Philipp Melanchthon

Philipp Melanchthon

Es hat wenige Menschen gegeben, welche grosse Werke so glänzend und erfolgreich begonnen, so thätig und mühevoll ihr Leben lang daran gearbeitet, und unter so vieler Misskennung und innern Leiden geendet haben, als Philipp Schwarzerd.

Er war der Sohn bürgerlich wohlhabender Eltern, geboren 1497 zu Bretten. Aecht religiöse Erziehung und das leuchtende Vorbild seines Oheims Reuchlin waren die mächtigsten Eindrücke seiner frühesten Jugend. Da sein Vater, ein fürstlicher Waffenschmied, frühzeitig starb, fiel Melanchthons Erziehung an die Mutter, eine warmkatholische Frau, an ihren Vater, welcher Amtmann zu Bretten war, und an ihren Bruder, den grossen Reuchlin: alle drei widmeten sich ihm mit grösster Sorgfalt, denn seine Geistesgaben versprachen Ausserordentliches. Von der berühmten Pforzheimer Schule kam er schon im dreizehnten Jahre auf die Heidelberger Universität und wurde als ein früh gereifter junger Mann Hofmeister der jungen Grafen von Löwenstein. Im siebzehnten Jahre begann er zu Tübingen als Magister seine Vorlesungen und schrieb seine höchst ausgezeichnete griechische Grammatik. Auffallend ist es, wie häufig wir in jener Zeit solche ganz jugendliche Männer in den wichtigsten Berufen thätig finden. Humanistische Studien in ihrem ganzen Umfange, dazu Hebräisch, am liebsten Griechisch, die Evangelisten wie die Klassiker, waren Melanchthons Gebiet.

Auf Reuchlins Empfehlung erhielt er im Jahre 1518 die Professur der griechischen und hebräischen Sprache und Literatur im reich aufblühenden Wittenberg. Alle Humanisten sahen auf ihn als auf ihre glänzendste junge Kraft. Jetzt lernten er und der zwölf Jahre ältere Luther sich kennen, und beide geniale Männer wurden mit tiefer Hochachtung für einander erfüllt. Es war kurz vor der Leipziger Disputation mit Eck. Melanchthon begleitete Luther dorthin, wo Beide sich in all ihren Gaben zeigten. Melanchthon beugte sich vor Luthers Charakterstärke und sprühender Thatkraft, und Luther bewunderte seines Collegen unendliches Wissen und liebte dessen strömenden Geist und redliches herzliches Wesen. Es gab Keinen, der gleich so tief blickte, der über Luther mit wenigen milden klaren Worten so viele Gewalt hatte, als Melanchthon, und dieser wusste Keinen, der so gescheidt und starkherzig eine Sache anfing und zu Ende führte, als Luther.

Es begann nun Melanchthon’s glücklichste Zeit. Mehr als zweitausend Studenten drängten sich in seine Hörsäle, wenn er über Homer und des Paulus Briefe las. Des hochangesehenen Bürgermeisters Tochter machte ihm das Herz wonnevoll, und er führte sie heim. Ein Jahr darauf erschienen seine Loci theologici, das dogmatische Grundwerk des Protestantismus. Als Luther auf der Wartburg geborgen, war Melanchthon die Seele dessen, was er begonnen. Nur auf sein dringendes Begehren kehrte Luther nach Wittenberg zurück.

Jetzt machte Melanchthon eine Heise nach Schwaben, die geliebte Mutter wieder zu sehen und sich vor ihr zu rechtfertigen. Diese wollte ihn kaum wieder weglassen, denn ihre Seele war bedrängt, dass er sich in solche Religionsneuerungen stürze. Er aber war in seinem .Herzen überzeugt, dass er nur Rechtes wolle, und danach handelte er. Nach seiner Rückkehr betrieb er die sog. Kirchenvisitation, damit der verwirrte Zustand der sächsischen Gemeinden in eine einfache protetestantische Ordnung gebracht werde. Wie seine Loci communes das Hauptwerk für die protestantische Glaubenslehre, so wurde das Visitationsbüchlein, welches hauptsächlich von ihm herrührt, das Grundbuch der lutherischen Kirchenverfassung. Allein schon begann die Verbitterung seines Lebens. Er war den Strengen zu schonend und den Eiferern zu zweifelhaft: sie warfen ihm vor, er trage auf beiden Schultern. Er aber wollte nur mild und gerecht sein, und weil er sich dessen bewusst und zugleich ein politischer Kopf war, der die Schwächen und Folgen jedes Thuns leicht übersah, so wurde er durch Widerspruch leicht gereizt und heftig. Es ahnte ihm, welche schreckliche Leidenschaften das Vaterland und die Kirche verheeren könnten.

Zuvörderst that er nun Alles, was in seiner Macht stand, um den Bruch zwischen Luther und Zwingli zu verhüten, und da dieser erklärt war, ihn wieder auszufüllen. Er nahm sich der abwesenden Zwinglianer auf dem Speyrer Reichstage an und bewirkte endlich, dass auch wider ihre Verdammung protestirt wurde. Auf dem Marburger Religionsgespräch strömte ihm die Beredsamkeit aus der Seele, Zwingli war gerührt und bot die Hand zur Versöhnung, der zornige Luther stiess sie zurück. Vergebens suchte Melanchthon ihn zu überzeugen, dass die Schweizer nicht so Unrecht hätten.

Auf dem entscheidenden Reichstage 1530 war es Melanchthon, der mit höchster Mässigung, aber mit Bestimmtheit die 21 Glaubensartikel der Protestanten verfasste, – das Augsburger Bekenntniss, – und die Apologie derselben, als von Seite der Altgläubigen eine Refutation erlassen wurde. Seine vorzüglichste Absicht war, zu zeigen, dass man nicht von der Kirche abfallen, sondern sie nur von Missbräuchen reinigen wolle. Jetzt stand Melanchthon auf seiner Höhe. Vom deutschen Reichstage, welcher damals der Heerd der europäischen Politik, war des Melanchthon Stimme über alle Länder erschallt. Rasch nacheinander riefen ihn König Franz I. nach Paris, König Heinrich VIII. nach London, dass er ihrer Länder religiöse Angelegenheiten in Ordnung bringe. Jedoch Melanchthon durchschaute den englischen Despoten und hatte wenig Lust zu ihm, nach Frankreich zu gehen aber verbot ihm sein Kurfürst in harten Ausdrücken, welche merken liessen, er sei der Hinneigung zur katholischen Kirche verdächtig.

Von jetzt an sprossten Dornen und Disteln, wohin Melanchthon seinen Fuss setzte. Er war einer der edlen Menschen, die vermöge ihres Rechtssinnes und hellen Einsicht nicht anders können, als das Recht auf beiden Seiten anzuerkennen, und welche ihr prophetischer Sinn ewig antreibt, das kommende Unheil durch Versöhnung der Parteien zu verhüten. Da hageln Vorwürfe hier und dort auf sie nieder. Wo sie herzlich zusprechen, begegnet ihnen Hohn und Gelächter, und „wo sie nichts heisser ersehnen, als nur etwas Vertrauen, umgiebt sie überall finsteres Misstrauen. Den liebsten Freunden werden sie verdächtig. Es giebt Keinen, der lange diese Kämpfe aushält.

So wollte auch Melanchthon Anwalt von zwei Parteien zugleich sein, und von Beiden hatte er Rohheit und Geisselschläge zu erdulden. Er sah bereits die Flammen des Bürgerkriegs in Deutschland aufsteigen, und sein Gewissen schreckte zurück vor einem Riss, der unheilbar .die Christenheit zerklüften solle. Schon auf dem Augsburger Reichstage hatte man sich in den Glaubenssätzen wieder genähert, aber der Hass und Zwiespalt steckte in dem, was zur Liturgie und Verfassung der Kirche gehörte. Melanchthon suchte nun fort und fort nach neuen Religionsgesprächen: sie wurden hintertrieben, oder fruchteten Nichts. Luther dagegen kehrte immer schroffer die Gegensätze hervor. Melanchthon’s Körper brach unter den Leiden der Seele, kaum geheilt wollte er nach Hagenau zum neuen Sühneversuch, unterwegs in Weimar blieb er liegen, und die Aerzte gaben ihn auf. Da eilte Luther ihm nach und durch die Kraft seines Gemüths und Glaubens riss er dem Tode den Freund gleichsam aus den Armen. Dass sie dem hessischen Fürsten die Doppelehe zugestanden, das war es besonders, was Luther wieder und wieder Melanchthon als recht und nothwendig beweisen musste. Endlich auf dem grossen Religionsgespräch zu Regensburg einigten sich Melanchthon, der Legat Contarini, der Bischof Pflug und andere angesehene Männer beider Parteien in den wichtigsten Sachen. Allein Luther sowohl als die römische Curie wollten keine Versöhnung. Der schmalkaldische Krieg folgte.

Nach Luther’s Tode war Melanchthon die Säule der lutherischen Partei, aber diese Säule umwandelte bei Tag und Nacht Hass und Verdächtigung. Er hatte mit Kurfürst Moritz das Leipziger Interim zu Stande gebracht, welches eine Grundlage der Aussöhnung zwischen Katholiken und Protestanten geben konnte. Er vermochte die streng lutherische Ansicht von der Rechtfertigungslehre nicht zu theilen; er vermochte es nicht, dem Menschen den freien Willen abzusprechen; er redete immer noch der Aussöhnung mit den Schweizern das Wort. Das waren Alles schreckliche Verbrechen. Er zog, verfolgt vom Religionsgezänke, von einem Wohnsitz zum andern, von Wittenberg nach Marburg, von da nach Weimar, nach Jena, nach Leipzig, er wollte zur Kirchenversammlung nach Trient, er wanderte wieder nach Torgau, er war auf den Religionsgesprächen zu Naumburg, Nürnberg, Worms. Immer suchte er die Parteien zu einigen und hatte selbst keinen Frieden mehr. Auf seinem Todtenbette, im Frühjahr 1560, schrieb er noch eifrig, um was er glaubte und ersehnte, dem deutschen Volke an’s Herz zu legen: er brachte die Schrift nicht mehr zu Ende. Sein letzter Seufzer war: Einigkeit der Kirchen.

Historische und biographische Erläuterungen zu
Wilhelm von Kaulbach's
Zeitalter der Reformation
von Franz Löher
Stuttgart
Verlag von Friedrich Bruckmann
1863
Philipp Melanchthon

Philipp Melanchthon

Luther sagt einmal: es sei kein großer Umschwung in der Entwicklung des Reiches Gottes erfolgt, ohne daß den Weg dazu gebahnt hätte das Wiederaufleben der Wissenschaften und Sprachen, gleichwie Johannes der Täufer Christo vorangehen mußte. Dieses gilt von den Vorbereitungen für das göttliche Werk der deutschen Reformation. Zweierlei mußte zusammen kommen, um derselben Bahn zu machen: das religiöse Leben, das aus den Tiefen des andächtigen Gemüthes hervordrang in jenen frommen und erleuchteten Männern, welche man Mystiker nannte, von denen einer, Johannes von Staupitz auf Luther selbst unmittelbar einwirkte, – und die neue wissenschaftliche Bewegung, die von einem Erasmus von Rotterdam ausging, wodurch die Kenntniß der griechischen Sprache wiederhergestellt wurde, um die Schriften des Neuen Bundes in der Ursprache lesen zu können. Und wie diese beiden Ursachen zusammenwirkten zur Vorbereitung der Reformation, so mußte dieses sich auch wiederholen in der Entwicklung des Reformationswerkes selbst. Es mußte die unmittelbare religiöse Begeisterung in Luther zusammenkommen mit der besonnenen, klaren und gründlichen Wissenschaft in Melanthon, in welchem wir den Erasmus von Rotterdam verklärt und geläutert, noch mehr erfüllt von dem heiligen Feuer des Evangeliums wieder erscheinen sehen. Wo Christus große Entwicklungen, neue Schöpfungen hervorgerufen hat, bediente er sich immer wenigstens zweier verschiedener großer Eigenthümlichkeiten, die einander zu ergänzen bestimmt waren. Wo ein göttliches Werk vorhanden ist, giebt es sich dadurch zu erkennen, daß der, welcher den Zweck will, durch seine mannichfaltige Weisheit auch alle zur Verwirklichung des Zweckes erforderlichen Mittel zusammenzufügen wußte. So beweist sich die deutsche Reformation. dadurch, daß dem älteren Luther der jüngere Melanthon zur Seite gehen mußte, daß, als durch die schöpferische religiöse Begeisterung Luthers die erste Bewegung angeregt worden, die Sprache der Wissenschaft durch Melanthon ihr gegeben wurde, als ein von Gott vorbereitetes Werk Gottes.

Philipp Schwarzerd war der ursprünglich deutsche Name des großen Mannes, dessen Andenken zu feiern diese Zeilen bestimmt sind. Der deutsche Name wurde nach der Gewohnheit jener Zeit in den griechischen: Melanchthon übertragen, der des Wohlklangs wegen von ihm „Melanthon“ geschrieben wurde. Er wurde geboren zu Bretten im Badischen am 16. Februar des J. 1497. Einer der großen Männer, welche viel dazu thaten, der Reformation vorzuarbeiten, war Johann Reuchlin, der dazu besonders wirkte durch seine Verdienste um die Wiederherstellung des hebräischen Sprachstudiums, des Studiums der Bücher des Alten Bundes in der Ursprache, und durch seine siegreichen Kämpfe mit den Dominikanern und der Inquisition. Er hatte großen Einfluß auf die erste Bildung Melanthons, der einer ihm verwandten Familie angehörte. Derselbe gehört zu den großen Männern, die früh reif wurden, und in denen schon früh die eigenthümliche Geistesrichtung, welche ihr ganzes Leben auszeichnete, entwickelt hervortrat, und die doch nicht früh alt wurden, sondern in frischer Jugendkraft immer schöpferisch bis an’s Ende ihres Lebens arbeiteten. Der große Erasmus erkannte schon, daß Melanthon ihn einst verdunkeln würde. Wie es das ursprünglich Ausgezeichnete der deutschen Nation ist, daß die Religion Seele und Mittelpunkt aller Bildung sein sollte, alle großen Schöpfungen des Geistes aus den Tiefen des von Christus ergriffenen Gemüthes hervorgehen sollten, so war es die hohe Bestimmung der deutschen Hochschulen, Werkstätten des heiligen Geistes zu sein, der die jugendlichen Gemüther ergreifen und alle wissenschaftliche Bildung, zu seinem Organ sie verklärend, sich aneignen sollte. Diesen Beruf erfüllte Wittenberg als der ursprüngliche Sitz der deutschen Reformation. Und hier sollte Melanthon von früher Jugend an seinen Wirkungskreis finden, um, was dem großen, apostolischen Mann Luther der Geist offenbarte, in die Sprache der Wissenschaft zu übertragen, wissenschaftlich zu verarbeiten und zu begründen, eine von dem heiligen Geist beseelte Wissenschaft zu erzeugen, welche es als ihre höchste Aufgabe erkannte, die Tiefen des göttlichen Wortes in demüthiger Hingebung zu erforschen und die unerschöpflichen Schätze der Weisheit, die in Christo verborgen sind, immer tiefer zu ergründen.

Melanthon war erst 21 Jahre alt, als er auf Empfehlung Reuchlins nach Wittenberg berufen wurde. Da der Jüngling Bedenken trug, sein Vaterland zu verlassen, um einem so großen und schwierigen Beruf in der Fremde sich zu widmen, rief ihm sein Verwandter Reuchlin die Worte Gottes an Abraham zu: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen werde (1 Mos. 12,1.). Es war von Anfang an ein schönes Verhältniß, das sich zwischen dem älteren und jüngeren Freunde, Luther und Melanthon bildete, die väterliche Liebe und Fürsorge Luthers und die kindliche begeisterte Hingebung Melanthons. Als Luther auf dem Reichstag zu Augsburg im J. 1518 in großer Gefahr schwebte, schrieb er an Melanthon: „Mache Du den Mann, wie Du es ja auch thust und lehre die Jünglinge was recht ist; ich gehe hin, für sie und für Euch mich zu opfern, wenn es Gott gefällt.“ Melanthon fühlte sich durch das heilige Feuer von dem Herzen Luthers aus mit erwärmt und erglicht. Er schrieb über sein Verhältniß zu Luther am 11. August 1519: „Ich liebe Luthers Studien, die heilige Wissenschaft und den Martinus, wenn irgend etwas auf Erden auf das Innigste, und ich umfasse ihn mit meinem ganzen Herzen.“ Als nach der Leipziger Disputation der Sturm von Rom über Luther auszubrechen drohte, schrieb Melanthon am 17. April 1520: „Ich möchte lieber sterben, als von diesem Manne mich trennen zu müssen.“ Und als der Bann über Luther bereits ausgesprochen worden und die größte Gefahr ihm drohte, schrieb er am 4. Nov. 1520: „Martinus scheint mir von einem göttlichen Geiste getrieben zu werden; daß derselbe in seinem Werk glücklichen Fortgang habe, dazu werden wir vielmehr durch Gebet, als durch unseren Rath beitragen können. Mir ist die Erhaltung Luthers etwas Theureres als mein Leben selbst, so daß mir nichts traurigeres begegnen könnte, als den Martinus entbehren zu müssen.“ Er bezeichnet Luther als den „einzigen“ Mann, den er wahrhaft wagen möchte den großen Männern nicht allein dieser Zeit, sondern auch aller früheren Jahrhunderte, allen Augustinus und Hieronymus vorzuziehen.

So erkannte der Jüngling Melanthon damals in Luther das überlegene Maaß, den höheren Geist, den er nicht zu meistern wagte, vor dem er sich nur beugen mußte. Aber auch Luther wußte, was Melanthon vor ihm voraus hatte in den Gaben der Wissenschaft, anzuerkennen. Da Melanthon zuerst im J. 1519 auf Veranlassung der berühmten, für den Fortgang des Reformationswerkes so entscheidenden Disputation zu Leipzig öffentlich an den Kämpfen Theil genommen hatte durch einen Brief, den er darüber schrieb, fühlte sich der dünkelhafte Eck beleidigt in seiner Eitelkeit durch die Art, wie Melanthon die Fechterkünste und die unfruchtbaren Disputationen getadelt hatte und sprach sich in dem Ton hochfahrender Verachtung darüber aus, daß ein junger Mann zu Wittenberg, der allerdings etwas Griechisch wisse, gewagt habe, nicht seine Sache, sondern die Sache des Glaubens anzugreifen. Luther aber sagt: „Obgleich ich auch Magister und Doktor bin, und fast keiner von Ecks Titeln mir fehlt, so schäme ich mich doch nicht, wenn der Geist dieses Grammatikers von mir abweicht, von meiner Meinung abzustehen.“ Das, was bei Luther die Seele der Reformation war, das hatte auch das Gemüth Melanthons mit Macht ergriffen, die Grundwahrheit von der Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben an Jesus als seinen Heiland allein. Dieses war ihm, wie sich aus seinen Schriften und Briefen deutlich erkennen läßt, Herzenssache. Die inneren Kämpfe, welche auch bei einer so milden und vorherrschend der Wissenschaft zugewandten Natur, wie Melanthon, nicht fehlen konnten bei aufrichtigem Streben nach der vor Gott geltenden Heiligkeit und bei strenger Selbstprüfung, hatten auch Melanthon dazu geführt, die große Bedeutung dieser Wahrheit für die Ruhe und Freudigkeit des Gewissens zu erkennen. Deßhalb ergriff er das Werk der Reformation mit so heiliger Liebe und so starkem Muth.

Im J. 1524 schrieb er dem Landgrafen Philipp von Hessen: „Seht, welchen Trost die elenden Gewissen in dieser Predigt finden, wenn sie zu dem Bewußtsein gelangen, daß das die Gerechtigkeit selbst ist, zu glauben, daß uns durch Christus die Sünden vergeben werden ohne eine Genugthuung von unserer Seite, ohne unser Verdienst. Ich kenne Solche, welche vor der Erkenntniß dieser Lehre, da ihr Gewissen durch Genugthuungen von ihrer Seite und durch willkührlich ersonnene gute Werke nicht aufgerichtet werden konnte, alle Hoffnung ihres Heils durchaus verloren hatten, welche aber als das Evangelium heller der Welt zu leuchten anfing, wiederum herzhaft die Hoffnung des Heils zu gewinnen begannen; und nicht allein solche Hoffnung empfingen sie, sondern auch Kraft und Stärke zum Kampf mit der Sünde. So viel kommt darauf an, daß man das Evangelium recht erkennt.“ Und an den Würtembergischen Theologen Johann Brenz schrieb er auf Veranlassung einiger ihm vorgelegten Bedenken im Mai des J. 1531: „Wende deinen Blick ganz hinweg von der Erneuerung in uns und der Erfüllung des Gesetzes zu den Verheißungen und zu Christus hin, und denke so, daß wir um Christi willen gerecht, d. h. Gott wohlgefällig sind und den Frieden des Gewissens finden und nicht um jener Erneuerung willen. Denn dieses neue Leben in uns ist noch nicht genug. Deßhalb sind wir durch den Glauben allein gerecht, nicht weil er die Wurzel ist, wie du schreibst, sondern weil er den Christus ergreift, um dessen willen wir Gott wohlgefällig sind, wie dieses neue Leben in uns auch beschaffen sein möge; obgleich es nothwendig folgen muß, so kann es aber doch dem Gewissen keinen Frieden geben. Also nicht die Liebe, welche Erfüllung des Gesetzes ist, rechtfertigt den Menschen, sondern der Glaube allein; nicht weil er eine Vollkommenheit in uns selbst wäre, sondern nur weil er Christus ergreift, sind wir gerecht, nicht wegen der Liebe, nicht wegen der Erfüllung des Gesetzes, nicht wegen unseres neuen Lebens, obgleich das Gaben des heiligen Geistes sind, sondern um Christi willen; und wir thun weiter nichts, als diesen durch den Glauben zu ergreifen.“ Er schließt die Entwicklung mit diesen Worten: „Diese Lehre ist die wahre, und sie verherrlicht den Ruhm Christi, richtet auf wunderbare Weise das Gewissen auf.“ Von Christus aus als dem alleinigen, von einem Jeden durch den Glauben anzueignenden Grunde des Heiles wurde er zu der Selbstoffenbarung Christi in seinem Worte, dem Worte der h. Schrift, als der alleinigen Erkenntnißquelle des Heiles hingeführt, gleichwie Luther; und er war es, der zuerst die Grundwahrheit, auf welcher das Wesen der Reformation ruht, von dieser zweiten Seite aus mit wissenschaftlicher Schärfe und Klarheit entwickelte, wo er zum ersten Mal an den Streitigkeiten öffentlich Antheil nahm. In jener Schrift, die er zu seiner Vertheidigung gegen die Vorwürfe Ecks herausgab im August des J. 1519 sagt er: „Es ist ein einfacher Sinn der h. Schrift, wie die himmlische Wahrheit das Einfachste ist, welchen wir durch Vergleichung der heiligen Schrift mit sich selbst nach dem Zusammenhang finden können. Denn deßhalb sollen wir in der h. Schrift forschen, um nach derselben alle Lehren und Satzungen der Menschen, wie nach dem Prüfstein zu beurtheilen.“

Er hat der deutschen Reformation das erste Lehrbuch für Glaubens- und Sittenlehre gegeben, in welchem er für die Gelehrten auseinandersetzte, was Luther in der Sprache des Lebens dem Volk vorgetragen hatte. Und es ist charakteristisch für das Wesen der deutschen Reformation, daß dieses Lehrbuch hervorging aus den Vorlesungen Melanthons über die Schriften des Apostels, welchem sich dieselbe besonders angeschlossen hatte, und den Brief desselben, welcher den Grundpfeiler der Reformation bildet, den Brief des Paulus an die Römer. Die Grundrichtung der deutschen Reformation giebt sich auch besonders zu erkennen in der ersten Ausgabe dieses Buches vom J. 1521. Die Demuth des Wissens leuchtet darin hervor, wie Melanthon erkennt, daß durch alle früheren Versuche, die Dreieinigkeit, die Schöpfung, die Verbindung beider Naturen in Christo erklären zu wollen doch nichts sei ausgerichtet worden. Aber die Erkenntniß von Sünde und Gnade bezeichnet er als den Angelpunkt des Evangeliums. Er läßt sich nur auf das ein, was mit diesen Grundwahrheiten in unmittelbarer Verbindung steht. So trat zuerst die praktische Richtung der Reformation im Gegensatz zu früheren Richtungen, welche in den göttlichen Dingen zu viel erklären und bestimmen wollten, die Grenze und Schranke der menschlichen Erkenntniß nicht anzuerkennen, das Wesentliche und Unwesentliche nicht aus einander zu halten wußten, auf eine bedeutungsvolle, wenn auch aus eben jenem Gegensatz leicht erklärbare und dadurch gerechtfertigte einseitige Weise hervor. Später hat Melanthon, dieser praktischen Grundrichtung immer treu bleibend, doch diese Einseitigkeit überwunden und das Lehrbuch viel erweitert. Die vielen Ausgaben desselben bis zu seinem Tode geben ein Bild von der fortschreitenden Entwicklung seiner Gotteswissenschaft; und wir lernen in diesen mannichfachen Veränderungen den unbefangen und frei in dem göttlichen Wort forschenden Mann kennen, der von sich sagen konnte, daß er täglich vieles verlernen müsse, und daß er sich bewußt sei, die Theologie nie in einem anderen Sinne getrieben zu haben, als zur Heiligung des Lebens.

Es sind in Melanthons Verhältniß zu Luther verschiedene Entwicklungsstufen zu unterscheiden. Zuerst wurde er als Jüngling durch die Macht der Begeisterung Luthers ganz fortgerissen und durch seinen starken Geist mitbestimmt, obgleich schon immer seine scharf ausgeprägte, von dem Geist des Christenthums durchdrungene Eigenthümlichkeit dem Werk der Reformation dient. Immer mehr aber trat seit dem J. 1521 seine eigenthümliche Auffassung, obgleich in völligem Einklang mit Luthers Geist und der von ihm entwickelten Lehre, hervor. Der Mann der Wissenschaft, der Mann, dessen eigenthümliche Gabe der milde Geist, die Besonnenheit und Klarheit vornehmlich war, gab sich darin zu erkennen, wie er, was Luther zuerst mit dem Feuer seines Geistes im Gegensatze des Streites schroffer ausgesprochen hatte, in der Form des Ausdruckes zu mildern und gegen Mißverstand zu verwahren suchte. Bei dem Verhältnis zur römischen Kirche konnte man auf zweierlei das Augenmerk besonders richten: entweder den Gegensatz hervorzuheben, wie es dazu gehörte, um das eigenthümliche Wesen der Reformation und der evangelischen Kirche rein zu erhalten, – oder bei der eigenthümlichen Verschiedenheit beider Kirchen- und Lehrformen auch die höhere Einheit zum Bewußtsein zu bringen, den zuerst zu stark hervorgetretenen Gegensatz zu mäßigen und zu mildern. Beides gehörte zusammen zur gesunden Entwicklung der Reformation. Von beiden Seiten konnte gefehlt werden, wenn das Eine nicht dem anderen zur Seite ging. Repräsentant der ersten Richtung ist Luther, Repräsentant der zweiten Melanthon. Dieses letzte zeigte sich in der Schrift, welche er auf Veranlassung der ersten sächsischen Kirchenvisitation verfaßte: die Anweisung zum rechten Vortrag der evangelischen Lehre für die Pfarrer, seine Visitationsartikel im J. 1527. Während die Einen, welche nur an dem Buchstaben der von Luther vorgetragenen Lehre in derselben Form, wie er sie im Streit ausgesprochen hatte, festhielten, ihn eines Verrathes der evangelischen Wahrheit beschuldigten, wurden ihm von den Anhängern der papistischen Lehre glänzende Anträge gemacht in der Voraussetzung, daß sich eine Umkehr zur alten Kirchenlehre in ihm vorbereite. Luther aber wußte wohl, denselben Geist und dieselbe Lehre auch in veränderter Form zu erkennen, und sagte in Beziehung auf die Verunglimpfung seines Freundes: „wer etwas Gutes vorhabe, müsse dem Teufel sein Maul lassen, dawider zu plaudern.“ Seit dieser Zeit hatte Melanthon viel zu kämpfen mit einer Parthei, welche sich um große Männer gewöhnlich zu bilden pflegt, die Parthei der blinden Nachahmer, der beschränkten Eiferer, welche den großen Männern mehr in ihren Fehlern, als in ihren Tugenden nachfolgen, was immer das leichteste ist, die Schaale ohne den Kern festhalten, den Buchstaben ohne den Geist, solche, welche in jeder Abweichung von dem Buchstaben, in dem Luther etwas ausgesprochen hatte, gleich einen Abfall von der reinen Lehre selbst sahen, welche Alles, was Luther in einer schrofferen Form vorgetragen hatte, noch mehr auf die Spitze stellten und darin ihren Eifer für die Rechtgläubigkeit zeigen wollten. Es waren solche, von denen Melanthon sagt, daß Luther ihr Treiben noch mehr als das Papstthum selbst hasse, welche, wie er sagt, statt das Feuer des Streites zu mildern und fremdartige Leidenschaften abzuwehren, vielmehr durch ihre Predigten immer neues Oel in’s Feuer gossen. Diese nun waren von Anfang an, wie der besonnene, milde Geist Melanthons ihrem wilden Treiben voll fleischlichen Eifers am meisten entgegenstand, seine heftigsten Feinde. Sie nannten ihn kälter als Eis, beschuldigten ihn der Unentschiedenst. Es bereiteten sich hier schon jene inneren Spaltungen vor, welche der evangelischen Kirche nachher so verderblich wurden.

Als die Abendmahlsstreitigkeiten zwischen Zwingli und Luther ausbrachen, erklärte sich Melanthon von Anfang an gegen die Zwingli’sche Auffassung, nach welcher das h. Abendmahl nur eine Erinnerungsfeier an das erlösende Leiden Christi sein sollte, und die Sakramente überhaupt nur als Bekenntnißzeichen betrachtet werden sollten. Es war ihm von Anfang an wichtig, das Göttliche der Sache hervorzuheben, den gegenwärtigen Christus, der sich im Sakramente mittheile, erkennen zu lassen. Er hatte gegen die Zwingli’sche Lehre dieses, daß sie den abwesenden Christus nur wie in einer Tragödie darstelle. „Die Berufung auf Vernunftgründe.“ schrieb er an den Schweizer Reformator Oekolampadius, „können den nicht überzeugen, welcher deß eingedenk ist, daß man über die himmlischen Dinge nach dem göttlichen Wort, nicht nach einer geometrischen Demonstration urtheilen muß, und der aus seinen eignen Versuchungen gelernt hat, daß es keine Gründe giebt, welche das Gewissen genug belehren können, wenn es von dem Worte Gottes abgeht.“ Und er sprach die prophetischen Worte aus: „wenn man einmal eine Lehre deßhalb verwerfe, weil sie etwas Uebervernünftiges enthalte, man bald auch werde weiter getrieben werden, die Lehre von der Dreieinigkeit, der Gottheit Christi, ja selbst von der Vorsehung und der persönlichen Unsterblichkeit zu leugnen, weil Alles, was Gegenstand des Glaubens sei, auch etwas Uebervernünftiges sei.“ Die Geschichte hat, was Melanthon hier aussprach in prophetischem Geist, immer mehr in Erfüllung gebracht, bis zur letzten Consequenz in der Verneinung alles Uebernatürlichen und Uebervernünftigen, was die Krankheit der Gegenwart ist und die Quelle der meisten und größten Uebel in derselben, von denen auch nur die Rückkehr zu den Grundwahrheiten des ächten Christenthums, welche ein Melanthon verkündete, Heilung bringen kann. Immer mehr tritt einem Jeden als die höchste Lebensfrage dieses entgegen: das Evangelium mit seinem über Vernunft und Natur erhabenen Inhalt, wie er nur aus Offenbarung erkannt werden kann, – oder die trostlose Betrachtungsweise aller Dinge, in welcher der Mensch Gott und sich selbst zugleich verliert und ihm nichts übrig bleibt, als entweder sich zu versenken in den bloßen Sinnengenuß und zu sagen, wie der Apostel das Losungswort einer solchen Denkungsart anführt: Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt (1 Cor. 15, 33), oder die Resignation der Verzweiflung. Wenngleich aber dem Melanthon jener Streitpunkt im Gegensatz gegen die Zwingli’sche Lehre ein wichtiger war, so bedauerte er doch mit tiefem Schmerz von Anfang an, daß, was Christus als Unterpfand der höchsten Liebe eingesetzt, darüber diese die Gemüther trennenden, in Leidenschaften und Haß verwickelnden Streitigkeiten entstanden seien. Schon frühzeitig sprach er es aus in einem Brief an seinen vertrauten Freund Camerarius: er sehe keine andere Frucht dieser Streitigkeiten, als daß die Menschen in profane Untersuchungen und Disputationen hineingeworfen würden und vom Wesentlichen der Heilslehre ihre Aufmerksamkeit abgezogen werde. Schon mußte er darüber klagen, daß alle Messen mit Büchern, welche nur von diesem einen Streit handelten, überschwemmt würden, als wenn darin das ganze Wesen des Christenthums bestehe. Oft vernehmen wir von ihm die wehmüthige Aeußerung, daß, wenn er so viel Thränen vergießen könnte, als Wasser die Elbe habe, er immer nicht genug diese Streitigkeiten beweinen könne. Von Anfang an wünschte er eine Verständigung über den streitigen Gegenstand durch eine ruhige leidenschaftlose Untersuchung nach dem göttlichen Wort.

Wir kommen zu dem für die Geschichte der evangelischen Kirche so wichtigen Reichstag von Augsburg im J. 1530. Melanthon, welcher der bedeutendste Theolog unter den Evangelischen auf dem Reichstag war, nahm mit sich zwei Schriften, welche von ihm in Gemeinschaft mit Luther und den übrigen Theologen entworfen worden, von denen die eine ein Bekenntniß der wesentlichen Wahrheiten des Glaubens enthielt, die andere ein Verzeichniß von dem, was man in der römischen Kirche besonders verwerfen zu müssen glaubte. Diese beiden Aufsätze sollte Melanthon zu einem Ganzen verschmelzen; und daraus entstand die sogenannte Augsburgische Confession, oder wie man sie zuerst nannte: Apologie, als Verteidigung der protestantischen Lehre. Es kam hier darauf an, die evangelischen Kirchen gegen den Vorwurf der Ketzerei zu vertheidigen, ihre Lehre als die wahrhaft katholische darzustellen, und das, was man an dem anderen Theil verwerfen zu müssen glaubte, möglichst mild auszudrücken. Dazu war Melanthon vermöge seines eigenthümlichen Geistes, wie wir ihn vorhin bezeichnet haben, besonders geeignet. Luther bezeugte, als ihm jenes Bekenntniß zugeschickt wurde, seine gänzliche Zufriedenheit mit demselben, und äußerte, es zieme sich für ihn nicht, daß er etwas daran verändern sollte, da er so leise nicht auftreten könne. Er nannte die Augsburgische Confession: die Leisetreterin. Es wurde dieses Bekenntniß zugleich in lateinischer und in deutscher Sprache abgefaßt. Der 25. Juni war der in der Geschichte der evangelischen Kirche und unseres deutschen Vaterlandes glorreiche Tag, da dieses Bekenntniß im Namen Aller, die sich zu demselben hielten, in Gegenwart des Kaisers und aller Reichsstände öffentlich vorgetragen werden sollte. Der Kaiser wollte anfangs, daß es in lateinischer Sprache verlesen werden sollte; und so wäre es von den Meisten nicht verstanden worden. Aber der Churfürst von Sachsen, Johann der Standhafte, erklärte: da wir auf deutschem Grund und Boden sind, werden wir doch wohl deutsch reden können! Und es war eine Verherrlichung der deutschen Zunge, daß ein so einfaches und kräftiges Zeugniß von Christo dem Heiland in derselben öffentlich ausgesprochen wurde. Luther schrieb damals: das herrlichste, was auf diesem Reichstag geschehen, ist dieses, daß Christus in einem so klaren Bekenntniß verkündigt und gepriesen worden. Und er pflegte in seinen nach Augsburg geschriebenen Briefen den Melanthon daher mit dem Ehrentitel des Confessor, des Bekenners zu bezeichnen. Es geschah nun nicht, wie man nach dem Ausschreiben des Reichstages erwartet hatte, daß auf Grundlage des übergebenen Bekenntnisses Unterhandlungen zur Ausgleichung der Religionsstreitigkeiten angestellt wurden, sondern es wurde dasselbe mehren Theologen der anderen Parthei, die zu den heftigen Eiferern gehörten, zur Widerlegung übergeben. Es ging daraus die Confutationsschrift derselben hervor. Nachdem diese öffentlich vorgelesen worden, verlangten die Protestanten, daß ihnen ein Exemplar derselben mitgetheilt werde. Dieß wurde ihnen aber nur unter einer Bedingung, die sie nicht annehmen konnten, bewilligt, der Bedingung, daß sie jene Schrift geheim halten und auf ihre Widerlegung sich nicht einlassen wollten. Unterdessen hatte man doch bei dem Vorlesen jener Confutationsschrift manches aufzeichnen gekonnt, was von Melanthon benutzt wurde für den ersten Entwurf einer Vertheidigungsschrift. Und da man später ein vollständiges Exemplar der Confutationsschrift erhielt, konnte Melanthon eine ausführlichere Vertheidigungsschrift jenes ersten Bekenntnisses danach entwerfen. So entstand dann jene treffliche Schrift Melanthons, welche als Vertheidigungsschrift für jenes erste Bekenntniß den Namen der „Apologia“ erhielt, zum Unterschied von jener

Nun kam aber für Melanthon das Schwerste und Mißlichste. Um dem Ausbruch eines Religionskrieges vorzubeugen, sollte endlich ein Versuch gemacht werden, durch Verhandlungen über die streitigen Punkte in der Religion von beiden Seiten eine Ausgleichung herbeizuführen. Es ist aber immer schlimm, wenn die religiösen Gegenstände in eine solche Diplomatik, wie sie bei den Unterhandlungen über Krieg und Frieden, die Grenzen der Ländergebiete zwischen Fürsten stattfindet, hineingezogen werden. Solche Versuche gehören zu dem Krankhaften jener Zeit. Es handelte sich hier von zweien entgegengesetzten Richtungen in der Auffassung des Christenthums und der Gestaltung der Kirche. Die Einen wollten den alten Standpunkt der kirchlichen Entwicklung festhalten, wenn auch von manchen fremdartigen Auswüchsen und Mißbräuchen ihn reinigen, die Anderen von Christus als der unwandelbaren Grundlage des Heiles und der Kirche aus und von seinem Worte aus Alles reinigen und erneuen, unabhängig von allen Menschensatzungen. Man konnte sich nun wohl bei dem Bestehen dieses Gegensatzes doch zum Bewußtsein gemeinsam anerkannter Heilswahrheiten erheben, aber über diesen Gegensatz selbst konnte man, nachdem er einmal hervorgetreten war, nicht hinweg. Er konnte durch keine Unterhandlungen gemildert oder beseitigt werden, wenn nicht die eine oder die andere der streitenden Partheien ihren Standpunkt und ihre Grundsätze verleugnen wollte. Luther hatte daher ganz Recht, wenn er sagte, daß zwischen ihm und dem Papstthum kein Vergleich möglich sei, wenn nicht der Papst sein ganzes Papstthum abthun wolle. Aber Melanthon verfuhr bei solchen Verhandlungen immer nach jener seiner eigenthümlichen Richtung und jenen Grundsätzen, die wir vorhin bezeichnet haben. In dem Grundwesen der Lehre wollte er nichts nachgeben; die Rechtfertigung durch den Glauben allein hielt er immer fest. Schon unter jenen Verhandlungen zu Augsburg trat, wie wir aus dem Munde Melanthons vernehmen, einer auf, welcher sich eine solche verwässernde Ausdeutung jener Lehre erlaubte, wie sie nachher in der neusten Zeit in der evangelischen Kirche selbst bei solchen, die von ihrem Wesen abfielen, wieder hervorgetreten ist: Es solle dadurch nichts Anderes bezeichnet werden, als daß die Gerechtigkeit des Menschen von der Gesinnung ausgehen müsse, Gott mit reinem Herzen müsse verehrt werden. Und wenn man auf solche sophistische Weise diese Lehre zu verdrehen sich erlaubte, dann konnte man freilich leicht schon in den alten vorchristlichen Autoren Spuren jener Wahrheit finden und sich wundern, daß darüber soviel gestritten werde. Melanthon aber war, wie wir gesehen haben, von dem wahren Sinn jener Lehre tief durchdrungen; und es war ihm das Wichtigste, dieses Kleinod der evangelischen Kirche rein zu erhalten. Doch in dem Aeußerlichen, in der Kirchenverfassung glaubte er desto mehr nachgeben zu müssen und erklärte sich immer bereit dazu, das ganze alte Kirchengebäude mit dem Papstthum an der Spitze auch für die evangelischen Gemeinden anzunehmen, wenngleich unter solchen Bedingungen, wodurch die Reinerhaltung der evangelischen Wahrheit in der Lehre gesichert wurde. Hätte ein solcher Vergleich wirklich zu Stande kommen können, so hätte es zum großen Nachtheil der evangelischen Kirche gerathen müssen. Diese würde ihr wahres Wesen immer mehr eingebüßt haben. Wir sehen hier, wie jeder eigenthümlichen großen Gabe auch ihre Einseitigkeit sich beigesellt, wenn sie nicht durch andere Gaben ergänzt wird. Es war wichtig, daß ein Luther, ohne den von Anfang an die Reformation als neue Schöpfung nicht zu Stande gekommen wäre, auch in den Kämpfen für die Erhaltung der aus dieser Schöpfung hervorgegangenen evangelischen Kirche dem vermittelnden und versöhnlichen Geist eines Melanthon zur Seite stehen mußte. Bei allem dem, da Melanthon diesen Standpunkt einmal einnahm, gehörte zu dem, was den Eiferern als Zaghaftigkeit erschien, mehr Selbstständigkeit des Geistes und Muth, als wenn er sich ihnen in der Behauptung des schroffen Gegensatzes gegen die römische Kirche zugesellt hätte. Denn den Vertretern des römischen Kirchensystems, dem Kaiser selbst konnte er es doch nicht recht machen. Da er einmal nachgab, sollte er weit mehr nachgeben; sein Festhalten dessen, was ihm das Wichtigste war, wurde von denen, welche nur von dem diplomatischen Gesichtspunkt aus die Sache betrachteten, als Eigensinn gedeutet; und sie gaben es ihm oft Schuld, wenn aus den Vergleichsverhandlungen doch nichts wurde. Mit den Eiferern der evangelischen Kirche mußte es aber Melanthon auf diese Weise ganz verderben, und setzte sich immer mehr ihrem Argwohn aus. Nach jenen Grundsätzen handelte er auch, als er, ohne auf das Geschrei, das er dadurch über sich herbeizog, zu achten, bei der von Luther aufgesetzten Bekenntnißschrift der Schmalkaldischen Artikel im J. 1536, wo Luther im vierten Artikel vom Standpunkte der evangelischen Kirche mit Recht jedes sichtbare Haupt als etwas der wahren Einheit der Kirche nicht Förderliches, sondern nur Nachtheiliges verwarf, den Zusatz machte, wodurch er sich von seiner Seite bereit erklärte, die Oberhoheit des Papstes auch für die evangelischen Kirchen als menschliche Ordnung gelten zu lassen, insofern der Papst das Evangelium, d. h. die reine, wiederhergestellte evangelische Lehre nur gelten lassen wolle.

Ebenso verfuhr er auf dem Reichstag zu Regensburg im J. 1541. Da war nämlich der erste Versuch gemacht worden zu einem sogenannten Interim, d. h. einer einstweiligen Ausgleichung der Religionsdifferenz, die bis zu einer letzten Entscheidung eines allgemeinen Concils gelten sollte. Der Domherr Johann Gropper von Cöln und der gewandte Diplomat in der Umgebung des kaiserlichen Ministers Cardinals Granvella, Gerhard Voltröck, vielleicht mit der Zuziehung mancher Anderen hatten einen solchen Vergleich entworfen. Durch gegenseitiges Accordiren sollten die Partheien einander näher gebracht werden. Es hieß dieß, wie der Churfürst Johann Friedrich mit Recht sagte, den neuen Wein in alte Schläuche gießen, ein Stück neues Tuch auf ein altes Kleid flicken; es konnte daraus nichts werden. Melanthon, der tiefe Kenner der Geschichte, welchem eben sein tiefer geschichtlicher Blick etwas Prophetisches gab, erkannte von Anfang an, indem er solche Vereinigungsversuche mit ähnlichen in der früheren Geschichte verglich, daß dadurch nichts gewonnen, sondern das Uebel nur ärger gemacht werden konnte. Da er aber einmal an jenen Verhandlungen Theil nehmen mußte, glaubte er von den bezeichneten Grundsätzen nicht abweichen zu können, so viel Verdruß ihm auch daraus erwachsen mußte. Er selbst bedauerte es oft sehr, daß er an diesen diplomatischen Unterhandlungen Theil nehmen mußte. Es gehörte von seiner Seite viel Selbstverleugnung dazu; seine einfachen Sitten und sein offenes Wesen paßten nicht für solche Diplomatik und für den Verkehr mit den Großen des geistlichen und weltlichen Standes. Viel lieber wäre er bei seinen Büchern, bei der Wissenschaft und dem Unterricht der Jugend allein geblieben, wie er diesen für etwas weit höheres und wichtigeres hielt, als alle jene öffentlichen Unterhandlungen. Sein Leben wurde ihm dadurch verbittert.

Wir müssen hier noch etwas nachholen, das wir, um den geschichtlichen Zusammenhang nicht zu unterbrechen, bis hierher verspart haben und was zur Charakteristik des großen Mannes wichtig ist. Das Jahr 1540 war für ihn ein schweres Jahr. Tiefen Schmerz machte es den Theologen, daß sie den Landgrafen Philipp von Hessen, der seiner Sinnlichkeit unterliegend tief fiel, nachdem er so Großes für die Sache der Reformation gethan hatte, von seiner unchristlichen Doppelehe mit der Margarethe von Sala nicht hatten zurückhalten können. Melanthon konnte es zumal nicht verschmerzen, daß er gegen seinen Willen der Schließung der Hochzeit zu Rotenburg hatte beiwohnen müssen. Der Kummer lastete schwer auf seinem Herzen. Mit bedrücktem Gemüth und voll Todesahnung verließ er nachher Wittenberg, um einer Erneuerung jener traurigen Vergleichsverhandlungen zu Hagenau beizuwohnen. Aus den Thoren fahrend sprach er die Worte: Auf den Synoden haben wir gelebt, so wollen wir in den Synoden auch sterben. Auf der Reise in Weimar im Monat Juni unterlag sein zarter Körperbau dem innern Seelenkampf. Er verfiel in eine schwere Krankheit, die ihn an den Rand des Grabes führte, und er war des Lebens satt. Seine zarte Gewissenhaftigkeit ließ ihm keine Freudigkeit länger zu leben. Schnell wurde in der großen Noth Luther von Wittenberg herbeigeholt. Derselbe erschrack bei dem Anblick seines Freundes, der dem Tode ganz nahe zu sein schien, und der keine ermunternde Vorstellungen hören wollte, nicht dazu gebracht werden konnte, etwas zu sich zu nehmen. Luther trat an’s Fenster, betend mit der ihm eignen Inbrunst und jener Zuversicht des Glaubens, der Berge versetzen kann. Dann trat er durch das Gebet gestärkt, mit göttlicher Kraft erfüllt von Neuem an das Bett Melanthons und drang in ihn, daß er essen sollte. Da Melanthon sich immer weigerte, gebot ihm endlich Luther im Namen Christi, etwas zu sich zu nehmen, indem er sprach: „Du mußt essen, oder ich thue dich in den Bann.“ Der Macht seiner Worte und seiner Erscheinung mußte Melanthon nachgeben. Es war dieß der Anfang seiner Genesung, wie er selbst dieß Luther verdankte und in einem Brief an Camerar schreibt: „Luther hat seinen Schmerz unterdrückt, um den meinen nicht zu vermehren und mit der höchsten Seelengröße aufzurichten gesucht, nicht allein, indem er mich tröstete, sondern oft auch, indem er hart mir zusetzte. Wenn er nicht zu mir gekommen wäre, würde ich gestorben sein.“

Wir haben gesehen, wie Melanthon in selbstständiger eigenthümlicher Entwicklung neben Luther herging, beide einander gegenseitig anerkannten in ihrer Verschiedenheit, durch die Einheit des Geistes mit einander verbunden. Das Lutherische und Melanthon’sche Element hätte immer verbunden bleiben und sich gegenseitig ergänzen müssen zur gedeihlichen Entwicklung der evangelischen Kirche und ihrer Theologie insbesondere. Der Zwiespalt zwischen diesen beiden Richtungen des reformatorischen Geistes, ein Kampf, vermöge dessen die eine oder andere unterdrückt werden sollte, mußte den nachtheiligsten Einfluß auf den Entwicklungsgang der evangelischen Kirche ausüben. Es ist dieses der Keim der nachfolgenden Uebel. Jene Parthei der beschränkten Eiferer für den Buchstaben der lutherischen Lehrform, von der wir vorhin gesprochen haben, hatte immer mehr um sich gegriffen. Männer dieser Parthei in Luthers Umgebung wußten die Schwäche des der Last seiner Arbeiten unterliegenden und früh alternden, durch die Trübungen, die das göttliche Werk erfahren mußte, und durch seine Kränklichkeit oft finster gestimmten Mannes zu benutzen, um Argwohn gegen seinen alten Freund und Mitkämpfer in ihm zu erregen und den Saamen des Zwiespalts auszustreuen. Es wurde ihm ja gesagt, daß er eine Schlange in seinem Busen hege. Melanthon hatte viel zu leiden und zu tragen, und nur durch seine Vorsicht und Besonnenheit, zarte Schonung, Mäßigung und Geduld konnte der Ausbruch eines offenen Kampfes verhindert werden. Schon fürchtete Melanthon, daß er Wittenberg werde verlassen müssen. Doch Luthers große Seele wußte sich aus diesen Zerwürfnissen immer wieder zu ermannen. So lange er lebte, wurde jene Parthei der beschränkten, leidenschaftlichen Eiferer doch durch sein Ansehn einigermaaßen gezügelt. Alles änderte sich mit seinem Tode; und dazu kamen noch in dieser Zeit manche andere traurige Umstände, durch welche das längst glimmende Feuer zum Ausbruch gebracht wurde. Es begannen die heftigen Kämpfe in der evangelischen Kirche selbst, welche bis zum Tode Melanthons fortdauerten, welche ein Leben voller Bitterkeit ihm bereiteten, seine segensreiche Wirksamkeit vielfach störten, unter denen er aber auch mannichfach Gelegenheit erhielt, seine Sanftmuth, Milde, Geduld und Mäßigung zu erproben.

Es erfolgte der Schmalkaldische Krieg, der Sieg des Kaisers Karls V., die Uebertragung der Churwürde von dem hochherzigen Johann Friedrich, der in die Gefangenschaft des Kaisers gerathen war, auf den jungen Herzog Moritz von Sachsen, der von der Sache des evangelischen Bundes sich losgesagt hatte, das neue Interim zu Augsburg im J. 1548, welches ein noch schlimmeres Flickwerk war und der Sache der Protestanten noch nachtheiliger. Melanthon sprach sich zuerst auf das Offenste und Nachdrücklichste dagegen aus, zeigte, welche Unruhen für die Gewissen daraus hervorgehen würden, wie die Anrufung Gottes die zarteste Sache sei, und man hier besonders alle Veränderungen meiden müsse, die Anstoß geben und die Gemüther irre machen könnten. Er zog sich durch seine Erklärung, die dem Kaiser hinterbracht wurde, dessen Ungnade zu. Derselbe war schon gegen ihn sehr erzürnt durch ein Gerücht, das ihn als Verfasser einer Schmähschrift gegen den Kaiser bezeichnete. Schon hatte er die Auslieferung Melanthons als Störers der Ruhe verlangt; nur mit Mühe konnte der Churfürst Moritz ihn besänftigen. Noch glaubte Melanthon nachher bei den weiteren Verhandlungen, aus denen in der Anwendung auf die kirchlichen Verhältnisse in Sachsen das sogenannte Leipziger Interim hervorging, nach denselben Grundsätzen, wie bisher handeln zu müssen und zog sich dadurch dieselben Vorwürfe zu.

Alles dieses veränderte sich zwar, da Churfürst Moritz von Sachsen als Kämpfer für die religiöse und politische Freiheit erschien und durch ihn der Passauer Religionsfriede herbeigeführt wurde; aber die einmal angeregten Streitigkeiten dauerten fort. Die Melanthon’sche Schule wurde das Ziel der leidenschaftlichsten Angriffe von den Theologen der anderen Parthei. Die beiden theologischen Schulen: die eine auf der wiederhergestellten Universität zu Wittenberg, an deren Spitze Melanthon stand, und die zu Jena traten einander im heftigen Kampf entgegen. Es war dem Melanthon besonders wichtig, die harten Ausdrücke über eine unbedingte göttliche Vorherbestimmung, über eine unwiderstehliche, mit zwingender Gewalt wirkende Gnade, die Leugnung aller Mitwirkung des freien Willens bei dem Werke der Bekehrung zu verbannen, eine der Gesammtlehre des N. T. von Gottes Eigenschaften, seinen Heilsrathschlüssen und der Heilsordnung angemessenere, den religiösen Bedürfnissen mehr entsprechende Entwicklung der Lehre zu begründen. Wir erkennen hier bei Melanthon den Zusammenhang seiner Theologie mit dem Leben. Oft wenn er sich oder seine Freunde über den Tod theurer Kinder tröstete, pflegte er zu sagen: „Diese Liebe zu unseren Kindern, die Gott in unser Herz gepflanzt hat, ist uns ein Unterpfand von der Liebe Gottes gegen seinen eingeborenen Sohn und von seiner Liebe gegen uns; ein Gott, der solche Liebe in unser Herz gepflanzt hat, ist kein stoischer Gott, kein Gott der eisernen Nothwendigkeit.“

Ferner gerieth Melanthon mit jenen beschränkten Eiferern besonders in Kampf über die Lehre vom h. Abendmahl. Jener Richtung, welche Melanthon, wie wir gesehen haben, im Gegensatz gegen die Zwingli’sche Auffassung verfolgt hatte, war er immer treu geblieben; aber als das Wesentliche erschien ihm nur die wahrhafte Gegenwart Christi bei der h. Handlung als einer Vermittlung der wahrhaften übernatürlichen Gemeinschaft mit ihm festzuhalten. Von dieser Grundlage aus suchte er eine Ausgleichung des Streites, der die beiden Erscheinungsformen der evangelischen Kirche von einander getrennt hatte, herbeizuführen. Es war dieses durch die Wittenbergische Concordie im J. 1536, obgleich nicht auf die Weise, wie Melanthon, der vielmehr klare Verständigung über die Streitpunkte, als Verdickung des Gegensatzes wünschte, es gewollt hatte. Da Calvins Auffassung der Melanthon’sche sich näherte, konnte dadurch eine Ausgleichung desto mehr befördert werden. Aber durch jene Eiferer wurde der Streit schon in den letzten Jahren von Luther’s Leben von Neuem hervorgerufen, und dieses wurde nachher ein Hauptgegenstand des Streites. Melanchthon trug den Gedanken einer wahrhaften Union in sich, welcher damals noch keinen fruchtbaren Boden finden konnte. So sprach er sich aus in einem einige Monate vor seinem Tode geschriebenen Gutachten für den Churfürsten von der Pfalz auf Veranlassung der in Heidelberg ausgebrochenen Streitigkeiten: „Der Sohn Gottes ist gegenwärtig im Dienst des Evangeliums, und hier gewiß wirksam in den Gläubigen, und er ist gegenwärtig nicht um des Brodes, sondern um des Menschen willen;“ und er beruft sich auf die Aussprüche in den letzten Reden des Johanneischen Evangeliums über seine Gemeinschaft mit den Gläubigen. „Und in solchen Worten wahrhaften Trostes,“ sagt er dann, „bezeugt Christus, daß wir seine Glieder sind, und daß er unsere Leiber auferwecken wird.“ So sprach sich Melanthon aus, da er schon dem Ausbruch heftiger Stürme entgegen sah, durch welche die letzten Tage seines Lebens voll Mühe und Arbeit würden beunruhigt werden. Er war entschlossen, so sehr er auch den Streit zu vermeiden und die christliche Eintracht zu erhalten suchte, doch, was er als wahr erkannt hatte, nicht zu verleugnen, es koste was es wolle. Er sah schon der Verbannung entgegen. Seine wüthenden Feinde hatten gedroht, es solle kein Fuß breit Landes zur Ruhe ihm übrig bleiben. Unter diesen für Melanthon’s Gemüth so schmerzlichen und drückenden Streitigkeiten, unter so vielem Undank und so vieler Verkennung, die er zu erfahren hatte, erfüllte ihn in dem letzten Jahre vor seinem Tode ein besonderes Heimweh. Er sehnte sich mitten aus dem Streit in das Land des Friedens, aus dem Dunkel des irdischen Lebens, wo so viel gestritten wurde über das Verhüllte und nicht Verstandene in das Licht der unmittelbaren Anschauung. Eine tiefe Ahnung verkündigte ihm zum Trost, daß er bald dahin gelangen werde, erlöst aus den Zerwürfnissen des irdischen Lebens. So schreibt er im Mai des J. 1559: „Nicht ungern werde ich, wenn Gott es will, aus diesem Leben scheiden, und wie der Wanderer, der bei Nacht seinen Weg macht, begierig der Morgenröthe entgegensieht, so erwarte auch ich begierig das Licht der zukünftigen himmlischen Academie.“ „In jener himmlischen Gemeinschaft,“ schreibt er seinem Freund, „werde ich Dich wieder umarmen und erfreut werden wir dann über die Quellen der himmlischen Weisheit mit einander reden.“ Und im August desselben Jahres: „Ich denke täglich an jene letzte Reise und begierig erwarte ich jenes Licht, in welchem Gott sein wird Alles in Allem und fern sein werden die Sophistereien und die Verleumdungen.“ Die in diesem Brief enthaltenen Gedanken sprechen sich auch aus in den Worten, die Melanthon wenige Tage vor seinem Tode aufgeschrieben hatte und die man auf seinem Pulte fand, worin er die Trostgründe bei dem ihm bevorstehenden Abschied aus dem irdischen Leben sich vorführt, und darunter rechnete er, wie daß er befreit werde von der Wuth der Theologen, so daß er gelangen werde zur Anschauung Gottes und Christi und klar erkennen, was ihm hienieden verhüllt und verborgen war, warum wir gerade so erschaffen worden, wie die Verbindung der beiden Naturen in Christo beschaffen sei.

Aus der Zeit der letzten Krankheit Melanthon’s wollen wir etwas für den Mann und die Zeit Charakteristisches anführen. Der Herzog Albrecht von Preußen, der großmüthige Gönner aller derer, welche für Kirche oder Wissenschaft thätig waren, der mit Melanthon einen lebendigen Briefwechsel über Kirchen- und Staatsangelegenheiten unterhielt, er wünschte ihn damals durch ein Ehrengeschenk zu erfreuen, war aber ungewiß, ob er ihm lieber eine Summe Geldes oder etwas Anderes schenken sollte. Er trug Justus Jonas dem Jüngeren zu Wittenberg auf, ihm sein Gutachten darüber mitzutheilen. Dieser wandte sich an Melanthon’s Schwiegersohn, den churfürstlichen Leibarzt, Professor der Medicin und Geschichte, Kaspar Peucer. Derselbe sagte zu ihm, wie er in einem Brief an den Herzog anführt: „Ich wollte, daß Keiner meinem Schwiegervater Geld schenken möchte; denn wenn ihm Geld geschenkt wird, so hilft das weder ihm, noch seinen Kindern, denn er verschenkt es wieder. Ich sehe wohl, wie er thut, wenn seine Besoldung einkommt: da giebt er davon hinweg, so lange ein Heller da ist. Was dann in dem Haushalt fehlt, muß ich hinzuthun. Darüber werden wir alle beide nicht zu reich.“ Er rieth daher vielmehr, daß dem Melanthon ein Becher geschenkt werde. Und ein solcher hundert Thaler an Werth wurde darauf angeschafft; er traf aber ein, als Melanthon schon gestorben war. Vor seinem Tode am 19. April des J. 1560 ließ er sich mehrere seiner Lieblingsstücke aus der h. Schrift vorlesen, dieß waren der 24, 25 und 26ste Psalm, das 53ste Kapitel des Jesaias, das hohepriesterliche Gebet Christi und das 5te Kapitel des Briefes an die Römer. Es waren die letzten Worte, die er vernehmlich reden konnte: „Der Spruch Johannis ist mir immer vor Augen und im Herzen: Wie viele ihn aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an ihn glauben.“

A. Neander in Berlin

Evangelisches Jahrbuch für 1856 Herausgegeben von Ferdinand Piper Siebenter Jahrgang Berlin, Verlag von Wiegandt und Grieben 1862