Kilian

Unter den Männern gesegneten Andenkens, welchen Deutschland nächst Gott das Kleinod des Evangeliums verdankt, nimmt der h. Kilian eine ehrenvolle Rolle ein. Der Schauplatz seiner Missionsthätigkeit, welcher mit seinem Blute befeuchtet und fruchtbar gemacht wurde, war besonders der jetzige unterfränkische Kreis Bayerns, ein Landstrich lieblich und blühend, wie nur einer im deutschen Vaterlande, reich an Weinbergen, Obstgärten und wogenden Kornfeldern und belebt durch den silberbellen, schiffbaren Main, welcher in weiten Krümmungen das Land durchströmt. Diese Gegend gehörte in alten Zeiten zu den Stammsitzen der urdeutschen, suevischen Hermunduren, die von den Gestaden der Donau bis in die Gegend von Magdeburg wohnten und später in der Geschichte unter dem Namen der Thüringer auftraten. Ihr großes Reich wurde in der ersten Hälfte des 6ten Jahrhunderts durch den Frankenkönig Theodorich mit Hilfe der Sachsen zerstört und hierauf alles Land südlich der Unstrut dem großen Frankenreiche einverleibt. Als jedoch Slaven und Avaren den Verfall der thüringschen Macht benützten, um westlich vorzudringen und erstere sich am Maine und der Rednitz festsetzten, stellte der Franke Dagobert ein Herzogthum Thüringen nördlich und südlich des thüringschen Waldgebirges wieder her und gab ihm eigene Volksherzoge. Der erste derselben war Aruobo oder Radulf, welchem sein Sohn Heban I. folgte. Einen jüngeren Sohn des letztern, Gogbert, finden wir auf dem herzoglichen Stuhle zur Zeit, da Kilians Wirksamkeit im Lande beginnt.

Das Volk war zahlreich, ein starkes, freiheitgewohntes Geschlecht von Jägern und Kriegern, aber noch überall bedeckt von heidnischer Finsternis. In dem Schlosse zu Würzburg, (jetzt Festung Marienberg) wo der Herzog residierte, war zugleich das Heiligthum einer weiblichen Gottheit, die vom Volke weit und breit verehrt wurde. Diana, die Göttin der Jagd, heißt sie bei den Alten; es wird aber wohl die Frau Holda der Deutschen gewesen sein. Zwar finden sich schon, wenn anders der Sage zu trauen ist, einzelne Spuren des Christenthums, wie Lichtstrahlen in dichter Finsternis, etwas vor Kilian. Zu Hollheim am Maine soll ein angesehener Mann, Iberius mit Namen, nebst seiner Gattin Mechild, als Christ gelebt haben; dessen Tochter Bilibild wurde, der Sage nach, bei einem Einfalle der Hunnen, welche Deutschland öfters verheerten, in zarter Jugend nach Würzburg geflüchtet und dort im Christenthume erzogen. Später wurde sie die 2te Gemahlin des schon erwähnten Herzogs Hedan I. Allein die Geschichte der Bilibild ist sehr dunkel und zweifelhaft. Möglich wäre einige Bekanntschaft mit dem Christenthume in unsrem thüringschen Herzogthume allerdings gewesen, da es ja zu dem großentheils schon christlichen Frankenreiche gehörte und da Kriegszüge im Heergefolge der Franken auch in christliche Gegenden führen konnten. Kilian fand nur Heidenthum vor. Der Weg des Lebens war unbekannt. Doch war jetzt die Zeit gekommen, wo Gott sein Licht auch den in Finsternis und Todesschatten sitzenden Thüringern erscheinen lassen und ihre Füße auf den Weg des Friedens richten wollte.

Sein erstes Werkzeug hiezu, Kyllena, oder, wie den Deutschen der Name mundgerechter war, Kilian, war gegen die Mitte des siebenten Jahrhunderts n. Chr. (a. 640) in einer angesehenen Familie in Irland geboren, in jener Insel also, welche sich lange Zeit hindurch ebensowohl durch ihr treues Halten an einem ursprünglichern und reinern Christenthume, wie durch ihren regen Missionseifer auszeichnete. Von seiner Jugend wissen wir nicht viel. Die Mönche des Mittelalters, welche zu ihrer Zeit fast allein die Feder geführt und uns Aufzeichnungen hinterlassen haben, gefielen sich in Ausschmückungen des Lebens der Heiligen Gottes; spätere Erzähler wußten immer mehr, als die früheren, sehr vieles tragt offenbar das Merkmal der Erdichtung an sich und dadurch ist die zuverlässige Geschichte der Heiligen leider! sehr verdunkelt worden. Wir müssen das sogleich von vorn herein bemerken. Wenn jedoch berichtet wird, daß Kilian schon von Jugend auf sich stark zum Studium der 1. Schrift hingezogen fühlte, daß er von seinen Eltern, einem Kloster zur Erziehung anvertraut wurde, weil damals die Klöster allein die Stätten einer höheren Bildung waren, daß hier im Kloster das Wort des Herrn Luc. 9, 23. (wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach,) ihn traf und den Wunsch in ihm rege machte, seinem Gotte und Heilande an den Heiden zu dienen, so ist dagegen wohl nichts aus innern oder äußeren Gründen einzuwenden. Mit mehrern Begleitern verließ Kilian Vaterland, Freundschaft und irdischen Besitz und erschien als Bote des Evangeliums in der Maingegend um Würzburg. Unter seinen Gefährten werden besonders die Priester Solonat (Colomann), Gallo und Arnwal und der Diacon Totnan (Donatus) genannt. Die Gegend ist schön, fruchtbar und stark bewohnt, das Volk kräftig an Leib und Seele, nur die allenthalben herrschende heidnische Blindheit betrübt die Missionare tief. Hier glaubt also Kilian die Stätte seiner künftigen Wirksamkeit gefunden zu haben. Doch ehe er wirklich mit der Arbeit beginnt, – erzählen nun unsere Berichterstatter aus dem Mittelalter, reist er zuvor nach Rom, um vom Papste sich Vollmacht zu seiner Missionsthätigkeit geben zu lassen. Statt des Papstes Johannes, den er auf dem Stuhle zu Rom vermuthet, trifft er den Papst Conon, wird von diesem, welcher Kilians Hingabe und Tüchtigkeit leicht erkennt, freundlich aufgenommen, mit der gewünschten Vollmacht begabt und wieder nach Würzburg zurückgesendet. Allein diese Romfahrt eines Briten, wie Kilian war, ist nicht sehr wahrscheinlich und muß dahin gestellt bleiben. Wäre die Angabe über diese Reise richtig, so würde sich hienach Kilians Ankunft zu Würzburg für das Jahr 686 und der Beginn seiner Arbeit für 687 bestimmen lassen.

Kilian durchzog nun das Land am Main mit der Predigt von Christo, (der Sage nach bis auf die Höhen des Rhöngebirges,) treulich unterstützt von seinen Gefährten Golonat und Totnan. Eine alte, überaus treuherzige Lebensbeschreibung unsres Heiligen erzählt: Kilian lehrt aus dem Evangelium Gottes, wie Gott vergeblich (aus Gnaden) um seines Sohnes willen uns die Sünde verzeihe, wie ein gnädigen, gütigen Gott wir hätten, was Barmherzigkeit er uns bewiesen; daneben ließ er auch nicht unangezeigt den Zorn Gottes, der so gar wider die Sünder ergrimmet, strafet dabey die Sünd und warnet die Sünder, verschonet Niemands, Hohem und Niederm zeigt er die Wahrheit an und den rechten Weg des Lebens.“ Gott gab Gnade, daß Vieler Herzen für die Predigt von dem allein wahren Gotte und Heilande aller Menschen geöffnet wurden. Auch der Herzog Gozbert hörte von dem heiligen Manne und seinen gewaltigen Worten, ließ ihn zu sich rufen, unterredete sich mit ihm und siehe! auch der Herzog wird vom Evangelium überwunden, wird ein Christ und läßt sich taufen. Welche Aussicht eröffnet sich nach solchem Vorgange für die Bekehrung des ganzen thüringschen Volkes! Doch ein Umstand trübte bei Kilian die Freude und mischte in die Hoffnung bange Besorgnis: Gozbert war mit der Witwe seines älteren Bruders verehelicht, und eine solche Ehe war nach den Ansichten Kilians und seiner Zeit unstatthaft. Auch Corbinian in Freisingen hatte aus ähnlicher Ursache schwere Kämpfe zu bestehen. Den Glaubenszeugen jener frühen Zeit mochte das Vorbild Johannis des Täufers vorschweben, welcher zu Herodes sprach: es ist nicht recht, daß du deines Bruders Weib hast! Matth. 14, 4. Dabei übersahen sie etwa, daß doch der Fall mit Herodes ein anderer war, denn Herodes hatte seines noch lebenden Bruders Philippi Weib, nicht des Verstorbenen Witwe zur Gattin. Freilich suchte jene Zeit schon Ehen unter Verwandten auf jede Weise zu beseitigen und gab dem freien Geiste des Evangeliums überhaupt schon eine gesetzliche Richtung. Daß auch Kilian von den Einflüssen seiner Zeit nicht frei war, darf uns nicht Wunder nehmen, denn auch die Heiligen Gottes sind und bleiben irrthumsfähige Menschen, so lange sie im Thale der Schwachheit wandeln. Um so ehrwürdiger muß uns die Gewissenstreue erscheinen, mit welcher er selbst das Leben auf das Spiel setzte, um zu thun, was er für recht und gut hielt und was er nicht unterlassen zu dürfen glaubte.

Eine Zeit lang schwieg Kilian, um den Herzog erst in christlicher Erkenntnis wachsen und in Liebe und Hingebung an das ihm gepredigte Wort stärker werden zu lassen. Endlich hielt Kilian die Zeit für gekommen, da er hoffen durfte, einen günstigen Eindruck auf den Herzog zu machen und ihn zur Trennung von seiner Gemahlin bewegen zu können. Er redete mit christlichem Freimuthe. Der Herzog erschrak, er kämpfte einen schweren Kampf mit sich selbst, aber er siegte endlich, denn er erbot sich, auch das Liebste, was er besaß, dem Herrn zu opfern. Ehe jedoch die Trennung vollzogen werden konnte, wurde Gozbert durch dringende Geschäfte abgerufen und nun war Kilian mit seinen Genossen der Rache des erzürnten Weibes preis gegeben. Geilane, so hieß des Herzogs Gemahlin, war auf’s Höchste ergrimmt über die Gefahr, verstoßen zu werden, welche sie bedrohte und entschlossen, sich um jeden Preis in Ehe und Würde zu behaupten, zugleich sich an ihren vermeintlichen Feinden zu rächen. Sie erschrickt nicht vor blutiger That. Die heiligen Männer Kilian, Colonat und Totnan, ahnen, was ihnen bevorsteht und bereiten sich darauf vor, Gott auch mit ihrem Tode zu preisen. Freudig ohne Traurigkeit, andächtig ohne Furcht liegen sie Tag und Nacht dem Gebete und Lobe Gottes ob, die Märtyrerkrone erwartend. Da, unter ihren Gebeten, treten die von Geilane gedungenen Mörder Nachts in das Gemach, Kilian ermahnt seine Gefährten, die nicht zu fürchten, welche bloß den Leib, aber nicht die Seele vermögen zu tödten, und willig erleiden die frei den Tod durch das Schwert. Schnell, um jede Spur des Mordes zu vertilgen, werden die Leichname mit Kleidern, Crucifix und Büchern an der Stelle, wo die Unthat geschehen war, verscharrt. Als Todestag wird der 8. Juli 689 angegeben.

Die Sage fügt noch hinzu, daß dem Morde der heiligen Männer die Rache auf dem Fuße nachfolgte. Zwar als Gozbert zurückgekehrt war und nach seinen Lehrern fragte, antwortete Geilane trotzig: sie wisse nicht, wohin sie sich begeben hätten. Auch Kain hatte auf die Frage des Herrn: wo ist Dein Bruder Habel? erwidert: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Vielleicht wäre das Geschehene verborgen worden, wenn nicht einer der Mörder, von Gewissensqualen gepeinigt und fast wahnsinnig von Angst, die ihn verzehrte, unter allem Volke herumgelaufen wäre und sich selbst des Mordes der Heiligen angeklagt hätte. So kam das Gerücht hievon auch dem Herzoge zu Ohren. Dieser versammelte hierauf die Getauften, um zu berathen, was zu thun sei. Da trat einer der Anwesenden im heimlichen Einverständnisse mit Geilane auf und machte den Vorschlag: man möchte den Mörder der Banden entledigen und ihn allein der Bestrafung des Christengottes überlassen; sei dieser Gott wirklich allwissend, allmächtig und gerecht, wie Kilian gepredigt habe, dann werde er nicht verfehlen, seine gemordeten Diener zu rächen; geschähe das aber nicht, so sollte es ein Zeichen sein, daß der Christenglaube falsch sei und dann wollten alle wieder zum Dienste ihrer väterlichen Götter zurückkehren. Dieser Vorschlag gefiel der Versammlung. Allein kaum war der Gefangene freigelassen, als er in wahnsinniger Wuth sich selbst so zerfleischte, daß er auf der Stelle starb. Auch der andere Mörder soll sich mit einem Dolche getödtet haben und Geilane in einem traurigen Geisteszustande gestorben sein. Wir lassen diese und andre Berichte einer spätern Zeit dahingestellt und erwähnen nur noch, daß, so heimlich auch der Mord Kilians und seiner Genossen geschehen war, doch eine nicht weit von der Mordstätte wohnende christliche Matrone, Burgunda, etwas davon gemerkt hatte und auf diesem Wege später der Ort des Begräbnisses entdeckt wurde. Hier wurden die Gebeine der Knechte Gottes von dem ersten Würzburgischen Bischofe Burghard erhoben.

Obwohl Kilians Tod nach menschlichem Urtheile die Bekehrung des Volkes am Maine um mehr als ein Menschenalter verzögerte, so blieb doch der von ihm ausgestreute, mit seinem Blute gedüngte Same des Evangeliums nicht verloren. Die herzogliche Familie blieb dem Christenthume treu, denn Gozberts Sohn und Nachfolger Heban II. ist bis 716 als Erbauer einer Marienkirche auf dem Schlosse zu Würzburg und überhaupt als Wohlthäter der Kirche und ihrer Anstalten bekannt und dessen Tochter, Immina, führte erst auf dem Schlosse zu Würzburg, dann im Kloster zu Karlsburg ein stilles und frommes Leben. Ein solches Vorbild kann nicht ohne gesegnete Wirkung gewesen sein. Als der Apostel der Deutschen, Winfried oder Bonifazius im J. 719 zuerst nach den thüringschen Mainlanden kam, fand er wohl keinen eignen Herzog mehr vor, so daß anzunehmen ist, daß Heban II. und sein Sohn Thuring in einem Feldzuge des Franken Carl Martell umgekommen sein mögen, worauf der herzogliche Stuhl Thüringens nicht mehr besetzt wurde. Das Land im Süden des thüringschen Waldes, von nun an unmittelbar von den fränkischen Regenten des herrscht, änderte sogar jetzt den Namen und wurde seitdem Neu- oder Ostfranken genannt. Doch fand Bonifaz schon überall Anhaltspunkte für seine christliche Wirksamkeit und, wem sollten diese zu danken gewesen sein, als Kilian und seinen Gefährten? So geht es stets im Reiche Gottes: der Eine pflanzt, der Andre begießt, der Eine legt den Grund, der Andre baut darauf, Gott aber gibt das Gedeihen. Und an dem Gedeihen fehlte es im theuren Frankenlande nicht, seitdem durch die Stiftung des Bisthums Würzburg mit dem ersten Bischofe Burghard (741) eine feste kirchliche Ordnung eingerichtet war.

G. Brock in Auernheim bei Heidenheim in Mittelfranken.