Jan Hus

Jan Hus

Johann Huss, geboren 1373 zu Hussinecz in Böhmen, stand als Professor und. mächtiger Sittenprediger in Prag am Hofe wie bei den Studenten und dem Volke in grossem Ansehen. Erfüllt von nationaler Abneigung gegen die Deutschen gab er als Rektor der Universität den czechischen Studenten das Uebergewicht über die Deutschen, worauf diese, fünftausend an der Zahl, Prag verliessen. Anfangs eiferte er nur wider den Ablasshandel und die Laster der Geistlichkeit. Seit er aber Wicleffs Schriften erhielt, wurde er durch ihr eifriges Studium weiter getrieben, griff die Ohrenbeichte, das Klosterwesen, die Fasten, die Kirchenpracht und die Verehrung der Bilder an, und. sprach den Satz: aus: Nichts von der geistlichen Amtsgewalt bestehe zu Recht, es sei denn, es lasse sich durch die Schrift beweisen. Vergebens untersagte der Erzbischof sein Predigen, Huss hatte nur um so grösseren Zulauf. Vergebens .that ihn Johann XXIII. in den Bann, er erklärte ihn für einen falschen Pabst. Endlich vor das Concil zu Konstanz geladen, reisete er hin im Schutze kaiserlichen Geleits. Hier aber wurde er, trotz des Kaisers und der Böhmen Widerstand, nach vier Wochen gefangen gesetzt, wies die Abschwörung seiner Lehre standhaft von sich und starb heitern Muthes auf dem Scheiterhaufen im Jahre 1415.

Historische und biographische Erläuterungen zu
Wilhelm von Kaulbach's
Zeitalter der Reformation
von Franz Löher
Stuttgart
Verlag von Friedrich Bruckmann
1863
Jan Hus

Jan Hus

Da die böhmisch-mährische Kirche durch Gottes Wunderhand ihr Dasein dem Zeugniß der Wahrheit verdankt, welches Johannes Huß mit dem Märtyrertod versiegelt hat, so ist es billig, daß wir seine ganze Geschichte im Zusammenhang und besonders betrachten. Johannes Huß, von seinem Geburtsort Hussinetz also genannt, der Sohn armer, unbekannter Eltern, wurde den 6. July 1373 geboren. Als ihn seine Mutter nach Prag auf die hohe Schule führte, nahm sie eine Gans und einen Kuchen mit, um dem Rektor damit ein Geschenk zu machen. Unterwegs aber machte sich die Gans los und floh davon. Die Mutter, darüber tief bekümmert, fiel siebenmal auf die Kniee nieder und bat Gott, er möchte selbst der Vater und Rektor des Waisen sein, weil sie dem Rektor in Prag nichts mehr geben könne als einen Kuchen. Die Erzählungen der Märtyrer-Geschichten, besonders die Legende des Laurentius, der auf einem Feuer-Rost gebraten wurde, machten viel Eindruck auf ihn, daß er selbst den Versuch machte und den Finger ins Feuer steckte, ob er eine solche Marter würde aushalten können. Er wurde bald öffentlicher Lehrer der Theologie an der Universität. Und als eine Kapelle, die Bethlehems-Kapelle genannt, erbaut wurde, damit darin das Evangelium böhmisch gepredigt würde, welches bisher nur im Verborgenen geschah, wurde Huß dazu berufen. Zugleich wählte ihn die Königin, eine geb. Herzogin von Baiern, zu ihrem Beichtvater, wodurch er sich viel Gunst bei Hof erwarb. In allen Aemtern zeichnete er sich durch Kenntniß der Schrift, Beredsamkeit, durch Ernst, strenge Sitten und Frömmigkeit aus. Er griff die Laster des Hofes und Volkes unerbittlich an; selbst Geistliche rühmten von ihm, daß der Geist Gottes durch ihn rede. Nachdem Wiklefs Schriften und Lehren verdammt und bei Strafe des Feuers verboten wurde, sie zu verbreiten, so vertheidigte Huß dieselben, und nannte Wiklef in seinen Predigten einen heiligen Mann, rügte öffentlich und ohne Ansehen der Person die Laster der Geistlichen, drang auf Verbesserung der Kirche und Zurückführung der Geistlichen zur Ursprünglichen Bestimmung ihres Standes. Er erblickte, wie Wiklef, in dem römischen Stuhl und seinen blinden Anhängern das Reich des Antichrists, dem man furchtlos mit Darangabe des Lebens entgegentreten müsse. Er berief sich auf die heilige Schrift und alle Kirchenlehrer. Nur der ist ein Ketzer, sagte er, der der Schrift widerspricht, und auch einen solchen muß man erst eines Besseren überzeugen, ehe man ihn verdammt.

Huß brachte es mit seinem Freunde Hieronimus dahin, daß den Böhmen auf der Universität drei Stimmen zugesichert wurden, und den Deutschen, die bisher drei hatten, nur eine einzige gelassen wurde. Deswegen verließen mehrere tausend deutsche Studirende die Stadt. Huß wurde zwar Rector, aber um dieser Sache willen sehr verhaßt bei den Deutschen und Pragern. Es wurde ihm von dem Erzbischofe Sbineck das Predigen untersagt. Huß gehorchte Gott mehr als den Menschen. Sbineck ließ über 200 Bände von Wiklefs Schriften in seinem Palaste verbrennen, worüber das Volk den unwissenden Erzbischof durch Spottlieder verlachte, z. B. „Sbineck greift auch die Ketzer an, Er, der kaum buchstabiren kann; läßt ihre Schriften schon verbrennen, eh‘ er ein Wort hat lesen können.“ Huß erklärte sich gegen das thörichte Verfahren des Erzbischofs, und wurde deswegen beim Pabst als Ketzer angeklagt und nach Rom gefordert. Huß ging aber selbst nicht dahin, sondern schickte seinen Anwalt; der aber wurde gefangen gesetzt, Huß als Ketzer excommunizirt und der Ort seines Aufenthalts mit Interdikt belegt (d. i. alle Kirchen geschlossen und aller Gottesdienst und Sakramente verboten). Huß, vom König geschützt, appellirte an eine Kirchenversammlung und fuhr fort Wiklefs Lehren und Schriften zu vertheidigen. Da nun der Pabst Johann 21. einen Kreuzzug ausschrieb, Allen vollkommenen Ablaß versprach, die ihm im Kriege gegen seine 2 Gegenpäbste und den König von Neapel beistehen würden, so eiferte Huß dagegen. Allein das Interdikt wurde vollzogen und Huß mußte weichen. Aber nun predigte er in Städten und Dörfern und auf dem Felde, so daß die Wahrheit nur um so mehr ausgebreitet wurde, welches immer die Frucht der Verfolgung ist. 1414 wurde er vor die Kirchenversammlung zu Constanz geladen, und erhielt zur Hin- und Herreise einen kaiserlichen Geleitsbrief. Huß war bereit zu erscheinen und machte sein Vorhaben durch öffentliche Briefe bekannt, die er in lateinischer, deutscher und böhmischer Sprache an alle Thüren der Kirchen, Stifter und Klöster anschlagen ließ, und worin er Alles aufforderte, ihn des Irrthums zu überweisen. Seine Freunde aber ermahnte er, der Wahrheit treu und im Glauben standhaft zu sein und fleißig für ihn zu beten, denn er erwartete gleich nichts als Leiden und den Märtyrertod. In allen Städten und Dörfern, durch die ihn sein Weg führte, lief das Volk häufig zusammen, um ihn zu sehen. Aller Orten wurde er freundlich empfangen und bewirthet, angehört und bewundert. Als er in Constanz ankam, empfing ihn der Pabst höflich und sagte: Wenn Huß meinen Bruder erwürgt hätte, so soll ihm nichts widerfahren, so lang er in Kostnitz ist. Er hob sogar den Bann wider ihn auf. Allein seine Feinde aus Prag verklagten ihn, er habe die Layen gegen die Geistlichkeit aufgehetzt, ihnen die zeitlichen Güter zu nehmen, und sich gegen die Kirchengewalt empört, das Abendmahl unter beiden Gestalten eingeführt, welches er doch erst von Constanz aus billigte.

Und nun wurde er, gegen den kaiserlichen Sicherheitsbrief, unter dem Vorwande, man sei nicht schuldig Ketzern Wort zu halten, in ein garstiges Gefängniß geworfen, in welchem er in eine schwere Krankheit fiel. Da träumte ihm: als hätte er an die Mauer der Bethlehems-Kirche das Bild Jesu Christi gemalt, welches aber von einem fremden Manne gleich wieder ausgelöscht wurde; darauf sah er geschicktere Maler herbeikommen, die das Bild wieder herstellten und schöner ausmalten, und welches nun die Bischöfe und Priester auf alle Weise aber vergeblich auszulöschen suchten. Die Deutung ist nicht schwer zu machen. In seiner Gefangenschaft schrieb er auch fleißig an seine Freunde in Böhmen und ermahnte sie um der Leiden Christi willen, bei der erkannten Wahrheit zu beharren und für ihn zu beten, daß ihn Gott zum Märtyrertod mächtig stärken wolle. Ueber ein halbes Jahr ließ man ihn im Kerker schmachten, endlich wurde er der Kirchenversammlung vorgestellt, aber vor dem Tumulte und Geschrei der Kläger und Richter konnte er nicht zum Worte kommen, sondern wurde, wenn er den Mund aufthat, gleich mit Lästerungen und Spottreden überschrieen – von den sogenannten heiligen Vätern. Er berief sich auf die Bibel, und auf diese wollte sich das Concilium nicht einlassen, sondern verlangte von ihm unbedingten Widerruf seiner Lehre. Er wollte aber lieber sich verbrennen lassen, als widerrufen, was er als göttliche Wahrheit erkannte. Sein treuer Freund, der edle Böhme, Baron v. Chlum, den ihm der Kaiser nebst anderen zum Begleiter mitgegeben hatte, verließ ihn nicht, sondern reichte ihm vor der ganzen Kirchenversammlung die Hand und rief ihm zu: „Lieber, frommer Magister! Seid ihr schuldig, so schämt euch nicht, zu widerrufen. Seid ihr aber unschuldig, so handelt nicht gegen Gott und Gewissen. Seid getrost, lasset euch lieber das Leben als die Wahrheit nehmen.“ – Bei dieser Rede seines Freundes gingen dem Huß die Augen über und er antwortete mit sanfter Stimme: „Würdiger Mann, Gott ist mein Zeuge, gern will ich widerrufen, wenn ich aus göttlicher Schrift eines Besseren belehrt werde.“ Da ihm nun die Bischöfe dieses als Stolz auslegten, daß er weiser sein wolle als die ganze Kirchenversammlung, so erwiderte er: „Gebt mir den allergeringsten Menschen, der mir die Wahrheit besser auslegt, so will ich es gern von ihm annehmen.“ Den folgenden Tag versammelte sich das ganze Concilium in der Domkirche; der Kaiser erschien mit den Reichsfürsten und der ganzen Ritterschaft und setzte sich auf seinem Stuhl mit goldener Krone; an einer Seite stand der Chur. Pfalzgraf mit dem Reichsapfel, auf der andern der Burggraf von Nürnberg mit dem Schwert, und neben den Cardinälen, Erz- und Bischöfen, Prälaten, Mönchen und Doctoren eine unzählige Menge Volks. Der Erzbischof von Gnesen hielt die Messe, und dann wurde Huß, der bis dahin draußen im Vorhof warten mußte, vorgeführt, auf einen erhabenen Ort gestellt, damit ihn Jedermann sehen könnte; darauf stieg der Bischof von Lodi auf die Kanzel und forderte den Kaiser auf, die Ketzereien zu zerstören, besonders den hier stehenden, verstockten und verpestenden Ketzer rc. Huß lag indeß auf seinen Knieen und befahl sich Gott zum Sterben. Darauf wurden die Ketzersätze aus seinen Schriften vorgelesen. Huß wollte antworten, aber ein Cardinal hieß ihn schweigen. Huß wollte wieder reden, aber man gebot den Soldaten und Schergen, ihn nicht reden zu lassen. Da hob er seine Hände gen Himmel und sagte: „ich bitte euch um des allmächtigen Gottes willen, ihr wollet doch unbeschwert meine Antwort hören, um mich nur bei den Umstehenden zu rechtfertigen.“ Da es ihm abgeschlagen wurde, fiel er mit gen Himmel gerichteten Augen auf die Knie nieder und empfahl seine Sache Gott mit lauter Stimme. Darauf las ein Bischof das Urtheil – daß erst seine Schriften verbrannt, und er als schädlicher Ketzer und böser, halsstarriger Mensch, seines Priesteramtes entsetzt, degradirt und entweiht werden sollte. Der Ausspruch wurde sogleich vollzogen, 7 Bischöfe führten Huß zu einem Tische, kleideten ihn als Priester an und vermahnten ihn noch einmal, zu widerrufen. Huß aber sprach mit großer Bewegung vom Gerüst herab zum Volk, daß er vor Gott stehe, und könne mit Widerruf der Wahrheit nicht sein Gewissen verletzen und seinen Herrn im Himmel schmähen und lästern, denn er habe das nicht gelehrt, was sie ihn beschuldigten. „Steig herab!“ riefen die Bischöfe, „steig herab vom Gerüst!“ und nun fingen sie an ihn zu entweihen. Der Erzbischof von Mailand und der Bischof von Besançon nahmen ihm den Kelch mit den Worten: O du verfluchter Judas! – wir nehmen dir den Kelch, in welchem das Blut Jesu Christi geopfert wird, du bist sein nicht werth. Huß antwortete mit lauter Stimme: Ich aber setze meine Hoffnung auf den Herrn Jesum Christum, um welches Namens willen ich dieses leide, und glaube gewiß, daß er den Kelch des Heils nicht von mir nehmen, sondern daß ich ihn noch heute in seinem Reiche trinken werde. Hierauf nahmen ihm die andern Bischöfe die übrigen Priesterkleider ab, jedes mit obigem Fluch. Nun kamen sie aber in heftigen Streit, ob man ihm die Tonsur, d. i. die geschorene Platte, auf dem Haupte mit einem Scheermesser oder einer Scheere zerstören sollte. Huß sah dabei den Kaiser an und sagte: Sonderbar! grausam sind sie alle, nur in der Art und Weise sind sie nicht einig. Endlich wurden ihm die Finger mit einem Messer abgeschabt, um ihm das Salböl und den unauslöschlichen Priester-Charakter zu nehmen. Dann setzten sie ihm eine fast Ellenhohe, papierne, mit Teufeln bemalte Krone auf, mit der Umschrift: Erzketzer. Huß, da er sie sah, tröstete sich mit der Dornenkrone Christi. Die Bischöfe aber setzten hinzu: Jetzt übergeben wir deine Seele dem Teufel in der Hölle. Aber ich, erwiederte Huß, befehle dieselbe meinem gütigen Herrn Jesu Christo. Nun wandten sich die Bischöfe zum Kaiser und sagten: das heilige Concilium überantwortet jetzt Johann Hußen, der in der Kirche kein Amt mehr hat, der weltlichen Gewalt und dem Gericht. Der Kaiser stand auf, übergab ihn dem Pfalzgrafen, dieser dem Vogt von Constanz mit dem Befehl: Nehmet diesen M. Huß und verbrennt ihn als einen Ketzer. Der Vogt übergab ihn dem Scharfrichter und seinen Knechten und befahl ausdrücklich, ihm seine Kleider nicht auszuziehen, noch ihm Gürtel, Geld, Messer oder was er bei sich trüge, abzunehmen, sondern ihn sammt allem, was er an sich habe, zu verbrennen. So wurde er hingeführt zum Scheiterhaufen – zwei Henker voraus und zwei hinten nach, begleitet von 800 Gewappneten, außer den Fürsten und Herren. Der Zulauf des Volkes war so groß, daß man fürchtete, die Brücke möchte brechen. Sein Hingang war erbaulich und fröhlich. Als er seine Bücher verbrennen sah, lächelte er.

Das Volk, das seine Reden und Gebete hörte, erbaute sich sehr an ihm. Angekommen aus dem Richtplatz, fiel er auf seine Knie, hob seine Augen auf und betete laut und freudig den 31. und 51. Psalm, besonders den Vers: In deine Hände befehle ich meinen Geist, – du hast mich rc. Als die Mütze herabfiel, und man sie ihm wieder aufsetzte, damit er mit den Teufeln, seinen Herren, verbrannt würde, wie sie sagten, so lächelte er, und betete für seine Feinde. Dann wurde er dreimal um den Holzstoß herumgeführt, während er fortfuhr gegen das Volk seine Unschuld zu bezeugen. Nachdem er noch Abschied von seinen Wächtern genommen, ihnen gedankt und bezeugt hatte, daß er fest glaube, heute noch mit seinem Heiland im Paradiese zu sein: griffen ihn die Henker und banden ihn an ein Brett mit 5 Stricken, über den Füßen, unter und über den Knieen, mitten um den Leib und unter den Armen, und mit einer Kette um den Hals. Man legte nun rund um ihn, bis an seinen Mund, Reißig und Stroh, und indem er ein Bäuerlein Holz zutragen sah, lächelte er und sagte: Sancta simplicitas, heilige Einfalt! Ehe angezündet ward, ritten der Pfalzgraf und Reichsmarschall noch einmal an ihn heran und ermahnten ihn, er wolle sein Heil bedenken und widerrufen. Da fing Huß mit lauter Stimme, aus dem Holzhaufen zu rufen an: „Ich rufe Gott zum Zeugen, daß ich das, was sie mir durch falsche Zeugen aufbürden, nicht gelehrt oder geschrieben habe, sondern ich habe alle meine Lehren und Schriften dahin gerichtet, daß ich die Menschen von der Sünde abwenden und zu Gott führen möge. Die Wahrheiten, die ich gelehrt, geschrieben und ausgebreitet habe, als die mit Gottes Wort übereinstimmen, will ich halten und heute mit meinem Tode versiegeln.“ Sie schlugen in die Hände und eilten davon. Die Henker zündeten an. Huß aber, da die Lohe an ihn schlug, fang wiederholt mit lauter Stimme: Christe, du Lamm Gottes, erbarme dich meiner! Da er aber das Dritte mal anfangen wollte, trieb der Wind den Rauch und die Flammen ihm gerade ins Gesicht und benahm ihm die Sprache. Doch sah man noch sein Haupt und seine Lippen betend einige Minuten sich bewegen, und er war todt. Seine Asche wurde in den Rhein geworfen, damit seinen Freunden kein Stäubchen von ihm übrig bliebe und die letzte Spur von ihm vertilgt würde. Aber seine Freunde sangen nachher: Die Asche will nicht lassen ab, sie staubt in allen Landen; hier hilft kein Feuer, Loch, Grub‘ noch Grab, sie macht den Feind zu Schanden rc.

 

Johannes Evangelista Gossner

Gossner, Johannes
Die böhmischen Märtyrer und Auswanderer
Eine 800jährige Verfolgungs-Geschichte
der Kirche in der Kirche
Der Böhmischen Gemeinde in Berlin
zu ihrer
hundertjährigen Jubelfeier
am
Sonntag Jubilate 1837
gewidmet
von ihrem Seelsorger
Johannes Gossner.
Berlin.
Gedruckt und zu haben bei Julius Sittenfeld,
Burg-Straße No. 25.

Jan Hus

Johann Hus

Der Name Johannes Hus pflegt Empfindungen, Vorstellungen und Bilder in uns zu wecken, welche denen nicht unähnlich sind, die der Name Johannes Baptista in uns hervorruft. Wir vernehmen im Geist die „Stimme eines Predigers in der Wüste;“ eine tief ernste Prophetengestalt taucht vor unsrer Seele auf; wir denken an Morgendämmerung, Vorläuferamt und Bahnbereitung, und sehen zwei Zeitalter unter heftigen Krämpfen und tragischen Zusammenstößen mit einander um die Herrschaft ringen.

In das 15. Jahrhundert versetzen wir uns im Geist zurück. Wie überaus traurig es da um die Kirche Christi auf Erden aussah, ist kaum zu sagen. Der Weinberg des Herrn glich einer Wüste. Dornen und Disteln überwucherten ihn, statt fruchttragender Reben. Die Priesterschaft war verweltlicht, ja verwildert. Die Päpste, deren Anmaßungen alle Grenzen überschritten, führten ein Leben, das kaum anstößiger und greulicher sein konnte. Die Geistlichkeit trat ihnen größtentheils auf dem Wege des Verderbens nach. Simonie, Gelderpressungen aller Art und Concubinate waren an der Tagesordnung. Die Kirchenversammlungen schienen nur der Bachanalien und Orgien wegen gehalten zu werden, die man damit zu verbinden wußte. Nährend des Concils zu Kostnitz hielten sich in dieser Stadt nicht weniger als 50,000 Fremde auf, und unter diesen ein nicht geringer Schwarm liederlicher Dirnen. Um dieselbe Zeit sah die Kirche statt eines, drei vorgebliche Statthalter Christi an ihrer Spitze, die sich wechselseitig mit dem Bann belegten und einander verfluchten. Das arme Volk, methodisch in die Bande des krassesten Aberglaubens geschmiedet, verschmachtete „wie Schaafe, die keinen Hirten haben.“ Was Wunder, daß während ein Theil desselben, alle Zügel der Zucht und Sitte von sich werfend, in die Fußtapfen seiner verderbten Leiter trat, und allen Lastern sich hingab, in einem andern und bessern Theile des unbefriedigte Bedürfniß nach dem Brod und Wasser des Lebens in der lauten und immer lauterern Forderung einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern sich Luft machte.

Als hervorragende Organe dieses Verlangens nach einer Wiedergeburt des ganzen Kirchenthums begegnen uns schon früher, ob auch des Zieles ihrer Sehnsucht in verschiedenen Graden der Klarheit sich bewußt, in Italien die Dichterfürsten Dante und Petrarka, in England Wiclif und sein zahlreicher Anhang, und in Deutschland die sogenannten „Gottesfreunde“, welche freilich, gleich den „Brüdern des gemeinsamen Lebens“ in den Niederlanden, mehr in stillerer Weise, und mit Reformation an sich selbst beginnend, einer bessern Kirchenzukunft vorarbeiteten. Vor allen andern aber war es die mährisch-böhmische Kirche, diese im neunten Jahrhundert durch den Dienst der trefflichen Evangelisten Methodius und Cyrillus in fast urchristlicher Reinheit gegründete, und nach Jahrhunderte lang dauernden Kämpfen erst der römischen Priesterherrschaft unterworfene, in der die Flamme des Begehrens nach der Rückkehr zu ihren früheren Zuständen und ihrer ursprünglichen Gestalt mächtig emporloderte. Als einer der ersten Träger und Vorfechter der reformatorischen Richtung begegnet uns hier der Prager Archidiakonus Johannes von Milic, dieser freiwillige Reiseprediger in härenem Gewand, und mit der in heiliger Entrüstung über die beispiellose geistliche Verwahrlosung des Volks entbrannten Seele, dessen feurigem Worte es gelang, einem nur von versunkenen Weibern bewohnten und „klein Venedig“ genannten ganzen Stadttheil von Prag dergestalt sittlich umzugestalten, daß man demselben fortan als einem Sitze wahrer Frömmigkeit, den Namen „klein Jerusalem“ beilegte, und der, ein anderer Samuel, in einem freien Verein von 2 bis 300 jungen Männern, welche er zu Boten des lauteren Evangeliums heranbildete, eine Art Prophetenschule gründete, nachdem er, auch als ein Vorgänger Luthers, kurz vorher bei seiner Anwesenheit in Rom an die Pforte der Peterskirche einen Anschlag mit. der Eröffnung hatte anheften lassen, daß er an einem bestimmten Tage den inmitten der Kirche bereits heraufsteigenden Antichrist zu bezeichnen, und vor ihm zu warnen gedenke. Dem Johann von Milic gesellte sich als Gesinnungsgenosse ein aus Oesterreich berufener Deutscher, Conrad von Waldhausen bei, der zuerst in Wien und später in Prag mit aller Macht gegen den todten kirchlichen Werkdienst zu Felde zog, nur diejenigen für Kinder Gottes erkennen wollte, die vom heiligen Geist getrieben würden, und insonderheit den damals zu großem Einfluß und Ansehn gelangten, aber tief verderbten Orden der „Bettelmönche“ dieses „lecke Schiff“, wie er ihn nannte, mit großem Erfolg befehdete. Der dritte im Bunde dieser vorlaufenden Zeugen der reinen Wahrheit war Matthias von Janow, der während jene beiden mehr eine praktische Thätigkeit entwickelten, vorzugsweise den Hebel einer erleuchteten Wissenschaft an das entartete Kirchenthum setzte, und in seinen Schriften, wenn auch nur keimartig erst schon alle die Principien durchscheinen ließ, welche später in der deutschen Reformation zu ihrer vollen Entfaltung kamen. Die Hinlänglichkeit des Glaubens an den gekreuzigten Christus zur Seligkeit, die Nothwendigkeit der Niedergeburt durch den heiligen Geist, das allgemeine geistliche Priesterthum aller Gläubigen, so wie die Unmittelbarkeit ihres Verhältnisses zu Christo waren ihm geläufige Ideen, und eine tiefe Anschauung vom Wesen des Glaubens als eines neuen mit innerer Nothwendigkeit alle christlichen Tugenden als seiner natürlichen Blüthen und Früchte aus sich heraussetzenden Lebens, machte ihn zum abgesagtesten Feinde der falschen Geistlichkeit und mechanischen Werkdienerei seiner Kirche.

Mit der geistlichen Milch dieser drei trefflichen, zwar von dem Einflusse der Ideen des Engländers Wiclif nicht völlig unberührt gebliebenen, aber nichtsdestoweniger mit dem Gepräge einer vollen Urwüchsigkeit und Ursprünglichkeit auftretenden Herolde der göttlichen Wahrheit, sonderlich des letztgenannten, ward der Mann groß gesäugt, der an sittlichem Ernst, heiligem Eifer und wissenschaftlicher Ausrüstung jenen als ein vollkommen Ebenbürtiger zur Seite stand; an energischem und erfolgreich reformatorischem Eingreifen aber in das Leben des Volkes es ihnen noch zuvorthat. Dieser Mann war, – wie Bußdrommetenton klingt uns sein Name an, – Johannes Hus, der, am 6. Juli 1369 in dem böhmischen Flecken Husinec arm und niedrig geboren, von Kindheit auf unter seinem elterlichen Hüttendache die Luft einer erleuchteten Gottseligkeit athmete, und namentlich an seiner frommen schon früh verwitweten Mutter seine erste Führerin auf dem Wege des Lebens fand. Dieselbe weihete, als unbewußte Dolmetscherin einer göttlichen Berufung, den geliebten Knaben schon in der Wiege dem Dienste des Herrn, und begleitete ihn nachmals selbst mit vielen Thränen und Gebet auf die Hochschule zu Prag. Zwei Richtungen lagen hier damals miteinander im Streit: die streng kirchliche, welche vorzugsweise von den deutschen und die reformatorische, die mehr von den wissenschaftlich geförderten böhmischen Theologen vertreten ward. Hus, schon durch den mütterlichen Einfluß bestimmt, wählte sich seine Lehrer unter den letztern, studirte so gründlich als eifrig die Bibel und vertiefte sich außerdem in die Schriften der Kirchenväter, namentlich des Augustimus. Im Jahre 1396 zum Magister promovirt, begann er bald darauf selbst Vorlesungen zu halten, und wurde im Jahre 1401 als Prediger an die Bethlehems-Kapelle berufen, welche von zwei Privatleuten mit der ausdrücklichen Bestimmung gegründet worden war, daß daselbst „dem armen Volke in seiner Landessprache das Wort Gottes gepredigt werden solle.“ Dieser praktische Beruf weihte ihn erst recht in die geistlichen Nothstände des verwahrlosten Volks, so wie in die unerhörte Entartung und Verweltlichung des Klerus ein, und es kam ein Ergrimmen über ihn, wie das, welches einst den Knecht Gottes, Moses, erfaßte, da er vom heiligen Berge herniederstieg, und das Geschrei des Singetanzes um das goldne Kalb herum vernahm. Seine allezeit auf Reform und Heiligung des Lebens dringenden, vom tiefsten Glaubensernst getragenen, und durch einen von Schritt zu Schritt in der Furcht Gottes geführten strengen Wandel mächtig besiegelten Predigten, machten nicht weniger durch die Barmherzigkeit, die sie athmeten, als durch den glühenden Eifer um die Ehre des Herrn und seines Hauses, der sie durchflammte, einen Eindruck auf das Volk, wie er bis dahin kaum erhört war, und schaarten binnen Kurzem eine Gemeinde von Tausenden um ihn her. Seine kirchlichen Vorgesetzten ließen ihn gewähren, so lange er sich darauf beschränkte, die Laster der Laien, der hohen wie der niedern, zu geißeln. Selbst der Erzbischof von Prag, Zbynec von Hasenburg, obwohl ein Weltmann und aller geistlichen Gesinnung baar, sah es nicht ungern, daß Hus gegen die groben Mißbräuche und den krassen Aberglauben in der Kirche zu Felde zog. Als er aber anhub, auch dem Klerus seine Sünden vorzuhalten, Armuth, Selbstverleugnung und Kreuzigung des Fleisches sammt den Lüsten und Begierden ihnen zu empfehlen, und, wie weiland Paulus vor Felix, vor ihnen „von der Gerechtigkeit, der Keuschheit und dem zukünftigen Gericht“ zu reden, da wandte sich das Blatt, und sein hoher Gönner wurde sein erbittertster Feind und Widersacher.

Im Jahre 1408 begab sich etwas, wodurch eine bedeutende Steigerung der reformatorischen Gährung in Böhmen herbeigeführt wurde. Die Ausländer nämlich bei der Prager Universität, fast alle „hochkirchlich“ gesinnt und der neuern theologischen Richtung abhold, wurden plötzlich ihres bisherigen Uebergewichts über die Böhmen dadurch beraubt, daß ihnen kraft eines Edikts des Königs Wenceslaus bei amtlichen Verhandlungen und Beschlußnahmen nur eine Stimme gegen die den Böhmen bewilligten drei belassen wurde. Dies setzte böses Blut, und hatte zur Folge, daß sofort die Lehrer und Studenten deutscher Nation, viele Tausende an der Zahl, Prag verließen, und in ihr Vaterland, wo sie, beiläufig bemerkt, zur Stiftung der Universität Leipzig die Veranlassung gaben, zurückkehrten. Die böhmische Parthei war jetzt die herrschende in Prag, und erwählte den Hus zum Rektor der Universität. Aber nur zu bald ging sie selbst, die bisher nur durch das gemeinsame nationale Interesse zusammengehalten worden war, in zwei Lager aus einander, indem jetzt die bis dahin verdeckt gehaltenen und mehr in den Hintergrund gedrängten religiösen und kirchlichen Gegensätze Raum gewannen und sich auf das Heftigste geltend machten. An Stelle seiner abgezogenen deutschen Gegner sah Hus mit einem Male einen hellen Haufen seiner bisherigen Freunde wider sich in Schlachtordnung aufgestellt, und mußte sich von ihnen nicht allein als einen Häretiker verdächtigen hören, sondern auch mit der perfiden Beschuldigung belastet sehen, daß er es sei, der durch Einwirkung auf den König die nunmehrige Verödung der Universität herbeigeführt habe.

Von allen Seiten brach jetzt der Sturm wider ihn und seine Gesinnungsgenossen los. Die Prager Geistlichen klagten ihn bei dem Erzbischof an, daß er das Volk gegen die Geistlichkeit aufreize, Nichtachtung der Kirche und ihrer Strafgewalt predige, Rom als den Sitz des Antichrists bezeichne, jeden Kleriker, der für die Spendung des Sakraments Zahlung fordere, für einen Ketzer erkläre, und den Ketzer Wiclif preise und selig spreche. Sofort wurde Untersuchung wider ihn eingeleitet, und nicht lange darauf erschien auf Betrieb des Erzbischofs eine päpstliche Bulle, welche diesem u. A. aufgab, alle Geistlichen, welche wiclifitischen Häresien anhingen, verhaften zu lassen, und das Predigen in Privatkirchen auf das Strengste zu untersagen. Der Erzbischof begann trotzdem, daß der König auf eine von der Universität aus an ihn ergangene Vorstellung hin sein Veto eingelegt, die Vollziehung jener Bulle damit, daß er in seinem Palaste 200 Bände, unter denen neben den Schriften Wiclifs auch diejenigen des von Milic und Anderer sich befanden, verbrennen ließ. Aber dieses Autodafé diente nur dazu, das Interesse und den Enthusiasmus für Wiclif und dessen Geistesverwandte in Böhmen noch mehr zu steigern. Hus übersandte dem Papst Johann XXIII. eine gründliche und umfassende Appellation, in der er erklärte, daß er von Herzen zum Widerruf geneigt und bereit sei, sobald man ihn aus der Schrift eines Irrthums zeihen könne. In der That war ihm, dessen Richtung und Thätigkeit eine durchaus praktische war, noch kein direkter Angriff gegen die herrschende Kirchenlehre vorzuwerfen. Daß diese Lehre mit der heil. Schrift in Widerspruch stehe, dessen war er sich noch nicht bewußt geworden. Die kirchliche Tradition erschien ihm nur „als die geschichtliche Entwickelung der ihrem Wesen nach in der Schrift enthaltenen Wahrheit.“ Ihm ging es lediglich um Abstellung von Mißbräuchen und Verunstaltungen, und namentlich um eine Wiedergeburt des religiösen und kirchlichen Lebens. Allerdings aber wurde er bei seinem Streben nach diesem Ziel unbewußt von Principien geleitet, die reformatorischer waren, als er selbst. Denn, bildet die heil. Schrift, wie dies sein Glaube war, die in letzter Instanz absolut entscheidende Autorität; befindet sich die wahre Kirche überall, wo der Geist Gottes die Herzen regiert; ist das Verhältniß jedes gläubigen Laien zu Christo ein unmittelbares und keinerlei menschlicher Intercession bedürftiges, und steht es dem Priester nur zu, die Absolution in bedingter Form zu ertheilen: so ist dem römischen Kirchenthum der Boden ausgeschlagen. Darum half es dem tapfern Zeugen nichts, daß er nachzuweisen wußte, wie er als guter Katholik an die Brodverwandlung in der Messe, an die Fürbitte der verklärten Heiligen, an die Nothwendigkeit und Heiligkeit des Cölibats, und wer weiß, an was alles sonst noch glaube, und wie ihm niemals eingefallen sei, an den hierarchischen Verfassungsbau seiner Kirche, den er nur von fremdartigen Ansätzen gereinigt zu sehn wünsche, die rüttelnde Hand zu legen. In den furchtbarsten Formeln wurde über Hus der Bann und das Interdikt ausgesprochen. Er sollte ausgeliefert, die Bethlehemskirche sollte von Grund aus zerstört, und nirgends, wo man ihm ein Asyl eröffne, das Sakrament gereicht, noch ein kirchliches Begräbniß gewährt werden.

Auf dringendes Anrathen des Königs, der voraussah, daß das gegen Hus eingeschlagene Verfahren die bedenklichsten Unruhen in seinem Lande hervorrufen werde, legte sich letzterer, nachdem er von dem Urtheil der römischen Curie an Christus, den ewigen Hohenpriester, appellirt hatte, eine freiwillige Verbannung von Prag und seiner Gemeine auf; unterließ aber nicht, letztere so wie seine Gleichgesinnten überhaupt von den Schlössern der Ritter aus, wo man ihm mit Freuden Herberge und Schutz gewährte, in herrlichen glaubensstarken Briefen zum Beharren auf dem Wege der Wahrheit zu ermahnen.

Unterdessen rückte der November des Jahres 1414 heran, auf welchem „zur Herstellung der kirchlichen Einheit und zur Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern“ vom Papst Johann XXIII. und von dem Kaiser Sigismund ein allgemeines Concil nach Kostnitz ausgeschrieben war. Hier sollte denn auch der Prozeß wider Hus zu seinem Austrage kommen. Unter dem Schirm eines kaiserlichen Freibriefs, der ihm hin und zurück ein sicheres Geleit verbürgte, und welchen er u. a. mit den Worten erwiederte: „Ich will demüthig meinen Hals daran setzen, und unter dem sicheren Geleite des Schutzes Eurer Majestät unter Verleihung des Höchsten auf dem Concil erscheinen“, machte sich Hus am 11. Oktober des genannten Jahres, begleitet von den treuen Rittern Wenzel von Duba und Johann von Chlum, so wie von dem Sekretär des letzteren und dem Abgesandten der Prager Universität, dem Pfarrer Johann Kardinalis v. Reinstein, lauter gleichgesinnten Männern, getrosten Muthes nach Kostnitz auf den Weg. Seine Reise durch Deutschland glich hin und wieder einem Triumphzug; denn auch hier fehlte es im Volke nicht an Tausenden, die längst mit brennendem Verlangen einer Reformation der Kirche entgegenharrten. Am 3. November langte Hus an dem Orte seiner Bestimmung an. Aber seine bittersten Gegner aus Böhmen, u. a. Palec, der gleich nach seiner Ankunft in einem öffentlichen Anschlag an den Kirchthüren den Hus für den verstocktesten Häretiker erklärte, waren ihm schon vorangeeilt. Während der ersten vier Wochen geschah in der Sache unsres Freundes nichts, und so fand er vollkommene Muße, sich auf die bevorstehenden Verhöre vorzubereiten. Am 28. November aber wurde er plötzlich, trotz des entschiedenen Protestes, den, auf den kaiserlichen Geleitsbrief trotzend, der Ritter von Chlum dawider einlegte, im Namen des Papstes seiner Freiheit beraubt, und bald darauf in ein am Rheinufer gelegenes Dominikanerkloster abgeführt, und daselbst in einen scheußlichen, an eine Cloake grenzenden, und mit einer verpesteten Luft angefüllten Kerker geworfen. Auf Verwendung des Rittes von Chlum befahl zwar der Kaiser mit dem Ausdruck tiefster Entrüstung die sofortige Losgebung seines Schützlings; aber umsonst. Die Furcht vor dem mächtigen Klerus benahm dem Kaiser den Muth, seinen Willen energisch durchzusetzen. Erst als der arme Gefangene in eine schwere Krankheit versiel, wurde ihm ein etwas luftigerer Raum im Kloster zum Gefängniß angewiesen. Hier erkrankte er auf’s neue; fand aber bei seinen Gegnern so wenig Schonung, daß sie ihn fast täglich überfielen und mit den herbsten Anklagen ihn behelligten.

Am 21. März 1415 entfloh der Papst Johann, um dem Prozesse auszuweichen, den man ihm seines abscheulichen Lebens halber zu machen im Begriffe stand. Hus verlor dadurch seine bisherigen Gefangenwärter, die ihn wahrhaft liebgewonnen und die treuste Sorge ihm gewidmet hatten. Wie es ihm an Lebensmitteln jetzt gebrach, so glaubte er auch befürchten zu müssen, der päpstliche Hofmarschall, der seinem Herrn nach Schaffhausen nachzog, habe vor, ihn mit sich fortzuschleppen. Er beeilte sich, dem Ritter von Chlum diese seine Besorgniß mitzutheilen, und dieser rief für seinen Freund auf’s neue den Schutz des Kaisers an. Nach einer Berathung mit dem Concil entschloß sich aber Sigismund zu weiter nichts, als daß er den Gefangenen der Obhut des Bischofs von Konstanz übergab, welcher ihn nach dem Schlosse Gottlieben abführen, und dort in einen Thurm werfen ließ, wo er bei Tage so gefesselt war, daß er sich nur wenig bewegen konnte und des Nachts in seinem Bette mit den Händen an einen Pfahl gekettet wurde. „Jetzt erst“, schrieb er von dort an seine Freunde, „lerne ich den Psalter recht verstehn, recht beten, und die Leiden Christi und der Märtyrer mir recht vergegenwärtigen; denn es sagt Jesaias, der Prophet: Anfechtung lehrt auf’s Wort merken!“ – Erst Anfangs Juni wurde er aus seinem schauerlichen Kerker, wo er dem mittlerweile aufgegriffenen Papst Johann seine Stelle abtrat, erlöst, nach Kostnitz zurückgebracht, und in einem Franziskanerkloster eingesperrt. Hier bestand er denn vor dem versammelten Concil sein erstes Verhör. Seine Schriften wurden ihm vorgelegt, und aus denselben eine Reihe von Anklagepunkten wider ihn hergeleitet. Er verantwortete sich unter steter Berufung auf Gottes Wort und die Kirchenlehre so gründlich und umfassend, daß seine Feinde, die ihm am Ende nur ein wildes Geschrei entgegen zu setzen hatten, es als eine erwünschte Erlösung aus peinlichster Verlegenheit begrüßten, da der Antrag gestellt wurde, man möge, weil die Ordnung nicht wieder herzustellen sei, die Sitzung aufheben, und ein zweites Verhör auf den 7ten desselben Monats anberaumen.

Der 7. Juni erschien. Der Kaiser Sigismund wohnte diesmal dem Concil persönlich bei. Die beiden böhmischen Ritter, die treuen Freunde des Verklagten, fehlten auch nicht. Um die sakramentliche Brodverwandlung handelte es sich zuerst. Hus konnte mit allem Grund alle seine Zuhörer zu Zeugen aufrufen, daß er diese Lehre je und je vorgetragen, und lediglich auf einen würdigen Genuß des Sakraments gedrungen habe. Man beschuldigte ihn darauf, die Irrthümer Wiclifs verbreitet zu haben. Aber auch hier durfte er mit gutem Gewissen bezeugen: „Ich habe weder die Irrthümer Wiclifs noch irgend eines Andern gelehrt. Wenn Wiclif in England Irrthümer lehrte, so ist dies die Sorge der Engländer und nicht die unsre.“ Es ward ihm ferner vorgeworfen, er habe von der Gerichtsbarkeit des Papstes an Christus appellirt. Hus gestand dies fröhlich ein; meinte aber, daß es eine gerechtere und wirksamere Appellation nicht gebe, als diejenige an Den, der einst das letzte Urtheil über Alle sprechen werde. Die Versammlung brach darob in Hohngelächter aus. Hus wurde endlich, ganz den Regeln römischer Taktik gemäß, auch politisch als ein Aufwiegler des Volks, als ein Mann der Revolution verdächtigt; aber von dieser Anklage sich zu reinigen, verursachte ihm die geringste Mühe. „Aber hörte ich dich nicht sagen“, herrschte ihn mit lauter Stimme, damit der Kaiser es vernehme, der Cardinal D‘ Ailly an, „daß, wenn du nicht freiwillig nach Constanz habest kommen wollen, weder der Kaiser noch der König dich dazu hätten zwingen können?“ Hus entgegnete: „Ich sagte, wenn ich nicht freiwillig hierher gekommen wäre, so hätte ich leicht an irgend einem verborgenen sicheren Orte zurückbleiben können, da in Böhmen so viele wohlwollend gegen mich gesinnte Ritter sich bereit erklärten, hinter den Mauern ihrer Schlösser mich zu bergen.“ „Sehet die Unverschämtheit des Mannes“, schrie der Cardinal. Ein Murmeln des Unwillens ging durch die Versammlung. Da erhub sich der edle Ritter von Chlum, bestätigte das von Hus Gesagte, und trat tapfer für ihn in den Riß. Diese letztere Verhandlung machte aber auch auf den Kaiser einen verstimmenden Eindruck. Er nahm das Wort, dankte den Prälaten, daß sie die seinerseits dem Hus ertheilte Versicherung, er werde vor dem Concil sich frei vertheidigen dürfen, treulich wahr gemacht, fügte die Bemerkung hinzu, daß zwar nach der Ansicht Mancher der Kaiser nicht berechtigt sei, einen Häretiker oder der Häresie Verdächtigen irgendwie in Schutz zu nehmen, und ertheilte dann dem Hus den Rath, daß er nichts hartnäckig vertheidigen, sondern in Allem, was gegen ihn vorgebracht, und durch glaubwürdige Zeugen bestätigt worden sei, mit gebührendem Gehorsam dem Ansehn des Concils sich unterwerfen wolle. Wenn er das thue, so werde der Kaiser dafür Sorge tragen, daß er vor dem Concil auf eine gnädige Weise und mit einer leidlichen Buße und Genugthuung entlassen werde; wo aber nicht, so würden die Leiter des Concils schon wissen, was sie mit ihm zu machen hätten, und er, der Kaiser, werde nie seine Irrthümer in Schutz nehmen, sondern eher mit dieser seiner Hand ihm den Scheiterhaufen bereiten, als länger ihm erlauben, so hartnäckig zu verfahren, wie bisher. Darauf Hus, nachdem er dem Kaiser für das ihm verheißene sichere Geleit seinen ehrfurchtsvollen Dank bezeugt: „Ich rufe Gott zum Zeugen an, daß es mir nie in den Sinn gekommen ist, etwas hartnäckig zu vertheidigen, sondern daß ich freiwillig mit dem Vorsatz hierher gekommen bin, ohne irgend ein Bedenken meine Meinung zu ändern, wenn ich eines Besseren belehret würde.“ Hus wurde hierauf der Obhut des Bischofs von Riga übergeben, und in sein Gefängniß zurückgeführt.

Am 8. Juni erschien Hus zum drittenmale vor dem Concil, wo ihm diesmal wo möglich noch schärfer zugesetzt wurde als zuvor. Einen besonderen Anstoß schien man an dem in einer seiner Schriften ausgesprochenen Satz genommen zu haben, daß, wenn ein König, Papst oder Bischof in einer Todsünde sei, er weder König, Papst noch Bischof sei. Man deutete diese Behauptung so, als wolle er es von der subjectiven Beschaffenheit der Träger jener Aemter und Würden abhängig machen, ob ihnen dieselben zu belassen seien oder nicht. Auch den Kaiser entrüstete jener Ausspruch sehr. „Es lebt ja Niemand ohne Sünde!“ rief er mit der Betonung und Miene des heftigsten Unwillens aus. Hus entgegnete, wie ihm nicht eingefallen sei, das, was er in dem fraglichen Satze ausgesprochen habe, im rechtlichen oder juridischen Sinne zu verstehen; sondern wie er nur habe sagen wollen, wer allein der Idee eines rechten Königes oder Papstes, oder Bischofes entspreche. Doch diese Rechtfertigung wurde mit Hohn zurückgewiesen. Mit scharfen Waffen ging besonders der berühmte Kanzler der pariser Universität, der große Jurist Gerson, auf den Codex des positiven Kirchenrechts gestützt, wider unsern Verklagten an, und sprach, vorausschickend, daß er sich auf die Untersuchung des Sinnes, in welchem Hus dies und das gemeint haben möge, nicht einlassen könne, mit vornehmer Miene seine Meinung dahin aus, daß, wo zum Umsturz aller bürgerlichen Verfassung hinführende Irrthümer verkündigt würden, wie Hus sie hege, nichts Andres übrig sei, als daß die weltliche Obrigkeit sich darauf besinne, daß sie das Schwerdt nicht umsonst trage. Es wurde an Hus jetzt in feierlicher Weise die Aufforderung zum Widerruf und zur Unterwerfung unter das Urtheil des Concils erneuert. Er aber wiederholte, daß er nimmer widerrufen könne, was er nie gelehret habe, und daß, was er gelehret, ihm weder aus der Schrift, noch aus der Kirchenlehre als irrthümlich nachgewiesen worden sei. Gänzlich erschöpft durch diese fruchtlosen Verhandlungen, in denen er immer auf’s neue dieselben Anschuldigungen gegen sich vernehmen, seine bündigsten Widerlegungen aber nur mit Spott und Gelächter erwiedern hören mußte, schwieg er endlich nach dem Vorbilde seines Herrn und Meisters, und wurde dann in sein Gefängniß zurückgeführt. In diesem Augenblick drängte sich der hochherzige Ritter von Chlum zu ihm heran, und drückte ihm, tief ergriffen von der ganzen prophetischen Erscheinung des theuren Mannes, sowie von seiner trefflichen Vertheidigung in einer Weise die Hand, die allerdings mehr sagte, als Worte. „O welche Freude“, schrieb Hus bald darauf an seine Freunde, „machte mir der Händedruck des Herrn Johannes, der sich nicht scheute, mir elendem, verworfnem und gleichsam von Allen ausgestoßenem Ketzer in meinen Fesseln die Hand zu reichen.“

Nachdem Hus nun auch den Kaiser entschieden wider sich eingenommen wußte, so konnte er sich’s in seinem Kerker nicht mehr verhehlen, daß er nun täglich, ja stündlich sein Todesurtheil zu erwarten habe. Seine während dieser Zeit an seine Gesinnungsgenossen geschriebenen Briefe athmen jedoch die kindlichste Ergebung und den tapfersten und freudigsten Glaubensmuth. Da er vor seinem Tode noch zu beichten begehrte, erbat er sich zum Beichtiger seinen bittersten Feind den Palec oder einen Andern. Man sandte ihm einen Doktor der Theologie, einen Mönch, der gerührt und liebevoll seine Beichte anhörte, und auch, als Hus seine wohlgemeinte Bitte, er möge doch widerrufen, ablehnen mußte, keinen Anstand nahm, ihm in unbedingter Weise die Absolution zu ertheilen.

Am 6. Juli wurde Hus auf’s neue vor das Concil geführt. Die Versammlung bot diesmal einen feierlicheren Anblick dar, als bisher. Der Kaiser saß, umgeben von den Fürsten mit den Reichsinsignien auf seinem Thron. In der Mitte des Saales ragte ein Pfahl, an dem die Priestergewänder hingen, in welche Hus vor seiner Degradation gekleidet werden sollte. Auf’s neue wurden die Klageartikel gegen ihn verlesen, und er für einen Anhänger Wiclifs erklärt. Er wollte reden, aber ward gebieterisch zum Schweigen verwiesen. Er sank auf seine Kniee, und betete: „O Christus, dessen Wort von diesem Concile öffentlich verdammt wird, auf’s neue appellire ich an Dich, der Du, als Du von Deinen Feinden gemißhandelt wurdest, an Deinen Vater appellirtest, und Deine Sache diesem gerechtesten Richter übergabst, damit auch wir, durch Unrecht unterdrückt, Deinem Vorbilde gemäß, zu Dir unsre Zuflucht nehmen sollten!“ Als er in seiner Antwort auf den wider ihn ausgesprochenen Vorwurf, daß er im Banne noch die Messe gelesen habe, noch einmal des Geleitsbriefs gedachte, der ihm zu Theil geworden sei, und dabei den Blick auf den Kaiser richtete, erröthete dieser heftig. Als endlich das Urtheil über ihn erschollen war, rief er auf den Knieen: „Herr Christus, verzeihe meinen Widersachern. Du weißt, daß ich fälschlich von ihnen angeklagt worden bin, und daß sie erlogene Zeugnisse und Verläumdung gegen mich gebraucht haben. Verzeihe ihnen um Deiner großen Barmherzigkeit willen.“ Dieser lautere Erguß wahrhaftiger Feindesliebe wurde von Vielen der Versammelten laut verlacht. – Sieben Bischöfe begannen nun, an dem treuen Zeugen den Akt der Ausstoßung aus dem geistlichen Stande zu vollziehen. Sie legten ihm die priesterliche Gewandung an. Ihm stand dabei das Bild seines Heilandes im Purpurmantel und in der Dornenkrone vor der Seele. Sie forderten ihn noch einmal zum Widerrufen auf. „Wie könnte ich widerrufen“, entgegnete er, „dessen ich mich nicht schuldig weiß?“ Nun rissen sie ihm unter verfluchenden Formeln die einzelnen Stücke des Ornates wieder vom Leibe ab. Als sie ihm mit den Worten: „Wir entziehen dir, verdammter Judas, den Kelch des Heils“ den Abendmahlskelch aus den Händen nahmen, sprach er: „Ich vertraue auf Gott, meinen Vater und meinen Herrn Jesum Christum, daß er den Kelch seines Heils nicht von mir nehmen wird; hoffe vielmehr, denselben noch heute in seinem Reich zu trinken!“ Als ihm hierauf die mit Teufelsfratzen bemalte, und mit dem Worte: „der Häresiarch“ (das Ketzerhaupt) bezeichnete Mütze aufgesetzt wurde, sagte er: „Mein Herr Christus trug meinetwegen die Dornenkrone; wie sollte ich nicht diese leichtere, obgleich schmachvolle, um seines Namens willen tragen? Ich will es thun, und thue es gerne!“ „So übergeben wir denn deine Seele den Teufeln!“ sprachen die Bischöfe. „Und ich“, rief er, die Augen zum Himmel erhebend, „befehle in Deine Hände, Herr Jesus Christus, meine durch Dich erlöste Seele!“

Als ein nunmehr von der Kirche Ausgestoßener wurde Hus jetzt dem weltlichen Arm übergeben. Auf kaiserliches Geheiß überantwortete ihn der Herzog Ludwig von Baiern den Gerichtsdienern. Da er, von diesen abgeführt, vor der Kirchthüre seine Bücher verbrennen sah, konnte er dazu nur mitleidig lächeln. Auf dem Richtplatz angelangt betete er knieend einige Psalmen, und mit besonderem Nachdruck den 51sten und 31sten. Oefter wiederholte er die Worte: „Herr, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.“ „Was hat er nur gethan?“ hörte man wiederholt in der umherstehenden Volksmenge sagen: „wir hören ihn ja so andächtig beten und -reden!“ Von den Henkern zum Aufstehn vom Gebete ermahnt, rief er mit lauter Stimme: „Herr Jesus Christus, nun stehe mir bei, daß ich diesen grausamen und schmachvollen Tod, zu welchem ich um der Predigt Deines Wortes willen verdammt worden bin, kraft Deiner Hülfe mit starker und standhafter Seele erdulde!“ Nachdem er dann seinen Gefangenwärtern für ihre liebreiche Behandlung herzlich Dank gesagt, und noch einmal vor allem Volk bezeuget hatte, daß er lediglich um der Predigt der lauteren Gotteswahrheit willen den Tod erleide, bestieg er in heldenmüthiger Fassung den Scheiterhaufen, und gab mit den Worten: „Gern trage ich diese Ketten um Christi willen, der ja weit schwerere für mich getragen hat“, geduldig wie ein Lamm der Ankettung seines Leibes und Halses an den Marterpfahl sich hin. In diesem Augenblicke sprengte der Reichsmarschall von Pappenheim zu ihm heran, und eröffnete ihm noch einmal unter der Bedingung des Widerrufs eine sichere Aussicht auf Gnade und Verschonung. Hus aber erwiederte: „Welchen Irrthum sollte ich widerrufen, da ich mir keines Irrthums bewußt bin? denn ich weiß, daß, was falsch gegen mich vorgetragen wird, ich nie gedacht, geschweige denn gepredigt habe. Das war aber das vornehmste Ziel meiner Lehre, daß ich Buße und Vergebung der Sünde die Menschen lehrte nach der Wahrheit des Evangeliums Jesu Christi und der Auslegung der heiligen Väter; deshalb bin ich bereit, mit freudiger Seele zu sterben!“ – Es wurde nun der Holzstoß angezündet. Hus begann mit lauter Stimme zu singen: „Jesu, Du Sohn des lebendigen Gottes, erbarme Dich meiner!“ Zum dritten Male öffnete er zu diesem letzten Seufzer seinen Mund, da erstickte die durch den Wind ihm zugeführte Flamme seine Stimme. Aber lange noch sah man seine Lippen betend sich bewegen. Endlich neigte er sein Haupt, und war mit Frieden in die triumphirende Kirche eingegangen. Der Rachedurst einer dämonisch entbrannten Priesterschaft war jedoch noch nicht gekühlt. Man nahm die Asche des hingeopferten Blutzeugen, und streute sie, damit nichts Verunreinigendes von ihm zurückbliebe, in die Fluthen des Rheins. So trat der Mann von seinem irdischen Kampfplatze ab, dem hundert Jahre später der deutsche Vollender seines Werkes mit vollem Grunde nachrühmte: „Aus dem Blute des Johannes Hus ward uns das Evangelium geboren, das wir gegenwärtig haben.“ Seine Mörder entgingen der Zornesruthe Gottes nicht. Wie der Fluch aller Edlen sie traf, so erhob sich ganz Böhmen wider sie wie Ein Mann; und der Kaiser selbst ging ruhm- und ruhelos zu Grabe, und sah in seiner Person seinen Herrscherstamm erlöschen. Allerdings war Hus mehr ein Eiferer um das Gesetz, als im vollen Sinne des Wortes ein Evangelist; und unbezweifelt würde seine Wirksamkeit eine noch ungleich durchgreifendere, tiefere und nachhaltigere gewesen sein, wenn ihm die innerste Herrlichkeit des Evangeliums, wie sie uns aus dem Artikel von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott aus lauter Gnade allein durch den Glauben an Jesum Christum schon in voller Klarheit aufgegangen wäre, was sie noch nicht war. Jedoch der Eine legt den Grund, und ein Andrer bauet darauf. Unbestritten gehört ihm das Verdienst, der deutschen Reformation, auf welche und auf deren Koryphäen insbesondere mehr als ein weissagend Wort, das aus seinem Munde ging, gedeutet werden darf, die Bahn gebrochen zu haben. Ein dreifaches Auferstehn ist ihm geworden. Mit der Märtyrerkrone geschmückt steht er heute, die Siegespalme schwingend, am Stuhle Gottes. Sein Geist trat verklärt und zur vollen Erleuchtung durchdrungen in Luther, seinem großen und sieggekrönten Nachfolger, für den Hort der ewigen Wahrheit auf’s neue in die Schranken, und sein Bild lebt bis zur Stunde frisch und unvergänglich fort, wie in den Herzen Aller, die zur Fahne des Reiches Gottes schwuren, so auch – ein Saatkorn, das noch reiche Erndten treiben wird, – in den Herzen – seiner Böhmen. –

Fr. W. Krummacher in Potsdam

Evangelisches Jahrbuch für 1856
Herausgegeben von Ferdinand Piper
Siebenter Jahrgang
Berlin,
Verlag von Wiegandt und Grieben
1862

 

Jan Hus

Johann Hus

1369 – 1415

Hus ist um 1369 in Hussinetz, einem an der böhmisch – bayrischen Grenze gelegenen Dorf geboren. Er stammte aus einer armen tschechischen Familie und mußte sich als Sängerknabe mühsam durch seine Schulzeit durchbringen. An der Universität Prag gewann er bald großes Ansehen, obwohl er niemals den Doktorgrad erworben hat. Von großer Bedeutung wurde für ihn die Kenntnis der Schriften Wiclifs, die mit Beginn des 15. Jahrhunderts in Böhmen bekannt wurden und einen tiefen Eindruck machten. Fast alles, was Hus gegen die päpstliche Kirche lehrte, stammt aus Wiclifs Schriften. Besonders verlangte er auch, daß das Abendmahl unter beiderlei Gestalten gefeiert wurde, d.h. daß man den Laien nicht den Kelch entziehe.

Zum 1. November 1414 war ein allgemeines Konzil nach Konstanz berufen worden, um dem Doppelpapsttum ein Ende zu machen. Auf diesem Konzil sollte auch die Angelegenheit von Hus verhandelt werden. Vom deutschen König Sigismund erhielt Hus die Zusicherung freien Geleits. Trotz trüber Ahnungen machte er sich auf den Weg. Obwohl er sich in Prag als rechter Deutschenfeind bewiesen hatte, wurde er von den Deutschen überall freundlich aufgenommen; zahlreiche Anhänger und Bewunderer suchten ihn in seiner Wohnung in Konstanz auf. Das verdroß den Papst aufs äußerste. Er ließ Hus eines Tages zu einer Besprechung mit Kardinälen in die Wohnung eines Konstanzer Domherrn einladen und dort gefangensetzen, ja einige Tage später in das Dominikanerkloster bringen, wo er in ein finsteres, neben der Kloake gelegenes Gelaß gesteckt wurde. Sigismund war noch auf der Reise nach Konstanz, als er von der hinterlistigen Gefangennahme erfuhr. Er war aufs höchste empört und befahl den Kirchenleuten, Hus sofort freizulassen; andernfalls werde er das Konzil verlassen. Jene aber erwiderten kühl, dann werde eben das Konzil aufgelöst, und da dem Kaiser mehr als dem Papste daran lag, zu einer Einigung in der Kirche zu kommen, gab er nach. Damit war das Schicksal Hussens besiegelt. Er war inzwischen auf die Burg des Bischofs von Konstanz gebracht worden. Hier blieb er 73 Tage in schrecklicher Haft, bei Tag gefesselt, des Nachts mit den Händen an die Wand gekettet, schlecht genährt und krank. Als er endlich vor dem Konzil verhört wurde, ließ man ihm keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Öffnete er den Mund, so schrien alle auf ihn ein und schalten ihn einen verstockten Ketzer; schwieg er, so deuteten sie dies als Eingeständnis seines Irrtums. Andere Verhöre folgten, aber es gelang nicht, Hus zum bedingungslosen Widerruf zu bewegen. Am 6. Juli 1415 erfolgte in feierlicher Vollversammlung des Konzils seine Verurteilung. Vergebens berief er sich darauf, daß er freiwillig nach Konstanz gekommen sei, nachdem ihm der König Sigismund – der bei dieser Sitzung anwesend war! – freies Geleit zugesichert habe.

Es folgte die Ausstoßung aus der Kirche. Hus, den man mit seinem vollen Priesterornat bekleidet hatte, wurde noch einmal zum Widerruf aufgefordert. Als er wiederum ablehnte, wurde ihm unter feierlicher Verfluchung Stück für Stück seine priesterliche Kleidung abgenommen. Als ein Ketzer wurde er dem weltlichen Strafgericht übergeben, verkündete der Sprecher des Konzils, und die Anwesenden fügten hinzu: „Deine Seele übergeben wir dem Teufel!“ Hus aber antwortete: „Und ich befehle sie dem gnädigen Herrn Jesu Christo.“ Man hatte ihm eine spitze Papiermütze aufgesetzt, auf der das Wort „Erzketzer“ geschrieben war. Hus sagte: „Mein Herr Jesus Christus hat für mich Armen eine viel härtere, drückendere Dornenkrone schuldlos zu seinem allerschmählichsten Tode getragen; darum will ich armer sündiger Mensch gerne diese Krone tragen um seines Namens und seiner Wahrheit willen!“

Danach wurde Hus zur Richtstätte geführt. Die Henker entkleideten ihn und banden ihn an einen Pfahl, um den Holz mit Stroh aufgeschichtet war. Der Scheiterhaufen wurde angezündet. Mit erhobener Stimme sang Hus: „Christus, du Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner“, bis er erstickte. Seine Asche wurde in den Rhein gestreut.

Als die Nachricht von Hus‘ Tode nach Böhmen gelangte, entstand eine ungeheure Erregung. Schon vorher hatte der größte Teil des tschechischen Volkes an ihm wie an einem Propheten gehangen, nun wurde er als Märtyrer verehrt; sein Todestag, der 6. Juli, wurde fortan als ein Feiertag begangen. Fast der ganze Adel des Landes tat sich zusammen und gelobte der Lehre des Märtyrers treu zu bleiben. Da starb König Wenzel, der bisher noch immer vermittelt hatte, und die böhmische Krone ging an seinen Bruder, König Sigismund, über, gegen den sich nun das ganze Land erhob. Auf seinen Wunsch rief der Papst die Christenheit zum Kampf gegen die aufständischen Hussiten auf; so kam es zu den blutigen Hussitenkriegen, in denen besonders der Feldherr Ziska für die Tschechen große Erfolge errang und weite deutsche Gebiete verheerte. Erst als unter den Hussiten selbst Zwistigkeiten ausbrachen und der Papst der gemäßigten Partei entgegenkam, gelang es ihm, der katholischen Sache zum Siege zu verhelfen. 1433 nahm der böhmische Landtag ein Gesetz an, wonach den Gläubigen im Abendmahl nicht nur das Brot, sondern auch der Kelch gereicht werden solle. Das war das einzige Zugeständnis, das der Papst gemacht hatte.