Maria Andreä

(Geb. 23. Okt. 1550, gest. 25. Jan. 1631.)

Maria, Tochter des Vogts Valentin Moser zu Herrenberg, geboren am 23. Oktober 1550, war aus einem Geschlechte, das im 18. Jahrhundert den berühmten christlichen Patrioten, Johann Jakob Moser, und seines geistreichen Sohn Friedrich Karl von Moser hervorbrachte; sie selbst war Schwiegertochter und Mutter zweier Säulen der würtembergischen Kirche, Jakobs und Joh. Valentins Andreä. Im neunten Jahre verlor sie die Mutter, und wurde von ihrer Großmutter, Catharina Turrer, welche unter den Anfängen der Reformation herangewachsen war, erzogen in der Ehrfurcht und Liebe zu Gottes Wort und Haus, und in der Uebung christlichen Erbarmens. Ihrem starken, männlichen Geiste wurden durch Gottes Gnade Keime der Demuth, der Seelenruhe, die über ein heftiges Temperament Meister ward, der milden Sitte, der Liebe zur Wissenschaft und zu dem Armen, der Zucht und der Mäßigkeit eingepflanzt, die sich in ihrem Leben herrlich entwickelten. Unermüdet im Fleiß, einfach in den Sitten, fest und streng im Glauben, eifrig im Gebet, lebte sie nach Gottes Wort, las alljährlich die Bibel und monatlich ihr Psalmbuch zu Ende, und war in der erbaulichen Literatur ihrer Zeit sehr bewandert. Schon in ihres Vaters Hause wartete stets ein eigenes Zimmer und ein gedeckter Tisch der Armen. Ihr selbst war die Sorge für die Armen und Kranken ihre liebste Beschäftigung, daher sie sich große Geschicklichkeit im Sammeln von Kräutern und in der Bereitung von Arzneien erwarb, so daß sie zu sagen pflegte, wenn es Gottes Wille gewesen wäre, so würde sie am liebsten die Krankenmutter in einem Hospitale geworden seyn. Als Jungfrau pflegte sie den früher lebensfrohen, musikalischen und geselligen, jetzt kränklichen Vater bis zu seinem Tode. Im 26. Jahre wurde sie an Joh. Andreä, den Sohn Jakob Andreäs von Gotzingen, damals Pfarrer zu Hagenloch bei Tübingen, verheirathet. Sie lebte glücklich mit dem sanften und milden Gatten, dessen weicheres Gemüth ihr strengeres im Umgang milderte. Er starb als Abt zu Königsbronn im Jahre 1601. Erst, nachdem Sie ihn die Augen zu und den letzten Kuß aufgedrückt, und ihn in das Sterbelinnen gekleidet hatte, flossen ihre Thränen über seinen Hintritt. Sie war groß und schlank von Gestalt, fein von Antlitz, im Hause Herr wie ein Mann, und dienstbar wie eine Magd, mild und freigebig gegen Andre, selbst mit wenig zufrieden, durch Arbeit abgehärtet, reinlich, aber allem Schmucke abhold, lebte überall Allen willkommen, und bewies ihre größte Freude darin, Jedermann wohlzuthun.

Von ihrem männlichen Geiste legte sie herrliche Proben ab. Als der große Theolog Hafenreffer neben ihrem Gatten zu Herrenberg als Diaconus lebte, wollte diesen seine beabsichtigte Heirath mit einer Wittwe, der Tochter des berühmten Reformators Brenz, reuen, da man ihm von schöneren und reicheren Frauen sprach. Maria aber, die er hoch hielt, züchtigte ihn mit Worten, und sprach: „Wie? Du bist ein Gelehrter, ein Geistlicher, bist so unwissend, daß Du Dein eigen Glück nicht kennst? Eine Frau von rechtschaffener Herkunft, wohl erzogen, vorher glücklich verheirathet, die kennst Du nicht? die schätzest Du nicht? Du schämest Dich nicht, daß Du ihre Verdienste, ihr Haushaltungsgeschick nicht zu würdigen weißt? Du besitzest den Segen ihrer ersten Ehe und den großen Namen Deines Schwiegervaters, und Du dankst Gott nicht für Dein Glück?“ Der Theolog ging in sich auf das Wort einer Frau, und die Ehe wurde eine glückliche.

Sie lebte seit ihrem 51. Jahre noch 30 Jahre im Wittwenstande. Ihre reichliche Mitgift war über der Ernährung und Erziehung ihrer zahlreichen Familie aufgebraucht worden. Nach dem Tod ihres Gatten zog sie mit ihren sieben Kindern nach Tübingen, und nährte sich und die Ihrigen spätlich durch einen Kosttisch. Ihre Kinder erzog sie gründlich wie eine Schullehrerinn, sorglich wie ein Arzt, in der Zucht und Vermahnung zum Herrn. Als ihr aber ein Freund zur Erleichterung ihres Hausstandes rieth, einen oder den andern Sohn ein Handwerk lernen zu lassen, zog sie, als er fort war, ihren Schleier vom Haupte, warf ihn vor den Söhnen auf den Tisch, zerfloß in Thränen, (ein seltenes Schauspiel für diese), und sprach: „Wenn ihr brav bleibet, so will ich Alles, und selbst diesen Schleier dran wenden, euch eurem Stande und der Wissenschaft zu erhalten, und der Wunsch eures Vaters soll nicht vergeblich gewesen seyn.“ Indeß wurden die Kinder zerstreut; die Töchter lebten mit den Männern, welche sie heimgeführt, die Söhne kamen in öffentliche Anstalten, oder in Privatkost.

Der Mutter aber zeigte die Vorsehung noch einen ganz besonderen Lebensweg. Als nämlich der regierende Herzog Friedrich I. von Würtemberg, der Alchymist und Patron der Goldmacher, mit seiner Gemahlinn Sibylla, einer gebornen Prinzessin von Anhalt, und den beiden älteren Töchtern im Jahre 1598 einige Wochen zu Königsbronn verweilte, so wurde der Herzoginn Sibylla, welche Arzneikunst als Liebhaberei trieb, durch ihre Gesellschafterinn, Frau von Stockheim, eine Freundinn des Moser’schen Hauses von Herrenberg her, Maria Andreä als eine Liebhaberinn gleicher Studien vorgestellt, und sie fand Gnade vor ihr. Diese fürstliche Freundschaft ward durch einen Briefwechsel mit der Mutter und einer der Töchter unterhalten.

Die Fürstinn gedachte ihrer Freundinn bei günstiger Gelegenheit, und kurz vor dem Tode Friedrichs I. wurde Maria im Jahre 1607 als Vorsteherinn der herzoglichen Hofapotheke nach Stuttgart berufen. Auf diesem Posten gewann ihr ein musterhafter Lebenswandel, alterthümliche Sitte, ein Gemüth ohne Falsch, und eine Zunge ohne Kriecherei bald alle Herzen am Hof und in der Stadt, und sie hieß bei allen Kunden nur „die Mutter Andreä.“. Sie sorgte dafür, daß die berühmte Apotheke ihrer Bestimmung streng erhalten ward, und war entrüstet, wenn sie inne wurde, daß dieses Institut dem Luxus des Hofes und der Reichen dienstbar werden sollte. Als die Herzoginn Sibylla ihren Wittwensitz in Leonberg aufschlug, folgte sie der Herrinn auch dorthin, und wurde jetzt ihre Vertraute und die Spenderinn ihrer Wohlthaten, ohne je für sich oder ihre Kinder einen Heller zu begehren, aber strahlend vor Freude, wenn sie einem Bedürftigen ein Gnadengeschenk erwirkt hatte. Nach dem Tode Sibyllens (1614) rief Herzog Johann Friedrich die bewährte Matrone, deren Hülfe seine Gemahlinn in verschiedenen Krankheiten zu Urach und Stuttgart erprobt hatte, wieder an den Hof; aber sie zog einen Ruhegehalt und die Gastfreundschaft der Leonberger vor. Bald darauf siedelte sie, (unter abwechselnden Besuchen bei ihren Kindern), zu einem Tochtermann über, nach dessen Tode sie im Jahre 1622 „ihr Gosen, das Aegyptens Plagen (der dreißigjährige Krieg) verschonten,“ bei ihrem Sohne Johann Valentin Andreä zu Calw fand. Auch hier wurde sie als „die Mutter der Stadt“ von Jedermann verehrt. In Calw lebte sie bis über das achtzigste Jahr hinaus, ohne ein fühlbares Schwinden ihrer Kräfte, ohne Abnahme auch nur Eines Sinnes, meist zu Hause, ohne andre Gänge als in die Kirche. Nur, wenn es galt, Freunden zu helfen, oder Armen beizuspringen, da beflügelte die christliche Liebe ihren Schritt, und es kostete sie keine Mühe, auch einen meilenweiten Gang zu machen. Am 19. Januar 1631 überraschte sie nach langer, ununterbrochener Gesundheit die letzte Krankheit ihres Lebens, die nur sieben Tage dauerte, und sie am 25. Januar 8 Uhr Abends, gestärkt durch das Mahl des Herrn, bei vollen Sinnen, nachdem sie den Ihrigen Eintracht und Sorge für die Armen anempfohlen, in das himmlische Jerusalem hinüber führte.

Mariens Sohn, Valentin Andreä, feierte ihre Gedächtniß durch eine lateinische Biographie, in welcher er ihrer Frömmigkeit, ihrer Seelenstärke, ihrer Freigebigkeit, Mäßigkeit, Arbeitsamkeit, und ihrem Seelenfrieden ein beredtes Denkmal gestiftet hat. „So bist Du endlich doch, schließt er, ferne von uns, und zugegen bei den himmlischen Chören, geliebte Mutter! Du freilich warest schon lange lebenssatt, aber uns wird die Sehnsucht nach Deinem Umgange nie verlassen! Und ich, Dein Sohn, den Du unter dem Herzen getragen, und unter Schmerzen geboren, reichlich genährt, zärtlich geliebt, in heilsamer Lehre unterrichtet, durch Dein Beispiel gebildet, mit Deinem Gebet unterstützt, mit Deiner Strenge gezüchtigt, durch Deine Tugend empfohlen, mit Deinem Segen bereichert, durch Deine Gegenwart und Dein Zusammenleben geehrt hast, ich bringe, als Dein größter Schuldner, diesen Dank Deiner heiligen Asche dar!“

Dr. Theodor Fliedner, Buch der Märtyrer, Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth, 1859

Dr. Theodor Fliedner,
Buch der Märtyrer,
Verlag der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth,
1859