Anna Askew.

Heinrich VIII. von England hatte im Jahr 1539 die sogenannten sechs Blutartikel erlassen, durch welche die Lehre von der Brodverwandlung, die Kelchentziehung, die Abhaltung der Seelenmessen, die Ohrenbeichte, die Ehelosigkeit der Priester und die Unauflöslichkeit der Keuschheits-Gelübde zum Glaubensgesetze in seinen Staaten erklärt werden. Jedes Zuwiderhandeln wurde zuerst mit Gefängniß geahndet, später durch Hinrichtung bestraft. Unter den vier Opfern, welche am 16. Juli 1546 auf dem Scheiterhaufen starben, befand sich auch die erst fünfundzwanzigjährige Anna Askew (auch Ascue geschrieben). Sie war im Jahre 1521 geboren, aus Lincoln, die Tochter einer angesehenen Familie und von ihrem Vater, welcher dabei mehr die äußeren Vortheile der Verbindung als der inneren Frieden seines Kindes im Auge hatte, frühe einem reichen Manne, Namens Lyon, zur Ehe gegeben. In dieser Ehe trat aber nur zu bald der Gegensatz der beiderseitigen religiösen Anschauungen hervor. Anna, von frommem Sinn und mit der Bibel vertraut, nach der Frauenerziehung ihrer Zeit auch wissenschaftlich gebildet, den theologischen Fragen, welche damals die Welt erschütterten, mit aufmerksamer Theilnahme zugewendet und für die lauteren Lehren der h. Schrift, welche sie in der Ursprache des N. T. zu lesen verstand, also für die reformatorische Bewegung, in deren Mitte sie lebte, gewonnen, fand an ihrem Gatten einen mißtrauischen Hüter des römischen Glaubens, einen heftigen Widersacher ihrer Stimmungen und Gefühle, man sagt sogar einen heimlichen Verräther bei der kirchlichen Obrigkeit. Jedenfalls verstieß er sie aus seiner Wohnung. Sie begab sich nach London und blieb dort eine Zeitlang durch die Verborgenheit beschützt, auch im Verkehre mit Personen, welche dem Hofe nahestanden und die Reformation begünstigten, man vermuthet sogar mit der Königin (Catharina Howard) selbst. Aber einmal entdeckt und wegen ihrer Zweifel an den römischen Lehren in’s Verhör genommen, gab sie freimüthige Antwort. Die Frage: warum sie nicht zugebe, daß der Priester aus der Hostie den Leib Christi hervorbringe, erwiderte sie dahin: sie habe wohl gelesen in der Schrift, Gott habe den Menschen hervorgebracht, nirgends aber, daß ein Mensch Gott hervorbringe. Auf die weitere Frage: was daraus entstehe, wenn eine Ratte das geweihte Brod verzehre, ließ sie sich zwar nicht ein; als aber der Lordmaire ausrief: die Ratte sei verdammt, konnte sie sich des lächelnden Seufzers nicht erwehren: arme Ratte! Dem Bischof Shaxton von Salisbury gegenüber, der sich selbst bisher zur evangelischen Wahrheit hingeneigt, aber auf Grund der sechs Artikel seinen Irrthum abgeschworen hatte, hielt sie unbefangen stand und rügte ihn sogar durch einen Hinweis auf den offenkundigen Wechsel seiner Ueberzeugungen und Bekenntnisse. Beharrlich weigerte sie sich, dem Befehl des Königs durch Nennung der Personen des Hofs, mit welchen sie in Verbindung stehe, Folge zu leisten. In den Tower geworfen, hatte sie nun die Folter zu bestehen. Als der mit Anwendung der Folter beauftragte Offizier Bedenken trug, zu den höheren Graden der Marterung aufzusteigen, riß der Kanzler des Gerichts die Henkerarbeit an sich und quälte die gelassene Dulderin so sehr, daß sie die Besinnung verlor. Aber mit dem Bewußtsein kehrte auch der starke Wille, ihrem Glauben die Ehre zu geben, zurück. Wegen ihres jämmerlich zugerichteten Befindens mußte man sie in einer Sänfte auf den Richtplatz tragen. Auch hier widerstand sie mit fester Würde dem Anerbieten der Begnadigung, das man ihr noch schriftlich darreichte, falls sie den Irrthum abwerfe und sich zum römischen Glauben bekenne. Ihre Antwort war: wie könnte ich meinen Herrn verleugnen? Die Flammen desselben Holzstoßes verzehrten das junge Weib neben drei aus demselben Grunde der Apostasie verurtheilten Männern: einem Priester, einem Handwerker und einem Offizier.

C. Grüneisen in Stuttgart.