf etwas anderes sinnen:‘ denn die Gnade ist nicht arm.“ Und in einem andern Briefe erzählt er uns, wie er einen Freund, der bittere Schmerzen erduldete, durch sein aus der eigenen Erfahrung geschöpftes Wort so stärkte, daß sich dieser zu Gott mit den Worten erhob: „Ich danke Dir, Vater, Schöpfer Deiner Menschen, daß Du auch wider unsre Neigung uns Wohlthaten erzeigst, durch den äußeren Menschen den inneren läuterst und durch Widerwärtigkeiten uns hinfuhrst zu einem seligen Ende, in der Weise, wie Du es für gut hältst.“
So wurde auch Gregor durch innere und äußere Kämpfe und zuletzt durch körperliche Leiden von dem Vater seiner Tage zu dem seligen Ende hingeführt, nach dem er sich längst gesehnt hatte. Er starb vermuthlich an demselben Ort, wo er geboren war, um 389 oder 390, im sechzigsten Lebensjahre. Ueber die Umstände seines Todes ist uns nichts Näheres überliefert. Doch können wir gewiß sein, daß er dem Tode entgegen ging in der Kraft des Glaubens, der sein ganzes Leben beherrscht hatte, im Vertrauen auf den, von welchem alles Gute kommt und der jedem Treubewährten giebt über Bitten und Verstehen, Obwohl eifrig nach Erkenntniß ringend, hatte Gregor doch nicht in ihr, sondern im einfachen Glauben an Christum den Gekreuzigten und Auferstandenen seine Gerechtigkeit und den Grund seiner Seligkeit gefunden; aber mit wohlbegründeter Zuversicht durfte er zugleich die Hoffnung aussprechen, daß auch die Erkenntniß sich vollenden werde, wenn unser Geist „sich erhebt zu dem Urbilde, nach welchem er jetzt Verlangen trägt“; und mit Recht durfte er sich zu dem Worte „als einem wahrhaft philosophischen“ bekennen: „Wir werden einst erkennen, wie wir erkannt sind.“
.C. Ullmann in Heidelberg.