Perpetua

gest. 202.

Die römischen Kaiser selbst waren eine Zeit lang gegen das Christentum gleichgültig oder gar ihm geneigt. Aber die bestehenden Gesetze gaben die Christen der Willkür einzelner Statthalter preis. So zeigt uns die Geschichte der jungen Kirche nur wenige Zeiten und Länder, in denen nicht Märtyrerblut geflossen wäre. In Afrika brach eine Verfolgung im Jahre 202 aus. Da lebte Perpetua, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts in einer der Vorstädte Karthagos, aus edlem Geschlechte geboren und trefflich erzogen. Sie war etwa 22 Jahre alt, verheiratet und hatte ein säugendes Kind. Noch lebten die beiden Eltern und ein Bruder, ein anderer war frühe gestorben. Der Vater war Heide, die beiden Geschwister standen im Vorbereitungs-Unterrichte zur Taufe als Katechumenen.

Als die Verfolgung ausbrach, wollte der Vater die Tochter vom Christentum abwenden, Perpetua blieb aber standhaft. „Vater,“ sagte sie zu ihm, „siehst du dieses Gefäß?“ sie wies auf ein zur Erde liegendes Fass. „Kann man es wohl anders benennen als was es ist? Siehe, so kann auch ich mich nicht anders nennen, als was ich bin und bleibe: eine Christin.“ Der Vater bat, drohte – umsonst! Nach wenigen Tagen ließ sie sich taufen, und der Geist deutete ihr auf die andere Taufe: die Bluttaufe.

Bald darauf wurde sie eingezogen. Sie gestand, dass sie anfangs selbst ergriffen worden sei bei dem Anblick des finsteren Ortes; die furchtbare Hitze, die große Zahl der Gefangenen, die schlechte Behandlung von Seiten der Soldaten, zu all‘ dem die Besorgnis für das liebe Kind, wie hätte alles dieses nicht tiefen Eindruck auf sie machen sollen! Die Diakonen, die sie besuchten, erkauften ihr endlich größere Freiheit; sie durfte einige Stunden des Tags an einem freieren Orte zubringen, und diese Zeit benutzte sie, ihr Kind, das beinahe verschmachtete, zu säugen. Lange musste sie es also aushalten; endlich erlangte sie die Erlaubnis, ihren Säugling zu sich ins Gefängnis nehmen zu dürfen und jetzt fand sie sich wie neu belebt; „der Kerker,“ sagte sie, „wurde mir zum Palast.“

Einst, Nachts im Traume, sah sie eine goldene Leiter von wunderbarer Höhe bis zum Himmel reichend, aber so schmal, dass nur immer Einer allein hinansteigen konnte; an der Seite der Leiter waren alle Arten von Instrumenten befestigt; unter der Leiter aber lag ein Drache, der den Aufsteigenden Fallstricke legte und sie zurückzuschrecken suchte. Saturus, ihr Bruder, der damals noch nicht gefangen lag, aber später sich freiwillig überlieferte, stieg zuerst hinauf; er kam bis zur Höhe, da sprach er gegen die Zuschauenden gewendet: „Perpetua, ich warte deiner; aber sieh zu, dass der Drache dich nicht versehre!“ „Er wird mir nicht schaden im Namen des Herrn Jesu Christi,“ erwiderte sie. Das Untier, als ob es die Heranschreitende fürchte, erhob langsam sein Haupt; sie aber, die erste Stufe der Leiter ersteigend, trat ihm auf das Haupt und stieg nun hinan. Oben tat sich der Staunenden die unermessliche Weite eines Gartens auf und in Mitte desselben sah sie einen eisgrauen Mann sitzen, in der Tracht eines Hirten, der war groß und melkte die Schafe und um ihn her standen viele Tausende Weißgekleideter. Er erhob das Haupt, sagte mit einem Blick auf Perpetua: „willkommen, Tochter!“ rief sie zu sich und gab ihr von dem Käse, den er gemolken, ein kleines Stück; sie nahm es mit aneinandergefügten Händen und aß; Alle, die herumstanden, sprachen Amen! Auf den Laut dieser Stimme erwachte sie, noch essend an dieser, sie weiß nicht welcher Art von Süßigkeit. Was sie gesehen, das erzählte sie alsbald dem Bruder, und beide erkennen, dass ihnen Leiden bevorstehen und schöpfen nun keine Hoffnung mehr für diese Welt.

Bald darauf sollten sie verhört werden. Noch einmal kam der Vater, um die Tochter abwendig zu machen; er war vor Gram fast verzehrt. „Kind,“ rief er, „erbarme dich meiner grauen Haare, habe Mitleid mit deinem Vater, wenn ich noch wert bin, von dir Vater genannt zu werden. Habe ich dich mit diesen Händen bis zu dieser Blüte deines Lebens gebracht, habe ich dich deinen Brüdern vorgezogen, o, so mache mich nicht zur Schmach der Menschen! Schau deine Brüder an, deine Mutter, deinen Sohn, der nach dir nicht mehr leben kann. Lass den hohen Sinn fahren und bring uns nicht alle ins Unglück.“ So flehte der Vater und küsste ihr die Hand und warf sich zu ihren Füßen und nannte sie weinend nicht mehr Tochter, sondern Herrin. Wohl drang das ihr ans Herz, es schmerzte sie tief, dass ihr greiser Vater allein sich ihrer Leiden nicht freute; sie tröstete ihn und sprach: „Vater, es wird geschehen, was Gott will. Denn wisse, wir sind nicht in unserer Macht, sondern in der Hand Gottes.“ Der Vater schied von ihr in tiefem Leide.

Perpetua kam zum Verhör. Die Menge des neugierigen Volks war unermesslich, auch der Vater war wiederum da mit dem Enkel. „Erbarme dich des Kindes,“ rief er ihr zu; der Prokurator selbst mahnte: „Schone der grauen Haare deines Vaters, schone der Jugend deines Kindes, opfere dem Kaiser!“ Sie aber antwortete: „Nimmermehr!“ Und als sie der Prokurator befragte, ob sie eine Christin sei, sagte sie fest und entschieden „Ja!“ Nun wurde ihr Urteil gefällt: in den nächsten Festspielen sollte sie den wilden Tieren vorgeworfen werden. Freudig verließ sie den Richter, freudig betrat sie wieder ihr Gefängnis. Sie verlangte nach ihrem Kinde, das gewohnt war bei der Mutter zu sein, um von ihr gesäugt zu werden; aber der Vater verweigerte es. Von dieser Zeit an – Perpetua hielt es für eine liebreiche Schickung Gottes – verlangte das Kind nicht mehr nach der Mutter.

Nach wenigen Tagen kommt ihr plötzlich mitten im Gebete das Andenken ihres früher verstorbenen Bruders Dinokrates in den Sinn, sie erstaunt, dass dieses bis anjetzt noch nie der Fall gewesen und sie seufzt um ihn zum Herrn. In der Nacht in einem Gesichte sieht sie sofort diesen Bruder aus einem finsteren Ort, wo Viele beisammen waren, herausgehen, ganz erhitzt und lechzend vor Durst, mit schmutzigem Angesicht und von bleicher Farbe, mit der Wunde, die er hatte als er am Gesichtskrebse elend gestorben, allen Menschen ein Entsetzen. Zwischen ihr und ihm fand sich ein großer Zwischenraum, so dass die Geschwister nicht zu einander konnten. An dem Ort, wo Dinokrates weilte, stand ein Teich voll Wasser, der aber einen höheren Rand hatte, als dass der Knabe ihn hätte erreichen können. Dieser streckte sich aus, als ob er trinken wollte, aber er mochte nicht, weil der Rand zu hoch war; da erwacht Perpetua und erkennt, dass ihr Bruder leide; aber sie vertraut, dass ihr Gebet seinen Leiden abhelfen werde und sie betet nun Tag und Nacht für ihn mit Seufzern und Tränen. Nun hat sie wieder ein Gesichte, der Ort, den sie zuvor finster gesehen, ist ihr jetzt erleuchtet, und ihr Bruder rein am Leibe, gut gekleidet und behaglich. Wo die Wunde war, sieht sie nur noch eine Narbe, und der Rand des Teiches ist niederer, dass er nur bis zur Mitte des Knaben reicht; es stand auf ihm eine Schale mit Wasser gefüllt, der Knabe trat hinzu und fing an zu trinken, die Schale wurde nicht leerer und gesättigt ging er vom Wasser hinweg, um nach Art der Kinder fröhlich zu spielen. Da erwacht sie und erkennt, dass er aus der Strafe entlassen war.

Immer näher rückte der Todestag; noch einmal kam ihr Vater vom Kummer wie verzehrt; er raufte sich seinen Bart aus, warf sich auf den Boden, und tat also, dass es alle Kreatur bewegte. Perpetua trauerte für sein unglückliches Alter. – Soviel Gotteskraft ergriff selbst den Gefangenwärter; er ließ die Brüder und Schwestern sich gegenseitig besuchen und stärken, ja er selber wurde gläubig.

Den Tag vor dem Kampfe hatte Perpetua das dritte Gesicht. Sie sieht den Diakon Pomponius, der sie öfters besucht hatte, an der Tür des Kerkers. Er klopft heftig und sie geht heraus zu ihm und öffnet ihm; er hat ein weißes Kleid an mit Glöckchen behangen, und sagt zu ihr: „Perpetua, wir erwarten dich, komm!“ Da nimmt er sie an der Hand, und sie gehen durch raue, unebene Wege. Beim Amphitheater angekommen, führte er die Atemlose mitten auf den Kampfplatz und sagt: „fürchte dich nicht, ich bin bei dir und helfe dir streiten;“ darauf geht er von dannen, sie aber gewahrt ringsum eine ungeheure Volksmenge, und sie wundert sich, dass immer noch keine Tiere auf sie losgelassen werden. Da geht ein Ägypter, hässlich von Gestalt, gegen sie heraus, um mit seinen Gesellen gegen sie zu kämpfen; es kommen ihr aber auch edle Jünglinge zu Hilfe. Sie entkleidet sich zum Kampfe und wird wie ein Mann; die Jünglinge salben sie mit Öl, wie es der Brauch, den Ägypter aber sieht sie im Sande sich wälzen. Bald kommt ein Mann herzu von so wunderbarer Größe, dass er auch die Höhe des Amphiteaters überragte; sein Kleid ist schön; unter der Brust der Purpur zwischen zwei Gürteln, mit verschiedenen Glöckchen von Gold und Silber besetzt; er trägt einen Stab wie ein Kampf-Herold, und einen großen grünen Zweig voll goldener Äpfel. Nachdem er Stille geboten, sagt er: „dieser Ägypter, wenn er diese besiegt, wird sie mit dem Schwerte töten; wenn sie aber ihn besiegt, wird sie diesen Zweig erhalten.“ Darauf tritt er ab und der Kampf beginnt. Sie schreiten auf einander zu und der Gegner sucht ihr die Füße zu fassen, sie aber schlägt mit den Füßen sein Gesicht; sie wird in die Luft gehoben, aber sie schlägt ihn nun so, als ob sie die Erde stampfte. Sie ersieht darauf ihre Gelegenheit, schlingt, Finger in Finger, die Hände zusammen und fasst dem Gegner das Haupt, dass er aufs Angesicht fällt, und zertritt ihm den Kopf.

Das Volk beginnt zu rufen, und ihre Beschützer triumphieren; sie aber geht zum Kampfherold und empfängt den Zweig, und er küsst sie und sagt: „Tochter, der Friede sei mit dir;“ und im Triumphe geht sie nun hin zum Tore. Da erwacht sie und erkennt, dass sie nicht gegen die Tiere, sondern gegen den Teufel streiten müsse, aber sie weiß auch, dass ihr der Sieg zu Teil werde.

Dies sind die drei Gesichte, die Perpetua vor ihrem Hingang gesehen. Der Preis des Sieges und der Glorie ist dann in einem vierten Gesicht ausgelegt, das dem unterdessen gleichfalls verhafteten Saturus, ihrem Bruder, geworden. Sie hatten, so schien es ihm, ausgelitten und waren aus dem Fleische gegangen und wurden von vier Engeln, deren Hände sie nicht berührten, gen Morgen getragen; sie gingen aber nicht liegend, sondern aufgerichtet, als ob sie einen sanften Hügel hinanstiegen. Sie sahen nun das erste unermessliche Licht, und Saturus sagt zu Perpetua an seiner Seite: „das ist es, was uns der Herr verheißen; wir haben die Verheißung empfangen.“ Und wie sie weiter getragen werden von vier Engeln, öffnet sich ihnen ein weiter Raum gleich einem Lustgarten voll Rosenbäumen und allen Arten von Blumen; die Bäume sind hoch wie Zypressen, ihre Blätter aber rieseln unaufhörlich zur Erde nieder. Hier nun im Lustgarten empfangen sie vier andere Engel, herrlicher denn die ersten, und wie sie die Kommenden gewahrten, erweisen sie ihnen große Ehre und sagen den übrigen Engeln: „siehe, sie sind’s, sie sind’s.“ Abgesetzt von den vier ersten Engeln, die sie getragen, durchschreiten sie dann den Raum auf breitem Wege und finden dort die Vorangegangenen, die dieselbe Verfolgung erduldet; und sie fragen, „wo die Übrigen seien,“ und die Engel sagen: „kommt vorerst, tretet herein, und begrüßt den Herrn.“ Und sie kommen an einen Ort, dessen Wände waren als ob sie von Licht erbaut wären; und am Eingang stehen vier Engel, welche die Eintretenden mit weißen Gewändern bekleiden. Auch sie gehen bekleidet hinein, sehen ein unermessliches Licht und hören eine vereinte Stimme, die unaufhörlich heilig! heilig! heilig! rief. In Mitten des Orts aber sitzt ein alter Mann mit schneeweißem Haar, doch jugendlichem Antlitz, seine Füße sind bedeckt; vierundzwanzig Älteste stehen zu seiner Rechten und Linken und hinter ihm noch viele andere. Sie harren nun mit Verwunderung vor dem Thron; und die vier Engel heben sie auf und küssen ihn und er wirft es ihnen von seiner Hand zurück. Die übrigen Ältesten sagen: wartet! Und sie geben ihnen den Friedenskuss und sagen: geht hin und spielt! Saturus sagt darauf zu Perpetua: „Du hast nun, was du willst;“ sie aber erwidert: „Gott sei Dank! wie ich auch im Fleisch fröhlich war, so bin ich hier noch viel fröhlicher.“

Das sind die vorzüglicheren Visionen von Perpetua und Saturus, wie sie dieselben selbst beschrieben haben. Und es ging, wie sie gesehen hatten.

Es war alter Brauch, dass man denjenigen, welche den wilden Tieren vorgeworfen werden sollten, den Tag vor ihrem Tode eine Mahlzeit bereitete. Noch einmal sollten sie vollkommene Freiheit haben, sich des Lebens zu freuen und sich gütlich zu tun. Perpetua aber und ihre verurteilten Genossen – Männer und Frauen – feierten das Mahl der Liebe mit einander, und mahnten das Volk, das herzugelaufen, an das Gericht Gottes, und priesen ihre Fesseln.

Endlich war der letzte Tag gekommen; aber nicht als ob es zum Tode ginge, sondern in den Himmel, – mit solcher Ruhe und Würde zogen sie aus dem Kerker ins Amphitheater, und wenn sie zitterten, so zitterten sie nicht vor Bangigkeit, sondern vor Wonne. Angekommen an der Pforte, wollte man sie zwingen andere Kleider anzulegen: die Männer den roten Mantel der Priester des Saturn, die Frauen die weiße Binde der Priesterinnen der Ceres. Es war noch eine aus dem blutigen punischen Baalskultus erhaltene Sitte. Aber Perpetua trat dagegen auf im Namen der Übrigen. „Darum,“ sagte sie, „sind wir freiwillig hierhergekommen, damit wir unserer Freiheit nicht beraubt werden, darum geben wir unser Leben dahin, um dergleichen nicht tun zu müssen; das ist unser Vertrag mit euch.“ Der Tribun erkannte die Billigkeit der Forderung.

Perpetua lobte nun Gott, dass die Zeit gekommen, das Haupt des Ägypters zu schlagen. Drinnen im Amphiteater wandten sich die Verurteilten, die Männer, noch einmal an das versammelte Volk und bedrohten es mit dem Gerichte Gottes. Dem Hamilkar aber riefen sie fest und mutig zu: „Jetzt verurteilst uns du; dermaleinst aber wird Gott dich richten.“ Das gereizte Volk verlangte, dass sie gegeißelt würden; es geschah; sie aber frohlockten, nun auch dieses Teils der Leiden des Herrn gewürdigt worden zu sein.

Man ließ auf die Männer Leoparden, Bären und wilde Eber los. Perpetua mit ihrer Freundin Felicitas sollte von einer wilden Kuh zerrissen werden. Man hatte ihr die Kleider ausgezogen und sie in ein netzförmiges Gewand gehüllt. Aber ihre Verschämtheit machte selbst auf das Volk Eindruck und es wurden ihr wieder ihre Kleider angezogen. Beim ersten Stoß des Tieres fiel sie alsbald rücklings nieder; wie sie aber gewahrte, dass ihr Kleid zerrissen sei, suchte sie sich wieder zu verhüllen, mehr der Schamhaftigkeit als der Schmerzen eingedenk. Dann flicht sie die Haare in einen Bund zusammen, weil es nicht ziemte, dass ein Märtyrer mit fliegenden Haaren litte, damit es nicht scheine, als ob er in seiner Ehre trauere. Darauf erhob sie sich, trat zu ihrer Freundin und Leidensschwester Felicitas und reichte ihr die Hand zum Aufstehen und also blieben beide ruhig stehen. – Da sah sich selbst das rohe Volk bezwungen und man führte Perpetua mit ihrer Freundin in das Sanavivarische Tor zurück. Hier wurde sie von einem Katechumenen, Rustikus, der ihr treu anhing, in Empfang genommen und es war ihr, als ob sie so eben erst aus tiefem Schlaf erwachte. Sie wandte ihre Augen nach allen Seiten um. „Wann,“ fragte sie dann zum großen Staunen aller Anwesenden, „wann werde ich denn einmal jener wilden Kuh ausgesetzt werden?“ Und als man ihr erwiderte, es sei bereits geschehen, wollte sie es nicht glauben, als bis sie an ihrem Körper und Kleid die Spuren bemerkte. Nun ermahnte sie noch die Umstehenden: „Seid fest im Glauben, liebt einander, lasst euch durch unsere Leiden nicht einschüchtern.“

Junge Fechter gaben, so war es Brauch, denen, welche von den Tieren nur halb getötet waren, den Gnadenstoß mit dem Schwerte. Das Volk wollte sich an diesem Sterben weiden, Perpetua und ihre Leidensgefährten wurden wieder in die Mitte des Amphitheaters geführt. Sie gaben sich nun gegenseitig den Friedenskuss zum Abschied aus diesem Leben und machten sich bereit in aller Stille. Ein wenig schrie Perpetua auf, schnell aber führte sie dann selbst die zitternde Hand des Fechters an ihren Hals und lautlos empfing sie den Todesstoß.

So litt und starb Perpetua. Die Kraft des Herrn war in der Schwachen mächtig, die Rechte des Herrn behielt in ihr den Sieg. Als Felicitas im Kerker, eines Kindes genesend, über die Geburtswehen laut geschrien und der Kerkermeister ihr darüber gesagt hatte: „Wie willst du doch die größere Pein ertragen, wenn die geringere dir so nahe geht?“ erwiderte sie: „dieser Schmerz ist mein Schmerz, der andere aber der des Herrn, und der wird mir ihn tragen helfen.“ So war es; die Seele der Gemarterten floh, während der Leib blutete und brannte, in ihr innerstes Heiligtum hinüber in eine selige Stille, die von keiner Henkerfaust gestört und wo sie von keiner Qual berührt werden konnte. Im Leibe noch war die durch Christum befreite Seele gleichsam außer dem Leibe, dem Leiden der Zeit entnommen, aus dem irdischen Schmerz in die himmlische Wonne entzückt; des Todes Stachel war stumpf, mitten im Unterliegen rief der Geist in ihnen „Triumph!“

Aurelia

Aurelia ist eine jener Nebelgestalten, wie dieselben die Vorgeschichte der Einführung des Christenthums in verschiedenen Ländern häufig zeigt. Diese Gestalten wurden um so leichter zu Heiligen erhoben, je unbestimmter sie waren; die Phantasie übte leicht ihr frommes Spiel da, wo Niemand nähere Kunde zu geben im Stande war. Doch der Herr kennet die Seinen und wir gönnen ihnen den Himmel, wenn sie ihn aus Gnaden empfangen haben.

Von Aurelia wissen wir nicht Eine hervorstechende That, ja nicht Ein eigenthümliches Wort, sondern bloß den Namen und kaum etwas mehr. Die Legende erzählt: Aurelia sei eine der eilftausend Jungfrauen gewesen, die unter Anführung der Ursula von Rom nach Cöln am Rhein zogen, man weiß nicht recht wann? dort von den Hunnen unter Attila überfallen und wegen ihres Christenglaubens niedergemetzelt wurden. Aurelia aber habe Cöln nicht erreicht, sondern sei zu Straßburg erkrankt und gestorben. Diese Sage von Aurelia, Ursula und den 11 tausend Jungfrauen findet man schon im 6ten Jahrhundert erwähnt, aber erst im 12ten Jahrhundert wurde sie ausgeschmückt durch Gerlach, Abt von Deutz, und Elisabeth, Aebtissin von Schönau, und noch in der Mitte des 17ten Jahrhunderts schrieb der Jesuit Crombach in Cöln einen dicken Folianten zur Vertheidigung der Ursula und ihrer 11 tausend Gefährtinnen. Besonders in der Gegend von Cöln glaubte man fest an diese wahrhaft grandiose Dichtung, die es mit den Zahlen nicht genau nahm und die wohl ihren Grund in einem Unwissenheitsfehler bat, wie er im 9ten Jahrhundert sehr erklärlich ist, wo man nämlich die Inschrift: XI M. Virgines (11 Märtyrerjungfrauen) ins Ungeheure steigerte und daraus XI Mille Virgines machte.

Beim Wiedererwachen des Forschungsgeistes im 16ten Jahrhundert scheute sich der katholische Schullehrer zu Hagenau, der gelehrte Hieronymus Gebweiler nicht, diese Sache für eine lächerliche Fabel zu erklären. Spätere Kirchengeschichtschreiber als: Baronius, Balthasar Bebel in Straßburg, Mosheim, Grandidier u. s. w. stimmen vollkommen ein. Es fragt sich nun, was wissen wir von Aurelia? Da die 11tausend Jungfrauen nicht existierten, war sie wenigstens eine Gefährtin der Ursula? Auch dies beruht nur auf einem sehr unbestimmten und späten, zweifelhaften Zeugnis des Petrus de natalibus, der eine gewisse Aurea unter den 11 tausend Jungfrauen, als Tochter einer Königin von Sicilien nennt. Allein mag Aurelia die Gefährtin der Ursula gewesen sein, oder nicht, ihre Verehrung als Heilige ist in der Rheingegend uralt, muß also doch wohl einen geschichtlichen Grund haben. Als der heil. Gallus am Ende des 6ten Jahrhunderts nach dem freilich zerstörten Bregenz kam, fand er dort schon eine Aureliencapelle, zwar durch heidnische Bräuche entheiligt, die er aber wieder weihte; und Königshofen berichtet, daß bereits um das Jahr 500 außerhalb der Mauer der damaligen Stadt Straßburg eine Kirche zu Ehren der Aurelia erbaut ward. Das geschichtlich zu Erweisende mag etwa dieses sein: Aurelia war eine Römerin, darauf deutet ihr Name; ihr Leben fällt in die letzte Zeit der Römerherrschaft am Rhein; durch die Römer aber war das Christenthum zuerst unsern Vorfahren am Rhein, keltischen Stammes, bekannt geworden. Seit dem 9ten Jahrhundert findet sich Aurelia in unseren Martyrologien, Brevieren, Ritualbüchern als Jungfrau bezeichnet. Sie kam in Begleitung einiger gleichgesinnter Frauen (die Sage nennt Einbeth, Warbeth, Witbeth, deutschklingende Namen) in unsre Rheingegend. Sie mag durch irgend eine That oder ein Streben des Glaubens oder der Liebe dem Christenvolke werth geworden sein, also daß ihr Andenken die Zerstörung der ersten römischchristlichen Einrichtungen durch den Alemannensturm im 5ten Jahrhundert überdauerte. Sie soll an einem 15. October zu Ende desselben Jahrhunderts zu Straßburg gestorben sein. Ihr Sarg und Reliquien wurden in der Kirche St. Aurelien zu Straßburg aufbewahrt und wurden vom Volk als wunderwirkend verehrt. Zur Stärkung dieses Wunderglaubens wurde in späteren Zeiten allerlei Schauerliches erzählt, z. B. als einer den Sarg der Aurelia aufbrechen wollte, sei der Teufel in ihn gefahren, so daß er in seiner Wuth seine eigenen Hände und Füße aufgefressen; ein andermal war ein Haufe von Straßburger Bürgern, das Fest der heiligen Aurelia verachtend, am 15. October, dem Aurelientage, hinaus an die Rothe Kirche gegangen, um einen Graben vom Schlamm zu säubern, mehr als zwanzig derselben aber starben plötzlich. So suchte der Aberglaube von jeher die Menschen weit eher zu fürchten, als sie zu trösten.

Die Kirche St. Aurelien zu Straßburg stand lange Zeit außerhalb der Ringmauern und sagt Königshofen: „Was gar schön und luftlich und gemühtig von mitten wasser und weiden.“ Bischof Ruthard soll dieselbe um das Jahr 910 haben neu erbauen lassen und übergab das Patronat und die Gefälle derselben dem Stift St. Thomä. Bischof Heinrich von Bahringen und Papst Honorius III, bestätigten 1249 diese Schenkung.

St. Aurelien blieb nun die Pfarrkirche der Gärtner jenes Stadttheils. Diese nahmen in der Reformationszeit die evangelische Lehre mit heißem Eifer an. Martin Butzer ward ihr erster Prediger. Im Jahr 1524 wurde der Sarcophag der heiligen Aurelia aufgebrochen; man fand darin eine Menge Knochen, die nie zu einem menschlichen Körper gehört haben konnten. Die Knochen und der Sarcophag wurden weggeschafft und die Krypte zugeworfen. An die Stelle der alten baufälligen Kirche wurde in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine neue schöne, evangelische Kirche erbaut und im Mai 1765 eingeweiht; nur der alte Thurm steht noch zum Zeugnis für Aurelia. Heil dem, dessen Namen bleibt ewiglich, wenn auch seiner Werke hienieden vergessen wird! und wenn selbst unsers Namens auf Erden nicht mehr gedacht wird, so möge er doch im Himmel angeschrieben sein!

T. W. Röhrich in Straßburg.

Die Gattin des Apostels Petrus.

Wie Maria, die Mutter des Herrn, die schmerzensreiche Zeugin des Kreuzestodes ihres geliebten Sohnes sein mußte, und damit in vollem Maße das weissagende Wort des alten Simeon an ihr erfüllt wurde: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dringen“, so mußten von Anfang an auch die Frauen der Diener Jesu es erfahren, daß auch sie treffe Sein Wort: „der Jünger ist nicht über den Meister, haben sie Mich verfolget, so werden sie auch Euch verfolgen.“ „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir!“ Unter den neutestamentlichen Priesterfrauen soll nach der Erzählung des Kirchenvaters Clemens Alexandrinus die Gattin des Apostels Petrus eine Tochter des Aristobulus, des Bruders Barnabä, eine der ersten gewesen sein, welche den Märtyrertod starb. Denn da sie den Apostel auf seinen Missionsreisen begleitet (1 Kor. 9,5.) hatte, so ward sie noch vor ihm gefangen, eingezogen und zum Tode geführt; Petrus selbst aber soll sie auf diesem Gange getröstet und ihr zugerufen haben: Gedenke des HErrn, vergiß Seiner nimmermehr.“

Flavia Domitilla

Der heidnische Kaiser Domitianus hat durch seine entsetzliche Grausamkeit gegen die Christen aller Orten einen bösen Namen auf Erden zurückgelassen. Gegen ihn war Kaiser Nero, so schreibt ein Heide, wie ein Mädchen, das die Harfe spielt: ein andrer heidnischer Schriftsteller seiner Zeit nennt ihn das allergreulichste Thier, womit wir Christen noch heut zu Tage an das Thier, das aus dem Meere aufsteigt, und an das andere Thier, das von der Erde aufsteigt, unwillkürlich erinnert werden, wie davon St. Johannes im 13. Capitel der Offenbarung schreibt. Domitianus nannte sich nicht anders als Herr und Gott: je mehr er sich in seinen blutdürstig despotischen Eigenwillen verstrickte, desto hartnäckiger behauptete er seine Gottheit. Ein Kaiser von Gott verordnet zu sein, war ihm zu gering, er wollte als Gott selbst verehrt werden. Darum ließ er auch sein Bildnis überall in goldenen und silbernen Bildsäulen zur Anbetung aufrichten. Auch davon finden wir die Vorzeichen in der Offenbarung Johannis 13, 12. 15. Die meisten Unterthanen fügten sich dem kaiserlichen Gebote, und beteten das Thier an, um nicht getödtet zu werden, wie ebenfalls geschrieben steht. Aber die Christen, die wirklich Christen waren, konnten dem Kaiser nur geben, was des Kaisers ist: sie mußten Gott mehr gehorchen als den Menschen. Die nun standhaft blieben und dem Kaiser die Anbetung verweigerten, welche Gott allein gebührt, wurden theils gefangen genommen und auf wüste Inseln ausgesetzt, theils ertödtet. Damit sind wir wieder an das Wort erinnert, welches Johannes hörte und niederschrieb Offenb. 13, 10: „So Jemand in das Gefängnis wegführet, der wird in das Gefängnis gehen; so Jemand mit dem Schwerdte tödtet, der muß mit dem Schwerdte getödtet werden.“ Das ist dem Verfolger gesagt und zu allererst an dem Domitianus im J. 96 der christlichen Zeitrechnung wirklich in Erfüllung gegangen. Aber den verfolgten Christen ist gesagt: „Hie ist Geduld und Glaube der Heiligen.“

Ehe indessen Domitianus zu seinem Ende kam, hat er noch fürchterlich gewüthet. Alle, die ihn als Gott nicht anbeteten, wurden der Gottlosigkeit beschuldigt und auf diese Anklage verdammt. So verkehrt war der Welt-Sinn, daß die Christen, welche von der Gnade Gottes in Christo zeugten, von den Heiden, die ohne Gott waren, der Gottlosigkeit, der Gottesläugnung beschuldigt wurden. Abgötterei galt für Frömmigkeit, Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit für Gottesverläugnung.

Selbst seinen Schwestersohn, den Consul Flavius Clemens ließ Domitianus hinrichten um des christlichen Zeugnisses willen, welches als sträfliche Gleichgültigkeit gegen die Staatswürde ausgelegt ward. Auch die Frau des Consuls Flavia Domitilla wurde auf die Insel Pandateira verbannt: sie war ebenfalls eine Blutsverwandte des Kaisers. Wir wissen nicht, was weiter aus ihr geworden: aber der Herr weiß es. Wir erinnern nur daran, daß auch den Apostel und Evangelisten Johannes – entweder gleichzeitig, oder schon früher dieselbe Strafe getroffen hatte, als er auf die Insel Pathmos verbannt wurde, und zwar, wie er selbst schreibt (Off. 1, 9), „um des Wortes willen, und des Zeugnisses Jesu Christi.“ Aber das Elend wurde ihm reichlich vergolten durch die göttlichen Offenbarungen, deren er daselbst gewürdigt worden ist, an welchen wir nicht auslernen, an welche wir auch durch diese wenigen Mittheilungen erinnert worden sind. Den Apostel Johannes war übrigens noch hienieden die Freiheit und die Rückkehr beschieden.

Unter der grausamen Regierung des Kaisers Domitianus begegnet uns auch die Jungfrau Flavia Domitilla, die Nichte des Consul Flavius Clemens. Auch sie wurde um das Jahr 95 verbannt, und zwar weil sie eine Christin war, und Christum, ihren Herrn, nicht verläugnen wollte. Spuren ihrer Hütte in Pontus sollen noch lange hernach entdeckt und besucht worden sein. Es wird berichtet, daß sie später, und zwar im J. 102, von Pontus nach Terracina geschleppt, und daselbst, nachdem sie abermals den Namen des Herrn Jesu Christi standhaft und festiglich bekannt, mit ihren beiden Schwestern Euphrosyne und Theodora öffentlich verbrannt worden sei. Aber das ist nur eine unzuverlässige Sage, woran sich noch viele andere Zusätze angeschlossen haben: denn die Menschen können es nicht lassen, was Gott weislich verborgen hat, schon hienieden voreilig aufzuklären, was der schweigenden Stille befohlen ist, zu verlautbaren, und was von der Geschichte nur schlicht und einfach, kurz und enthaltsam erzählt wird, durch die Legende weiter auszuschmücken. Es geschieht oft aus guter Meinung und lebendiger Theilnahme, aber in Unverstand und Ungeduld.

Domitilla’s Geschichte ist besonders dadurch lehrreich und beredt, daß sie uns so gar wenig von ihr sagt. Sie bekannte, und ward verbannt: das ist alles was wir wissen: und solches geschah wo nicht zur Zeit der Offenbarung St. Johannis, doch einige Zeit hernach, noch vor dem Ende des ersten christlichen Jahrhunderts. – Domitilla die Jungfrau (20. April) gehört wie Domitilla die Frau (7. Mai) recht eigentlich zu den vielen Verborgenen, welche von der Geschichte eben nur genannt, oder auch nicht einmal genannt werden, aber in dem Buche des Lebens angeschrieben stehen, das einst wird aufgethan werden: durch sie sind wir an alle Verborgene aller Zeiten, an alle Stillen im Lande erinnert zur Mahnung. Johannes (Off. 14, 1-4) sah solcher Seelen vor dem Stuhle des Lammes hundert vier und vierzig Tausend, die den Namen Gottes des Vaters an ihrer Stirn geschrieben hatten, und ein neues Lied sangen, wie zu Harfentönen. Diese sind es, die unbefleckt und jungfräulichen Sinnes sind und folgen dem Lamm nach, wo es hingebet. Hier ist Geduld der Heiligen: hier sind, die da halten die Gebote Gottes und den Glauben an Jesum. – Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.

  1. F. Göschel in Berlin.

Agnes

Die heilige Agnes, durch ihren Namen schon als die „unbefleckte“ und „jungfräuliche“ gepriesen, prangt unter den Blumen des Märtyrergartens Gottes als die weiße Lilie, und gewährt durch den grellen Gegensatz ihrer zarten Jugend und des blutigen Looses, das ihr, der dreizehnjährigen schon, während der Diocletianischen Verfolgung beschieden war, vor Andern einen eben so erhebenden als rührenden Anblick. Römerin von Geburt, einem edeln Geschlecht entsprossen, hatte sie aus den Verkündigungen der verachteten Nazarener nicht so bald den Herrn Jesum, und in Ihm den Sohn des lebendigen Gottes und einigen Heiland der Welt erkannt, als sie auch mit jener ungetheilten, feurigen Liebe sich Ihm hingab, die nichts mehr weiß noch wissen mag, als Ihn, und alle Herzen Ihm glaubt erobern zu müssen. Wirklich gelang es ihr, ihrer Gespielinnen und Gefreundeten Viele mit dem Odem ihrer heiligen Begeisterung erwärmend anzuhauchen und Christo zuzuführen. Was Wunder, daß darob des Satans Neid entbrannte? – Schien doch durch die Zartheit des Gefäßes, welches das Himmelslicht umschloß, dem letztern ein nur um so siegreicherer und ungehemmterer Durchbruch in die Nacht des Heidenthums ermöglicht. Wie fein jedoch der Arge seine Netze spinnen und wie scharf er seine Pfeile schleifen mochte, der Takt der Unschuld erweist sich im immer feiner, und undurchdringlich ist der Schild des Glaubens.

Es währte nicht lange, als auch Agnes die Wahrheit des apostolischen Wortes erfuhr, daß “ Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, Verfolgung leiden müssen.“ – Der Vorgesetzte der Stadt, Symphronius nennt ihn die Ueberlieferung, dem der stille aber mächtige Einfluß der jungen Bekennerin mehr und mehr ernste Besorgnisse für die Religion des Staates einzuflößen begann, stellte ihr endlich, nachdem alle Ueberredungskünste an der Klarheit ihres Geistes, wie an der Festigkeit ihres Glauben gescheitert waren, unter feierlicher Geltendmachung seiner ganzen Amtsgewalt die Wahl, entweder durch ein den Göttern, und, falls sie es vorziehe, immerhin nur der jungfräulichen Minerva, dargebrachtes Opfer dem Christenthum förmlich zu entsagen, oder sich auf das Loos einer öffentlichen Preisgebung gefaßt zu halten.

Mit dem Gleichmuth einer Seele, die in den Händen Dessen sich geborgen weiß, der den Seinen verheißen hat, daß er sie behüten wolle „wie einen Augapfel im Auge,“ entgegnete Agnes: „Kenntest du den Herrn, dem ich diene, du muthetest Solches mir nicht zu. Ich verkünde dir, daß mein Herr weder bis zum Rückfall zu deinen Götzen mich verlassen, noch zugeben wird, daß man meines Kranzes mich beraube!“ –

„So weihe ich dich denn der öffentlichen Entehrung,“ herrschte der Präfekt, und ertheilte Befehl, daß man die Störrige an der Ecke einer volkreichen Straße ausstelle. Also geschah’s. – Da stand sie denn wie ein stilles Opferlamm, aber getrost in Gott. Und siehe, die Menge wogte still und ehrfurchtsvoll wie an einer Heiligen an ihr vorüber, und Niemand fühlte sich auch nur versucht, einen verletzenden Blick ihr zuzuwerfen. Zuletzt erfrechte sich ein loser Bube, mit frevelm Ansinnen der Jungfräulichen sich zu nähern; aber nicht allein wich er vor dem Glanze der Unschuld, der wie ein himmlisches Lichtgewand die Holdselige umfloß, beschämt und verwirrt zurück, sondern wurde auch in demselben Augenblicke wie von einem ungesehenen Blitz getroffen, und stürzte geblendet und halbentseelt zu Boden. Die Ueberlieferung meldet, daß er in Folge der Fürbitte der Agnes Leben und Augenlicht wieder erhalten habe.

Diese Thatsachen indeß vermochten die Erbitterung der Feinde so wenig zu beschwichtigen, daß sie vielmehr nur neues Oel in dies selbe gossen. „Hinweg mit der Zauberin! “ schrie die tobende Rotte um so ergrimmter, je mächtiger sich das Gefühl, besiegt zu sein, in ihnen geltend machte, und der Präfekt verurtheilte die Schuldlose als eine „Verächterin der Götter“ und „Verführerin des Volks“ zum Tode durch das Schwert. –

Der Henker naht. Freudig, als ging’s zu einem Ehrenthrone, wandelt sie zum Blutgerüste. – Der Dichter Prudentius, den wir aus seinem Lobgesange auf den heiligen Laurentius schon kennen, besang in seinem Buche „von den Siegeskränzen“ auch das Märtyrerthum der heiligen Agnes, und legt dieser in dem Momente, da der Mordstahl sich wider sie entblößte, folgende Werte in den Mund:

„Vor einem Werber, rauher Mann, wie Du,
Der mit dem Schwerte schreitet auf mich zu,
Der statt mit Salbenduft und Schmeichelwort
Mit finstrer Drohung mir sich naht zum Mord, –
Vor einem Solchen kommt kein Graun mich an,
Ja freudig will ich selber ihm mich nah’n.“.
Der Dichter fährt dann fort:

„Sie spricht’s, und während drauf zum Herrn sie fleht
In stillem, heißem, innigem Gebet,
Hält sie das Haupt gesenkt, damit es gleich
Empfange den ersehnten Todesstreich.“

Der schauerliche Streich erfolgte, und „Christus,“ – so sagt der heilige Ambrosius in seiner der Verherrlichung der heiligen Agnes gewidmeten Gedächtnißrede, – „Weihete sich die Jungfrau, schön geschmückt mit dem Rosenrothe ihres eigenen Blutes, in der zweenfachen Würde einer Bekennerin und einer geistlichen Braut.“ Prudentius singt von ihrem Tode also:

„Was sie gewünscht, erfüllt des Schergen Hand:
Es fällt der Streich, – Heil ihr! – sie überwand.
Schnell kam der Tod dem Todesschmerz zuvor.
Es ringt der Geist sich los und schwebt empor.
Sie sieht, wie Gottes Engel ihr sich nah’n
Und sie geleiten hoch auf lichter Bahn.
Sie schaut erstaunt den Erdkreis unter sich
Von Dunkel eingehüllt, – sein Glanz erblich!
Sie lächelt über allen Tand der Welt,
Und Alles, was der Sonne Strahl erhellt;
Was in der Dinge dunkelm Lauf entsteht,
Und in der Zeiten raschem Flug vergebt:
Tyrannen, Königreiche, Glanz und Pracht,
und Ehre, die den Thoren eitel macht;
Gold, Silber, was der Menge Gier erweckt,
Und oft das Herz mit Sünd‘ und Schuld befleckt;
Der Prachtgebäude stolze Herrlichkeit,
Der Prunkgewänder eitle Nichtigkeit;
Gefahren, Sorgen, Wünsche, Haß und Zorn,
Der Freude Rose mit des Schmerzes Dorn,
Des blassen Neides Fackel, deren Rauch
Die Hoffnung trübt, den Ruhm der Menschen auch;
Und, was der Uebel schrecklichstes: die Nacht
Des Heidenthums und seine finstre Macht.
Dies Alles sieht sie tief im Nebelmeer
Vergeh’n, und siegreich schreitet sie einher.
Ihr Fuß tritt auf des alten Drachen Haupt,
Der Alles, was der Erde Tand bestaubt,
Vergiftet und zuletzt mit jähem Riß;
Hinabstürzt in das Reich der Finsterniß.
Er liegt gebändigt vor ihr wie ein Lamm,
Und senkt des feuerspei’nden Hauptes Kamm,
Und hebt, besiegt, den Nacken nicht mehr auf.
Indessen schwebt sie höher noch hinauf:
Da schmückt der Herr mit einem Doppelkranz
Der jungfräulichen Martyrstirne Glanz:
Der eine beut ihr sechzigfachen Lohn
Für all das Leid, dem sie nunmehr entfloh’n,-
Und hundertfachen beut der andre dar
Im Reich des Lichts, in der Gerechten Schaar!“

Die Eltern der Agnes, durch sie dem Herrn zugeführt, wachten nachmals öfter ganze Nächte durch in wehmüthiger Erinnerungsfeier bei dem Hügel der Verklärten, und wurden daselbst einst, — so berichtet die kirchliche Sage, – eines lieblichen Gesichts gewürdigt. Eine Jungfrauenschaar in golddurchwirkten Lichtgewändern schwebte vor ihnen nieder, und unter den leuchtenden Gestalten erschien auch Agnes, ein weißes Lamm zu ihrer Seite. Als die überraschten Eltern zurückbeben wollten, redete Agnes mit holdem Ton sie also an: „Betrauert mich nicht länger als eine Todte; ihr seht ja, daß ich lebe. Freuet euch mit mir, und wünschet mir Glück, daß ich mit diesen Allen die Wohnungen des Lichts ererbte, und nun ewig Dem im Himmel vereinigt bin, den ich auf Erden von ganzem Herzen liebte.“ Sie sprach’s, und verschwand. Von da an ward es kirchlicher Brauch, die h. Agnes mit einem Lamm zur Seite abzubilden.

In der Mitte des vierten Jahrhunderts schmückte ein römischer Bischof das Grab der h. Agnes auf dem nach ihr genannten Gottesacker mit einer Marmorplatte. In der Nähe des Letztern wurde nicht lange nachher die Kirche St. Agnese erbaut, welche im Jahre 626 von Grund auf erneuert wurde, in dieser zweiten Gestalt aber bis heute erhalten blieb. Es werden in ihr am Feste der 5. Agnes, den 21. Januar, die Lämmer geweiht, die den Nonnen irgend eines Klosters zur Auferziehung übergeben, und aus deren Wolle dann die Pallien oder Amtsgewänder gewoben werden, welche die römisch-katholischen Patriarchen und Erzbischöfe von dem Papste erhalten.

Der der Agnes geweihten Kirchen und Klöster ist eine große Zahl. Unter den letzteren erwähnen wir nur dasjenige des Agnesberges bei Zwolle, dessen Geschichte Thomas von Kempen mit um so größerer Liebe beschrieben hat, mit je höherer Begeisterung er selbst die jungfräuliche Patronin vor vielen andern Heiligen verehrte und feierte.

Die H. Agnes veranschaulicht und besiegelt mit ihrem Vorbilde die Wahrheit des Herrnwortes. an den Apostel: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig;“ und steht im Heiligen-Chore der Kirche als Zeugin da für die Alles überwindende Macht des Glaubens auch im schwächsten Gefäße. Aus diesem Gesichtspunkt hat die Kirche von Alters her sie angeschaut und den Erlösten zum Trost- und Musterbilde aufgestellt. „Ihr Männer,“ ruft der ehrwürdige Altvater Ambrosius aus, „bewundert die Agnes; ihr Kinder verzagt nicht mehr, nachdem ihr sie gesehen; staunet sie an, ihr Vermählten; ihr Unvermählten eifert ihrem Vorbilde nach.“ – „Sehet einen Glauben hier,“ fährt er fort, „über die Jahre, eine Tugend über die Natur hinaus. Sie, die noch nicht weiß, was Sterben sei, ist schon bereit zum Sterben. Sie, die das Leben kaum gekostet, gibt es dahin, als hätte sie es schon erschöpft.“ – In einem Opfer habt ihr hier ein zweenfaches Märtyrerthum: das der Jungfräulichkeit und das des Glaubens. Wer ist des Lobes werther, als wer von allen gelobt werden kann und muß?“ So der heilige Ambrosius. Wir stimmen in seine Worte ein. Die heilige Agnes prangt als ein Stern lieblichsten Glanzes am Himmel nicht blos der römischen, sondern der allgemeinen christlichen Kirche.

F. W. Krummacher in Berlin.

Anna Askew.

Heinrich VIII. von England hatte im Jahr 1539 die sogenannten sechs Blutartikel erlassen, durch welche die Lehre von der Brodverwandlung, die Kelchentziehung, die Abhaltung der Seelenmessen, die Ohrenbeichte, die Ehelosigkeit der Priester und die Unauflöslichkeit der Keuschheits-Gelübde zum Glaubensgesetze in seinen Staaten erklärt werden. Jedes Zuwiderhandeln wurde zuerst mit Gefängniß geahndet, später durch Hinrichtung bestraft. Unter den vier Opfern, welche am 16. Juli 1546 auf dem Scheiterhaufen starben, befand sich auch die erst fünfundzwanzigjährige Anna Askew (auch Ascue geschrieben). Sie war im Jahre 1521 geboren, aus Lincoln, die Tochter einer angesehenen Familie und von ihrem Vater, welcher dabei mehr die äußeren Vortheile der Verbindung als der inneren Frieden seines Kindes im Auge hatte, frühe einem reichen Manne, Namens Lyon, zur Ehe gegeben. In dieser Ehe trat aber nur zu bald der Gegensatz der beiderseitigen religiösen Anschauungen hervor. Anna, von frommem Sinn und mit der Bibel vertraut, nach der Frauenerziehung ihrer Zeit auch wissenschaftlich gebildet, den theologischen Fragen, welche damals die Welt erschütterten, mit aufmerksamer Theilnahme zugewendet und für die lauteren Lehren der h. Schrift, welche sie in der Ursprache des N. T. zu lesen verstand, also für die reformatorische Bewegung, in deren Mitte sie lebte, gewonnen, fand an ihrem Gatten einen mißtrauischen Hüter des römischen Glaubens, einen heftigen Widersacher ihrer Stimmungen und Gefühle, man sagt sogar einen heimlichen Verräther bei der kirchlichen Obrigkeit. Jedenfalls verstieß er sie aus seiner Wohnung. Sie begab sich nach London und blieb dort eine Zeitlang durch die Verborgenheit beschützt, auch im Verkehre mit Personen, welche dem Hofe nahestanden und die Reformation begünstigten, man vermuthet sogar mit der Königin (Catharina Howard) selbst. Aber einmal entdeckt und wegen ihrer Zweifel an den römischen Lehren in’s Verhör genommen, gab sie freimüthige Antwort. Die Frage: warum sie nicht zugebe, daß der Priester aus der Hostie den Leib Christi hervorbringe, erwiderte sie dahin: sie habe wohl gelesen in der Schrift, Gott habe den Menschen hervorgebracht, nirgends aber, daß ein Mensch Gott hervorbringe. Auf die weitere Frage: was daraus entstehe, wenn eine Ratte das geweihte Brod verzehre, ließ sie sich zwar nicht ein; als aber der Lordmaire ausrief: die Ratte sei verdammt, konnte sie sich des lächelnden Seufzers nicht erwehren: arme Ratte! Dem Bischof Shaxton von Salisbury gegenüber, der sich selbst bisher zur evangelischen Wahrheit hingeneigt, aber auf Grund der sechs Artikel seinen Irrthum abgeschworen hatte, hielt sie unbefangen stand und rügte ihn sogar durch einen Hinweis auf den offenkundigen Wechsel seiner Ueberzeugungen und Bekenntnisse. Beharrlich weigerte sie sich, dem Befehl des Königs durch Nennung der Personen des Hofs, mit welchen sie in Verbindung stehe, Folge zu leisten. In den Tower geworfen, hatte sie nun die Folter zu bestehen. Als der mit Anwendung der Folter beauftragte Offizier Bedenken trug, zu den höheren Graden der Marterung aufzusteigen, riß der Kanzler des Gerichts die Henkerarbeit an sich und quälte die gelassene Dulderin so sehr, daß sie die Besinnung verlor. Aber mit dem Bewußtsein kehrte auch der starke Wille, ihrem Glauben die Ehre zu geben, zurück. Wegen ihres jämmerlich zugerichteten Befindens mußte man sie in einer Sänfte auf den Richtplatz tragen. Auch hier widerstand sie mit fester Würde dem Anerbieten der Begnadigung, das man ihr noch schriftlich darreichte, falls sie den Irrthum abwerfe und sich zum römischen Glauben bekenne. Ihre Antwort war: wie könnte ich meinen Herrn verleugnen? Die Flammen desselben Holzstoßes verzehrten das junge Weib neben drei aus demselben Grunde der Apostasie verurtheilten Männern: einem Priester, einem Handwerker und einem Offizier.

C. Grüneisen in Stuttgart.

Theodosia

Schon sah das römische Reich seine Götter vor dem Einen Menschensohne erbleichen, der am Kreuze die Welt überwunden hatte, als es noch einmal versuchte, den christlichen Glauben mit Gewalt zu vertilgen und alle Christen zum Götzenopfer zu zwingen. In Cäsarea, wo der Erstling aus den Heiden, der Hauptmann Cornelius, einst getauft worden, wo durch Origenes eine Pflanzschule christlichen Lebens und christlicher Erkenntniß sich erhoben hatte, war jetzt ein Hauptfeind der Christen, Urbanus, Landpfleger und suchte durch ausgesuchte Martern die Standhaftigkeit der Gläubigen zu überwinden, wurde aber öfter durch ihre Treue gegen den Herrn überwunden, und dies erbitterte ihn noch mehr. An einem Sonntag, am Feste der Auferstehung Christi, standen einige Bekenner vor dem Richterstuhl des Landpflegers, ohne in ihrer Treue zu wanken, obwohl im Angesicht des nahen martervollen Todes. Theodosia, aus Tyrus gebürtig, eine kaum achtzehnjährige Jungfrau, naht sich den Gebundenen freundlich, um sie zu grüßen und vielleicht auch sie zu bitten, daß sie nach ihrem Heimgange vor dem Herrn ihrer gedenken möchten. Da fassen sie die Diener, als hätten sie die Schuldlose bei einem Verbrechen ertappt, und schleifen sie zum Landpfleger. Dieser geräth vor Wuth fast außer sich und läßt ihr mit schauerlichen Martern die Brüste und Lippen bis auf die Knochen zerfleischen. Kaum kann sie noch athmen, aber ihr Angesicht bleibt heiter und holdselig, und so wird sie auf Befehl des Wütherich in die brausenden Meereswogen geworfen. Die übrigen Bekenner verdammt er zur Abführung in die Bergwerke. Dies geschah am 2. April im fünften Jahre jener letzten Verfolgung um 308 nach der Geburt des Herrn.

Bald darauf wurde Urbanus wegen vieler Vergeben von dem Kaiser Maximinus, für dessen Haß gegen die Christen er sich zum willigen Werkzeuge dargeboten hatte, bestraft. Maximinus selbst aber erlag im Jahre 313 den Waffen Constantins. Theodosia lebt heute noch fort in dem Andenken der Gläubigen: jeder wiederkehrende 2. April erinnert an sie als Jungfrau und Blutzeugin. Ihr Name bedeutet Gottesgabe.

H. F. Schmieder in Wittenberg.

Philippina Graveron geb. von Lüns.

Philippina von Lüns war aus Gafe im Perigueux (Gascogne) gebürtig. Von der Jugendzeit dieser edlen Christin wissen wir nur, daß, früh verheirathet mit einem Herrn von Graveron, sie mit ihm nach Paris ging, um sich dort der Kirche des Herrn, die sich im Geheimen gebildet hatte, anzuschließen. Sie war Allen ein Muster der Heiligkeit im Leben, ihr Gatte bekleidete das Amt eines Kirchenältesten in der Gemeine. Die Huguenotten versammelten sich in ihrem Hause und die Nachbarn hatten oft Psalmengesange daraus ertönen hören. Diese glückliche Ehe wurde bald durch den Tod getrennt. Als der Frühling des Jahres 1557 gekommen, nahm im Maimonat ein hitziges Fieber den Gatten hinweg und die Wittwe, erst 23 Jahre alt, zog die Kleider der Freude aus und legte Trauergewänder an; nach der Sitte ihres Landes waren dies aber weiße Kleider, welche auf die Freude des Wiedersehens in den hellen Wohnungen des Friedens hindeuteten, und es entfaltete sich bald in dem verwaisten Herzen eine andere bräutliche Liebe. Oft mag sie mit Sulamith im hohen Liede gebetet haben: „O nimm mich hin! Laß sterben mich zu Deinen Füßen den heil’gen Tod in sel’gem Büßen, zu ewig herrlichem Gewinn!“

In einer Herbstnacht (es war der 4. Sept. desselben Jahres) hatten sich die Reformirten, 400 an der Zahl aus allen Ständen, in einem Saale in der Straße St. Jaques hinter der Universität versammelt. Sie hatten das Mahl des Herrn gefeiert und der Geistliche über die Worte 1. Kor. 11 gepredigt. Um 12 Uhr, als sie sich zurückziehen wollten, hörte man auf einmal draußen gräßliches Geschrei; das Volk wollte die Thüren sprengen. Aufgeregt durch die verlorene Schlacht bei St. Quentin, schrien sie: „das Unglück des Landes sei der Huguenotten Frevel.“ Massen von Steinen hatten sie draußen gesammelt, um die Herausgehenden anzugreifen. „Es sind Mörder, Diebe, Feinde des Vaterlandes!“ schrien sie; „es sind Lutheraner!“ Alles läuft zu den Waffen. Die Wuth wächst im Volke, Furcht und Schrecken im Innern des Hauses. Die Kirchenältesten aber ermahnen zur Ruhe und besprechen die Frage: Ob sie bis zur Tageshelle sich dort halten wollen oder versuchen durch die Massen zu dringen? Mehrere Männer ziehen ihre Degen und wollen den Andern einen Weg öffnen. Dies gelingt – Viele entkommen. Nur einer wird durch Steinwürfe so entstellt, daß er kein menschliches Ansehen mehr hatte. Viele Andere, mit ihnen Philippina, mußten zurückbleiben, und da der Tag anbrach, wurden sie gefangen und durch das Volk geführt, welches über sie herfällt. Mit zerrissenen Kleidern, mit Koth beworfen, werden sie in scheußliche Kerker geworfen. Philippina von Lüns schmachtete ein Jahr in diesem Gefängnisse, in welchem man sie oft Psalmen singen hörte. „Herr, wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und elend. Die Angst meines Herzens ist groß. Bewahre meine Seele und errette mich. Laß mich nicht zu Schanden werden, denn ich traue auf dich!“ (Ps. 95.) „Meine Seele durstet nach dir, wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue.“ (Ps. 42.) Am meisten hatte sie von den Priestern zu dulden, welche sie zur päpstlichen Irrlehre zurückführen wollten. Sie blieb aber Siegerin in allen ihren Kämpfen. Eines Tages kamen die Verführer und fragten: „Glauben Sie nicht, daß die Hostie der wahre Gott ist?“ Da antwortete sie mit Freudigkeit: „Ob es denn ihr wahrhafter Glaube sei, daß ein solches Oblat der wahre Leib sei dessen, der Himmel und Erde in sich schließt, ein Brod, welches verwese, von Mäusen und Spinnen zerstört würde?“ Ja sie erzählte ihnen, obgleich mit Thränen im Auge, hierüber Thatsachen mit einer solchen Heiterkeit, daß man wohl sah, sie sei gar nicht durch Furcht und Leiden gebeugt. Bis jetzt hatte man ihr erlaubt, ihre Schwester zu sehen; da sie nun allein eingesperrt wurde, sagte sie: „Ich sehe wohl, daß mein Tod herannaht, und bitte flehentlich, daß man mir eine Bibel gebe zum Trost.“ Ihr Prozeß wurde rasch geführt, da die Richter sich ihrer Güter bemächtigen wollten. Calvin feuerte damals mit großem Eifer die deutschen Fürsten an, sich der bedrängten Glaubensgenossen anzunehmen. Die Vorstellungen der Fürsten aber kamen zu spät und waren fruchtlos. Aus dem Verhör der Märtyrerin erfährt man Folgendes: Die Nachbarleute, obgleich sie ihre Güte und christliche Liebe lobten, erzählten viel von den häuslichen Versammlungen, sagten, daß ihr Gatte keinen Priester bei seinem Sterben gehabt, es wisse Keiner wo er begraben sei, ob ihr Kind die Taufe erhalten, wisse man auch nicht. Nun mußte sie selbst im Gerichtssaal erscheinen. Die Richter fragten: „Glauben Sie an die päpstliche Messe?“ Sie: „Ich will nur glauben, was in dem Alten und Neuen Testament steht, an die Sakramente, welche der Herr eingesetzt: nicht habe ich gefunden, daß die Messe von ihm sei.“ Frage: „Wollen Sie das Sakrament der Hostie empfangen?“ Antw.: „Nur das will ich, was Christus befiehlt.“ Frage: „Wie lange ist es her, daß Sie nicht gebeichtet?“ Antw.: „Ich weiß es nicht mehr, täglich aber beichte ich meinem Gotte, wie er es geboten; eine andere Beichte ist nicht von Christo eingesetzt, da Er allein die Macht hat, die Sünde zu vergeben.“ Frage: „Was denken Sie von den Gebeten, welche an die Jungfrau und an die Heiligen gerichtet werden?“ Antw.: „Ich kenne kein anderes Gebet als das, welches Gott mich gelehrt; an ihn müssen wir uns wenden, an keinen Andern. Die Heiligen im Paradiese sind selig, das weiß ich wohl; aber zu ihnen beten, das will ich nicht.“ Frage: „Was glauben Sie von den Bildern?“ Antw.: „Ich will sie durchaus nicht verehren.“ Frage: „Von wem haben Sie diese Lehre?“ Antw,: „Ich habe das Neue Testament emsig gelesen.“ Frage: „Genießen Sie die Fleischspeisen am Freitag und Sonntag ohne Unterschied?“ Antw.: „Ich mag an diesen Tagen kein Fleisch essen, wenn ich den Schwachen ein Aergerniß bereite; das Wort Gottes stellt aber nichts fest und man kann jede Speise genießen, wenn man es mit Danksagung thut.“ Hierauf bemerkte man ihr, daß die Kirche dies Verbot gegeben, und was nicht an sich Sünde sei, würde es durch das Verbot der Kirche. „Ich glaube,“ antwortete Philippina mit Festigkeit und Umsicht, „an keine anderen Gebote und Verbote, als die Christus gegeben, und habe nichts im Neuen Testament gefunden von jener Gewalt, welche der Papst sich zuschreibt, Gebote zu geben.“ Hierauf bemerkte man wiederum: „die geistlichen und weltlichen Gewalten seien von Gott bestimmt, sein Volk zu regieren.“ Frau von Graveron antwortete: „sie glaube dies von den weltlichen Gewalten, die Kirche habe aber keine andere Gewalt, wie sie gelesen, als die Gewalt Christi.“ Frage: „Wer ist aber der oder die, welche Ihnen dies gelehrt?“ Antw.: „der Text des Neuen Testaments ist meine einzige Belehrung gewesen.“ An einem andern Tage wurde sie verhört über den Tod ihres Gatten und gefragt: „Ob sie ihn in ihrem Garten beerdigt habe?“ „Nein,“ sagte sie, „er ist nach dem Spital gebracht worden, um mit den Armen beerdigt zu werden (wie sie es durch einen Schein beweisen könne), doch ohne abergläubige Ceremonien.“ Darauf fragte man: „Ist es erlaubt, Gebete zu halten für das Heil des Verstorbenen?“ Antw.: „Ich glaube, daß der, welcher in dem Herrn entschlafen ist, durch sein Blut gereiniget ist und er keiner anderen Reinigung bedarf; es ist nach der Lehre des Neuen Testaments nicht nöthig, für die Verstorbenen zu beten.“ Man fragte weiter: „Ist’s nicht der Gebrauch in jenen Versammlungen, die Sie gehalten, nach der Predigt die Lichter auszulöschen?“ „Nein,“ gab sie zur Antwort, „sie sei nie in dem Fall gewesen, Aehnliches zu sehen.“ Alle diese Worte sind genau aus den Acten genommen.

Laßt uns nun einen Blick thun auf das glückselige Ende dieser Frau, die wir als unsre Schwester in Christo begrüßen und uns freuen, einst in der Herrlichkeit zu sehen. Am 27. Septbr. des Jahres 1558 wurden mehrere heilige Märtyrer verurtheilt. Nicht allein sollte sie sterben. Ein Greis, Nicolas Clivet, und ein junger Mann, Taurin Gravelle, welche beide Kirchenälteste waren und in jener Nacht gefangen wurden, sollten mit dieser Frau sterben. Alle drei wurden gefoltert und in eine Capelle des Gerichtshauses geführt, wo sie den glücklichen Augenblick ihrer Erlösung erwarteten. Wie gewöhnlich, kamen dorthin Priester, um die Verurtheilten in ihrem Glauben unsicher und irre zu machen. Ihre Mühen waren eitel. Da sie fest und entschieden blieben bis an das Ende, wurden sie ein jeder auf einen Karren gesetzt, um zur Richtstätte geschleppt zu werden. Der Greis Clivet, der ein Schullehrer in der Provinz gewesen und dort schon im Bilde verbrannt worden war, rief ohne Unterlaß den Versuchern zu: „er habe nichts Anderes als Gottes Wahrheit vertheidigt und könne Alles durch das Ansehen des heiligen Augustinus vertheidigen.“ Die heldenmüthige Frau, da ein Priester zu ihr kam mit dem Verlangen, sie solle beichten, antwortete: „Ich beichte beständig im Herzen meinem Gott und bin der Vergebung meiner Sünden gewiß. Er allein kann mir Absolution geben.“ Einige Räthe des Gerichtshofes baten, sie möchte ein hölzernes Kreuz in die Hand nehmen, wie es die Verurtheilten zu thun pflegten, der Herr wolle ja, daß wir alle unser Kreuz tragen. „O meine Herren,“ antwortete sie, „Sie haben mir ja schon ein Kreuz aufgelegt, indem Sie mich ungerecht verurtheilt haben und mich in den Tod schicken für den guten Streit unsers Herrn Jesu Christi, der nie von jenem äußerlichen Kreuz gesprochen hat.“ Der junge Gravelle, ein Jurist und Advocat in Paris, und, obgleich jugendlich, Kirchenältester wegen seines ausgezeichneten Wandels, hatte ein fröhliches Aussehen mit frischer Farbe und erklärte, daß seine Verurtheilung ihm gar sehr recht sei. Ein Freund trat heran und fragte ihn: „Zu welcher Todesart bist du durch den Spruch der Richter verurtheilt?“ Da sprach er: „Daß ich sterbe, weiß ich wohl; wie ich sterbe, ist mir gleich, denn ich weiß wohl, daß Gott mir in jeder Qual beistehen wird.“ Als er aus der Capelle getreten war, hatte er gesagt: „Herr, mein Gott, sei meine Hülfe!“ Da er erfuhr, daß der Gerichtshof verlange, man solle ihnen die Zunge ausschneiden, reichte er die seine rasch dem Henker dar. „Ich bitte euch, betet zu Gott für mich!“ waren seine letzten Worte. Als man nun die junge Frau aufforderte ihre Zunge darzureichen, that sie es freudig mit den Worten: „Ich trauere nicht um meinen Leib, wie sollte ich es meiner Zunge wegen thun! Nein, nimmermehr!“ Also angethan, verließen sie nun alle drei das Richthaus. Die feste Beharrlichkeit des Gravelle war wunderbar schön zu sehen; seine beständigen Seufzer und seine Blicke waren gen Himmel gerichtet und zeigten die Gluth seiner Liebe. Der Alte hatte auch stets den Blick nach Oben, aber schien trauriger als die Andern, denn er war schon durch das Alter gebeugt und von Natur blaß und schwächlich; die junge Märtyrerin aber schien sie alle an Kraft zu übertreffen, denn ihr äußeres Ansehen war gar nicht verändert; sie saß auf ihrem Karren und ihr Angesicht glänzte in wunderbarer Schöne. Die Trauerkleider hatte sie für diesen Tag abgelegt und ein sammtnes Baret auf dem Haupte, mit dem andern Schmuck der vergangenen Zeit angethan, um ihren Triumph zu bezeichnen und die Freude, mit ihrem Bräutigam Jesus Christus vereinigt zu werden. Auf dem Platze Maubert angekommen, wurden alle drei verbrannt. Die beiden Männer lebendig, die junge Frau erdrosselt, nachdem man ihr das Gesicht und die Füße mit Fackeln angebrannt hatte. Noch größer scheint uns ihr Sieg, wenn man erwägt, daß sie sich von ihrem kleinen Kinde trennen mußte. Und ein Geschichtschreiber jener Zeit bemerkt mit Recht, daß der heilige Geist an diesem Tage seine Kraft bewies in der Jugend, dem Alter und dem schwachen Weibe. Er besiegte die Lebenslust des jungen Mannes, die Hinfälligkeit des Alten und die natürliche Schüchternheit des Weibes.

O nimm mich hin!
Laß, ob die Feinde mich umringen,
Mich deine Siegeskraft durchdringen,
Du König und ich Streiterin.

Nicht fruchtlos war dies Beispiel der Treue und des Heldensinnes: es wurde dieses Blut für die Wahrheit der Same der reformirten Kirche zu Paris, die im kommenden Jahre (1559) ihr herrliches Glaubensbekenntniß aufsetzte, welches 1561 öffentlich in Frankreich anerkannt wurde.

Wir blicken gewöhnlich in der Reformationszeit auf die Großen hin, die einen Namen in der Geschichte haben. Die Königin Margaretha von Navarra und ihre heldenmüthige Tochter Johanna von Albret, Mutter Heinrichs IV., sind bekannt, Coligny und viele Andre: aber diese edle Blutzeugin für Jesus Christus war bis jetzt unter uns vergessen. So wie am Abhange hoher Felsen manche schöne Alpenpflanze blüht, von keinem Auge je gesehen; so glänzt viel Edles und Gutes im Stillen, nur von Gott und den heiligen Engeln erkannt, aber in einer anderen Zeit wird Alles offenbar und das Unbekannte und Kleine wird glänzen wie das Große. Darum spricht der Herr: „Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!“

P. Henry in Berlin

Anna Asceya

Die sechs Blut-Artikel, welche König Heinrich VIII. im Jahre 1539 aufgestellt hatte, hatten bei seiner Härte und Grausamkeit zur Folge, daß auf beiden Seiten, Anhänger des Pabstes und Anhänger der Reformation den Tod leiden mußten. Zu den letzteren gehörte auch unsere fromme und gottselige Anna Askew.

Von ihrer Geburt und ihrem früheren Leben und Wirken wissen wir wenig. Nur, daß sie aus altem, adligen Geschlecht in der Grafschaft Lincoln abstammte, von ihren Eltern ihrem Stande und den damaligen Bildungsstufen gemäß erzogen wurde, und durch Gaben des Verstandes, Klugheit, Ueberlegung, Charakterfestigkeit und aufrichtige, herzliche Frömmigkeit sich auszeichnete. Sie hatte die englische Bibelübersetzung in die Hände bekommen, fleißig darin gelesen und geforscht und sich einen reichen Schatz evangelischer Erkenntniß angeeignet. Es war im März 1546, als sie 25 Jahre alt, den Befehl erhielt, vor der damals vom Könige eingesetzten inquisitorischen Glaubenscommission zu erscheinen. Sie hatte vor ihr zwei Verhöre zu bestehen, welche sie selbst nachher in ihrem Gefängniß für ihre Freunde und Angehörigen genau beschrieben hat, und in welchen sie die Klarheit, Gewandtheit und Sicherheit ihrer Ueberzeugung hell leuchten ließ.

In dem ersten Verhör wurde sie zunächst von einem Inquisitor Cbristophorus Daire ausgefragt nach gewissen Personen, welche in den Verdacht der Ketzerei gekommen wären. Dann wurde ihr die Frage vorgelegt, ob sie an das Sacrament in der Monstranz glaube, daß es der wahre und natürliche Leib Jesu Christi sei? Sie entgegnete: er möchte ihr erst sagen, aus welcher Ursach der heilige Stephanus sei gesteinigt worden? und da jener erwiderte: er wisse es nicht, sprach sie: dann will ich auch auf eure nichtige Frage nicht antworten. Interessant ist das weitere gegenseitige Gespräch; nirgends zeigt sie eine Spur von Verlegenheit, überall vielmehr große Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit. Der Richter: „Es hat ein Weib uns angezeigt, daß du an einem Orte gelesen hast, daß Gott nicht in Häusern von Menschenhänden gemacht seine Wohnung hätte.“ Anna berief sich auf Stephanus und Paulus Erklärung Ap. Gesch. 7,48 und 17,24. Der Richter verlangte darauf ihre Erklärung über diesen und jenen Spruch; sie antwortete: „Man muß die Perlen nicht vor die Säue werfen, sie fressen auch wohl Eicheln.“ Der Richter: „Wer hat dich also reden gelehrt, daß du lieber fünf Verse in der heiligen Bibel lesen wolltest, als in der Kirche eben so viele Messen hören?“ Anna: „Ich stelle das nicht in Abrede; doch will ich’s nicht verstanden haben von den Evangelien und Episteln, welche bei der Messe aus Gottes Wort genommen werden: aus dem Vorlesen und Betrachten der heiligen Schrift empfange ich Besserung und Erbauung, aber aus der Messe nicht, wie Paulus 1 Corinth. 14 bezeugt: „So die Posaune einen undeutlichen Ton giebt, wer will sich zum Streit rüsten?“ Richter: „Was hältst du von der Beichte?“ Anna: „Eben das, was der Apostel Jacobus davon lehrt 5,16, daß Einer dem Andern solle seine Sünde bekennen und Einer für den Andern bitten.“ Richter: „Hast du auch den Geist Gottes?“ Anna: „Wenn ich ihn nicht hätte, so wäre ich auch nicht Gottes und müßte unter die Zahl der Verworfenen gerechnet werden.“ Richter: „Ich habe einen Priester mitgebracht, der soll dich examiniren.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so trat schon der im anstoßenden Zimmer anwesende Priester herein und fragte Anna nach dem Hauptpunkt der Anklage, nach ihrer Meinung vom Sacrament des Altars. Da Anna merkte, daß er ein Papist war, bat sie ihn, daß er nicht in sie dringen möchte, ihm eine bestimmte Antwort hierüber zu geben. Da bestürmte sie der Ketzermeister mit der Frage, was sie von den Seelenmessen hielt, ob sie den abgeschiedenen Seelen einige Hülfe oder Trost bringen könnten? Anna Askew antwortete fest und bestimmt: „Wenn Einer sein Vertrauen auf die Messen mehr setzte als auf das Blut Christi des Sohnes Gottes, der für uns gestorben ist, so wäre das eine Abgötterei und schreckliche Gotteslästerung.“ – Nach diesem Verhör schleppte man sie zum Ortsvorsteher, welcher von neuem zu inquiriren anfing, insbesondere, wenn eine Maus von dem gesegneten Brode esse, ob sie dann Gott esse oder nicht? Anna konnte nur lächeln über diese thörichte Frage. Als aber vollends des Bischofs Kanzler sie mit rauhen Worten anfuhr, wie sie als Weib dazu käme, daß sie von Gottes Wort und heiliger Schrift reden wollte, da doch Paulus den Weibern von der heiligen Schrift zu reden verboten habe, gab sie zur Antwort: „Des Apostels Meinung ist mir nicht verborgen: nämlich daß die Weiber in öffentlicher Versammlung nicht reden sollen, wie die Männer, welche die Gemeinde zu lehren den Auftrag haben;“ und fragte kühn: „Wie viele Weiber er sein Lebtage hätte auf die Kanzel treten und predigen gesehen?“ und als der Kanzler bekennen mußte: nie eine, schloß sie die Verhandlung mit den bestimmten Worten: „Nun, dann verdammet doch die armen Weiber nicht mit Euerem unzeitigen Urtheil, während das Gesetz sie losspricht.“ Darauf befahl der Ortsvorsteher sie ins Gefängniß zu führen, wo innerhalb 12 Tagen sie Niemand von ihren Freunden besuchen durfte.

Am 23ten März kam einer ihrer Vetter zu ihr ins Gefängniß, sie zu besuchen, und fragte sie, ob sie nicht durch eine Bürgschaft aus ihrem Gefängniß sich möchte befreien lassen. Als sie ihre Einwilligung gegeben, begab er sich sofort zum Ortsvorsteher, sein Gesuch anzubringen. Der war auch sofort bereit, wenn der Bischof Bonet dazu die Erlaubniß geben würde. Den 2ten Tag darauf vor den Bischof geführt, wurde sie von diesem und seinen Assistenten von neuem vermahnt, Alles zu gestehen, was sie auf dem Herzen hätte. Anna erwiederte, es sei nichts in ihrem Herzen verborgen, das sie nicht offenbaren könnte; denn sie hätte ein ruhiges und gutes Gewissen und wüßte von keinem Anliegen oder nagenden Wurm im Herzen. Bonet: „Gleichwie ein erfahrener Wundarzt kein Pflaster auf eine Wunde legt, er wisse denn zuvor, wie groß und tief die Wunde sei, so kann ich auch dir keinen Rath geben, ehe denn du mir die Wunden und Krankheiten deines Gewissens geoffenbart hast.“ Anna: „Ich bin mir gottlob nichts Böses bewußt; es wäre daher sehr verkehrt gehandelt, wenn man auf eine gesunde Haut ein Pflaster legen wollte.“ Dann hielt er ihr die früheren Anklagen vor, worauf sie die früheren treffenden Antworten wiederholte. Endlich fragte er sie direct: „Was ist denn dein Glaube vom Sacrament?“ Anna: „Ich glaube, was mich die heilige Schrift davon lehret.“ Bonet: „Wie? wenn die heilige Schrift lehrete, es wäre der Leib Christi?“ Anna: „Alles, was die heilige Schrift lehret, das glaube ich!“ Bonet: „Wie? wenn dann die heilige Schrift sagte, es wäre nicht der Leib Christi?“ Anna: „Ich folge durchaus und allein der heiligen Schrift.“ Endlich fragte er, wie es denn käme, daß sie mit so wenigen Worten antwortete? Anna: „Es ist mir gegeben die Gabe des Verstandes, aber nicht die Gabe, viele Worte zu machen, und was du an mir tadelst, das lobt der König Salomo in seinen Sprüchen: daß ein vernünftig Weib, das wenig und bescheiden rede, eine besondere Gabe Gottes sei.“

Nach einigen Tagen wurde ein zweites, fünfstündiges Verhör mit ihr angestellt und sie unter andern vorzüglich nach ihrem Glauben vom Abendmahl befragt. Sie antwortete: „Ich glaube, daß, so oft ich in geistlicher Versammlung das Sacrament des Leibes und Blutes, zum Gedächtniß des Leidens und Sterbens Christi, mit Danksagung nach seiner heiligen Einsetzung brauche, ich zugleich theilhaftig werde der Frucht des heilsamen Leidens unseres Herrn.“ Der Bischof verlangte nun, sie sollte deutlicher reden und nicht viele Umschweife machen. Anna: „Ich kann kein neues Lied dem Herrn singen im fremden Lande.“ Bonet: „Du redest in Parabeln und Gleichnissen.“ Anna: „Ich muß also mit dir reden; denn wenn ich rund heraus dir meine Meinung sagte, so würdest du mir doch nicht Glauben schenken.“ Darauf nannte er sie einen Papagei, worauf sie sprach: „Ich bin bereit, nicht allein deine Scherzreden mit Geduld zu ertragen, sondern auch alles Andere, was du ferner wider mich vornehmen wirst.“ – Am andern Tage wurde das Verhör fortgesetzt. Unter andren verlangte der Bischof von Winton, sie sollte bekennen, daß das Sacrament der Leib Christi sei mit Fleisch, Blut und Beinen. Anna: „Es ist eine große Schande, daß ihr mir rathet, etwas zu sagen, was ihr selbst nicht für wahr haltet.“ Darauf sagte derselbe: er wolle freundlich und vertraulich mit ihr reden. Anna: „Ja, wie Judas, als er Christum verrathen wollte.“ Zuletzt legten sie ihr eine Schrift über das Sacrament zur Unterschrift vor, sie aber verweigerte es aufs bestimmteste. – Der folgende Tag war ein Sonntag. Anna Askew fühlte sich sehr schwach und bat, daß man ihr den Dr. Latimer zuschicke, um sich mit ihm auszusprechen; es wurde ihr abgeschlagen. Vielmehr führte man sie ins Gefängniß Newgate.

Nach jenen Verhören verkündigte man ihr, daß sie eine Ketzerin sei und nach dem Gesetz zum Tode verdammt, wenn sie halsstarrig auf ihrer Meinung beharrte, Sie antwortete: „Nein, ich bin keine Ketzerin.“ Darauf wollte man von ihr wissen, ob sie nicht läugne, daß der Leib und das Blut Christi im Sacramente sei? Anna: „Das läugne ich ganz und gar; denn der Sohn Gottes, aus Maria geboren, regiert nun nach unseres christlichen Glaubens Bekenntniß im Himmel und wird von dannen wiederkommen zum Gericht, wie Er hinauf gefahren ist. Ich läugne nicht, daß dieses Sacrament mit gebührender Ehrerbietung soll begangen werden; aber weil ihr mit eurem Aberglauben übers Ziel schreitet und es zu einem Gott machet, und ihm göttliche Ehre beweiset, sage ich dagegen: das sei nur Brod, und bekräftige solches mit diesem Wahrzeichen. Wenn ihr diesen euern Gott drei Monate lang etwa in einem Kasten aufhebet und liegen lasset, so wird er schimmlich und verfaulet, wird endlich ganz und gar zu nichte, und ist also ein Gott, der längstens drei Monate währen kann.“ Nachher boten sie ihr einen Priester zur Beichte an; sie lächelte aber und erwiederte: „Es ist genug, wenn ich Gott meine Sünde bekenne, von dem ich nicht zweifle, daß Er meine Beichte anhören könne und weil ich ein bußfertiges Herz habe, mir auch meine Sünde vergeben wolle. Was Er aber kann und will, das muß in alle Ewigkeit ungehindert bleiben.“ Alsbald wurde das Todesurtheil über sie ausgesprochen.

Vergebens protestirte sie gegen dieses Urtheil in einem Schreiben an den Kanzler, vergebens in einer Supplication an den König. Wie gewöhnlich wurde sie in den Thurm zu London gebracht, um ihre Glaubensgenossen gefragt und als sie Niemanden angab, auf die Folter wiederholt gespannt, bis alle Glieder ihres Leibes ausgerenkt und zerrissen wurden und sie in tiefe Ohnmachten fiel. Auch wurde sie immer wieder mit Drohungen und Versprechungen bestürmt, daß sie widerrufen möchte. Da sie aber fest blieb und ihre Kräfte so schwanden, daß man ihren Tod im Gefängniß besorgte, eilte man mit ihr zum öffentlichen Feuertode. Weil sie in Folge ihrer Martern weder mehr stehen noch gehen konnte, wurde sie auf einem Stuhl nach dem Roßmarkt getragen und an einen Pfahl mit eisernen Ketten angebunden. Alles war fertig. Da langten königliche Briefe an, welche ihr das Leben schenkten, wenn sie widerriefe: sie mochte sie nicht ansehen. Der Scheiterhaufen wurde angezündet, und Anna Askew starb mit drei andern evangelisch gesinnten Männern den qualvollen, aber herrlichen Märtyrertod im Jahre 1546. Im nächsten Jahre stand Heinrich VIII. schon vor seinem ewigen Richter.

 

Jane Grey Dudley

Johanna Grey.

Johanna Grey, geboren im Jahre 1537 im Schloß Bradgate in der Grafschaft Leicester, war die Tochter des Heinrich Grey, nachmaligen Herzogs von Suffolk, und der Francisca, einer Schwestertochter K. Heinrich’s VIII. von England. Sie genoß eine fürstliche und im hohen Grade wissenschaftliche Erziehung durch classisch gebildete, zugleich evangelisch gerichtete Männer. Ihr eigentlicher Lehrer, dessen Pflege sie mit vollem Vertrauen von ihren Eltern übergeben wurde, war Johannes Aylmer, nachmaliger Bischof von London, der mit Vorliebe sich mit Plato beschäftigt zu haben scheint und seine so sehr begabte Schülerin auch in dessen Verständniß einführte. Sie gewann aber nicht nur eine gründliche Kenntniß der alten Schriftsteller, sondern ergriff auch lebendig die heilsame Wahrheit des Evangeliums. Und gelangte auf Grund heiliger Schrift wie zu einer frühen Reife des Charakters, so zu einer Kraft der Ueberzeugung, mit der sie, nachdem sie 7 Tage die ihr aufgedrungene Krone getragen, in einem Alter von 17 Jahren glaubensfreudig in den Tod ging.

Die Lauterkeit und Demuth aber, in der sie, in hoher Stellung, geschmückt mit den Gaben des Körpers und des Geistes, einherging, verleiht ihrem Bilde den milden Glanz, wie die Geschichte ihres Lebens und selbst die Katastrophe ihres Todes es vor Augen malt.

Von ihrem Leben im väterlichen Hause, ihrem Verhältniß zu Eltern und Lehrer entwirft uns ein anschauliches Bild Roger Asham in einer seiner Schriften. Nach seiner Erzählung, machte er einen Besuch auf Schloß Bradgate und fand Johanna auf ihrem Zimmer beschäftigt den Phädon Platons in der Ursprache zu lesen. Ihre Eltern waren mit einer Gesellschaft im Park, wo sie sich mit der Jagd belustigten. Auf seine Frage, warum sie nicht an den Vergnügungen der Gesellschaft Theil nehme, antwortete sie lächelnd: All‘ ihr Vergnügen erscheint mir kaum wie ein Schatten, verglichen mit demjenigen, das mir Plato gewährt. Ach! die guten Leute haben nie gefühlt, was wahre Freude ist. Asham wünschte zu erfahren, wie sie denn zu dieser wahren Freude gekommen sei, da man so wenige ihres Geschlechts im Besitz derselben sehe. Ich will es euch sagen, erwiederte sie ihm, und ihr werdet euch vielleicht über meine Antwort verwundern. Eine der größten Wohlthaten, die Gott mir verliehen ist die, daß er mir so strenge Eltern und einen so sanften Lehrer gegeben hat. Wenn ich mich in Gegenwart meines Vaters oder meiner Mutter befinde, sei es, daß ich spreche oder schweige, sitze, stehe oder gehe, oder irgend etwas anderes vornehme, so muß es mit solcher Feierlichkeit, solcher Gemessenheit geschehen, ja so vollkommen sein, wie Gott die Welt geschaffen hat, sonst macht man mir strenge Vorwürfe, ja man schlägt und stößt mich zuweilen. Dieß bringt mich in eine solche Unruhe, daß ich mich in die Hölle versetzt glaube, bis es Zeit ist zu meinem Lehrer zu gehen, der mich auf eine so milde Art unterrichtet, und mich so liebreich zum Lernen ermuntert, daß mir die Stunden wie ein Augenblick hingehn. So verursacht mir Alles außer der Wissenschaft Furcht und Verdruß; meine Bücher dagegen gewähren mir täglich mehr Vergnügen.

Sie selbst aber zeigt sich auf’s Lieblichste, wie sie Anleitung zur Gottseligkeit sucht und empfängt, in den drei Briefen, die sie an Heinrich Bullinger in Zürich schrieb. Sie hatte sein Buch von der Vollkommenheit des Christen, das er ihrem Vater geschickt, mit großer Andacht gelesen und dankt ihm für den Segen, der ihr daraus zugeflossen. Sie bittet ihn um weitere Anleitung zu einem frommen gottseligen Leben, und um seine kräftige Fürbitte, daß der Herr sie darin weiter führe. Aus diesen Briefen geht auch hervor, daß sie die hebräische Sprache studirte um das alte Testament in der Ursprache zu lesen, denn sie fragt Bullinger, wie sie dieselbe am leichtesten erlernen könne.

Nach dem Tode Heinrich’s VIII. im Jahr 1547, wohnte Johanna längere Zeit bei seiner Wittwe, Katharine Parr – sie war seine sechste Gattin gewesen – einer verständigen und gottesfürchtigen Frau, deren heilsamer Einfluß auf sie nicht unbedeutend war. Aber schon damals schien sie auserlesen, das Opfer verwerflicher politischer Bestrebungen zu werden. Katharine Parr heirathete den Onkel Edward’s VI, den Lord-Admiral Thomas Seymour. Dieser ehrgeizige und hinterlistige Mann wußte sich von den Eltern Johanna’s die Verfügung über deren Hand zu verschaffen, und hatte im Plane durch ihre Verbindung mit einem ihm ganz ergebenen Gliede seiner Familie sein eigenes Ansehn und seinen Nutzen zu befördern. Er wurde aber staatsverbrecherischer Umtriebe angeklagt und sein eigener Bruder, der damalige Reichsverweser Eduard Seymour, Herzog von Somerset, der ihn aus dem Wege schaffen wollte, bestätigte das vom Parlamente über ihn ausgesprochene Todesurtheil. Nach seinem Tode kehrte Johanna wieder zu ihren Eltern zurück.

Aber nun sammelten sich über ihrem Haupte die finstern Wolken zu dem Ungewitter, das ihren frühen Tod herbeigeführt hat.

Eduard Seymour wurde seiner Stelle beraubt und Johann Dudley zum Herzog von Northumberland ernannt, nahm dieselbe ein. Er war in der Gewalt eines finstern Geistes, der den Wunsch in ihm erweckte seine Familie mit der königlichen zu verbinden, und selbst, unter welchem Namen es auch wäre, die Herrschaft über England in der Hand zu behalten. Die Umstände schienen sich günstig für ihn zu gestalten. Denn im Jahre 1553 erregten die wiederholten Krankheitsanfälle des jungen Königs die allgemeine Besorgniß, er werde nicht lange mehr leben. Starb er, so ging die Krone auf Maria, die Katholische, die älteste Tochter Heinrich’s VIII. über. Die Furcht vor neuen blutigen Verfolgungen der Protestanten durch dieselbe, so wie die von Heinrich dem Parlamente abgezwungene Erklärung seine Verbindung mit Katharina von Arragonien und Anna Boleyn sei unrechtmäßig gewesen, dienten Northumberland als Vorwände, den kranken jungen König, der ein eifriger Protestant war, wenn auch nach langem Widerstreben zu vermögen seine beiden Schwestern Maria und Elisabeth von der Regierung auszuschließen und seine Cousine Johanna Grey, die er wegen ihrer Frömmigkeit und Gelehrsamkeit achtete und liebte, zu seiner Nachfolgerin zu bestimmen. Der Staatsrath, ein williges Werkzeug des allgewaltigen Reichsverwesers, bestätigte diese Bestimmung.

Johanna war seit Kurzem mit Guilford von Dudley, dem Sohne Northumberlands verheirathet. Sie trachtete nach nichts weniger als nach einer Königskrone. Ein stilles zurückgezogenes Leben im Hause ihres von ihr innig geliebten Gatten und die Beschäftigung mit den Wissenschaften im Dienste des Herrn sagten ihrem Sinne mehr zu als die Zerstreuungen des Hoflebens und die Sorgen der Regierung. Wie wir sie kennen, mußte sie von der größten Bestürzung erfüllt werden, als nach dem Tode Edward’s VI. am 6. Juli 1553 ihr Vater, ihr Schwiegervater und ihr Schwager Pembroke ihr unter feierlichen Huldigungen die Krone anboten. Beharrlich schlug sie sie aus. Nein, sagte sie, die Gesetze des Königreichs und das natürliche Recht sprechen für die Schwestern des Königs; wie könnte ich mein Gewissen so hintergehn sie vom Throne zu verdrängen! Wahrhaftig! das hieße Gottes spotten und die Gerechtigkeit verhöhnen, wenn ich mich scheue einen Schilling zu stehlen und kein Bedenken trüge, eine Krone auf ungerechte Weise an mich zu reißen. Sie wies auf die Tücken des Glückes hin und daß schon zwei Königinnen von England ihren Ehrgeiz die Krone zu tragen mit dem Tode von Henkers Hand gebüßt hatten. Und gesetzt auch, fügte sie hinzu, die Krone würde kein Verderben über mich bringen, und das Glück würde mich seiner Beständigkeit versichern, wäre es wohl der Klugheit gemäß diese Dornen auf mich zu nehmen, die mich, wenn auch nicht geradezu tödten, doch zerfleischen würden. Nein, ich will meinen Frieden nicht gegen Hofneid und glänzende Fesseln tauschen.

Keine Bitten, auch die ihres Gemahls nicht, vermochten Johanna zu bewegen, die königliche Herrschaft anzunehmen. Sie änderte ihren frommen und weisen Entschluß erst, als man ihr bedeutete, man sei schon zu weit gegangen, um ihr noch die Wahl frei lassen zu können; denn wurde Maria Königin, so waren Johanna’s und ihres Gemahls Familien des Hochverrath’s schuldig. Sie ließ sich die Krone auf’s Haupt setzen, und wer könnte es aussprechen, was sie gedacht und gefühlt haben mag, als sie mit ihrem Gemahle von ihren Verwandten und dem Staatsrathe, nicht im Triumph, sondern unter dem Drucke mancherlei Sorgen nach dem Tower geführt wurde, wo gewöhnlich die Könige von England die ersten Wochen nach der Thronbesteigung wohnten. Der Friede Gottes war nicht im Herzen der Königin, aber auch auf diesem Abwege war der Gott des Friedens bei ihr. Finstere Stunden warteten auf sie, aber sie wird die Erfahrung machen, daß der Herr sich die Seinen nicht aus der Hand reißen läßt. Gehe Johanna! im Tower wird der Herr dir die Märtyrer-Krone reichen und zu dir sprechen: Sei getrost, ich nehme dich zu mir, daß du meine Herrlichkeit schauest!

Maria hatte, trotz ihrer entschieden katholischen Gesinnung, doch viele Anhänger im Volke. Ihre Freunde sammelten ein Heer, und wo sie sich zeigte, wurde sie als Königin ausgerufen. Als Northumberland den Befehl über die wenigen Mannschaften, die er zusammenbringen konnte, nothgedrungen selbst übernahm und mit ihnen London verließ, fiel der Staatsrath von Johanna ab und auch die Einwohnerschaft der Hauptstadt erklärte sich für Maria, die rechtmäßige Erbin des Thrones. Northumberland, der bald erkannte, daß er mit seinem ihm ungern folgenden Heere seinen Gegnern die Spitze nicht bieten könne, doch sein Leben retten wollte, erklärte sich ebenfalls für die Tochter Heinrich’s VIII. und gab sich gefangen. Es half ihm nichts. Denn kaum war sie in London eingezogen, so ließ sie ihn und den Vater der Johanna mit noch mehreren andern, die ihr feindlich entgegenstanden, als Staatsverbrecher im Tower in Haft bringen. Auch Johanna und ihr Gemahl wurden gefangen gehalten. Maria beraubte sie selbst der Linderung, die sie in ihrer Liebe und gegenseitigem Trost gefunden hätten, indem sie befahl, sie in verschiedene Zimmer einzuschließen.

Northumberland wurde des Hochverraths schuldig befunden und am 22. August 1553 auf dem Towerhügel enthauptet, der Herzog von Suffolk dagegen, der Vater Johanna’s, erhielt seine Freiheit, aber unter der Bedingung, sich auf den ersten Ruf zu stellen. Am 3. October fand die Krönung der Maria Statt und bald nachher begann der Prozeß Johanna’s, ihres Gemahls und seiner zwei Brüder. Sie anerkannten ihre Schuld, und nachdem das Todesurtheil über sie gesprochen worden, wurden sie wieder in ihre einsamen Zellen im Tower zurückgeführt. Bei diesem traurigen Vorgang bewies die junge Frau die vollkommenste Ruhe und Unerschrockenheit, die sie in ihrem Glauben fand, und gewährte dadurch ihren Unglücksgefährten Trost und Stärkung. Auf dem Rückwege in das Gefängniß zeigte ihr das Volk die herzlichste Theilnahme und das einstimmige Zeugniß von Geschichtschreibern geht dahin, daß, wenn ihr Vater sich nicht zu den Empörern, die Maria vom Throne stürzen wollten, geschlagen hätte, ihre Jugend und Unschuld doch am Ende das harte Herz der fanatischen Königin gerührt und sie von ihr Verzeihung und Schonung ihres Lebens erhalten hätte.

Die Empörung wurde unterdrückt und der Tag kam heran, wo der Rache der Königin Johanna’s Leben als Opfer dargebracht werden sollte. Voll freudigen Glaubensmuthes ging sie ihm entgegen. Die Königin ließ nämlich nichts unversucht, um sie in den Schooß der katholischen Kirche zurückzubringen. Sie schickte deshalb ihren Beichtvater Feckenham zu ihr. Siegreich bekämpfte Johanna alle Gründe, die er vorbrachte. Feckenham bezeigte ihr sein Mitleid, nahm Abschied von ihr und sagte, sie würden nun einander nicht mehr sehen; worauf Johanna antwortete: Es ist wahr, wo ihr euch nicht bekehret, werden wir einander im Himmel nicht antreffen, denn ihr seid mit gefährlichen Irrthümern behaftet. Ich bitte Gott, daß er euch den heiligen Geist mittheile, und wie er euch so viel Beredsamkeit gegeben, er auch euer Herz erleuchte, die Wahrheit zu erkennen.

In ihrem Gefängnisse schrieb sie mehrere Briefe, die beweisen, wie lebendig sie von der Gotteskraft des Evangeliums durchdrungen war. Einem vornehmen Manne, der aus Menschenfurcht von der evangelischen Wahrheit sich wieder zum Papstthum gewendet hatte, schrieb sie: Wenn ich bedenke, daß diejenigen, so die Hand an den Pflug legen und zurück sehen, nicht geschickt sind zum Reiche Gottes, und die holdseligen, tröstlichen Worte unseres Heilandes betrachte, die er von denen sagt, die sich selbst verleugnen und ihm nachfolgen, so habe ich große Ursache zu klagen. Zuvor warst du mein lieber Bruder, sagt sie ihm, nachdem sie ihm seine schwere Verschuldung vorgehalten, jetzt bist du mir ein Fremdling; nicht mehr ein tapferer Kriegsheld Jesu Christi, sondern ein feldflüchtiger, meineidiger Bösewicht. Der Brief endigt mit den Worten: Wenn es dem göttlichen Rathschluß nicht zuwider wäre, so würde Christus eher noch einmal leiden, denn daß du solltest verloren werden … Christus hat dich erlöset und der Himmel steht dir noch offen. – In dem an ihren Vater gerichteten Schreiben klagt sie sich an, daß sie zwar bestürmt worden sei, die ihr angebotene Krone anzunehmen, daß sie aber doch vor Gott und den Menschen schuldig sei und sie ihren Tod nur als die gerechte Strafe ihres Verbrechens ansehe; aber sie freue sich, daß sie so frühe heimgehn dürfe und bei ihrem Heilande von ewiger Freude umgeben, sein werde. Sie hatte ein griechisches neues Testament, das sie ihrer Schwester als Andenken schickte, aber nicht ohne auch an sie ernste und liebevolle Ermahnungen zu richten, die sie auf ein in dem Buche sich befindendes weißes Blatt schrieb. Wir theilen nur den Anfang und das Ende mit. „Ich übersende dir, liebe Schwester Katharina, dieses Buch, welches zwar auswendig nicht mit Silber und Gold gezieret, aber inwendig viel besser und köstlicher ist, denn alle Perlen und Edelsteine; nämlich das Evangelium des Herrn Jesu Christi, der letzte Wille und Testament, das er uns armen Sündern hinterlassen hat. Wenn du dieses Buch mit der Hülfe und Gnade des heiligen Geistes fleißig lesen und betrachten wirst, so wirst du die hohe Kunst lernen, wie man christlich leben und gottselig sterben kann. Lies daher, lies Schwester fleißig und täglich darin und richte all‘ dein Thun und Leben nach Gottes Gebot und Lehre ein. Lebe so, daß du täglich recht sterben lernest, damit du durch den zeitlichen Tod in’s ewige Leben eingehn mögest. Widerstehe dem Teufel und deines Fleisches bösen Lüsten und habe deine Lust an dem Herrn. Gehab dich wohl, meine liebe Schwester, und setze alle deine Hoffnung auf den Herrn, von welchem deine Hülfe kommt. Amen. – Deine Schwester Johanna Dudley.“

Das schrieb sie in der Nacht vor ihrer Hinrichtung. Nachdem sie noch lange gebetet, schlief sie mehrere Stunden ganz ruhig. Da brach der 12. Februar 1556 an. Ihr Gemahl hatte um die Erlaubniß nachgesucht, von ihr Abschied nehmen zu dürfen, aber sein Wunsch, obgleich von der Königin gewährt, wurde von ihr selbst verweigert. Sie ließ ihm sagen, daß, wenn sie sich vor ihrem Wiedersehn im Himmel, in dieser Welt noch einmal sähen, sie überwältigt vom Schmerze nicht mit ruhigem Hinblick auf den Herrn den letzten Gang würden machen können.

An Guilford Dudley wurde das Todesurtheil zuerst vollzogen, und zwar auf dem Towerhügel. Als er dahin geführt wurde und unter den Fenstern seiner Gemahlin vorbeiging, empfing er das letzte Pfand ihrer Liebe in dieser Welt. Aus Furcht, ihre Jugend und ihre Unschuld möchten das Mitleid der versammelten Menge in gefährlichem Grade erregen, hatte der Staatsrath, unter Abänderung seines früher gefaßten Beschlusses, verfügt, daß sie nicht dort, sondern innerhalb des Walles enthauptet würde. Der Lieutenant des Towers begleitete sie. Und als ob sie den Schmerzeskelch bis auf die Heefe trinken sollte, wurde eben die Leiche Guilford’s vorbeigetragen. Mit großer Demuth und Salbung redete sie noch zu den Umstehenden und sprach: „Liebe Brüder und Christen, ich bin unter dem Gesetz und durch das Gesetz zum Tode verurtheilt; ich bin unschuldig, denn wider meinen Willen bin ich zu dem Unrecht gezwungen worden, das ich mit dem Tode bezahle. Aber im Uebrigen bekenne ich mich als eine arme Sünderin. Ihr möget nun auch Zeugen sein, daß ich über dem christlichen Glauben bis an mein Ende beständig halte und die Hoffnung meiner Seligkeit auf nichts anderes, als auf das Blut meines Herrn Jesu setze.“

Nach diesen Worten kniete sie nieder und betete den 51sten Psalm. Ruhig, und als wäre sie schon dem Jammer dieser Welt entrückt, legte sie ihr Haupt auf den Block und rief: „Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“

S. Spörlein in Antwerpen.