Churfürst August l. von Sachsen.

Er ist der größte unter den sächsischen Regenten, dessen Weisheit Sachsen die Begründung seiner politischen Bedeutung, dessen Glaubenstreue die deutsche lutherische Kirche die Erhaltung ihrer Eigenthümlichkeit zu danken hat.

 

Churfürst August wurde 1526 geboren und erhielt seine Erziehung theils in Freiberg unter Leitung des berühmten Revius, theils in Prag am Hofe König Ferdinands. Nach dem Tode seines Bruders Churfürst Moritz 1553 tritt er die Regierung Chursachsens an, welches bereits unter Moritz eine hervorragende Stellung unter den deutschen Reichsständen erhalten, nun aber unter der mit seltener Einsicht und Umsicht nach allen Seiten der Staatsverwaltung hin unermüdlich thätigen Regierung seines damals erst 27jährigen Nachfolgers nach Innen und nach Außen zu einem Flor und einer Bedeutung gelangt, mit welcher kein anderes unter den Fürstenthümern sich messen konnte. Wir richten das Auge nur auf das, was durch ihn für die Kirche geschehen.

 

„Rechtfertigung aus Gnaden!“ das war wie bei so vielen Fürsten des Reformationszeitalters, auch bei August Angel und Stern seines Glaubenslebens geworden. Als ihm 1561 der Ausspruch seiner sterbenden Mutter berichtet wird: „Ich will an meinem Herrn Christo klebend bleiben, wie eine Klette am Rock,“ ruft er: „Gott helfe mir auch also an meinem letzten Ende. Ich will auch durch seine Gnade an ihm kleben bleiben und meinen Herrn Christum bekennen. Er lasse mich im ewigen Leben nur seiner Schuhe Hader seyn, so habe ich genug.“ Beim Bewußtseyn dieser Gnade, die er selbst empfangen, ließ er sich auch wohl an die erinnern, welche er andern zu erweisen schuldig sei. Als ein Vornehmer ins Gefängniß geworfen und dessen Weib Selnecker, den damaligen Hof-Prediger, um Hülfe anfleht, erhält dieser auf seine Fürbitte von dem Churfürsten die strenge Antwort: „Hätte jener Herr NN. ihn (selbst) also, er würde ihn längst an den lichten Galgen haben hängen lassen.“ „Darauf sprach ich – fährt Selnecker zu erzählen fort: „Ach Gnade gehe für Recht, wenn Gott mit uns also wollte handeln, wer wollte doch Gnade erlangen und selig werden!“ Hierauf tritt die fromme gottselige Fürstin, die zugegen war, ihrem Herrn mit ihrem Haupte unter den Bart und spricht mehr nicht denn dieses Wort: „Ach Herr!“ Darauf Seine Churfürstl. Gnaden mir alsobald befiehlt, den secretarium Valerius zu fordern, welchem zu schreiben, den Gefangnen loszulassen, auferlegt worden.“ Mit dem Glauben wie Luther ihn gepredigt, und seine Vorfahren vor Kaiser und Reich ihn bekannt, ist er in innigster Pietät zusammengewachsen. Im J. 1560 schreibt er an einen Fürsten: „Ich bin durch göttliche Gnade in der christlichen Religion so in Augsburgischer Confession verfasset von meinen geliebten Eltern auferzogen und erwachsen, die ich auch bei meiner Regierung unverfälscht habe lehren lassen und noch, und denke vermittelst göttlicher Hülfe dabei standhaftig zu bleiben und mich öffentlich dazu zu bekennen.“ Den gottesdienstlichen Pflichten unterzieht er sich, wie es damals die christliche Sitte, unausgesetzt an Sonn – und Werkeltagen, liest vor der Predigt Luthers Postille, braucht häufig das heilige Abendmahl, hält täglich seine Privatandacht aus dem Psalter, läßt sich für diesen Zweck Psalmengebete verfassen zum Morgen- und Abendsegen, schreibt auch selbst Kirchengebete für den Gebrauch auf den Kanzeln und ist unermüdet im Lesen der heiligen Schrift und der Werke Luthers. Wie seine Hofprediger Mirus und Leyser von ihm berichten, hatte er noch nicht lange vor seinem Tode in 30 Wochen die 12 tomi von Luthers Werken durchgelesen, von 5 Uhr des Morgens bis spät an den Abend, und zu einem Diener, den er in seinem Alter zum Lesen gebraucht, einst gesagt: „Entweder mußt du mich, oder ich dich zu Tode lesen.“ Von Luxus und Völlerei wurden damals die Höfe selbst mehr als gegenwärtig beherrscht. Der Hofprediger Mirus giebt ihm das Zeugniß: „Sr. Churfürstl. Gnaden haben ein nüchtern und mäßig Leben geführt, sich des Trunkes und Vollsaufens nicht beflissen, sondern andere fürstliche Arbeit und Leibesbewegung gehabt.“ Dasselbe wird in Betreff „des überflüssigen Prangens“ erwähnt, wie auch von seiner Gemahlin gerühmt wird, daß sie auf die deutsche Tracht gehalten und nie wälsche, spanische oder andere Muster getragen. –

 

Durch weises und gerechtes Regiment sein Volk zu beglücken, war vom Anfange seiner Regierung an seine ernsteste Angelegenheit. Zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt ergeht von ihm an einen ebenso einsichtsvollen als christlich gesinnten Staatsmann, der bereits unter drei Churfürsten dem sächsischen Hause gedient, an den hochbetagten Melchior von Osse, die Aufforderung, ihn mit seinem erfahrenen Beirathe in seiner Aufgabe zu unterstützen, wie dieser ehrwürdige Mann in seinem sogenannten „Testament gegen Herzog Auguste“ selbst darüber berichtet: „Es haben E. Ch. Gn. am 16. August dieses laufenden 55. Jahres schriftlich und durch ihren Gesandten mündlich von mir begehret, daß Ew. Churfürstl. Gnaden ich mein unterthäniges Bedenken anzeigen wollte, wie Gott dem Allmächtigen zu Ehren und Lobe, und Ew. Ch. Gn. Landen und Leuten zur Wohlfahrt, eine gottselige, starke, rechtmäßige, unparteiliche Justitia, in derselben Churfürstenthum, Fürstenthum und Landen erhalten, was dem zugegen mißbräuchlich eingerissen, abgewandt, und die langen verzüglichen Processe abgeschnitten werden möchten.“ Unter seinem Volke hieß er Vater August, seine Gemahlin Mutter Anna. Zum Schutze des dürftigen Fleißes gegen den Wucher ließ er in den verschiedenen Aemtern namhafte Kapitalien zu niedrigem Zinsfuß niederlegen, der Regierung und Justizverwaltung widmete er sich mit Eifer. „Als ich aus eine Zeit, berichtet Mirus, unterthänigst erinnert, daß S. Gn. bisweilen in der Regierung sitzen möchten, haben Sie gnädigst geantwortet: Sie hätten deß aus erheblichen Gründen Bedenken, aber das sollte ich wissen, daß keine Sachen im Lande (außerhalb gemeine Bauernsachen) ohne Sr. Gn. Vorwissen gehandelt würden, sondern sie müßten ihm alle vorgebracht werden.“

 

Von seiner Ehe versichert Mirus: „An J. C. Gn. Ehestande hat das ganze Land einen Spiegel gesehn wahrer Gottseligkeit und andrer christlicher Tugenden.“ Seine Gattin Anna war eine Tochter des vortrefflichen christlichen Fürsten Christian III. von Dänemark. In 37jähriger Ehe war Churfürst August mit ihr verbunden, in welcher sie gänzlich in der Sorge für ihren Gemahl aufging. „Was ihren Ehestand belangt, hat sie ihres frommen Herrn und ihrer Pflänzlein, die Gott gegeben, also gewartet, daß man hat sagen müssen, wenn sie eine Magd gewesen – das doch von solch einer hohen Person viel zu sagen – so hätte sie nicht mehr thun können.“ Wir erfahren von ihr, daß sie eine eifrige Beterin war, welche „dreimal des Tages mit ihrem Frauenzimmer Betstunden hatte, da auch ein und die andere mußte in der Bibel lesen.“ Nicht nur sie selbst spendet Almosen, sondern sammelt auch solche bei den Hofbeamten, sie besucht die Kranken, namentlich die Wöchnerinnen. Bei ihrem Tode wird ihr von den Armen nachgerühmt, daß sie „mit der Mutter Anna Einen Beutel, Eine Apotheke, Eine Kirche und Eine Versorgung gehabt!“

 

Seit 1570 beginnt diejenige Periode der Regierung des Fürsten, welche bei einem Theil der Nachwelt seinen Namen mit Schmach bedeckt hat. Sein Eifer für unverfälschte lutherische Lehre war es nämlich, durch welchen in Sachsen die calvinisirende Melanchthonsche Richtung aus der lutherischen Kirche ausgeschieden und der specifisch – lutherische Lehrtypus zur Alleinherrschaft erhoben worden ist, und da es sich nun hiebei nur um ein einzelnes Dogma, das Abendmahlsdogma, am Ende nur um eine untergeordnete Differenz in der Auffassung desselben zu handeln scheint, so ist der Fürst in jenem seinem Eifer als das blinde Werkzeug einer intoleranten Theologenpartei dargestellt worden. Eine genauere Erwägung muß jedoch das Sachverhältniß in einem anderen Lichte erscheinen lassen. Nach der ursprünglichen Zwingli’schen Lehre, welche sich indeß später ebenfalls der lutherischen angenähert, ist das Abendmahl nur die symbolische Darstellung von Leib und Blut des Erlösers zur Erinnerung an ihn und seinen Opfertod. Nach den calvinischen Bekenntnissen ist es eine durch den Glauben bedingte substantielle geist-leibliche Einwürkung des abwesenden Christus auf den Geist der Gläubigen, nach der lutherischen eine geist-leibliche Mittheilung des gegenwärtigen Christus an jeden der Empfänger – an den gläubigen zum Segen, an den ungläubigen zum Unsegen. Zur Abgränzung und Unterscheidung von der calvinischen Fassung werden dann die zwei verwahrenden Bestimmungen hinzugefügt: 1) daß diese Mittheilung durch den mündlichen Genuß vermittelt werde, 2) daß auch der Ungläubige, wenngleich zum Verderben, wahrhaft empfange. Allerdings ist nun gewiß, daß das religiöse Bewußtseyn nur an der Wahrhaftigkeit der Selbstmittheilung des ganzen Christus ein Interesse hat – unbekümmert um die Art, wie dieselbe geschieht; dennoch ist nicht weniger gewiß, daß um die Eigenthümlichkeit der lutherischen Anschauung theologisch und objektiv zu fixiren, auch jene verwahrenden Bestimmungen von wesentlicher Bedeutung sind, ja auch von religiös-kirchlicher – einmal insofern in der reformirten Kirche neben jenen calvinistischen Bekenntnißformeln mit gleich confessioneller Berechtigung die von Zwingli und Oekolampadius stehn – in einigen Bekenntnissen mehr, in andern weniger in dieselben sich auflösend, sodann insofern die Schriftlehre von Christi Erhöhung und Verklärung sich nicht mit der calvinischen, sondern nur mit der lutherischen Auffassung des Abendmahls vereinigen läßt. So ist denn die lutherische Abendmahlslehre auch nicht ein von allen übrigen isolirtes Dogma, sie hängt zunächst mit dem Dogma von der Gottmenschheit des Erlösers zusammen und wiederum durch diese mit andern Artikeln der lutherischen Glaubenslehre.

 

In der erwähnten Periode aber stand diese lutherische Fassung der Abendmahlslehre im Begriff, sich gänzlich in die calvinischen zu verlieren; Melanchthon selbst hatte sich mehr und mehr der calvinischen Fassung zugeneigt, schon seine Abänderung des 10ten Artikels der Augsburgischen Confession vom Abendmahl war nur in dem Interesse geschehen, auch der calvinischen Auffassung die Annahme des Bekenntnisses möglich zu machen. In der unveränderten Ausgabe von 1530 hatte der Artikel gelautet: de coena domini docent, quod corpus et sanguis Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini et improbant secus docentes. „Es wird gelehrt, daß der wahre Leib und Blut Christi wahrhaftig unter der Gestalt des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei, und da ausgetheilt und genommen werde. Deshalb wird auch die Gegenlehre verworfen.“ Die veränderte Ausgabe von 1540 lehrte statt dessen: de coena domini docent, quod cum pane et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus in coena domini. „Es wird gelehrt, daß Leib und Blut Christi mit dem Brot und Weine wahrhaft ausgetheilt werde denen, die am Abendmahl Theil nehmen.“

 

Diese Neuerungen waren in keiner andern Absicht geschehn, als der calvinischen Ansicht Raum zu machen. In diesem Interesse war der Zusatz hinweggelassen: quod vere adsint, damit auch an eine andere, als eine mündliche Genießung gedacht werden könne, war ferner der Ausdruck exhibeantur statt distribuantur gesetzt, weil von calvinischer Seite nur die Genießung durch die Ungläubigen in Abrede gestellt wurde, nicht aber die Darbietung Christi. Diese veränderte Confession war zur allgemeinen Geltung gekommen, die Exemplare der ersten Ausgabe waren kaum mehr aufzufinden, auf den Universitäten und namentlich in den Schulen Deutschlands waren die Lehrstühle mit Schülern Melanchthons besetzt. Bis zum Tode des behutsamen und gemäßigten Mannes (1560) begnügten sich diese Schüler, wie er selbst, damit, für ihre abweichenden und nur verhüllt ausgesprochnen Ansichten, Duldung zu verlangen: seit dem Tode desselben wagte sich hie und da der Widerspruch gegen Luther, ja die Verhöhnung seiner strengeren Anhänger hervor.

 

Bei dieser Lage der Dinge handelte es sich nun eigentlich nicht mehr darum, ob der melanchthon-calvinischen Abendmahlslehre neben der lutherischen Raum gegönnt werden solle, sondern vielmehr davon, ob in dem Lande, welches die Wiege der lutherischen Reformation, ja in ganz Deutschland, die calvinische Abendmahlslehre, ja vielmehr die unter so verschiedenen nationalen und historischen Bedingungen entstandene calvinische Kirche an die Stelle der lutherischen treten solle? Das nämlich war voraus zu sehen, daß die abschüssige Bewegung, welche die lutherische Kirche in jenen zwei Lehrstücken zum Calvinismus hin genommen, sich nicht auf diese beschränken, sondern den gesammten kirchlichen Lehrbestand mit in diese Richtung hineinziehn würde, wie dies in der Lehre und im Cultus der pfälzischen Kirche, mit welcher von Wittenberg ans auch würklich eine Verbindung eingeleitet wurde, zu Tage getreten und noch in höherem Maße eingetreten seyn würde, hätte nicht noch eine lutherische Kirche gegenübergestanden. Wie aber die zwei Schwesterkirchen in ihrer gesonderten Entwicklung vor uns stehn – jede eine ausgeprägte individuelle Gestalt, mit eigenthümlichen Charismen: wer will sagen, daß es besser gewesen seyn würde, mit passivem Zusehn von Anfang an den einen Typus in den andern sich auflösen zu lassen? Nur daß die sich allerdings nicht hätten als Feinde bekriegen sollen, welche darauf angewiesen waren, sich als zwei geschichtliche Produkte desselben reformatorischen Stammes geschwisterlich anzuerkennen und gegenseitig von einander zu lernen.

 

Um nun die persönliche Stellung Churfürst Augusts bei den sogenannten krvptocalvinistischen Streitigkeiten richtig zu beurtheilen, so ist es ja freilich schon das Gewicht des Namens und der historischen Persönlichkeit Luthers, welches damals noch Unzählige, wo die Wahl zwischen seiner und irgend welcher andren Lehre war, sofort und ohne weiteres Besinnen sich auf Luthers Seite stellen ließ. Was Luther von seinem treuen Cordatus sagt: „Wenn es mit mir in die Hölle ginge, so ginge Magister Bugenhagen bis an den Rand der Hölle mit, und Cordatus bis in die Hölle hinein,“ das galt noch für Unzählige und – wie sich dies in dem oben angeführten Bekenntnisse Churfürst Augusts ausspricht – auch für diesen Fürsten. Doch hieße es dem Glauben dieses Fürsten und seiner Gesinnungsgenossen nicht gerecht werden, wollte man den bloßen Namen des Reformators als das eigentliche Fundament dieses Glaubens bezeichnen. Wie für Luther, so war für den Churfürsten das: „das ist mein Leib,“ ein unzweifelhafter Schriftgrund und nicht von Luthers, sondern von Christi Wort legte er in einem Schreiben an einen verwandten Fürsten das freudige Zeugniß ab:

 

„Bruder, wenn mein Herr Christus ein solch Wort gesetzt hätte: siehe in diesem Stock, in diesem Stein oder Holz hast du meinen Leib und mein Blut, so hätte ich’s doch geglaubt, und sollte mich meine Vernunft davon nicht im wenigsten abwendig machen, und wenn mein Herr Christus noch was unmöglicheres hätte befohlen, so wollte ich es doch glauben, wenn nur sein Wort dasteht, Gott gebe meine Vernunft sage dazu, was sie wolle. Er ist allmächtig und wahrhaftig, darum habe ich ihm in sein Wort nicht zu reden, und ist die Frage nicht, wie es zugehe, sondern allein davon, ob es Christi Wort und Befehl sei. Sind es nun seine Worte, so schweige ich still, und will’s ihn lassen walten, er weiß wohl zu erfüllen.“

 

Auch ist nicht zu zweifeln, daß die Gewißheit im Sakramente eine objektive Selbstmittheilung Christi zu empfangen, ihm die lutherische Lehre zum subjektiven religiösen Bedürfnisse und zum Gegenstande eigener Erfahrung des Herzens gemacht. Ein, auch durch die darin sich aussprechende Freundlichkeit und Liebe, wohlthuendes Zeugniß hiefür giebt ein Handschreiben des Churfürsten von 1574 an den alten Dresdner Superintendenten Greser, einen treuen Lutheraner, nachdem er eine Abendmahlspredigt von demselben angehört: „Lieber Herr Gevatter, aus eurer Predigt habe ich heute diesen Tag meines Herzens Lust und Freude gehört, und bitte Gott aus Grund meines Herzens darum, daß ich möge bei dieser Gott Lob erkannten und bekannten Wahrheit und rechtem Gebrauch der hochwürdigen Sacramente bis in den Tod beständiglich verharren, darzu ich denn getreue Fürbitte von euch und allen frommen Christen von Herzen bitte. Und weil ich euere heutige Predigt gern in meinem Herzen oft betrachten wollte, so fehlet es mir doch daran, daß dieselbe nicht alle Tage mündlich zu hören. Darum bitte ich, ihr wollet mir dieselbige, sobald es möglich, in Schriften zukommen lassen. Damit es euch auch nicht des Schreibens halber beschwerlich, habe ich meinem Diener P. S. Briefszeigern befohlen, welche Stund ihr ihn fodert, aufzuwarten, und was ihr ihm befehlen werdet zu schreiben, fleißig zu verrichten. Und ich bin es in allen Gnaden gegen euch jederzeit eingedenk. Am Palmtag des 1574. Jahres.“ – Wäre der Churfürst über den theologischen objektiven Unterschied von calvinischer und lutherischer Lehre in diesem Stück in ein Katechismusexamen genommen worden, so ist freilich die Frage, ob derselbe über diesen Unterschied und dessen Bedeutung Rechenschaft zu geben vermocht haben würde. Nicht weil er überhaupt ein ungebildeter Mann und beschränkter Kopf gewesen, wie er von einigen Seiten dargestellt worden. An Bildung stand August den meisten Fürsten seiner Zeit nicht eben nach, an Geist that er es vielen wohl zuvor: er war ein belesener Mann in theologischen und nichttheologischen Schriften, liebte historische, politische, auch naturwissenschaftliche Studien, legte sich ein Naturaliencabinet an, hatte das Lateinische erlernt und noch im 50. Jahre mit dem Hebräischen einen Anfang gemacht. Aber wie sollte das Verständniß nicht auch einem verständigen Manne schwierig werden, wenn, wie es nach dem Vorgange von Melanchthon selbst und dessen Anhängern geflissentlich geschah, von den Theologen aller Scharfsinn aufgeboten wurde, den vorhandenen Unterschied zu verhüllen. Solcher „Obskurität“ in den ihnen vorgelegten Bekenntnissen sind die Fürsten sich auch bewußt gewesen. Auf dem Augsburger Reichstage 1560 erklären sie: „Wir wissen sehr wohl, daß unter den Skribenten, und Predigern, die es in der Nachtmahlslehre nicht ganz mit der Augsburgischen Confession halten, gleichwohl ein großer Unterschied ist; denn etliche unter ihnen den Zwinglianismum und Calvinismum also vertheidigen und lehren, daß die heiligen Sakramente allein nuda symbola, und die Worte Christi allein spiritualiter zu verstehen sein sollten; die andern aber einer solchen Obskurität sich gebrauchen, daraus nicht zu nehmen, was ihre gründliche Meinung, und ob sie sich mit den Ständen der Augsburgischen Confession in dem vergleichen oder nicht?“

 

So ist es denn zu erklären, daß auch noch auf dem Fürstentage zu Naumburg 1561 sämmtliche evangelische Fürsten, nur mit Ausnahme des Weimarer Herzogs Johann Friedrich, neben der unveränderten auch die veränderte Confession als wesentlich gleichberechtigt anerkannten. Eine wesentliche Differenz zwischen dem größten der Schüler Luthers und Luther selbst, ja einen Abfall desselben zu Calvin anzunehmen, erschien ihnen auch als etwas Undenkbares, als ein Verrath an der dem großen Lehrer schuldigen Ehrfurcht. Selbst mehrere unter den unbedingtesten und wärmsten der persönlichen Freunde Luthers blieben damals noch einem solchen Verdachte fern. So schreibt der greise Hieronymus Weller noch im Jahre 1570 an einen theologischen Convent in Dresden: „Ich bekenne vor Gott und allen Menschen, daß ich die von den hocherleuchteten Kirchenlehrern Dr. Luther und Philippus ins Licht gestellten prophetischen und apostolischen Schriften und die Augsburgische Confession von Herzen annehme. Ebenso das corpus doctrinae, worin Philippus mit wunderbarer göttlichen Geschicklichkeit in ein compendium zusammengebracht, was Luther in seinen Schriften, Predigten und Vorlesungen ausführlich erörtert. Beide haben das größte Verdienst um die Kirche, beide haben in demselben Geist und Sinne die evangelische Lehre vertheidigt, nur in verschiedner Geistesart. Während Luther nach Art eines Elias und Jesaias in Widerlegung der Gegner donnert und blitzt, sucht Philippus nach Art des Joel die Gegner zur Buße zu bringen. Ich erinnere mich wie einst Luther gesprochen: „M. Philippus ist ein fromm Herz, er wollte gern die Widersacher mit guten Worten fromm machen. Ich waldrechte aber der höfelt.“ So konnte er es auch nicht leiden, wenn jemand den Herrn Philippus zu tadeln unternahm, sondern sagte: „Ach sie verstehen dominum Philippum nicht, ich aber verstehe ihn wohl. Und noch Ein Umstand ist zu nennen, welcher dem Churfürst August über seine Wittenberger Theologen das Urtheil zu erschweren geeignet war. Die Leidenschaftlichkeit der Anhänger des Flacius, dieser eifrigsten unter den reinen Lutheranern, hatte ihn zum Widersacher derselben gemacht. Nun wurde von ihnen auch die leibliche Allgegenwart des verklärten Christus (die Ubiquität) im Zusammenhange mit der Abendmahlslehre vorgetragen: wie sie aber von Melanchthon mit Bestimmtheit verworfen worden, so auch von dem Churfürsten und einem großen Theile der damaligen Lutheraner. So war es denn den Wittenbergern ein Leichtes, unter dem Scheine nur diese Lehre zu bekämpfen, der lutherischen Lehre selbst entgegenzutreten, oder wenigstens ihr auszuweichen.

 

Auf eine rührende Weise tritt noch vor dem Ausbruche der Katastrophe jene Consequenz des christlichen Herzens des Churfürsten mit seinen dogmatischen anticalvinistischen Ueberzeugungen uns entgegen in den auf dem Reichstage von Augsburg 1566 mit Churfürst Friedrich III. von der Pfalz geführten Verhandlungen. Im Jahre 1562 war von dem Fürsten der stark calvinisch gefärbte Heidelberger Katechismus in seinem Lande eingeführt und manche Cultusänderung im calvinischen Sinne angeordnet worden. Von dem Herzog von Würtemberg und dem Pfalzgrafen von Neuenburg erfolgte auf dem Reichstage in Folge dessen eine Aufkündigung der Glaubensgemeinschaft mit diesem Churfürsten und von dem Kaiser selbst wurde er mit dem Ausschlusse aus dem Religionsfrieden bedroht. Ergreifend ist das Bekenntniß, welches bei dieser Veranlassung der glaubenstreue Fürst vor den versammelten Reichsfürsten ablegt: „Zum andern, so heißt es darin, so viel die Religion anlanget, da im Namen Ew. Majestät mir abermals mit Ernst auferlegt und befohlen, weil meine Religion nicht der Augsburgischen Confession gemäß sondern mit dem Kalvinismo befleckt, daß ich dieselbe ändern und abschaffen sollte. Darauf habe ich Ew. Kaiserl. Majestät zuvor und ehe ich abgetreten bin, in der Person vermeldet, daß in Gewissens- und Glaubenssachen ich nicht mehr als einen Herren, der ein Herr aller Herren und König aller Könige wäre, erkennte, des Sinnes und Meinung bin ich noch, und sage derowegen, daß es nicht um eine Kappen voller Fleisch (wie man pflegt zu sagen) zu thun, sondern daß es die Seel und derselbigen Seligkeit belanget, die hab ich von meinem Herrn und Heiland Christo in Befehl, bin auch schuldig und erbötig, ihm dieselbe zu verwahren, darum kann Ew. Kaiserl. Majestät ich nicht gestehen, daß Sie, sondern allein Gott, der sie geschaffen, darüber zu gebieten habe, will auch zu Ew. Kaiserl. Majestät mich abermals nichts weniger versehen, als daß sie diese Dinge ab executione sollen anfahen, und weil ich Calvini Bücher nie gelesen, wie ich mit Gott und meinem christlichen Gewissen bezeugen kann, so kann ich um so viel weniger wissen, was mit dem Calvinismo gemeint.“ „Sollte aber, so schließt er, dies mein unterthänig Vertrauen mir fehlschlagen und man über dieses mein christliches und ehrbares Erbieten mit Ernst gegen mir handeln und fürnehmen sollte oder wollte, so getröstet mich das, daß mein Herr und Heiland Christus Jesus mir sammt allen seinen Gläubigen die so gewisse Verheißung gethan, daß alles, was ich um seiner Ehre oder Namens willen verlieren werde, mir in jener Welt hundertfältig soll erstattet werden. Thue damit Ew. Kaiserl. Majestät unterthänigst mich zu Gnaden befehlen.“ Auf dieses mannhafte Wort tritt Churfürst August zu dem Pfälzischen Fürsten heran und spricht mit freundlichem Achselklopfen: „Fritz, du bist frömmer, denn wir alle!“ Vorzüglich seinen Bemühungen war es zu danken, daß der Reichstag selbst nunmehr die Vertheidigung des angefochtenen Pfälzer Churfürsten vor dem Kaiser übernahm und das Bedenken abgab: „Es sind ohne Zweifel unter dem gemeinen Mann der bedrängten Christen sehr viel, so diese Lehre von wegen der Obskurität nicht verstehen, sondern sich an die Worte Christi halten, auch denselbigen dem einfältigen Verstand nach, wie sie gesetzt sind – glauben. Sollten denn jetzt nicht allein die Lehrer, Prediger und Skribenten, so sich gleichwohl allenthalben nicht erklärt, und sich auf Unterredung referiren, und sich weisen zu lassen erbieten, sondern auch all ihre Zuhörer unter dem Namen und Schein des Calvinismi verdammt und aus dem Religionsfrieden ausgeschlossen oder in andre Gefahr gesetzt werden, so hätten sich deß nicht allein die Prediger mit gutem Fug zu beschweren, sondern es würde auch viel armen Christen Gewalt und Unrecht dadurch geschehen, auch zu noch größerer Tyrannei und Bedrängniß derselben Anlaß gegeben.“

 

Den ersten Anstoß zum Verdacht und Unwillen gab dem Fürsten ein im Jahre 1571 von den Wittenberger Theologen ausgearbeiteter calvinisirender Katechismus, den der mit der Schulvisitatior betraute Wittenberger Professor der Medicin und Geschichte Peucer, auch Leibarzt des Churfürsten, in Schulpforte eingeführt hatte. Von diesem Katechismus nahm Herzog Julius von Braunschweig Anlaß, das Mißtrauen des Churfürsten gegen seine Professoren zu erregen. Den Peucer ließ dieser nun verpflichten, „in Zukunft seiner Arzenei zu warten, das Harnglas zu besehn und der theologischen Sachen müßig zu gehn.“ Die Leipziger und Wittenberger Theologen aber ließ er zu einem Convent nach Dresden berufen, um ein „gut luthrischs Zeugniß“ vom Abendmahl abzulegen. Ein solches Bekenntniß stellten sie nun auch im Oktober eben dieses Jahres ans, den consensus Dresdensis, in welcher Schrift sie ihre wahre Meinung wieder so geschickt zu verhüllen wußten, daß nicht nur der Churfürst, sondern auch Selnecker und andere Lutheraner sich dadurch beschwichtigen ließen. Gegen drei Jahre lang dauerte von da an der Friede, wiewohl der Verdacht des Fürsten immer wieder von verschiedenen Seiten her neue Nahrung erhalten zu haben scheint. Auswärts nämlich that Jak. Andreä das Möglichste, durch Vermittlung fremder Höfe den Churfürsten auf die ihm von den geheimen Calvinisten drohenden Gefahren aufmerksam zu machen; in Dresden war 1572 ein entschiedener Lutheraner Lysthenius neben Christian Schütz, dem Kryptocalvinisten, als Hofprediger angestellt worden und erfreute sich bei der Churfürstin eines großen Vertrauens, der Churfürst selbst las seit einiger Zeit eifrig Andreä’s Schriften; auch hatte sich unter Begünstigung der Churfürstin eine Hofpartei gebildet, welche, um selbst an’s Ruder zu kommen, den Geheimerath Cracov und Peucer, die sich eines so hohen Vertrauens des Fürsten erfreuten, auf alle Weise zu stürzen bemüht war. Von dieser Seite her waren Klätschereien ausgebracht worden, wie die, daß Peucer durch die Gunst des Fürsten, der ihn bei einem seiner Prinzen zu Pathen gebeten, auch in seiner Wohnung zu Wittenberg ein Mittagsmahl eingenommen, bei einer Gelegenheit sich habe beikommen lassen, von sich selbst zu sagen: „Hier ist der Churfürst!“ Wie sehr August durch alles dieses mit Mißtrauen erfüllt worden, gab sich bei manchen Gelegenheiten scherzhaft zu erkennen. Peucer in seinem Verhör beruft sich auf die scherzhafte Aeußerung des Fürsten gegen seine Hofleute bei der Rückkehr von dem in Wittenberg bei seinem Professor eingenommenen Gastmahle: „Nun bin ich bei dem Erzcalvinisten zu Gaste gewesen.“ Bei einer andern Gelegenheit, als August sich von Cranach die Wittenberger Professoren malen ließ, wird die Aeußerung von ihm berichtet: „Nur mal‘ er mir keine Calvinistengesichter.“ Ernstlicher spricht sich am Anfange des Jahres 1573 sein Mißtrauen aus bei Gelegenheit eines von seinem Hofprediger Schütz ihm dargebrachten Neujahrswunsches: „Ich glaube, äußert er sich in der schriftlichen Erwiederung, man findet zu Wittenberg gleich große Schelmen, als an andern Orten. Ich kann nicht leiden, daß man sich meiner Gnade mißbrauche, und daß man an meiner statt will Churfürst seyn, denn ich will es allein seyn. Ich kann mit Wahrheit sagen, daß in der Welt kein unbeständigeres Volk sei, als die Pfaffen…. Ich will meine Seligkeit nicht auf die von Leipzig und Wittenberg stellen, denn sie nicht Götter, sondern Menschen und können gleich wohl irren, als die andern. Handeln sie recht, so gefällt mir’s wohl, handeln sie aber unrecht, so bin ich der erste, der ihnen zuwider. Doch sollen sie nichts hinter meinem Bewußt anfangen.“

 

Am Anfange des Jahres 1574 kamen aber von verschiedenen Seiten her die Beweise eines Einverständnisses zu Tage zwischen dem erwähnten Geheimerath Cracov, dem Doctor Peucer und dessen Schwiegersohn Hermann, dem zweiten Leibarzt des Fürsten, den Hofpredigern Schütz und Stössel, nach welchem planmäßig der Churfürst und dessen Gemahlin für die calvinische Lehre gewonnen und die Umgestaltung des sächsischen lutherischen Kirchenwesens nach dem Vorbilde des pfälzischen bewürkt werden sollte. Im December des vorangegangenen Jahres hatte sich plötzlich eine entschieden calvinische Schrift, Exegesis perspicus, besonders unter den Wittenberger Studirenden verbreitet. Im Januar 1574 hatte Stössel dem Lysthenius ein calvinisches Abendmahlformular zuerst zum Abschreiben mitgetheilt, dann jedoch wieder zurückgezogen, worüber aber dieser einen ausführlichen Bericht an die Churfürstin geliefert. Schütz war eine sehr verdächtige Predigt gehalten worden, und vermuthlich fällt auch in diese Zeit, was uns erzählt wird, daß von Peucer ein calvinistisches Gebetbuch an denselben geschickt worden, um es in die Hände der Churfürstin zu spielen, welches aber sammt dem begleitenden Briefe durch Versehen des Boten in die Hände von Lysthenius gekommen, der davon sofort dem fürstlichen Paare Nachricht gegeben. In diesem Briefe hieß es, daß sie erst Mutter Anna gewinnen müßten, „weil, wenn sie diese auf ihrer Meinung hätten, es nicht Mühe haben würde, den Herrn selbst zu kriegen.“ Im Februar kamen Briefe von Hermann in die Hände des Fürsten, worin derselbe anzeigte „wie man den Fürsten gewissermaßen nöthigen könne, den heimlichen Calvinisten auf dem Seile zu laufen.“ In Folge dieser Entdeckungen wurde nun der Briefwechsel von Hermann, Schütz und Stössel mit Beschlag belegt und aus demselben ergab sich nun auf unzweifelhafte Weise die erwähnte Absicht der Einverstandenen, den Calvinismus in Sachsen zur Herrschaft zu bringen. „Veritatem, hieß es in einem Schreiben von Peucer, quam tot diluvia sanguinis in Gallia et Belgio extinguere non potuerunt, in hin regionibus esse triumphaturam.“ Es war darin auch die blinde Verehrung des Churfürsten gegen den Namen Luthers und das Weiberregiment an seinem Hofe lächerlich gemacht worden; mit den Heidelberger Professoren waren Verabredungen wegen des Confessionswechsels getroffen. Hermann, Schütz und Stössel wurden nunmehr verhaftet, im März eine Commission nach Wittenberg gesandt, um die Professoren und namentlich Peucer wegen der Exegesis perspicua zu vernehmen, wobei Peucers Briefwechsel mit Beschlag belegt wurde und zu neuen Entdeckungen führte. Am 7ten Juli erfolgte auch die Verhaftung von Cracov „wegen gemißbrauchten Vertrauens.“

 

Was den Churfürsten bei dieser Entdeckung so tief entrüstete, war zunächst der langjährige Mißbrauch des Vertrauens und zwar von denen, welchen schon ihr Stand dies hätte unmöglich machen sollen. In einer eigenhändigen Note zu dem Landtagsabschiede in Torgau schrieb er: „So viel die verstrickten Personen Stössel und Schütz, Peucer und Cracov anlangt, hätte man auch besonders bedenken sollen, daß beide Pfaffen meine Beichtväter und Seelsorger gewesen, Dr. Peucer, mein Leibarzt, dem ich meinen Leib, Weib und Kind anvertraut und Dr. Cracov, mein geheimster Rath in allen weltlichen Händeln, von denen allen ich schändlich und böslich betrogen bin worden, in dem daß ich sie für fromme und redliche Leute angesehen.“ Noch stärker aber war der Zorn über die Verletzung seiner kirchenregimentlichen und fürstlichen Autorität durch das Unterfangen, hinter seinem Rücken in seinen eignen Landen eine fremde Confession zur Herrschaft zu bringen. Dies wie überhaupt die Gesinnung, in welcher von ihm die gesetzliche Ahndung über die Angeschuldigten verhängt wurde, ergiebt sich aus folgendem Schreiben an seinen fürstlichen Freund Landgraf Wilhelm von Hessen. „Meinen freundlichen Dienst und was ich jederzeit Liebes und Gutes vermag, allezeit zuvor, hochgeborner Fürst, freundlicher, lieber und vertrauter Vetter, Schwager, Bruder und Gevatter. Ich habe E. L. vertraulich Schreiben in der bösen und verdrießlichen Sache, so sich mit etlichen meiner Theologen, Beichtvätern, Leibärzten und Kammer- oder Stubenräthen und mir zugetragen, freundlich empfangen, daraus auch E. L. freundlich und gutherzig Gemüth, daran ich mir doch nie den geringsten Zweifel gemacht, nothdürftig verstanden. Dieweil ich aber aus E. L. Schreiben befinde, daß sie allein von meinem Gegentheil berichtet, so will ich mich zu E. L., unserm habenden Vertrauen nach, freundlich versehn, Sie werden wahrhaftigen Gegenbericht auch freundlich in Acht nehmen und daraus als ein weiser und verständiger Fürst selbst hintangesetzt aller Affekte judiciren, ob ich in dieser Sache, die nicht allein meines Regimentes Kirchen- und Schulautorität, sondern vielmehr mein, meiner Unterthanen und dieser Lande Nachkommen selbst Heil und Wohlfahrt betrifft, zu viel oder zu wenig gethan habe. Ich bin nunmehr, Gott Lob, in das 40te Jahr bei der erkannten und bekannten Wahrheit der reinen Lehre des heiligen Evangelii, wie solche Lehre durch Doctor Luther und Philippum in der Augsburgischen Confession verfaßt, erzogen und, gottlob, darin bis auf diese Zeit in das 21te Jahr meiner unwürdigen Churfürstlichen Regierung geblieben, dabei ich auch mit Gottes Hülfe bis an mein Ende zu verharren endlich entschlossen. Was aber die 4 Personen, in E. L. Schreiben gemeldet, für ein propositum oder Vorsatz in diesen Landen eine andere Religion anzurichten im Sinne gehabt, das lasse ich ihre eigenen Handschriften, welche ich bei meinen Händen, besagen. Weil ich mich aber zu bescheiden, daß ich in diesen Sachen von wegen meiner colera, davon ich fast in der ganzen Welt ausgeschrien, ich auch zum Theil in christlichen und ehrlichen Sachen nimmermehr in Abrede seyn kann noch will meines eignen Kopfes zu seyn, so mögen E. L. mir gewißlich zutrauen und glauben, daß ich hierin mit Rath derer, die es mit und neben mir betrifft und angeht, und um dero Haar man sich hat raufen wollen, gehandelt und noch ferner handeln will, und ficht mich derhalben gar nichts an, was die Flacianer, Calvinisten, Franzosen oder wer sich’s mehr annehmen will, dazu oder davon schreiben oder reden, sie mögen vor ihrer Thür kehren, so werden sie Arbeit genug finden, auch wohl unser dabei vergessen, unter uns gebührt sich’s auch nicht anders. Damit aber E. L. dero Dinge desto mehr Bericht und Grund haben mögen, so ist mir nicht entgegen, E. L. schicken einen vertrauten Diener zu mir, so der griechischen und lateinischen Sprache erfahren, so sollen ihm die Briefe vorgelegt, auch wenn es E. L. begehren, davon ein Extrakt gemacht werden, damit E. L. desto besser judiciren können, womit isti nebulones et Dei et principis traditores sind umgegangen, und habe E. L. auf Ihr gutherziges Gemüth und Schreiben mein Gemüth hinwieder freundlich zu erkennen geben wollen. Da es auch von E. L. möglich zu erbitten, von wem sie diese Information hätten, so bitte ich zum freundlichsten, sie wollten auf das hohe freundliche Vertrauen, so ich in dieselbige setze und habe, und in gleichem Fall von mir jederzeit wieder zu erwarten haben sollen, als der getreue Martine handeln und mir diesfalls nichts verhalten, solches will ich um E. L. hinwieder freundlich verdienen, die ich hiermit dem treuen Gott und mich derselben freundlich thue befehlen. Datum Schweinitz den 30. Aprilis anno 1574.“

 

  1. L.

 

treuer Vetter und Bruder \\

Augustus, Churfürst.

 

Gegen die Hauptverbündeten Cracov, Peucer, Stössel und Schütz ließ August nunmehr den förmlichen Criminalproceß instruiren, den übrigen verdächtigen Wittenberger Professoren wurden die von einer Anzahl lutherischer in Torgau versammelten Theologen aufgesetzten Artikel zur Unterschrift vorgelegt, wobei vier derselben sich entschieden der Unterschrift weigerten und zugleich mit Hermann und noch drei andern Wittenbergern des Landes verwiesen wurden. Schütz wurde zu lebenslänglichem Hausarrest verurtheilt, aus welchem er erst nach dem Tode des Churfürsten 1588 befreit wurde, Stössel starb 1576 im Schlosse zu Senftenberg, Cracov und der ihm eng befreundete Peucer wurden am härtesten betroffen; Cracov starb auf dem Strohlager eines unterirdischen Kerkers der Pleißenburg in Leipzig 1575 – man vermuthet durch freiwilligen Hungertod, Peucer erhielt erst nach zwölfjährigem Gefängniß im Jahre 1586 durch Fürbitte der jungen Gemahlin des Churfürsten, Prinzessin Agnes von Anhalt, seine Freiheit. – Ein hochgeachteter Geschichtsschreiber dieser Katastrophe spricht über diese Strafakte des Churfürsten das Urtheil aus: „Wer wird es befremdend finden, wenn der Churfürst durch alles zusammen in einen Zustand kam, in welchem er der gewaltsamsten Proceduren fähig war? Aber die Proceduren, die er jetzt vornahm, waren freilich mehr als nur gewaltsam, denn ihre Härte stieg bis zur Grausamkeit.“ Sollte dieses Urtheil ein dem Sachverhalt und dem Rechtsstandpunkte der Zeit entsprechendes seyn? Das Kirchenregiment war von den Reformatoren selbst in die Hände der Fürsten gelegt worden: gewissenshalber fühlten sie sich berufen – nicht in eigener Person, aber mittelbar durch theologische Convente, die obwaltenden Streitigkeiten zu schlichten. „Ob sich wohl jede Obrigkeit billig scheuen müßte, schreibt August im Jahre 1575, sich unter die verwirrten Gemüther der Theologen zu mengen, so habe er doch, da kein Papst unter ihnen sei, die Sorge, daß es immer schlimmer mit den Händeln werden würde, wenn nicht die Obrigkeit von allen Theilen darein griffe.“ „Daß sie Calvin nicht zu verdammen wüßten, da seine Phrases im Grunde den lutherischen nicht entgegen seien,“ war von den vier verhafteten Theologen selbst anerkannt worden. Konnte der Fürst calvinischen Theologen die Wittenbergischen Katheder anvertrauen? Daß wegen des von der Landeskirche abweichenden Bekenntnisses sie auch Landesverweisung trifft, mag als „Grausamkeit“ erscheinen nach unseren Grundsätzen von Toleranz, aber mußten nicht – gemäß den Grundsätzen des jus reformandi des Landesherrn – bis zum westphälischen Frieden hin alle Katholiken und Calvinisten die sächsischen Lande räumen? Die Kerkerhaft aber der Anderen, war sie Strafe für ihr calvinistisches Bekenntniß oder nicht vielmehr für das Verbrechen des Landesverraths? Weigerte sich doch eben aus diesem Grunde auch der philippistische Wilhelm von Hessen der von Friedrich von der Pfalz vorgeschlagenen Verwendung für die Verhafteten bei dem Churfürsten. Ueberdies wurden selbst von diesen Hauptinkulpaten nur Cracov und Peucer von dem vollen Maaße der Strafe getroffen – in Folge der Unversöhnlichkeit der persönlich von ihnen verletzten Churfürstin. Hermann wurde, wie bemerkt, gänzlich freigelassen und ging nach Breslau, Schütz empfing in seinem Hausarrest noch einen Theil seines Gehaltes und einer seiner Söhne noch nach der Entdeckung der Schuld des Vaters 1574 und 1579 Stipendien. Selbst gegen Peucer steigerte sich die Strenge nur allmählig, wie er selbst in seiner historia carcerum erzählt. Erst wurde nur Beschränkung seiner Amtsfunktionen und Wittenberger Stadtarrest verhängt mit ausdrücklicher Erklärung, daß auch die Umgebungen der Stadt mit einbegriffen. Dann folgte Amtsentsetzung und Stadtarrest unter gleicher Bedingung in Rochlitz mit 200 Gulden Gehalt, darauf Versetzung in ein Gefängniß nach Zeitz, von da im November 1576 wieder nach Rochlitz in schärfere Haft, am 1. August nach Leipzig. Hier wurde immer auf’s Neue gegen ihn inquirirt, um das Zugeständniß eines betrüblichen Benehmens gegen den Fürsten zu erlangen – auch einer angeblich von Cracov mit dem kaiserlichen Leibarzt Erato angezettelten Conspiration gegen August. Als der Angeschuldigte fest bleibt, wird ihm ewige Haft angekündigt, doch „in leidigem Gefängniß.“ Man wird nicht irren, wenn man annimmt, daß das, was noch von Milde in diesem Verfahren ist, auf Rechnung des Fürsten kommt, die Härte aber auf Rechnung der Fürstin und der Hofpartei des Geheimsecretair Jaenisch. Als der Landgraf von Hessen später für den unglücklichen Gefangenen Fürbitte eingelegt hatte, erklärte die Churfürstin, „so lange sie lebe, solle er seiner Haft nicht ledig werden.“ Auch darf man wohl dem in dieser Sache zu Rathe gezogenen Landtage einen schärfenden Einfluß zuschreiben, wie sich ein solcher auch sonst bei lutherisch-confessionellen Berathungen der sächsischen Landtage gezeigt hat. In der Proposition bei der ersten Entdeckung an den Landtag zu Torgau erklärt August selbst, daß ihm von dem bei der ersten Entdeckung in Dresden versammelten landschaftlichen Ausschusse noch härtere Maaßregeln vorgeschlagen worden, als die von ihm beliebten.

 

Mit der Beseitigung der unlutherisch gesinnten Professoren und Hofprediger war indeß nur die kleinere Hälfte der Aufgabe gelöst: worauf es vor allem ankam, war die Vereinigung der immer noch in sich selbst gespaltenen Lutheraner und die Sicherung der reinen Lehre unter den noch zum großen Theil philippistisch gesinnten Geistlichen der sächsischen Lande. Mit einem Eifer, den man auf keine andere Quelle als die aufrichtige Liebe zu seiner Kirche zurückführen kann, widmete sich nun der Fürst diesem schwierigsten Theile der Aufgabe. Von ihm selbst war der Vorschlag zu einem neuen Convent und einer neuen durchgreifenderen Einigung über eine streng lutherische Lehrform verordnet worden. Nach einer vorläufigen Einigung mit seinen eignen Theologen wurden diese nebst fünf ausgezeichneten Männern aus andern Landeskirchen nach Torgau berufen und hier im Jahre 1576, vornehmlich unter Leitung des Würtemberger Andreä, das Torgauische Bedenken abgefaßt. Nachdem über dasselbe die einerseits im Interesse des Philippismus, andrerseits in dem eines zelotischen Lutherthums abgefaßten Censuren auswärtiger Kirchen eingelaufen waren, traten Jakob Andreä, nunmehr seit 7 Jahren in dem Vereinigungswerke thätig, Chemnitz und Selnecker am Anfange des Jahres 1577 zu Klosterbergen zusammen, um an eine theilweise Ueberarbeitung jenes Bedenkens Hand anzulegen, zu welcher dann später auch noch Chyträus aus Rostock und zwei brandenburgische Theologen hinzugezogen wurden. Die so umgearbeitete Bekenntnißschrift ist die unter dem Namen der Conkordienformel unter die symbolischen Bücher der lutherischen Kirche aufgenommene Abhandlung.

 

Ungesäumt wurde nun dieselbe den sächsischen Universitäten, den Predigern und Schullehrern, wie auch den Magistraten und Grundherrn in den churfürstlichen, so wie den damals unter churfürstlicher Administration stehenden fürstlich sächsischen Ländern vorgelegt. Eine That freier Ueberzeugung konnte diese Unterschrift freilich nicht durchgängig genannt werden, denn wenn auch zunächst die Visitatoren und Andreä an ihrer Spitze durch theologische Gründe die Widerstrebenden zur Ueberzeugung zu bringen suchten, so fehlten doch auch die Drohungen nicht, wie denn auch später die Absetzung der Renitenten erfolgte. Nach allem was vorangegangen, muß jedoch die Mäßigung des Fürsten bewundert werden, welcher wenigstens einige unter seinen Beamten, deren Gewissen sich nicht zur Unterschrift verstehen konnte, von derselben dispensirte: wir erfahren, daß damals der unter Christian II. durch sein tragisches Ende berühmt gewordene Kanzler, der damalige Hofrath Crell, sich befand, die zwei ausgezeichneten Wittenberger Professoren Eberhard von der Weyhe und Matthias Wesenbeck, der vortreffliche Niederländer, wie dessen Vetter Matthias Wesenbeck, vielleicht auch noch einige andere, deren Namen nicht aufbewahrt sind.

 

Mag dies von dem Fürsten erreichte Ziel in der Gegenwart als ein werthloses Gut erscheinen: daß es durch rechtswidrige Mittel erreicht worden, wird nicht behauptet und eben so wenig der Gesinnung des Fürsten die Anerkennung versagt werden können, welche so viele Mühe und einen Kostenaufwand von 70.000 Thaler darauf gewendet hatte, diese Eintrachtsformel zu Stande zu bringen und damit der von den immer neu auftauchenden theologischen Streitigkeiten zerrissenen lutherischen Kirche für eine längere Zeit einen ruhigen Stand zu sichern – allerdings um einen nicht geringen Preis, die Ausscheidung nämlich eines Theils der dissentirenden Landeskirchen und einer großen Anzahl von Einzelnen, worunter nicht wenige der vortrefflichsten Talente, welche nunmehr in dem Anschluß an die pfälzisch-reformirte Kirchengemeinschaft ihr Heil suchten.

 

Sehr wohl erkannte es aber die Weisheit des Fürsten, daß die feste Stellung eines reinen und klaren Bekenntnisses doch bei weitem noch nicht alles, was das Heil der Kirche erforderte. In seinen Generalartikeln und seiner Kirchenordnung von 1580 stellte August eine kirchliche Gesetzgebung auf, welche zu dem Trefflichsten gehört, was auf diesem Gebiet geleistet worden – ebenso sehr nach der Seite des praktisch-christlichen Interesses als nach der der kirchlichen Organisation. Für Ordnung der Gottesdienste, die Organisation der Volksschulen, das Institut der Visitationen, für die Katechisationen und die kirchliche Disciplin finden sich in dieser Kirchenordnung und den Generalartikeln die trefflichsten Verordnungen. Auch die äußere Noth des Predigerstandes ging ihm zu Herzen, für altersschwache Prediger, für deren Wittwen und Waisen gab es damals noch keinen Unterstützungsfonds: von dem Churfürsten wurde für diesen Zweck eine Stiftung von 100.000 Gulden gemacht, durch Verordnungen und Stiftungen wurden die beiden Universitäten, und, da Leipzig schon durch Moritz reichlich bedacht worden, namentlich Wittenberg, gehoben. Von Luthers Erben wurde das Augustinerkloster angekauft, und zu einem Convikt von Stipendiaten aller Fakultäten eingerichtet, deren Zahl der Churfürst aus beiden Universitäten auf 150 erhöhte. Auch die Zahl der theologischen Professuren wurde von drei auf vier erhöht, die der medicinischen von zwei auf vier, die der juristischen von vier auf fünf; selbst ein Lehrer für das Französische wurde angestellt.

 

Auch nach Abzug homiletischer Rhetorik bleibt noch einige Wahrheit in der Schilderung übrig, welche Mirus von dem Segen der kirchlichen Einrichtungen unter dem Regimente dieses Churfürsten macht: „Im Hausregiment sind alle Häuser in Städten und Dörfern lauter Tempel und Wohnungen Gottes unter uns. Die liebe Jugend wird bald in der Kindheit im Katechismus unterrichtet und saugen die Erkenntniß Gottes mit der Muttermilch. Wenn sie anfangen zu lallen, so lernen sie das Vaterunser und andre schöne Gebetlein, welche eine Macht sind, die Gott hat zugerichtet aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge, dadurch der Feind und Rachgierige vertilget und viele böse Praktiken zurückgetrieben werden Psalm 8, 3. Es werden die Leute unterrichtet vom Brauch der zeitlichen Güter, wie sie mit denselben umgehen sollen, damit sie nicht Schaden oder Verlust nehmen an den ewigen. Und wir sehen täglich, daß Alt und Jung, Mann und Weib, Kinder in wahrer Anrufung des Sohnes Gottes seliglich von hinnen scheiden und wahrhaftig den Tod nicht sehen noch schmecken, sondern dringen durch den Tod in’s ewige Leben.“

 

Leider werden die letzten Lebenstage des Fürsten noch durch eine Handlung befleckt, welche auf sein eheliches Leben einen Schatten zu werfen geeignet ist. Seine treue Lebensgefährtin Anna war am 1. Oktober 1585 durch die Pest ihm entrissen worden. Auch im Glück hatte diese Fürstin einen dem Ewigen zugewandten Sinn bewährt. Selnecker berichtet von ihr die schöne Aeußerung: „Gott hat mir auf dieser Welt große, vielfältige Gaben verliehn, aber das sage ich, daß mein Herz nie ist mit zeitlichen und vergänglichen Dingen erfreut worden, sondern ich sehne mich immerdar nach dem Ewigen, da ich will satt werden bei meinem Gotte und weiß nichts, das mich auf dieser Welt genug erfreuen kann, allein daß ich weiß, daß mir Gott gnädig ist und daß es meinem Herrn (ihrem Gatten) wohlgeht.“ Sie war durch schwere Prüfungen des Mutterherzens hindurchgeführt worden, in denen sie Standhaftigkeit bewährt, denn von 15 Kindern hatten nur 3 sie überlebt. Wie nach den meisten Seiten hin ihr Leben, so war auch ihr Sterbelager erbaulich. Die Gesinnung, in welcher sie ihre Leiden ertrug, spricht sich in den öfter von ihr wiederholten Worten des Propheten aus (Micha 7, 9.): „Ich will des Herren Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt,“ und Judith 8, 22: „Gottes Strafe ist viel geringer, denn unsere Sünden sind,“ wozu sie das Glaubenswort Davids hinzuzufügen pflegt (Psalm 68, 20.): „Gelobet sei der Herr täglich, Gott legt uns Last auf, aber er hilft uns auch.“ Von ihrem Krankenbette aus ordnete sie folgende kirchliche Fürbitte für sich an: „Es wird begehrt ein gemein christlich Gebet zu thun für eine arme Sünderin, deren Sterbestündlein vorhanden. Gott wolle ihr gnädig seyn um Jesu Christi seines lieben Sohnes willen.“ Als sie geduldig und schweigend ihr Ende erwartete und gefragt wurde, ob sie auch Anfechtungen habe, erwiederte sie: „Mir ist weh, aber ich verzage nicht, denn ich gedenke an die Wunden des Herrn, und traue dem der gesagt hat: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden, wo ich bin werdet ihr auch seyn; ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen.“ Zuletzt wiederholte sie mehrmals die Worte: „Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöset, du getreuer Gott.“ – Schon dies befremdet, daß der Churfürst, welcher sich damals auf seinem Schlosse in Colditz befand, die sieben Wochen hindurch, welche die Krankheit dauerte, durch die Befürchtung der Ansteckung sich abhalten ließ, seine leidende Gemahlin zu sehen. Schon ganz kurze Zeit nach ihrem Tode läßt er sich von seinem Freunde, dem Churfürsten von Brandenburg bestimmen, um die Hand der Schwägerin desselben, der Prinzessin Agnes Hedwig von Anhalt anzuhalten – damals ein noch nicht ganz 13jähriges Mädchen! Noch ist die gesetzliche Trauerzeit nicht vorüber, als der 60jährige Fürst mit dieser jungen Braut am 3. Januar 1586 in Dessau das Beilager hält. Bei dieser Gelegenheit war es, wo die junge Neuvermählte auf den Wunsch ihres Vaters um die Freilassung Peucers aus dessen zwölfjähriger Gefangenschaft anhält und auch die Gewährung dieser Bitte erlangt. Von lutherischer Seite wurde damals eine Münze geprägt, welche Adam und Eva unter dem verbotenen Baume darstellt, mit der Umschrift: „Adam durch der Eva Rath, Gottes Gebot übertrat.“ – Ein prunkvoller Einzug in Dresden folgte. Doch bald darauf mußte das Land und die unmündige Gattin die Freude sich in Leid verkehren sehn. Am 11. Februar hatte August in Augustusburg, wo er eine Jagd abgehalten, noch eine Predigt über das ewige Leben angehört, über welche er sich bei Tafel beifällig äußerte: an demselben Tage starb er durch einen Schlaganfall. –

 

Quelle: Lebenszeugen der lutherischen Kirche, August Tholuck, Berlin, Wiegandt & Grieben, 1859