Die sechs Blut-Artikel, welche König Heinrich VIII. im Jahre 1539 aufgestellt hatte, hatten bei seiner Härte und Grausamkeit zur Folge, daß auf beiden Seiten, Anhänger des Pabstes und Anhänger der Reformation den Tod leiden mußten. Zu den letzteren gehörte auch unsere fromme und gottselige Anna Askew.
Von ihrer Geburt und ihrem früheren Leben und Wirken wissen wir wenig. Nur, daß sie aus altem, adligen Geschlecht in der Grafschaft Lincoln abstammte, von ihren Eltern ihrem Stande und den damaligen Bildungsstufen gemäß erzogen wurde, und durch Gaben des Verstandes, Klugheit, Ueberlegung, Charakterfestigkeit und aufrichtige, herzliche Frömmigkeit sich auszeichnete. Sie hatte die englische Bibelübersetzung in die Hände bekommen, fleißig darin gelesen und geforscht und sich einen reichen Schatz evangelischer Erkenntniß angeeignet. Es war im März 1546, als sie 25 Jahre alt, den Befehl erhielt, vor der damals vom Könige eingesetzten inquisitorischen Glaubenscommission zu erscheinen. Sie hatte vor ihr zwei Verhöre zu bestehen, welche sie selbst nachher in ihrem Gefängniß für ihre Freunde und Angehörigen genau beschrieben hat, und in welchen sie die Klarheit, Gewandtheit und Sicherheit ihrer Ueberzeugung hell leuchten ließ.
In dem ersten Verhör wurde sie zunächst von einem Inquisitor Cbristophorus Daire ausgefragt nach gewissen Personen, welche in den Verdacht der Ketzerei gekommen wären. Dann wurde ihr die Frage vorgelegt, ob sie an das Sacrament in der Monstranz glaube, daß es der wahre und natürliche Leib Jesu Christi sei? Sie entgegnete: er möchte ihr erst sagen, aus welcher Ursach der heilige Stephanus sei gesteinigt worden? und da jener erwiderte: er wisse es nicht, sprach sie: dann will ich auch auf eure nichtige Frage nicht antworten. Interessant ist das weitere gegenseitige Gespräch; nirgends zeigt sie eine Spur von Verlegenheit, überall vielmehr große Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit. Der Richter: „Es hat ein Weib uns angezeigt, daß du an einem Orte gelesen hast, daß Gott nicht in Häusern von Menschenhänden gemacht seine Wohnung hätte.“ Anna berief sich auf Stephanus und Paulus Erklärung Ap. Gesch. 7,48 und 17,24. Der Richter verlangte darauf ihre Erklärung über diesen und jenen Spruch; sie antwortete: „Man muß die Perlen nicht vor die Säue werfen, sie fressen auch wohl Eicheln.“ Der Richter: „Wer hat dich also reden gelehrt, daß du lieber fünf Verse in der heiligen Bibel lesen wolltest, als in der Kirche eben so viele Messen hören?“ Anna: „Ich stelle das nicht in Abrede; doch will ich’s nicht verstanden haben von den Evangelien und Episteln, welche bei der Messe aus Gottes Wort genommen werden: aus dem Vorlesen und Betrachten der heiligen Schrift empfange ich Besserung und Erbauung, aber aus der Messe nicht, wie Paulus 1 Corinth. 14 bezeugt: „So die Posaune einen undeutlichen Ton giebt, wer will sich zum Streit rüsten?“ Richter: „Was hältst du von der Beichte?“ Anna: „Eben das, was der Apostel Jacobus davon lehrt 5,16, daß Einer dem Andern solle seine Sünde bekennen und Einer für den Andern bitten.“ Richter: „Hast du auch den Geist Gottes?“ Anna: „Wenn ich ihn nicht hätte, so wäre ich auch nicht Gottes und müßte unter die Zahl der Verworfenen gerechnet werden.“ Richter: „Ich habe einen Priester mitgebracht, der soll dich examiniren.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so trat schon der im anstoßenden Zimmer anwesende Priester herein und fragte Anna nach dem Hauptpunkt der Anklage, nach ihrer Meinung vom Sacrament des Altars. Da Anna merkte, daß er ein Papist war, bat sie ihn, daß er nicht in sie dringen möchte, ihm eine bestimmte Antwort hierüber zu geben. Da bestürmte sie der Ketzermeister mit der Frage, was sie von den Seelenmessen hielt, ob sie den abgeschiedenen Seelen einige Hülfe oder Trost bringen könnten? Anna Askew antwortete fest und bestimmt: „Wenn Einer sein Vertrauen auf die Messen mehr setzte als auf das Blut Christi des Sohnes Gottes, der für uns gestorben ist, so wäre das eine Abgötterei und schreckliche Gotteslästerung.“ – Nach diesem Verhör schleppte man sie zum Ortsvorsteher, welcher von neuem zu inquiriren anfing, insbesondere, wenn eine Maus von dem gesegneten Brode esse, ob sie dann Gott esse oder nicht? Anna konnte nur lächeln über diese thörichte Frage. Als aber vollends des Bischofs Kanzler sie mit rauhen Worten anfuhr, wie sie als Weib dazu käme, daß sie von Gottes Wort und heiliger Schrift reden wollte, da doch Paulus den Weibern von der heiligen Schrift zu reden verboten habe, gab sie zur Antwort: „Des Apostels Meinung ist mir nicht verborgen: nämlich daß die Weiber in öffentlicher Versammlung nicht reden sollen, wie die Männer, welche die Gemeinde zu lehren den Auftrag haben;“ und fragte kühn: „Wie viele Weiber er sein Lebtage hätte auf die Kanzel treten und predigen gesehen?“ und als der Kanzler bekennen mußte: nie eine, schloß sie die Verhandlung mit den bestimmten Worten: „Nun, dann verdammet doch die armen Weiber nicht mit Euerem unzeitigen Urtheil, während das Gesetz sie losspricht.“ Darauf befahl der Ortsvorsteher sie ins Gefängniß zu führen, wo innerhalb 12 Tagen sie Niemand von ihren Freunden besuchen durfte.
Am 23ten März kam einer ihrer Vetter zu ihr ins Gefängniß, sie zu besuchen, und fragte sie, ob sie nicht durch eine Bürgschaft aus ihrem Gefängniß sich möchte befreien lassen. Als sie ihre Einwilligung gegeben, begab er sich sofort zum Ortsvorsteher, sein Gesuch anzubringen. Der war auch sofort bereit, wenn der Bischof Bonet dazu die Erlaubniß geben würde. Den 2ten Tag darauf vor den Bischof geführt, wurde sie von diesem und seinen Assistenten von neuem vermahnt, Alles zu gestehen, was sie auf dem Herzen hätte. Anna erwiederte, es sei nichts in ihrem Herzen verborgen, das sie nicht offenbaren könnte; denn sie hätte ein ruhiges und gutes Gewissen und wüßte von keinem Anliegen oder nagenden Wurm im Herzen. Bonet: „Gleichwie ein erfahrener Wundarzt kein Pflaster auf eine Wunde legt, er wisse denn zuvor, wie groß und tief die Wunde sei, so kann ich auch dir keinen Rath geben, ehe denn du mir die Wunden und Krankheiten deines Gewissens geoffenbart hast.“ Anna: „Ich bin mir gottlob nichts Böses bewußt; es wäre daher sehr verkehrt gehandelt, wenn man auf eine gesunde Haut ein Pflaster legen wollte.“ Dann hielt er ihr die früheren Anklagen vor, worauf sie die früheren treffenden Antworten wiederholte. Endlich fragte er sie direct: „Was ist denn dein Glaube vom Sacrament?“ Anna: „Ich glaube, was mich die heilige Schrift davon lehret.“ Bonet: „Wie? wenn die heilige Schrift lehrete, es wäre der Leib Christi?“ Anna: „Alles, was die heilige Schrift lehret, das glaube ich!“ Bonet: „Wie? wenn dann die heilige Schrift sagte, es wäre nicht der Leib Christi?“ Anna: „Ich folge durchaus und allein der heiligen Schrift.“ Endlich fragte er, wie es denn käme, daß sie mit so wenigen Worten antwortete? Anna: „Es ist mir gegeben die Gabe des Verstandes, aber nicht die Gabe, viele Worte zu machen, und was du an mir tadelst, das lobt der König Salomo in seinen Sprüchen: daß ein vernünftig Weib, das wenig und bescheiden rede, eine besondere Gabe Gottes sei.“
Nach einigen Tagen wurde ein zweites, fünfstündiges Verhör mit ihr angestellt und sie unter andern vorzüglich nach ihrem Glauben vom Abendmahl befragt. Sie antwortete: „Ich glaube, daß, so oft ich in geistlicher Versammlung das Sacrament des Leibes und Blutes, zum Gedächtniß des Leidens und Sterbens Christi, mit Danksagung nach seiner heiligen Einsetzung brauche, ich zugleich theilhaftig werde der Frucht des heilsamen Leidens unseres Herrn.“ Der Bischof verlangte nun, sie sollte deutlicher reden und nicht viele Umschweife machen. Anna: „Ich kann kein neues Lied dem Herrn singen im fremden Lande.“ Bonet: „Du redest in Parabeln und Gleichnissen.“ Anna: „Ich muß also mit dir reden; denn wenn ich rund heraus dir meine Meinung sagte, so würdest du mir doch nicht Glauben schenken.“ Darauf nannte er sie einen Papagei, worauf sie sprach: „Ich bin bereit, nicht allein deine Scherzreden mit Geduld zu ertragen, sondern auch alles Andere, was du ferner wider mich vornehmen wirst.“ – Am andern Tage wurde das Verhör fortgesetzt. Unter andren verlangte der Bischof von Winton, sie sollte bekennen, daß das Sacrament der Leib Christi sei mit Fleisch, Blut und Beinen. Anna: „Es ist eine große Schande, daß ihr mir rathet, etwas zu sagen, was ihr selbst nicht für wahr haltet.“ Darauf sagte derselbe: er wolle freundlich und vertraulich mit ihr reden. Anna: „Ja, wie Judas, als er Christum verrathen wollte.“ Zuletzt legten sie ihr eine Schrift über das Sacrament zur Unterschrift vor, sie aber verweigerte es aufs bestimmteste. – Der folgende Tag war ein Sonntag. Anna Askew fühlte sich sehr schwach und bat, daß man ihr den Dr. Latimer zuschicke, um sich mit ihm auszusprechen; es wurde ihr abgeschlagen. Vielmehr führte man sie ins Gefängniß Newgate.
Nach jenen Verhören verkündigte man ihr, daß sie eine Ketzerin sei und nach dem Gesetz zum Tode verdammt, wenn sie halsstarrig auf ihrer Meinung beharrte, Sie antwortete: „Nein, ich bin keine Ketzerin.“ Darauf wollte man von ihr wissen, ob sie nicht läugne, daß der Leib und das Blut Christi im Sacramente sei? Anna: „Das läugne ich ganz und gar; denn der Sohn Gottes, aus Maria geboren, regiert nun nach unseres christlichen Glaubens Bekenntniß im Himmel und wird von dannen wiederkommen zum Gericht, wie Er hinauf gefahren ist. Ich läugne nicht, daß dieses Sacrament mit gebührender Ehrerbietung soll begangen werden; aber weil ihr mit eurem Aberglauben übers Ziel schreitet und es zu einem Gott machet, und ihm göttliche Ehre beweiset, sage ich dagegen: das sei nur Brod, und bekräftige solches mit diesem Wahrzeichen. Wenn ihr diesen euern Gott drei Monate lang etwa in einem Kasten aufhebet und liegen lasset, so wird er schimmlich und verfaulet, wird endlich ganz und gar zu nichte, und ist also ein Gott, der längstens drei Monate währen kann.“ Nachher boten sie ihr einen Priester zur Beichte an; sie lächelte aber und erwiederte: „Es ist genug, wenn ich Gott meine Sünde bekenne, von dem ich nicht zweifle, daß Er meine Beichte anhören könne und weil ich ein bußfertiges Herz habe, mir auch meine Sünde vergeben wolle. Was Er aber kann und will, das muß in alle Ewigkeit ungehindert bleiben.“ Alsbald wurde das Todesurtheil über sie ausgesprochen.
Vergebens protestirte sie gegen dieses Urtheil in einem Schreiben an den Kanzler, vergebens in einer Supplication an den König. Wie gewöhnlich wurde sie in den Thurm zu London gebracht, um ihre Glaubensgenossen gefragt und als sie Niemanden angab, auf die Folter wiederholt gespannt, bis alle Glieder ihres Leibes ausgerenkt und zerrissen wurden und sie in tiefe Ohnmachten fiel. Auch wurde sie immer wieder mit Drohungen und Versprechungen bestürmt, daß sie widerrufen möchte. Da sie aber fest blieb und ihre Kräfte so schwanden, daß man ihren Tod im Gefängniß besorgte, eilte man mit ihr zum öffentlichen Feuertode. Weil sie in Folge ihrer Martern weder mehr stehen noch gehen konnte, wurde sie auf einem Stuhl nach dem Roßmarkt getragen und an einen Pfahl mit eisernen Ketten angebunden. Alles war fertig. Da langten königliche Briefe an, welche ihr das Leben schenkten, wenn sie widerriefe: sie mochte sie nicht ansehen. Der Scheiterhaufen wurde angezündet, und Anna Askew starb mit drei andern evangelisch gesinnten Männern den qualvollen, aber herrlichen Märtyrertod im Jahre 1546. Im nächsten Jahre stand Heinrich VIII. schon vor seinem ewigen Richter.