Italien, das schöne gesegnete, vielfach von den Dichtern besungene Italien, hatte auch seine Zeit der geistigen Blüthe und nicht blieb es unberührt von dem Leben weckenden Hauche des Evangeliums. Daß nicht nur in Rom, sondern auch in dem übrigen Italien das Christenthum schon frühzeitig Wurzel gefaßt haben muß, geht unter andrem aus dem Gruße hervor, den der Verfasser des Briefes an die Hebräer seinen Lesern ausrichtet von denen „aus Italien“ (Hebr. 13, 24). Als dann später die Bischöfe zu Rom ihr Ansehen rings umher geltend zu machen suchten, und zwar meist auf Unkosten der übrigen, geschichtlich gleich berechtigten Kirchen, fehlte es in ihrer Nähe nicht an Solchen, die diesem Beginnen mit christlichem Freimuth sich widersetzten und die Unabhängigkeit von Rom zu bewahren suchten. So hat namentlich die Kirche von Mailand, der einst der große Ambrosius als Bischof vorstand, eine selbstständige Stellung, hinsichtlich ihrer gottesdienstlichen Gebräuche zu behaupten gewußt. So hat dann auch zu einer Zeit, als der Bilderdienst, das Reliquien- und Wallfahrtswesen in der abendländischen Kirche überhand genommen, ein italischer Bischof, Claudius von Turin gegen diese Mißbräuche redlich gekämpft, und zwar mit der Bibel in der Hand. Und wenn auch die Vorläufer der Reformation, die Waldenser, nicht auf diesen Claudius und auf die Thäler seines Bisthums zurückzuführen sind, wie man längere Zeit angenommen hat, so ist doch gewiß, daß jene frommen Leute, die als die „Armen von Lyon“ im 12ten Jahrhundert verfolgt wurden, auch in der Lombardei und in Oberitalien überhaupt sich festsetzten. Desgleichen finden wir unter den heftigsten Gegnern des Papstthums im Mittelalter einen Arnold von Brescia, dessen republikanische Ideen vielfachen Anhang in Rom selbst fanden und das Volk zu Schritten hinrissen, die allerdings über das Maaß evangelischer Berechtigung hinausgingen. Nicht zu gedenken der Katharer, der Brüder und Schwestern des freien Geistes, der Spiritualen, Fraticellen und anderer Secten, welche den Süden Europas vielfach beunruhigten. Es gährten aber sehr verschiedene Elemente durcheinander, welche erst bei reinerer Einsicht in das Gesetz der Freiheit sich scheiden sollten. Wenn nun auch das Licht der Wissenschaft allein nicht hinreichend ist, diesen Scheidungsprozeß zu vollziehen, sondern erst die göttliche Erleuchtung, welche von der christlichen Offenbarung ausgeht, den Sinn der Menschen auf die rechten, Gott wohlgefälligen Wege zu leiten vermag, so trug doch auch die wissenschaftliche Klärung, welche selbst von manchen Päpsten befördert wurde, dazu bei, eine Erneuerung der Kirche vorzubereiten. Und so wurde, nachdem das eigentliche Mittelalter seine welthistorische Aufgabe erfüllt, seine geistigen Kräfte erschöpft hatte, Italien das Land, von welchem eine neue, durch das Studium des klassischen Alterthums befruchtete Bildungsperiode eingeleitet werden sollte, die man gewöhnlich mit dem vielleicht allzu voll klingenden Namen einer „Wiederherstellung der Wissenschaften“ bezeichnet. Noch vor dem Untergang des byzantinischen Kaiserthums und der Eroberung Constantinopel durch die Türken (1453), in Folge dessen griechische Flüchtlinge die genauere Kenntniß der alten Litteratur ihres Volkes nach dem Abendlande brachten, hatten Kunst und Wissenschaft in Italien eine reiche Pflege gefunden. Wer kennt nicht die Namen eines Dante, Boccaccio, Petrarca! Und war es nicht zu Anfang des 15ten Jahrhunderts der gelehrte Laurentius Valla, der (nach der Aussage des gelehrten Erasmus) „die alte Litteratur aus ihrem Grabe erweckte und den alten Ruhm der italienischen Beredsamkeit wiederherstellte.“ Aber das nicht allein. Derselbe Gelehrte griff auch schon mit kühner Kritik die Echtheit jener Schenkung Constantins an, auf welche die Päpste ihren weltlichen Besitz gründeten und widersetzte sich trotz der Verfolgungen, denen er nicht entging, so manchen Vorurtheilen und Mißbräuchen der Zeit. Wie dann später ein Marsilius Pleinus, ein Johann Franz Pico, Graf von Mirandola, dessen Schriften Zwingli mit größtem Eifer studirte, das Studium der Philosophie unter den Gebildeten Italiens beförderten, während der fromm begeisterte, bis an das Schwärmerische streifende Dominikaner Girolamo Savonarola in Florenz als gewaltiger Bußprediger den Ernst der göttlichen Gerichte mit dem Nachdruck und der Autorität eines Propheten verkündigte, daran genüge zu erinnern. –
An wechselseitigen Berührungen zwischen Italien und Deutschland hatte es nie gefehlt, wie schon die ganze politische Geschichte des Mittelalters, wie der Kampf der Guelfen und der Ghibellinen, die Römerzüge der deutschen Kaiser, die Kreuzzüge und die großen Kirchenversammlungen zu Pisa, Costnitz und Basel es beweisen. Demnach war von dem neu erwachten geistigen Leben Italiens ein heller Schimmer über die Alpen gedrungen. Aber auch umgekehrt konnte die große Erhebung der Geister in Deutschland wider das gleichfalls aus Italien eingedrungene Verderben nicht lange ohne Rückwirkung auf dieses Land selbst bleiben. Mochten auch anfänglich die seltsamsten Gerüchte über das kühne Auftreten des Augustinermönches zu Wittenberg unter dem welschen Volke sich verbreiten, bald sollte die Meinung der Gebildeten auch über diese Vorgänge und über die eigentliche Tendenz der deutschen Reformation sich aufklären, indem die Schriften eines Luther, Melanchthon, Zwingli, Bucer und Anderer, wenn auch mehrentheils unter absichtlich veränderten Namen, ihren Weg nach Italien fanden, geschweige des lebendigen Verkehrs zwischen Italien und der ebenfalls in religiöser Gährung begriffenen Schweiz. Bald war keine bedeutendere Stadt Italiens, die nicht einzelne Freunde und Bekenner des Evangeliums zählte, von denen dann wieder eine weitere Wirkung auf die Massen ausging. So verbreitete zu Florenz Antonio Brucioli die heilige Schrift in der Landessprache; so predigte zu Bologna der Minoritenmönch Giovanni Mollio; zu Pavia sammelten sich die heils- und wißbegierigen Studirenden um ihren Lehrer Celio Secundo Curione; selbst bis nach Neapel und Sicilien verbreitete sich die neue, in der That aber alte Lehre der Reformation. In Neapel stand der edle Spanier Juan Valdez an der Spitze der Gläubigen, denen Bernhardino Occhino und Peter Martyr (Vermiglio) das Wort Gottes verkündigten; in Palermo finden wir als Prediger Benedetti Locarno, und auch in der kleinen Landschaft Lucca, am Meerbusen von Genua, wohin Peter Martyr von Neapel aus sich begeben, schaarte sich ein beträchtliches Häuflein von Christen, die durch ihn zu einer helleren Religionserkenntniß gekommen waren. Daß aber der Protestantismus der Italiener nicht etwa nur im Verneinen des bisher Geglaubten und im Verwerfen der alten Ueberlieferungen und Autoritäten bestand, sondern daß der positive Grund des Glaubens ihnen bewußt war, das geht zur Genüge aus der kleinen aber gediegenen Schrift hervor, welche 1542 in Venedig unter dem Titel: „über die Wohlthat Christi“, erschien, und als deren Verfasser uns Aonio Paleario von Siena genannt wird. Wie einfach klar und schriftgemäß und eben darum auch mit eindringender Ueberzeugungskraft die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben in diesem Büchlein entwickelt wird, davon können sich unsere Leser nun selbst überzeugen, nachdem dasselbe unverhofft, da man es schon durch die Inquisition gänzlich vernichtet geglaubt, wieder aufgefunden, und im Jahre 1855 von der Hand eines deutschen Theologen deutsch und italienisch herausgegeben worden ist.
Nach dieser allgemeinen Uebersicht über die reformatorischen Bewegungen in Italien lenken wir nun den Blick auf einen der kleineren Fürstenhöfe Italiens, an denen vielleicht mehr als irgendwo im Lande die um ihres Glaubens willen verfolgten Protestanten eine Zuflucht fanden, und zwar ist es hier eine edle Frau, deren wir als einer muthigen Freundin und Beschützerin des Evangeliums zu gedenken haben. Renata (Renoe) war die Tochter Ludwigs XII. von Frankreich und der Anna von Bretagne. Sie wurde geboren den 25. Oct. 1510 auf dem Schlosse zu Blois, woselbst ihre Mutter drei Jahre nachher starb. Sie erhielt eine ihrem hohen Stande gemäße Erziehung, und wenn auch das, was einige Schriftsteller von ihrer hohen und ausgebreiteten Gelehrsamkeit melden, etwas übertrieben sein mag, so war doch schon der Sinn für edlere Geistesbildung ein Vorzug, der um so schätzenswerther ist, als er hinter den noch höheren Vorzug einer frommen und tugendlichen Gesinnung zurücktrat. Schon frühzeitig hatten sich um die Hand der Prinzessin fürstliche Freier beworben. Sie war bereits an Karl von Oestreich, den nachmaligen Kaiser verlobt, als dieses Verhältniß sich wieder auflöste. Auch die nachgesuchte Verbindung mit dem protestantischen Kurfürsten Joachim von Brandenburg kam nicht zu Stande. Dagegen ward Renata an einen italischen Fürsten, Herkules II. von Este, Herzog von Ferrara und Modena, im Jahre 1527 verehelicht. Schon vor ihrer Verheirathung war sie durch einen jener Gelehrten, welche häufig an den Hof der berühmten Margarethe von Navarra (der Schwester Franz I.) kamen, mit den Lehren der Protestanten vertraut geworden und hatte ihnen ihr Herz geöffnet, und nun suchte sie diesen Lehren auch Eingang in ihrer neuen Heimath zu verschaffen. Ihr Gemahl, der weder durch seine geistigen Vorzüge, noch durch seine sittliche Haltung sich einer solchen Gattin würdig zeigte, ließ sie so lange gewähren, als politische Rücksichten es ihm erlaubten. So fanden denn auch zunächst ihre Landsleute, die um der Religion willen sich aus Frankreich geflüchtet hatten, ein Asyl am herzoglichen Hofe. Unter diesen bemerken wir im Jahre 1534 den berühmten Dichter Clement Marot, dem die französische Kirche die Uebersetzung und poetische Bearbeitung der Psalmen Davids verdankt. Ihn hatte die Gouvernante der Herzogin, die Frau von Soubise eingeführt und ihm die Stelle eines Secretairs verschafft. Mit ihm erschien sein Freund, Lyon Jamet. Selbst Calvin hielt sich einige Monate als Flüchtling unter dem angenommenen Namen Charles d‘ Heppeville, an dem Hofe zu Ferrara auf. Auch später unterhielt Renata briefliche Verbindungen mit diesem großen und ausgezeichneten Geiste. Aber auch italienische Gelehrte, die sich der Reformation zuwandten, fanden eine freundliche Aufnahme und konnten unter der Aegide ihrer Wissenschaft auch dann noch ungestört in Ferrara verweilen, als der Herzog, aus Rücksichten für den Kaiser und Papst die französischen Flüchtlinge, zum großen Schmerz seiner Gattin, weggewiesen hatte. Unter diesen Männern, welche durch ihre Anwesenheit dem Hofe zur Zierde gereichten, hoben sich hervor ein Celio Calcaguini und der schon oben genannte Eelio Secundo Curio (Curione); Lelio Giraldi, Bartolomeo Riccio, ferner Maucelli Palingenio, Marco Antonio Flaminio, S. Kilian und Johann Sinapi, und Fulvio Peregrino Morato, ein geborner Mantuaner und Vater der nachmals berühmten Olympia Morata. Mit dieser gemeinsam genoß die Tochter Renata’s, Anna, die nachmalige Gattin des Herzogs Franz von Guise, den Unterricht des gelehrten Vaters. War es doch in jener Zeit überhaupt nichts Ungewöhnliches, daß auch Frauen in der Litteratur der Griechen und Römer sich einführen ließen und ihre Dichterwerke auswendig lernten ja, gelegentlich in dramatischen Spielen darstellten. (So gaben während des Besuches, den der Papst Paul III. im Jahre 1543 zu Ferrara abstattete, die jungen Familienglieder des Herzogs, unter ihnen seine drei Töchter die „Brüder“ des Terenz zum Besten.) Auch die Mutter, Renata, schenkte den Arbeiten der gelehrten, sprach- und geschichtskundigen Männer ihre Aufmerksamkeit und diese Einsicht in die alten Sprachen und in die Geschichte des Alterthums trug ohne Zweifel auch ihre Frucht in Absicht auf eine genauere Erkenntniß der in der Bibel gegebenen Lehren und Geschichten. Wie weit nun diese christlichen Akademiker auch ihren protestantischen Glauben öffentlich bekennen, wie weit sie ihm in Predigt und Gottesdienst einen Ausdruck geben durften, läßt sich bei dem Mangel an Nachrichten nicht sicher entscheiden. Auch war der Grad ihrer evangelischen Ueberzeugungen selbst ein verschiedener; bei den Einen blieb es bei bloßen Sympathien, während Andere einen entschiedenen und zur Erkenntniß durchgebildeten Glauben an den Tag legten. So viel aber ist gewiß, daß die Hauptperson des Hofes, der Herzog selbst mit der religiösen Richtung seiner Gattin nicht nur nicht einverstanden war, sondern daß er sogar den Einflüsterungen Frankreichs nur allzu willig Gehör gab, als von dort aus ernstliche Versuche gemacht wurden, dem Umsichgreifen der evangelischen Lehre in Italien Einhalt zu thun. König Heinrich II., der Neffe Renata’s, sandte sogar seinen Großinquisitor, den Dominikaner Matthias Orry (Orriz) nach Ferrara, um daselbst gegen die Ketzerei zu predigen und den Herzog zur Verfolgung der an seinem Hofe sich aufhaltenden Protestanten zu ermahnen. Sollte doch sogar Renata gezwungen werden, die Controverspredigten des fanatischen Mönchs mit anzuhören! Allein vergebens. Sie blieb ihrem Glauben getreu auch dann, als man die Grausamkeit so weit getrieben hatte, sie ihrer Kinder zu berauben und sie selbst wie eine Gefangene aufs Strengste zu bewachen. Nach dem Tode ihres Gatten zog sie sich aus Italien zurück und lebte auf ihrem Schlosse Montargis, unweit Orleans, seit 1559. Auch hier hörte sie nicht auf, die Freundin und Beschützerin der verfolgten Glaubensbrüder zu sein. Oft speiste sie zu Hunderten an ihrer Tafel. Auch die Hebung dieser Gastfreundschaft sollte ihr jedoch verwehrt werden. Die dem Papst ergebenen Höflinge überredeten den König, daß in Montargis ein Komplot wider ihn angezettelt werde. Demnach erhielt Renata den gemessenen Befehl, ihre Gäste zu entlassen. Ja, ihr eigner Schwiegersohn, der Herzog von Guise erschien eines Tages mit bewaffneter Macht vor dem Schlosse und drohte dasselbe mit Kanonen beschießen zu lassen, wenn sie die Rebellen nicht ausliefere. „Sagt euerm Herrn,“ erwiderte sie den Abgeordneten des Herzogs, „daß ich selbst auf die Zinnen steigen und sehen will, ob er es wagen darf, eine Königstochter umzubringen.“ Bald nach dieser Scene nahm Guise ein trauriges Ende, indem er nach der Schlacht bei Dreux (1563) von einem fanatischen Protestanten, dem Edelmann Poltrot (Jean de Merey) mit vergifteten Kugeln, die dieser aus einem Verstecke nach ihm abschoß, getödtet wurde. Die Herzogin sprach in einem Brief an Calvin den aufrichtigen Abscheu aus, den sie gegen diese That empfand. Sie hoffte, daß ihr unglücklicher Eidam trotz seiner Verblendung gegen die evangelische Wahrheit, dennoch nicht zu den von Gott Verworfenen gehöre. Sie sprach diese Hoffnung unbefangen aus, auch auf die Gefahr hin, von ihren eigenen Glaubensgenossen des Mangels an religiösem Eifer bezichtiget zu werden. –
Nachdem nun auch der König in seinem eigenen Namen sie aufgefordert hatte, die Protestanten fortzuschicken und sie ihm vergebens Vorstellungen gegen diesen Eingriff in ihr Hausrecht gemacht hatte, wich sie endlich der Gewalt; aber auch noch im Scheiden gab sie ihren Schützlingen die zartesten Beweise ihrer Liebe, indem sie ihnen das Harte ihres Looses, so viel an ihr war, zu erleichtern suchte. Sie stellte ihre eigenen Kutschen und Wagen zur Verfügung der Wegreisenden und leistete ihnen allen möglichen Vorschub. Sie selbst blieb ihrer evangelischen Ueberzeugung unwandelbar getreu bis an ihr seliges Ende. Dieses erfolgte in Montargis den 12. Juni 1575.
Wir können nicht schließen, ohne überhaupt die Bemerkung zu machen, wie in den prüfungsvollen Zeiten des 16. Jahrhunderts, ähnlich wie in den ersten Jahrhunderten der Christenheit, es besonders den Frauen gegeben war, mit einem über die Schwäche ihres Geschlechts sich erhebenden Heldenmuthe die heiligsten Ueberzeugungen des Herzens auch da zu bekennen, wo die äußerste Gefahr mit diesem Bekenntniß verbunden war. Es ließen sich dafür zahlreiche Beispiele anführen, sowohl aus Italien, als aus andern Ländern der Christenheit. Aber auch schon das Interesse, welches die Frauen jener Zeit den theologischen Untersuchungen schenkten und die männliche Beharrlichkeit, womit sie sich, ohne darum gelehrt scheinen zu wollen, in solche Studien vertieften, reißt uns zur Bewunderung hin. Hören wir darüber das Zeugniß eines katholischen Augenzeugen, der noch im 17. Jahrhundert sich also vernehmen läßt: „Im gegenwärtigen Zeitalter bietet sich uns das bewundernswürdige Schauspiel von Frauen dar, deren Herz, sonst mehr der Eitelkeit als der Gelehrsamkeit ergeben, von der himmlischen Lehre tief durchdrungen ist. In Campanien, wo ich jetzt schreibe, kann der gelehrteste Prediger durch eine einzige Unterredung mit einer Dame noch gelehrter und heiliger werden. Auch in meinem Vaterland Mantua fand ich dasselbe und ich könnte mich mit Vergnügen bei manchen Beispielen geistiger Größe und inbrünstiger Andacht von Seiten der Schwesterschaft verweilen, von denen ich zu meiner nicht geringen Erbauung Zeuge wurde und welche ich selten bei den gelehrtesten Männern meines Standes angetroffen habe.“ So ein katholischer Italiener über die Italienerinnen seiner Zeit. – Wie ganz anders freilich jetzt! Und doch sind gerade in den letzten Jahren auch in diesem Lande merkwürdige Dinge vorgegangen, welche uns auf eine stille Bewegung der Geister schließen lassen, die, wenn einmal das Wort Gottes noch weiter sich Bahn gebrochen, gewiß ihre Frucht schaffen wird. Wie allen Landen, so kann auch diesem vielfach aufgeregten Lande nur der rechte Friede kommen von dem, von welchem Italiens großer Dichter gesungen:
„Nicht sprach zu seinen ersten Jüngern Christus:
Gehet hin und prediget der Erde Fabeln,
O nein! er gab wahrhaften Grund denselben,
Und dieser tönte so aus seinem Munde,
Daß kämpfend sie, den Glauben zu entstammen.
Im Evangelium Schwerdt und Schild geschaffen.“
(Dante, Paradies XXIX. B. 109-114)
K. R. Hagenbach in Basel
Die Zeugen der Wahrheit
Dritter Band
Piper, Ferdinand (Herausgeber)
Verlag von Bernhard Tauchnitz
Leipzig 1874