Monika

Wie der Kirchenvater Chrysostomus durch die fromme Antusa, die als junge Witwe ganz der Erziehung ihres Sohres sich widmete, zuerst zum lebendigen Christenthum geführt wurde, so auch der Kirchenvater Augustinus durch seine fromme Mutter Monika. Diese, um’s Jahr 332 nach Christi Geburt geboren, hatte christliche und fromme Eltern, verdankte aber, mehr noch als diesen, einer alten gottesfürchtigen Magd ihre erste fromme Erziehung. Leicht hätte ihr in den Jugendjahren die Aufgabe, den Wein aus dem Keller herauf zu holen, zum verderblichen Fallstrick werden können, aber die Zurechtweisung jener Magd rief sie noch zu rechter Zeit von dem gefährlichen Irrwege zurück. Als sie erwachsen war, wurde sie von ihren Eltern an einen heidnischen Mann, den Rathsherrn Patricius in Tagaste, verheirathet; er fand an ihr eine Ehegattin, die ihrem Christenthum durch Gehorsam, Sanftmuth und Gefälligkeit Ehre machte. Anfange ließ sich die Mutter des Patricius durch das Geschwätz der Mägde gegen ihre Schwiegertochter Monika einnehmen, allein diese betrug sich so sanft, so sorgfältig und ehrerbietig gegen sie, daß die Mißverständnisse bald ein Ende nahmen, und die herzlichste Freundschaft zu Stande kam. Mit der Zeit gewann sie auch ihren Mann für das Christenthum, so daß er sich im Jahr 370 unter die Katechumenen aufnehmen und 371 taufen ließ; bald hernach starb er. Monika hatte ihm zwei Söhne und eine Tochter geboren. Nichts lag ihr mehr an, als diese ihrem Heilande zuzuführen, daher ließ sie namentlich den Aurelius Augustinus gleich nach seiner Geburt im Jahr 354 unter die Katechumenen aufnehmen; aber sie mußte über dreißig Jahre harren, bis er durch die heilige Taufe der Christengemeinde einverleibt ward. Der damals noch heidnische Vater ließ zwar dem Sohne eine sorgfältige Erziehung geben, aber sein Augenmerk war dabei nicht das, aus ihm einen Christen, sondern einen gelehrten und berühmten Mann, der ein glänzendes Glück in der Welt machen könne, zu bilden, und es gelang ihm in vollem Maße, die Flamme des Ehrgeizes bei dem hochstrebenden begabten Jüngling anzufachen. Bald ward er auch durch schlechte Gesellschaft auf der Schule zu Karthago zu allerhand jugendlichen Ausschweifungen verführt, und der verblendete Vater kümmerte sich darüber so wenig, daß er einmal in der Trunkenheit sein Wohlgefallen über die Ausschweifungen des Sohnes aussprach. Das mußte für Monika eine um so tiefere Kränkung sein, da bei ihr die Eindrücke der Taufe, die sie erst vor Kurzem empfangen hatte, noch neu waren. Sie erschrak über den Zustand ihres Sohnes, und hatte nicht eher Ruhe, als bis sie Gelegenheit gefunden, mit ihm darüber zu reden. Sie warnte ihn auf’s Ernstlichste vor dem gefahrvollen Abwege des Lasters, allein er verachtete ihre Warnung, als die Rede eines schwachen unwissenden Weibes, die nicht wisse, daß die Jugend vertoben müsse.

Nach einiger Zeit starb der Vater, und Augustinus bekam durch eine Schrift Cicero’s eine ernstere Richtung. Er fragte ernstlich nach Wahrheit und Weisheit, wandte sich auch für eine Zeit lang zur heiligen Schrift, konnte ihr aber noch keinen Geschmack abgewinnen, und ging endlich zu der Sekte der Manichäer über. Ein neuer Schmerz für die gute Mutter! Sie grämte sich tief darüber, flehte für ihren Sohn bei Tag und bei Nacht, ermahnte ihn mit vielen und heißen Thränen, den bessern Weg zu erwählen, wollte aber, da alle ihre Erinnerungen vergeblich schienen, nach Tit. 3, 10. nicht mehr mit ihm zusammenleben, obgleich ihr Herz mit innigster Liebe an ihm hing. Nachdem ihr jedoch im Traum ein Jüngling in glänzender Gestalt erschienen war, und ihr gesagt hatte: „Wo du stehst, steht auch er,“ so faßte sie wieder neuen Muth, sagte es dem Augustinus mit großer Herzensbewegung und nahm ihn wieder in ihr Haus und an ihren Tisch auf. Sie verdoppelte jetzt ihre Gebete für den irrenden Sohn, und erhielt von einem Bischof, den sie bat, er möchte doch denselben zurückzubringen suchen, die merkwürdige, nachher durch den Erfolg bestätigte Antwort: „Laß ihn für jetzt, bete für ihn zum HErrn, so wird er von selbst durch das Lesen der heiligen Schrift gewahr werden, wie groß sein Irrthum sei und dessen Gottlosigkeit. So wahr Du lebest, es ist nicht möglich, daß das Kind so vieler Thränen verloren geht.“ Auch dieses sagte sie dem Sohne wieder, und wenn er gleich für jetzt sich noch nicht entschieden zum Guten wandte, so ließen ihm doch ihre Worte einen tiefen Stachel im Herzen zurück. Ehe die Frucht hievon offenbar wurde, mußte Monika noch einen bittern Schmerz erfahren. Augustinus rüstete sich zu einer Reise nach Italien, und da sie ihn zurück halten wollte, bestieg er heimlich ein Schiff. Trauernd stand sie am Ufer, und sah, zu Gott aus der Tiefe ihres Herzens seufzend, dem Schiffe nach, das den ungehorsamen Sohn nach Rom führte.

Nach einiger Zeit hörte sie, er sei in Mailand, und der fromme Erzbischof Ambrosius habe ihn dahin gebracht, daß er sich wieder unter die Katechumenen aufnehmen ließ. Da kann sie es nicht mehr länger in Afrika aushalten; in freudigem Glaubensmuth besteigt sie ein Schiff und bleibt so unerschüttert bei den gefährlichsten Stürmen des Meeres, daß sie auch noch ihre Mitschiffenden zu trösten vermag. Sie kommt eben im rechten Augenblicke in Mailand an. Der gewaltige Kampf, der in ihrem Sohne gährte, hatte ihn an den Rand der Verzweiflung geführt, aber ihre mütterlichen Bitten und Ermahnungen beschwichtigten den Sturm seiner Seele, und zu Anfang der Fasten 387 hatte sie die Freude, ihn unter den Täuflingen zu erblicken, welche auf Ostern durch die Hände des Ambrosius das Bad der Wiedergeburt empfangen sollten. Nach empfangener Taufe wollte er mit ihr nach Afrika zurückkehren. In heiliger Freude, das Ziel ihrer sehnsuchtsvollen Wünsche erreicht zu sehen, machte sie die eifrige Dienerin der ganzen Reisegesellschaft. Als sie in Ostia angekommen waren, stand sie voll ernster Betrachtungen allein mit ihrem Sohne an einem Fenster; da brach sie endlich das Stillschweigen und sagte: „Sohn, was mich betrifft, so hat nichts mehr einen Reiz für mich in diesem Leben. Was ich hier noch machen soll, und warum ich hier noch bin, weiß ich nicht, da keine Erdenhoffnung mir übrig ist. Eines war’s, weswegen ich in diesem Leben noch etwas zu verweilen wünschte: daß ich dich als rechtgläubigen Christen sähe, ehe ich sterbe. Ueber meine Erwartung hat mir Gott dies gewährt, da ich dich nun als Seinen Diener sehe, der alles Erdenglück verachtet. Was mache ich ferner hier?“ Etliche Tage darauf erkrankte sie und fiel in Ohnmacht. Ihre Söhne Augustinus und Navigius eilten herbei. Bald kehrte ihr das Bewußtsein zurück; sie schaute umher und fragte: „Wo war ich?“ Traurig standen die Söhne vor ihr. „Werdet ihr hier eure Mutter begraben?“ fragte sie. Augustinus schwieg und hielt die Thränen zurück. Navigius äußerte den Wunsch, daß sie nicht hier, sondern in Afrika sterben möchte, welches, wie er sagte, besser wäre. Als Monika dies hörte, warf sie auf ihn einen bekümmerten. Blick des Mißvergnügens und sagte: „Begrabet meinen Leib, wo ihr wollt, und seit meinetwegen ohne Sorgen. Ehedem wünschte ich wohl, neben meinem Manne in Afrika begraben zu werden, aber jetzt glaube ich, nichts ist fern von Gott, und ich fürchte nicht, daß Er am Ende der Tage nicht wissen werde, wo Er mich auferwecken wolle.“ Sie verschied am neunten Tage der Krankheit, und heftiger Schmerz ergriff Augustinus und seinen Bruder; doch hielten sie die Thränen zurück, weil es ihnen ungeziemend schien, Seufzer und Thränen einer Seele nachzusenden, von deren Seligkeit sie gewiß waren.

Monica (Mutter des Augustinus)

In der Geschichte des Reiches Gottes sind uns denkwürdige Beispiele überliefert worden, daß große Kirchenlehrer, von denen die segensreichsten Einwirkungen auf die Entwickelung der christlichen Kirche ausgingen, durch den Einfluß frommer Mütter die frühen tiefen Eindrücke der Frömmigkeit empfingen, von denen ihre spätere gottgeweihte Thätigkeit ausging. Nicht selten tauchten, wenn die erste Aussaat des Evangeliums durch sich anschließende Verirrungen und Lebensstürme wieder vernichtet zu werden schien, jene frühen, mit dem Andenken an die mütterliche Liebe verbundenen Jugendeindrücke von neuem empor, und riefen mit unwiderstehlicher Macht die, wiedererwachte Sehnsucht zurück zu dem göttlichen Frieden, der sich einst an der kindlichen Seele schon so lieblich bezeugt hatte. Zu solchen christlichen Müttern, die, durch ihr eignes Leben ehrwürdig, und der fortdauernden Erinnerung werth, ebenfalls wegen ihres Einflusses auf ihre Söhne es verdienen, daß ihr Gedächtniß dankbar bewahrt bleibe, gehört namentlich auch Monica, die Mutter des großen Kirchenlehrers Aurelius Augustinus.

Monica war ums Jahr 332 in Nordafrika geboren, vielleicht in der numidischen Stadt Tagaste, wo sie später als Gattin des Patricius wohnte. Von christlichen Eltern erhielt sie eine christlichfromme Erziehung. Wenn sie aber von ihrer Kindheit erzählte, so gedachte sie außer ihren Eltern auch mit vieler Anhänglichkeit einer alten Dienerin, die bereits ihren Vater auf den Armen getragen hatte, darnach mehr als Freundin denn als Dienerin in dem elterlichen Hause geblieben war, und daselbst von allen Mitgliedern geehrt und geliebt wurde. Dieser Alten ward die Beaufsichtigung der jungen Töchter des Hauses anvertraut, und sie bewies in diesem Berufe eben so heilsamen Ernst als freundliche Klugheit. Aus unscheinbaren Anfängen suchte sie häusliche Tugenden groß zu ziehen. Monica hatte nicht sowohl eine stille und weiche, als eine lebensfrische und kräftige Gemüthsart. Mit ihrer innerlichen Richtung vereinigte sie einen Sinn, der auch zu der Außenwelt mit heiterem, kräftigem Lebensgefühl sich hinwendet. Aber auf diesem lebenskräftigen Boden fand das Evangelium eine köstliche Pflanzstätte, durchdrang mit seiner heiligenden Macht diese reiche und jugendlich-frische Eigenthümlichkeit. Nachdem Monica im elterlichen Hause die Pflichten einer guten Tochter erfüllt hatte, wurde sie dem Patricius, einem Manne in Tagaste von angesehenem Stande und einigem Vermögen, zur Gattin gegeben. In ihrem Ehestande hatte sie es nun unter schwierigen Verhältnissen zu bewähren, daß der Geist des Evangeliums dem menschlichen Herzen eine Liebe einflöße, die nach den Worten des Apostels Paulus alles verträgt, alles glaubet, alles hoffet und alles duldet. Patricius war ein Mann von Herzensgute, aber auch von aufbrausender Heftigkeit. Er war – was für Monica besonders schmerzlich sein mußte – noch dem Heidenthum angehörig. Monica lebte auch in der ersten Zeit ihrer Ehe noch mit ihrer Schwiegermutter zusammen, welche zum Argwohn gegen die Schwiegertochter geneigt war. Dennoch wußte sie, bei treuer Besorgung des Hauswesens, durch ihre herzliche Freundlichkeit und Liebe, durch Sanftmuth und Demuth, den häuslichen Frieden jederzeit ungetrübt zu erhalten, und so wie sie in dem eignen Hause die Eintracht bewahrte, suchte sie auch bei Anderen durch ihren friedsamen Zuspruch die Eintracht zu befestigen, oder die gestörte Eintracht wieder herzustellen. Es war ihr inniger Wunsch, daß sie doch ihren Gatten für den christlichen Glauben gewinnen möchte, und daß ihre Kinder, unter denen Augustinus ihre mütterliche Zärtlichkeit in vollem Maaße besaß, vom erwachenden Bewußtsein an dem himmlischen Vater in dem Erlöser geheiligt würden, Patricius empfand den Werth einer solchen Gattin; er wurde von ihrem segensreichen Einflüsse beherrscht. Keinen Widerstand setzte er seiner Gattin entgegen, daß seine Kinder im christlichen Glauben unterwiesen, und auf die Taufe vorbereitet würden, und endlich ließ auch er selbst sich auf den Namen des Erlösers taufen. Bald darauf starb er, als sein Sohn Augustinus das siebenzehnte Lebensjahr erreicht hatte. Für Monica war es ein beseeligender Trost, daß der Gatte, den sie geliebt, und für dessen Seelenheil sie die inbrünstigsten Gebete dargebracht hatte, in dem Glauben gestorben sei, in welchem sie das wahrhaftige Leben gefunden hatte.

Nach dem Tode des Patricius führte Monica den Wandel einer solchen Wittwe, von welcher die heilige Schrift sagt: „das ist eine rechte Wittwe, die einsam ist, die ihre Hoffnung auf Gott stellet, und bleibet am Gebet und Flehen Tag und Nacht.“ Sie dachte nicht daran, eine zweite Ehe zu schließen. Zur Seite des Grabes, in welchem Patricius ruhte, erwählte sie sich die Stätte, wo man sie dereinst bestatten möchte. In Uebungen und Werken der Frömmigkeit war sie unablässig. Das Wort Gottes war ihre Erquickung, das Gebet der Athemzug ihrer Seele. An jedem Tage kam sie zweimal, des Morgens und des Abends, zur Kirche, um das göttliche Wort zu hören und zu beten. Keinen Tag ließ sie vorübergehen, ohne ihre Gabe zum Altar darzubringen. Oft sah man sie mit Gaben der Liebe die Gedächtnißstätten der Märtyrer besuchen, damit sie dort nach der damals in der nordafrikanischen Kirche noch üblichen Sitte das Liebesmahl feierte. Sie nahm sich der Heiligen Nothdurft an. Nach ihrem Vermögen theilte sie den Armen Almosen aus. Für ihre Kinder wachte und betete sie mit der zärtlichsten Sorgfalt, Sie hatte ihre Kinder in das zeitliche Leben geboren, und ihr sehnlichster Wunsch war, daß dieselben auch zur Geburt in das ewige Leben hinanreifen möchten. Daher empfand sie, wie Augustinus sich ausdrückt, geistige Geburtswehen, so oft sie ihre Kinder von den Wegen Gottes abirren sah. Und solcher Schmerzen wurden ihrem mütterlichen Herzen viele bereitet, da sie den Sohn, auf welchem ihre ganze Liebe ruhte, an dessen vielverheißende Entwickelung sie große Hoffnungen geknüpft hatte, in Abgründe des Verderbens, der Lüste und des Unglaubens, hineinstürzen sah. Ihr fernerer Lebensgang hangt mit dem Leben ihres Sohnes Augustinus eng zusammen, und zeigt uns den Beruf der Mutterliebe, die den verirrten Sohn vom Verderben zu erretten sucht. Wir haben daher, um das weitere Leben Monicas darzustellen, zugleich auf das Leben des Augustinus hinzublicken.

Auf das kindliche Gemüth des Augustinus hatte die Frömmigkeit, die aus dem Wandel seiner Mutter hervorleuchtete, einen lebhaften Eindruck gemacht. Er zeigte eine innige Empfänglichkeit für die Verkündigung des Evangeliums. Seine kindliche Frömmigkeit sprach sich zum Beispiel einmal darin aus, daß, als er von einem heftigen Krankheitsanfalle ergriffen ward, er seine Mutter inständig bat, ihm die Taufe ertheilen zu lassen. Schon wurden die Vorbereitungen zu dem Sakramente getroffen, als der Knabe wieder genas. Die Taufe wurde deshalb noch verschoben, nach einer Ansicht der damaligen Zeit, daß es gut sei, die Taufgnade, als das Läuterungsmittel von allen Sünden, bis auf das reifere Alter vorzubehalten. Der ersten Zeit kindlicher Frömmigkeit folgte dann aber bei Augustinus ein Zeitraum, in welchem Leidenschaften und Lüste sein jugendliches Leben durchwühlten. Dieser Zeitraum begann bei ihm, seitdem er von Madaura, wo er durch das Studium der Litteratur und Beredtsamkeit seine ausgezeichneten Geistesanlagen ausbilden sollte, in seinem sechszehnten Jahre in das elterliche Haus zurückgekehrt war, und sich auf den Besuch der wissenschaftlichen Lehranstalt zu Carthago vorbereitete. Seine zügellose Lebensrichtung nahm seit seinem siebenzehnten Lebensjahre, nach dem Tode seines Vaters, in Carthago noch mehr zu, und zu dem Kummer der Mutter über die ausschweifende Sinnlichkeit ihres Sohnes kam nun auch noch der Schmerz, daß sie sehen mußte, wie er dem kirchlichen Glauben gänzlich entfremdet wurde, und der Irrlehre des Manichäismus, einer Vermischung kirchlicher Lehre mit heidnischer Religion und phantastischer Naturphilosophie, sich hingab. Wie mußte es bei ihrer Anhänglichkeit an der Kirche, in welcher sie den alleinigen Weg zur Seeligkeit erblickte, sie tief verwunden, daß Worte der Verachtung und des Spottes über das, was ihr das Heiligste war, aus dem Munde ihres Sohnes gingen! Ihre Thränen flossen unablässig, ihre Gebete stiegen ohne Unterlaß für den verirrten Sohn empor; aber so groß auch ward der Abscheu der frommen Frau gegen den Abfall ihres Sohnes, daß sie schon ganz sich von ihm zurückziehen, und ihn seinem Verderben überlassen wollte. Da jedoch wurden ihr tröstende Stimmen zu Theil, und die Hoffnung, daß der Verirrte noch gerettet werden könne, ward für sie ein Antrieb, ihn um so mehr mit ihrer mütterlichen Liebe zu umgeben. Ein solcher Trost drang in ihr gebeugtes Gemüth, als einmal ein Bischof ihre Klagen mit der Antwort erwiederte: „Es ist unmöglich, daß der Sohn dieser Thränen verloren gehe.“ Ein anderes Mal wurde sie durch ein Traumgesicht getröstet. Sie schien sich im Traume weinend dazustehn, als zu ihr ein Jüngling nahte, von leuchtender Gestalt und mildem Antlitz, und nach der Ursache ihrer täglichen Thränen fragte, „Ich weine, antwortete sie, um das Verderben meines Sohnes.“ Er aber gebot ihr, stille zu sein und aufzuschauen; denn wo sie sich befinde, sei auch ihr Sohn. Monica blickte auf, und Augustinus stand an ihrer Seite. Sie ersah darin den Wink, sich nicht von ihrem Sohn zu trennen, und mit hoffender Liebe brachte sie aufs neue ihre Gebete dar. Doch hatte ihre Hoffnung noch mit schweren Prüfungen zu kämpfen. Augustinus achtete nicht auf die Thränen seiner Mutter, im Gegentheil er riß sich los von ihren Thränen, verließ eines Abends die jammernde Mutter, die umsonst ihn zurückzuhalten, oder zu begleiten wünschte, an dem Seeufer zu Carthago bei der Märtyrerkirche des heiligen Bischofs Cyprianus, und schiffte sich ein nach Italien, um dort in Rom eine befriedigendere Lehrwirksamkeit zu suchen, als er in Carthago, wo er seit mehreren Jahren als Lehrer der Beredtsamkeit aufgetreten war, gefunden hatte.

Mutterliebe, die einen verirrten Sohn zum Glauben an Gott und zum Leben in Gott wiederzugewinnen sucht, findet ihren Weg auch über das Meer. Auch Monica verließ ihre Heimath, und eilte dem Augustinus nach, der sich nach vorübergehendem Aufenthalte in Rom, zu Mailand als Lehrer der Beredtsamkeit niedergelassen hatte. Sie fand ihn in düsterer Stimmung. Die Banden seiner Lüste schmerzten ihn, und zwar hatte er mit dem Manichäismus inzwischen gebrochen, weil er sich überzeugt hatte, daß die Verheißungen der Erkenntniß in dem Munde der Manichäer eitles Blendwerk seien, aber er verzweifelte nun überhaupt daran, daß der Mensch zur Erkenntniß der Wahrheit gelangen könne. Monicas durchdringender Gemüthsblick vermochte indessen den Fortschritt in dem damaligen geistigen Zustande des Augustinus zu erkennen. Dankbare Freude gegen Gott war in ihrem Herzen, und mit ruhiger Zuversicht sprach sie die Worte: „ich glaube zu Christo, daß, bevor ich aus dem irdischen Leben scheide, ich dich noch als ein Mitglied der allgemeinen christlichen Kirche sehen werde. Die Erfüllung dieser Hoffnung wurde denn auch bereits im Verborgenen durch die ersten neuen Glaubensanfänge vorbereitet. Denn schon fühlte sich Augustinus durch die Predigten des großen mailändischen Bischofs Ambrosius gefesselt. Er lernte allmählig die Kirchenlehre in einem anderen Lichte auffassen, als sie ihm erschienen war. Das fromme Gefühl, welches ihn in seiner Kindheit durchdrungen hatte, trat, von der Tiefe des Gedankens verklärt, ihm von neuem vor die Seele. Monica war Zeugin der großen innern Umwandlung, durch welche Augustinus endlich dem Glauben der Kirche zurückgegeben wurde, und feierlich vor Gott den Entschluß faßte, allen irdischen Lüsten abzusagen, und fortan sein Leben auf das Trachten nach dem Reiche Gottes zu beziehen. Sie lebte in Jtalien in denselben Uebungen und Werken der Gottesfurcht, die sie in Afrika an den Tag gelegt hatte, und zeichnete sich, während zu jener Zeit die mailändische Kirche von den Stürmen des Arianismus, welcher das göttliche Wesen des Erlösers ableugnete, erschüttert ward, so sehr durch ihren kirchlichen Eifer aus, daß öfter Ambrosius, wenn er den Augustinus sah, ihm Glück wünschte, eine solche Mutter zu haben. Mit stetem Gottvertrauen harrte sie der Stunde entgegen, in welcher ihr Sohn der Kirche zurückgegeben würde. Endlich kam diese Stunde, der ergreifende Augenblick, in welchem Augustinus in dem Garten bei seiner Wohnung unter dem Feigenbaum mit Thränen der Zerknirschung sich vor dem Allgegenwärtigen niederwarf, um Vergebung seiner Sünden und Kraft zu einem heiligen Wandel flehte, und, ein zweiter Nathanael, von dem Herrn, dessen liebreiches Auge einst auf den Nathanael unter dem Feigenbaum sah, das Gebot empfing, den neuen Menschen der Gerechtigkeit anzuziehen. Wie strömte nun ihr Herz über von Dank und von Freude, als Augustinus ihr verkündigte, daß Gott ihm Gnade erwiesen habe und er fortan den sehnlichsten Wunsch hege, durch sein ferneres Leben dankbar die göttliche Gnade zu verherrlichen. Ihr Traum war jetzt erfüllt, ihre suchende mütterliche Liebe zu ihrem Ziel gelangt. Augustinus verlebte nach seiner Bekehrung und vor seiner Taufe einige Monate in stiller Zurückgezogenheit zu Cassiciacum, einem Landgute seines Freundes Verecundus, in der Nähe von Mailand. Monica begleitete ihn dahin. Sie sorgte dort für das Hauswesen des kleinen, innig verbundenen Kreises. Denn außer Augustinus befand sich in Cassiciacum noch ein zweiter Sohn Monicas, Navigius, ihr Enkel Adeodatus, der Sohn des Augustinus, und einige Schüler und Freunde des Augustinus. Lebendigen Antheil nahm sie in Cassiciacum an den Unterredungen über die höchsten Gegenstände der Erkenntniß und des Seelenfriedens, die dort von Augustinus, bald in freier Natur, wenn ein milder Herbsttag es gestattete, bald in einem Zimmer des Landhauses geleitet wurden. Die Worte, welche sie aus glaubensvollem Gemüthe aussprach, erregten die Bewunderung der Männer. Es waren stille, beseeligende Stunden, durchweht von den ersten milden Hauchen des göttlichen Friedens, der nach den innern und äußern Lebensstürmen in die Brust des Augustinus eingekehrt war. Vielen Kummer hatte sie wohl von ihrem Sohn erfahren, aber nun wurde ihr aller Schmerz reich vergolten. Augustinus unterließ nicht, es der Mutter auszusprechen, wie viel er ihr verdanke. „Fürwahr, sprach er einmal, ich glaube, o Mutter, daß mir auf deine Gebete Gott den Sinn geschenkt hat, daß ich der Erforschung der Wahrheit nichts vorziehe, nichts Anderes will, nichts Anderes denke, nichts Anderes liebe.“ Endlich, von welchen Gefühlen muß ihr Herz bewegt gewesen sein, als am Osterfeste des Jahres 387 in der Kirche zu Mailand ihr Sohn Augustinus getauft wurde, und neben seinem Vater auch Adeodatus in zarter Jugendblüthe stand, um zugleich in die Kirchengemeinschaft aufgenommen zu werden! Nun wurde die Heimkehr nach Afrika beschlossen, schon war Ostia an der Tibermündung erreicht, schon wurden die Vorkehrungen zur Seereise getroffen, und bald konnte das heimathliche Ufer erreicht sein. Aber Monica befand sich schon näher an der himmlischen Heimath als an der irdischen; sie hegte auch keine Sehnsucht mehr, die sich auf Irdisches bezog, nachdem sie ihren herzlichsten Wunsch durch die Taufe ihres Sohnes vollendet sah, sondern ihre Sehnsucht ging nach dem Himmel. Dies sprach sie eines Tags aus, als sie neben Augustinus an dem Fenster des Hauses stand, in welchem sie zu Ostia wohnten. Ihre Augen blickten hinaus auf einen stillen Garten, das Auge ihres Geistes aber blickte empor zu dem himmlischen Paradiese. Sie versuchten es, sich zur Ahnung der Herrlichkeit aufzuschwingen, auf welche sich der Ausspruch bezieht: „gehe ein zu deines Herrn Freude,“ und begeisterte Worte von der Seeligkeit des himmlischen Vaterlandes strömte über die Lippen des Augustinus. Gerührt, und gleichwie im Gefühl nahen Hinscheidens, antwortete Monica: „was mich betrifft, mein Sohn, so habe ich an nichts in diesem Leben mehr Freude. Ich weiß nicht, was ich hier noch thun soll, und warum ich noch hier bin. Eins war es, weshalb ich in diesem Leben noch zu bleiben wünschte, um noch dich vor meinem Tode als gläubigen Christen zu sehen. Dies hat mein Gott mir überschwänglich gewährt, da ich dich das irdische Glück verachten und ihm dienen sehe. Was soll ich hier noch thun?“ Wenige Tage darauf erkrankte sie an einem Fieber, Die Krankheit ging schnell dem Tode entgegen, und raubte ihr auf Augenblicke das Bewußtsein. „Wo war ich?“ fragte sie, als sie die Augen wieder aufschlug, und als sie ihre Söhne trauernd an ihrem Lager erblickte, sprach sie: „ihr werdet hier eure Mutter begraben.“ Augustinus unterdrückte seine Thränen, Navigius aber suchte ihr zuzusprechen, sie werde ja nicht in der Fremde sterben, Gott werde ihr ja die Rückkehr in die Heimath zu Theil werden lassen. Dies hatte sie auch früher selbst gehofft, denn an der Seite ihres Gatten hatte sie ja die letzte Ruhestätte zu finden gewünscht. Indessen war in ihrer letzten Krankheit auch dieser Wunsch ihr ferner getreten. „Nichts, hatte sie gesagt, ist fern von Gott, und ich darf nicht fürchten, daß er am Ende der Tage nicht wissen werde, von wo er mich auferwecken möge.“ Dem Navigius aber antwortete sie: „begrabet hier nur immerhin meinen Leib, und bekümmert euch deshalb nicht. Nur dieses bitte ich von euch, daß ihr an dem Altar Gottes meiner gedenket, wo ihr auch sein wöget.“ Sie starb zu Ostia am neunten Tage ihrer Krankheit, im Jahre 387, im sechsundfünfzigsten Lebensjahre und im dreiunddreißigsten Lebensjahre des Augustinus. Augustinus mußte in die Heimath zurückkehren ohne die Mutter, die ihm aus der Heimath in die Fremde gefolgt war. Aber ihr Andenken begleitete ihn, im Heiligthum des Herrn blieb er ihrer letzten Bitte eingedenk, für sein ganzes ferneres Leben war ihm die Erinnerung an seine Mutter gesegnet, und oft im Traumgesicht traten ihm ihre verklärten Züge entgegen, und fühlte er sich, wie einst während ihres irdischen Lebens, von ihrer Liebe umgeben.

 

.E. Bindemann in Grimmen.