Martin Mirus

Martin Mirus, geb. 1532 zu Weida im Vogtlande, besuchte die Schule seiner Vaterstadt und hierauf die Universität Jena, wo er der Erste war, der den philosophischen Magistergrad erwarb (1558). 1560 wurde er Assessor der dortigen philosophischen Facultät, 1561 Pfarrer zu Sulzenbrück in der Grafschaft Gleichen, 1569 Diaconus in Jena und 1572 Pfarrer zu Kahla. Im folgenden Jahre folgte er einem Rufe zum Superintendenten nach Weimar. Weil aber die Bürger, angereizt von dem bisherigen Superintendenturverweser M. Simon Gallus, bei seinem Antritte einen Tumult in der Kirche erregten, verliess er die Stadt und ging nach Jena, wo er sofort eine Professur nebst der Superintendentur und einem Pfarramte übernahm, auch zum Doctor der Theologie promovirt wurde. Noch in demselben Jahre (1574) erfolgte der erste Sturz der Krypto-Calvinisten in Sachsen, und Churfürst August berief Mirus an die Stelle des abgesetzten Hofpredigers Schütz nach Dresden. Hier verfasste er zugleich mit Daniel Greser die Artikel, welche die sächsischen Theologen im September 1574 zu Torgau zum Erweise ihrer Rechtgläubigkeit unterschreiben mussten. Im folgenden Jahre begleitete er den Churfürsten auf den Reichstag zu Regensburg, wo er seine sieben Predigten gegen das Papstthum hielt, und 1576 wohnte er dem berühmten Theologenconvente zu Torgau bei. 1580 wurde er Mitglied des neu errichteten Oberconsistoriums zu Dresden. 1586 starb August. Christian I. suchte Anfangs den Vorwurf des Krypto-Calvinismus von sich abzuwälzen. Mirus, gegen den er den Ungrund desselben hervorhob, erwiderte: „Das traue ich Ew. Churfürstlichen Gnaden auch nicht zu!“ Hierauf gab ihm Christian einen dreimaligen Handschlag und erklärte: „Herr Doctor, ich bin kein Calvinist und will auch mein Leben lang keiner werden!“ Zugleich gab er ihm den Auftrag, ein Mandat gegen den Calvinismus abzufassen. Dieses ist jedoch eingefordert; denn der Churfürst wurde unter den Einflüssen Crell’s, Steinbach’s und Salmuth’s gänzlich umgestimmt, Mirus aber 1588 seines Amtes entsetzt, auf den Königstein gebracht und nach siebenwöchiger Gefangenschaft (vom 29. Juli bis 7. Sept.) des Landes verwiesen. Hierauf lebte er in Jena, bis er 1591 zur Reformation der Domkirche nach Halberstadt berufen wurde. Kaum hatte er sie vollendet, als Christian I. von Sachsen starb und damit der Krypto-Calvinismus dort seinen zweiten Sturz fand. Mirus wurde ehrenvoll zurückberufen, zugleich mit Hunnius, Mylius und Lonnerus mit der Abfassung der vier sächsischen Visitationsartikel (1592) beauftragt und zum Visitator des meissnischen Kreises ernannt. Nur kurze Zeit dauerte noch seine gesegnete Wirksamkeit. Als er bei seinem Freunde, dem Oberconsistorialpräsidenten Wolf Albrecht von Schleidnitz auf Cawertitz bei Oschatz, zum Besuche war, erkrankte er heftig. Sein Sohn, so wie sein Amtsbruder, der Hofprediger Matthäus Tragen, welche von Dresden zu ihm eilten, trafen ihn schon dem Tode nahe. Tragen erzählt in der Leichenpredigt: „Sechs Stunden vor seinem Abschiede, da er gebeichtet, ehe er absolviret worden und communiciret, habe ich ihn gefraget: Herr Doctor, wiewohl ich an eurem Glauben und Bekenntniss gar nicht zweifele, doch um der Kirchen und Nachkommenden willen frage ich auch, habt ihr jetzt in euerm Sterbestündlein auch einen einigen Mangel oder Anfechtung in euerm Herzen und Gewissen eines einigen Stücks, Artikels, ja eines einigen Wortes oder Buchstabens halben der Lehre, so ihr gelehrt, bekannt, im christlichen Concordienbuche unterschrieben und in nächster Visitation habt fortpflanzen helfen? Gedenkt ihr, bei solcher Lehre ohne einigen Zweifel und getrost wider den Satan zu beharren, und wollet sie freudig und fröhlich mitnehmen und bringen für den Richterstuhl Jesu Christi? Mit wenig Worten, sagt’ ich, Domine Doctor, wollet ihr ein Feind der Calvinisten leben und sterben? Darauf er mit ausgedrückten Worten geantwortet: Ja! und dazu gesaget: Auch aller Derer Feind, die Christi Feinde seind! Dieses haben viel fromme Herzen, so dabei gestanden, gehöret, und darauf ist er absolviret und communiciret worden. Dieses Bekenntniss hat er nachmals neben herzlicher Anrufung Jesu Christi etlichemal wiederholet und gar kurz vor seinem Abschiede mit Ja und Handheben bekräftiget, darauf er denn so sanft verschieden, dass man kaum merken konnte, dass er eingeschlafen wäre.“ Solches geschah am 24, August 1593, Mittags zwölf Uhr. Auf Anordnung der Churfürstinn Sophie wurde seine Leiche am 30. August in der Kreuzkirche vor dem Altar feierlich bestattet. Die Leichenpredigt hielt Matthäus Tagen über Jes. 57,1.2.

Mirus war nicht bloss ächt in der Lehre und im Bekenntniss, sondern auch im Herzensglauben. In trüben Tagen, namentlich während seines Exils, war er ruhig in Gott. Die aufkeimenden Sorgen vernichtete er mit Gottes Worte und mit seinem Wahlspruche aus Tertullian: Si injuriam deposueris apud Deum, ultor est, si damnum, restitutor est, si dolorem, medicus est, si mortem, resuscitator est.

Seine Beredtsamkeit erwarb ihm den Namen der meissnischen Suada (suada misnica). Mit Gründlichkeit in der Textesbehandlung und Lehrentwickelung verbindet er concrete Lebendigkeit. Letztere erweis’t sich auch durch die häufig eingestreuten geschichtlichen Beispiele. Die Methode besteht in der paraphrastischen Auslegung und darauf folgenden Anwendung des Textes. Doch wird dieser zuerst in Glieder zerlegt, welche ohne Synthese die Proposition bilden.

Schriften: Christliche Predigten, gehalten auf’m Reichstage zu Regensburg Anno 1575. Erf. 1590. 4. Predigt von der Taufe Christiani III., Herzogs zu Sachsen. Dresd. 1584. 8. Leichpredigten. Erf. 1586. 4. Leichpredigt, Churf. Augusto zu Sachsen gehalten. Dresden 1586. 4. Encaenia der Stifftskirchen zu Halberstedt. Dresd. 1592. 4. Predigten über das 53. Cap. Esaiae. Dresd. 4. Jena 1603. 8. Predigten, deren die erste von der Person Christi. Leipz. 1605. 4. Postilla, Jena 1605. fol. S. Zeumeri vitae prof. Jen. p. 82. Gleich, annal. eccles. I. p. 305. Zeissler, Gesch. der sächs. Oberhofprediger. Leipz. 1856. S. 16. Eine christl. Leichpredigt bei dem Begräbniss des ehrwürdigen sel. Martini Miri, geschehen durch Matth. Tragen. Leipz. 1593. 4.

Die bedeutendsten Kanzelredner
der
lutherschen Kirche des Reformationszeitalters,
in Biographien und einer Auswahl ihrer Predigten
dargestellt
von
Wilhelm Beste,
Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der
historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1856