Simon Dach

Je weniger die evangelische Kirche, auch nur die deutsche, eine äußerlich geeinigte ist, was sie zum Theil auch nicht sein kann und will, um so mehr Aufforderung hat sie, alles das, was zu geistigen Einheitsbändern geeignet ist, sorgfältigst zu pflegen. Vor Anderem wichtig, namentlich viel bedeutsamer als Gleichmäßigkeit der gottesdienstlichen Formen, wird wohl hiefür sein: Uebereinstimmung in den Quellen der Erbauung für die Gemeinde. Unter diesen nicht die erste Stelle, welche ewig dem theuren Bibelworte gebührt, aber wohl die zweite nimmt das Lied ein. Und es ist ja wahrlich etwas Großes, daß die evangelischen Gemeinden Deutschlands wie mit einem Munde Luthers, Gerhardts, Heermanns, Neanders Lieder singen. Mit ihnen ist es Gottlob dahin gediehen, daß ihr sächsischer, schlesischer, bremischer, ihr lutherischer oder reformirter Ursprung vergessen ist, und sie deutsche evangelische Gemeindekleinodien geworden sind.

Aber es giebt auch treffliche evangelische Liederdichter, welche provinziell geblieben sind. So ist Phil. Friedr. Hiller, welchen G. Schwab den größten Kirchendichter des 18. Jahrhunderts nennt, über Würtemberg hinaus den Gemeinden wenig bekannt. Und mit Tersteegens innigen Liedern, mit Lampes schwunghaften Hymnen ist wohl auch außerhalb der reformirten Kirche mancher fromme Christ vertraut, aber schwerlich sind sie irgendwo im östlichen und nördlichen Deutschland bei Nichtreformirten im Gemeindegebrauch. Auch Simon Dach, der preußische Sänger, ist einer von denen, deren Lieder viel zu sehr ihrem Heimathlande überlassen worden sind. Es entspricht dem Werthe, den sie haben, nicht, daß aus der Zahl von 150 nur ein und das andere Gemeingut des evangelischen Deutschlands geworden; immerhin mag eine landsmannschaftliche Vorliebe für den liebenswürdigen Dichter einer Auswahl von 40 seiner Lieder in den preußischen Gesangbüchern bis heute eine Stelle eingeräumt haben, aber nicht wenige derselben werden den außerpreußischen Gemeinden mit Unrecht vorenthalten. An diesem Urtheil wenigstens hat landsmannschaftliches Interesse hoffentlich keinen Theil.

Simon Dach ist ein Kind der Schreckenszeit des dreißigjährigen Krieges, die unerfreulich und verderblich nach allen Seiten, dennoch eine Blüthe hervorgetrieben hat, und zwar diejenige, in welcher das Beste auch seines Lebens und Wirkens eingeschlossen ist, die Blüthe des evangelischen Kirchenliedes. Dreizehn Kinderjahre vor, und eilf reifere Mannesjahre nach dem Kriege waren ihm zugemessen. Er wurde 1605 am 29. Juli in Memel geboren, und starb am 15. April 1659 in Königsberg. Sein Leben ist durch Wechsel des Geschickes keineswegs ausgezeichnet, bewegt sich vielmehr in einfachen, sich gleichbleibenden Verhältnissen. Die Jugendjahre verlebte er in seiner Geburtsstadt, wo der Vater gerichtlicher Dolmetscher der lithauischen Sprache war. Hervorstechendes Talent zeigte der Knabe für Musik. In seinem vierzehnten Lebensjahre wurde er auf die Domschule nach Königsberg gebracht, die er mit einer durch eine Pestseuche im J. 1620 veranlaßten Unterbrechung ein paar Jahre besuchte. Seine weitere Bildung empfing er auf der Stadtschule zu Wittenberg, wohin er einen jungen Prediger als Famulus begleitete. Nach dreijährigem Aufenthalt in Wittenberg macht er den Schluß seiner Schülerlaufbahn in Magdeburg. Aber Pest und Krieg vertreiben den Jüngling von dort; im Jahre 1626 finden wir ihn als Studiosus der Theologie in Königsberg wieder. Seitdem hat er diesen Ort nicht mehr verlassen, sondern daselbst seit 1633 als Lehrer an derselben Domschule, deren Zögling er ehedem gewesen, und seit 1639 als Professor der Dichtkunst an der Universität bis an seinen Tod gewirkt.

Aber es ist nicht die aus seiner amtlichen Stellung hervorgehende Wirksamkeit, wie treu und gewissenhaft er auch in derselben war, welche uns seinen Namen ehrwürdig und theuer macht; nicht der akademische Lehrer der Dichtkunst, sondern der Dichter Dach ist es, dem ein dankbares Gedächtniß gebührt. Der Dichter ist aber von dem Menschen und Christen nicht zu trennen. Ihn schildern wir in kurzen Zügen. Simon Dach war, wie wir theils aus schriftlichen Mittheilungen, theils aus einem in Königsberg erhaltenen Portrait erkennen, ein hagerer Mann von mittlerer Größe; die Gesichtszüge verriethen Milde und Gelassenheit; das Auge war brennend; dünnes Haar bedeckte seinen Scheitel; die ganze Erscheinung machte einen wohlthuend wehmüthigen Eindruck; er scheint auch äußerlich das Gegenbild seines Freundes und Studiengenossen, des breitschultrigen Abraham Calov gewesen zu sein. Brustbeschwerde, Kurzathmigkeit hat ihm schon in jüngeren Jahren, als er noch Collaborator an der Domschule war, verbunden mit äußerster Kärglichkeit des Einkommens seinen Lebensweg sauer gemacht; und ganz ist dieser doppelte Druck nie von ihm gewichen; nach mehrmaligen bedrohlichen Anfällen erlag der vierundfünfzigjährige Mann der Lungenschwindsucht, und seine Vermögensverhältnisse waren, wie sehr sie sich auch seit der Professur gebessert hatten, doch bei einem Hausstande von sieben Kindern der Art, daß er nicht viele Jahre vor seinem Tode seinen gnädigen Kurfürsten, der ihm allezeit hold gewesen ist, da er „mit berühmter Zungen seinem Haus und ihm gesungen, was kein Rost der Zeit verzehrt,“ in einem allerdings launig gehaltenen Gedichte so ansingt:

Held, zu welches Herrschaft Füßen
Länder liegen, Ströme fließen
Laß auch mich nur Futter kriegen
Bis der Tod mich heißt erliegen.

Und er kann wirklich an dem fürstlichen Geburtstage (6. Februar) 1658 seinem Landesherrn danken:

Der aus sonderlicher Güte
Mit dem Felde mich begabt
So mein Alter hat begehrt
Nun mich Krankheit oft beschwert.

Aber es lastete auf ihm nicht bloß dieses persönliche und häusliche Kreuz; trotz desselben war dem Magister Dach sein Haus doch eine süße Friedensstätte; das drückendere Leid trat ihm entgegen, wenn er die Schwelle seines in der Magisterstraße gelegenen Hauses überschritt. Er war eine weiche, friedliebende, der Freundschaft tief bedürftige, auf unbefangene Geselligkeit angelegte, allem Menschlichen geöffnete Natur, die sich unter anderm zu erkennen giebt in dem bekannten Gedichte:

Der Mensch hat nichts so eigen.
So wohl steht ihm nichts an,
Als daß er Treu erzeigen
Und Freundschaft halten kann u. s. w.

und in dem reizenden, ursprünglich plattdeutschen Hochzeitsliede „Aennchen von Tharau“, von welchem Herder eine das Original keineswegs erreichende unvollständige Uebersetzung gegeben hat. Aber sein Leben fiel in eine Zeit, die mehr als andere eine Zeit des Krieges, des Haders, der Untreue und der Herzlosigkeit war. Das war noch nicht Alles, daß die Furie des Religions- und Bürgerkrieges über ganz Deutschland losgelassen war, wovon doch auch das entlegene Preußen nicht unberührt blieb, welches überdieß bei dem schwedisch-polnischen Kriege auch unmittelbar betheiligt war; erlebte doch Königsberg im J. 1626 nicht eben freundliche Durchmärsche schwedischer Truppen, so daß die Stadt sich veranlaßt sah, damals zuerst ernstlich auf ihre Befestigung bedacht zu werden; war doch der Hafen von Königsberg, Pillau, damals zehn Jahre lang durch die Schweden besetzt, und sowohl dadurch als durch ein Handelsverbot des preußischen Lehnsherrn, des Königs von Polen, der Handel aufs Aeußerste beeinträchtigt; erneuerte sich doch, als für Deutschland durch den Westphälischen Frieden längst der Kriegslärm zum Schweigen gebracht war, die Kriegsnoth für Preußen wiederum in den fünfziger Jahren, da zwischen Polen und Schweden abermals der Kampf entbrannte, wobei das erst aufstrebende Preußen bald auf der einen, bald auf der anderen Seite eine Stellung einzunehmen genöthigt war, und obenein durch einbrechende Tartarenhorden schreckliche Verwüstungen erlitt. Hand in Hand mit diesen Kriegsnöthen und Handelsstockungen gingen dann Verarmung, Hungersnoth und Seuchen. Die Pest suchte Königsberg in der ersten Hälfte des Jahrhunderts mehrfach gräßlich heim. Durch einzelne dieser Pestepidemieen wurden über 10,000 Menschen hingerafft, die Seuche des Jahres 1649 räumte namentlich unter Universitätslehrern und Studenten entsetzlich auf. Auch die inneren bürgerlichen Verhältnisse jener Zeit waren durch andauernde Zwistigkeiten zwischen den Ständen, sowohl dem Adel als den Städten, und dem Churfürsten vielfach unerfreulich. Die Bürger Königsbergs, aufgereizt durch unruhige Führer und durch Abgaben und Einquartirung gedrückt, harmonirten mit dem Landesherrn so wenig, daß sie, für ihre Privilegien besorgt, seinen Bemühungen um die Souveränität unpatriotisch genug widerstrebten; die Feste Friedrichsburg scheint mehr zu ihrer Einschüchterung als zur Abwehr feindlicher Angriffe im J. 1657 angelegt zu sein. Da gab es Tage, in welchen Viele den Untergang des Vaterlandes nahe glaubten. Aber am unerfreulichsten sah es auf dem Gebiete aus, von welchem in solcher wirren Zeit am meisten hätte Frieden und Erhebung der Gemüther ausgehen sollen, auf dem kirchlichen; und man mag sich leicht vorstellen, daß ein Mann wie Dach daran besonders schwer zu tragen gehabt hat. Widerwärtiger, bitterer, tödtlicher ist der theologische Parteihader in jenem Blüthezeitalter protestantischer Kirchenfehden schwerlich irgendwo zu Tage getreten, als in Königsberg; hier haßten Lutheraner nicht bloß Calvinisten also, daß sie sich davor entsetzten, einen solchen „Bruder in Christo“ zu nennen, und der Professor Primarius der theologischen Facultät dem ersten reformirten Gottesdienste, welchen Churfürst Sigismund in seinem Privatgemach auf dem Schlosse hielt, mit einer Predigt über Amos 8, 10. antwortete: „ich will eure Feiertage in Trauer und alle eure Lieder in Wehklagen verwandeln“; sondern hier verfolgten auch Lutheraner die Genossen der eigenen Kirche wegen abweichender Meinungen, welche die eigentlichen Heilsartikel kaum streiften, nicht bloß im Leben, sondern auch im Tode, wie denn der theologische Professor Myslenta, einer der vornehmsten akademischen Lehrer Dach’s, seinem Collegen dem Professor Mich. Behm, wegen „Verraths an der Religion“ zuerst beim Wechsel des Decanats das Facultätssiegel und bald darauf bei seinem Tode das christliche Begräbniß in der Domkirche verweigerte. Es ist eine Zeit, in welcher Dach in einem Liede auf den Tod eines 29jährigen Docenten der medizinischen Facultät singt:

Sund und Schand ist ausgelassen,
Und steht ihm kein Ziel gesetzt;
Mündlich lieben, herzlich hassen.
Wird für große Kunst geschätzt.
Glaube findet nirgend statt.
Treu und Liebe sind erfroren,
Daß Betrug die Herrschaft hat,
Und für Tugend wird erkohren.

In solcher politischen und kirchlichen Stickluft zu athmen, wurde der Brust Dach’s nicht eben leicht; er entzog sich ihr, so gut er konnte; er suchte und fand einen harmonischen Freundeskreis. Seit den Tagen des trefflichen Joh. Eccard, der dreißig Jahre hindurch, am Schluß des vorigen bis in den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts in Königsberg als herzoglicher Capellmeister gelebt hatte, dessen Lebensbild hier (Nr. 345) voran steht, war ein reges Interesse für edle, namentlich heilige Musik und für die damit schwesterlich verbundene Poesie in Königsberg nicht ausgegangen. Eccard’s Schüler, Joh. Stobäus, erhielt es wach, und es konnte an Vorhandenes ohne Schwierigkeit angeknüpft werden, als in den dreißiger Jahren besonders durch die Bemühungen des kurfürstlichen Raths Robert Roberthin, eines Mannes von seiner Bildung, eines Gönners und Freundes des jungen Dach, welchem dieser seine Beförderung aus dem kärglichen Schulamt zur Professur vorzüglich verdankte, ein Sängerbund gestiftet wurde, dessen Seele Simon Dach wurde. Neben den Genannten, Roberthin und Stobäus, waren die vornehmsten Glieder: Heinrich Albert, der Organist an der Domkirche (s. das folgende Lebensbild), dessen Lieder „Gott des Himmels und der Erde“ und „Einen guten Kampf hab ich auf der Welt gekämpfet“ der evangelischen Gemeinde Deutschlands wohl bekannt sind, und Val. Thilo, Professor der Beredsamkeit, von dessen Adventsgesängen „Mit Ernst ihr Menschenkinder“ und „Such wer da will ein ander Ziel“ Gleiches gilt. Dieser Freundeskreis, und besonders Dach in ihm, hat manches Lied der Freundschaft, des Scherzes, der Liebe, des frommen Christenglaubens, vorzüglich aber der Sehnsucht aus der Welt hinaus in das ewige Leben ausgehen lassen. Es ist wahr, die Zahl der Dach’schen Lieder, welche nach hergebrachter Rubricirung in die Rubrik „vom Tode“ hineingehören, ist außerordentlich groß. Man hat darauf hin die Anklage der Grämlichkeit, der Hypochondrie erhoben. Die Anklage ist in aller Weise ungerecht. In Sterbenszeiten Sterbelieder zu dichten, meistens von betrübten Eltern, Gatten, Freunden bei dem Dichter erbeten, sollte wohl für natürlich gelten. Und eine Sterbenszeit war die damalige Kriegs- und Pestzeit. Man vergleiche die Lebensjahre damaliger namhafter Leute, etwa aus den zunächst sich darbietenden akademischen Kreisen: es ist auffallend wie spärlich die Zahl der Jubilare, wie groß die Menge der „in der Hälfte der Tage“ Hinweggenommenen ist. Und abgesehn von der Sterblichkeit jener Zeit in Königsberg, soll das Gebet Mosis, des Mannes Gottes, „lehre uns unsere Tage richtig zählen, daß wir ein weises Herz erlangen,“ nicht ewig Geltung haben? Oder hat denn der Königsberger Sänger des Todes schlecht, glaubenslos, traurig wie die, die keine Hoffnung haben, vom Tode gesungen? – Er weiß vom Tode nicht anders als:

Wer, o Jesu, deine Wunden
Stets für seine Ruhstatt hält,
Hat den größten Schatz gefunden.
Er verachtet diese Welt,
Ihm ist Sterben eine Lust,
Weil ihm Himmelsfreud bewußt.

In dem Liede „Was willst du armes Leben dich trotziglich erheben“ ist der Himmel ihm ein Ort, darinnen Jesus „uns tausend Stellen aufgeräumt“, und er weiß es, daß auch

er wird mit der Schaar der Frommen
aus Sturm und Wellen kommen
zu dem gewünschten Ort.

Ein „schöner Himmelssaal“ ist’s, auf den er hofft; und die Freude in demselben wird vor Allem in der Gemeinschaft mit Gott bestehen:

O wie werd‘ ich mich
Dort an dir erquicken.
Du wirst mich, und ich
Werde dich anblicken.
Ewig, herrlich, reich,
Und den Engeln gleich.

Eine besondere Lust gewährt es ihm, dem Dichter und Musikliebhaber, sich den Himmel voll Liederklang zu denken. Häufig kehrt die Vorstellung wieder. So in dem Liede: „Wenn Gott von allem Bösen und dieser Lebensnoth wird meine Seel‘ erlösen“:

Mein Mund wird nichts als lachen,
Und meiner Zunge Klang
Wird nichts als Lieder machen,
Gott, unserm Heil, zum Dank;
Ihm werd‘ ich Ehre bringen.
Von seiner Werke Zahl
Wird heilig wiederklingen
Der ganze Himmelssaal.

Und in dem Liede: „Was haben wir zu sorgen:“

Da wollen wir, vom Leben
Und Lust berauscht, erheben.
Der Stimm‘ und Saiten Klang,
Und singen Ihm gehöre
Macht, Weisheit, Herrschaft, Ehre,
Und aller Liebe Dank.

Auch in dem bekanntesten unter allen seinen Liedern „O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen“ preist er die Seligen darüber selig, daß ihnen wird gesungen.

Was in Keines Ohr allhier gedrungen.

In der „sel’gen Ewigkeit“ zählt er unter den Gegenständen der himmlischen Freude nach dem

Gott von Angesicht, wie er ist, erkennen
Durch das große Licht seiner Liebe brennen,

und nach dem

Aller Väter Schaar und die lieben Seinen
Sprechen immerdar

auch dies auf:

Seine Stimm‘ empor
Mit den Engeln schwingen,
Und in vollem Chor
Unsrem Schöpfer singen:
Heilig bist du, Gott,
O Herr Zebaoth.

Aber er weiß auch, daß diese Dinge würdig auszusprechen ihm „Witz und Hand, Zung und Mund“ gebrechen. Er macht deshalb sehr häufig Anwendung von dem apostolischen Wort: „Was kein Auge gesehn hat und kein Ohr gehöret hat“ u. s. w.

Wenn ihm im Lichtglanze der Ewigkeit dieses Leben auch mitunter sehr dunkel zu sein scheint, in welcher Art vielleicht das Schroffste bei einem seiner Freunde sich findet:

Die Welt ist nur ein Hospital
Darin wir kranken müssen
An Leibes- und der Seelen-Qual,
Und unsre Sünde büßen;

wenn er auch in einem Krankheitsliede einmal seufzt:

Ach deine Hand ist mir zu schwer,
Zermalmst du mich doch, wie ein Bär
Dem Schäflein, seinem Raube,
Des Löwen Muth
Der Hindin thut,
Der Habicht einer Taube.

so löst sich alle Klage doch in völlige Ergebung auf; er ist von der Nothwendigkeit der Leiden zur christlichen Lebenszucht überzeugt, und spricht solche Ueberzeugung unter andern in dem schönen, merkwürdiger Weise in keines der gangbaren Preußischen Gesangbücher, wohl aber in das Freylinghausen’sche, Porst’sche u. a. aufgenommenen Liede „Kein Christ soll ihm die Rechnung machen“ im Bilde so aus:

Der Wein muß erst gekeltert werden
Eh‘ als sein süßer Saft
Das Trauern von uns rafft.
Der Waizen, so uns stärkt auf Erden,
Kommt durch das Mahlen und durch Hitze
Uns erst zu nütze.

So gelingen ihm denn auch Lieder jener Gattung, in welcher P. Gerhardt der Meister ist, die im Tone des kindlichsten Vertrauens die vorsehungsvolle Güte Gottes preisen; dieser wohltuende, die geängstete Seele mit den Widerwärtigkeiten des Leidens aussöhnende Ton durchzieht z. B. das auf einen durch erschütternden Meuchelmord umgekommenen Jüngling gedichtete Lied: „Was soll ein Christ sich fressen“, und das andere auf den Tod einer früh Vollendeten: „Was stehn und weinen wir zu Hauf.“ Hier rühmt er:

Gott thut, wie ein getreuer Hirt,
Der eines Wetters inne wird
Und treibt sein Vieh zusammen
Den Ställen zu
In sichre Ruh
Für Hagel, Sturm und Flammen,

Mit eben so viel, oder eben so wenig Recht wie der Dichter von „Valet will ich dir geben“ Val. Herberger, oder der Sänger des Liedes „Ich bin ein Gast auf Erden“, P. Gerhardt grämlich und melancholisch genannt werden würden, trifft solcher Vorwurf den Dichter der Lieder: „Ich bin ja Herr in deiner Macht“ und „O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen“, unseren Simon Dach. Es verhält sich auch durchaus nicht so, daß erst spätere schmerzliche Erfahrungen ihm, dem früher Heiteren, eine andere Richtung gegeben hätten; es sind sehr fröhliche und tief ernste Lieder aus allen Lebensperioden Dach’s vorhanden; sehnsuchtsvolle Sterbegesänge gehen Liedern voll launigen Humors voran, und letzterer ist ihm auch in der Nähe seines Lebenszieles noch nicht ausgegangen: er war allezeit ein Mensch des Heimwehs, auf dessen Wanderschaft die Gewißheit, daß er der Heimath sich nähere, einen die Mühen der Reise mildernden und erheiternden Einfluß ausübte. Ein todesbanges, kreuzesscheues, zur Schwermuth geneigtes Gemüth wird ohne Bedenken auf Dach’sche Lieder hinzuweisen, und nicht Nahrung für dergleichen krankhaftes Wesen, sondern Erleichterung und Befreiung davon zu erwarten sein. Der Gedanken, welcher sie voll sind, ledig sein oder ihnen aus dem Wege gehen, kann nicht für einen dem Evangelium entsprechenden Gemüthszustand gelten; vielmehr mit solchem Saitenspiel der Traurigkeit, dem Tode und dem Gericht begegnen und ihrer mächtig werden, ist das Zeichen einer Seele, welche rühmen mag: Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat, durch unsern Herrn Jesum Christum. Daß die Technik des Dach’schen Saitenspiels nach Verhältniß der Zeit, in welcher Opitz eben aufgetreten war, vorzüglich leicht, rein und correct ist, und wenn hier verglichen werden soll, von keinem andern jenes Jahrhunderts übertroffen wird, sei nur kurz angemerkt. Doch wird, außer der örtlichen Abgelegenheit der Pregelstadt, besonders sie es veranlaßt haben, namentlich die Neuheit der Versmaaße und die dadurch geforderte Neuheit der übrigens trefflichen Melodien, daß Dach’s Lieder, mit Ausnahme weniger, provinziell geblieben sind, und selbst in ihrem Heimathlande wohl im Kämmerlein und auf dem Krankenbette, wie auf dem Sterbelager andächtig gelesen, inbrünstig gebetet, aber von den Gemeinden nicht sehr häufig gesungen werden. Dazu kommt, daß sie ihrem Inhalte nach in der Mehrheit wirklich weniger gemeindemäßig sind. Wenn aber Gesangbücher auch der Privaterbauung dienen sollen, so ist ihnen ein viel reicherer Antheil an den Liedern unseres Dichters zu wünschen, und immerhin würden sich auch mehrere finden, und nicht bloß Todtenfestlieder, welche für evangelische Gemeinden zu einem würdigen Ausdruck ihres Glaubens und ihrer Hoffnung sich eignen würden.

C. J. Cosack in Königsberg