Arsatius Seehofer

Es war zu Ingolstadt an der Donau ein junger Magister der freien Künste((Man zählte damals deren sieben: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie.)),  Arsatius Seehofer; kaum 18 Jahre alt, der Sohn ehrsamer und wohlhabender Aeltern aus München. Dieser hatte aus Luthers und Melanchthons Schriften die christliche Wahrheit zu erkennen angefangen, und in Schriften und Vorträgen öffentlich bekannt gemacht. Die Professoren der Universität zu Ingolstadt zogen aus diesen Schriften Seehofers, wie sie sagen „mit inbrünstigem, ernstlichern Fleiße“, siebzehn Punkte heraus, welche sie für ketzerisch erklärten, ließen den Magister ins Gefängniß werfen, lange darin schmachten, und brachten es endlich, nachdem sie ihn auf Herzog Wilhelms Befehl aus dem Gefängniß unter der Bedingung, daß er widerrufen wolle, hatten entlassen müssen, durch Androhung des Feuertodes bei ihm dahin, daß er die 17 Artikel öffentlich und feierlich am 7. September 1523 widerrief. Die Artikel sind folgende:

  1. Der Mensch wird vor Gott allein durch den Glauben gerecht.
  2. Die Gerechtigkeit vor Gott besteht darin, daß uns Gott dieselbe zurechnet, ohne unsere Werke anzusehn.
  3. Der Mensch kann diese Rechtfertigung sich durch keinerlei Werke oder Verdienst erwerben.
  4. Gott allein macht uns gerecht dadurch, daß er uns seinen Geist eingießt, ohne alle unsere Werke.
  5. Wir sollen auf unsere guten Werke gar keine Hoffnung oder Zuversicht setzen.
  6. Es ist unmöglich, daß der Glaube nicht sollte gute Früchte oder Werke hervorbringen.
  7. Wenn die Schrift sagt, daß die guten Werke belohnt werden, so soll man das so verstehen, daß wir nichtsdestoweniger durch den Glauben selig werden.
  8. Diejenigen, welche es sich unterstehen, durch ihre guten Werke sich gerecht und gut zu machen, die bauen nicht auf einen Felsen, sondern auf Sand.
  9. Man soll in der Kirche Keinem etwas glauben, außer was er gewiß und klar beweist aus dem Worte Gottes.
  10. Es soll kein Mensch in der christlichen Kirche etwas thun oder lehren, was Gott nicht gewißlich angegeben, gelehrt oder geboten hat.
  11. Ein Bischof darf nichts anderes, als das Wort Gottes lehren.
  12. Ein Bischof ist der, der das Amt hat, Gottes Wort zu predigen.
  13. Wenn ein Mann rechtlich von seinem Weibe geschieden wird, so hat er Macht, eine andere zu nehmen, ebenso darf sich die Frau  einem andern vermählen, ausgenommen, wenn man dem, der daran schuld. ist, daß die erste Ehe geschieden ist, verbieten wollte, eine andere einzugehn.
  14. Man soll nicht schwören, ausgenommen zu Gottes Ehre und des Nächsten Nutzen, um zeitlicher Güter willen zu schwören, ziemet sich nicht.
  15. Wer einen Eid von einem andern fordert, der muß nothwendig ein argwöhnisches, untreues, boshaftiges und leichtfertiges Gemüth haben, auch wenig Ehrfurcht vor Gottes Wort.
  16. Das Gesetz Mosis fordert vom Menschen, was er nicht leisten kann.
  17. Daß das Evangelium Christi nicht Geist sei, sondern Buchstabe, ist falsch.

Wer nur ein wenig im wahren Christenthume unterrichtet ist, wird sogleich erkennen, das gegen diese Behauptungen Seehofers, die fünfzehnte ausgenommen, die man ihm zu gut halten darf, nichts Gründliches aus der heiligen Schrift vorgebracht werden kann, sondern daß sie vielmehr ganz mit der Bibel übereinstimmen. Aus welchen Gründen die Universität zu Ingolstadt diese siebzehn Artikel für ketzerisch erklärt hat, kann man aus Luthers Schrift dagegen, die hier mit abgedruckt ist, zur Genüge erleben. Die Eidesformel, mit welcher Seehofer diese sogenannten Ketzereien abschwören mußte, war folgende:

Ich, Arsatius Seehofer von München, der freien Künste Meister, schwöre auf das heilige Evangelium, das ich in meinen Händen habe, und bekenne hier mit dieser Schrift, die ich mit meiner eigenen Sand geschrieben habe, und mit meinem eigenen Munde vor Euch, Rector und Räthen und der ganzen hohen Schule der löblichen Universität zu Ingolstadt, hiermit lese und ausspreche: wiewohl ich vor dieser Zeit mit der frevelhaften, falscher, irrigen, lutherischen Ketzerei in Verdacht und mannichfaltig befleckt gewesen bin, so daß ich sie auf manche Weise durch lehren, schreiben und vertheidigen ausgebreitet und nach meinen Kräften damit getäuscht habe; weshalb ich denn in der obengemeldeten, meines Herrn Rectors und der Räthe der Universität, Gefängniß gekommen bin, und eine Strafe (wie denn eine solche nach allgemeinen Rechten den Vertheidigern der Ketzereien aufgelegt werden soll) verschuldet hatte; so habe ich doch bei denselbigen aus besonderem Befehl und Verordnung der Durchlauchtigen, Hochgeborenen Fürsten und Herren, Herrn Wilhelm und Herrn Ludwig, Gebrüdern, Pfalzgrafen am Rhein u. s. w. die Gnade erlanget, daß solche ernstliche Strafe gegen mich ab- und eingestellt worden ist, unter der Bedingung, das ich’s jetzt soll demüthig erkennen und widerrufen. Hierauf so bekenne ich hiermit, daß Alles, das in meinen Vorlesungen durch mich aus den Schriften Philippi Melanchthons gelesen, auch sonst durch mich geredet und geschrieben, und jetzt hiervor durch den Notarius der Universität verlesen ist, eine rechte Erzketzerei und Büberey sei, daß ich auch denselben (Schriften Melanchthons) allen, wie von Päbstlicher Heiligkeit, Kaiserlicher Majestät und obengenannten meinen gnädigen Herrn verboten ist, nimmermehr anhangen oder sie gebrauchen, sondern, wie einem frommen Christen gebührt, alles dasjenige, was die heilige Römische, christliche Kirche, die heiligen Concilia geordnet und gesetzt haben, und was durch einen ehrbaren, geistlichen Brauch angenommen worden ist, halten wolle, und mich mit meinem eigenen Leibe in das Kloster Eetal((So schreibt M. Rieger den Ort; ich weiß nicht, wo er liegt.)) stellen, daraus ohne besondern Befehl unseres gnädigen Herrn nicht kommen, endlich auch kein lutherisches Buch lesen noch herausgeben wolle. Das helfe mir Gott, der Allmächtige, u. s. w.

Als M. Seehofer auf diese Weise seinen Herrn Christum verläugnet hatte, stürzten ihm, wie Argula erzählt, die Thränen in Strömen über die bleichen Wangen. Da trat ein Jurist zu ihm, und frug ihn, was er so weine? ob er noch ein Ketzer sei? Ich weiß nicht, kam die Frage aus Mitleid oder aus Verdacht; ob Arsatius geantwortet habe, wird uns nicht gemeldet, aber wohl, daß er bald darauf in ein Kloster zu hartem Gewahrsam abgeführt worden ist. Sein Gewissen ließ ihm aber keine Ruhe, und er suchte aus dem Kloster zu entkommen. Auf welche Weise ihm das gelungen sei, wissen wir nicht; es wird aber gemeldet, daß Arsatius Seehofer, nachdem er aus seinem Kloster geflohen war, sich nach Wittenberg zu D. Luther begeben, seinen Fall und seine Verläugnung Christi bekannt und Absolution darüber empfangen habe. Luther schickte ihn darauf nach Preußen zum Hochmeister des deutschen Ritterordens, Markgraf Albrecht von Brandenburg, wo er etwas anderthalb Jahr lang das Evangelium predigte. Weil er aber das dortige Klima nicht wohl vertragen konnte, ging er wieder nach Wittenberg. Im Jahre 1534 finden wir ihn zu Augsburg als Lehrer in der zweiten Klasse der, St. Annenschule daselbst. Als Herzog Ulrich von Württemberg sein Land wiedererobert hatte, ging Arsatius 1536 nach Stuttgart, wurde von D. Erhard Schnepf examiniert, und darauf zum Pfarrer und Prediger des göttlichen Wortes nach Leonberg berufen, wo er der Kirche gegen drei Jahre treulich und fleißig gedient hat. Von dieser Stadt Leonberg wurde er zur Stadtpfarrer Winnenden im Remsthale befördert, wo er zur Vertheidigung seiner Lehre gegen allerlei Lästerer und Feinde seine lateinische Postille oder Auslegung der sonntäglichen Evangelien im Jahre 1539 geschrieben hat. Dieser Postille sind einige Fragestücke, angehängt, welche er allen evangelischen Predigern zu gut über die vornehmsten Hauptstücke der christlichen Religion aufgelegt hatte; auch einige Sätze von der Messe, dem Fegfeuer und dem päbstlichen Ablaß. Dieses beides soll, nach M. Riegers Nachrichten darüber, eine ziemlich vollständige und ächt evangelische Unterweisung sein, welche wegen ihrer Gründlichkeit, Deutlichkeit und Erbaulichkeit, nicht wenig Nutzen gestiftet haben wird. Nachdem Seehofer zu Winnenden sechs Jahre lang das Evangelium gepredigt hatte, ist er an seinem Seitengeschwür in christlichem Bekenntniß selig entschlafen. In seiner vielfachen Bedrängniß hat er sich öfter an seine Aeltern gewandt und um Unterstützung gebeten, aber allezeit abschlägliche Antwort erhalten. Er hat dies mit christlichem Herzen ertragen, und sich getrost Gott dem Allmächtigen befohlen, auch seine Aeltern deswegen entschuldigt, als ob sie aus Furcht vor ihrem Landesfürsten solches hätten unterlassen müssen.